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Hintzes Kategorie der Erzählung im Neuägyptischen – zwischen Stil und Grammatik. Von Helmut Satzinger Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. Freitag, 7. Dezember 2007 Fritz-Hintze-Vorlesung

Hintzes Kategorie der Erzählung im Neuägyptischen – zwischen Stil und Grammatik

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Fritz Hintze’s merits for Late Egyptian grammar.

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Page 1: Hintzes Kategorie der Erzählung im Neuägyptischen – zwischen Stil und Grammatik

Hintzes Kategorie der Erzählung imNeuägyptischen –

zwischen Stil und Grammatik.

Von Helmut Satzinger

Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V.

Freitag, 7. Dezember 2007

Fritz-Hintze-Vorlesung

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Fritz Hintze (1915-1993) hat ein reiches undwertvolles wissenschaftliches Œuvrehinterlassen. Seine Interessen waren markantauf sprachwissenschaftlichem Gebiet:Ägyptisch und Koptisch.

Ägyptisch (Auswahl):Die Haupttendenzen der ägyptischen Sprachentwicklung,

Zeitschrift für Phonetik und allgemeineSprachwissenschaft 1, Berlin, 1947, 85-108.

„Konversion“ und „analytische Tendenz“ in derägyptischen Sprachentwicklung, Zeitschrift für Phonetikund allgemeine Sprachwissenschaft, Berlin 4 (1950), 41-56.

Überlegungen zur ägyptischen Syntax, Lingua Aegyptia 5(1997), 57-106. (Posthum!)

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Hamitosemitistik:Zur hamitosemitischen Wortvergleichung, Zeitschrift für Phonetik und

allgemeine Sprachwissenschaft, Berlin 5 (1951), 65-87. [Besprechung vonMarcel Cohen Essai comparatif.]

Koptische Sprache (Auswahl):Bemerkungen zur Aspiration der Verschlusslaute im Koptischen, Zeitschrift

für Phonetik und allgemeine Sprachwissenschaft 1, Berlin, 1947, 199-213.Ist koptisch sown „wissen“ eine Pielbildung?, MIO 1 (1953), 27-37.Zur koptischen Phonologie, Enchoria 10 (1980), 23-91.Eine Klassifizierung der koptischen Dialekte, in: Studien Westendorf, 411-432.

Neuägyptisch:Untersuchungen zu Stil und Sprache neuägyptischer Erzählungen, [1./2.

Lieferung,] Berlin, Akademie-Verlag, 1950/1962 = DeutscheAkademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung.Veröffentlichung Nr. 2/6.

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Seit Mitte der 50er Jahre kamen dazuAltnubisch und Meroitisch, antike SprachenNubiens und des Sudan, also des Gebietes, indem er nunmehr auch als Archäologe tätigwurde, als Ausgräber der Heiligtümer vom el-Musawwarât el-Sufra.

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Altnubisch

Beobachtungen zur altnubischen Grammatik

—— [I—Il]. Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zuBerlin 20.3, 1971, 287—293. [I. Die „Partizipien“; II. DieGenitivpartikeln -n und -na.]

—— [III]. Altorientalische Forschungen 2 (1975) 11—23. [Diesogenannten „Genera verbi“.]

—— [IV]. Nubia: Récentes recherches. Warschau 1975, 65—69. [DieDetermination.]

—— [V]. Altorientalische Forschungen 5 (1977) 37—43. [Das Futurum.]

—— [VI]. Nubische Studien. Mainz am Rhein 1986, 287—293. [1. Dieallgemeine Struktur des Altnubischen; 2. Grundzüge derMorphophonologie; 3. Zum Problem der Orthographie.]

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MeroitistikDie sprachliche Stellung des Meroitischen, in: Afrikanistische StudienDiedrich Westermann zum 80. Geburtstag gewidmet, Berlin, Akademie-Verlag, 1955, 355-372 = Deutsche Akademie der Wissenschaften zuBerlin. Institut für Orientforschung, Veröffentlichung Nr. 26, 355-372.

Die Struktur der "Deskriptionssätze" in den meroitischen Totentexten",MIO 9 (1963), 1-29.

Some Problems of Meroitic Philology, in: Sudan in Altertum. Berlin 1973,321-336.

