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Page 1: Verletzungen der Aorta abdominalis und der Beckenarterien

Iatrogene und traumatische Gefäßverletzungen

Gefässchirurgie 4•2002 | 213

Zusammenfassung

Verletzungen der abdominellen Aorta undder Beckenarterien sind mit einer hohenMorbidität und Mortalität verbunden. DieseArbeit soll einen Überblick über diese Gefäß-traumata geben. Ausgenommen wurdeniatrogene Läsionen.

Neben der klinischen und sonographi-schen Basisdiagnostik liefert beim hämody-namisch stabilen Patienten v. a. die Compu-tertomographie entscheidende Hilfen zurDifferenzialdiagnostik. Eine Katheterangio-graphie ist in der Akutphase überwiegendzur Therapieplanung und Durchführung in-terventioneller Eingriffe notwendig. Für dieerfolgreiche Therapie von Verletzungen derabdominellen Aorta ist die schnelle Exposi-tion und Blutungskontrolle eine wesentlicheVoraussetzung.Verletzungen der Beckenar-terien beim komplexen Beckentrauma erfor-dern ein interdisziplinäres Management. DerDifferenzierung der Ursache retroperitonea-ler Hämatome kommt dabei eine zentraleBedeutung zu. Bei Blutungen aus Arterienäs-ten im Beckenbereich sind vielfach interven-tionelle Verfahren erfolgreich.

Schlüsselwörter

Gefäßverletzungen · Abdominelle Aorta ·Iliakalarterien · Komplexes Beckentrauma

Traumatische Verletzungen der abdo-minellen Aorta und der Beckenarteriensind mit einer hohen Morbidität undMortalität verbunden. PenetrierendeTraumen der großen retroperitonealenGefäße führen meist unmittelbar zumTode, sodass trotz verbesserter Reani-mation, Notfallversorgung und raschemTransport viele Patienten die Klinikennicht mehr erreichen und die tatsächli-che Rate dieser Gefäßverletzungen nurvage abgeschätzt werden kann [4, 7, 15].Die Klinikletalität schwankt in Sammel-statistiken zwischen 30 und 80% [5].

Die höchste Inzidenz wird beiStich- und Schussverletzungen gesehen.Während dabei in den USA die Schuss-verletzungen dominieren, sind in Euro-pa Stichwunden mit Gefäßverletzunghäufiger [4]. In Deutschland liegt dieRate stumpfer abdomineller Traumenbei über 90% (Tabelle 1), sodass eineVerletzung der abdominellen Aorta eineseltene Diagnose ist.

Gemeinsam ist den genanntenTraumen eine hohe Rate an Begleitver-letzungen im Bauchraum und an denBeckenorganen sowie am knöchernen

Becken. Retroperitoneale Blutungensind eine Hauptursache schwerer Kom-plikationen nach Verletzungen des Be-ckenringes und bedürfen einer beson-deren Betrachtung hinsichtlich Diffe-renzialdiagnose und -therapie.

In der vorliegenden Arbeit soll einÜberblick über traumatische Verletzun-gen der abdominellen Aorta und der Be-ckenarterien gegeben werden, wobei ia-trogene Läsionen z. B. bei endovaskulä-ren Eingriffen oder Katheterverfahrenausgenommen wurden.

Akutdiagnostik

Der Rückschluss auf eine Gefäßverlet-zung aus dem Unfallhergang/Verlet-zungsmuster ist unzuverlässig. Zudemstehen dem behandelnden Arzt zum

Gefässchirurgie 2002 · 7:213–217DOI 10.1007/s00772-002-0241-8

W. Lang · Chirurgische Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen

Verletzungen der Aorta abdominalis und der Beckenarterien

© Springer-Verlag 2002

Priv.-Doz. Dr. med.W. LangChirurgische Klinik mit Poliklinik der Universität, Gefäßchirurgie,Krankenhausstraße 12, 91054 Erlangen,E-Mail: [email protected]

Tabelle 1Häufigkeit des Abdominaltraumas in Deutschland. (Nach [2, 16])

Abdominaltrauma Inzidenz [%]

Bei schwerer Mehrfachverletzung 20Rate stumpfer abdomineller Traumen 95Niedrigste Inzidenz: Fußgänger 12,1Höchste Inzidenz: suizidale Handlung bis 30Bei Verletzten bis 30 Jahre (doppelt so häufig wie bei den über 60-Jährigen) ca. 22Zusatzverletzungen >90

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Iatrogene und traumatische GefäßverletzungenLang · Verletzungen der Aorta abdominalis und der Beckenarterien

W. Lang

Injuries to the abdominal aortaand the iliac arteries

Abstract

Injuries to the abdominal aorta and the iliacarteries incur high rates of morbidity andmortality.This paper reviews the surgicalmanagement of such cases, with the excep-tion of iatrogenic lesions.

