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Zusammenfassende Thesen• DieWählerschaftderAfDistsehrhe-

terogen.Sieisttypischfürneuentste-hendeProtestparteien,dienochnichtetabliertsind.ObdiesderAfDgelin-genwird, istoffen.Sie istnochweitdavon entfernt, eine feste Kraft imdeutschenParteiensystemzusein.

• DieWählerschaftderAfDspeistsichaus sehr unterschiedlichen Quellen.ZwarkamenbeiderBundestagswahl

/// Wählerschaft und Wahlmotive

wie bei den Landtagswahlen etwavier Fünftel von anderen Parteienund nur etwa ein Zehntel aus demBereichderNichtwähler,vondiesenBewegungenzugunstenderAfDwa-renabervieleParteienbetroffen.

• DieUnionistnichtderhauptsächlichLeidtragende der WählerwanderungzugunstenderAfD.NurbeiderEu-ropawahl kam ein Viertel der AfD-WählervonderUnion.BeiderLand-tagswahlinSachenwardiesnocheinFünftel, bei den anderen Wahlendeutlichweniger.

• Die AfD hat von der Schwäche derFDP profitiert. Bei der Bundestags-wahl kam ein gutes Fünftel ihrerWählervonderFDP,beidenletztenLandtagswahlen noch etwas übereinZehntel.InsgesamtkametwaeinDrittel der AfD-Wähler aus dem

DIe „AlTeRnATIVe FÜR DeUTsCHlAnD“ (AfD)

GERHARD HIRSCHER /// Die erst 2013 gegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat im Jahr 2014 unerwartete Wahlerfolge gefeiert. Schon im September 2013 war sie bei der Bundestagswahl mit 4,7% nur knapp gescheitert – allerdings mit einem Rekordergebnis für eine erstmals antretende Partei. Ist diese neue Partei eine weitere Eintagsfliege im deutschen Parteiensystem oder hat sie Chancen auf langfris-tige Etablierung? Ihr endgültiges Schicksal wird sich erst in den Landtagswahlen vom Frühjahr 2016 entscheiden.

Die AfD ist weit davon entfernt, eineEtAblIERtE Partei in Deutschlandzu sein.

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bürgerlichen Lager von Union undFDP.

• DieAfDkonntebeachtlichvonZuge-winnenausderWählerschaftderex-tremen Parteien profitieren. Schonbei der Bundestagswahl holte sie16,5% ihrer Stimmen von der Lin-ken,beidenletztenLandtagswahlenwaren dies in Sachsen ein knappesZehntelundüber16%inThüringenundBrandenburg.Dazukamennen-nenswerteGewinnevonderNPDvoralleminSachsen.

• Die AfD ist trotz des fortgeschritte-nenAlterseinigerihrerprominentenVertreter keine Seniorenpartei. Vorallem die jüngeren und mittlerenJahrgänge bis 45 Jahre sind bei denWählern deutlich überrepräsentiert,beidenWählernüber60 Jahrener-zielt sie klar unterdurchschnittliche

Unbändige Freude bei der AfD-Spitze über ihr bislang bestes Wahlergebnis, hier bei der Landtags-wahl 2014 in Brandenburg.

Resultate. Dies war bei den Piratenbei ihren vier Wahlerfolgen2011/2012 ähnlich, nur war sie inden jüngsten Jahrgängen noch stär-kervertreten.

• Auchwennsichunterdenprominen-tenVertreternderParteivieleProfesso-renundWissenschaftlerbefinden,istebensoklar:DieAfDistkeineAkade-miker-Partei. Ihre stärksten Wähler-gruppenkommenausdenmittelqua-lifizierten Bevölkerungsgruppen. BeidenformalhochQualifiziertenwarsiedurchschnittlichundindenLandtags-wahlen im Osten klar unterdurch-schnittlichvertreten.Diesunterschei-detsievondenPiraten,diebei ihrenErfolgenbeidenformalhochQualifi-ziertenamstärkstenabschnitten.

• DieAfDisteineMännerpartei.WiebeivielenneuenundProtestparteien

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in Deutschland erzielte sie bei denMännern deutlich höhere Werte alsbeidenFrauen.BeidenWahlerfolgender Piraten 2011/2012 war dies ge-nauso. Der geringe Frauenanteil inden Vorständen unterstreicht dieseStruktur.

• Trotz der Dominanz prominenterAkademiker ist die AfD auch einePartei der kleinen Leute. Der Anteilder Arbeiter war bei allen Wahlenüberdurchschnittlich, der der Ar-beitslosenzumindestimOstenauch.ÜberdurchschnittlicheWertebeidenSelbständigen, vor allem im Osten,fallendemgegenüberquantitativweitweniger ins Gewicht. Bei den Rent-nern schnitt sie aber generell unter-durchschnittlich ab. Auch dies isteineParallelezudenErfolgenderPi-raten.

• Zu Beginn ihres Auftretens hat dieAfDstarkvonihrereuropa-undeu-rokritischen Programmatik profi-tiert. Insgesamt ist bei ihr aber derAnti-Establishment-Protest immerstärkergeworden.Es ist fraglich,obsiealsreineAnti-Euro-Parteiüberle-benkönnte.

• Neben dem Thema Europa war fürdieAfDderThemenbereichdersozi-alen Sicherheit zur Rekrutierung ih-rer Wählerschaft zentral. Angst vorder künftigen wirtschaftlichen Ent-wicklung war bei der Bundestags-wahleinwichtigerFaktor.ZusätzlichsindZuwanderung,dieAusländerpo-litik und die Kriminalitätsbekämp-fungwichtigeThemenfelder.AnsätzezurVerherrlichungderDDRwarenindenLandtagswahlenimOstenwich-tig, sind aber im Westen kaum in-strumentalisierbar.

• DiemeistenAnalysensindsichdarineinig, dass man die AfD insgesamt

nicht als rechtspopulistische oderrechtsextremistische Partei klassifi-zierenkann.DieAuseinandersetzungmitihrsolltesichdaheraufinhaltli-cherEbeneundnichtmittelsderZu-schreibung populistischer Labelsvollziehen.

