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Ampelmännchen und Todesschüsse Eine Bücher- und Medienkiste zum Thema DDR im Unterricht Inhalt Medienliste „Ampelmännchen und Todesschüsse Handreichung zur Medienkiste Günter K. Schlamp © 2008-12 LAG Schulbibliotheken in Hessen e.V. Stand 16.01.2012

Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

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Ampelmännchen und Todesschüsse

Eine Bücher- und Medienkiste zum Thema DDR im Unterricht

Inhalt

Medienliste „Ampelmännchen und Todesschüsse

Handreichung zur Medienkiste

Günter K. Schlamp

© 2008-12 LAG Schulbibliotheken in Hessen e.V.

Stand 16.01.2012

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Ampelmännchen und Todesschüsse

Eine Bücher- und Medienkiste zum Thema DDR im Unterricht

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„Und hätte es eher Kopiergeräte gegeben, die DDR wäre fünf Jahre früher zusammengebrochen.“ Sarah Kirsch, Kuckuckslichtnelken, S. 98

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Ampelmännchen und Todesschüsse Ein Medienpaket zum Thema SED-Diktatur

3x Kleine Geschichte der DDR von Ulrich Mählert, München: C.H.Beck, 207 Seiten, 5., überarbeitete Auflage 2007 978-3406475504 Gut lesbar, sehr präzise

2x Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971 – 1989 von Stefan Wolle, Bonn 21999 Das Buch ist leider beim Verlag Chr. Links und bei der Bundeszentrale f. politische Bildung vergriffen. Eine hervorragende Studie. Sie ist verständlich geschrieben, alltagsgeschichtlich orientiert. Die Kapitel eignen sich gut für vielfältige Fragestellungen. Es ist unverständlich, warum dieses Buch keine weitere Auflage erlebt.

2x Die DDR. Eine Dokumentation von Hermann Vinke Ravensburg: Ravensburger 2008, 256 S., 19,95

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Vinke erzählt die Geschichte der DDR mit vielen Fotos und Porträts (besonders lesenswert) von Politikern, Regimegegnern, Künstlern und Menschen, die die DDR, die Revolution, die Wiedervereinigung und den Aufbau Ost miterlebt haben. Eine Fülle an Materialien. Mehr Übersichtlichkeit und Beschränkung auf Wesentliches wären dem Buch bei einer Neuauflage zu wünschen.

2x DDR. Was stimmt? Die wichtigsten Antworten von Reiner Eckert Freiburg: Herder, 2007, 127 S., 7,90 978-3451057359 Leider sehr knapp, oft nur thesenartig, werden Behauptungen und Mythen entzaubert. Oder auf ihren belegbaren Kern zurückgeführt.

2x Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR von André Steiner (Buchhandelsausgabe bei dva 2004) Solide und gründlich, aber anspruchsvolle Lektüre. Aber wichtig, um die Mythenbildung von der angeblichen Vernichtung eines florierenden Industriestaates 1989/90 zu durchschauen. Leider kein Glossar

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2x Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit von Richrad Schröder, 254 Seiten Freiburg: Herder 22007, 978-3451296123 Richard Schröder prüft die Klischees und Mythen der Nachwendezeit: War die DDR wirklich pleite? Ist die Treu-hand schuld am Untergang der DDR-Wirtschaft? Kolonisiert der böse Westen den undankbaren, larmoyanten Osten? Er zeigt, wie je nach politischer Ideologie mit geschickten Interpretationen von Zahlen schlechte Stimmung gemacht wird. Schröder belegt: Das Fass ohne Boden hat im Boden ein Rohr, da fließt einiges in den Westen zurück, und gar nicht knapp." Ebenso akribisch belegt Schröder, wie und warum die Treuhand 1994 die Privatisierung der maroden DDR-Wirtschaft mit dem gigantischen Minus von 250 Milliarden DM abschloss (die darin verrechneten Gesamteinnahmen betrugen 68 Mrd.) und fragt, wie manche dieses Ergebnis als „gigantisches Profitieren des Westens" erklären können. Im Abschnitt über die Sanierung der ostdeutschen Wirtschaft wird auch beschrieben, wie um auf durchschnittlich nur 18 Prozent Arbeitslosigkeit zu kommen, eine ungeheure Menge an Arbeitsplätzen völlig neu geschaffen werden musste. Vor allem aber belegt das Buch, wie gigantisch die Leistungen, wie erstaunlich die Erfolge der deutschen Wiedervereinigung tatsächlich sind, wenn man sie nicht an Idealwünschen, sondern an den überwundenen realen Problemen misst.

Gefangen in Hohenschönhausen. Stasi-Häftlinge berichten von Hubertus Knabe München: List 2007, 382 Seiten, 978-3548607412, 8,95 € Oft reichte ein kritisches Wort, ein »verdächtiger« Lebenslauf oder die Denunziation des Nachbarn: Immer wieder wurden in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR missliebige Personen kurzerhand festgenom-men und ohne rechtsstaatliches Verfahren inhaftiert. Die Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen war das zentrale Stasi-Untersuchungsgefängnis der DDR. In diesem Buch schildern zahlreiche Gefangene die Haftbedingungen, die Verhöre und den psychischen Druck, dem man als Häftling ausgeliefert war. Knabe gilt als kämpferischer Autor, der das Unrechtssystem der DDR überbetone. Vor allem für die ehemaligen MfS-Mitarbeiter ist er ein rotes Tuch.

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Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit von Karin Hartewig Chr. Links, 2004, 272 Seiten, 19,90 978-3861533429 Die Stasi hat über 1,2 Millionen Fotos hinterlassen hat. Ein unglaublicher technischer und personeller Aufwand wurde für die Verfolgung und Bespitzelung der Bürger betrieben.

2x Als noch Osten war von Udo Hesse (Text und Fotos) Berlin: Berlin Story; veränd. Neuaufl. 2007, 80 Seiten, 19,80 978-3929829495 Hervorragende Fotos aus Berlin, aus denen man mehr über die DDR erfährt als aus manchem Text.

DJ Westradio. Meine glückliche DDR-Jugend von Sascha Lange Berlin: Aufbau-Verlag, 2007, 202 S., 16,90 978-3351026455 Zeitlicher Schwerpunkt sind dieser Erzählung von einer Jugend in Leipzig zwischen Punks und Faschos, den Ärzten, Depeche Mode und Bravo-Kopien sind die späten 80er. Der erste Kuss ist wichtiger als die Weltrevolution. Anders als Hensel ein gelassener Blick zurück. „Schön, dass es weitergeht. Mal sehen, was noch kommt“ sind die Schlusssätze.

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Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose von Rebecca Menzel Berlin: Links, 2004, 198 S., 14,90, 978-3861533351, vergriffen! Sie war Anlass für Schulverweise und politische Grundsatzdiskussionen, Erkennungsmerkmal für Beat-Fans und Freiheitsliebende. Nach harten Auseinandersetzungen in den 50ern und 60ern setzte in den pragmatischeren 70er Jahren die Produktion DDR-eigener Jeansmarken ein. Allerdings ging sie buchstäblich in die Hose: Nicht nur am Modegeschmack, sondern auch wegen Baumwollengpässen und schlechten Färbemitteln erhitzten sich die Gemüter. Pars pro toto: 40 Jahre Kampf und Krampf wegen einer Hose.

2x Stasiland von Anna Funder und Harald Riemann Frankfurt: Fischer 2006, 978-3596167463 Die Australierin Anna Funder sucht Spuren der SED-Diktatur. In ihren Reportagen und Interviews wird das alltägliche Leben in der SED-Diktatur erfahrbar.

Das schweigende Klassenzimmer. Eine wahre Geschichte über Mut, Zusammenhalt und den Kalten Krieg von Dietrich Garstka München: Ullstein, 2006, 18,00 €

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Eine Abiturklasse in Storkow/Brandenburg legt 1956 im Geschichtsunterricht spontan Schweigeminuten zum Gedenken des gerade gescheiterten ungarischen Volksaufstandes ein. Dieser Vorfall versetzt die SED in große Unruhe. Ein halbes Jahr vor dem Abitur wird die Klasse der Schule verwiesen. Der Verfasser ist einer der 20 Schüler.

Die Schleife an Stalins Bart. Ein Mädchenstreich, acht Jahre Haft und die Zeit danach von Erika Riemann München: Piper 2006, 253 S., 8,90 978-3492261654 Mit vierzehn Jahren, im Herbst 1945, begeht Erika Riemann einen Fehler, der sie um ihre Jugend bringt. Mit ein paar Freunden besichtigt sie die neue Schule, die nun von einem Stalinporträt geziert wird. Zum Spaß bemalt sie Stalin mit Lippenstift - und wird dafür acht Jahre ins Gefängnis gesteckt.

So lachte man in der DDR. Witze und Karikaturen München: Heyne 2001, 155 S., 5,95 978-3453191143 Die DDR hatte eine „blühende Witzkultur“ (Stefan Wolle). Viele Witze sind heute erklärungsbedürftig. Jugend im Visier der Stasi von Gabriele Schnell Hrsg v. d. brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, 2001, als pdf unter http://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/stasi.pdf zu finden. Eine besondere Zielgruppe des MfS waren Jugendliche. Hier sind mehrere „Fälle“ dokumentiert. Stasi-Stücke von Petra Saar und Marion Wagner Hrsg. v. Bundesbeauftragten f. d. die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Erfurt 2004 Szenische Umsetzungen von Fällen aus den MfS-Akten zum Lesen und Nachspielen

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Todesautomatik. Die Staatssicherheit und der Tod des Michael Gartenschläger von Lothar Lienicke und Franz Bludau Frankfurt/M: Fischer 22008, 349 S., 10,95 9783596159130 Michael Gartenschläger liebte Rock´n Roll, insbesondere Ted Herold. Er besuchte vor dem Mauerbau gerne die West-Berliner Kinos und Plattenläden. Wegen seines Protestes gegen den Mauerbau wird er zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er sitzt 12 Jahre in DDR-Zuchthäusern, bevor er an die Bundesrepublik verkauft wird. Sein Hass auf die DDR geht so weit, dass er Selbstschussgeräte an der innerdeutschen Grenze abmontiert, von denen die SED behauptet, sie wären Attrappen. Bei einem weiteren Demontageversuch wird er von einem Stasi-Kommando erschossen.

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Erzählende Literatur

4x Meine freie deutsche Jugend von Claudia Rusch Frankfurt am Main: Fischer, 2. Aufl. 2005, 176 S, 7,95€ 978-3596159864 Auch als Hörbuch erhältlich, von der Autorin gelesen, 2 CD, 144 Minuten Wie man in der DDR aufwuchs und ohne rechte Überzeugung Mitglied in den staatstragenden Jugendorganisationen wurde, weil man einen höheren Schulabschluss machen wollte.

2x Die neuen Leiden des jungen W. Von Ulrich Plenzdorf Frankfurt am Main: Suhrkamp 52. Aufl. 2004 (1972), 6,00 € 978-3518368008 Der Titel nimmt Bezug auf Goethes Werther. Der Held liebt ebenfalls vergeblich eine verheiratete Frau. Als Theaterstück und Buch in beiden deutschen Staaten in den 70er Jahren, in Westdeutschland auch als Film, ein Riesenerfolg.

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Achtung: Die Schulausgabe bei Beltz hat ein anderes Cover!: 4x Krokodil im Nacken von Klaus Kordon München: dtv 2005, 795 S., 10,00 € 978-3423134040 Der Jugendbuchautor Kordon erzählt von Kindheit und Jugend in der Osthälfte Berlins. Die 50er und 60er Jahre, Alltag und Stasi-Knast werden sehr konkret. Es ist zwar dicker Wälzer, aber wenn man sich erst einmal festgelesen hat… Besser als manches Geschichtsbuch! Es wird deutlich, wie sehr der Alltag vom Herrschaftsanspruch der SED durchdrungen war.

4x Die wunderbaren Jahre von Reiner Kunze Frankfurt: Fischer, 31. Aufl.(1976) 128 S., 6,69 € 978-3596220748 Aus Gesprächen, die Reiner Kunze mit Schülern, Lehrlingen, Arbeitern und Soldaten der Nationalen Volksarmee führte, und aus Erfahrungen mit seiner eigenen Tochter entstanden diese Prosatexte, in denen er mit knappen, lakonischen Worten den (Schul-)Alltag von Jugendlichen in der DDR treffend schildert.. Der Sportunterricht begann mit "Stillgestanden" und "Rührt Euch“. Dies und noch schlimmere Sachen erzählt der Autor.

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An einem Freitag im Mai von Seidemann, Maria, Ellermann, 214 S., 1997, 978-3770730513 Zzt vergriffen. Das Buch wurde antiquarisch erworben Vierzehn Jahre ist Hanna, als ihr Vater, der DDR-Schriftsteller Klaus Herold, nach einer Lesung verhaftet, ausgebürgert und in die Bundesrepublik abgeschoben wird. Die Potsdamer Autorin Maria Seidemann erzählt anschaulich ein Stück Zeit- und Familiengeschichte vor dem Hintergrund des Jahres 1989. Nachgetragen: Weggesperrt von Grit Poppe, Dressler, 2009, 330 S., 9,95 € Nach Gesprächen mit Zeitzeugen entstand diese Geschichte über den Leidensweg einer Jugendlichen durch Heime und „Jugendwerkhöfe“. Eines der gerne tabuisierten DDR-Themen: Jugendliche wurden schon aus nichtigem Anlass ohne Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze auf unbestimmte Dauer in offene oder geschlossene Anstalten gebracht, psychiatrisch behandelt, gedemütigt und geschlagen. Ihre Ausbildung wurde vernachlässigt, so dass sie in der Regel später nur noch Hilfsarbeiterjobs bekamen.

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Multimediale Dokumentationen Jeder schweigt von etwas anderem Regie Marc Bauder, Dörte Franke, www.gmfilms.de, 72 Minuten Dokumentation über ehemalige Gefangene des DDR-Regimes, die vom Westen freigekauft wurden. Drei deutsche Familiengeschichten aus der geschätzten Zahl von 250.000 politischen Gefangenen der DDR. Wie können die schon im Westen aufgewachsenen Kinder mit ihren Eltern über das damalige Geschehen Reden? Als die Eltern für ihre "falschen" Gedanken und ein paar verbotene Bücher ins Gefängnis gesteckt wurden, bedeutete dies auch für die Kinder Trennung, Repression und Angst. Bei allen sitzen die Verletzungen aus dieser Zeit tief und darüber zu schweigen ist leichter, als alte Wunden aufzureißen. Drei eindringliche Dokumentationen, die das verkitschte DDR-Bild einiger Spielfilme wieder etwas zurechtrücken. Mit ausführlichem didaktischem Begleitmaterial und einem MfS-Schulungsfilm. Denkbar ist, arbeitsteilig die drei Beiträge zu erarbeiten, Filmlänge jew. ca. 24 Min.. Wenn nur ein Fall bearbeitet werden soll: Anne Gollin Auf den Spuren einer Diktatur. Die DDR am Ende 3 DVDs, 80 Beiträge des rbb-Magazins Kontraste 1987 – 2001, mit einer lesenswerten Begleitbroschüre Bestellnr. 1890, Bundeszentrale f. pol. Bildung Es geht um den Untergang der DDR und die „Wende“: Über die neuen Karrieren der Stasi-Mitarbeiter, Strafvollzug in der DDR, Stasi-Akten, Protesbewegung, die Entschädigung für die Opfer und die Erhö-hung der Renten für Stasi-Mitarbeiter/innen,,, 1. Aufbruch im Osten - Geheime Videos und mutige Bürger (1987-1989). 2. Wendezeiten - Das Ende von Mauer, Macht und Staatssicherheit (1990-1991). 3. Alles schon vergessen? - Das Verdrängen der Vergangenheit (1992-2001): DDR-Geschichte in Augenblicken, von Jugendweihe bis Biermann-Ausbürgerung Sendungen des rbb, Radio Eins, apparat multimedia GmbH, Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur 2 Audio-CDs, 1 Materialien-CD 20 Ereignisse oder Personen der Zeitgeschichte, mit Interviews: Die Kaffekrise, Kinder als Grenzopfer, Peter Fechter, Jugendweihe, die Schulklasse von Storkow, Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung, die Erfindung des Goldbroilers, Enteignungs-Aktion Rose (!) u.a. Damals in der DDR. Zeitzeugen erzählen ihre Geschichte DVD 2006, mdr, Bundeszentrale für pol. Bildung, Bestellnr. 1894 80 Zeitzeugen, Interviews, Videos, Fotografien und historische Filmsequenzen aus vier Jahrzehnten. Man kann sich die Zeitzeugen nach Themen, z. B. Frauenemanzipation, sozialistische Erziehung, aussuchen und abspeichern. Sehr sehenswert: Ein Agitationsfilm der SED gegen das Sündenbabel West-Berlin. (Material 50er Jahre)

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Internet Suchmaschine zur DDR www.ddr-suche.de/ anscheinend seriös, da bei ZOL gelistet Ein DDR-Lexikon nach Wiki-Prinzip www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl anscheinend seriös, obwohl die die Autoren fast alle mit Pseudonym arbeiten und die Domain im Nachbarland Polen registriert ist. Fotoausstellung: „Der staatsfeindliche Blick“ www.ddr-bilder.de/ Vom Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Mehrere DDR-Themen bei „Planet Wissen“, Mediathek von wdr, SWR, BR Alpha www.planet-wissen.de/pw/Artikel,,,,,,,C6986E2A9E1A6C6AE030DB95FBC32F3B,,,,,,,,,,,,,,,.html Umfangreiches SPIEGEL-Dossier www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,532041,00.html www.jugendopposition.de Von der Bundeszentrale f. pol. Bildung und der Robert-Havemann-Gesellschaft Fotos http://ddr-fotos.de/Liste.htm http://www.runde-ecke-leipzig.de/cms/?id=250 Die “Runde Ecke“, das Dokumentationszentrum in der ehem. Leipziger Stasi-Zentrale hat eine Datenbank online gestellt, in der 1500 Objekte fotografiert und erläutert werden. Man muss mal stöbern, z. B.: “Postkontrolle”, “Schminken”, “Geruchsprobe”.