Precise clinical and ultrasound evalua-tion is mandatory during the first steps ofemergency treatment. For further documen-tation of the extent and site of arterial trau-ma in hemodynamically stable patients,computed tomography is crucial. Angiogra-phy is indicated for the evaluation of inter-ventional therapy.The key to the successfultreatment of injuries to the abdominal aortalies in the immediate surgical control of thehemorrhaging vessel. Iliac artery traumademands first-class cooperation in a traumacenter. A decisive clinical pathway is todifferentiate the cause of retroperitoneal he-matoma. Continuous bleeding from arterialbranches of the iliac vessels is the main indi-cation for endovascular procedures in certaincases.

Keywords

Arterial injuries · Abdominal aorta · Iliac arteries · Pelvic trauma

Zeitpunkt der Erstversorgung nur be-grenzt Informationen zur Verfügung [2,16]. Bei schweren Verletzungen großerArterien ist das Erkennen der Trauma-folge leicht möglich [21]. In diesen Fällendominiert meist der lebensbedrohlichehämorrhagische Schock. Hinweise aufeine Gefäßverletzung sind ein massiverBlutverlust aus offenen Wunden, expan-dierende oder pulsierende Hämatome,fehlende oder reduzierte periphere Pul-se sowie ein hörbares Rauschen [3].

Die höchste Rate (über 85%) an Ver-letzungen der Aorta abdominalis ist beizentralen Einschüssen zu erwarten. DasErkennen der Blutungsquelle und diefrühzeitige Blutungskontrolle und Blut-stillung ist ein wesentlicher Prognose-faktor. Für Patienten mit instabilemKreislauf und massivem Blutverlustüber die Arterienläsion ist eine rascheLokalisation der Blutungsquelle von vi-taler Bedeutung. Die Diagnostik musssich analog zum Vorgehen beim Abdo-minaltrauma an 3 wesentlichen Punktenorientieren:

◗ Kreislaufstabilität vs. -instabilität,◗ isolierte Verletzung vs. Polytrauma

und◗ penetrierende Verletzung vs. stump-

fes Trauma.

Die Sonographie ist die Methode derWahl zur Basisdiagnostik bei stumpfenoder penetrierenden Traumen zum Aus-schluss einer vital bedrohlichen Hämor-rhagie. Beim kreislaufinstabilen Patien-ten mit freier intraabdomineller Flüssig-keit wird sich daraus immer die Indika-tion zur Notfalllaparotomie ohne Zu-satzdiagnostik ergeben [2]. Ergänzendzur B-mode-Sonographie kann mit Hil-

fe der Dopplersonographie eine arteri-elle Perfusionsstörung nachgewiesenwerden, z. B. bei einer Arteriendissekti-on oder -läsion mit Thrombose.

Zur Untersuchung des kreislaufsta-bilen Patienten ist die Computertomo-graphie (CT) für die erweiterte Diagnos-tik am besten geeignet. Mit intravenöserKontrastmittelinjektion und multisliceSpiraltechnik wird die Darstellung dergroßen abdominellen und retroperito-nealen Gefäße (CT-Angiographie, CTA)mit kurzen Untersuchungszeiten mög-lich. Im Vergleich zur MR-Angiographieüberwiegen diese Vorteile bei der Not-falldiagnostik. Die CT gibt auch wichti-ge Hinweise über Begleitverletzungenbeim komplexen Beckentrauma undschließt sich bei Beckenverletzungen derklinischen, sonographischen und derNativröntgenuntersuchung an [6, 14, 17,18].Blutungen können im CT durch Aus-tritt von Kontrastmittel lokalisiert wer-den. Daraus ergeben sich wichtige Hin-weise für die Wahl des geeigneten ope-rativen Zugangs. Das Retroperitoneumwird dabei in 3 Zonen eingeteilt: Zone Ientspricht dem zentralen Retroperitone-um bis zum Promontorium, Zone II ent-spricht der rechts- und linksseitigenFlankenregion und Zone III der Becken-region [1, 8, 10].