Der (fast) erfolgreiche Start – die Bundestagswahl 2013

Bei der Bundestagswahl vom 22. Sep-tember 2013 scheiterte die AfD mit4,7%derZweitstimmennurknappaneinem Einzug in den Deutschen Bun-destag.AuchwennsieanErststimmenmit1,9%deutlichwenigererhielt,wardiesfüreineerstmalsangetreteneParteieinbeachtlicherErfolg.SieholteaufAn-hieb 2.056.985 Zweitstimmen – damitfehlten ihr lediglich 129.358 Stimmen,um über die 5-%-Hürde zu kommen.DasErgebnisderAfDbeiderBundes-tagswahl2013warbemerkenswert,weiles praktisch aus dem Stand heraus er-zielt wurde. Die Partei war erst im Fe-bruar 2013 offiziell gegründet worden.BeiderLandtagswahlinNiedersachsenam20.Januar2013tratderVorsitzendeBernd Lucke bei den Freien WählernmiteinergemeinsambeschlossenenLis-te an. Lucke und die anderen Grün-dungsmitgliedereines„VereinszurUn-terstützung der Wahlalternative 2013“hatten sich schon im Herbst 2012 mitdem Gedanken getragen, gemeinsam

Die AfD ist v. a. eine PROtESt-bEWEGUNG gegen die etablierte Politik.

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mitdenFreienWählernbeiderBundes-tagswahl 2013 anzutreten. Nach derLandtagswahlinNiedersachsen,beiderihreListenurauf1,1%derZweitstim-menkam,zerschlugsichdiesePerspek-tive,dainterneStreitigkeiteneineweite-reKooperationbeendeten.DieAfDver-zichtetedannauchaufeinAntretenbeiderLandtagswahlinBayernam15.Sep-tember2013,dasiedortunteranderemwegenderstarkenKonkurrenzderFrei-enWählernurgeringeErfolgsaussichtensah.SiekonzentriertesichdaheraufdieBundestagswahl am 22. September2013 und die Landtagswahl in HessenamselbenTag.

Füreine relativ jungeParteimussteihr Ergebnis der Bundestagswahl An-sporn genug sein, um sich Erfolge beikünftigen Wahlen auszurechnen. AusderPerspektivederAfDschiendiesfürdas Jahr 2014 nicht unwahrscheinlichzusein.FürdieEuropawahlam25.Mai2014 hätte erstmals (nach dem StandderGesetzgebungvomHerbst2013)dasÜberschreitender3-%-Hürdegereicht.Nach der erneuten Entscheidung desBundesverfassungsgerichtsvom26.Fe-bruar2014musstedieAfDfürdieEuro-pawahl gar keine Sperrhürde mehrüberwinden. Somit reichte die Mobili-sierungeineskleinenTeilsihrerWähler-schaftderBundestagswahl,uminsEu-ropaparlament einziehen zu können.Dies ist ihr mit bundesweit 7,1 % derStimmenklargelungen.

Das Ergebnis bei der Bundestags-wahlwarauchbemerkenswert,weildieAfDmit4,7%derZweitstimmenrela-tivknappander5-%-Hürdescheiterte.SielagdamitnurgeringfügigunterderFDP,dieebenfallsnichtindenBundes-tagkam,aberdeutlichvorallenande-renKleinparteien.DieregionaleAnalysezeigt, dass die AfD im Westen auf

4,4%, im Osten sogar auf 5,7 % derZweitstimmen gekommen war. Auchder Blick auf die Länder insgesamtbestätigt diese Verteilung. Im Westenblieb sie nur in Baden-Württemberg(5,2%),Hessen(5,6%)unddemSaar-land(5,2%)knappüberder5-%-Hürde,indenanderenLändernaberdarunter:Bayern4,3%,Berlin (Gesamt)4,9%,Bremen 3,7 %, Hamburg 4,2 %,Niedersachsen3,7%,Rheinland-Pfalz4,8 % und Schleswig-Holstein 4,6 %.In den neuen Ländern war sie nur inSachsen-Anhalt mit 4,2 % darunter,ansonstenkamsieinBrandenburgauf6,0 %, in Mecklenburg-Vorpommernauf5,6%,inSachsenauf6,8%undinThüringenauf6,2%.

Bei der gleichzeitig stattfindendenLandtagswahl in Hessen erreichte dieAfDnur4,1%derZweitstimmenundbliebdamitdeutlichunterdemWertderBundestagswahlvon5,6%.Bei identi-scherWahlbeteiligungholtesieinHes-sen bei der Landtagswahl 126.906Zweitstimmen,beiderBundestagswahljedoch 176.319 Zweitstimmen. Sie hatalsobeideruntergleichenBedingungenstattfindenden zeitgleichen Wahl überein Viertel weniger Stimmen erzielt.Laut Forschungsgruppe Wahlen1 sag-ten 61 % der AfD-Anhänger, die bun-despolitischeKomponenteseifürsiebeider Entscheidung die wichtigere gewe-sen.DieswarderniedrigsteWertallerParteienundunterstreicht,dassfürdieAfDdieLandespolitikstarkimHinter-grund stand und nicht zur Mobilisie-rungbeitrug.

Die neue Partei AfD erzielte aus dem stand heraus einige GUtE Wahlergebnisse.

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GenerellhatdieAfDbeiderBundes-tagswahlimWestenwieimOstenstär-kerindenLändernmithöhererWahlbe-teiligung abgeschnitten. Offensichtlichhat sie von einem Mobilisierungseffektprofitiert. Dies wird auch durch denBlickaufdieWahlkreisebeneunterstri-chen.DieWahlkreisemitdenhöchstenZweitstimmenergebnissen(Spitzenreiterwar Görlitz mit 8,2 %) lagen fast aus-

nahmslos im Osten. Dort war auch infastallenFällendieWahlbeteiligungge-genüber 2009 zum Teil deutlich ange-stiegen.Interessanterweiseerreichtebei-spielsweise Pforzheim ebenfalls einenSpitzenwert mit 7,2 % – auch dort beigestiegenerWahlbeteiligung.IndenfürdieAfDgünstigenWahlkreisenimOs-tenwardieWahlbeteiligungaberoftum5bis6Prozentpunktehöher.Umgekehrtliegen die schwächsten Wahlkreise derAfD mit Werten zwischen 3,4 % und2,3%alleimWestenunddortzumeistinNord-undWestdeutschland.Indie-sen Regionen ist die Wahlbeteiligungentweder nur schwach gestiegen oderwarinvielenFällensogarrückläufig.

