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58 POLITISCHE STUDIEN // 459 ANALYSEN Zusammenfassende Thesen Die Wählerschaft der AfD ist sehr he- terogen. Sie ist typisch für neu entste- hende Protestparteien, die noch nicht etabliert sind. Ob dies der AfD gelin- gen wird, ist offen. Sie ist noch weit davon entfernt, eine feste Kraft im deutschen Parteiensystem zu sein. Die Wählerschaft der AfD speist sich aus sehr unterschiedlichen Quellen. Zwar kamen bei der Bundestagswahl /// Wählerschaft und Wahlmotive wie bei den Landtagswahlen etwa vier Fünftel von anderen Parteien und nur etwa ein Zehntel aus dem Bereich der Nichtwähler, von diesen Bewegungen zugunsten der AfD wa- ren aber viele Parteien betroffen. Die Union ist nicht der hauptsächlich Leidtragende der Wählerwanderung zugunsten der AfD. Nur bei der Eu- ropawahl kam ein Viertel der AfD- Wähler von der Union. Bei der Land- tagswahl in Sachen war dies noch ein Fünftel, bei den anderen Wahlen deutlich weniger. Die AfD hat von der Schwäche der FDP profitiert. Bei der Bundestags- wahl kam ein gutes Fünftel ihrer Wähler von der FDP, bei den letzten Landtagswahlen noch etwas über ein Zehntel. Insgesamt kam etwa ein Drittel der AfD-Wähler aus dem DIE „ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND“ (AfD) GERHARD HIRSCHER /// Die erst 2013 gegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat im Jahr 2014 unerwartete Wahlerfolge gefeiert. Schon im September 2013 war sie bei der Bundestagswahl mit 4,7% nur knapp gescheitert – allerdings mit einem Rekordergebnis für eine erstmals antretende Partei. Ist diese neue Partei eine weitere Eintagsfliege im deutschen Parteiensystem oder hat sie Chancen auf langfris- tige Etablierung? Ihr endgültiges Schicksal wird sich erst in den Landtagswahlen vom Frühjahr 2016 entscheiden. Die AfD ist weit davon entfernt, eine ETABLIERTE Partei in Deutschland zu sein.

Wählerschaft und Wahlmotive DIe „AlTeRnATIVe FÜR ... · Zwar kamen bei der Bundestagswahl /// Wählerschaft und Wahlmotive wie bei den Landtagswahlen etwa vier Fünftel von anderen

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AnAlysen

Zusammenfassende Thesen• DieWählerschaftderAfDistsehrhe-

terogen.Sieisttypischfürneuentste-hendeProtestparteien,dienochnichtetabliertsind.ObdiesderAfDgelin-genwird, istoffen.Sie istnochweitdavon entfernt, eine feste Kraft imdeutschenParteiensystemzusein.

• DieWählerschaftderAfDspeistsichaus sehr unterschiedlichen Quellen.ZwarkamenbeiderBundestagswahl

/// Wählerschaft und Wahlmotive

wie bei den Landtagswahlen etwavier Fünftel von anderen Parteienund nur etwa ein Zehntel aus demBereichderNichtwähler,vondiesenBewegungenzugunstenderAfDwa-renabervieleParteienbetroffen.

• DieUnionistnichtderhauptsächlichLeidtragende der WählerwanderungzugunstenderAfD.NurbeiderEu-ropawahl kam ein Viertel der AfD-WählervonderUnion.BeiderLand-tagswahlinSachenwardiesnocheinFünftel, bei den anderen Wahlendeutlichweniger.

• Die AfD hat von der Schwäche derFDP profitiert. Bei der Bundestags-wahl kam ein gutes Fünftel ihrerWählervonderFDP,beidenletztenLandtagswahlen noch etwas übereinZehntel.InsgesamtkametwaeinDrittel der AfD-Wähler aus dem

DIe „AlTeRnATIVe FÜR DeUTsCHlAnD“ (AfD)

GERHARD HIRSCHER /// Die erst 2013 gegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat im Jahr 2014 unerwartete Wahlerfolge gefeiert. Schon im September 2013 war sie bei der Bundestagswahl mit 4,7% nur knapp gescheitert – allerdings mit einem Rekordergebnis für eine erstmals antretende Partei. Ist diese neue Partei eine weitere Eintagsfliege im deutschen Parteiensystem oder hat sie Chancen auf langfris-tige Etablierung? Ihr endgültiges Schicksal wird sich erst in den Landtagswahlen vom Frühjahr 2016 entscheiden.

Die AfD ist weit davon entfernt, eineEtAblIERtE Partei in Deutschlandzu sein.

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bürgerlichen Lager von Union undFDP.

• DieAfDkonntebeachtlichvonZuge-winnenausderWählerschaftderex-tremen Parteien profitieren. Schonbei der Bundestagswahl holte sie16,5% ihrer Stimmen von der Lin-ken,beidenletztenLandtagswahlenwaren dies in Sachsen ein knappesZehntelundüber16%inThüringenundBrandenburg.Dazukamennen-nenswerteGewinnevonderNPDvoralleminSachsen.

• Die AfD ist trotz des fortgeschritte-nenAlterseinigerihrerprominentenVertreter keine Seniorenpartei. Vorallem die jüngeren und mittlerenJahrgänge bis 45 Jahre sind bei denWählern deutlich überrepräsentiert,beidenWählernüber60 Jahrener-zielt sie klar unterdurchschnittliche

Unbändige Freude bei der AfD-Spitze über ihr bislang bestes Wahlergebnis, hier bei der Landtags-wahl 2014 in Brandenburg.

Resultate. Dies war bei den Piratenbei ihren vier Wahlerfolgen2011/2012 ähnlich, nur war sie inden jüngsten Jahrgängen noch stär-kervertreten.

• Auchwennsichunterdenprominen-tenVertreternderParteivieleProfesso-renundWissenschaftlerbefinden,istebensoklar:DieAfDistkeineAkade-miker-Partei. Ihre stärksten Wähler-gruppenkommenausdenmittelqua-lifizierten Bevölkerungsgruppen. BeidenformalhochQualifiziertenwarsiedurchschnittlichundindenLandtags-wahlen im Osten klar unterdurch-schnittlichvertreten.Diesunterschei-detsievondenPiraten,diebei ihrenErfolgenbeidenformalhochQualifi-ziertenamstärkstenabschnitten.

• DieAfDisteineMännerpartei.WiebeivielenneuenundProtestparteien

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in Deutschland erzielte sie bei denMännern deutlich höhere Werte alsbeidenFrauen.BeidenWahlerfolgender Piraten 2011/2012 war dies ge-nauso. Der geringe Frauenanteil inden Vorständen unterstreicht dieseStruktur.