Meroitische Verwandtschaftsbezeichnungen, Meroitic Newsletter 14(Februar 1974), 30-32.

./.

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Die Häufigkeitsverteilung der Deskriptionssätze in den meroitischenTotentexten, Meroitic Newsletter No. 17 (Oktober 1976), 11-35 (6 tables,2 fig.).

Genetivkonstruktion, Artikel und Nominalsatz im Meroitischen, in: Meroè[1977], 22-36.

Beiträge zur meroitischen Grammatik, Berlin 1979, speziell 11-92.

Statistische Beobachtungen zu den meroitischen Opfertafeln und Stelen, in:Meroitic Studies. 1982, 123-147.

Zur Interpretation des meroitischen Schriftsystems, Beiträge zurSudanforschung 2 (1987), 41-50.

Meroitisch und Nubisch. Eine vergleichende Studie, Beiträge zurSudanforschung 4 (1989), 95-106.

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... antike Sprachen Nubiens und des Sudan, also des Gebietes, indem er nunmehr auch als Archäologe tätig wurde, als Ausgräberder Heiligtümer von Musawwarât el-Sufra.

Musawwarat 1968. Aufnahme: Ursula Hintze

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Gerald M. Browne, Introduction to Old Nubian. Berlin 1989.Vorwort (S. IX):... I have been continually inspired by Professor Fritz Hintze’s magisterialBeobachtungen zur altnubischen Gramatik. In addition, I owe Professor Hintze a morepersonal debt of gratitude: for it was at his instigation that I was invited to teach OldNubian in the fall semester of 1986 at the Humbodt-Universität in Berlin (DDR).Stimulated by the exciting intellectual environment that he and his colleagues,Professors Erika Endesfelder, Steffen Wenig and Dr. Jochen Hallof, generouslyprovided, I was able in the course of my stay in the DDR to marshal the conceptualforces that inform this grammar.

Gerald M. Browne, ehem. University of Illinois, vor drei Jahrenviel zu früh verstorben, war der führende — praktisch der einzige— Editor und Grammatiker des Altnubischen. Er verdankte vielvon seinem know how Fritz Hintze.

Exkurs.

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Untersuchungen zu Stil und Sprache neuägyptischerErzählungen, [1./2. Lieferung,] Berlin, Akademie-Verlag,1950/1952 = Deutsche Akademie der Wissenschaften zuBerlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichung Nr.2/6.

„Erzählung“ — „Rede“:„In den vorliegenden Untersuchungen werden die "Erzählung"und die innerhalb dieser Erzählung vorkommende "Rede"getrennt untersucht. Dies schien deswegen notwendig zu sein,weil sprachlich-stilistisch zwischen "Erzählung" und "Rede" indiesen Texten ganz offensichtlich ein wesentlicher Unterschiedbesteht...“ (Hintze, Untersuchungen I, Einleitung.)

Hintze und das Neuägyptische

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Zur Zeit des Pflügens nun sagte sein Bruder zu ihm:»Lass ein Paar Ochsen für das Pflügen bereitstellen,»denn der Ackerboden ist so weit herausgekommen,»dass er gut geeignet für das Pflügen ist!»Desgleichen hole auch Getreide auf den Acker,»denn wir wollen morgen früh mit dem Pflügen be-»ginnen!

So sagte er zu ihm.Da führte sein jüngerer Bruder alle Aufträge aus, von denen ihm sein älterer Bruder gesagt hatte:

»Tue sie!Und als das Land hell geworden und ein anderer Tag entstanden war,da gingen sie auf das Feld mit ihrem Getreide und begannen zu pflügen,wobei sie über ihren Arbeitsverlauf und (insbesondere) über ihren

Arbeitsbeginn höchst zufrieden waren.(Zwei-Brüder-Märchen 2,2-7.)

LILA: Rede BLAU: Erzählung

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„Die "Erzählung" ist im allgemeinen einfache Mitteilung einesGeschehnisses, in der die objektiven affektfreien Elementeüberwiegen. Bei der Schlichtheit und Anspruchslosigkeit dieser"Erzählung" ist hier von vornherein eine gleichförmigeSatzgestaltung zu erwarten. Im Gegensatz dazu überwiegen in der"Rede" mehr die subjektiven affektischen Elemente; sehr oftsteht die "Rede" im Dienste der Beeinflussung fremden Willens(Wunsch, Aufforderung, Befehl). (Hintze, ebenda.)