Der Wahlkalender spielte ebenfallsderAfDindieHände.Dieanderenvor-gesehenen Landtagswahlen des Jahres2014fandensämtlichindenneuenBun-desländernstatt(Sachsen,BrandenburgundThüringen),wosiebeiderBundes-tagswahl überdurchschnittlich abge-schnittenundmitWertenvon6%unddarüber die 5-%-Hürde deutlich über-schrittenhatte.BeifürsierelativgutenAusgangsbedingungen hatte die AfD

also die Chance, im August und Sep-tember2014zuzeigen,obsieihrPoten-zialwiedermobilisierenodersogaraus-weitenkonnte.

Die WählerwanderungenWoherholtedieAfDbeidenbisherigenWahlen ihre Wähler? Glaubt man derpublizierten WählerwanderungsbilanzvonInfratestdimap,2dannhatdieAfDdenüberwiegendenTeil ihrerStimmenbeiderBundestagswahl2013vonande-renParteienabgezogen–insgesamtfast85%.Lediglich210.000Stimmen,alsoetwaeinZehntel–genau10,2%–ka-men aus dem Bereich früherer Nicht-wähler.Dazukonnte sienoch100.000Erstwähler mobilisieren. Den höchstenZuwachshattesiemit430.000Stimmenvon der FDP (20,9 %), der sie damitenormundmitdengrößtenKonsequen-zenschadete.GuteinFünftelallerAfD-Stimmen kam also von früheren FDP-Wählern,einknappesFünftel(410.000Stimmen) von sonstigen Parteien. VonderLinkenholtedieAfD340.000Stim-men, das entsprach 16,5 %. Aus demLagerderUnionholtedieAfD290.000Stimmen–immerhin14,1%allerAfD-Stimmen kamen von CDU oder CSU.VonderSPDkamennoch180.000Stim-menundvondenGrünen90.000.

Insgesamt zeigt sich also ein zwie-spältigesBild:EinerseitskonntedieAfDwie viele neue und Protestparteien beiJungwählern und Wählern kleinerer,nicht-etablierterundexotischerParteienpunkten. Dies können auch frühereWähler rechtsextremistischer oder po-pulistischerParteiensein,wasaberauf-grunddieserDatennichtersichtlichist.EineNachwahlanalysebelegte,dassun-ter den Wählern der AfD ehemaligeWählerderFDPundandererKleinpar-teiensowiegenerellErstwählerüberre-

Die AfD hat von einem MObIlISIERUNGS-EFFEKt bei den Wählern und dem Wahl-kalender profitiert.

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präsentiert waren.3 Andererseits holtesie in erheblichem Maß Stimmen deretabliertenundauchdergroßenPartei-en – eine Mobilisierung, ohne die ihrAbschneiden bei der BundestagswahlaufdiesemNiveaunichtmöglichgewe-senwäre.

BeidergleichzeitigenLandtagswahlin Hessen4 holte die AfD knapp zweiDrittelderStimmen(63,0%)vonande-renParteien.31.000Stimmen,alsoim-merhinmit24,4%fasteinViertel,ka-men aus dem Bereich früherer Nicht-wähler. Ansonsten kamen jeweils20.000StimmenvonderFDP(15,7%)undvonsonstigenParteien,15.000vonderCDU(dasentspricht11,8%),10.000vondenGrünen,8.000vonderLinken(6,3%)und7.000vonderSPD.Weiter-hinkonntesie8.000Erstwählermobili-sieren. In der Struktur zeigt sich einähnlichesBildwiebeiderBundestags-wahl,jedochisthierbeigeringeremMo-bilisierungsgrad der Gewinn aus demNichtwählerlager deutlich höher unddervondenanderenParteiengeringer.

BeiderEuropawahlam24.Mai20145kam die AfD auf 7,1 % und erzielte 7Mandate. Die AfD gewann (im Ver-gleichvonInfratestdimapzurBundes-tagswahl 2013) von anderen Parteien44,6 % ihrer Stimmen. VonderUnionkamen 510.000 Stimmen (25 %), vonder SPD 180.000, von der Linken110.000 (5,4 %), von der FDP 60.000(2,9 %) und von den Grünen 30.000.

VondensonstigenParteiengewannsie20.000StimmenundausdemSaldovonZu-undFortzügen10.000,mussteaber910.000 Stimmen (44,6 % ihrer Stim-menderBundestagswahl)andieNicht-wählerabgeben.

BeiderLandtagswahlinSachsenam31. August 20146 holte die AfD 9,7 %und14Sitze.DieStimmenfürdieAfDspeisten sich laut Infratest dimap mit39.000 Stimmen am meisten aus demBereichdersonstigenParteien.Generellkamen80,6%ihrerStimmenvonande-ren Parteien. Es kamen im Einzelnen33.000Stimmen(20,6%)vonderCDU,18.000 (11,2 %) von der FDP, 16.000vondenNichtwählern(10,0%),15.000vonderLinken(9,4%),13.000vonderNPD,8.000vonderSPDund3.000vondenGrünen.DerSaldoausErstwählernundVerstorbenenwarmit6.000positiv,der aus Zu- und Fortzügen mit 9.000ebenfalls.

BeiderLandtagswahl inThüringenam14. September20147holtedieAfD10,6%und11Sitze.DieAfDholtelautInfratest dimap mit 23.000 Stimmenden größten Anteil von den sonstigenParteien.Insgesamtkamen81,8%ihrerStimmenvonanderenParteien,darun-ter 18.000 Stimmen von der CDU(18,2%),16.000vonderLinken(16,2%)undjeweils12.000vonSPDundNicht-wählern(12,1%).Dazukamen11.000Stimmen von der FDP (11,1 %) und1.000vondenGrünen.

Bei der Landtagswahl in Branden-burgvom14.September20148holtedieAfD12,2%und11Sitze.Insgesamtka-men77,9%ihrerStimmenvonanderenParteien. Die AfD holte laut Infratestdimap 27.000 Stimmen von sonstigenParteien, 20.000 von der Linken(16,4%),18.000vonderCDU(14,7%),17.000 von der FDP (13,9 %), jeweils

Der erfolg der AfD kam größtenteils durch WÄHlERWANDERUNG zustande.

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12.000 von SPD und Nichtwählern(9,8%)und1.000vondenGrünen.