Mediathek der BZpB (Stichwort „DDR“) http://mediathek.bpb.de/vocabulary.jsp Eine Fülle von Beiträgen, meist aus „Kontraste“, downloadbar Google wirft nach Eingabe von „DDR“ 140.000.000 Millionen Seiten aus. Um am Datenmüll nicht zu ersticken und um nostalgischen DDR-Verklärern nicht auf den Leim zu gehen, reicht es, sich an den teilweise hervorragenden Dokumentationen von Museen und Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender zu orientieren.

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Für die Hand der Lehrerin / des Lehrers Reiz der Idee, Pleite der Praxis. Ein deutsch-deutscher Wirtschaftsvergleich von Werner Obst Der Wirtschaftsexperte des DDR-Ministerrats verließ die DDR 1969 und schrieb dieses Buch 1983. Es ist für die S I leider nicht ganz einfach zu lesen, enthält zahlreiche Tabellen und sehr viele Zahlen. Es liefert aber auch konkrete Details zur Zentralverwaltungswirtschaft, zur Parallelgesellschaft der Nomenklatura und zu den Einkommensver-hältnissen in der DDR. Mit überraschenden Vergleichen zur damaligen BRD. Aktuelle Materialien zu letzterem sind kaum vorhanden. Eine Erhebung zu den Sparkonten aus Anlass des Geldumtauschs 1990 ist nach Aussage eines Berliner Politikprofessors in einer Veranstaltung in Potsdam „verschwunden“. Laut dieser Erhebung besaßen 10% der DDR-Bürger 60% des auf den Sparbüchern eingetragenen Geldes. Exakt die Verteilung, die in Westdeutsch-land für die Verteilung des Gesamtvermögens gilt. Die Broschüre ist bei Antiquariaten auf der Amazon-Website für 1 Cent plus Versandkosten erhältlich.

Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR von Hans-Joachim Maaz 243 S., Argon Verlag; 2. Aufl. (1990), 978-3870247096, nur noch antiquarisch! Erfahrungsbericht eines Psychiaters über seine Arbeit und sein Leben in der DDR. Er macht erschreckend deutlich, wie die Repression der SED bis in die Familien und Individuen hinein wirkte. Es enthält zudem eine hervorragende Analyse der Ereignisse vor während und nach der „Wende“, die Maaz in Anführungszeichen setzt. Sicher reicht eine psychoanalytische Betrachtungsweise, die alles Handeln auf Kindheitstraumata zurückführt, nicht aus. Maaz arbeitet wohl auch eigene Traumata ab. Er hat das Buch in drei Monaten „wie im Fieber“ geschrieben.

Zensurspiele. Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR von Simone Barck und Siegried Lokatis Halle: Mitteldeutscher Verlag 2008, 296 S., 9783898125390

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Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR von Ilko Kowalczuk, München: Beck 2009, 602 S., 978340658357 5 Gut lesbare Darstellung. Angesichts der wachsenden Schönfärberei wichtige Erinnerung an die wirtschaftlichen und sozialen Zustände und die Entstehung der heterogenen Oppositionsgruppen.

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Weitere empfehlenswerte Materialien Eine kommentierte Spielfilmliste: www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Start/Index/id/593832

Das Leben der Anderen 2005, 133´, Regie Florian Henckel von Donnersmarck, freigegeben ab 12; ich hätte eher 16 empfohlen. Die DDR Mitte der 1980er Jahre: Ein mächtiger Minister, der eine gefeierte Theaterschauspielerin anmacht, will deren Lebens-gefährten, einen angesehenen Dramatiker, aus dem Weg schaffen. Ein Abhörspezialist der Stasi soll deshalb in einem "opera-tiven Vorgang" die Loyalität des Staatsdichters prüfen, verwanzt die Wohnung des Paares und hofft auf regimekritische Äuße-rungen. Dabei gerät er aber in seinem Glauben ans System selbst zunehmend ins Wanken. Ein Begleitheft gibt es bei der Bundeszentrale f. pol. Bildung

Der Rote Kakadu 2006,128´, Regie Dominik Graf, FWU-04602383, bei Bildstellen/Medienzentren ausleihbar, Freigegeben ab 12; ich hätte eher 16 empfohlen. Im "Roten Kakadu", einem legendären Tanzlokal in Dresden, wird zu westlicher Musik wild gefeiert und getanzt. Luise, eine junge Dichterin und überzeugte Sozialistin, und ihr lebenslustiger Ehemann Wolle gehören zur Rock 'n' Roll-Szene. Als die Volkspolizei einer Tanzveranstaltung im Park gewaltsam ein Ende setzt, lernt Luise den 20-jährigen Bühnenmaler Siggi kennen, der sich in die Lyrikerin verliebt. Siggi findet schnell Anschluss an die Kakadu-Clique, deren Treiben zunehmend ins Visier der Stasi gerät. Als es zum Prozess gegen die Kakadu-Clique kommt, stellt sich für die Freunde einmal mehr die Frage: Weggehen oder bleiben? Rückblickend aus der Perspektive Jugendlicher schildert Regisseur Dominik Graf in seinem Film ein Stück Lebensgeschichte aus der DDR kurz vor dem Bau der Berliner Mauer 1961. Es geht auch um das Lebensgefühl und die Zukunftspläne junger Menschen, so dass den heutigen Jugendlichen zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten geboten werden und die Bereitschaft befördert wird, sich mit der DDR-Geschichte intensiver zu befassen. Es gibt eine DVD „Der rote Kakadu – Filmausschnitte und Informationsmaterial für den Unterricht, 36´, FWU 04602384. Das Filmheft der Bundeszentrale liegt (nicht in allen Medienkisten) bei (http://www.bpb.de/publikationen/1B80MJ,0,Der_Rote_Kakadu.html ). Besonders brauchbar im Film oder auf der Arbeits-DVD: Die Eingangsszene: Vopo knüppelt auf Rock´n Roll-Fans ein (Clip VTS_01_1)

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Karla DDR 1965/1990, Regie Herrmann Zschoche Karla tritt nach Abschluss der Universität mit großen Ambitionen eine Lehrerstelle in einer Kleinstadt der DDR an. Sie möchte den Kindern nicht nur Fakten vermitteln, sondern sie zu selbständigem Denken anregen. Mit dem Direktor versteht sie sich anfangs recht gut. Doch ihre Ideale stoßen auf Unverständnis - auch bei den Schülern, die längst wissen, was zu sagen ist und was man besser verschweigt. Ihr unkonventionelles Verhalten, sie hat auch noch eine Beziehung zu dem "Aussteiger" Kaspar, fällt unangenehm auf. Nach einer Niederlage passt sich Karla an. Kurz vor dem Abitur begehrt sie jedoch auf, sagt ihren Schü-lern die Meinung. Am Ende des Schuljahres wird sie in eine andere Schule versetzt. Die Kündigung DDR 1982 Regie Edgar Kaufmann Eine ehemalige Lehrerin, jetzt beim Rat des Kreises für Volksbildung zuständig, hospitiert bei einer jüngeren Kollegin und ist entsetzt: Statt eigener Meinungen geben die Schüler nur auswendig gelernte Phrasen von sich. Sportsfreund Lötzsch 2008, Regie Sandra Prechtl/Sascha Hilpert Ein erfolgreicher Radprofi, der sich nicht der SED unterwirft und dafür büßen muss. Seine Stasi-„Betreuer“ sind heute erfolgreiche Geschäftsleute, Lötzsch ist arbeitslos. Die TV-Produktion „Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“ wird sehr gelobt. (DVD, 17.95 € (Ich habe sie noch nicht gesehen.)

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Die Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de/ hat sehr gute Materialien. Sie werden z.T. ausführlich auf der Website vorgestellt. Insbesondere: Feindbilder. Fotos und Videos der Stasi DVD. Ein Film von Holger Kulick, 2006 Bestellnr. 1900, 6,00 € Mehr als eine Millionen Fotos und Negative, Filme und Videobänder finden sich in den Archiven der DDR-Staatssicherheit – ein bislang kaum gehobener zeithistorischer Schatz. Der 17. Juni 1953 CD-ROM 2003 Bestellnr. 1804, 4,00 € Identisch mit www.17juni53.de Antisemitismus in der DDR Von Thomas Haury Die SED leugnete jede Mitschuld des deutschen Volkes am Nationalsozialismus und an der Vernichtung der euro-päischen Juden und lehnte es 1952/53 ab, arisiertes jüdisches Vermögen rückzuerstatten. Mit seiner Untersuchung belegt Haury, dass die Grundstrukturen des kommunistischen Weltbildes denen des Antisemitismus sehr nahe sind. Informationen zur politischen Bildung, insbesondere Heft 250 Der Weg zur Einheit Heft 270 Gesellschaft und Alltag in der DDR Das im Bücherschränkchen vorhandene Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR gibt es auch als Lizenzausgabe der Bundeszentrale. Auch die Landeszentralen für politische Bildung, die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur www.stiftung-aufarbeitung.de/service_wegweiser/ddr-unterricht.php und die BStU-Dienststellen (Stasi-Unterlagen-Behörde) haben hervorragendes Material, z.T. auch Unterrichtsvorschläge. Mehrere Landeszentralen haben: Zersetzen. Strategie einer Diktatur von Sandra Pingel-Schliemann. Mindestens als Hintergrundinformation, wie das MfS Menschen terrorisierte, für die Lehrkräfte sehr brauchbar. Die BStU (Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen) unterstützt Schüler/innen mit einem Bildungsangebot zu Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Ansprechpartner für Schulen aus den alten Bundesländern: Bundesbeauftragter f. d. die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Abteilung Bildung und Forschung Karl-Liebknecht-Str. 31/33 10178 Berlin 030 2324-50030 2324 8914, [email protected] In den neuen Bundesländern stehen auch die regionalen BStU-Dienststellen zur Verfügung.

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Die BStU-Dienststelle in Erfurt hat eine hervorragende Dokumentation zur flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung mittels „konspirativer Wohnungen“: www.stasi-in-erfurt.de/07-KW-Suche-online.htm Wirtschaft in der DDR DVD, Laufzeit 52 min FWU www.fwu.de 22 Filmsequenzen, 16 Bilder, Arbeitsmaterial Medienzentrenlizenz 295,00 EUR, Schullizenz 135,00 EUR Einzellizenz 20,00 EUR (wer die DVD zu diesem Preis erwirbt, ist nicht berechtigt, die auf der DVD enthaltenen Filme öffentlich aufzuführen) DDR - was war das? Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur www.stiftung-aufarbeitung.de DominoFilm, Berlin 2006, 7,50 Euro. Die DVD beinhaltet 7 Filmbeiträge mit einer Länge von jeweils ca. 10 Minuten. Diese Filmbeiträge sind als Anregung zur Beschäftigung mit verschiedenen Themen der DDR-Geschichte konzipiert. Die Schüler erhalten mittels Zeitzeugeninterviews, Originalbeiträgen aus dem DDR-Fernsehen, Animationen und Musik einen ersten Eindruck, der sie zu weiteren Fragen und einer intensiveren Beschäftigung mit dem Thema motivieren soll. Sechs der Filmbeiträge widmen sich konkreten Aspekten der DDR-Geschichte, an die es für viele Schüler auch heute noch Anknüpfungspunkte gibt. Außerdem enthält die DVD Arbeitsmaterialien zu jedem Thema. 50 Jahre in 50 Tagen, Erinnerungen für die Zukunft ndr1, Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, www.stiftung-aufarbeitung.de 50 Kurzbeiträge, von 1949 bis 1999 für jedes Jahr einen, mit Originalaufnahmen, z.B. Ulbricht über die Beatles: „Müssen wir jeden Dreck mitmachen?“ (1965) Der Fall der Mauer Spiegel TV Nr. 9, DVD-Video, Spiegel TV Hamburg Die Ulbricht-Attentäter von Steinbach. Eine Fiktion der Stasi Ein Film von Michael Erler, Sendung vom 08. Januar 2008, MDR 1972 wurden in einem Geheimprozess fünf Männer wegen eines geplanten Attentats auf den Staatschef der DDR, Walter Ulbricht, zu zehn bis 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie haben ihre Strafen abgesessen, auch wenn es ein solches Attentat nur in den Augen der Ermittler gegeben hat. www.mdr.de/doku/archiv/geschichte/122816.html Die Dokumentation kann gegen Gebühr bestellt werden: TELEPOOL GmbH Leipzig, Programmverwertung, Altenburger Str. 9, 04275 Leipzig Telefon: 0341 / 3500 3606, Fax an: 0341 / 3500 3616, E-Mail: [email protected] Internet: www.mdr.de/unternehmen/4630814.html

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Leider vergriffen, sehr lesenswert: (Nicht im Verbundkatalog der öffentlichen Bibliotheken Brandenburgs. In Berlin gibt es 1 Exemplar in der Zentral- und Landesbibliothek. Im Antiquariatshandel ca. 60 €!!)

Stasi auf dem Schulhof hrsg. v. Klaus Behnke und Jürgen Wolf, München: Ullstein 1998, 347 S., 978-3548332437 Rund sechs Prozent der 173 000 inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren im Jahr 1989 unter 18 Jahre alt. Sie wurden zur Bespitzelung ihrer Mitschüler und Freunde eingesetzt. Das Buch enthält Falldarstellungen der ehemaligen jugendlichen Stasimitarbeiter und ihrer Opfer.

Die unglaubwürdige Gesellschaft. Quo vadis DDR? von Franz Loeser Köln 1984 978-3766308764 Loeser war Philosophieprofessor in Ost-Berlin und hoher SED-Funktionär. Sein Buch ist ein Insiderbericht über die haarsträubende Herrschaftspraxis der SED. Er flüchtete 1983. Dennoch glaubte er an einen demokratischen Sozialismus ohne die „entartete“ Herrschaft eines Parteiapparates. VEB Nachwuchs. Jugend in der DDR Hrsg. v. Peter Wensierski, Lothar Reese, Norbert Haase Reinbek 1983 Selbstzeugnisse und literarische Texte Null Bock auf DDR. Aussteigerjugend im anderen Deutschland von Peter Wesnierski und Wolfgang Büscher, Reinbek 1984 Ich habe „Nein!“ gesagt. Zivilcourage in der DDR von Marco Hecht und Gerhard Praschl, Berlin 2002

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Alle URLs angeschaut am 01.02.2008 Annotationen z. T. nach Verlagsinformationen und amazon.de 26 Buchtitel in 46 Exemplaren, davon 15x erzählende Literatur, 4 digitale Medien © 2008/2009 Günter Schlamp (Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Hessen e.V.)

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„Ampelmännchen und Todesschüsse“ Ergänzende Literatur für Schüler(innen) der Klassen 5-7

Die Flaschenpostvon Klaus KordonWeinheim: Beltz, 2009 – 9783407783783 – 6,95 €ab 10 J.Matze hofft insgeheim, dass seine Flaschenpost von der Spree bis nach Afrika oder Australien treibt. Doch dann antwortet ihm Lika aus Westberlin. Dem Teil der Stadt, der Matze so unbekannt ist wie ein fremdes Land. – "Mein Name ist Matthias Loerke", hatte Matze geschrieben. "Ich wohne in der Neuen Krugallee 72, DDR-1193 Berlin. Ich bin fast zwölf Jahre alt und gehe in die sechste Klasse. Wer diese Flaschenpost findet, soll mir schreiben. Ich

schreibe garantiert zurück." Als Lika aus Westberlin antwortet, ist Matze trotzdem nicht enttäuscht. Der westliche Teil der Stadt ist ihm nämlich so unbekannt wie ein fremdes Land. Nur seine Eltern sind von der Brieffreundschaft nicht begeistert; Ostberlinern kann der Kontakt zu Menschen im Westen schaden. Und auch die Westler haben so ihre Bedenken. Doch Matze und Lika haben ihren eigenen Kopf - und sie schaffen es sogar, sich zu treffen.