Da trat der junge Bursche in seinen Stall einund er holte ein großes Gefäß,denn er wollte viel Saatgut nehmen;und er belud sich mit Gerste und Emmerund trug sie hinaus.(Zwei-Brüder-Märchen 3,2-4.)

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„Ein solcher Funktionsunterschied muß sich aber auch syntaktischund stilistisch (z. B. in der Wahl der Satzschemata, der Rede-wendungen, der einzelnen Ausdrücke und ihrer Verknüpfung)auswirken und aus diesem Grunde werden Erzählung und Rede hiergetrennt behandelt. Die Untersuchungen selbst werden erweisen, daßdies berechtigt war, und daß viele Erscheinungen erst auf Grunddieser Teilung in ihrer Bedeutung ganz erkannt werden konnten.“(Hintze, ebenda.)

Fußnote:Diese subjektiven und objektiven Elemente sind in jedem Sprechaktvermischt enthalten, aber ihr Anteil ist je nach seinem Charakterverschieden...

Nota bene: Hintze war sich also dessen bewusst, dass seineEntdeckung eine universelle war; nicht aus Neuägyptischebeschränkt.

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Harald Weinrich:Tempus. Besprochene und erzählte Welt. (1964.)... und das Gründungsdokument der Textlinguistik, HaraldWeinrichs für die Literaturwissenschaft wie für die Linguistikso unerhört folgenreiche Studie aus dem Jahre 1964. EinBuch, das 1971 grundlegend überarbeitet wurde und bis heutenichts von seiner ursprünglichen Frische verloren hat, aufangenehm entspannte Weise gelehrt ist und lehrreich,stilistisch gewandt, ja meisterlich geschrieben, dabei rasch undüberzeugend zu Ergebnissen kommend. Eine Offenbarung,ein Glücksfall der Wissenschaft.(Lutz Hagestedt, http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=4210&ausgabe=200110)

Hintze hat mit dieser Präsuppostion die Grundidee derwahrlich epochalen Behandlung des Themas durch HaraldWeinrich 1964 vorweg genommen:

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besprochene Welt. According to Weinrich, one of two distinct and complementarycategories of textual worlds, comprising such forrns as dialogue, lyric poetry, thecritical essay, the political memorandum, and the scientific report, and—inEnglish—signated by the use of the present, the present perfect, and the future...

besprochene Welt. Nach Weinrich eine der zwei gegensätzlichenund einander ergänzenden Kategorien von Textwelten; sie umfasstFormen wie Dialog, lyrische Dichtung, kritischen Essay, politischeDenkschrift und wissenschaftlichen Bericht, und ist gekennzeichnetdurch den Gebrauch des Präsens, des Perfekts und des Futurs...

... —as opposed to the ERZÄHLTE WELT (narrated world) category—theADDRESSER and ADDRESSEE are directly linked to and concerned by what isdescribed.

... — im Gegensatz zur Kategorie erzählte Welt — Sprecher undAngesprochener sind mit dem Beschriebenen direkt verbundenund davon betroffen.

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¶Weinrichs Unterscheidung zwischen der besprochenen Welt and dererzählten Welt is analog zu Benvenistes Unterscheidung zwischendiscours and histoire, und sie ist auch verwandt mit HamburgersUnterscheidung zwischen Aussage and fiktionalem Erzählen...(Stichwort “besprochene Welt” in Gerald Prince,A Dictionary of Narratology. Lincoln & London 2003.)

Hintzes Rede ~ Weinrichs besprochene Welt Hintzes Erzählung ~ Weinrichs erzählte Welt

¶Weinrich's distinction between besprochene Welt and erzählte Welt is analogous toBenveniste's distinction between DISCOURS and HISTOIRE and is related toHamburger's distinction between AUSSAGE and FIKTIONALES ERZÄHLEN...