ZumVergleich:BeidenPiratenzeig-tesichbeidenbislangvierfürsieerfolg-reichenWahlen(Berlin18.9.2011,Saar-land 25.3.2012, Schleswig-Holstein6.5.2012 und Nordrhein-Westfalen13.5.2012) eine ähnliche Verteilung.Auch bei ihnen war jeweils der Anteilder Wähler, die von anderen Parteienkamen(Berlin58%,Saarland64,8%,Schleswig-Holstein 78,7 % und Nord-rhein-Westfalen78%)klaramgrößten.VondenNichtwählernholtensieinBer-lin 17,5 %, im Saarland 21,6 %, inSchleswig-Holstein 13,7 % und inNordrhein-Westfalen14%.DadieDif-ferenzenzudenWertenderAfDnichtsehrgroßsind,könntedieseinIndizda-für sein, dass sich die Wählerschaftenneuer Protestparteien momentan starkähneln.

MotivlagenDie Bundestagswahl 2013

BeiderSuchenachdenUrsachenfürdieWahl der AfD stößt man auf Gründe,diezueinemgroßenAnteil typischfürProtestbewegungen sind. Dies unter-streichtnichtzuletztdieTatsache,dassdieAfDihreWählerrelativspätmobili-sieren konnte. So gaben 45 % ihrerWähleran,sicherstindenletztenTagenoderamWahltagselbstentschiedenzuhaben – im Durchschnitt sagten diesnur32%,beiderUnionsogarnur26%.Weiterhin sagten laut Infratest dimap44%allerBefragten,dieAfDlösezwarkeine Probleme, nenne aber die DingewenigstensbeimNamen.VordemHin-tergrund der Tatsache, dass ein großerAnteil der Bevölkerung die Euro-Krisefür ein großes Problem hielt (und dies2014anhielt),wirdderResonanzbodenfür eine solche Partei deutlich. Immer-

hin37%hieltendieAfDfüreineAlter-nativefürdie,diesonstgarnichtwählenwürden. Dies ist ein hoher Wert, aberbezüglichderPiratenwurdedieseAus-sagesogarvon50%bejaht. Immerhin21%gabenan,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesichge-gen den Euro ausspricht. Gleichzeitigsagen56%,dieAfDseikeineernstzu-nehmende Partei. Dies unterstreicht,dass die AfD bei der Bundestagswahlklar von ihrem Charakter als neuerKraft und Protestbewegung profitierte.GleichzeitiggabdieAngstvoreinerVer-schärfungderKriseumdieeinheitlicheWährungunddieVerschuldunginEu-ropa einen realen Anknüpfungspunktfür die Unterstützung der AfD, wasauch fürdienächsteZukunftwirksambleibenkönnte.LautForschungsgruppeWahlen9warbeiderAfDfür59%ihrerAnhängerdasThemaEuro-KrisefürdieWahlentscheidungwichtig–weitmehrals bei den Anhängern aller anderenParteien.

BeiderFragenachdenWahlmotivensagten laut Infratest dimap 69 % derAfD-Wähler, sie hätten die Partei ausÜberzeugunggewählt,undnur24%ga-benan,dassdiesaustaktischenGrün-dengeschah. ImOstenbetrugderAn-teilderÜberzeugungswählersogar72%gegenüber68%imWesten.DieWählerausÜberzeugungwarenzwaretwaswe-nigeralsbeidenanderenParteien,aberimmer noch deutlich mehr als bei derFDP,wonur51%angaben,siehättendie Partei aus Überzeugung gewählt.AuchbeiGrünenundLinkenbetrugderAnteildertaktischenWählerimmerhin17%bzw.19%.Zwargaben24%derBefragtenan,dieAfDsageehrlich,wassiewolle,aberauchnur24%sagten,siehättenKenntnisüberdiepolitischenIn-halte der Partei. Dies scheint Bewe-

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gungsspielräume inalleRichtungenzuermöglichen.

DerzwiespältigeCharakterderAfD-WählerschaftwirdauchdurchdenBlickauf das Stimmensplitting deutlich. Beikleinen Parteien ohne Aussicht auf dieWahleinesDirektkandidatengibttradi-tionell eine große Anzahl ihrer Zweit-stimmenwählerdieErststimmefürdenKandidateneineranderenParteiab.BeiderAfDwählten36%ihrerWählerderZweitstimme auch mit der ErststimmeihrePartei.AllerdingsgabenlautInfra-test dimap 27 % ihre Stimme einemKandidateneineranderenPartei,22%demUnions-Kandidatenund15%demder SPD. Dies unterstreicht, dass dieWählerschaftderAfDbeiderBundes-tagswahl keineswegs auf ein bestimm-tesLagerzuzuordnenwar.BeiderFDPhattenzwarnur28%ihrerWählerauchihren Erststimmenkandidaten gewählt,aber 63 % den Kandidaten der Union.BeidenGrünenhattenimmerhin53%ihrer Zweitstimmenwähler einen eige-nenKandidatengewählt(beiderLinkensogar 70 %) und immerhin 34 % denSPD-Kandidaten.Demgegenübermach-tedieAfD-Wählerschafteinenweitun-strukturierterenEindruck.

Die Europawahl 2014Bei der Europawahl spielten naturge-mäßeurokritischeElementeeinegroßeRolle bei der Motivation zur Wahl derAfD.AberauchbeidieserWahlkamenzusätzlich andere Einstellungen zumTragen. Offensichtlich wurde die EUvondenWählernderAfDkritischerge-sehenalsbeidenWählernallerandererParteien. So bejahten laut Infratest di-map1067%derAfD-WählerdieFrage,ob die europäischen Länder künftigwieder stärker allein handeln sollen,währenddiesbeidenanderenParteian-

hängernjeweilsnurMinderheitenanga-ben(beidenLinken-Wählern33%,de-nenderUnion19%unddenenvonSPDund Grünen jeweils 13 %). 45 % derAfD-Wähler sagten,dieMitgliedschaftin der EU bringe Deutschland mehrNachteile,nurfür11%überwogendieVorteile.BeiallenanderenParteienwar

das Verhältnis umgekehrt. Eine Mehr-heit von 61 % der gesamten Wähler-schaftsagte,auchwenndieAfDinsEu-ropaparlament gewählt werde, gehöresie nicht in den Bundestag. Für 53 %war sie keine ernstzunehmende Parteiund für 47 % war der Vorwurf desRechtspopulismus berechtigt. Aller-dings gaben große Minderheiten auchrechtfertigende Bewertungen ab. Someinten41%,dieAfDlösezwarkeineProbleme, nenne die Dinge aber beimNamen.Für37%warsieeineAlternati-ve für die, die sonst gar nicht wählengehen würden, und 30 % bemerkten,dieAfDachtedarauf,dassdeutscheIn-teresseninEuropanichtzukurzkämen.29 % meinten, die AfD spreche offenaus,wasdieMehrheitderGesellschaftdenke,undfür28%wardieAfD-WahleineguteGelegenheit,denanderenPar-teieneinenDenkzettelzuverpassen.Je-weils19%sagten,esseigut,wenndieAfDbeiderEuropawahlgutabschneideund dass es mit der AfD eine Partei

Die meisten AfD-Wähler bei derBundestagswahl 2013 waren ÜbERzEUGUNGSWÄHlER.