• Trotz der Dominanz prominenterAkademiker ist die AfD auch einePartei der kleinen Leute. Der Anteilder Arbeiter war bei allen Wahlenüberdurchschnittlich, der der Ar-beitslosenzumindestimOstenauch.ÜberdurchschnittlicheWertebeidenSelbständigen, vor allem im Osten,fallendemgegenüberquantitativweitweniger ins Gewicht. Bei den Rent-nern schnitt sie aber generell unter-durchschnittlich ab. Auch dies isteineParallelezudenErfolgenderPi-raten.

• Zu Beginn ihres Auftretens hat dieAfDstarkvonihrereuropa-undeu-rokritischen Programmatik profi-tiert. Insgesamt ist bei ihr aber derAnti-Establishment-Protest immerstärkergeworden.Es ist fraglich,obsiealsreineAnti-Euro-Parteiüberle-benkönnte.

• Neben dem Thema Europa war fürdieAfDderThemenbereichdersozi-alen Sicherheit zur Rekrutierung ih-rer Wählerschaft zentral. Angst vorder künftigen wirtschaftlichen Ent-wicklung war bei der Bundestags-wahleinwichtigerFaktor.ZusätzlichsindZuwanderung,dieAusländerpo-litik und die Kriminalitätsbekämp-fungwichtigeThemenfelder.AnsätzezurVerherrlichungderDDRwarenindenLandtagswahlenimOstenwich-tig, sind aber im Westen kaum in-strumentalisierbar.

• DiemeistenAnalysensindsichdarineinig, dass man die AfD insgesamt

nicht als rechtspopulistische oderrechtsextremistische Partei klassifi-zierenkann.DieAuseinandersetzungmitihrsolltesichdaheraufinhaltli-cherEbeneundnichtmittelsderZu-schreibung populistischer Labelsvollziehen.

Der (fast) erfolgreiche Start – die Bundestagswahl 2013

Bei der Bundestagswahl vom 22. Sep-tember 2013 scheiterte die AfD mit4,7%derZweitstimmennurknappaneinem Einzug in den Deutschen Bun-destag.AuchwennsieanErststimmenmit1,9%deutlichwenigererhielt,wardiesfüreineerstmalsangetreteneParteieinbeachtlicherErfolg.SieholteaufAn-hieb 2.056.985 Zweitstimmen – damitfehlten ihr lediglich 129.358 Stimmen,um über die 5-%-Hürde zu kommen.DasErgebnisderAfDbeiderBundes-tagswahl2013warbemerkenswert,weiles praktisch aus dem Stand heraus er-zielt wurde. Die Partei war erst im Fe-bruar 2013 offiziell gegründet worden.BeiderLandtagswahlinNiedersachsenam20.Januar2013tratderVorsitzendeBernd Lucke bei den Freien WählernmiteinergemeinsambeschlossenenLis-te an. Lucke und die anderen Grün-dungsmitgliedereines„VereinszurUn-terstützung der Wahlalternative 2013“hatten sich schon im Herbst 2012 mitdem Gedanken getragen, gemeinsam

Die AfD ist v. a. eine PROtESt-bEWEGUNG gegen die etablierte Politik.

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mitdenFreienWählernbeiderBundes-tagswahl 2013 anzutreten. Nach derLandtagswahlinNiedersachsen,beiderihreListenurauf1,1%derZweitstim-menkam,zerschlugsichdiesePerspek-tive,dainterneStreitigkeiteneineweite-reKooperationbeendeten.DieAfDver-zichtetedannauchaufeinAntretenbeiderLandtagswahlinBayernam15.Sep-tember2013,dasiedortunteranderemwegenderstarkenKonkurrenzderFrei-enWählernurgeringeErfolgsaussichtensah.SiekonzentriertesichdaheraufdieBundestagswahl am 22. September2013 und die Landtagswahl in HessenamselbenTag.

Füreine relativ jungeParteimussteihr Ergebnis der Bundestagswahl An-sporn genug sein, um sich Erfolge beikünftigen Wahlen auszurechnen. AusderPerspektivederAfDschiendiesfürdas Jahr 2014 nicht unwahrscheinlichzusein.FürdieEuropawahlam25.Mai2014 hätte erstmals (nach dem StandderGesetzgebungvomHerbst2013)dasÜberschreitender3-%-Hürdegereicht.Nach der erneuten Entscheidung desBundesverfassungsgerichtsvom26.Fe-bruar2014musstedieAfDfürdieEuro-pawahl gar keine Sperrhürde mehrüberwinden. Somit reichte die Mobili-sierungeineskleinenTeilsihrerWähler-schaftderBundestagswahl,uminsEu-ropaparlament einziehen zu können.Dies ist ihr mit bundesweit 7,1 % derStimmenklargelungen.

Das Ergebnis bei der Bundestags-wahlwarauchbemerkenswert,weildieAfDmit4,7%derZweitstimmenrela-tivknappander5-%-Hürdescheiterte.SielagdamitnurgeringfügigunterderFDP,dieebenfallsnichtindenBundes-tagkam,aberdeutlichvorallenande-renKleinparteien.DieregionaleAnalysezeigt, dass die AfD im Westen auf

4,4%, im Osten sogar auf 5,7 % derZweitstimmen gekommen war. Auchder Blick auf die Länder insgesamtbestätigt diese Verteilung. Im Westenblieb sie nur in Baden-Württemberg(5,2%),Hessen(5,6%)unddemSaar-land(5,2%)knappüberder5-%-Hürde,indenanderenLändernaberdarunter:Bayern4,3%,Berlin (Gesamt)4,9%,Bremen 3,7 %, Hamburg 4,2 %,Niedersachsen3,7%,Rheinland-Pfalz4,8 % und Schleswig-Holstein 4,6 %.In den neuen Ländern war sie nur inSachsen-Anhalt mit 4,2 % darunter,ansonstenkamsieinBrandenburgauf6,0 %, in Mecklenburg-Vorpommernauf5,6%,inSachsenauf6,8%undinThüringenauf6,2%.

Bei der gleichzeitig stattfindendenLandtagswahl in Hessen erreichte dieAfDnur4,1%derZweitstimmenundbliebdamitdeutlichunterdemWertderBundestagswahlvon5,6%.Bei identi-scherWahlbeteiligungholtesieinHes-sen bei der Landtagswahl 126.906Zweitstimmen,beiderBundestagswahljedoch 176.319 Zweitstimmen. Sie hatalsobeideruntergleichenBedingungenstattfindenden zeitgleichen Wahl überein Viertel weniger Stimmen erzielt.Laut Forschungsgruppe Wahlen1 sag-ten 61 % der AfD-Anhänger, die bun-despolitischeKomponenteseifürsiebeider Entscheidung die wichtigere gewe-sen.DieswarderniedrigsteWertallerParteienundunterstreicht,dassfürdieAfDdieLandespolitikstarkimHinter-grund stand und nicht zur Mobilisie-rungbeitrug.