Die Katheterangiographie (transfe-moral oder transbrachial) in digitalerSubtraktionstechnik (DSA) ist im Ver-gleich zur CTA in der Akutdiagnostikder abdominellen und retroperitonealenGefäße erheblich aufwändiger. Ihre Vor-teile liegen in der Option einer simulta-nen interventionellen Therapie, z. B. derEmbolisation blutender Arterienäste imBecken [2, 20].

Verletzungen der abdominellen Aorta

Größere Serien über Verletzungen derabdominellen Aorta sind selten undbleiben meist Traumazentren mit einerhohen Frequenz an abdominellenSchussverletzungen vorbehalten. Aberauch hier werden die Daten über einenlängeren Zeitraum von über 10 Jahrengesammelt, um für retrospektive Analy-sen ausreichende Behandlungszahlen zuerzielen [1, 4, 5, 15, 19].

Viele der Patienten erreichen wegendes massiven vor Ort nicht stillbarenBlutverlustes die Notaufnahmen nicht.Die Patienten, die letztlich zum Teil un-

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Tabelle 2Einteilung der abdominellen Gefäßverletzungen. (Nach [2])

Grad Lokalisation der Verletzung AIS-Punktea

I Äste der Arteria und Vena mesenterica superior 1II A. und V. hepatica, A. gastrica sinistra, A. gastroduodenalis, 3

A./V. mesenterica inferiorIII V. mesenterica superior et inferior, A./V. renalis, A./V. iliaca, A./V. hypogastrica, 3

V. cava inferiorIV A. mesenteraica superior, suprarenale/subhepatische V. cava, infrarenale Aorta 3–4V Pfortader, extraparenchymale Lebervene, retrohepatische oder 3–5

suprahepatische V. cava inferior, suprarenale/subdiaphragmale Aorta

a AIS:„appreviated injury scale“.

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ter Reanimation aufgenommen werden,leiden u. a. an protrahiertem Schock,Azidose, Hypothermie, Verbrauchsko-agulopathie und Arrhythmien. Die Inzi-denz abdomineller Begleitverletzungenliegt zwischen 88 und 100%, wobei dieam häufigsten betroffenen Organe derDarm und die Leber sind [4]. Die Klini-kletalität erreicht durch die schwerenKombinationsverletzungen bis zu 80%,in diesen Fällen liegt häufig eine Kom-binationsverletzung der abdominellenAorta und der V. cava inferior vor. Dieschwersten Verletzungen betreffen densuprarenalen Abschnitt mit begleitenderVenenverletzung (Tabelle 2). Die Letali-tät bei kombinierten Verletzungen derabdominellen Aorta und der Beckenar-terien wird mit 53% angegeben [1].

Richardson hat für die Therapie ab-domineller Aortenverletzungen Haupt-punkte herausgearbeitet, welche einenwesentlichen Einfluss auf das Überlebendes Patienten zeigen (Tabelle 3): u. a.Kenntnisse der supracoelicalen Exposi-tion, subdiaphragmales Klemmen derAorta, schnelle Blutungskontrolle voraufwändiger Gefäßrekonstruktion, ggf.Tamponade und verzögerte Revaskula-risation u. U. unter Verwendung extra-anatomischer Umleitungen und eine an-giographische Kontrolle zum Ausschlussübersehener Gefäßverletzungen und zurDarstellung von technischen Problemender Notfalloperation [15].

Wegen der Größe der Gefäße unddes guten Durchflusses sind Graft-thrombosen nach Rekonstruktionen indiesem Gebiet postoperativ selten zu er-warten. Graftinfektionen treten eben-falls selten auf, z. B. bei ausgedehnter in-traoperativer Kontamination, im Verlaufvon Pankreasfisteln o. Ä. [4].