Die Lisa. Eine Deutsche Geschichtevon Klaus Kordon (Autor) und Peter Schimmel (Illustrator)Weinheim: Beltz, 2007 (Reihe: Minimax) – 9783407760579 – 5,95 €ab 7 J. Buchnotiz zu : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2002"Großartig gelungen" findet Rezensent Wilfried von Bredow dieses Kinder-buch, das fast hundert Jahre deutscher Geschichte anhand der Lebensge-schichte der 1899 in Berlin geborenen Lisa erzählt: zwei Weltkriege, wirt-schaftliche Not und politische Radikalisierung, Nazizeit, deutsche Teilung und

Wiedervereinigung. Vor zehn Jahren sei das Buch in einem anderen Verlag schon einmal erschienen, informiert der Rezensent. Damals habe es zwar viele Preise, aber nicht die verdiente Beachtung erhalten. Deshalb begrüßt er, dass es nun in neuer Aufmachung noch einmal aufgelegt wurde. Autor Klaus Kordon kommt für hundert Jahre Geschichte mit ganz wenigen Worten aus, was das Buch für den Rezensenten zu einem "Meisterstück an Zurückhaltung und Aussparung" macht. Die Eigenschaften des lakonischen und unsentimental geschriebenen Textes, so Bredow, kommen besonders gut "wegen des Kontrastes zu den üppig und detailreich" gestalteten, großformatigen Bildern von Peter Schimmel zur Geltung, welche die wichtigsten Stationen in Lisas Leben wiedergeben: "eindrucksvoll verdichtete Momentaufnahmen" eines privaten Lebens, dass von politischen Vorgängen geprägt und zum Teil zerstört werde. Diese Lisa, freut sich der Rezensent, ist kein Klischee, und was ihr zustößt, "macht uns mit ihr zusammen froh oder traurig". Perlentaucher.de

Grenzgebiete. Eine Kindheit zwischen Ost und Westvon Claire LenkovaGerstenberg, 2009 – 9783836952477 – 14,90 €ab 10 J.»Als ich ein Kind war, wohnten wir ganz nahe an der alten Grenze zwischen Deutschland und Deutschland. Mein Bruder und ich hatten einen Lieblings-platz, gar nicht weit entfernt von zu Hause. Das war der Generalsblick ...« Geteiltes Deutschland, Berliner Mauer, Montagsdemos, Wende und Wieder-vereinigung: All dies ist Geschichte. Warum können wir das Ende der deut-schen Teilung und den gemeinsamen Neubeginn feiern? Was war das über-

haupt für ein Land, die DDR? Dieser Sachcomic macht ein Stück deutscher Geschichte wieder lebendig. Claire Lenkova, in Sachsen und Bayern aufgewachsen, erinnert sich, wie es war als Kind in der DDR eine sehr persönliche Geschichte, in der sie auf Augenhöhe mit den jungen Lesern mit lakonischem Witz und genauer Beobachtungsgabe erzählt, warum es zur Teilung kam, wie es war, das Leben in der DDR, und wie ganz

Subjektive Literaturauswahl – LAG Schulbibliotheken / Projektbüro Schulbibliotheken (gb) – 11/2009

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„Ampelmännchen und Todesschüsse“ Ergänzende Literatur für Schüler(innen) der Klassen 5-7

langsam die Grenzen zwischen Ost und West überwunden wurden. Diese »erlebte Geschichte«, eine klassische Graphic Novel, wird durch grafisch hervorgehobene Sachinformationen ergänzt.

Fritzi war dabei. Eine Wendewundergeschichtevon Hanna SchottKlett-Kinderbuch, 2009 – 9783941411159 – 9,90 €ab 10 J.Diesen Spruch malt Fritzi auf ein Plakat, das ihre Mutter zur Demo mitnehmen soll. Fritzi ist neun und darf leider nicht mit. Für Kinder ist es zu gefährlich bei den Leipziger Montagsdemonstrationen, finden die Er-wachsenen. Aber Fritzi ist hartnäckig: Sie will unbedingt wissen, warum so viele Schulfreunde plötzlich nach Ungarn verschwunden sind und wieso ihre Eltern nach dem Fernsehgucken neuerdings immer streiten. Eines wird ihr

dabei immer klarer: Sie will keine Mauer mehr in der DDR haben.

Die Mauer ist gefallen. Eine kleine Geschichte der DDRvon Susanne Fritschedtv – Reihe Hanser, 2009 – 9783423624190 – 7,95 €ab 12 J.Wer den Mauerfall bewusst erlebt hat, ist heute erwachsen. Kinder und Jugendli-che kennen die DDR nur vom Hörensagen. Aber was hören sie? Und von wem? Was, zum Beispiel, denken sie, wenn sie Ostalgie-Shows im Fernsehen sehen? Die Autorin dieses Buchs war zehn, als die Mauer fiel. Sie erzählt die Geschichte der DDR von den Anfängen bis zum Ende 1989: vom Staat und seinen Bürgern, von großen Wirtschaftsplänen und Wahlen, die nicht wirklich welche waren, von

Mauerbau und Reiseregelungen und den Machenschaften der Staatssicherheit. Und sie erzählt von sich selbst, den zehn Jahren, in denen die Geschichte der DDR auch ihre eigene war: vom Sandmännchen und den Thälmannpionieren, von Mangelware, Westpaketen und der Timurhilfe. So ist ein besonderes Geschichtsbuch entstanden: sachlich und persönlich zugleich und von großer Anschaulichkeit.

Tine Eisenbeisservon Ira WedelJacoby & Stuart, 2009 – 9783941087668 – 14,95 €ab 14 J.Ostberlin 1989. Tines Vater ist bei der VP, ihr Bruder Maiki schwärmt für Militärparaden, ihre Mutter für Zimmerspringbrunnen, der Schuldirektor wirft Tine vor, sich gegen »die kollektive Weisheit der Partei« gestellt zu ha-ben, und Nils Tines erste große Liebe ist in den Westen gegangen. Die Men-schen der DDR gehen auf die Straße, und am Ende fällt wirklich die Mauer. Ein burlesker, autobiografisch gefärbter Jugendroman. – Pubertät ist schon Katastrophe genug. Wenn aber gleichzeitig eine Revolution stattfindet und

ein Land zusammenbricht, kann es ziemlich rasant werden. Tine Eisenbeisser findet ihre erste große Liebe in den letzten Wochen des kalten Krieges und verliert sie noch vor dem Fall der Mauer an den Westen. Die Er-eignisse überschlagen sich und Tine hat nur eines im Kopf Nils finden. Also macht sie sich noch in der Nacht des Mauerfalls auf in den Westen. Turbulent und humorvoll erzählt dieses Buch von einer Zeit zwischen Fah-nenappell, Mitessern und Begrüßungsgeld.

Subjektive Literaturauswahl – LAG Schulbibliotheken / Projektbüro Schulbibliotheken (gb) – 11/2009

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„Ampelmännchen und Todesschüsse“ Ergänzende Literatur für Schüler(innen) der Klassen 5-7

Mauerblümchenvon Holly-Jane Rahlensrororo rotfuchs, 2009 (Bd. 21498) – 9783499214981 – 12,95 €ab 13 J.NOVEMBER 1989. Zwei Wochen nach der Maueröffnung betritt Molly, Typ Mauerblümchen, die S-Bahn in Richtung Ostberlin zum Geburtshaus ihrer Mutter. Auf der Strecke zwischen S-Charlottenburg und U-Schönhauser Allee begegnet die junge Deutsch-amerikanerin dem Ostberliner Schauspielstudenten Mick. Und beide müssen feststellen, dass noch viele unsichtbare Mauern fallen müssen? auch in ihnen selbst. «Mauerblümchen» ist die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick und

einer Reise in ein unbekanntes Land, auf der zwei junge Menschen sich selbst, die Magie der Liebe und die Rätsel der deutsch-deutschen Verfremdungen entdecken.

„drüben!“ Ein Comic. (Bestand der Medienkiste)von Simon SchwartzBerlin: avant-Verlag, 2009 – 9783939080374 – 14,95 €ab 12 J. Simon Schwartz, 1982 in Erfurt geboren, hat sich an ein großes Thema herangewagt: die deutsche Teilung und der DDR-Kontrollstaat. "drüben!" heißt der Comic, in dem Schwartz, das Leben seiner Eltern und deren Gründe für die Ausreise nach Westberlin rekapituliert. Er selbst kam in den 1980ern als Kleinkind mit in den Westen und - wie ein Selbstbild in der Erzählung zeigt - in die Kita nach Kreuzberg. Seine Eltern waren keine national besoffenen Antikommunisten, das wird schnell klar. Sie wurden, so wie Schwartz die Geschichte zeichnet, in der DDR zu Dissidenten gemacht. Die Mut-

ter wohl eher aus individueller, hippiesker Lebenslust, der Vater wohl eben wegen seiner Liebe zu Simons Mut-ter in Verbindung mit einem strengen, humanistischen Gewissen, das ihm dessen Eltern, eher linientreue Kommunisten im Plattenbau, mit auf den Lebensweg gegeben haben. - Schwartz zeichnet ein Bild der DDR Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre, in der spätestens mit der Ausweisung des Dichters und Sängers Wolf Biermanns immer mehr intellektuelle Freunde der Eltern dieser DDR den Rücken kehrten. Auch Simons Eltern nehmen schließlich die offene gesellschaftliche Ächtung in Kauf und stellten einen offiziellen Ausreise-antrag, dem nach Jahren der Schikane stattgegeben wurde. (Auszug aus taz, 14.10.09)

Weggesperrt (Bestand der Medienkiste)von Grit PoppeHamburg: Dressler, 2009 – 9783791516325 – 9,95 €ab 14 J. Niemals aufgeben! Flucht aus dem Erziehungsheim. DDR 1988: Anjas Mutter stellt einen Ausreiseantrag aus der DDR und wird von der Stasi verhaftet. Die 14-jährige kommt in einen Jugendwerkhof, eine Einrichtung der Jugendhilfe. Geschockt von der Willkür der Erzieher, der Gewalt und dem Drill, will Anja bald nur noch fliehen. Tatsächlich gelingt ihr die Flucht, aber nur für kurze Zeit. Anja fragt sich immer wieder, was sie eigentlich verbrochen hat. Als sie eines Tages ausrastet, bringt man sie nach Torgau, in eine geschlossene Einrichtung. Dort lernt sie Tom kennen, der

wie sie nicht aufgeben will. – Ein spannender Roman über Willkür und Gewalt im Jugendwerkhof in der DDR. Sorgfältig recherchiert von der Autorin, die selbst in der Bürgerrechtsbewegung engagiert war. Mit Glossar und Wende-Chronik im Anhang.

Subjektive Literaturauswahl – LAG Schulbibliotheken / Projektbüro Schulbibliotheken (gb) – 11/2009

Page 27: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Handreichung zu

Ampelmännchen und Todesschüsse

Bücher- und Medienkiste zum Thema DDR im Unterricht

Page 28: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Vorbemerkungen Eine Untersuchung zum Stellenwert der DDR-Geschichte in 107 deutschen schulischen Lehrplänen1 kommt zu diesem Ergebnis: „Das Gesellschafts- und Machtsystem der DDR erfährt somit in nur wenigen Fällen eine relativ geschlossene Darstellung. Die grundsätzliche Charakterisierung des gesellschaftlichen Systems mit seinen politischen, ideologischen und ökonomischen Komponenten findet zwar in Ansätzen statt, wird aber kaum detailliert ausgeführt. … Die Durchdringung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft seitens der Staatspartei wird nicht transparent. Das Instrumentarium der Machtsicherung kann somit von den Schülerinnen und Schülern kaum in seiner Komplexität erfasst werden. … Bedenklich ist auch die Tatsache, dass aus der Behandlung des Gesellschafts- und Machtsystems in der DDR kaum Gründe für die Krise des Systems und seinen Zusammenbruch im Herbst 1989 abgeleitet werden.“ In Deutschland herrscht kein großes Interesse (mehr) an der Geschichte der SED-Diktatur. Anders als bei der „Bewältigung“ der NS-Herrschaft durch 60 Millionen Westdeutsche, die unter den wachsamen Augen des Auslands stattfand, betrifft die zweite deutsche Diktatur und ihre „Aufarbeitung“ nur einen kleinen Teil der Deutschen. Man nimmt Rücksicht auf die durch Wendeerfahrungen ein weiteres Mal gedemütigten Ostdeutschen. Die SED-Nachfolgerin mit dem selbstbewussten Namen „Die Linke“ ist teilweise einflussreiche Volkspartei in Ostdeutschland. Sie nimmt für sich in Anspruch, sich am gründlichsten mit der Vergangenheit, auch der eigenen, auseinandergesetzt zu haben. Gleichzeitig lässt sich aber beobachten, dass auch als pragmatisch und realistisch geltende „Linke“, ihre Tageszeitungen und der Partei nahestehende Verlage, nicht gerade die eifrigsten Kritiker der SED-Diktatur sind.2 Geschichtspolitiker/innen, die jahrzehntelang für eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur gestritten haben, wollen nicht, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur gleichberechtigt daneben steht.3

Eine Medien- und Bücherkiste zum Thema DDR wird es daher schwer haben. Im Hinblick auf 20 Jahre Vereinigung erscheint es aber angemessen, intensiv über Wege der Vermittlung nachzudenken. Schulbibliotheken können dazu einen Beitrag leisten. Die Bücher- und Medienkiste, zu der diese Handreichung gehört, ist als Bestandsaufbauhilfe für Schulbibliotheken, als Handapparat für Projektwochen, für Arbeitsgemeinschaften, für unterrichtsvertiefende Referate gedacht. Sie bietet einen Medienmix aus Print- und digitalen Medien. Arbeits- und Präsentationstechniken können mit Hilfe der Materialien trainiert werden. Der Umgang mit „richtigen“ Büchern und anderen Medien soll Lehrbücher und Arbeitshefte ergänzen.

2

Page 29: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Einführung Mein Großvater sprach gerne davon, dass 1945 die Katastrophe kam. Jetzt gibt es

in der Geschichte Ostdeutschlands auch ein Katastrophenjahr: 1989 - die „Wen-

de“.4 Diesen Eindruck muss man zumindest bekommen, wenn man das eine oder

andere Buch aus Ostdeutschland in die Hand nimmt, dort Zeitung liest, einschlä-

gige Veranstaltungen in den neuen Ländern besucht oder Umfrageergebnisse zur

Kenntnis nimmt.

Eine Potsdamer Zeitung titelt im Frühjahr 2008: „Wer im Osten lebt, muss früher

sterben.“ Die statistische Lebenserwartung ist in der Tat geringer. Dass sie sich

aber in den 18 Jahren seit der „Wende“5 z. B. bei Frauen von 24 Monaten kürzerer

Lebenserwartung auf 4 Monate kürzere Lebenserwartung reduziert hat, davon

stand nichts in der Zeitung.

Durch die, so ist man versucht zu denken, „Katastrophe“ der „Wende“ erfährt die

DDR eine Neubewertung. Die Weichzeichnung nimmt überhand, wie Prof. Klaus

Schroeder, FU Berlin, es formuliert. Das Ergebnis seiner viel beachteten

Untersuchung6, die im Winter 2007 bekannt wurde, benennt er so: Was in den

Köpfen vieler junger Schüler als DDR-Bild vorherrsche, sei „die Vorstellung eines

ärmlichen, skurrilen und witzigen Landes, das aber irgendwie sehr sozial war".7

Ermutigend ist jedoch, dass sich zwei Drittel der befragten Jugendlichen für das

Thema interessieren.

3

Page 30: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Wie umgehen mit der Geschichte der SED-Diktatur?

Die Probleme sind aus der Geschichte der Bundesrepublik nicht unbekannt. Die

Deutschen im Westteil des Landes haben sich nach 1945 ähnlich verhalten. Da

gab es ein paar Jahre nach Kriegsende Menschen, die die Ansicht vertraten, dass

nicht alles schlecht im NS-Staat gewesen wäre. Sie verwiesen z. B. auf die Auto-

bahnen und das angebliche Fehlen jeglicher Kriminalität. Es dauerte mehr als

zwanzig Jahre, bis kritische Fragen auftauchten. Genauso lange dauerte es, bis

gesellschaftliche Veränderungen überdauernde Denk- und Verhaltensweisen der

Nazizeit ablösten.8

An die flächendeckende Überwachung wollen sich heute nur noch 40% der

ostdeutschen Bevölkerung erinnern. Lehrer bespitzelten Schüler, Schüler bespit-

zelten, freiwillig und unfreiwillig, ihre Mitschüler, Chefärzte ihre Ärzte, Kranken-

schwestern die Patienten, Außenhandelsvertreter sich untereinander. Auf 90 Ein-

wohner kam ein inoffizieller Mitarbeiter/eine inoffizielle Mitarbeiterin (IM) des

Ministeriums für Staatssicherheit. Vergessen darf man darüber hinaus nicht, dass

es in vielen Bereichen gar nicht der IMs bedurfte. Auf die Schulleiter/-innen, die

Zeitungsredakteur/-innen, die Gerichte, die Polizei konnte sich die SED verlassen,

ohne Verpflichtungserklärungen austeilen zu müssen.9

Die autoritären Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen, die Unterdrückung

des geringsten abweichenden Verhaltens in Schule, Wissenschaft oder Medien, die

Erziehung zum Untertanen und zum Hass, die Karrieren der Angepassten in der

Nomenklatura von Staats- und Parteiapparat, das alles scheint dem Vergessen

anheim zu fallen.