Die neue Partei AfD erzielte aus dem stand heraus einige GUtE Wahlergebnisse.

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GenerellhatdieAfDbeiderBundes-tagswahlimWestenwieimOstenstär-kerindenLändernmithöhererWahlbe-teiligung abgeschnitten. Offensichtlichhat sie von einem Mobilisierungseffektprofitiert. Dies wird auch durch denBlickaufdieWahlkreisebeneunterstri-chen.DieWahlkreisemitdenhöchstenZweitstimmenergebnissen(Spitzenreiterwar Görlitz mit 8,2 %) lagen fast aus-

nahmslos im Osten. Dort war auch infastallenFällendieWahlbeteiligungge-genüber 2009 zum Teil deutlich ange-stiegen.Interessanterweiseerreichtebei-spielsweise Pforzheim ebenfalls einenSpitzenwert mit 7,2 % – auch dort beigestiegenerWahlbeteiligung.IndenfürdieAfDgünstigenWahlkreisenimOs-tenwardieWahlbeteiligungaberoftum5bis6Prozentpunktehöher.Umgekehrtliegen die schwächsten Wahlkreise derAfD mit Werten zwischen 3,4 % und2,3%alleimWestenunddortzumeistinNord-undWestdeutschland.Indie-sen Regionen ist die Wahlbeteiligungentweder nur schwach gestiegen oderwarinvielenFällensogarrückläufig.

Der Wahlkalender spielte ebenfallsderAfDindieHände.Dieanderenvor-gesehenen Landtagswahlen des Jahres2014fandensämtlichindenneuenBun-desländernstatt(Sachsen,BrandenburgundThüringen),wosiebeiderBundes-tagswahl überdurchschnittlich abge-schnittenundmitWertenvon6%unddarüber die 5-%-Hürde deutlich über-schrittenhatte.BeifürsierelativgutenAusgangsbedingungen hatte die AfD

also die Chance, im August und Sep-tember2014zuzeigen,obsieihrPoten-zialwiedermobilisierenodersogaraus-weitenkonnte.

Die WählerwanderungenWoherholtedieAfDbeidenbisherigenWahlen ihre Wähler? Glaubt man derpublizierten WählerwanderungsbilanzvonInfratestdimap,2dannhatdieAfDdenüberwiegendenTeil ihrerStimmenbeiderBundestagswahl2013vonande-renParteienabgezogen–insgesamtfast85%.Lediglich210.000Stimmen,alsoetwaeinZehntel–genau10,2%–ka-men aus dem Bereich früherer Nicht-wähler.Dazukonnte sienoch100.000Erstwähler mobilisieren. Den höchstenZuwachshattesiemit430.000Stimmenvon der FDP (20,9 %), der sie damitenormundmitdengrößtenKonsequen-zenschadete.GuteinFünftelallerAfD-Stimmen kam also von früheren FDP-Wählern,einknappesFünftel(410.000Stimmen) von sonstigen Parteien. VonderLinkenholtedieAfD340.000Stim-men, das entsprach 16,5 %. Aus demLagerderUnionholtedieAfD290.000Stimmen–immerhin14,1%allerAfD-Stimmen kamen von CDU oder CSU.VonderSPDkamennoch180.000Stim-menundvondenGrünen90.000.

Insgesamt zeigt sich also ein zwie-spältigesBild:EinerseitskonntedieAfDwie viele neue und Protestparteien beiJungwählern und Wählern kleinerer,nicht-etablierterundexotischerParteienpunkten. Dies können auch frühereWähler rechtsextremistischer oder po-pulistischerParteiensein,wasaberauf-grunddieserDatennichtersichtlichist.EineNachwahlanalysebelegte,dassun-ter den Wählern der AfD ehemaligeWählerderFDPundandererKleinpar-teiensowiegenerellErstwählerüberre-

Die AfD hat von einem MObIlISIERUNGS-EFFEKt bei den Wählern und dem Wahl-kalender profitiert.

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präsentiert waren.3 Andererseits holtesie in erheblichem Maß Stimmen deretabliertenundauchdergroßenPartei-en – eine Mobilisierung, ohne die ihrAbschneiden bei der BundestagswahlaufdiesemNiveaunichtmöglichgewe-senwäre.

BeidergleichzeitigenLandtagswahlin Hessen4 holte die AfD knapp zweiDrittelderStimmen(63,0%)vonande-renParteien.31.000Stimmen,alsoim-merhinmit24,4%fasteinViertel,ka-men aus dem Bereich früherer Nicht-wähler. Ansonsten kamen jeweils20.000StimmenvonderFDP(15,7%)undvonsonstigenParteien,15.000vonderCDU(dasentspricht11,8%),10.000vondenGrünen,8.000vonderLinken(6,3%)und7.000vonderSPD.Weiter-hinkonntesie8.000Erstwählermobili-sieren. In der Struktur zeigt sich einähnlichesBildwiebeiderBundestags-wahl,jedochisthierbeigeringeremMo-bilisierungsgrad der Gewinn aus demNichtwählerlager deutlich höher unddervondenanderenParteiengeringer.

BeiderEuropawahlam24.Mai20145kam die AfD auf 7,1 % und erzielte 7Mandate. Die AfD gewann (im Ver-gleichvonInfratestdimapzurBundes-tagswahl 2013) von anderen Parteien44,6 % ihrer Stimmen. VonderUnionkamen 510.000 Stimmen (25 %), vonder SPD 180.000, von der Linken110.000 (5,4 %), von der FDP 60.000(2,9 %) und von den Grünen 30.000.

VondensonstigenParteiengewannsie20.000StimmenundausdemSaldovonZu-undFortzügen10.000,mussteaber910.000 Stimmen (44,6 % ihrer Stim-menderBundestagswahl)andieNicht-wählerabgeben.

BeiderLandtagswahlinSachsenam31. August 20146 holte die AfD 9,7 %und14Sitze.DieStimmenfürdieAfDspeisten sich laut Infratest dimap mit39.000 Stimmen am meisten aus demBereichdersonstigenParteien.Generellkamen80,6%ihrerStimmenvonande-ren Parteien. Es kamen im Einzelnen33.000Stimmen(20,6%)vonderCDU,18.000 (11,2 %) von der FDP, 16.000vondenNichtwählern(10,0%),15.000vonderLinken(9,4%),13.000vonderNPD,8.000vonderSPDund3.000vondenGrünen.DerSaldoausErstwählernundVerstorbenenwarmit6.000positiv,der aus Zu- und Fortzügen mit 9.000ebenfalls.