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gebe, die sich grundsätzlich gegen denEuroausspricht.

Die unterschiedlichen MotivlagenderAfD-WählerzeigensichauchbeiderFragenachdenwichtigstenThemenbeider Wahlentscheidung. So gaben 41 %derAfD-WäherdieStabilitätderWäh-rungan–derhöchsteWertbeiallenPar-teien.Aberfürebenfalls41%wardies

die sozialeSicherheitund für40%dieZuwanderung – ebenfalls der mit Ab-stand größte Wert aller Parteien. EinedeutlichgeringereRollespielten fürdieAfD-WählerdieThemenFriedenssiche-rung(23%),Wirtschaftswachstum(22%),Umweltschutz(17%)undVerbrau-cherschutz(15%).

Insgesamtwirddeutlich,dassunterdenWählernderAfDnebenderEuro-pa-undEurokritikeindeutigeindiffu-sesSpektrumderUnzufriedenheitfest-zustellenist.60%derAfD-Wählerga-benan, ihreEntscheidung sei ausEnt-täuschungerfolgt,nurfür33%geschahdies aus Überzeugung. Laut For-schungsgruppeWahlengaben39%derAfD-Wähleran,siehättendieParteialsDenkzettelfürandereParteiengewählt,aber60%derAfD-Wählersagten,diesgeschahwegenpolitischerInhalte.11Of-fenbar spielten dabei nationalistischeMotivlagenundvorallemKritikanderZuwanderungeinegroßeRolle.

Die Landtagswahl in Sachsen 2014Bei den drei Landtagswahlen im Spät-sommer2014wurdenzusätzlichspezifi-sche ostdeutsche Motivlagen deutlich,diebeiderWahlderAfDwichtigwaren.SosahensichlautInfratestdimap12 inSachsennur37%derAfD-Wähleraufder Gewinnerseite, aber 46 % auf derSeitederVerliererdergesellschaftlichenEntwicklung.DieswarmitAbstandderhöchste Wert aller Parteien; sogar beiderLinkengabendiesnur30%an,beiden Grünen 27 %, der SPD 18 % undderCDU13%.ZwarwurdenderParteivon der gesamten Wählerschaft kaummessbare Kompetenzwerte zugebilligt,aberimmerhin62%gabenan,siefän-denesgut,dasssichdieAfDfürFamili-enmitdreiundmehrKinderneinsetzt.Immerhin 54 % sagten, die AfD lösekeine Probleme, nenne die Dinge aberwenigstensbeimNamen,und38%fän-den es gut, wenn die AfD im Landtagvertretenwäre.26%fändensogareineVertretung der AfD in der Regierunggut–allerdingsbefürwortetennur14%eineKoalitionausCDUundAfD.Hin-gegensagtennur22%,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesich gegen den Euro ausspricht. Aller-dingssahenauch36%dieAfDinvielenFragenaufeinerLiniemitderNPD.

ÄhnlichwiebeiderEuropawahlun-terstellte laut Forschungsgruppe Wah-len zwar auch eine Mehrheit aller Be-fragten, die Wahl der AfD sei eineDenkzettelwahl. Unter den AfD-Wäh-lern sah dieses Bild wiederum andersaus: Nur 20 % gaben eine Denkzettel-wahlzuProtokoll,aber76%sagten,siehättensiewegenpolitischerInhaltege-wählt.Sogar90%derAfD-Wählersag-ten, die AfD sei die einzige Partei, diedie Dinge beim Namen nennt.13 LautForschungsgruppe Wahlen sprachen

Die meisten AfD-Wähler entschieden sich aus allgemeiner UNzUFRIEDENHEItfür diese Partei.

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AfD und NPD auch gezielt ähnlicheSegmentederWählerschaftan.Sowardas Thema KriminalitätsbekämpfungundEinwanderungfürdieAfDzentral.Parteichef Bernd Lucke hat im Wahl-kampf öffentlich davon gesprochen,dass keiner wolle, „dass der MuezzinüberLeipzigruft“.14BeidieserLandtags-wahlzeigtesichalso,dassdieEuro-undeuropakritische Dimension der AfD-WahleinedeutlichgeringereRollespiel-te gegenüber anderen, offenbar starkdurch Frustration und Fremdenfeind-lichkeitgesteuertenMotiven.

Die Landtagswahl in Thüringen 2014

Bei der Landtagswahl in ThüringenzeigtesicheinesehrähnlicheVerteilungderMotivlagen.ZwarsagtenlautInfra-testdimap15nur35%derAfD-WählerinThüringen,sieseieneheraufderVer-liererseite der gesellschaftlichen Ent-wicklung(gegenüber37%beiderLin-ken,27%beidenGrünen,18%beiderSPDund11%beiderCDU).Andersalsin Sachsen sah sich eine Mehrheit von

42%derAfD-WählereheraufderGe-winnerseite. In den anderen Einstel-lungsdimensionen waren die Befundeaber fast deckungsgleich. Auch hierwurdenihrinsgesamtkeineProblemlö-sungskompetenzenzugeschrieben,aber61 % sagten, es geschehe den anderenParteienrecht,dassdieAfDdenPolitik-betrieb aufmischte. Sogar 57 % mein-ten,dieAfDlösezwarkeineProbleme,nennedieDingeaberwenigstensbeim

Namen. 43 % fanden es gut, dass dieAfDimWahlkampfvieleguteDingebe-nannthabe,dieesinderDDRgab.42%sagten,siefändenesgut,wenndieAfDimLandtagvertretenwäre.Jeweils36%gabenan,dieAfDseieineguteAlterna-tive fürdie,die sich inderCDUnichtmehr aufgehoben fühlen und dass dieAfD Positionen vertrete, die auch demBefragtenwichtigsind.Für32%wareswichtig,dasssichdieAfDstärkergegendieZuwanderungaussprichtalsandereParteien.Nur24%gabenan,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigibt, die sich grundsätzlich gegen denEuroausspricht.