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Neuägyptische erzählende VerbformenDer Monotonie des Stils entspricht eine Monotonie der Formen

Allgemein: iw=f Hr sdm „da hörte er“ (der „Narrativ“)

Nur literarisch:• Dd.in=f „da sagte er:“ (nur dieses Verb; rein mittelägyptisch)• wn.in=f Hr sdm „daraufhin hörte er“ (urspr. „da war er beim

Hören“ — mittelägyptisch „da kam er dazu, zu hören“)• aHan sdm=f „daraufhin hörte er“ (urspr. „er stand auf und hörte“;

leicht modifiziertes Mittelägyptisch)• aHan=f Hr sdm „daraufhin hörte er“ (urspr. „er stand auf beim

Hören“ — „da begann er zu hören“; mitteläg. sehr selten)• Sm.t pw i.ir=f „daraufhin ging er“ (urspr. „gehen ist’s, was er

tat“; leicht modifiziertes Mittelägyptisch)

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Die literarischen Erzählformen markieren einen gewissen Absatz;die allgemeine Erzählform hingegen einen engen Anschluss.

ij.t pw ir.n nA-n-Hthrjj.t r SA n=f SAjj.t „Daraufhin kamen nundie Hathoren, um ihm (sein) Schicksal zu bestimmen,“

iw=sn Hr Dd ... „und sie sagten: ...“

(Prinzengeschichte 4,5-6)

wn.in As.t Hr iy.t „Daraufhin kam Isis,“

„und sie gelangte zu ‘Anti, dem Fährmann...“(Streit v. Horus u. Seth 5,6)

iw=s (Hr) spr r antj pA-mXnj

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Rein narrative Passagen — dynamische Äußerungen;zweitrangig (Nebensätze) — auch statische ÄußerungenHintergrund (backgrounding).

Da wurde ein Streitwagen für ihn angespannt,der mit allen Arten von Waffen versehen war,

und ein Bediensteter wurde ihm zur Bedienung gegeben,er wurde zum östlichen Ufer übergeführt,und man sagte zu ihm: "———",

wobei sein Windhund mit ihm war;Er fuhr, seinem Herzen folgend, nordwärts über die Wüste,

wobei er von allerlei Wild der Wüste lebte.Endlich gelangte er zum Fürsten von Naharaini —————(Prinzengeschichte 4, 13—5,3)

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Die "Erzählung" ist hinsichtlich der verwendetenVerbformen ziemlich monoton. Das kommt daher, dass"Erzählung" nur eínen Zeitbezug, und nur eínen Aspektkennt.

Das Erzählen läuft ab wie ein Film. Es gibt nurGeschehen, nur Vorgänge. XY kam, er setzte sich (NB:nicht er saß, denn das wäre statisch), er sagte ...., YZantwortete usw.

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Neun "Narrative" in Folge(davon 2 im Wert eine Temporalsatzes)iw ‘-s-t-r-t Hr sdm und ‘Astarte hörte das, was pA-’i-Dd n=s pA-ym das Meer ihr gesagt hatte,iw=s Hr fA=s r Sm r-Hr tA-psd.t und sie machte sich auf, zur

Neunheit zu gehen,iw nA-n-aAy.w Hr ptr=s und die Großen sahen sie*)iw=sn Hr aHa r-HA.t=s und sie standen vor ihr auf,iw nA-n-Srj.w Hr ptr=s und die Kleinen sahen sie*)iw=sn Hr sDr Hr X.t=sn und sie legten sich auf ihren

Bauch,iw.tw Hr rd.t n=s tAy=s-isb.t und man gab ihr ihren Stuhl,iw=s Hr Hms und sie setzte sich,iw.tw Hr ms n=s pA-//// und man brachte ihr ihren...*) Wert eine Temporalsatzes.

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Orb 2,5: xr ir m-xt tA Hd.w sn-nw hrw xpr.w iw=sn HrSm.t r sx.t Xr nAy=sn-pr.t „Nachdem das Land hell gewordenund ein neuer Tag entstanden war, da gingen sie mit ihremSaatgaut zum Feld“.Orb 7,2: xr ir m-xt tA Hd.w sn-nw hrw xpr.w iw pA-Ra Îr-Axtj Hr wbn iw wa Hr ptr wa im=sn „Nachdem das Land hellgeworden und ein neuer Tag entstanden war, da ging Rê-Harachte (= der Sonengott = die Sonne) auf, und einer [derBrüder] erblickte den anderen“.Orb 16,6: xr ir m-xt tA Hd.w sn-nw hrw xpr.w iw.tw Hr njsaAb.t aA.t „Nachdem das Land hell geworden und ein neuer Tagentstanden war, da rief MAN (= der König) ein großes Opfer aus“.