Während in Westdeutschland 71% die Demokratie für die beste Staatsform halten,

halten gerade einmal 38 % der Ostdeutschen die Demokratie für die bessere

Staatsform. Und eine Mehrheit (41%) lehnt sie gar ab.10

Ostalgiewelle

Vielleicht ist die Ostalgiewelle eine Trotzreaktion.11 Jana Hensel spricht in ihrem

Erinnerungsbuch „Zonenkinder“ vom „Märchen des höheren Gemeinschaftsgefühls

4

Page 31: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

im Osten“. Das viel beschworene Gemeinschaftsgefühl entsteht erst jetzt, als frag-

würdiges Gemeinschaftsgefühl der Wendegewinner aus der Oberschicht des

Ostens und der Wendeverlierer. Denn weit her kann es mit dem Gemeinschaftsge-

fühl nicht gewesen sein, wenn man ohne Umschweife die eigene Großmutter als

Stasi-Spitzel verdächtigt (Claudia Rusch, Meine freie deutsche Jugend), im

Klassenbuch sicherheitshalber nachsieht, welche Eltern SED-Genossen sind, weil

man dann vorsichtig sein muss (Robert Ide, Geteilte Träume). Oder nach der

„Wende“ nicht in die Stasi-Akten blickt, weil man sich die Erinnerung an den

Freundeskreis nicht kaputtmachen lassen will. Das Gemeinschaftsgefühl machte

auch vor den Pfarrerskindern halt, die kein Abitur machen durften, oder vor

denen, die Land verlassen wollten und dafür ins Gefängnis mussten oder

erschossen wurden. Auch Hans-Joachim Maaz, Der Gefühlsstau12 sieht eher eine

„Notgemeinschaft“ als eine ehrliche persönliche Annäherung.13

Robert Ide erklärt die Ostalgiewelle (für die Generation der jungen Ostdeutschen,

die zurzeit der Revolution und dem Mauerfall erwachsen wurde) so:

„Weshalb wird der Osten behütet, obwohl er in der Rückblende für viele Jüngere trashig

aussieht? … Die eigene Kindheit soll in den Erzählungen keinen Schaden nehmen – ein

Selbstbetrug. Viele junge Ostdeutsche sind stolz, von jener Seite zu kommen, die ihnen

desto verwunschener erscheint, je länger sie verschwunden ist. Besonders in der Fremde

befällt einen wohliger Schauer, wenn man Menschen trifft, mit denen man mit Hilfe

weniger Worte ein tiefes Gefühl teilen kann – die Erfahrung vom Untergang eines Landes,

in dem man selbst gelebt hat. Nicht wenige Westdeutsche beneiden diese geheime Welt

und haben das Gefühl, dass ihnen der Zugang verwehrt wird.“ (S. 67)

Es spricht einiges dafür, dass die Verklärung der SED-Diktatur eine Immunisie-

rungsstrategie ist. Kritik an der DDR wird gleichgesetzt mit einem Angriff auf die

Identität ihrer Bürger, auf die jeweils eigene Lebensgeschichte. Demütigungen

und Verletzungen der Nachwendezeit, Verlust von Arbeitsplätzen und Existenz-

ängste begünstigen die Weichzeichnung oder gar nachträgliche Verherrlichung der

DDR.

Es scheint in der SED-Diktatur ein privateres Leben möglich gewesen zu sein als in

Westdeutschland.14 Weder gab es die großen politischen Debatten noch Wahlkäm-

pfe oder Arbeitskämpfe. Um Wohnen, Kindererziehung und Schule musste man

5

Page 32: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

sich nicht wesentlich kümmern, das erledigte die fürsorgliche Partei.15 Man

verstand es, sich einzurichten zwischen den ideologisch aufgeladenen Kinder-

gärten, Schulen, Hochschulen, Medien, Betrieben und dem Familienleben. Wichtig

war nur, dass die Kinder sich nicht in der Schule verplapperten, wenn sie nach

Fernsehsendungen gefragt wurden.

In dem Staat, der seinen Bürger ein repressives System aufzwang, sie beim

Versuch, das Land zu verlassen einsperrte oder erschoss, der ihnen sogar vor-

schrieb, was sie lesen16 und welche Hosen sie tragen durften, konnte man

existenziell sicher und in bescheidenem Wohlstand gut leben. Das erschwert die

Aufarbeitung der Geschichte dieser Diktatur.

Verständnis habe ich für die Menschen, die meinen, ihre Kindheit im Osten würde

entwertet, die ihren sicheren Arbeitsplatz in Eisenach oder Lößnitz verloren haben,

weil keiner mehr den Wartburg oder die volkseigenen Jeans kauft, für Menschen,

die von Wessi-Glücksrittern über den Tisch gezogen wurden. Kurz, denen die

Nachwendezeit mehr Verletzungen zugefügt haben muss als die SED-Diktatur.

Kein Verständnis habe ich für das Schüren von Ost-West-Ressentiments, den

Mantel des Schweigens darüber auszubreiten, wie Angehörige der DDR-

Oberschicht ihren materiellen Wohlstand auf teilweise kriminelle Weise gesichert

haben, lange bevor die Treuhand ihre Fehler begehen konnte. Kein Verständnis

für die Verwischung der Unterschiede von Diktatur und Demokratie. Es zeugt von

wenig Redlichkeit, sich aus der Diktatur ein Stückchen gute DDR herauszubrechen.

Es geht nicht darum, die Härten und Ungerechtigkeiten der Nachwendezeit

kleinzureden.17 Es geht darum, was in der Schule zum Unterrichtsthema werden

muss.

Worum es geht

Es reicht nicht, Zeitzeugen ausgewogen am Kaminfeuer plaudern zu lassen und

jedem anderen, vor allem dem Wessi18, das Recht abzustreiten, sich um die Auf-

arbeitung der Vergangenheit zu kümmern. Die Zeitzeugen aus dem Ministerium

für Staatssicherheit, aus der Siedlung Wandlitz, aus der Brigade des Schweine-

6

Page 33: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

mastbetriebes Haßleben oder dem Lehrerkollektiv der Grundschule „Karl Marx“

schreiben sich ihre Erinnerungs-Drehbücher. Ihre Erinnerung ist wichtig, ihre Sicht

auf die Dinge aufschlussreich, verrät oft auch viel mehr, als sie preisgeben wollen.

Sie muss allerdings von Historikern quellenkritisch erschlossen werden.19

Deswegen sind auch Erinnerungsbücher wie die von Jana Hensel und Robert Ide20

nicht in der Auswahl. Sie thematisieren die Gefühle der „Wendegeneration“, die im

westlich geprägten vereinigten Deutschland angekommen ist und für die die -

möglichst ungetrübte - Erinnerung an ihre Jugend in der DDR zur Identitätsfin-

dung beiträgt.21 Die Suche nach der Heimat, die Erinnerung an die Orte der Kind-

heit enthalten in der Regel kein politisches Bekenntnis zur SED-Diktatur. Bemer-

kenswert ist aber, dass, unabhängig von der politischen Präferenz, auch der

untergegangene Staat positiv gesehen wird.22

Die westdeutsche Bundesrepublik hat viele Jahrzehnte gebraucht, um eine stabile

parlamentarische Demokratie zu entwickeln. Die politische Kultur wurde über Jahr-

zehnte durch Wahlkämpfe, Debatten und Proteste, durch die Medien, durch eine

Rechtsprechung, die die Meinungsfreiheit verteidigte, befördert. In der Geschichte

der SED-Diktatur fehlt diese Entwicklung, fehlen freie Wahlen, fehlen Presse- und

Meinungsfreiheit, fehlt „Gegenöffentlichkeit“.23

Mythos Antifaschismus

Es gab keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Ursa-

chen.24 So wie im Westen auch, konnten Nazis im Osten Karriere machen, bis in

Ministerämter und das Zentralkomitee.25 Der braune Gutsverwalter hatte keine

Probleme damit, eine LPG zu leiten. Der Wehrmachtsoffizier ging nahtlos in die

NVA über. Hinweise aus dem Ausland auf NS-, SS- und SA-Größen in Presse,

Volksarmee und Behörden wurden von der SED souverän überhört. 1947 warb die

SED PGs mit dem Versprechen das (sozialistische) Parteiprogramm der NSDAP von

1919 zu erfüllen (Brechung der Zinsknechtschaft, Verstaatlichung der Banken

usw.).26 Es gab ein paar Schauprozesse und sehr viele Urteile27 wegen

Kriegsverbrechen und Denunziationen von Kommunisten. Die SED-Geschichts-

7

Page 34: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

politik bestand in der Erinnerung an Antifaschisten und in der stalinistischen

Faschismustheorie von der Instrumentalisierung Hitlers durch die Finanzkapita-

listen. Die Nazis wären alle in Westdeutschland geblieben. Eine offene Diskussion

dazu gab es in der DDR nie, während in Westdeutschland der Eintritt in die

Waffen-SS 1945 auch noch nach 60 Jahren ein Thema ist.28

Vom faschistischen Personenkult ging es im Osten Deutschlands nahtlos über zum

stalinistischen. Massenaufmärsche blieben alltäglich29,, innere und äußere Feind-

bilder wurden weiterhin gepflegt, statt SD und Gestapo bespitzelte jetzt das MfS.

In Westdeutschland war der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangen-

heit keineswegs immer überzeugend, er war oft widersprüchlich. Es dauerte lange,

bis eine Auseinandersetzung überhaupt in Gang kam. Aber die Debatten um den

8. Mai, „Tag der Befreiung“ oder „Tag des Zusammenbruchs“, um das Holocaust-

Denkmal, den Offizierswiderstand, die Verjährungsdebatten, haben ihre Spuren im

kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Viele in der Generation der 68er haben sich

mit ihren Eltern auseinandergesetzt. Es gibt im Westen eine Verunsicherung bei

allem, was mit Nation und Nationalismus zu tun hat.30

Ausgerechnet bei der Ausbreitung der Neonazis in Ostdeutschland, wozu auch

Pogrome und Morde gehören, haben die Wessis vorschnell die Schuld auf sich

genommen und die Vorgeschichte in Ostdeutschland ausgeblendet. Erst allmählich

verbreitet sich, was nur wenige wissen wollen: Die ostdeutschen Neonazis sind

Kinder der SED-Diktatur und kein Westimport, wenngleich sie heute von dort

unterstützt werden.31 Hitler war keineswegs Westdeutscher.32 Der mindestens

latente Antisemitismus der Kommunisten ließ sich gut mit Antizionismus

verknüpfen. Die in den DDR-Medien anzutreffende Gleichsetzung Israels mit den

Nazis hatte auch etwas Entlastendes.33

Karin Hartewig zeigt in „Das Auge der Partei“, wie die Stasi mit den Neonazis

umging, wie sie verschwieg und verharmloste. Nationale Frage und Fremdenhass,

schreibt sie in waren in den 80er Jahren in der Bevölkerung „virulent“ (S. 132).

„Judenschwein“ auf Schulhöfen und in der NVA nicht gänzlich unbekannt.34

Schändungen jüdischer Friedhöfe gab es zu allen Zeiten. Nach Dienstschluss

redete man sich in der Vopo auch schon mal mit SS-Dienstgraden an. Im

Geschichtsunterricht fehlte die Shoah fast gänzlich, im Mittelpunkt stand der

8

Page 35: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Arbeiterwiderstand. Da erscheint es plausibel, wenn 2006 in Sachsen-Anhalt das

Tagebuch der Anne Frank wieder verbrannt wurde und niemand gewusst haben

will, dass das in Deutschland schon einmal passierte. Oder Feuerwehrleute im

Spreewald mit dem Satz „… hart wie Kruppstahl“ auf dem T-Shirt herumlaufen

und nicht wissen wollen, wer das gesagt hat.

Im zweitgrößten Außenlager des KZ Oranienburg, Jamlitz, in der Nähe von

Cottbus, wurden 1945 über 1000 jüdische Insassen von der SS ermordet. Dass es

sich um Juden handelte, konnte man in der DDR nur mit Mühe erfahren, in der

SED-Propaganda waren die Lager-Insassen „Helden des Antifaschismus“, auf einer

Gedenktafel „Opfer des Faschismus“. Hinweise auf ihre jüdische Identität fehlten.

Ein Lehrer, der mit seinen Schülern die Geschichte des Lagers erforschte, wurde

strafversetzt.35

Welche Kontinuitäten sich entwickeln konnten, zeigt eine kleine, wenig beachtete

Begebenheit der Wendezeit: Die Villa des jüdischen Bankiers Gutmann in Potsdam

wurde von den Nazis enteignet. Für die SED war Entschädigung oder Rückgabe

von Eigentum an deutsche Juden kein Thema.36 Die zerfallende Gutmann-Villa war

nach der „Wende“ von jungen Potsdamer Hausbesetzern „übernommen“ worden.

Ganz in der Tradition ihrer nationalsozialistischen und kommunistischen Großväter

und Väter weigerten sie sich, die jüdischen Erben, denen das Anwesen nach 70

Jahren rückübereignet worden war, auf das Grundstück zu lassen.37

Wenn jetzt Umfragen belegen, dass eine Mehrheit der Ostdeutschen die Demo-

kratie ablehnt38, halte ich das für die Zukunft unseres Landes für äußerst gefähr-

lich. Angesichts der negativen Folgen der Globalisierung bröckelt ja auch in West-

deutschland die Zustimmung für die Demokratie, sinkt die Wahlbeteiligung, greift

Politikverdrossenheit um sich. Autoritäre Staaten wie Russland, China und die

Golf-Emirate sind wirtschaftlich erfolgreicher als demokratische Staaten.39

Ein neues 68?

Vielleicht erleben die neuen Bundesländer auch noch ihr 1968, wenn die Kinder

die Eltern nach ihrer DDR-„Verstrickung“ fragen, nach den Karrieren, die bruchlos

9

Page 36: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

die „Wende“ überstanden, nach den IMs in den neuen Landesparlamenten, den

Nachwende-Investoren aus dem Hause Schalck-Golodkowski, den Doktoren von

der Stasi-Hochschule, die jetzt als Rechtsanwälte praktizieren. Noch wird eisern

geschwiegen, noch krankt die ostdeutsche Gesellschaft am Vichy-Syndrom40

„Die Erlösung liegt in der Erinnerung“, sagt ein jüdisches Sprichwort. In

Polen hat es mehr als 60 Jahre gedauert, bis der polnische Antisemitismus als

Diskussionsthema zugelassen werden musste, in Belgien hat die Erinnerung an

Belgisch-Kongo, das im 19. Jahrhundert nichts anderes als ein Konzentrationslager

im Besitz des belgischen Königshauses gewesen war, gerade erst begonnen. In

Potsdam stellt man zwar noch eine Lenin-Büste, Hinterlassenschaft aus einer

russischen Kaserne, im Stadtpark auf, aber gleichzeitig wird schon ein Platz nach

dem Bürgerrechtler Rudolf Tschäpe benannt. (Die russische Botschaft in Berlin

hatte ihren Lenin im Vorgarten längst abgebaut!)

Maaz41 sagt sehr deutlich: „Ich traue keiner `Wende´, solange nicht glaubhafte

Zeugnisse des Versagens, der personalen Verantwortung und persönlichen Schuld

zur Alltagskultur zählen.“42

10

Page 37: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Didaktisch-methodische Überlegungen

Maßstäbe für die Beurteilung von Demokratie und Diktatur

Es geht darum, Maßstäbe für die Beurteilung von Demokratie und Diktatur zu

vermitteln, sensibel zu machen für Menschen- und Bürgerrechte. Es geht darum

zu erkennen, wie staatliche Unterdrückung aussieht und wie sie sich auf Menschen

auswirkt.

Die SED hatte in die DDR-Verfassung geschrieben, dass die Partei (von lateinisch:

Teil) immer recht hätte und wüsste, wo es lang ginge. Sie hat Gewaltenteilung,

institutionalisierte Opposition, Meinungs- und Pressefreiheit eliminiert.

Das muss nicht allzu viele Bürger im Alltag stören. Für viele fällt gehört zur

Erinnerung an eine schöne Kindheit und Jugend auch die Wertschätzung des

Staates. Eine Linkspartei-Abgeordnete im sächsischen Landtag sagt etwa: „Ich bin

in der DDR geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe studiert (Ich

komme aus einer Bauernfamilie), als Lehrerin gearbeitet, zwei Kinder bekommen.“

Sie sei stolz auf ihre geleistete Arbeit und auf ihre Familie, deren sie sich nicht

schämen müsse.43 Also kann die DDR nicht schlecht gewesen sein. Klaus Kordon

gelingt eine differenziertere Sicht: Er erinnert sich gern an seine, nicht einfache

Jugendzeit und an sein vergleichsweise gut situiertes Leben als erwachsener

Berufstätiger. Dennoch wollte er dieses Land verlassen (Klaus Kordon, Krokodil im

Nacken).