Ähnlichwie inSachsensahenauchin Thüringen laut ForschungsgruppeWahlen 73 % der AfD-Wähler ihreStimmabgabe durch politische Inhaltemotiviert und nur 26 % gaben eineDenkzettelwahl an.16 Wie in SachsenzeigteauchdieWahlinThüringen,dassdie eurokritische Dimension der AfDdeutlich weniger wichtig war als etwadie Elemente Protest, Frustration, Zu-wanderungundDDR-Nostalgie.

Die Landtagswahl in Brandenburg 2014

InBrandenburgzeigtesicheinsehrähn-liches Bild. Auch hier gaben laut Infra-test dimap17 44 % der AfD-Wähler an,eher auf der Verliererseite der gesell-schaftlichen Entwicklung zu stehen –nur39%sahensicheheraufderGewin-nerseite.DiesunterschiedsichebenfallsdeutlichvonderWählerschaftderande-renParteien.BeiderLinkensahensichnur31%alsVerlierer,beiderSPD20%,denGrünen19%undderCDU13%.AuchhierwurdenihrkaumParteikom-petenzenzugebilligt,aberimmerhin6%taten dies im Bereich Kriminalitätsbe-kämpfung und 5 % bei der Ausländer-

Bei der landtagswahl 2014 in SACHSEN wurde die AfD hauptsächlich wegenihrer politischen Inhalte gewählt.

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AnAlysen

undIntegrationspolitik.Immerhin60%sagtenzurAfD,sielösezwarkeinePro-bleme,nennedieDingeaberwenigstensbeimNamen.59%meinten,esgeschehedenanderenParteienrecht,dassdieAfDdenPolitikbetriebaufmischte.EineVer-tretungderAfDimLandtagfanden41%gut und 39 % fanden es ebenfalls gut,dassdieAfD imWahlkampfvielegute

Dingebenannthabe,dieesinderDDRgab.Immerhin36%sahendieAfDalsguteAlternative fürdiejenigen,diesichinderCDUnichtmehraufgehobenfüh-len.Jeweils34%fandenesgut,dasssichdieAfDstärkergegenZuwanderungein-setzealsandereParteienunddasssiePo-sitionen vertrete, die dem Befragtenwichtig sind. Auch in Brandenburg ga-bennur22%an,siefändenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesichgegen den Euro ausspreche. InsgesamtgaltinBrandenburgalsodieselbeMotiv-lagebeiderWahlderAfDwieindenan-deren beiden Ländern, wobei hier dasThemaKriminalitätundVerbrechensbe-kämpfung offenbar zusätzlich eine ver-schärfteRollegespielthat.

Einordnung der AfDBereitsimSeptember2013(nochvorderBundestagswahl) erschien eine Studieim Auftrag der Heinrich-Böll-StiftungNordrhein-Westfalen mit dem Ziel,„denGrad,denEinflussunddieBedeu-tung rechtspopulistischer, rechtskon-servativer und marktradikaler Politik-vorstellungen in der AfD genauer ein-schätzen und bewerten zu können“.18

SchondieseStudiewolltedieAfDnichtals rechtsextremistischeoder rechtspo-pulistischeParteieinordnen.AlsArgu-mente wurden zum einen angeführt,dass allein aus einer euro-skeptischenoderEU-kritischenHaltungnichtauto-matischeineAnalogiezurechtspopulis-tischenoderrechtsextremistischenEin-stellungen abgeleitet werden könne.Zum anderen seien öffentliche Verglei-chezwischenderAfDmitoffenrechts-extremen oder neonazistisch orientier-tenParteienwiederNPDunbrauchbarzur Beurteilung möglicher rechtspopu-listischerAusrichtungeninderAfD.Ge-rechtfertigt sei hingegen ihre Einord-nungalsParteirechtsderUnion.19

InWissenschaftundPublizistikfin-den sich seitdem unterschiedliche Ver-suche der Einordnung der AfD. NochAnfang 2014 wurde sie auf der Links-Rechts-Skala des Instituts Forschungs-gruppeWahlennurleichtrechtsvonderMitte eingestuft: leicht rechts von derFDP, aber noch links von CDU undCSU.EineRechtsaußen-ParteiodergareineextremistischeParteiwarsieindenAugenderdeutschenBevölkerungalsonicht.InwieweitsichdasindenletztenMonaten geändert hat, lässt sich nichtbelegen.

EbenfallsAnfang2014erschieneineWahlanalysedesAbschneidensderAfDbei der Bundestagswahl 2013 auf derBasisvonDatenderGermanLongitudi-nalElectionStudy(GLES)2013.20Dortwurde gezeigt, dass die AfD vor allembeidenWählernpunktete,diemiteinerVerschlechterung der Wirtschaftslagerechneten. Die Wirtschaftspessimistenmachten zwar nur einen geringen TeilderWählerschaftaus,deraberüberpro-portionalderAfDzugeneigtwar.DazuspieltedieAngstvorderEuro-KriseeinegroßeRollefürdieAfD-Wähler,diezu-

Auch bei der landtagswahl 2014 in Thüringen war der „Denkzettel“ für die AfD-Wähler KEIN Motiv.

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sätzlichHilfenfürbetroffeneEuro-Kri-senländerüberdurchschnittlichkritischgegenüberstanden. Diese Krisenängstehätten vor allem bei den Spätentschei-dern eine große Rolle gespielt.21 Hinzukam als weitere Dimension die Immi-grationspolitik. Die Bereitschaft zurWahlderAfDwurdedurchimmigrati-onsskeptische Einstellungen deutlichbefördert.22 All diese Einstellungsdi-mensionenwarenbeimännlichenWäh-lernundsolchenausdenneuenBundes-ländernstärkerverbreitet.InsbesonderebeidenSpätentscheidernspieltedieAb-lehnungeinermultikulturellenEinwan-derungspolitikoffenbareinegroßeRol-le.AuchdieseAnalysesiehtzumDatumihres Erscheinens keinen Anlass, dieAfD aufgrund ihrer Programmatik alsrechtspopulistischeParteizuklassifizie-ren.SiesiehtesfürdenweiterenWerde-gangderAfDalsentscheidendan,wiesichdieetabliertenParteienaufdenfür

denWahlerfolgderAfDentscheidendenFeldernverhalten–nämlichbeimUm-gangmitdereuropäischenSchuldenkri-seundderEinwanderungs-undIntegra-tionspolitik.23

Ein Papier des Wissenschaftszen-trumsBerlinvomFebruar2014versuch-tediegesellschaftlicheVerankerungderAfD näher zu analysieren.24 Laut denAutoren sei der wesentliche Hinter-grunddererfolgreichenGründungund

Mobilisierung der AfD zum einen dieEntstehung einer „rechtsliberal-konser-vativen europapolitischen Option aufeuropäischerEbene“undzumanderendieseOption„imVereinmitden langeinderZivilgesellschaftverankertenneo-liberalen und national-konservativenKräften in Deutschland“.25 Allerdingsseienauch„AnschlüsseanprogressivesDenken“erkennbarwiebeiFragenderDaseinsvorsorge, des PestizideinsatzesinderLandwirtschaft,derHaftungvonBanken und Großkonzernen oder derTransparenz von politischen Entschei-dungsprozessen. Eine Einordnung derAfD als rechtsextremistisch oder auchnur klar rechtspopulistisch wäre nachdieserAnalysekaumvorstellbar.