Bei Kontaminationen des Operati-onsgebietes sollte wenn möglich auf pro-thetisches Material verzichtet werden –aber auch hier steht die rasche Blutstil-lung und Rekonstruktion während einerNotfalllaparotomie (sog. „Damage-con-trol-Operation“) im Vordergrund, auf-wändige Techniken sollten zweizeitigenEingriffen vorbehalten bleiben.Damage-control-Operationen beruhen auf demPrinzip, den Ersteingriff auf ein Mini-mum zu beschränken und insbesonderebeim kreislaufinstabilen Patienten eineschnelle Blutungskontrolle zu erreichen.Die endgültige Versorgung schließt sichgeplant erst nach dieser Phase an [2, 4,15]. Die Rate an Damage-control-Opera-

tionen liegt in einem großen Krankenguteines Traumazentrums (2.437 Laparoto-mien in 3 Jahren) bei etwa 5% [9], steigtjedoch bei Verletzungen der abdominel-len Aorta auf 35% an [1].

Verletzungen der Beckenarterien

Nimmt man die iatrogenen Gefäßtrau-men sowie Schuss- und Stichverletzun-gen mit isoliertem Gefäßtrauma aus, isteine iliakale Arterienverletzung meistmit einem schweren Beckentrauma ver-bunden. Das komplexe Beckentraumaumfasst dabei Frakturen und/oderLuxationen im Becken mit peripelvinenLäsionen, z. B. der Weichteile, der pelvi-nen Darmabschnitte, des Urogenital-traktes, der Beckengefäße und der Ner-ven. Für die Einteilung der Verletzungendes knöchernen Beckenrings hat sichdie Einteilung nach Tile (ABC-Schema)bewährt,da sich daraus unmittelbar the-rapeutische Konsequenzen ergeben.

Bei der C-Fraktur mit einer kom-pletten dreidimensionalen Beckeninsta-bilität kommt es immer zu erheblichenperipelvinen Weichteilverletzungen mitmassivem Blutverlust aus den Fraktur-zonen, venösen Blutungen aus peripel-vinem Plexus und Ästen der A. iliaca in-terna [6, 14].

Hauptursache der schweren Be-ckentraumen sind Verkehrsunfälle, dieRate pelviner Gefäßverletzungen bei iso-lierten Komplextraumen des Beckenringsliegt bei 26% [14].Bei Kindern ist eine Be-ckenfraktur nach Trauma seltener. Durcheine höhere Elastizität des Beckenskelettswerden jedoch die peripelvinen Struktu-ren weniger geschützt, sodass auch beivermeintlich einfacheren Frakturen zu-sätzlich eine erhebliche Weichteilverlet-zung, u. U. auch eine Verletzung pelvinerGefäße vorliegen kann. Bei 21 Patienten(Kinder bis zum vollendeten 14. Lebens-jahr) mit komplexem Beckentrauma be-richtet Meyer-Junghänel immerhin über 9(43%) Verletzungen großer pelviner Ge-fäße. Eine Rekonstruktion der Gefäßemusste in 4 Fällen erfolgen [11].

Differenzialdiagnose der Beckengefäßläsionen

Verletzungen der Beckenarterien kön-nen durch eine Ischämie und/oder Blu-tung auffällig werden. Während dieIschämie der betroffenen Extremität kli-

nisch und ggf. dopplersonographisch anden typischen Zeichen relativ einfacherkannt werden kann, ist die Differenzi-aldiagnose der Blutung schwieriger. Re-troperitoneale Blutungen beim Becken-trauma resultieren nur in einem Pro-zentsatz von etwa 10–25% aus arteriel-len Blutungen.

Meist sind Einrisse der Venen/-ple-xus und Blutungen aus den disloziertenspongiosen Frakturflächen für die mas-sive Hämorrhagie verantwortlich. Beiarteriellen Verletzungen sind Äste derA. iliaca interna am häufigsten betrof-fen, zum Teil liegen diese jedoch relativweit in der peripheren Aufzweigung.Großvaskuläre Läsionen können v. a. beiinstabilen Frakturen (z. B. Typ-C-Frak-tur) mit Translokationen an der Auf-zweigung in A. iliaca externa und inter-na entstehen, an der es im schlimmstenFall zum stammnahen Ausriss der Arte-rien kommt [13, 14, 17].