Die Abfolge dieser Verbformen wird jedoch gegliedert durchvorangestellte Temporalausdrücke, die Zeitformeln. In denneuägyptischen Erzählungen sind diese sehr typisch.

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Orb 12,7: xr ir m-xt tA Hd.w sn-nw hrw xpr.w iw Sad pA-aSiw (I)npw pA-sn aA n B-t Hr aq r pAjj=f-pr „Nachdem das Landhell geworden und ein neuer Tag entstanden war — nachdem (also)die Tanne umgeschnitten worden war, trat Anûp, der ältere Bruderdes Bata, in sein Haus ein“.

Pr 4, 11: xr ir nA-hrw.w swA.w Hr-sA nn iw pA-Xrd Hr tnj mHa.wt=f nb.wt „Nachdem die Tage darüber vergangen waren, dawurde der Knabe älter an seinem ganzen Leib“.

Diese Zeitformeln sind sehr stereotyp — so sehr, dass sie bei wörtlichem Verständnis nicht selten sinnlos sind.

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Es waren einmal zwei Brüder von eíner Mutter und eínem Vater;der eine hieß Anûp, der andere Bata. Anûp hatte ein Haus und eineFrau, und sein jüngerer Bruder war bei ihm wie ein Sohn...Nun war aber sein (=Anûps) jüngerer Bruder (=Bata) ein schönerjunger Mann, dessengleichen es im ganzen Land nicht gab. Es war die Kraft Gottes in ihm.Als viele Tage danach vergangen waren — sein jüngerer Bruder hütete in seiner täglichen Art (immer) das Vieh und kehrte jeden Abend zu seinem Haus zurück, wobei er mit jeglichen Pflanzen des Grünlandes beladen war.... und er legte sie (dann immer) vor seinen älteren Bruder, während der mit seiner Frau da saß, und er (= Bata) trank und aß und ging täglich hinaus,um sich inmitten von seinem Vieh im Stall nieder zu legen.

Der Anfang des Zwei-Brüder-Märchens enthält eine Milieu-schilderung, keine Erzählung; dennoch werden Zeitformeln verwendet:

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Die Reihe der Erzählformen wird also gegliedert durch einleitende Adverbialphrasen. Syntaktisch sind es Topikalisierungen, also vordere Heraushebungen (frontal extrapositions).

Das Ägyptische hat dafür ein eigenes Morphem, nämlich die Partikel ir.

Am Anfang von zwei der Erzählungen steht das (neu)ägyptische „Es war einmal...“. Es lautet:

ir ntf — xr.tw — wa-n-...

Die Analyse und Auffassung war lange Zeit umstritten; vielleicht ist sie es noch heute. Die wesentliche Voraussetzung für ihr Verständnis ist das Konzept des "einteiligen Nominalsatzes", das wir Sarah Groll verdanken.

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Eine Äußerung wie „es ist ein König“ wird ägyptisch von einem Nominalsatz bestritten; neuägyptisch: wa-n-nswt pAj . Da das Prädikat ein Nomen ist (wa-n-swt „(ist) ein König“), und kein Verb (wie „ist“) enthalten ist, sprechen wir von einem Nominalsatz.

Der Nominalsatz mit dem Subjekt es, also „es ist ein(e) ...“, verzichtet unter bestimmten Bedingungen aus den Ausdruck dieses Subjekts (also pAj „es“). In der tatsächlichen sprachlichen Oberflächenform erscheint lediglich das Prädikat; in unserem Fall:wa-n-nswt „(ist) ein König“) — „eingliedriger Nominalsatz“. Nicht verwunderlich, dass das auf Seiten der Übersetzer zu Missverständnissen geführt hat.

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Das neuägyptische „Es war einmal...“ lautet folglich:

ir ntf — xr.tw — wa-n-nswt...

„Was es (=unser Thema) betrifft — so sagt man — es war ein König, der ...“

Auf die „es-war-einmal“-Formel folgt der Beginn derErzählung, bis eine „Zeitformel“ den ersten größerenAbschnitt markiert. Diese wird von Narrativen (jw=f Hr sdm)gefolgt. Kleinere Abschnitte werden durch die „literarischenNarrativformen“ gekennzeichnet.