BeiderLandtagswahl inThüringenam14. September20147holtedieAfD10,6%und11Sitze.DieAfDholtelautInfratest dimap mit 23.000 Stimmenden größten Anteil von den sonstigenParteien.Insgesamtkamen81,8%ihrerStimmenvonanderenParteien,darun-ter 18.000 Stimmen von der CDU(18,2%),16.000vonderLinken(16,2%)undjeweils12.000vonSPDundNicht-wählern(12,1%).Dazukamen11.000Stimmen von der FDP (11,1 %) und1.000vondenGrünen.

Bei der Landtagswahl in Branden-burgvom14.September20148holtedieAfD12,2%und11Sitze.Insgesamtka-men77,9%ihrerStimmenvonanderenParteien. Die AfD holte laut Infratestdimap 27.000 Stimmen von sonstigenParteien, 20.000 von der Linken(16,4%),18.000vonderCDU(14,7%),17.000 von der FDP (13,9 %), jeweils

Der erfolg der AfD kam größtenteils durch WÄHlERWANDERUNG zustande.

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12.000 von SPD und Nichtwählern(9,8%)und1.000vondenGrünen.

ZumVergleich:BeidenPiratenzeig-tesichbeidenbislangvierfürsieerfolg-reichenWahlen(Berlin18.9.2011,Saar-land 25.3.2012, Schleswig-Holstein6.5.2012 und Nordrhein-Westfalen13.5.2012) eine ähnliche Verteilung.Auch bei ihnen war jeweils der Anteilder Wähler, die von anderen Parteienkamen(Berlin58%,Saarland64,8%,Schleswig-Holstein 78,7 % und Nord-rhein-Westfalen78%)klaramgrößten.VondenNichtwählernholtensieinBer-lin 17,5 %, im Saarland 21,6 %, inSchleswig-Holstein 13,7 % und inNordrhein-Westfalen14%.DadieDif-ferenzenzudenWertenderAfDnichtsehrgroßsind,könntedieseinIndizda-für sein, dass sich die Wählerschaftenneuer Protestparteien momentan starkähneln.

MotivlagenDie Bundestagswahl 2013

BeiderSuchenachdenUrsachenfürdieWahl der AfD stößt man auf Gründe,diezueinemgroßenAnteil typischfürProtestbewegungen sind. Dies unter-streichtnichtzuletztdieTatsache,dassdieAfDihreWählerrelativspätmobili-sieren konnte. So gaben 45 % ihrerWähleran,sicherstindenletztenTagenoderamWahltagselbstentschiedenzuhaben – im Durchschnitt sagten diesnur32%,beiderUnionsogarnur26%.Weiterhin sagten laut Infratest dimap44%allerBefragten,dieAfDlösezwarkeine Probleme, nenne aber die DingewenigstensbeimNamen.VordemHin-tergrund der Tatsache, dass ein großerAnteil der Bevölkerung die Euro-Krisefür ein großes Problem hielt (und dies2014anhielt),wirdderResonanzbodenfür eine solche Partei deutlich. Immer-

hin37%hieltendieAfDfüreineAlter-nativefürdie,diesonstgarnichtwählenwürden. Dies ist ein hoher Wert, aberbezüglichderPiratenwurdedieseAus-sagesogarvon50%bejaht. Immerhin21%gabenan,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesichge-gen den Euro ausspricht. Gleichzeitigsagen56%,dieAfDseikeineernstzu-nehmende Partei. Dies unterstreicht,dass die AfD bei der Bundestagswahlklar von ihrem Charakter als neuerKraft und Protestbewegung profitierte.GleichzeitiggabdieAngstvoreinerVer-schärfungderKriseumdieeinheitlicheWährungunddieVerschuldunginEu-ropa einen realen Anknüpfungspunktfür die Unterstützung der AfD, wasauch fürdienächsteZukunftwirksambleibenkönnte.LautForschungsgruppeWahlen9warbeiderAfDfür59%ihrerAnhängerdasThemaEuro-KrisefürdieWahlentscheidungwichtig–weitmehrals bei den Anhängern aller anderenParteien.

BeiderFragenachdenWahlmotivensagten laut Infratest dimap 69 % derAfD-Wähler, sie hätten die Partei ausÜberzeugunggewählt,undnur24%ga-benan,dassdiesaustaktischenGrün-dengeschah. ImOstenbetrugderAn-teilderÜberzeugungswählersogar72%gegenüber68%imWesten.DieWählerausÜberzeugungwarenzwaretwaswe-nigeralsbeidenanderenParteien,aberimmer noch deutlich mehr als bei derFDP,wonur51%angaben,siehättendie Partei aus Überzeugung gewählt.AuchbeiGrünenundLinkenbetrugderAnteildertaktischenWählerimmerhin17%bzw.19%.Zwargaben24%derBefragtenan,dieAfDsageehrlich,wassiewolle,aberauchnur24%sagten,siehättenKenntnisüberdiepolitischenIn-halte der Partei. Dies scheint Bewe-

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gungsspielräume inalleRichtungenzuermöglichen.

DerzwiespältigeCharakterderAfD-WählerschaftwirdauchdurchdenBlickauf das Stimmensplitting deutlich. Beikleinen Parteien ohne Aussicht auf dieWahleinesDirektkandidatengibttradi-tionell eine große Anzahl ihrer Zweit-stimmenwählerdieErststimmefürdenKandidateneineranderenParteiab.BeiderAfDwählten36%ihrerWählerderZweitstimme auch mit der ErststimmeihrePartei.AllerdingsgabenlautInfra-test dimap 27 % ihre Stimme einemKandidateneineranderenPartei,22%demUnions-Kandidatenund15%demder SPD. Dies unterstreicht, dass dieWählerschaftderAfDbeiderBundes-tagswahl keineswegs auf ein bestimm-tesLagerzuzuordnenwar.BeiderFDPhattenzwarnur28%ihrerWählerauchihren Erststimmenkandidaten gewählt,aber 63 % den Kandidaten der Union.BeidenGrünenhattenimmerhin53%ihrer Zweitstimmenwähler einen eige-nenKandidatengewählt(beiderLinkensogar 70 %) und immerhin 34 % denSPD-Kandidaten.Demgegenübermach-tedieAfD-Wählerschafteinenweitun-strukturierterenEindruck.