Auch in Westdeutschland gibt es viele, die glauben, in einer Diktatur zu leben,

machte keinen Unterschied. Das darf aber nicht Lehrziel der Schule werden, bloß

weil es die Meinung von Teilen der Bevölkerung ist.

Wenn also nicht die Nischengesellschaft, der „normale“ Alltag der unpolitischen

Mehrheit, gar „das Gute“ an der DDR oder die Fehler der „Wende“ thematisiert

werden sollen, was dann?

In der westdeutschen Geschichtsdidaktik wurde ab den 80er Jahren nicht mehr

das Konzentrationslager in den Mittelpunkt der NS-Geschichte gestellt, sondern die

Alltagsgeschichte, der alltägliche, „normale“ Faschismus – nicht die unpolitischen

Nischen.44 Es macht also Sinn, auch bei der DDR-Geschichte nicht nur auf Besuche

in Hohenschönhausen zu setzen („Gefangen in Hohenschönhausen. Stasi-Häftlinge

11

Page 38: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

berichten“ von Hubertus Knabe), so unverzichtbar sie sind, sondern die offenen

und subtilen Herrschaftsmethoden, die im Alltag wirksam waren, kennen zu

lernen. Z. B. was an der Stasi-Hochschule gelehrt wurde, um Schüler als Denun-

zianten ihrer Mitschüler zu gewinnen. Die Fallbeispiele aus Gabriele Schnells

„Jugend im Visier der Stasi“ oder aus dem vergriffenen Buch „Stasi auf dem

Schulhof“, herausgegeben von Klaus Behncke und Jürgen Wolf,45 aber auch „Das

schweigende Klassenzimmer“ von Dietrich Garstka oder die DVD „Schüler gegen

Stalin“ eignen sich gut dafür. Die Verhöre durch junge Stasi-Leutnants, die Klaus

Kordon schildert, brauchen den Vergleich mit dem Verhör von Sophie Scholl nicht

zu scheuen.

t

,

„Die wunderbaren Jahre“ von Reiner Kunze erinnern mich an Brechts „Furcht und

Elend des Dritten Reiches“: kurze, entlarvende Geschichten aus dem Alltag. „Das

Auge der Partei“ von Karin Hartwig dokumentiert Fotografien der Stasi. Die Foto-

grafierwut wird an Fällen wie Robert Havemann oder der Punkszene erzählt.

Geschichten wie „Die Schleife an Stalins Bar “ oder „Das schweigende Klassenzim-

mer“ erzählen, wie schnell der harmlose, unpolitische Alltag in Terror umkippen

konnte. Die „Stasi-Stücke“ von Petra Saar und Marion Wagner eignen sich gut zum

Nachspielen und zur Diskussion.

Es sind mehrere erzählende Texte aufgenommen worden (Kordon Plenzdorf,

Seidemann, Lange, Rusch, Plenzdorf), z. T. gestaffelt, so dass die Texte in Grup-

pen gelesen und diskutiert werden können. Kommentare lassen sich als Wand-

zeitung oder als Weblog veröffentlichen.

Was bewirkt Unterricht?

Die 68er wissen es, die SED hat es auch gemerkt, die Sozialisationsforschung hat

es untersucht: Über Schule kann man Gesellschaft nicht ändern, Einstellungen und

Überzeugungen werden durch Unterricht nicht wesentlich beeinflusst. Unterricht

unterliegt wirksameren Sozialisationsinstanzen. Gegen Eltern und Lehrer, die noch

mental in der DDR leben, zumal, wenn sie dort gut gelebt hatten, gegen eine

12

Page 39: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Geschichtspolitik von Medien und Parteien, denen ein „Kessel Buntes“ lieber ist als

„Kontraste“, kann er, zumal das Thema erst im 10. Schuljahr und nur einstündig

stattfindet, wenig ausrichten.

Was Unterricht kann: Informationen zur Verfügung stellen, Material anbieten, zu

Diskussionen und zum Denken anregen, Thesen und Behauptungen überprüfen,

offensichtlich Falsches richtig stellen (Vor allem die Bücher von Schröder, Steiner,

Eckert, Wolle eignen sich dazu). Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kennt-

nissen über die DDR und der Beurteilung der DDR. Je mehr man weiß, desto

kritischer beurteilt man sie. Wenn Unterricht schon keine Einstellungen zu verän-

dern mag, so ist er doch notwendig, um Informations- und Diskussionsangebote

zu machen, zum Nachdenken zu zwingen, zum Nachforschen anzuregen.

Es geht nicht um „Faktenhuberei“. Wenn Schüler die Parteien der Nationalen Front

aufsagen können, die Gliederung des MfS oder die Namen der Politbüromitglieder,

ist noch nicht viel gewonnen.46

Angesichts der wenigen vorgesehenen Stunden verbietet sich ein chronologischer,

systematischer, kursorischer Unterricht.

Auch wenn es zum Lachen reizt, dass Micky Maus und (lange Zeit) Karl May

verboten waren, es genügt nicht, die DDR lächerlich zu machen. Dennoch: Witze

(„So lachte man in der DDR“ und Stefan Wolle, „Die heile Welt der Dikta ur“, S.

154 ff), bringen Wahres pointierter auf den Punkt, als es lange Texte können.

t47

Es fällt schwer, die Herrschaft der SED nicht als Versagensgeschichte zu

schreiben. „Die DDR war besser“, wie es in Leserbriefen, Webseiten, Schulungs-

kursen und Veteranentreffen in Ostdeutschland heißt, kann durchaus als Aus-

gangsthese genutzt werden. Man kann die Mythen und Irrtümer ja einmal

untersuchen:

• Die Luft war in der DDR besser!

• Die DDR war 1989 nicht pleite, sondern wurde platt gemacht!48

• Nazis gab es in der DDR nicht! 49

13

Page 40: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

• Es herrschte soziale Gleichheit!

Es wird immer betont, dass die Regierenden der DDR in Wandlitz vergleichsweise

bescheidene Häuser bezogen hätten. Dass die Ferienhäuser, etwa an der Ostsee,

dafür umso luxuriöser waren, dass es in Wandlitz Spitzengastronomie gab, West-

niveau im Konsum, die Bediensteten und Gärtner kostenlos waren, dies fällt meist

unter den Tisch.50 Sehr wohl hat man sich aber anscheinend dort nicht gefühlt, die

meisten Wohnungen waren verwanzt und bis in die 60er Jahre trugen die Bewoh-

ner Pistolen.

Der Einkommensunterschied betrug in West und Ost erstaunlicherweise etwa 1:6,

in der DDR auf niedrigerem Niveau. Als 1990 anlässlich des Währungsumtausches

die Sparkonten offen gelegt wurden, zeigte sich, dass etwa 10% der DDR-Bevöl-

kerung über 60% des Sparvermögens verfügten.51 Auch nicht so viel anders als im

„faschistisch-kapitalistischen“ Westdeutschland.52

Man kann auch über diesen, in Ostdeutschland häufiger zu hörenden Satz nach-

denken:

„Drei Systeme habe ich mitgemacht, unter Hitler, unter Honecker und jetzt“53

Als Vertiefung bieten sich an:

• Die aus dem Arbeitskräftemangel resultierende Frauenemanzipation, die wie im

Westen auch, zu Doppelbelastung, nicht zu gleicher Bezahlung und schon gar

nicht zu besseren Karrierechancen in Wirtschaft, Partei, Regierung und Verwaltung

führte.

• Die Landflucht im Nordosten und Osten, die keineswegs erst nach der Vereini-

gung einsetzte, und die fehlenden Investitionen in ländlichen Gebieten. Auch die

SED investierte lieber in Sachsen als in Mecklenburg-Vorpommern.

In der Altmark, Brandenburg und Vorpommern herrschte seit Jahrhunderten

Armut, nicht erst seit 1989.54

Die DDR ist das einzige Land der Welt, das ununterbrochen einen Bevölkerungs-

schwund zu beklagen hatte. Auch wenn der Vergleich der nackten Zahlen nicht

unproblematisch ist: Die DDR haben in 40 Jahren 3,3 Millionen verlassen, nach der

14

Page 41: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Revolution (bis 2004) waren es etwas über 2 Millionen, denen ein Zuzug von ca. 1

Million gegenübersteht.55

• Die stetig sinkende Geburtenrate. Sie sank zwar nach der „Wende“ dramatisch,

war aber schon in der Diktatur ein stetig wachsendes Problem geworden. In

diesen Zusammenhang gehören auch die extrem hohen Abtreibungszahlen.56

• Die Unmöglichkeit, mit einem an der Schwerindustrie des 19. Jahrhunderts orien-

tierten marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell erfolgreich auf Verän-

derungen wie Globalisierung, Internet und Handy, Bedeutungsverlust der

Industriearbeit, Wachstum des Dienstleistungssektors usw. zu reagieren.

• Die Auswirkung von Repression, Angst und Anpassungsdruck, Sanktionierung

alles Abweichenden auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Psyche

von Menschen57 („Jeder schweigt von etwas anderem“ u. a.)

• Biographien: Ulbricht, Honecker, Mielke, Gregor Gysi (Hermann Vinke, Die DDR)

• Zensur (Wolle, S 141) .

• Schule (Reiner Kunze, Wunderbare Jahre) 58

• Was wäre, wenn es die DDR heute noch gäbe?

Vorschläge zum kreativen Schreiben: Die DDR im Zeitalter von Internet, SMS und

Ryanair, Die Achse Kuba – Nordkorea – DDR, Der chinesische Weg: Korrupte

Parteibonzen und ihre Kinder als Global Player, Terror der Geheimpolizei und

wachsender Reichtum eines neokommunistischen Adels. 59

Es ist nicht leistbar, in ein paar Unterrichtsstunden im 10. Schuljahr alles

aufzuarbeiten. Aber wenn Schüler/innen nach 10 oder 12 Schuljahren Schwierig-

keiten haben, den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie zu erklären und

(vorwiegend in Ostdeutschland) Opfer von außerschulischer Geschichtsklitterung

sind, war der Geschichtsunterricht Zeitverschwendung.

Erinnert sei an die in den Vorbemerkungen zitierte Studie: „Die grundsätzliche

Charakterisierung des gesellschaftlichen Systems mit seinen

15

Page 42: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

politischen, ideologischen und ökonomischen Komponenten findet

zwar in Ansätzen statt, wird aber kaum detailliert ausgeführt.“ Im

Klartext heißt das: Das Nichtwissen über Sozialismus und Planwirtschaft ist

erschütternd.

Die folgenden Fragen bieten sich an:

• Lassen sich Sozialismus und Demokratie vereinbaren?60

Wie kann Herrschaft optimal organisiert werden? Stichworte z. B.: Direkte Demo-

kratie, Genossenschaft, Gewaltenteilung oder Einparteienherrschaft, „bürgerlicher“

Parlamentarismus, Herrschaft auf Zeit oder Unfehlbarkeit einer Partei?61

Die drei K´s der Politik: Konflikt, Kompromiss und Konsens kann man in den unter-

schiedlichen Organisationsformen politischer Herrschaft einmal durchspielen. Die

so trocken erscheinenden Schemazeichnungen von Diktatur und Parlamentarismus

in den Sozialkundebüchern können damit belebt werden.

Man ist in der neuen Bundesrepublik, nicht zuletzt in Ostdeutschland, schnell bei

der Hand, „die da oben“ als unfähig, geldgierig, Wahlbetrüger und ähnliches zu

beschimpfen, die Amtsinhaber sind nicht ganz unschuldig. Auf die SED-Oberen, auf

das Politbüro, trifft das in ungleich stärkerem Ausmaß zu. Das aber scheint

niemanden mehr zu interessieren. Einem westdeutschen Minister würde man Privi-

legien der ostdeutschen Oberschicht nicht durchgehen lassen. Wenn ein west-

deutscher Politiker private Touren mit dem Dienstwagen unternimmt, steht das in

der Zeitung. Wenn ein DDR-Bürgermeister sich das Haus eines Republikflüchtlings

aneignet, wenn ein Politbüromitglied sich mit dem Hubschrauber in seine Jagd-

hütte fliegen ließ oder einen falschen Professorentitel trug, erfuhr das niemand62.

Da lassen sich schon ein paar Unterschiede zwischen einer sozialistischen Demo-

kratie und einer parlamentarischen herausarbeiten.63 Und bei aller Kritikbedürf-

tigkeit des parlamentarischen Systems erscheint es als das kleinere Übel im

Vergleich zur Herrschaft von ZK und Politbüro.

An die in der DDR beliebten Vergleiche an der Schultafel: DDR=sozialistisch, fried-

liebend, antifaschistisch, BRD=faschistisch, kapitalistisch, militaristisch, scheinen

die heute von Fortbildungsinstituten empfohlenen Vergleiche, wenn auch wohl in

guter Absicht, zu erinnern: Frauenemanzipation oder Faschismusaufarbeitung in

der DDR und der BRD64. Auch im Alltag findet dieser Vergleich und die damit

16

Page 43: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

einhergehende, insinuierende Gleichsetzung statt: „Wir hatten Hohenschönhausen,

ihr die Berufverbote, wir das MfS, ihr den Verfassungsschutz.

Auch didaktisch ist dieser Vergleich erst einmal untauglich. Im Osten wollen

Jugendliche wissen, wie es bei ihnen war und nicht, dass es in der BRD auch nicht

viel besser gewesen wäre. Für Fortgeschrittene lässt sich auch aus den oft

triumphierend vorgetragenen Vergleichen dem Rechtsstaat etwas abgewinnen:

Von Guantanamo weiß man, dass amerikanische Gerichte die Regierung deswegen

verurteilt haben. (Auch wenn das bisher nicht zur Schließung geführt hat.) Von

einem DDR-Richter ist nicht bekannt, dass er die SED wegen Hohenschönhausen

verurteilt hätte.

Sozialismus als eine von mehreren Ideologien, die im parlamentarischen System

Mehrheiten suchen, Kompromisse eingehen, Niederlagen einstecken, aber nicht

repressiv und gewalttätig durchregieren und im Gegner den auszurottenden Feind

sehen, das bekommt ja auch den von der SED über die PDS zur Linkspartei65

gewanderten postkommunistischen Politikerinnen und Politikern, die (im Osten)

mit 20 bis 30% Stimmenanteil respektabler dastehen als in Diktaturzeiten mit

gefälschten 98%.

Schnell landet man bei Churchills Satz von der Demokratie als der schlechtesten

Herrschaftsform, ausgenommen alle anderen.

Bevor ich selbst Parlamentarismus, Rechtsstaat, oberste Bundesorgane unterrich-

tete, habe ich immer zuerst das Regierungssystem der DDR behandelt. So wurde

aus der Gegenüberstellung deutlich, was es heißt, Herrschaft auf Zeit auszuüben,

statt ein Politbüro zu haben, aus dem man nur durch Tod oder Putsch entfernt

werden konnte. Oder unabhängige Gerichte statt „Rechtsanwälten“, die beim

Zentralkomitee der SED für ihre Mandanten um gut Wetter betteln mussten.66

• Ist die Planwirtschaft der sozialen Marktwirtschaft überlegen?

Die Bankrotterklärung der Zentralverwaltungswirtschaft spielt bei der Aufarbeitung

der SED-Diktatur keine große Rolle. Zumindest steht sie im Schatten des

angeblichen ökonomischen Desasters der Nachwendezeit. Die ausufernde

Sozialpolitik Honeckers beschleunigte die Pleite der DDR.

17

Page 44: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Wenn der Broiler in der Gaststätte weniger kostet als beim Metzger, der LPG-Bauer

für ein Ei bei Ablieferung 31 Pfennig erhält und es im Konsum dann für 25 kauft,

wenn Brot an Schweine verfüttert wird, weil es so billig zu haben ist, bei Warm-

mieten von 85 Mark für eine Dreizimmerwohnung kein Geld für Wohnungs-

instandhaltung und -modernisierung bleibt, die Zimmerwärme über geöffnete

Fenster reguliert wird, weil es keine Thermostaten gibt, dann sollte nicht nur

geschmunzelt werden. Es sollte auch zum Anlass genommen werden, zu über-

prüfen, ob ein Zentralverwaltungswirtschaftssystem, auch als NÖSPL67 veredelt,

wirklich ernst genommen werden kann. Werner Obsts „Reiz der Idee – Pleite der

Praxis. Ein deutsch-deutscher Wirtschaftsvergleich“ von 1983 hat nichts von seiner

Gültigkeit verloren.68

Die DDR hatte über die Bundesrepublik Zugang zum EU-Binnenmarkt. Sie war de

facto EU-Mitglied, sehr zum Unwillen ihrer sozialistischen Bruderstaaten und der

restlichen EU, denen dieses Privileg überhaupt nicht gefiel. Im Interzonenhandel,

der seit 1949, unbeschadet aller politischen Ereignisse, geräuschlos funktionierte,

wurde der SED ein zinsloser Überziehungskredit, der Swing, gewährt.69 Sie hat

sogar Pornohefte und Zigaretten nach Westeuropa verkauft.