Neben der Sonographie zur Primär-diagnostik kommt der CTA wiederumeine entscheidende Rolle zu. ArterielleBlutungsquellen werden am Kontrastmit-telaustritt erkannt. Eine DSA zur Primär-diagnostik ist praktisch nie erforderlich,wenn eine suffiziente Computertomogra-phie mit CTA vorliegt.Die Vorteile der Ka-theterangiographie liegen in der genaue-ren Lokalisationsdiag-nostik im Bereichkleinerer Arterienäste mit entsprechen-der Therapieoption (z. B. Embolisationblutender Internaäste) [20].

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Tabelle 3Einflüsse auf die Letalität bei Verletzungen der abdominellenAorta und der Beckenarterien.(Nach [5, 15])

Letalität erhöht:

● Stich-/Schussverletzung gegenüber stumpfem Trauma

● Schock bei Aufnahme● Azidose bei Aufnahme● Blutung ohne retroperitoneale Tamponade● Suprarenale Lokalisation der Verletzung● Kombinationsverletzung Aorta/Vena cava

inferior und Aorta/Beckengefäße

Letaliät reduziert:

● Spezielle gefäßchirurgische Versorgung(Kenntnisse des Operateurs)

● Schnelle Blutungskontrolle● Zweizeitiges Vorgehen statt aufwendiger

Primärrekonstruktion

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Therapie von Beckenarterienverletzungen

Ischämie

Tritt ein akuter Gefäßverschluss bei Be-ckenarterientrauma mit einer Ischämieder Extremität auf,besteht eine dringen-de Indikation zur Revaskularisation. Jenach Lokalisation, Schweregrad undAusdehnung kommen eine lokale Repa-ratur durch Thrombektomie, Intimafi-xation mit oder ohne Patchplastik(Abb. 1), eine End-zu-End-Anastomosie-rung oder eine anatomische/extraanato-mische Bypassoperation oder Interpo-sition in Frage. Bei einer möglichenKontamination des Operationsgebietessollte, wenn möglich, autologes Materialverwendet werden.

Blutung

Beckenfrakturen können zu einem Blut-verlust von mehreren Litern führen,ohne dass größere Arterienäste beteiligtsind. Aus diesem Grund ist die unver-zügliche Differenzierung der Blutungs-quelle bzw. der Ausschluss einer Blutungaus großen Arterien (z. B. Abriss der A.iliaca interna) erforderlich. Bei instabi-len Frakturen vom Typ B und v. a. Typ Cist eine rasche Stabilisierung der Frak-tur zwingend.Auch bei der prognostischungünstigen Konstellation einer insta-bilen Beckenfraktur mit instabilenKreislaufverhältnissen wird zunächstdie Beckenfraktur als Blutungsquelleund Verursacher der Kreislaufinstabili-tät angesehen werden. Neben der Blut-und Volumensubstitution muss hier die

notfallmäßige Stabilisierung (z. B. Repo-sition, Fixateur externe, Beckenzwingenach Ganz) erfolgen [6].

Die komplexen Verletzungsmusterund möglichen peripelvinen Organ- undWeichteilschäden erfordern in diesen Fäl-len immer bereits primär ein interdiszi-plinäres Handeln. Entscheidungsprozes-se im Traumamanagement müssen dabeisystematisch durchlaufen werden, ohneindividuell angepasste Therapiekonzep-te aus den Augen zu verlieren.

Organverletzungen, die eine sofor-tige Operationsindikation darstellen,dürfen nicht verschleppt werden.Ande-rerseits sollte eine retroperitoneale Tam-ponade nicht durch unnötige chirurgi-sche Maßnahmen aufgehoben werden.Die Existenz eines retroperitonealen Hä-matoms (mit wirksamer Selbsttampo-nade der Blutung) ist in vielen Fällen einentscheidender Prognosefaktor (Tabel-le 3). Der Überlebenswahrscheinlichkeitvon etwa 90% bei einer retroperitonea-len Tamponade steht eine Letalitätsrateim selben Umfang bei ihrem Fehlen ge-genüber. Coimbra fand bei Gefäßverlet-zungen des Retroperitoneums ein20fach höheres Letalitätsrisko bei feh-lender Tamponade [5].