Eine Studie im Auftrag der Fried-rich-Ebert-Stiftung vom November2014lieferteAnhaltspunktefürdieEin-stellungeneinesTeilesderWählerschaftderAfD.26Dieseneue–diesmalvonderUniversität Bielefeld durchgeführte –Rechtsextremismus-Studie konstatiertebeidenbefragtenAfD-AnhängernhoheWerte in den EinstellungsdimensionenBefürwortung einer Diktatur, Chauvi-nismus, Ausländerfeindlichkeit, Sozi-aldarwinismusundVerharmlosungdesNationalsozialismus.DieseWertelagendeutlichhöheralsbeiallenanderenPar-teianhängern mit Ausnahme derer derNPD und teilweise bei den Nichtwäh-lern.27 Diese Studie konstatiert bei denAfD-Anhängernaucheineüberpropor-tionale Zustimmung zu einem „markt-förmigen Extremismus“. Dieser sei ge-kennzeichnetdurchdieFacetten„unter-nehmerischer Universalismus“ (als ver-allgemeinerte neoliberale Form derSelbstoptimierung),„Wettbewerbsideo-logie“ (Forderung allgegenwärtigenWettbewerbs, um Fortschritt und Er-folg zu erzielen) und „Ökonomistische

Die Wahlforschung ordnet die AfD als POPUlIStISCHE Partei ein.

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Werthaltungen“ (die Anwendung öko-nomischerKriterienzurBewertunggan-zer Bevölkerungsgruppen). InwieweitdieseKategoriensinnvollsind,magda-hingestellt bleiben, sie haben aber mitklassischen politischen Extremismus-Definitionenwenigzutun.WährendbeiallenBefragten21,1%indieseGruppeeingeordnet werden, sind laut dieserStudie38,4%derAfD-Anhängerdarinzuverorten.28

AndereBefundedieserStudieleuch-teneherein:Soseheninsgesamt33,6%derBefragtenihrenLebensstandardbe-droht,beidenAnhängernderAfDhin-gegen60,3%.29InsgesamtwilldieStu-dieverdeutlichen,dassdieAfDeineinhohem Maße populistische Partei sei.Dies gelinge ihr nicht nur wegen ihrerEU-kritischenHaltung.„DieParteiAfDgreiftdasvorhandenewettbewerbspoli-tischeSprachrohraufundscheintgera-de diese ökonomisch menschenfeindli-cheVerbindungzukanalisieren.“30

Neuere Daten aus der Bundestags-wahlstudie im Rahme der GLES (Ger-man Longitudinal Election Study) zurBundestagswahl 2013 bestätigen zahl-reicheAnalysenzurAfD.31 IhreKandi-daten zur Bundestagswahl unterschie-den sich insgesamt in einigen PunktenvondenenandererParteien.SowarihrAnteilvonKandidatenmitHochschul-abschlussmit73%aufdenNiveauvonUnion,SPD,FDPundGrünen, lagda-mit aber deutlich über den Werten beidenLinkenunddenPiraten.DasDurch-schnittsalterderKandidatenwarmit50Jahren das höchste aller Parteien (beider Union war dies 47 Jahre, bei SPDundFDP46JahreunddenGrünen44Jahre.BeiderLinkenwarendiesimmer-hin 49 Jahre, während die Piraten nurauf 39 Jahre kamen). Der FrauenanteilderKandidatenwarmit14%dernied-

rigsteallerParteien;diePiratenkamenauf17%,dieFDPauf20%,dieUnionauf31%,dieLinkeauf35%,dieSPDauf40%unddieGrünenauf44%.32

Auch die Auswertungen der GLESlegendenSchlussnahe,dassdieWäh-lerschaftvonUnionundAfDnurrelativgeringe Überschneidungen aufwies. Sowar das Stimmensplitting zwischenCDU oder CSU als Erst- und AfD alsZweitstimme nur in 4,6 % der Stimm-kombinationenzuverzeichnengewesen– die Kombination Union / FDP kamauf13,1%unddieausSPDundGrünenauf 12,6 %.33 Wie zu erwarten, zeigteauch diese Nachwahlanalyse, dass dieAfD einen etwas überproportionalenStimmenanteil bei Selbständigen sowiebei Wählern unter 40 Jahren zu ver-

zeichnenhatte,hingegeneinendeutlichunterproportionalenAnteilbeigewerk-schaftlich organisierten Angestelltenund Arbeitern sowie besonders beiWählern mit türkischem Migrations-hintergrund.34

DieErgebnissederGLESbestätigtenauchdenEinflussökonomischerErwar-tungen auf das Wahlverhalten zuguns-tenderAfD.SoführtesowohldieUnzu-friedenheit mit dem Regierungskurs inder Eurokrise als auch die Ablehnungfinanzieller Unterstützung für die Kri-senstaaten zu einer höheren Wahr-scheinlichkeitderWahlderAfD.35Ge-nerell zeigte diese Auswertung für diewesentlichenPolitikfelder,dassderAfDeinegeringeProblemlösungskompetenzzugeschriebenwurde–beidenmeisten

Die AfD hat von der Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit vieler Wähler profitiert.