Die Europawahl 2014Bei der Europawahl spielten naturge-mäßeurokritischeElementeeinegroßeRolle bei der Motivation zur Wahl derAfD.AberauchbeidieserWahlkamenzusätzlich andere Einstellungen zumTragen. Offensichtlich wurde die EUvondenWählernderAfDkritischerge-sehenalsbeidenWählernallerandererParteien. So bejahten laut Infratest di-map1067%derAfD-WählerdieFrage,ob die europäischen Länder künftigwieder stärker allein handeln sollen,währenddiesbeidenanderenParteian-

hängernjeweilsnurMinderheitenanga-ben(beidenLinken-Wählern33%,de-nenderUnion19%unddenenvonSPDund Grünen jeweils 13 %). 45 % derAfD-Wähler sagten,dieMitgliedschaftin der EU bringe Deutschland mehrNachteile,nurfür11%überwogendieVorteile.BeiallenanderenParteienwar

das Verhältnis umgekehrt. Eine Mehr-heit von 61 % der gesamten Wähler-schaftsagte,auchwenndieAfDinsEu-ropaparlament gewählt werde, gehöresie nicht in den Bundestag. Für 53 %war sie keine ernstzunehmende Parteiund für 47 % war der Vorwurf desRechtspopulismus berechtigt. Aller-dings gaben große Minderheiten auchrechtfertigende Bewertungen ab. Someinten41%,dieAfDlösezwarkeineProbleme, nenne die Dinge aber beimNamen.Für37%warsieeineAlternati-ve für die, die sonst gar nicht wählengehen würden, und 30 % bemerkten,dieAfDachtedarauf,dassdeutscheIn-teresseninEuropanichtzukurzkämen.29 % meinten, die AfD spreche offenaus,wasdieMehrheitderGesellschaftdenke,undfür28%wardieAfD-WahleineguteGelegenheit,denanderenPar-teieneinenDenkzettelzuverpassen.Je-weils19%sagten,esseigut,wenndieAfDbeiderEuropawahlgutabschneideund dass es mit der AfD eine Partei

Die meisten AfD-Wähler bei derBundestagswahl 2013 waren ÜbERzEUGUNGSWÄHlER.

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gebe, die sich grundsätzlich gegen denEuroausspricht.

Die unterschiedlichen MotivlagenderAfD-WählerzeigensichauchbeiderFragenachdenwichtigstenThemenbeider Wahlentscheidung. So gaben 41 %derAfD-WäherdieStabilitätderWäh-rungan–derhöchsteWertbeiallenPar-teien.Aberfürebenfalls41%wardies

die sozialeSicherheitund für40%dieZuwanderung – ebenfalls der mit Ab-stand größte Wert aller Parteien. EinedeutlichgeringereRollespielten fürdieAfD-WählerdieThemenFriedenssiche-rung(23%),Wirtschaftswachstum(22%),Umweltschutz(17%)undVerbrau-cherschutz(15%).

Insgesamtwirddeutlich,dassunterdenWählernderAfDnebenderEuro-pa-undEurokritikeindeutigeindiffu-sesSpektrumderUnzufriedenheitfest-zustellenist.60%derAfD-Wählerga-benan, ihreEntscheidung sei ausEnt-täuschungerfolgt,nurfür33%geschahdies aus Überzeugung. Laut For-schungsgruppeWahlengaben39%derAfD-Wähleran,siehättendieParteialsDenkzettelfürandereParteiengewählt,aber60%derAfD-Wählersagten,diesgeschahwegenpolitischerInhalte.11Of-fenbar spielten dabei nationalistischeMotivlagenundvorallemKritikanderZuwanderungeinegroßeRolle.

Die Landtagswahl in Sachsen 2014Bei den drei Landtagswahlen im Spät-sommer2014wurdenzusätzlichspezifi-sche ostdeutsche Motivlagen deutlich,diebeiderWahlderAfDwichtigwaren.SosahensichlautInfratestdimap12 inSachsennur37%derAfD-Wähleraufder Gewinnerseite, aber 46 % auf derSeitederVerliererdergesellschaftlichenEntwicklung.DieswarmitAbstandderhöchste Wert aller Parteien; sogar beiderLinkengabendiesnur30%an,beiden Grünen 27 %, der SPD 18 % undderCDU13%.ZwarwurdenderParteivon der gesamten Wählerschaft kaummessbare Kompetenzwerte zugebilligt,aberimmerhin62%gabenan,siefän-denesgut,dasssichdieAfDfürFamili-enmitdreiundmehrKinderneinsetzt.Immerhin 54 % sagten, die AfD lösekeine Probleme, nenne die Dinge aberwenigstensbeimNamen,und38%fän-den es gut, wenn die AfD im Landtagvertretenwäre.26%fändensogareineVertretung der AfD in der Regierunggut–allerdingsbefürwortetennur14%eineKoalitionausCDUundAfD.Hin-gegensagtennur22%,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesich gegen den Euro ausspricht. Aller-dingssahenauch36%dieAfDinvielenFragenaufeinerLiniemitderNPD.

ÄhnlichwiebeiderEuropawahlun-terstellte laut Forschungsgruppe Wah-len zwar auch eine Mehrheit aller Be-fragten, die Wahl der AfD sei eineDenkzettelwahl. Unter den AfD-Wäh-lern sah dieses Bild wiederum andersaus: Nur 20 % gaben eine Denkzettel-wahlzuProtokoll,aber76%sagten,siehättensiewegenpolitischerInhaltege-wählt.Sogar90%derAfD-Wählersag-ten, die AfD sei die einzige Partei, diedie Dinge beim Namen nennt.13 LautForschungsgruppe Wahlen sprachen

Die meisten AfD-Wähler entschieden sich aus allgemeiner UNzUFRIEDENHEItfür diese Partei.

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AfD und NPD auch gezielt ähnlicheSegmentederWählerschaftan.Sowardas Thema KriminalitätsbekämpfungundEinwanderungfürdieAfDzentral.Parteichef Bernd Lucke hat im Wahl-kampf öffentlich davon gesprochen,dass keiner wolle, „dass der MuezzinüberLeipzigruft“.14BeidieserLandtags-wahlzeigtesichalso,dassdieEuro-undeuropakritische Dimension der AfD-WahleinedeutlichgeringereRollespiel-te gegenüber anderen, offenbar starkdurch Frustration und Fremdenfeind-lichkeitgesteuertenMotiven.

Die Landtagswahl in Thüringen 2014

Bei der Landtagswahl in ThüringenzeigtesicheinesehrähnlicheVerteilungderMotivlagen.ZwarsagtenlautInfra-testdimap15nur35%derAfD-WählerinThüringen,sieseieneheraufderVer-liererseite der gesellschaftlichen Ent-wicklung(gegenüber37%beiderLin-ken,27%beidenGrünen,18%beiderSPDund11%beiderCDU).Andersalsin Sachsen sah sich eine Mehrheit von

42%derAfD-WählereheraufderGe-winnerseite. In den anderen Einstel-lungsdimensionen waren die Befundeaber fast deckungsgleich. Auch hierwurdenihrinsgesamtkeineProblemlö-sungskompetenzenzugeschrieben,aber61 % sagten, es geschehe den anderenParteienrecht,dassdieAfDdenPolitik-betrieb aufmischte. Sogar 57 % mein-ten,dieAfDlösezwarkeineProbleme,nennedieDingeaberwenigstensbeim

Namen. 43 % fanden es gut, dass dieAfDimWahlkampfvieleguteDingebe-nannthabe,dieesinderDDRgab.42%sagten,siefändenesgut,wenndieAfDimLandtagvertretenwäre.Jeweils36%gabenan,dieAfDseieineguteAlterna-tive fürdie,die sich inderCDUnichtmehr aufgehoben fühlen und dass dieAfD Positionen vertrete, die auch demBefragtenwichtigsind.Für32%wareswichtig,dasssichdieAfDstärkergegendieZuwanderungaussprichtalsandereParteien.Nur24%gabenan,siefindenesgut,dassesmitderAfDeineParteigibt, die sich grundsätzlich gegen denEuroausspricht.