Embolisation

Für die interventionelle Therapie vonBeckenarterienverletzungen ergebensich 3 Hauptindikationen:

◗ persistierende Blutung aus Arteri-enästen bei konservativer Therapieeiner retroperitonealen Blutung odereines retroperitonealen Hämatoms,

◗ anhaltende Blutung trotz (frustra-ner) chirurgischer Intervention und

◗ Gefäßkomplikationen im weiterenVerlauf arterieller Läsionen (z. B. AV-Fisteln, Pseudoaneurysmen etc.).

Häufige Indikationen sind stumpfeTraumen mit arteriellen Blutungen,während penetrierende Verletzungenfast immer eine Domäne der chirurgi-schen Exploration und Blutstillung sind.Neben der geringeren Invasivität desEingriffs bleibt das Retroperitoneum imGegensatz zur operativen transperito-nealen Blutstillung geschlossen – einVorteil bei der Abdichtung zusätzlichervenöse Blutungsquellen [12, 17, 20]. Diehäufigste Indikation einer angiogra-phisch assistierten Embolisation bluten-

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Abb. 1 � a Angiogramm(DSA) der Beckengefäße beifrischem thrombotischemVerschluss der distalenA. iliaca externa (Pfeil) in Höhe des Leistenbandesbei vorderer Beckenfraktur.b Intraoperativer Situs.A. iliaca externa kontusio-niert durch disloziertenSchambeinast (Pfeile).c Zirkulärer Intimariss als Ursache der lokalenThrombose

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der Arterienäste der aortoiliakalenStrombahn besteht bei Verletzungen vonÄsten der A. iliaca interna mit persistie-render Sanguinatio (Abb. 2).

Die Erfolgsrate liegt unter günsti-gen Bedingungen bei 90%, wobei in ei-ner Serie von Velmahos etwa die Hälfteder frustranen Fälle auch chirurgischnicht stillbar war. Für die erfolgreicheAnwendung der interventionellen Blut-stillung gibt es keine prädiktiven Para-meter, sodass aus der Verletzung selbst,ihrem Mechanismus, einer eventuellenOrganbeteiligung und der hämodyna-mischen Kreislaufparameter kein Rück-schluss auf eine Indikation zur Interven-tion gestellt werden kann. Aus den ge-nannten Gründen bleibt die Rate unnö-tiger Angiographien mit bis zu 25% rela-tiv hoch, die Möglichkeiten einer wenig-invasiven Therapie sollten aber ausge-schöpft werden [20].

Stentgrafts werden bislang überwie-gend bei Spätfolgen arterieller Verlet-zungen wie persistierende AV-Fistelnoder Pseudoaneurysmen eingesetzt.Auch größere Serien berichten nur ka-suistisch über die Verwendung in derBeckenetage [12]. Obwohl größere Seri-en mit Langzeitergebnissen fehlen, erge-ben sich aufgrund der niedrigen Invasi-vität der Verfahren eindeutige Vorteile.Mit weiterentwickelten Techniken undErfahrungen mit der endovaskulärenTherapie auch im akuten Stadium isteine häufigere Anwendung im Bereichder abdominellen Aorta und der Be-ckenarterien zu erwarten.

Schlussfolgerungen

Verletzungen der abdominellen Aortaund der Beckenarterien sind mit einer

hohen Morbidität und Mortalität ver-bunden.Während Spätfolgen wie AV-Fis-teln oder Pseudoaneurysmen im Inter-val elektiv behandelt werden können,er-fordern die Verletzungen in der Akut-phase ein optimales interdisziplinäresTraumamanagement.Eine Angiographieist nur in seltenen Fällen primär erfor-derlich. Mit der Computertomographiekönnen neben den pelvinen und peripel-vinen Begleitverletzungen auch diegroßen Arterien des Retroperitoneumszuverlässig und schnell dargestellt wer-den (CT-Angiographie).Bei der Erstver-sorgung dominiert die Stabilisierung desKreislaufs die weiteren Maßnahmen.Fürdie Gefäßrekonstruktion gelten die übli-chen prinzipiellen Standards gefäßchir-urgischer Technik.Aufwändige arterielleRekonstruktionen sollten bei instabilenPatienten einer suffizienten Blutungs-kontrolle nachstehen.

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Abb. 2 � a Selektive DSAder Beckenarterien.Verletzung der rechtenA. pudenda interna mit Blutung (Pfeil). b Nach erfolgreicher Embolisationmit Coils (Pfeil)


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