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Themenvon2%undderArbeitsmarkt-politik nur von 1 %. Allerdings wurdeihr in der Finanzpolitik immerhin von6 % diese Kompetenz zugeschrieben,wobeiSachfrageninsgesamtfürdieEr-klärungderWahlentscheidungzuguns-tenderAfDoffenbareineehergeringeRollespielten.36InteressantistauchderBefund,dassnureinDrittelderWählerder AfD während des Wahlkampfes„stabil“beiihrerEntscheidungblieben,wasunterstreicht,„dassehemalsunent-schlosseneBürgeroderNichtwählervonder Partei Alternative für Deutschlandangezogen wurden“.37 In der Summesieht die GLES die AfD als „single-issue“-Partei,diehauptsächlichvonderKritik an der Euro-Rettungspolitik inVerbindung mit Ressentiments gegenImmigrationprofitierte.Zusätzlichdeu-tet sie das Ergebnis der AfD als Belegdafür,dassesinderdeutschenBevölke-rungeinegrößereBereitschaftgibt,mitseiner Stimme auch bei einer Bundes-tagswahlzuexperimentieren.38///

/// DR. GERHARD HIRSCHERist Referent für Grundsatzfragen der Po-litik, Parteien- und Wahlforschung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stiftung, München.

Anmerkungen 1ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinHessen.

EineAnalysederLandtagswahlvom22.Septem-ber2013,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.155,Mannheim2013.

2Infratestdimap:WahlREPORTBundestagswahl.EineAnalysederWahlvom22.September2013,Berlin2013.

3Schmitt-Beck, Rüdiger: Euro-Kritik, Wirt-schaftspessimismus und Einwanderungsskepsis:HintergründedesBeinah-WahlerfolgesderAlter-nativefürDeutschland(AfD)beiderBundestags-wahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen1/2014,S.94-112,hierS.99.

4Infratest dimap: WahlREPORT Hessen 2013.EineAnalysederWahlvom22.September2013,Berlin2013.

5Infratest dimap: WahlREPORT Europawahl inDeutschland.EineAnalysederWahlvom25.Mai2014,Berlin2014.

6Infratest dimap: WahlREPORT Sachsen 2014.EineAnalysederWahlvom31.August2014,Ber-lin2014.

7Infratestdimap:WahlREPORTThüringen2014.EineAnalysederWahlvom14.September2014,Berlin2014.

8Infratest dimap: WahlREPORT Brandenburg2014.EineAnalysederWahlvom14.September2014,Berlin2014.

9ForschungsgruppeWahlene.V.:Bundestagswahl.EineAnalysederWahlvom22.September2013,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.154,Mannheim2013.

10Infratest dimap: WahlREPORT Europawahl inDeutschland.

11Forschungsgruppe Wahlen e. V.: Europawahl.EineAnalysederWahlvom25.Mai2014.Berichteder Forschungsgruppe Wahlen e. V. Nr. 156,Mannheim2014,S.33.

12Infratestdimap:WahlREPORTSachsen2014.13ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinSachsen.

Eine Analyse der Landtagswahl vom 31. August2014,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.157,Mannheim2014,S.24f.

14Ebd.,S.15.15Infratestdimap:WahlREPORTThüringen2014.16ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinThürin-

gen.EineAnalysederLandtagswahlvom14.Sep-tember 2014, Berichte der ForschungsgruppeWahlene.V.Nr.159,Mannheim2014,S.15.

17Infratest dimap: WahlREPORT Brandenburg2014.

18Häusler,AlexanderunterMitarbeitvonTeubert,Horst und Roeser, Rainer: Die „Alternative fürDeutschland“–eineneuerechtspopulistischePar-tei?MaterialienundDeutungenzurvertiefendenAuseinandersetzung,hrsg.vonderHeinrichBöllStiftung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2013,S.7.

19Ebd.,S.91f.20Schmitt-Beck, Rüdiger: Euro-Kritik, Wirt-

schaftspessimismus und Einwanderungsskepsis:HintergründedesBeinah-WahlerfolgesderAlter-nativefürDeutschland(AfD)beiderBundestags-wahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen1/2014,S.94-112.

21Ebd.,S.106.22Ebd.,S.107.23Ebd.,S.112.24Plehwe, Dieter / Schlögl, Matthias: Europäische

und zivilgesellschaftliche Hintergründe der

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euro(pa)skeptischen Partei Alternative fürDeutschland(AfD),DiscussionPaperSPII2014-501,Berlin2014.

25Ebd.,S.33.26Zick, Andreas / Klein, Anna: Fragile Mitte –

FeindseligeZustände.RechtsextremeEinstellun-geninDeutschland2014,Bonn2014.

27Ebd.,S.48.28Ebd.,S.113.29Ebd.,S.114.30Ebd.,S.118.31SiehehierzudenBandvonSchmitt-Beck,Rüdiger

/Rattinger,Hans/Roßteutscher,Sigrid/Weßels,Bernhard/Wolf,Christof(Hrsg.):ZwischenFrag-mentierungundKonzentration: DieBundestags-wahl2013,Baden-Baden2014.

32Giebler, Heiko: Die Kandidaten im Wahlkampf,in:RüdigerSchmitt-Beck/HansRattinger/SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.47-60,hierS.50.

33Blumenstiel,JanEric:Stimmensplitting,in:Rüdi-ger Schmitt-Beck / Hans Rattinger / SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.145-153,hierS.148.

34Weßels,Bernhard:WahlverhaltensozialerGrup-pen,in:RüdigerSchmitt-Beck/HansRattinger/Sigrid Roßteutscher / Berhard Weßels / ChristofWolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKon-zentration:DieBundestagswahl2013,Baden-Ba-den2014,S.187-2102,hierS.197f.

35Steinbrecher, Markus: Wirtschaftliche Entwick-lung und Eurokrise, in: Rüdiger Schmitt-Beck /Hans Rattinger / Sigrid Roßteutscher / BerhardWeßels / Christof Wolf (Hrsg.), Zwischen Frag-mentierungundKonzentration:DieBundestags-wahl 2013, Baden-Baden 2014, S. 225-238, hierS.234f.

36Plischke,Thomas:PolitischeSachfragen,in:Rüdi-ger Schmitt-Beck / Hans Rattinger / SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.253-265,hierS.258undS.262.

37Wiegand,Elena/Rattinger,Hans:Entscheidungs-prozessevonWählern,in:RüdigerSchmitt-Beck/Hans Rattinger / Sigrid Roßteutscher / BerhardWeßels / Christof Wolf (Hrsg.), Zwischen Frag-mentierungundKonzentration:DieBundestags-wahl 2013, Baden-Baden 2014, S. 325-339, hierS.328.

38Schmitt-Beck/Rattinger/Roßteutscher/Weßels/Wolf:ZwischenFragmentierungundKonzentra-tion:DieBundestagswahl2013,S.360f.


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