Ähnlichwie inSachsensahenauchin Thüringen laut ForschungsgruppeWahlen 73 % der AfD-Wähler ihreStimmabgabe durch politische Inhaltemotiviert und nur 26 % gaben eineDenkzettelwahl an.16 Wie in SachsenzeigteauchdieWahlinThüringen,dassdie eurokritische Dimension der AfDdeutlich weniger wichtig war als etwadie Elemente Protest, Frustration, Zu-wanderungundDDR-Nostalgie.

Die Landtagswahl in Brandenburg 2014

InBrandenburgzeigtesicheinsehrähn-liches Bild. Auch hier gaben laut Infra-test dimap17 44 % der AfD-Wähler an,eher auf der Verliererseite der gesell-schaftlichen Entwicklung zu stehen –nur39%sahensicheheraufderGewin-nerseite.DiesunterschiedsichebenfallsdeutlichvonderWählerschaftderande-renParteien.BeiderLinkensahensichnur31%alsVerlierer,beiderSPD20%,denGrünen19%undderCDU13%.AuchhierwurdenihrkaumParteikom-petenzenzugebilligt,aberimmerhin6%taten dies im Bereich Kriminalitätsbe-kämpfung und 5 % bei der Ausländer-

Bei der landtagswahl 2014 in SACHSEN wurde die AfD hauptsächlich wegenihrer politischen Inhalte gewählt.

68 POLITISCHE STUDIEN // 459

AnAlysen

undIntegrationspolitik.Immerhin60%sagtenzurAfD,sielösezwarkeinePro-bleme,nennedieDingeaberwenigstensbeimNamen.59%meinten,esgeschehedenanderenParteienrecht,dassdieAfDdenPolitikbetriebaufmischte.EineVer-tretungderAfDimLandtagfanden41%gut und 39 % fanden es ebenfalls gut,dassdieAfD imWahlkampfvielegute

Dingebenannthabe,dieesinderDDRgab.Immerhin36%sahendieAfDalsguteAlternative fürdiejenigen,diesichinderCDUnichtmehraufgehobenfüh-len.Jeweils34%fandenesgut,dasssichdieAfDstärkergegenZuwanderungein-setzealsandereParteienunddasssiePo-sitionen vertrete, die dem Befragtenwichtig sind. Auch in Brandenburg ga-bennur22%an,siefändenesgut,dassesmitderAfDeineParteigebe,diesichgegen den Euro ausspreche. InsgesamtgaltinBrandenburgalsodieselbeMotiv-lagebeiderWahlderAfDwieindenan-deren beiden Ländern, wobei hier dasThemaKriminalitätundVerbrechensbe-kämpfung offenbar zusätzlich eine ver-schärfteRollegespielthat.

Einordnung der AfDBereitsimSeptember2013(nochvorderBundestagswahl) erschien eine Studieim Auftrag der Heinrich-Böll-StiftungNordrhein-Westfalen mit dem Ziel,„denGrad,denEinflussunddieBedeu-tung rechtspopulistischer, rechtskon-servativer und marktradikaler Politik-vorstellungen in der AfD genauer ein-schätzen und bewerten zu können“.18

SchondieseStudiewolltedieAfDnichtals rechtsextremistischeoder rechtspo-pulistischeParteieinordnen.AlsArgu-mente wurden zum einen angeführt,dass allein aus einer euro-skeptischenoderEU-kritischenHaltungnichtauto-matischeineAnalogiezurechtspopulis-tischenoderrechtsextremistischenEin-stellungen abgeleitet werden könne.Zum anderen seien öffentliche Verglei-chezwischenderAfDmitoffenrechts-extremen oder neonazistisch orientier-tenParteienwiederNPDunbrauchbarzur Beurteilung möglicher rechtspopu-listischerAusrichtungeninderAfD.Ge-rechtfertigt sei hingegen ihre Einord-nungalsParteirechtsderUnion.19

InWissenschaftundPublizistikfin-den sich seitdem unterschiedliche Ver-suche der Einordnung der AfD. NochAnfang 2014 wurde sie auf der Links-Rechts-Skala des Instituts Forschungs-gruppeWahlennurleichtrechtsvonderMitte eingestuft: leicht rechts von derFDP, aber noch links von CDU undCSU.EineRechtsaußen-ParteiodergareineextremistischeParteiwarsieindenAugenderdeutschenBevölkerungalsonicht.InwieweitsichdasindenletztenMonaten geändert hat, lässt sich nichtbelegen.

EbenfallsAnfang2014erschieneineWahlanalysedesAbschneidensderAfDbei der Bundestagswahl 2013 auf derBasisvonDatenderGermanLongitudi-nalElectionStudy(GLES)2013.20Dortwurde gezeigt, dass die AfD vor allembeidenWählernpunktete,diemiteinerVerschlechterung der Wirtschaftslagerechneten. Die Wirtschaftspessimistenmachten zwar nur einen geringen TeilderWählerschaftaus,deraberüberpro-portionalderAfDzugeneigtwar.DazuspieltedieAngstvorderEuro-KriseeinegroßeRollefürdieAfD-Wähler,diezu-

Auch bei der landtagswahl 2014 in Thüringen war der „Denkzettel“ für die AfD-Wähler KEIN Motiv.