Die Gegenüberstellung von Sozialismus und Kapitalismus ist einer der zahlreichen

Siege im Kampf um Wörter, die die Kommunisten errungen haben. Dabei wird

unterschlagen, dass schon bei Adam Smith der Staat eine regulierende Rolle einzu-

nehmen hatte. Das reicht heute von Kartellamt über Sozialpolitik, Arbeitsschutz bis

Umwelt- und Verbraucherschutz. Bereichen, in denen die SED-Diktatur den nicht-

sozialistischen Ländern eher unterlegen war.

Auch wenn die soziale Marktwirtschaft ihre Glanzzeiten hinter sich zu haben

scheint und die Wirtschaftsverbände ihre Interessen meist durchsetzen: Wenn

man seine Geschichte kennt, ist der Sozialismus keine überzeugende Alternative.70

Der Glaube an ein sozialistisches Land, in dem einst Milch und Honig flössen, ist

ein quasireligiöses Heilsversprechen.71 Richard Schröder (Fn 47) erzählt den Witz:

„Was passiert, wenn in der Sahara der Sozialismus eingeführt wird? Erst mal gar

nichts, nach einiger Zeit wird aber der Sand knapp.“

Es ist ein Merkmal der Auseinandersetzung um die DDR in Ostdeutschland, dass

das Wirtschaftssystem darin kaum vorkommt. Die Diskussion wird vielmehr davon

18

Page 45: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

beherrscht, wie man ein differenziertes Bild des Alltags zeichnet. Wie man

Biographien respektiert, nicht alles in Bausch und Bogen verdammt.

Von einer aberwitzigen Preis- und Subventionspolitik, von dem bürokratischen

Kontrollwahn, die Gesamtproduktion an Kniestrümpfen und Fotokopierpapier für

ein Jahr vorzuschreiben, von der Unfähigkeit der Zentralverwaltungswirtschaft

effizient, kostensparend, umweltbewusst zu produzieren, wird in Schulen und

Medien selten geredet.

Als Einstieg geeignet:

• Enteignungsaktion Rose (DDR-Geschichte in Augenblicken. Von Jugendweihe bis Biermann-Ausbürgerung, CD 1),

• weiteres Material zu sozialistischer Planwirtschaft (Schröder, Ecker Steiner, Vinke,Mählert, Wolle, S 189 f)

t, . f

• Ein Papier von Wirtschaftsstudenten der Goethe-Universität in Frankfurt/M.72 Aus dieser sehr prägnanten, übersichtlichen Gesamtschau seien hier nur die wesent-lichen, nicht alle jeweils erläuterten Punkte genannt:

- Gigantische, unproduktive Bürokratie zur Koordination der Wirtschaft - Unflexibilität der Wirtschaft - Teurer Sicherheitsapparat - Chaotische Wirtschaftsweise - Wirkungslosigkeit von Systemen zum Leistungsanreiz - Unproduktive Wirtschaftsweise - Umweltbelastungen - Versorgungsengpässe - Korruption73 - Fehlende Identifikation mit dem System - Keine Eigeninitiative - Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz

Projektorientierung

Ausgehend von einem ereignisgeschichtlichen Überblick oder von Aufnahmen aus

der Zeit der Maueröffnung (DVD „Auf den Spuren einer Diktatur“) können Fragen

und Themenbereiche gesammelt und in Arbeitsgruppen erarbeitet werden.

Die Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse als Wandzeitungen, Folienpräsentatio-

nen oder mit Hilfe digitaler Tools (Wiki, Weblog, Website). „Leuchttürme“ könnten

wichtige Daten der Ereignisgeschichte sein: 1949 / 1953 / 1961 / 1989-90.

Die auditiven und visuellen Medien der Kiste eignen sich hervorragend als Startmedium.

Insbesondere „Auf den Spuren einer Diktatur“, wo, von den Wendejahren ausgehend, in

19

Page 46: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

kurzen Beiträgen verschiedene Themen (Widerstand, Ausreise, Doping, Justiz, Schieß-

befehl, Stasi u. a.) aufgegriffen werden.

Filmausschnitte findet man auch in digitalen Enzyklopädien (Brockhaus)

„DDR-Geschichte in Augenblicken“ und „50 Jahre in 50 Tagen“ sind Audio-CDs, die in

Kurz-Beiträgen Originaltöne oder Interviews zu bestimmten Phasen oder Ereignissen im

geteilten Deutschland bringen.

Fallanalyse (Exemplarisches Lernen)

Keinesfalls ist beabsichtigt, mit diesem Medienangebot einen systematischen oder

chronologischen Geschichtsunterricht vorzuschlagen. Viel eher bietet sich die Me-

thode der Fallanalyse74 an. Dabei wird ein Ereignis, ein Konfliktfall, gewählt und

die darin involvierten Konfliktparteien und divergierenden Interessen erarbeitet.

Vertiefende Informationen werden immer wieder auf den Fall und die handelnden

Personen zurückgeführt. Politik wird dadurch sehr viel konkreter, als wenn der

Unterricht sich auf Institutionenkunde beschränkt.

• Z. B. Fälle von Widerstand wie sie in „Die Schleife in Stalins Bart“ oder im „Schweigenden Klassenzimmer“ dokumentiert sind.

• Z. B. Stasi- und Justizmethoden („Das Auge de Partei“, DVD „Jeder schweigt von

e was anderem“, „Schüle gegen Stalin“ „Das schweigende Klassenzimmer“), Bestrafung von Todesschützen an der Grenze

r t r ,

Wahlpflichtkurs, Arbeitsgemeinschaft oder Projekttag

Die Medienkiste „Ampelmännchen und Todesschüsse“ bietet sich für vielfältigen

Gebrauch an: Wahlpflichtkurse, Arbeitsgemeinschaften, Projekttage und -wochen,

Vor- oder Nachbereitung eines Zeitzeugenbesuchs, eines Gedenkstättenbesuchs.

Wenn sie in der Schulbibliothek vorhanden ist, wäre die erste Hürde, nämlich die

aufwändige Materialbeschaffung durch die Fachlehrerin/den Fachlehrer, genom-

men.

20

Page 47: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Erzählende Literatur

Die erzählende Literatur ist überwiegend in Mehrfachexemplaren vorhanden, so

dass in Gruppen über das Gelesene diskutiert werden kann und in den Sach-

büchern Aspekte weiter verfolgt werden können.

Vorgeschlagen werden Formen des Lesetagebuches (z. B. Rezension, Brief an

Autor/Autorin oder handelnde Personen, kontrafaktisches Schreiben).

Das Lesen der belletristischen Bücher und der Falldarstellungen ist ein

empfehlenswerter Einsieg in die Thematik, wenn man Zeit und eine motivierte

Gruppe hat.

Wenn nichts anderes geht:

Die Lektüre von Klaus Kordons „Krokodil im Nacken“ (ab Herbst 2008 als stark

gekürzte Schulausgabe lieferbar) ist das mindeste, was gemacht werden sollte,

und wäre nicht das schlechteste.

Noch kürzer:

George Orwell, Die Farm der Tiere

Als Hörbuch sehr gut gelesen von Hans Korte; Diogenes Verlag, 2008, 3 CDs, 4

Std. und angesichts der Rede von den guten Seiten der DDR und verwirrenden

Begriffen wie „Wahrheitsdiktatur“ oder „Konsensdiktatur“ (K. Jarausch):

Siegfried Lenz, Ein Freund der Regierung, in: Der Anfang von etwas. Die

schönsten Erzählungen, hrsg. von Günter Berg, Hamburg: 2009,

EAN 9783455401530 und auch in zahlreichen Lesebüchern

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Page 48: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Für den Fall, dass die Bücherkiste in Ostdeutschland auf Interesse stößt:

Im Rahmen des Unterrichtsprojekts oder weiterführend können lokalgeschichtliche

Untersuchungen durchgeführt werden

• Straßen- und Städtenamen,

• Gedenksteine und was sich hinter ihnen verbirgt

• Geschichte öffentlicher Gebäude, Gefängnisse, Grenzbefestigungen,

Nutzung von NS-Konzentrationslagern als SMAD-Lager,

• Lebensläufe lokaler GULag- und Stasi-Häftlinge,

• Zusammenleben mit der Sowjetarmee,

• eine Durchsicht von DDR-Schulbüchern75 (z. B. Geschichte, Mathematik),

• Erinnerungen an die Bürgerrechtsbewegung76

• Widerstand und Zivilcourage77

Für Exkursionen sind folgende Einrichtungen empfehlenswert:

Gedenkstätte Ehemaliges Stasi-Gefängnis, Berlin-Hohenschönhausen,

www.stiftung-hsh.de

Sofern es den Schülerinnen und Schülern zeitlich zugemutet werden kann, sollte zuerst das

ehemalige MfS, Ruschestr. 103, (Normannenstr.) besucht werden und anschließend das

Zuchthaus in Hohenschönhausen. Man muss beides zusammen erleben: Zuerst dieses

muffige Ministerium für die Schreibtischtäter, die (Selbst-)Heroisierung der „Tschekisten“,

die Spitzeltechnik, und dann das wichtigste Gefängnis dieses Ministeriums.

Informations- und Dokumentationszentrum der BStU www.bstu.bund.de

Zimmerstr. 90, Berlin (Mitte)

Dort ist auch eine Fülle von Unterrichtsmaterialien erhältlich:

http://www.bstu.bund.de/cln_029/nn_712446/DE/Bildung/Unterrichtsmaterialien/unterrichts

materialien__node.html__nnn=true

Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, Marienfelder Allee 66-80, Tel.: 030

75008400, www.notaufnahmelager-berlin.de

Die Ausstellung ist äußerst lohnend, viel spannender und anschaulicher, als ich es erwartet

hatte. Die Flüchtlinge erlebten Ost- und Westdeutschland. Die Ausstellung ist m. E.

ergiebiger als Museen zur Alltagskultur der DDR, in denen Trabis und Pionierhalstücher

ausgestellt werden.

Manche Flüchtlinge hielten es im Westen nicht aus, gingen wieder zurück (und verließen

die DDR in einigen Fällen erneut). Auch die Erinnerung daran, mit welch harten politischen

22

Page 49: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

Bandagen beim Thema Flüchtlinge gearbeitet wurde, ist gut. Die Bundesrepublik war in

den ersten Jahren gar nicht über den Zustrom begeistert und die DDR nicht über

Rückkehrer, die sie grundsätzlich für Spione hielt.

Ehem. Stasi-Gefängnis Lindenstraße, Potsdam

Ehem. KGB-Gefängnis, Leistikowstr., Potsdam

Gedenkstätte Haftanstalt Bautzen www.gedenkstaette-bautzen.de

Dokumentationszentrum in der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale „Runde Ecke“,

Leipzig

www.runde-ecke-leipzig.de

Die “Runde Ecke“, hat eine Datenbank online gestellt, in der 1500 Objekte

fotografiert und erläutert wurden. Man muss mal stöbern, z. B.: “Postkontrolle”,

“Schminken”, “Geruchsprobe”.

http://www.runde-ecke-leipzig.de/cms/?id=250

Weitere Gedenkstätten und Museen: www.nachkriegsmuseen.de/stasi.html

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Page 50: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

„Ampelmännchen und Todesschüsse“ ist eine Bücher- und Medienkiste im Rahmen des Projekts "Die Bibliothek in der Kiste" der Landes-arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Hessen e.V.

Zur Begründung dieses Bücher- und Medienkistenprojektes:

Es gibt Sachbücher, die in altersangemessener Weise Themen wissenschaftlich korrekt,

sprachlich verständlich, anschaulich und motivierend darbieten. Für einen offeneren

Unterricht stellen Sachbücher eine gut geeignete Hilfe dar: Sie ermöglichen Angebote für

unterschiedliche Lesefähigkeiten, sie sind weniger "didaktisiert", lassen Platz für

eigenständige Lese- und Lernstrategien.

Im Alltag scheitert eine Benutzung von Sachbüchern im Unterricht, die mehr als

akzidentiell sein soll, allein schon daran, dass ein maßgeschneiderter Bestand an Büchern,

mit denen eine Klasse arbeiten kann, selten in der Schule oder Schulbibliothek, auch nicht

in einer nahe gelegenen Stadtbibliothek vorhanden ist.

Diese Überlegungen waren Ausgangspunkt des Projekts "Die Bibliothek in der Kiste" der

Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken (LAG). Ziel ist es, Lehrerinnen und Lehrern

die Bearbeitung von Unterrichtsthemen mit Hilfe von Kinder- und Jugendbüchern (bzw.

geeigneten Sachbüchern) zu ermöglichen. Die Bücher werden den Schulen als "Mini-

Bibliothek" in Bücherschränkchen oder -koffern leihweise zur Verfügung gestellt.

Finanziert wird das Projekt mit Mitteln des Hessischen Kultusministeriums.

Die Bücher sollen aber nicht nur Wissen vermehren, in Arbeitstechniken einführen und

schülerorientierte Unterrichtsformen ermöglichen. Sie sind im weitesten Sinn Leseför-

derung, sollen zum Lesen verlocken und die Erfahrung ermöglichen. dass sich Lesen

lohnt. Während anfangs (1992) im Projekt nur Sachbücher verwendet wurden, wurden im

Laufe der Zeit auch belletristische Literatur und für andere Medien (Videos, Dias)

einbezogen. Seit Beginn des Internetzeitalters werden bei den Sachthemen auch Inter-

netadressen aufgenommen. Das Internet ist keine Bibliothek, es ersetzt ältere Medien

keineswegs. Angestrebt wird ein „Medienmix“, durch den Leistung und Wert des einzelnen

Mediums deutlich werden.

Anspruch ist, nicht bloß einen Querschnitt der Verlagsproduktionen zu dem jeweiligen

Thema anzubieten, sondern eine schulstufenbezogene Auswahl zu treffen. Da der

Buchmarkt volatil ist, sind Bibliotheken und der Antiquariatsbuchhandel nicht zu unter-

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Page 51: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

schätzen. Gelegentlich befindet sich auch ein nach langem Suchen beschafftes Buch in

den LAG-Schränkchen.

Weitere Informationen unter: www.schulbibliotheken.de

Verwendungsvorschläge:

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Page 52: Ampelmaennchen und Todesschuesse. Die DDR im Unterricht

1 Ulrich Arnswald, Zum Stellenwert der DDR-Geschichte in schulischen Lehrplänen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 41-42/2004, http://www.bpb.de/publikationen/HB7S0C,2,0,Zum_Stellenwert_der_DDRGeschichte_in_schulischen_Lehrpl%E4nen.html Siehe auch Fn. 4! 2 Das zeigt sich u. a.

• im Parteiprogramm, in dem vom „Sozialismusversuch“ DDR gesprochen wird, die Veränderungen der „Wende“ von Reformern in der SED und Bürgerrechtlern gemeinsam bewirkt worden sein sollen.

• in immer wieder auftretenden Irritationen nach Äußerungen und Handlungen führender linker Politiker/-innen, wie z. B. Glückwunschtelegrammen an Fidel Castro, Verteidigung des MfS, Vergleiche zwischen Joachim Gauck und Hitler,

• der Bereitschaft der Parteivorsitzenden Lötzsch mit einer RAF-Terroristin auf einem Podium zu diskutieren, ihrer Suche nach Wegen zum Kommunimus.

• in der Lokalpolitik, wo meist wenig auffällt, wenn die Benennung einer Straße nach einem SED-Opfer verhindert wird, einer DDR-kritischen Ausstellung die Räume im Rathaus von der linken Bürgermeisterin verwehrt werden, die Dokumentationsstätte SED-Gefängnis Hohenschönhausen mit zahlreichen Schwierigkeiten auf der lokalen Politik- und Verwaltungsebene zu kämpfen hat.