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jr ntf — xr.tw — wa-n-nswtbw-pwjj msjj n=f sA TAjj[........ Hr] dbH n=f Srj m-a ntr.w

n hAw=fjw=sn Hr wD djt msjj.t n=f

jw=f Hr sdr Hna tAjj=f-Hm.t m pA-grH

jst [sw Hr (?)] jwrskm=s Abd.w n ms.t

aHa.n msjj wa-n-sA TAjjjj.t pw jr.n nA-n-HtHrjj.wtr SA n=f SAjjjw=sn Hr ddmwt=f m pA-msH m-r-pw pA-HfAw(m) mit.t pA-iw

Was es/ihn betrifft — es wird gesagt — ,es war ein König

Nicht ist ihm ein Sohn geboren worden.Da erbat er sich ein Kind von den

Göttern seines Bereiches.Da befahlen sie, dass ihm eine Geburt

gewährt werde.Da schlief er in der Nacht mit seiner

Frau.Nun aber wurde sie schwanger.Nachdem sie die Monate des Gebärens

vollendet hatteda wurde ein Sohn geboren.Daraufhin kamen die Hathorenum ihm das Schicksal zu bestimmen,und sie sagten:„Er wird durch das Krokodil sterben,

oder die Schlange(oder) auch den Hund!“

Anfang der Geschichte vom Prinzen:

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Jan. 1986 im „Wörterbuch“

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Fritz Hintze und ich — neuägyptisch

Jan. 1986 im „Wörterbuch“

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Hintzes neuägyptische Studien erfolgten in den späten 40erJahren.

Meine eigenen neuägyptischen Studien hingegen in der Mitteder 70er Jahr.

Neue Situation:H. J. Polotskys Erkenntnisse zu den Zweiten Temporaund den Emphatischen Formen waren fürs Neuägyptischerezipiert.

Jaroslav Černý hatte das Neuägyptische im engeren Sinn vonanderen Idiomen der fraglichen Periode abgegrenzt: es liegtv.a. in den nichtliterarischen Texten der 20. Dynastie vor.

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Meine eigene Zielvorstellung: durch strukturalistische Analyse desneuägyptischen Materials das inhärente Tempussystem des Verbsheraus zu arbeiten.

Die Vorgabe: das "koptische Konjugationssystem“, wie esPolotsky 1960 dargestellt hat.

Im Rückblick bin ich sicher, dass mir das nur gelingen konnte,weil ich Hintzes Dichotomie Rede — Erzählung meinenAnalysen zugrunde legte.

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Wien 1976

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Mein neuMein neuääg. Tempussystemg. Tempussystemstark vereinfachtstark vereinfacht

Primäre Tempora Sekundäre TemporaPerfekt PlusquamperfekttransitivTAj=j ich habe genommen wn TAj=j ich hatte genommenintransitivtw=j ij.kw ich bin gekommen wn=j ij.kw ich war gekommen

Präsens/Aorist Imperfekttw=j Hr TAj.t ich nehme wn=j Hr TAj.t ich pflegte zu nehmen

Futurum Futurum in præteritoiw=j r TAj.t ich werde nehmen wn=j r TAj.t

ich war im Begriff zu nehmen

Nur Nur „„RedeRede““!!

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„„ErzErzäählunghlung““::

Narrativiw=j Hr TAj.t da nahm ich / und ich nahmLiterarische Narrativformen (alle: daraufhin nahm ich)wn.in=j Hr TAj.t aHan=j Hr TAj.t aHan TAj=jUsw.Vorzeitigkeit: iw plus PERFEKTiw TAj=j nachdem ich genommen hatteiw=j Smj.kw nachdem ich gegangen war

Abgeleitet von: Präsens/Aorist tw=j Hr TAj.t ich nehme

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Die Dichotomie Rede — Erzählung im Neuägyptischenwar freilich nur ein Gebiet von vielen,auf denen mir Fritz Hintzes Arbeitenvon größtem Wert und Interesse waren,andere Gebiete waren vor allem:

Ägyptisch — Koptisch —Altnubisch — MeroitischStatistik in der Linguistik.

Ich verdanke ihm sehr viel.