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sätzlichHilfenfürbetroffeneEuro-Kri-senländerüberdurchschnittlichkritischgegenüberstanden. Diese Krisenängstehätten vor allem bei den Spätentschei-dern eine große Rolle gespielt.21 Hinzukam als weitere Dimension die Immi-grationspolitik. Die Bereitschaft zurWahlderAfDwurdedurchimmigrati-onsskeptische Einstellungen deutlichbefördert.22 All diese Einstellungsdi-mensionenwarenbeimännlichenWäh-lernundsolchenausdenneuenBundes-ländernstärkerverbreitet.InsbesonderebeidenSpätentscheidernspieltedieAb-lehnungeinermultikulturellenEinwan-derungspolitikoffenbareinegroßeRol-le.AuchdieseAnalysesiehtzumDatumihres Erscheinens keinen Anlass, dieAfD aufgrund ihrer Programmatik alsrechtspopulistischeParteizuklassifizie-ren.SiesiehtesfürdenweiterenWerde-gangderAfDalsentscheidendan,wiesichdieetabliertenParteienaufdenfür

denWahlerfolgderAfDentscheidendenFeldernverhalten–nämlichbeimUm-gangmitdereuropäischenSchuldenkri-seundderEinwanderungs-undIntegra-tionspolitik.23

Ein Papier des Wissenschaftszen-trumsBerlinvomFebruar2014versuch-tediegesellschaftlicheVerankerungderAfD näher zu analysieren.24 Laut denAutoren sei der wesentliche Hinter-grunddererfolgreichenGründungund

Mobilisierung der AfD zum einen dieEntstehung einer „rechtsliberal-konser-vativen europapolitischen Option aufeuropäischerEbene“undzumanderendieseOption„imVereinmitden langeinderZivilgesellschaftverankertenneo-liberalen und national-konservativenKräften in Deutschland“.25 Allerdingsseienauch„AnschlüsseanprogressivesDenken“erkennbarwiebeiFragenderDaseinsvorsorge, des PestizideinsatzesinderLandwirtschaft,derHaftungvonBanken und Großkonzernen oder derTransparenz von politischen Entschei-dungsprozessen. Eine Einordnung derAfD als rechtsextremistisch oder auchnur klar rechtspopulistisch wäre nachdieserAnalysekaumvorstellbar.

Eine Studie im Auftrag der Fried-rich-Ebert-Stiftung vom November2014lieferteAnhaltspunktefürdieEin-stellungeneinesTeilesderWählerschaftderAfD.26Dieseneue–diesmalvonderUniversität Bielefeld durchgeführte –Rechtsextremismus-Studie konstatiertebeidenbefragtenAfD-AnhängernhoheWerte in den EinstellungsdimensionenBefürwortung einer Diktatur, Chauvi-nismus, Ausländerfeindlichkeit, Sozi-aldarwinismusundVerharmlosungdesNationalsozialismus.DieseWertelagendeutlichhöheralsbeiallenanderenPar-teianhängern mit Ausnahme derer derNPD und teilweise bei den Nichtwäh-lern.27 Diese Studie konstatiert bei denAfD-Anhängernaucheineüberpropor-tionale Zustimmung zu einem „markt-förmigen Extremismus“. Dieser sei ge-kennzeichnetdurchdieFacetten„unter-nehmerischer Universalismus“ (als ver-allgemeinerte neoliberale Form derSelbstoptimierung),„Wettbewerbsideo-logie“ (Forderung allgegenwärtigenWettbewerbs, um Fortschritt und Er-folg zu erzielen) und „Ökonomistische

Die Wahlforschung ordnet die AfD als POPUlIStISCHE Partei ein.

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AnAlysen

Werthaltungen“ (die Anwendung öko-nomischerKriterienzurBewertunggan-zer Bevölkerungsgruppen). InwieweitdieseKategoriensinnvollsind,magda-hingestellt bleiben, sie haben aber mitklassischen politischen Extremismus-Definitionenwenigzutun.WährendbeiallenBefragten21,1%indieseGruppeeingeordnet werden, sind laut dieserStudie38,4%derAfD-Anhängerdarinzuverorten.28

AndereBefundedieserStudieleuch-teneherein:Soseheninsgesamt33,6%derBefragtenihrenLebensstandardbe-droht,beidenAnhängernderAfDhin-gegen60,3%.29InsgesamtwilldieStu-dieverdeutlichen,dassdieAfDeineinhohem Maße populistische Partei sei.Dies gelinge ihr nicht nur wegen ihrerEU-kritischenHaltung.„DieParteiAfDgreiftdasvorhandenewettbewerbspoli-tischeSprachrohraufundscheintgera-de diese ökonomisch menschenfeindli-cheVerbindungzukanalisieren.“30

Neuere Daten aus der Bundestags-wahlstudie im Rahme der GLES (Ger-man Longitudinal Election Study) zurBundestagswahl 2013 bestätigen zahl-reicheAnalysenzurAfD.31 IhreKandi-daten zur Bundestagswahl unterschie-den sich insgesamt in einigen PunktenvondenenandererParteien.SowarihrAnteilvonKandidatenmitHochschul-abschlussmit73%aufdenNiveauvonUnion,SPD,FDPundGrünen, lagda-mit aber deutlich über den Werten beidenLinkenunddenPiraten.DasDurch-schnittsalterderKandidatenwarmit50Jahren das höchste aller Parteien (beider Union war dies 47 Jahre, bei SPDundFDP46JahreunddenGrünen44Jahre.BeiderLinkenwarendiesimmer-hin 49 Jahre, während die Piraten nurauf 39 Jahre kamen). Der FrauenanteilderKandidatenwarmit14%dernied-

rigsteallerParteien;diePiratenkamenauf17%,dieFDPauf20%,dieUnionauf31%,dieLinkeauf35%,dieSPDauf40%unddieGrünenauf44%.32

Auch die Auswertungen der GLESlegendenSchlussnahe,dassdieWäh-lerschaftvonUnionundAfDnurrelativgeringe Überschneidungen aufwies. Sowar das Stimmensplitting zwischenCDU oder CSU als Erst- und AfD alsZweitstimme nur in 4,6 % der Stimm-kombinationenzuverzeichnengewesen– die Kombination Union / FDP kamauf13,1%unddieausSPDundGrünenauf 12,6 %.33 Wie zu erwarten, zeigteauch diese Nachwahlanalyse, dass dieAfD einen etwas überproportionalenStimmenanteil bei Selbständigen sowiebei Wählern unter 40 Jahren zu ver-

zeichnenhatte,hingegeneinendeutlichunterproportionalenAnteilbeigewerk-schaftlich organisierten Angestelltenund Arbeitern sowie besonders beiWählern mit türkischem Migrations-hintergrund.34

DieErgebnissederGLESbestätigtenauchdenEinflussökonomischerErwar-tungen auf das Wahlverhalten zuguns-tenderAfD.SoführtesowohldieUnzu-friedenheit mit dem Regierungskurs inder Eurokrise als auch die Ablehnungfinanzieller Unterstützung für die Kri-senstaaten zu einer höheren Wahr-scheinlichkeitderWahlderAfD.35Ge-nerell zeigte diese Auswertung für diewesentlichenPolitikfelder,dassderAfDeinegeringeProblemlösungskompetenzzugeschriebenwurde–beidenmeisten

Die AfD hat von der Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit vieler Wähler profitiert.