• In den zahlreichen, den Begriff „Kommunismus“ im Namen führenden Untergruppen der Partei. 3 Siehe: Wohin treibt die DDR-Erinnerung. Dokumentation einer Debatte, hrsg. von Martin Sabrow u.a., Göttingen 2007 (auch Bundeszentrale f. pol. Bildung), „Zwickmühle der Vergangenheit“, in: Der Spiegel, 21/2008, S. 166f. Brandenburgs Kultusministerium lehnt z. B. die Finanzierung eines Dokumentations-zentrums in Brandenburg ab, in dem sowohl der DDR-Haftanstalt als auch der NS-Hinrichtungsstätte und der Euthanasiemorde gedacht werden sollt. Es will nur eine Euthanasiegedenkstätte finanzieren (Potsdamer Neueste Nachrichten, 3.6.08). Der Vergleich zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus wird von manchen Historikern vehement abgelehnt. Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow verweist auf den einzigartigen Zivilisationsbruch der Nazis, den fabrikmäßigen Völkermord. Man befürchtet eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen, wenn man vergleicht. Wer dennoch den Nationalsozialismus mit dem Kommunismus vergleichen will, muss betonen, dass er die Einzigartigkeit des Holocaust nicht in Frage stellt. Umgekehrt könnte man erwarten, dass die sozialistischen Diktaturen nicht verharmlost werden. Der linke Politiker Helmut Holter, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, nannte 2001 auf einem Podium in Berlin die Verbrechen des Kommunismus „überschaubar“ (in: „Totgesagte leben länger? Der Kommunismus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“, DVD-Dokumentation der Stiftung Aufarbeitung und Hundert,6 – Das Berlin Radio, 2001 Berlin). Thomas Anz referiert in der marxistischen literaturkritik.de eine Diskussion, die aus Anlass einer kritischen Rezension von Christa Wolfs Büchern in der FAZ entstanden war. In einfachen Worten lautet die Zusammenfassung: Der Nationalsozialismus ist von Natur aus böse, die Kommunisten dagegen wollen das Gute, kommen dabei aber gelegentlich vom rechten Weg ab und wenden Zwang und Gewalt an. Das ist sozusagen ein „Fieberanfall der Vernunft“. Siehe: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16181&ausgabe=201112 (19.12.2011) 4 Marianne Birthler bezeichnete die DDR als „zweite Katastrophe in der jüngeren Geschichte Deutsch-lands“ (23.05.07 in einer Veranstaltung in Berlin). 5 Der Begriff wurde von Egon Krenz geprägt. Gemeint war, die erneuerte SED solle jetzt die „Wende“ herbeiführen. Von Revolution, was ja berechtigt wäre, spricht kaum noch jemand. 6 Eine Studie des Forschungsverbundes SED-Staat der Humboldt-Universität, Berlin; z. B. in: www.sueddeutsche.de/jobkarriere/artikel/484/142174/3/. Einige Lehrkräfte, so Schroeder, verhinderten die Schülerbefragungen zum Teil sogar aggressiv und versuchten mitunter auch zu manipulieren. Dass Brandenburger und Ostberliner Schüler am schlechtesten abschnitten, erklärt nachträglich, warum der Berliner Senat und die Potsdamer Landesregierung (Die Potsdamer Schüler/innen bilden das Schlusslicht beim DDR-Wissen!) sich nicht entschließen konnten, die Untersuchung mitzufinanzieren. Das Geld für ein Gutachten, in dem die methodische Sorgfalt der Studie bezweifelt wurde, stellte der Berliner Senat aber zur Verfügung. Immerhin hatte die brandenburgische Landesregierung beschlossen, die Richtlinien für den Geschichts-unterricht zu überarbeiten. Vor der Verabschiedung wurde es allerdings wieder etwas entschärft. Vergleiche zwischen NS- und SED-Diktatur werden nun nicht mehr angeregt. DDR-Ursachen für Frem-denfeindlichkeit sollen auch nicht mehr untersucht werden. Potsdamer Neueste Nachrichten v. 14.12.07.. Dem Bericht hat die Landesregierung m. W. nicht widersprochen.

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Eine bemerkenswerte Fußnote der Untersuchung ist, dass NPD-orientierte Jugendliche die DDR ähnlich positiv sehen wie der PDS-nahestehende (Zurzeit der Umfrage hieß sie noch so.) Da trifft sich Volks-gemeinschaft mit antikapitalistischen und antiisraelischen Einstellungen. 7 Prof. Schroeder in einem Vortrag am 7.4.08 in Potsdam 8 Man denke nur an die Forderung Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen!“, an die Strafrechtsreform, an die Mitbestimmung von Schülern und Studenten in Schulen und Hochschulen. 9 Dr. Gregor Gysi, in der DDR Sprecher der DDR-Anwälte, konfrontiert mit dem Vorwurf, er habe als IM seine Mandanten an das MfS verraten, weist darauf hin, dass er auf Grund seiner Position Ansprechpart-ner direkt im Zentralkomitee der SED gehabt habe. 10 Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Datenreport 2006, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 644. Umfrageergebnisse des Spiegels im Rahmen der Serie „Zukunft der Demokratie“, Heft 19/2008 ff. sind nicht ganz so drastisch, aber tendenziell vergleichbar. Katja Neller, DDR-Nostalgie, Wiesbaden 2007, kommt zu dem Ergebnis, dass es so etwas wie eine Rückfallsucht in undemokratische Verhältnisse gibt. Das Forsa-Institut hält Umfragergebnisse, die eine hohe Demokratie-Ablehnung ergeben für „Unfug“ und versucht, mit einer eigenen Studie dagegen zu halten. (u. a. Tagesspiegel v. 26.09.08). Der einmal als Bundespräsident kandidierende Ex-DDR-Kabarettist und Schauspieler Sodann, der im gegenwärtigen Deutschland keine Demokratie zu erkennen vermag, wurde von seinen Führungsleuten schon uminterpretiert: Deutschland sei eine Demokratie, aber mit Schwächen. (Frankfurter Rundschau v. 16.10.08) In Polen liegt die Zustimmung zur Demokratie bei 70 – 80% (Müller/Hartmann: Vorwärts und vergessen, Berlin 2009, p. 224). 11 Sehr lesenswert dazu: Mary Fulbrook, Verarbeitung und Reflexion der geteilten Vergangenheit seit 1989, in: Christoph Kleßmann u. a. (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten – eine gemeinsame Herausfor-derung, Berlin, 1999, pp. 286 -298. 12 Hans-Joachim Maaz, Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR, Berlin 1990 (nur noch antiqua-risch), z. B. auf S. 91 13 „Wir wurden dazu erzogen, den Mund zu halten. ´Auch ihr werdet wegen eurer Zunge Ärger bekom-men` - das wurde uns Kindern andauernd eingeschärft. Wir hatten unser ganzes Leben lang Angst, den Mund aufzumachen. Unsere Mutter sagte immer, jeder andere sei ein Spitzel.“ (Aus: Die Flüsterer: Leben in Stalins Russland, von Orlando Figes, Berlin 2008) Schwer vorstellbar, dass in einer Gesellschaft, in der man ohne Umschweife die Großmutter als IM ver-dächtigt oder das Westfernsehen erst guckt, wenn die Kinder im Bett liegen, dieser Satz einer Russin nicht ebenfalls gegolten haben sollte. Noch ein Beispiel: In einer Gruppe junger Leute, die 1968 gegen die Niederschlagung des Prager Aufstandes protestierten, war es in einem Falle der Vater, der seinen Sohn anzeigte, bei einem anderen war die Mutter IM. (FAZ v. 21.8.08, S. 44f.), bei der Familie Bisky (Vater war Hochschulrektor, später PDS-Vorsitzender, bestreitet MfS-Kontakte) war es die Ehefrau. 14 Siehe dazu auch Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur, S.126f 15 Siehe auch dazu Mary Fulbrook, Fn 9! 16 Micky Maus und Karl May waren (zeitweise) verboten, Brechts Kriegsfibel war umstritten. Die SED-Verlage druckten so genannte Plusauflagen: Man bezahlte den Westverlagen eine Auflage von 100.000 Exemplaren, z.B. des „kleinen Prinzen“, druckte aber 300.000. Die SED verdiente also an dem durch ihre Zensur geschaffenen Lesehunger der Bevölkerung. 17 Ich habe aber noch größeren Respekt vor Menschen, die nach der „Wende“ ihr Ministeramt zurück-gaben, weil sie nicht mit einem als IM verdächtigten Ministerpräsidenten zusammenarbeiten wollten oder die die Straßenseite wechseln würden, wenn ihnen Dr. Gysi entgegenkäme, wie ein Stasi-Opfer erzählt. „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!" diesen Satz sagte Hans Filbinger, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in einem Interview zu seiner Verteidigung gegen Vorwürfe, er habe als Richter an NS-Unrechtsurteilen mitgewirkt. IMs reden ähnlich, behaupten, sie hätten keinem geschadet. Angehörige der DDR-Oberschicht und Menschen, die das MfS in seinen Akten führte, treten im Bundestag und in den neuen Landtagen als Interessenvertreter Ostdeutschlands auf. Bürgerrechtler sind weitgehend aus Politik und Verwaltung verschwunden. SED-Opfer beklagen sich, dass sie in den Ämtern wieder die alten Gesichter sähen. 18 Ich habe mich gefragt, ob ich als (Besser-)Wessi eine solche Bücher- und Medienkiste zusammen-stellen darf. Kann aber die DDR wirklich nur beurteilen, wer in ihr als unpolitischer „Normalbürger“ (das Wort las ich in einem Leserbrief an eine ostdeutsche Zeitung), womöglich als gläubiger Marxist, gelebt hat? Ich habe es nie vergessen, dass in einer Diskussion über den Zweiten Weltkrieg ein ehemaliger Wehrmachtsmajor mir damals jungem Geschichtsstudenten vorwarf, ich sei nicht bei Stalingrad dabei gewesen, ich dürfe doch über den Krieg gar nicht reden. 19 Politisch Verfolgte als Zeitzeugen sind wichtig für Schulen. Deswegen geht ja auch um sie der geschichtspolitische Streit. Die Opfer stört die verklärende Erinnerung. Für manche Historiker und

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Politiker soll der Alltag und nicht länger der Stasi-Terror im Mittelpunkt der Erinnerungskultur stehen. Zu fragen wäre, was die Verfechter dieses Konzeptes wollen. Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow möchte, dass Schüler mit ihrem in der Schule erworbenen Wissen(!) den unterschiedlichen Perspektiven von Zeitzeugen konfrontiert werden. (Frankf. Allg. Sonntagszeitung v. 4.2.09) Unbequem ist auch der Vergleich mit der Nazizeit. Hier soll ein Abstand gewahrt bleiben. National-sozialisten haben nicht für eine gute Sache gefoltert und getötet, wie die Kommunisten. Wenn ein Vergleich dennoch als didaktische Anregung in den Lehrplan aufgenommen wird, streicht ihn ein SPD-Finanzminister in Brandenburg wieder heraus (Potsdamer Neueste Nachrichten v. 14.12.07); sh. auch Fn 6) 20 Jana Hensel, Zonenkinder, Reinbek 2002, mehrere Auflagen; Robert Ide, Geteilte Träume, München 2007. Hensel plaudert über Kindheitserinnerungen, die sich überall hätten ereignen können. Ide erzählt sehr viel realistischer und politischer von Kindheit, Jugend und Schule und der Entfremdung zwischen Eltern und Kindern in der Nachwendezeit. Sehr lesenswert! 21 Wenn die Aufarbeitung der DDR-Geschichte behindert wird, ist es besonders ärgerlich. Richard Schröder stellt in seinem Buch „Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit“ einiges richtig, was an der DDR nachträglich schön gerechnet wird. Ärgerlich ist auch, dass der renommierte Fischer-Verlag in Plenzdorf/Dammanns „Ein Land, genannt die DDR“ die Schriftstellerin Daniela Dahn davon schwärmen lässt, dass, sieht man von ein paar kleinen Schwächen ab, die DDR auf dem besten Weg ins Arbeiter-und-Bauern-Paradies gewesen war, als die „Wende“ dazwischen kam. Der Ausstellungsband „Partei-diktatur und Alltag in der DDR“ des Deutschen Historischen Museums in Berlin dokumentiert eine arg enttäuschende Ausstellung (2007). Sie zeigt ein paar Reliquien (Brühwürfel und Ulbrichts Pelzmütze), erklärt aber nichts und schon gar nicht, wie die allmächtige Partei den Alltag durchdrang. Die Bücher von Autoren, die den unberechtigten Untergang der DDR durch imperialistische Machenschaften beschwören und von Amazon-Lesergenossen dafür fünf Sternchen erhalten, sollen hier gar nicht erwähnt werden. Im Streit um die richtige Art der Aufarbeitung der SED-Diktatur wird die „Betroffenenliteratur“, die Geschi-chte von Tätern und Opfern, als unzureichend empfunden. Das verzerre das Gesamtbild. (Mary Fulbrook, Fn. 9, S. 293) Man stelle sich vor, so würde bei der Behandlung der nationalsozialistischen Diktatur argu-mentiert werden: „Lauft doch nicht dauernd mit den Schulklassen ins KZ, ladet nicht so viele jüdische Zeitzeugen ein!“ oder „Das Tagebuch der Anne Frank“ als Betroffenheitsliteratur, die dem Gesamtbild Nazi-Deutschlands nicht gerecht würde. In der eingangs erwähnten Untersuchung der 107 Lehrpläne, s. Fn 1!, notiert Ulrich Arnswald, dass das Thema Verfolgung zu kurz komme. Es werde nur in zwei Lehr-plänen erwähnt (Bayern und RPF). 22 In einer Längsschnittstudie schneidet bei den Befragten der „Wendegeneration“ im Systemvergleich die DDR in fast allen Bereichen mit z. T. extrem hohen Werten hervorragend ab: Soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit, Familienförderung, Gleichberechtigung der Frau, Kinderbetreuung, Schutz vor Krimi-nalität, Schulbildung, Verhältnis der Menschen untereinander, Gesundheitswesen. Siehe: Berth, Hendrik u. a., Einheitslust und Einheitsfrust. Junge Ostdeutsche auf dem Weg vom DDR- zum Bundesbürger. Eine sozialwissenschaftliche Längsschnittstudie von 1987 – 2006, Gießen 2007, p.69 23 Desto bewunderungswürdiger ist die große Leistung der Bürgerrechtler in den Monaten der Revolution. 24 Abgesehen von den 40ern und anfänglichen 50ern, als u. a. die SMAD (Militäradministration in der sowjetisch besetzten Zone bis zur Gründung der DDR 1949) noch zuständig für die Verfolgung von Nazis war. Die verheerenden Folgen dieser fehlenden Aufarbeitung für die gemeinsame politische Zukunft des vereinten Deutschlands sind noch nicht abzusehen. Laut Umfragen gehen Ostdeutsche mit der NS-Ver-gangenheit sehr viel unbefangener um (Fn. 9). Bezeichnend ist ein lapsus linguae auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche 1981: In einer Debatte über einen westdeutschen Film sagte ein Diskutant: „Als dann in der BRD der Faschismus errichtet wurde…“ Gemeint war die Weimarer Republik. Niemand nahm Anstoß an der Formulierung. (Peter Wensierski/ Wolfgang Büscher, Null Bock auf DDR, p. 90) 25 Noch 1989 saßen ehemalige NSDAP-Mitglieder im Zentralkomitee. Ein Mediziner, der in den 40er Jahren Zuchthausinsassen für lebensgefährliche medizinische Experimente benutzte, wurde in der DDR angesehener Institutsleiter und Staatspreisträger, sogar eine Straße wurde nach ihm benannt. 26 Horch und Guck, Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur, 4/2011, 4. Umschlagseite 27 Vgl. Christiaan Frederik Rüter: Die strafrechtliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR – eine Bilanz, in: Klaus Bästlein (Hrsg.), Die Einheit –Juristische Hintergründe und Probleme. Deutschland im Jahr 1990, Berlin 2011, Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherdienstes der ehemaligen DDR, p 5 -20 28 Bei Günter Grass sicher zu Recht. Der DDR-Nationalpreisträger Erwin Strittmatter war Mitglied eines SS-Polizeiregiments gewesen, was erst nach seinem Tod bekannt wurde. Er war wohl nicht an Mord-aktionen beteiligt, hat sie aber im Regimentstagebuch protokollieren müssen. 29 Genau wie die Hitler-Diktatur begann die DDR-Gründung mit einem Fackelzug!

