WENN PAPA PLÖTZLICH HILFE
BRAUCHT Werden die Eltern durch eine Krankheit pflegebedürftig, muss ihre Versorgung oft kurzfristig
organisiert werden. Vor einer Unterbringung im Heim scheuen sich die meisten, lieber wollen
sie so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Wie kann ich als Kind
frijhzeitig dafür Vorsorgemaßnahmen treffen? Und wie ist das mit den berühmten »polnischen
Pflegekräften«? MÜNSTER!-Autorin Bernadette Winter hat sich mit Johannes Gorschlüter
unterhalten. Sein Unternehmen Promedica Plus vermittelt Betreuerinnen aus Osteuropa
an deutsche Haushalte.
MÜNSTER! : Wann sollte ich das Thema »Pflege im Alter« bei
meiner) Eltern ansprechen?
JOHANNES GORSCHLÜTER: Das kann man gar nicht früh ge
nug anschneiden. NatürUch geht jeder davon aus, dass die
Eltern gesund bleiben und man sich deshalb keine Gedan
ken machen muss. Oft sitze ich bei einem Beratungsge
spräch Familien gegenüber, die i n eine akute Notsi tuat ion
geraten sind, wei l sich zum Beispiel ein Elterntei l den Ober
schenkelhals gebrochen hat und nach dem Krankenhaus
aufenthalt feststeht: Der- oder diejenige kann nicht mehr al
leine zuhause leben. Dann muss alles schnell gehen, obwohl
man sich das gut vorher hätte i n Ruhe überlegen können.
M ! : Wie gehe ich das an?
JG: Indem ich mich in einer ruhigen Minute mi t den Eltern
hinsetze und frage: Wenn Euch etwas passiert, wie sollen
wir damit umgehen, welche Ideen habt ihr? M a n muss diese
Fragen frühzeitig stellen und dranbleiben, auch wenn man
auf Widerstand stößt. Gerade der Kriegsgeneration fällt es
extrem schwer, Hi l fe anzunehmen und auch mal etwas für
sich zu tun. Viele haben gar keinen Lebensentwurf für diese
Zeit, was ganz offensichtlich auch mi t den Kriegserfahrun
gen zusammenhängt. Nicht über das Alter reden zu können
oder zu wollen, ist relativ verständlich, wei l die Endlichkeit
des Lebens allgegenwärtig ist.
FRÜHZEITIGE PLANUNG Johannes Gorschlüter von Promedica Plus rät Kindern, rechtzeitig nnit den Eltern über das Thema Pflege im Alter zu sprechen
APRIL 2016 ~ MÜNSTER! I 67
M ! : Kann ich mich und meine Eltern auf
den Notfall vorbereiten?
JG: Sprechen Sie mit Ihren Eltern bei
spielsweise mal über den Hausarzt, fra
gen Sie nach dem Namen und ob sie
mi t ihm oder ihr zufrieden sind. Und
ob er Hausbesuche macht, das ist ge
rade i n der Stadt heute nicht immer üb
l ich. Im Alter geht es vor al lem um so
ziale Netzwerke, die sollte ich als K ind
kennen. Also: Wer sind die engsten
Freunde, wie erreiche ich sie, wo woh
nen sie, kann
sich jemand
von ihnen im
Not fa l l küm
mern? Denn
in den we
nigsten Fäl
len lebt man
ja noch in
der Nähe der Eltern und kann sofort
zur Stelle sein. Wenn jemand alleine
wohnt und krank ist, gehört in diese
Wohnung unbedingt ein Hausnotruf,
damit die Hi l fe w i rk l i ch auf Knopf
druck kommt. Ansonsten gi l t es, gut zu
beobachten, ob sich etwas verändert,
sowohl was die Hygiene, aber auch was
Verhaltensweisen betrifft, um zum Bei
spiel Demenz frühzeitig zu erkennen.
Wenn meine Mut ter sagt, ihr fällt ein
Name nicht ein, ist das meist harmlos.
»DAS SCHLIMMSTE FÜR
ÄLTERE MENSCHEN IST
ES. DAS GEWOHNTE ZU
VERLIEREN.«
das passiert mir auch ständig. Aber De
menz ist so breit gefächert, da gibt es
viele Nuancen. Im Ernstfall sollte man
zur Demenzsprechstunde eines Fach
arztes gehen, um das defini t iv abklären
zu lassen.
