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Page 1: Verloren in der virtuellen Welt - · PDF fileE-Mail: hamburg@wams.de Anzeige MAURITIUS Derby Reiter-Elite trifft sich in Klein Flottbek Seite HH 12. Title: untitled Created Date: 5/15/2009

Von Eva Eusterhus_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Vor zwei Wochen noch war Ni-na*, 15, Laras beste Freundin. Jetztist sie auf Platz 12 abgerutscht. DieSchülerin trifft ihre Freunde im In-ternet auf myspace.com. Die tägli-che Frage, ob sie in der Ranglisteder Freude auf- oder abgestiegenist, bedeutet für sie „totalen Psy-chostress“. Kaum besser ergeht esJannis*. Der 34-Jährige arbeitet alsIT-Berater. Seine Freunde hat erseit langem nicht mehr persönlichgesehen. Dafür trifft er sie täglichbei Facebook – an seinem PC imBüro. Wer mit wem befreundet ist –dieses Spiel ist für Jannis wie eineJagd geworden, die ihm keine Ruhemehr lässt. Auch Petra*, 45, ver-bringt fast jede freie Minute vordem Rechner. Die alleinerziehendeMutter kann ohne die gefühlvollenZeilen ihres Chatpartners Casi-mir99 nicht mehr leben.

So unterschiedlich diese dreiPersonen auch sind – eines verbin-

det sie: Freundschaften pflegen sienahezu ausschließlich in den sozia-len Netzwerken des Internets. BeiFacebook, myspace.com oder Schü-ler- und Studi-VZ haben mittlerwei-le auch Tausende Hamburger einpersönliches Profil angelegt. DasNetz ist für sie zur riesigen Kon-taktbörse geworden, in der es nurnoch darum geht, wer mit wem be-freundet ist, wer wie viele Freunde

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hat und wer am beliebtesten ist. DieOnline-Profile eröffnen beruflicheKontakte und dienen als virtuelleVisitenkarte. Begeistert, arglos, ungehemmt geben die NetzwerkerPersönliches von sich preis, stellenihr Privatleben in der Online-Welt zur Schau.

Der Hamburger Datenschutzbe-auftragte Johannes Caspar sieht indieser „digitalen Selbstentblö-ßung“ eine große Gefahr. „Da mussman Aufklärung betreiben und er-zieherisch tätig werden. Bisher istdieser Aspekt in der Diskussion zukurz gekommen“, sagt Caspar. „Ju-gendlichen muss klar sein, dass al-les, was sie im Netz von sich geben,nicht gelöscht wird, sondern wie ei-ne digitale Tätowierung sein kann.“

Caspar will das nicht länger hin-nehmen. Zum Datenschutz gehöreauch Aufklärung dazu. Die Förde-rung der Eigenverantwortung vonKindern und Jugendlichen im Um-gang mit dem Netz werde ein As-pekt in dem Konzept „DatenschutzHamburg 2010“ sein, das Ende Junivorgestellt werden soll. Kampa-gnen und Kooperation dafür bötensich in Schulen an, so Casper.

Doch damit wird es nicht getansein. Für eine steigende Zahl vonAnwendern ist die Präsenz im In-ternet längst zur Sucht geworden.Die Nutzer verlieren sich im Netz,das reale Leben wird durch das vir-tuelle ersetzt. Die meisten gehendem Zwang auch während der Ar-beit nach. Viele verlieren das Inte-resse an Job, Familie und Freunden– an allem, was außerhalb der virtuellen Welt stattfindet. Die

Ursachen der krankhaften Inter-netnutzung sind noch wenig er-forscht. Noch gibt es keine gesicher-ten Zahlen. Doch im aktuellen Dro-gen- und Suchtberichtes des Ge-sundheitsministeriums gehen dieExperten davon aus, dass drei bis sieben Prozent der Internetnut-zer computersüchtig sind oder zu-mindest einen problematischenKonsum aufweisen.

Als besonders gefährdet geltenJugendliche. Eine Studie des Deut-schen Zentrums für Suchtfragendes Kindes- und Jugendalters(DZSKJ) in Hamburg, die auf Zahlen einer Erhebung der SenderARD und ZDF fußt, hat ergeben,dass rund 63 Prozent der 14- bis 19-Jährigen Online-Communitysnutzen. 72 Prozent sind in Chatfo-ren aktiv. Die Nutzung von sozialenForen im Internet liegt damit deut-lich über dem Anteil von Online-Spielen, der „nur“ 37 Prozent aus-macht. Im Durchschnitt verbringen14- bis 29-Jährige rund 159 Minutentäglich im Netz. Sie liegen damitdeutlich über der durchschnittli-chen Verweildauer aller Befragten,die bei 120 Minuten liegt.

Vor allem Jungen zeigten einSuchtverhalten bis hin zur psycho-pathologischen Auffälligkeit, diedurch den exzessiven Konsum vonComputerspielen bestimmt werde,sagt Rainer Thomasius, ÄrztlicherLeiter des am UKE angesiedeltenDeutschen Suchtzentrums. In Ga-me-Communitys verabreden sichGleichgesinnte online und verbrin-gen dort im Extremfall bis zu18 Stunden am Tag. Die Experten

am UKE haben bereits auf dieseEntwicklung reagiert: Mit demProgramm „Lebenslust statt On-line-Sucht“ versuchen sie, Jugendli-che mit pathologischer Internet-sucht zu therapieren. Ziel ist es, den isolierten Seelen zu zeigen, wie sie Befriedigung im wahren Le-ben finden können.