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30 Annette Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung sagte in einem Tagesschau-Interview: „Der Unter-schied ist, dass die Gesellschaft im Westen wacher ist. Im Osten ist es den Menschen oft egal - oder sie sympathisieren sogar heimlich mit den Tätern. In manchen Regionen im Osten gibt es eine große Leere - auch was die Werte betrifft. Wenn eine fremdenfeindliche Gewalttat passiert, ist die erste Reaktion: 'Jetzt kommen wieder die Westmedien, und wir kriegen Ärger.“ (Ihr Mann Amadeu Antonio wurde 1990 von Jugendlichen in Eberswalde getötet.) Der ehemalige Regierungssprecher Heye sagt: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde hinzugehen.” In Halle bezahlt die Universität ausländischen Professoren Taxifahrten, um Zwischenfälle zu vermeiden. Der farbige Ausländerbeauftragte der Stadt Schwedt zieht mit seiner Familie um. Ihm wurden die Diskriminierungen und Anfeindungen zu viel (http://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/337562/ - 12.7.2011). Erkannt wird inzwischen, dass die nazistischen und fremdenfeindlichen Aktivitäten die wirtschaftliche Ent-wicklung bremsen. Die Ablehnungsquote ausländischer Spezialisten auf Jobangebote ist im Osten dop-pelt so hoch wie in Westdeutschland. 31 Inzwischen tragen Ost-Neonazis ihre Erfahrungen mit befreiten Zonen und bürgernahem sozialem Engagement nach Westen. Sascha Lange, schreibt in „DJ Westradio“: „Das rechtsextreme Gedankengut … war, anders als es die DDR-Medien später verbreiteten, nicht aus dem Westen importiert, sondern seit Jahrzehnten in der DDR selbst herangewachsen. … Nazis waren nicht nur Hilfsschüler, sondern auch Söhne von mittleren SED-Bonzen. Fascho-Sein wurde… zur… Fundamentalopposition von Jugendlichen gegen den DDR-Staat“ (S. 118f.) 32 Zitat aus der o.a. Schülerbefragung 33 Andrej Hermlin, Sohn von Stefan Hermlin, erzählt von seinem Geschichtslehrer, dass der einmal im Unterricht zur westdeutschen TV-Serie Holocaust Stellung nehmen musste: Da fehle der kommunistische Widerstand (Was nicht stimmt!) und außerdem seien nicht nur arme unschuldige Juden getötet worden, sondern auch jüdische Millionäre. (Von A. Hermlin in einer Veranstaltung in Berlin am 20.5.08 erzählt.) 34 U. a. wurde Andrej Hermlin so in einer NVA-Kaserne begrüßt. (Von ihm erzählt in einer Veranstaltung in Berlin am 20.5.08) 35 S. dazu Annette Leo, Peter Reif-Spirek (Hrsg.), Helden, Täter und Verräter. Studien zum DDR-Anti-faschismus, Berlin 1999, S. 37ff) 36 Was den letzten SED-Vorsitzenden, Dr. Gysi, nicht hinderte, im Frühjahr 1990 den jüdischen Weltbund aufzufordern, mit einem Kredit der bankrotten DDR zum Weiterleben zu verhelfen. Liest man Kommen-tare in israelischen und amerikanischen Zeitungen dazu, spürt man die Verblüffung ob dieser Chuzpe. 37 Das hinderte die Stadtverwaltung Potsdams nicht daran, den Erben die Kosten für die Sicherung der Ruine in Rechnung zu stellen. Nicht zu klären war für mich, ob die Besetzer das Haus nur zerfallen ließen oder auch beschädigt haben. Wer mehr zum Antisemitismus der SED, nicht dem Antizionismus!, erfahren will: Stefan Meining, Kommu-nistische Judenpolitik. Die DDR, die Juden und Israel, Hamburg: 2002. 38 Siehe Fn. 4! 39 Weite Teile der Linkspartei, allen voran Prof. Dr. Norman Paech, sind mit der Menschenrechtspolitik Chinas nicht unzufrieden. Auch das SED- und später PDS-, dann Linksparteimitglied Egon Krenz war ja schon hochzufrieden mit chinesischer Menschenrechtspolitik wie der Erschießung demonstrierender Studenten 1989 auf dem Tian'anmen-Platz in Peking. Von der Kommunistin Sarah Wagenknecht aus dem Linksparteivorstand, die sich Hoffnungen auf einen Stellvertreterposten macht, ist kein kritisches Wort über die DDR bekannt geworden. 40 In Frankreich wurde die Zusammenarbeit der Vichy-Regierung mit der Nazi-Regierung, insbes. bei der Verfolgung und Ermordung der französischen Juden fast 60 Jahre beschwiegen, mit Lügen zugedeckt, die Résistance mythisch überhöht. Siehe: http://www.zeit.de/2002/12/Untergang_einer_Staatsluege?page=1 41 A.a.O., S.94 42 Mir fallen nur Wolfgang Berghofer (Oberbürgermeister von Dresden) und Günter Schabowski (Polit-büromitglied) ein. Die Verengung der Aufarbeitung der SED-Diktatur auf die Stasi und die IMs erweist als fatal: Es wird unerbittlich um Menschen gestritten, die wegen einer besseren Wohnung, einer schnelleren Autoliefe-rung, wegen eines väterlichen Freundes als Stasi-Kontaktperson IM wurden. Man verliert aus dem Blick, dass manche gezwungen wurden, manche durch ihre Berichte auch Menschen geschützt haben, manche gleich wieder ausgestiegen sind und viele gar nein gesagt haben! Dabei verliert man auch die Nomen-klatura aus dem Blick. Siehe Fn 8, Dr. Gregor Gysi! Siehe auch die Fälle in: Ich habe „Nein!“ gesagt. Zivilcourage in der DDR, von Marco Hecht und Gerhard Praschl, Berlin 2002 und Fn 72. 43 Potsdamer Neueste Nachrichten v. 12.9.2008

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44 Auch noch ein Jahrzehnt nach der „Wende“ 1945 hielten viele Deutsche die Nazizeit für die Zeit, in der es den Deutschen besser gegangen war. 45 Nachtrag Januar 2012: Auf der Basis des Buches gibt es eine gleichnamige TV-Dokumentation. Sie steht zurzeit in der ARD-Mediathek: http://www.mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/799280_reportage-dokumentation/9182804_stasi-auf-dem-schulhof 46 Leider wird Geschichte sehr oft als Pauk- und nicht als Denkfach praktiziert. Grundlegende Auseinan-dersetzung mit dem kommunistischen Gesellschaftssystem, mit der kommunistischen Ideologie ist, wenn auch in unzulänglichem Maß, erst Thema des Politikunterrichts der S II; s. Fn 1! 47 Richard Schröder zitiert den Klassiker: „Was passiert, wenn der Sozialismus in der Sahara eingeführt wird? Fünf Jahre nichts, dann wird der Sand knapp.“ Lesenswert auch die „Sieben Weltwunder der DDR“. (Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit, S.71). 48 Zu den Mythen und Irrtümern der Wendezeit siehe die Bücher von Schröder, Steiner, Eckert! 49 Amadeu-Antonio-Stiftung verleiht eine Ausstellung „Das hat´s bei uns nicht gegeben! Antisemitismus in der DDR“, www.amadeu-antonio.stiftung.de 50 Obst vergleicht das Einkommen des westdeutschen Bundeskanzlers mit dem Einkommen und den kostenlosen Privilegien von Honecker und Stoph Ende der 60er Jahre. Beides ist in etwa gleich. Hone-ckers Gesamteinkommen betrug aber das 14fache des DDR-Durchschnitteinkommens, das des Bundeskanzlers das (seinerzeit) 5fache eines durchschnittlichen westdeutschen Arbeitnehmereinkom-mens. 51 Diese Akte ist laut Prof. Schroeder (Vortrag in Potsdam am 7.4.08) nicht mehr auffindbar. 52 Ich verwende deswegen den Begriff der DDR-Oberschicht, auch wenn es diese in der sozialistischen Gesellschaft eigentlich nicht geben sollte. Die Privilegien der Nomenklatura (eigene Krankenhäuser, be-sondere Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, Reisefreiheiten) gepaart mit überdurchschnittlichem Nominaleinkommen, rechtfertigen das. 53 Zitiert von Martin Sonneborn, ehem. Chefredakteur der Satire-Zeitschrift Titanic in: FAZ v. 9.6.08, p. 42. Sonneborn dreht einen Film über eine Rundreise in Ostdeutschland. Der Bericht geht so weiter: „Ich frag-te natürlich nach, welches System das beste gewesen sei. Daraufhin stemmte er die Arme in die Hüften, seufzte auf `pffffffft´ und starrte minutenlang ratlos in den Himmel.“ 54 Die ehemaligen Großfarmen, die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, in denen die Bauern als Landarbeiter beschäftigt waren, werden heute, teilweise mit den ehemaligen LPG-Vorsitzen-den als Geschäftsführer, mit modernster, Arbeitskräfte sparender Technik weitergeführt. Die Landarbei-ter, soweit sie nicht eine Altersversorgung erhalten, die sie in der DDR in der Höhe nie erhalten hätten, sind arbeitslos. 55 http://www.tagesschau.de/inland/meldung159186.html. 1960 vor dem Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ verließen z. B. 247000 Menschen die DDR, 25000 zogen zu. 2004 verließen 185000 Menschen die neuen Bundesländer, 133000 zogen zu. (Datenreport 2006, hrsg. vom Statistischen Bun-desamt, Bonn 2006, S. 47) 56 Das Statistische Bundesamt geht für die ehemalige Bundesrepublik von einer „erheblichen Untererfas-sung“ aus, da es eine Meldepflicht erst ab 1995 gibt. Andererseits galt für die DDR, dass jede dritte schwangere Frau eine Abtreibung vornehmen ließ. 57 Das wird deutlich bei den Reaktionen auf die Erwähnung der häufigen Abtreibungen in der DDR im Zusammenhang mit der Ursachenforschung bei den zahlreichen Kindsmorden durch junge Mütter http://www.focus.de/politik/deutschland/abtreibungen-normalste-sache-der-welt_aid_263590.html oder bei Hinweisen auf die autoritäre Erziehung im Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit http://www.rbb-online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_1259342.html Diese Thematik scheint zum Tabuthema zu werden, weil in Frage gestellt wird, dass es ein normales Le-ben jenseits von Partei und Staat gegeben hätte. Maaz, s. Fn 7, S. 191, schreibt dazu: „Wenn ich die Wahrheit nicht zulasse, weil sie so schmerzt, muss ich viel Energie zu ihrer Unterdrückung aufwenden.“ Er befürchtet, dass dies die Gegensätze zwischen West- und Ostdeutschen in Zukunft noch viel krasser werden lässt. http://www.zeit.de/2001/14/Wie_Pubertierende 58 Das als effizient vermutete Schulwesen der DDR scheint als ein letzter Mythos nicht nur zu überleben, sondern erfreut sich wachsender Sympathie in Westdeutschland. Dass in den 60er und 70er Jahren die meisten Staaten vielgliedrige Schulsysteme abgeschafft haben, interessiert weniger. Die westdeutschen Reformschulen (Bielefeld, Wiesbaden, Odenwaldschule, Bensheim) sind out. Verwunderlich, dass aus-gerechnet dieses jetzt hoch gelobte Schulsystem in den Revolutionsmonaten im Mittelpunkt der Kritik stand, etwa bei Christa Wolf. 59 Verblüffend realistisch, wenn auch ein wenig langatmig: Christian von Ditfurth, Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus, Köln 22007 (1999); ein weiterer Versuch: Simon Urban, Plan D, Frankfurt 2011. Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg berichtet, dass die 70 reichsten Abgeordneten im Volkskongress der VR China 70 Mrd Dollar besitzen. Das ist 10x mehr als alle

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660 Angehörigen von US-Kongress, Regierung und Oberstem Gericht besitzen. Siehe: http://www.bloomberg.com/news/2012-02-26/china-s-billionaire-lawmakers-make-u-s-peers-look-like-paupers.html (28.2.2012) 60 Der Spiegel zitiert die Bundestagsabgeordnete der Partei „Die Linke, Ulla Jelpke: „… Sozialismus –„meinetwegen auch demokratisch - ….“ (Der Spiegel, 30/2008, p 47). Die oft bemühte Formulierung „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ ließe sich auch einmal hinterfragen… 61 Lenin sorgte 1921, nach dem Aufstand der Kronstädter Matrosen, mit dem Verbot der Fraktionsbildung dafür, dass unterschiedliche Meinungen in der KP nicht mehr diskutiert werden durften. By the way: Der Satz von Rosa Luxemburg über die Freiheit Andersdenkender erhält einzig in diesem Zusammenhang seinen Sinn. Luxemburg kritisierte 1918 Fehler Lenins und seinen sich abzeichnenden Unfehlbarkeits-anspruch. Mit bürgerlicher Demokratie, noch nicht einmal mit dem revisionistischen demokratischen Sozialismus der SPD hat Luxemburgs Satz etwas zu tun. 62 Dass es für große Teile der DDR-Elite einen reibungslosen Übergang in die neue Bundesrepublik gab, nicht zuletzt dank der Milliarden Mark, die der SED/PDS 1990 zur Verfügung standen und die nie mehr vollständig zurückgefordert werden konnten. Die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermö-gens der Parteien und Massenorganisationen der DDR schloss 2006 ihre Arbeit nach sechzehn Jahren ab und schrieb: „Die SED/PDS verfolgte eine Strategie der Vermögensverschleierung.“ 63 Franz Loeser, Philosophieprofessor an der Humboldt-Universität und hochrangiger SED-Funktionär, berichtet in seinem stellenweise lesenswerten Buch „Die unglaubwürdige Gesellschaft. Quo vadis DDR?“ Köln 1984, diese Details. Er floh Anfang der 80er Jahre aus der DDR, blieb aber überzeugter Marxist. Er hielt die SED-Diktatur für „entartet“ und hoffte auf eine wahre sozialistische Demokratie. 64 Gesehen in Flyern des Lehrerfortbildungsinstituts LISUM für Berlin/Brandenburg. 65 Vereinsrechtlich scheint es so zu sein, dass die SED nie aufgelöst wurde, sondern sich nach Anpas-sung an das Parteiengesetz mehrfach umbenannte. 66 Zumindest behauptet das der ehemalige DDR-Rechtsanwalt und letzte SED-Vorsitzende Dr. Gysi für seine Mandanten getan zu haben. 67 „Neues ökonomisches System der Planung und Leitung“ (NÖSPL). Dabei handelt es sich um eine Reform des planwirtschaftlichen Systems in den 60er Jahren, d.h. Einführung marktwirtschaftlicher Ele-mente in die Zentralverwaltungswirtschaft. 68 Obst war ein wichtiger Manager der DDR-Planwirtschaft, der den Staat 1969 resigniert verließ. Er sagt den Zeitpunkt der Pleite der DDR zum selben Zeitpunkt voraus, wie Planungschef Schürer 1989, nämlich 1990/91. Als der SPD-Politiker Ringstorff 1990 nach den ersten freien Volkskammerwahlen forderte, die Erlöse der Privatisierung der DDR-Wirtschaft der Bevölkerung zugute kommen zu lassen, fragte ihn der DDR-Ministerpräsident de Maizière, wie er darauf komme, dass da etwas zu verteilen wäre. (Schröder, a.a.O. S. 72) 69 Siehe z. B. den Bericht des Spiegel über den zu erwartenden Bankrott der DDR 1983: www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,533807,00.html 70 Auch wenn angesichts der Erschütterungen der Finanzmärkte Enteignungsfantasien wuchern: Die DDR hatte, nach meiner Kenntnis der Faktenlage, nie eine Spekulationskrise. Sie war allerdings schneller bankrott als Lehmann Brothers Inc., die 1850 gegründet wurden. 71 So nennt Loeser die Zeit, in der der Kommunismus einst verwirklicht sein wird; s. Fn. 24. Vergleiche dazu auch die Studie „Kommunismus als Religion. Die Intellektuellen und die Oktoberrevolution“, von Michail Ryklin, Frankfurt am Main und Leipzig 2008. 72 http://www.wiwi.uni-frankfurt.de/Professoren/ritter/veranstalt/ss97/wipol/projekt/pro31.htm 73 Dieses Thema scheint noch nicht sehr erforscht zu sein. Eine Mangelwirtschaft, in der aber alles zu kriegen ist, kann nur durch Korruption am Laufen gehalten werden. Das fing schon bei Autoreifen und Klempnerterminen an. Siehe dazu auch das Interview mit Marianne Birthler: http://www.transparency.de/birthler-interview-RB32.1215.0.html 74 Siehe Gottfried Breit, Mit den Augen des anderen sehen - Eine neue Methode zur Fallanalyse. Schwal-bach 1991, 2. unveränderte Aufl. 1992, oder Methodentraining I für den Politikunterricht, erhältlich im Buchhandel oder bei der Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/publikationen/ARHLJP,0,0,Methodentraining_I_f%FCr_den_Politikunterricht.html 75 Gegebenenfalls die Beispiele auf http://www.poolalarm.de/kindersuchdienst/ddr-schule.htm 76 So stand z. B. statt des Italieners Marconi ein Russe als Erfinder der drahtlosen Telegraphie im Phy-sikbuch. 77 Immer mehr davon kommt allmählich ans Licht. Z. B. gab es Aussteiger, die als Indianer(!) zu leben versuchten oder Punks. Es gab illegale Radiosendungen und Flugblätter, Wandzeitungen in Schulen. Es gab IMs, die bewusst falsch informiert haben oder sich offenbarten und damit für SED unbrauchbar wurden. Im Mai 2008 aktuell: Der Fall von Sabine Popp, die im Vogtland 1980 Parolen („Wiederver-

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einigung“ oder „Mauer weg“) auf die Straße malte. Sie, ihre Schwester und ein Freund mussten für mehrere Jahre ins Gefängnis. Der junge IM, der für seine Denunziationen mit einer Auslandsreise, Geld, einem Austauschmotor und einem Kredit belohnt wurde, sieht sich als Opfer, da sein Name in einer Ausstellung genannt wird, und bemüht die Gerichte. Die Nachbarschaft hält bis heute Distanz zur „Fa-schistin“ Sabine Popp (FAZ, 5.7.08, S. 3). Alle URLs, soweit nicht anders vermerkt, angeschaut zwischen 01.02. und 20.02.2008 Gerne bin ich bereit, auch für hier nicht belegte Aussagen und Informationen Quellen anzugeben. Während der Erarbeitung von Medienliste und Handreichung wurden Ereignisse und Materialien im Schulbibliotheks-Weblog „Basedow1764 http://basedow1764.wordpress.com und im „Ampelmännchen und Todesschüsse“ – Weblog kommentiert: http://ddrwebquest.wordpress.com © 2008-2012 Günter Schlamp Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Hessen e.V. www.schulbibliotheken.de Aktualisiert 5.7.2009 16.6.2011 16.1.2012 3.3.2012

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