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Themenvon2%undderArbeitsmarkt-politik nur von 1 %. Allerdings wurdeihr in der Finanzpolitik immerhin von6 % diese Kompetenz zugeschrieben,wobeiSachfrageninsgesamtfürdieEr-klärungderWahlentscheidungzuguns-tenderAfDoffenbareineehergeringeRollespielten.36InteressantistauchderBefund,dassnureinDrittelderWählerder AfD während des Wahlkampfes„stabil“beiihrerEntscheidungblieben,wasunterstreicht,„dassehemalsunent-schlosseneBürgeroderNichtwählervonder Partei Alternative für Deutschlandangezogen wurden“.37 In der Summesieht die GLES die AfD als „single-issue“-Partei,diehauptsächlichvonderKritik an der Euro-Rettungspolitik inVerbindung mit Ressentiments gegenImmigrationprofitierte.Zusätzlichdeu-tet sie das Ergebnis der AfD als Belegdafür,dassesinderdeutschenBevölke-rungeinegrößereBereitschaftgibt,mitseiner Stimme auch bei einer Bundes-tagswahlzuexperimentieren.38///

/// DR. GERHARD HIRSCHERist Referent für Grundsatzfragen der Po-litik, Parteien- und Wahlforschung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stiftung, München.

Anmerkungen 1ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinHessen.

EineAnalysederLandtagswahlvom22.Septem-ber2013,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.155,Mannheim2013.

2Infratestdimap:WahlREPORTBundestagswahl.EineAnalysederWahlvom22.September2013,Berlin2013.

3Schmitt-Beck, Rüdiger: Euro-Kritik, Wirt-schaftspessimismus und Einwanderungsskepsis:HintergründedesBeinah-WahlerfolgesderAlter-nativefürDeutschland(AfD)beiderBundestags-wahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen1/2014,S.94-112,hierS.99.

4Infratest dimap: WahlREPORT Hessen 2013.EineAnalysederWahlvom22.September2013,Berlin2013.

5Infratest dimap: WahlREPORT Europawahl inDeutschland.EineAnalysederWahlvom25.Mai2014,Berlin2014.

6Infratest dimap: WahlREPORT Sachsen 2014.EineAnalysederWahlvom31.August2014,Ber-lin2014.

7Infratestdimap:WahlREPORTThüringen2014.EineAnalysederWahlvom14.September2014,Berlin2014.

8Infratest dimap: WahlREPORT Brandenburg2014.EineAnalysederWahlvom14.September2014,Berlin2014.

9ForschungsgruppeWahlene.V.:Bundestagswahl.EineAnalysederWahlvom22.September2013,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.154,Mannheim2013.

10Infratest dimap: WahlREPORT Europawahl inDeutschland.

11Forschungsgruppe Wahlen e. V.: Europawahl.EineAnalysederWahlvom25.Mai2014.Berichteder Forschungsgruppe Wahlen e. V. Nr. 156,Mannheim2014,S.33.

12Infratestdimap:WahlREPORTSachsen2014.13ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinSachsen.

Eine Analyse der Landtagswahl vom 31. August2014,BerichtederForschungsgruppeWahlene.V.Nr.157,Mannheim2014,S.24f.

14Ebd.,S.15.15Infratestdimap:WahlREPORTThüringen2014.16ForschungsgruppeWahlene.V.:WahlinThürin-

gen.EineAnalysederLandtagswahlvom14.Sep-tember 2014, Berichte der ForschungsgruppeWahlene.V.Nr.159,Mannheim2014,S.15.

17Infratest dimap: WahlREPORT Brandenburg2014.

18Häusler,AlexanderunterMitarbeitvonTeubert,Horst und Roeser, Rainer: Die „Alternative fürDeutschland“–eineneuerechtspopulistischePar-tei?MaterialienundDeutungenzurvertiefendenAuseinandersetzung,hrsg.vonderHeinrichBöllStiftung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2013,S.7.

19Ebd.,S.91f.20Schmitt-Beck, Rüdiger: Euro-Kritik, Wirt-

schaftspessimismus und Einwanderungsskepsis:HintergründedesBeinah-WahlerfolgesderAlter-nativefürDeutschland(AfD)beiderBundestags-wahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen1/2014,S.94-112.

21Ebd.,S.106.22Ebd.,S.107.23Ebd.,S.112.24Plehwe, Dieter / Schlögl, Matthias: Europäische

und zivilgesellschaftliche Hintergründe der

72 POLITISCHE STUDIEN // 459

AnAlysen

euro(pa)skeptischen Partei Alternative fürDeutschland(AfD),DiscussionPaperSPII2014-501,Berlin2014.

25Ebd.,S.33.26Zick, Andreas / Klein, Anna: Fragile Mitte –

FeindseligeZustände.RechtsextremeEinstellun-geninDeutschland2014,Bonn2014.

27Ebd.,S.48.28Ebd.,S.113.29Ebd.,S.114.30Ebd.,S.118.31SiehehierzudenBandvonSchmitt-Beck,Rüdiger

/Rattinger,Hans/Roßteutscher,Sigrid/Weßels,Bernhard/Wolf,Christof(Hrsg.):ZwischenFrag-mentierungundKonzentration: DieBundestags-wahl2013,Baden-Baden2014.

32Giebler, Heiko: Die Kandidaten im Wahlkampf,in:RüdigerSchmitt-Beck/HansRattinger/SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.47-60,hierS.50.

33Blumenstiel,JanEric:Stimmensplitting,in:Rüdi-ger Schmitt-Beck / Hans Rattinger / SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.145-153,hierS.148.

34Weßels,Bernhard:WahlverhaltensozialerGrup-pen,in:RüdigerSchmitt-Beck/HansRattinger/Sigrid Roßteutscher / Berhard Weßels / ChristofWolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKon-zentration:DieBundestagswahl2013,Baden-Ba-den2014,S.187-2102,hierS.197f.

35Steinbrecher, Markus: Wirtschaftliche Entwick-lung und Eurokrise, in: Rüdiger Schmitt-Beck /Hans Rattinger / Sigrid Roßteutscher / BerhardWeßels / Christof Wolf (Hrsg.), Zwischen Frag-mentierungundKonzentration:DieBundestags-wahl 2013, Baden-Baden 2014, S. 225-238, hierS.234f.

36Plischke,Thomas:PolitischeSachfragen,in:Rüdi-ger Schmitt-Beck / Hans Rattinger / SigridRoßteutscher / Berhard Weßels / Christof Wolf(Hrsg.),ZwischenFragmentierungundKonzent-ration: Die Bundestagswahl 2013, Baden-Baden2014,S.253-265,hierS.258undS.262.

37Wiegand,Elena/Rattinger,Hans:Entscheidungs-prozessevonWählern,in:RüdigerSchmitt-Beck/Hans Rattinger / Sigrid Roßteutscher / BerhardWeßels / Christof Wolf (Hrsg.), Zwischen Frag-mentierungundKonzentration:DieBundestags-wahl 2013, Baden-Baden 2014, S. 325-339, hierS.328.

38Schmitt-Beck/Rattinger/Roßteutscher/Weßels/Wolf:ZwischenFragmentierungundKonzentra-tion:DieBundestagswahl2013,S.360f.