Den Forschern bereitet jedochKopfzerbrechen, dass sie die Gruppeder Mädchen und jungen Frauen inden Beratungsangeboten bislangnicht erreichen. Anders als ihremännlichen Altersgenossen sind die-se vor allem in Online-Foren unter-wegs, in denen sie ihr eigenes Profilanlegen und mit persönlichen Anga-ben und eigenen Fotos anreichern.

Auch wenn diese Art der Kom-munikation der einen oder anderenschüchternen Heranwachsendendie Kontaktaufnahme erleichtert,so dienen die Profile in erster Linieder Selbstdarstellung. Eine, dienach voyeuristischen Prinzipienfunktioniert. „Weil vor allem visu-elle Attribute im Vordergrund ste-hen und die Nutzerin nur die at-traktiven Attribute zur Schau stellt,geht es oftmals weniger um die Ab-bildung der wahren Persönlichkeit,sondern um die Präsentation einerTeilidentität“, sagt Thomasius. Die-se wird dann zur Bewertung freige-geben: Die Nutzer können sich ge-genseitig die Freundschaft anbietenund sich mit der Zugehörigkeit ineiner Clique präsentieren, aber beiMissfallen auch „Freundschaften“aufkündigen. „Freunde“ werdengesammelt wie Trophäen.

Im umgekehrten Fall bieten dieForen dem ohnehin an Schulengrassierenden Mobbing noch mehrMöglichkeiten. „Ein Mechanismus,der gerade für fragile Persönlich-keiten einen enormen Leistungs-druck darstellt – und schließlichdas Gegenteil eines großen Freun-deskreises zur Folge haben kann:die Isolation“, sagt Thomasius.

Erschwerend komme hinzu, dassdurch die Pflege der virtuellenKontakte jene in der realen Weltvernachlässigt werden und somit

als gesundes Gegengewicht wegfal-len. „Wir können hier, ähnlich wiebeim pathologischen Glücksspiel,von Missbrauch und Abhängigkeitsprechen“, sagt der Suchtexperte.

Mit der zunehmenden Veröffent-lichung des Privaten in der vernetz-ten Welt gehe gleichzeitig ein Ge-fühl verloren, das die Grundlage fürechte Beziehungen ist – Intimität.Das betont Wolfgang Hantel-Quit-mann, Professor für Klinische Psy-chologie und Familienpsychologiean der Hochschule für AngewandteWissenschaften in Hamburg. DieMenschen hätten zunehmend Pro-

bleme mit Intimität, da sie voraus-setzt, dass man sich öffnen muss.Doch wer sich öffnet, hat Verlus-tängste, nicht so geliebt zu werden,wie er ist. Das Internet bietet dieMöglichkeit, sich kontrolliert zuöffnen. „Die Distanz schafft Sicher-heit, und diese Sicherheit schafftNähe“, so der Psychologe.

Als Folge der zunehmenden On-line-Freundschaften sieht der Paar-therapeut verkürzte, flache, vonKonfliktpotenzial bereinigte Ver-bindungen. „Angesichts dieser ver-einfachten Beziehungen erscheintdie Realität schnell als lästig und

anstrengend, da sie dem Einzelnenemotionale Kompetenzen abver-langt. Die Flucht ins Netz ist be-quem – und absolut unverbindlich.“Auf den ersten Blick eröffnet dasNetz den Menschen also eine Viel-zahl von Kontakten. Doch wer nurdarauf setzt, wird früher oder spä-ter vor allem eines sein: allein.

* Namen geändert

Verlorenin der virtuellen Welt

Die Zahl der Hamburger, die ihre gesamteFreizeit im Internet verbringen und sich dort ihre Freunde suchen, wächst erheblich.Suchtexperten und Datenschützer sehen vor allem Jugendliche gefährdet. Sie fordern mehr Aufklärung und neue Therapieangebote

Wenn der Besuch im Internet zwanghaft wird werben oder Ersteigern vonProdukten.

INFORMATIONA Durch die zehnjährigeErfahrung im Umgang mitOnlinesüchtigen bietet derVerein seine Hilfe dort an,wo sich die Betroffenenzumeist aufhalten: im Netz.Auf der Seite www.online-sucht.de findet man Studi-

en, eine Therapeutenlistesowie anonyme Beratung.Außerdem gibt es zahlrei-che Download-Ratgeber(zum Beispiel für Eltern),Checklisten, mit denenjeder seinen Online-Ge-brauch kritisch überprüfenkann, und auch praktischeAnleitungen, die helfen,den Online-Konsum zureduzieren.

deren Angehörigen denWeg aus der virtuellen Weltweist. In ihrem Buch „Onli-nesucht – Wenn Mailen undChatten zum Zwang wer-den“ differenziert sie zwi-schen diversen Sucht-faktoren des Internets:Chatten, Online-Sex,zwanghaftes Betrachtenvon Bildern und Filmensowie übermäßiges Er-

HILFE IM NETZA Mit den negativen psy-chischen, physischen undsozialen Auswirkungen desPhänomens Onlinesuchtist Gabriele Farke auseigener Erfahrung vertraut.Die 52-jährige Buxtehude-rin gründete vor zehn Jah-ren den Verein „Hilfe zurSelbsthilfe für Onlinesüch-tige“, der Betroffenen und

Hilft Online-Süchtigen imNetz: Gabriele Farke

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