M ! : Wie sieht es mit Patientenverfügun
gen aus?
JG: Das ist auf jeden Fall zu empfehlen.
Wich t ig ist dann aber, dass man die
Unterlagen zuhause so lagert, dass sie
der Rettungs
dienst im
Not fa l l direkt
findet, am
besten an der
Haustür. Auf
jeden Fall
sollte man
die Hinweis
karte wie einen Pass immer bei sich tra
gen. Vorsorge ist immer die beste Für
sorge: Ein Notfal l -Ordner mi t weiteren
Informationen bietet eine sinnvolle Er
gänzung dazu.
M ! : Wenn nun feststeht, dass die Eltern
betreut werden müssen, welche Möglich
keiten habe ich?
JG: Bleiben wir bei dem Beispiel mi t
dem Oberschenkelhalsbruch: Manche
Krankenhäuser bieten nach dem Auf
enthalt eine angeschlossene Kurzzeit
pflege an oder vermit te ln ggf. direkt
i n ein Heim, aber die allermeisten Se
nioren wol len einfach nur nach Hause.
Das Schlimmste für ältere Menschen
ist es, das Gewohnte zu verl ieren. Für
Angehörige bedeutet Pflege zuhause
meist puren Stress, den sich nicht jeder
antun kann oder w i l l . Ein Pflegedienst
kann und soll natürlich Aufgaben über
nehmen, zum Beispiel waschen und
füttern oder Spritzen geben, etwa bei
Diabetes. Oft reicht das aber nicht. Da
her sollte i n einem Beratungsgespräch
geklärt werden, wie groß der Bedarf ist
und was davon die Pflegekasse über
nehmen kann.
M ! : Oft heißt es: »Dann hole ich mir eine
Polin ins Haus«...
JG: Das Thema osteuropäische Betreu
erinnen gewinnt in der Tat an Raum,
wobei viele nicht darüber sprechen
wol len. W i r haben hier eine Schwarz
arbeitsquote von weit über 8o Pro
zent. Manche Frauen aus Osteuropa
kommen mit ihren Freundinnen oder
Verwandten und wechseln sich dann
ab. Diese Frauen sind i n der Regel als
Scheinselbstständige angestellt, sie be
kommen ihr Geld von der Familie, zah
len aber keine Abgaben.
WICHTIGE INFOS
Promedica Plus Münster: www.promedicaplus.de/muenster
Pflegestützpunkt der Stadt Münster inn Infornnationsbüro Pflege:
(Gasseistiege 13, 4 8 1 5 9 Münster) www.muenster.de/stadt/pflege
Institutsambulanzen: www.muenster.de/stadt/pflege/demenz_diagnostlk.html
Tipps der Verbraucherzentrale: www.Yz-nrw.de/betreuungskraefte
Stiftung Worentest »Spezial Pflege«, Juni 2015:
www.test.de/shop/Yersicherungen/finanztest-spezial-pflege-fs0069/
M ! : Und ich als derjenige, der sie be
schäftigt, muss ebenfalls Strafe zahlen,
wenn ich erwischt werde. Wie kann ich
mich als Angehöriger davor schützen, in
eine Falle zu tappen?
JG: Als Faustregel gi l t , wer für eine
Rund-um-die-Utir-Betreuung deutl ich
unter 2000 Euro im Monat zahlt, steht
mi t einem Bein im Gefängnis. Der An
bieter sollte alles offen legen können,
sämtliche Kosten, Verträge, Sozialver
sicherung. Wenn ich direkt jemanden
anstelle, b in ich Arbeitgeber, mit allem,
was dazu gehört: Mindest lohn, Steuern
und Sozialversicherung.
M ! : Wie läuft das bei Ihnen ab?
JG: Ich führe mit der Familie ein aus
führliches Gespräch vor Ort und be
ziehe auch die Senioren und ihre Wün
sche mi t ein. Die Verträge schließt die
Familie mi t uns, wir suchen eine pas
sende Betreuerin aus. Unsere Betreu
ungskräfte, die alle fest angestellt sind,
haben verschiedene Sprach- und Qua
lifikationsniveaus, am Ende ist aber
das Allerwichtigste, dass die Chemie
stimmt. Die meisten bleiben im Schnitt
zwei Monate, dann gibt es einen Wech
sel. W i r zahlen den Mindest lohn und
achten darauf, dass die notwendigen
Pausen eingehalten werden. M !
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