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»Sie schreiben, wie sie talken« Deutschunterricht und Digitalisierung
phwa.ch/fulda17Bild: Caia Images
Bild: Henry Balaszeskul
Die wichtigen Aspekte der Digitalisierung sind soziale: Was bedeuten Arbeit, Gemeinschaft, Bildung und Beziehungen heute?
Bild: Keystone/Torsten Silz
Teil 1
Ingolds Befund
NZZ, 2.2.17 phwa.ch/ingold
Bild: Julia Bruderer - Portrait des Dichtes Felix Philipp Ingold
Felix Philipp Ingold(*1942)
Felix Philipp Ingoldphwa.ch/ingold
Wir kommunizieren schneller und direkter. Während die einen von »Fortschritt« reden, sprechen die anderen von einer Krise des Schreibens […] Als Kennzeichen dieser Krise gilt unter Sprachpädagogen und Kulturkritikern die angebliche Verluderung des schriftlichen Sprachgebrauchs sowie allgemein das Schwinden sprachlicher Kompetenzen.
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Felix Philipp Ingoldphwa.ch/ingold
Grobe grammatikalische Schnitzer gehen gemeinhin als blosse Nachlässigkeiten durch, falls sie denn überhaupt noch wahrgenommen werden.
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Felix Philipp Ingoldphwa.ch/ingold
Die mehrheitsfähige Gegenwartsbelletristik ist bekanntlich dominiert von realistisch dargebotenen [G]eschichten, die zumeist […] als Selbstzeugnisse ausgewiesen sind. Der Vorrang solcher Selbsterlebensberichte […] trägt naturgemäss dazu bei, dass die Literatursprache zunehmend der Alltagssprache angenähert wird oder dass, umgekehrt, die Alltagssprache als Literatursprache praktiziert wird.
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Elternsprechtag mit Phil Laude Phil Laude D, Dezember 2016 - Quelle: youtube.com/watch?v=dSAIBGd9xhc
Zusammenfassung
Digitalisierung führt zu Sprachkrise
fehlendes Sprachbewusstsein
fehlendes Stilbewusstsein
formale Mängel
Einfluss auf Literatur und ihre Funktion
Bild: Jonathan Tajes
Teil 2
Erweiterung des Problems
Konrad Paul Liessmannnzz.ch/meinung/debatte/vw-1.18383545
Was sich hinter dieser hypertrophen und vielzitierten Formulierung verbirgt: Es geht nicht nur um die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten – von Wissen, Erkenntnis und Neugier ist ohnehin nicht mehr die Rede –, sondern auch um Bereitschaften, also Haltungen, es geht um die Kontrolle und Steuerung von inneren Beweggründen, Absichten und sozialem Verhalten; dies mit dem Ziel, Problemlösungen »nutzen« zu können – was immer dies heissen mag.
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Martin Doerry»Schiller war Komponist«, phwa.ch/doerry
[Ein] Dialog […], der während einer Veranstaltung für Studienanfänger der Uni Düsseldorf von einem an die Wand projizierten Bild Heinrich Heines ausgelöst wurde: Mädchen 1: Wer ist denn das da? Mädchen 2: Keine Ahnung. Mädchen 1: Bestimmt Schiller oder so. Mädchen 2: Nee, Schiller war Komponist. Mädchen 1: Echt? Dann ist das so Goethe. Mädchen 2: Wer war das denn noch mal? Mädchen 1: Keine Ahnung, irgendso'n Toter.
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Hans-Albert Koch phwa.ch/hakoch
Das Zeitalter des Lesens scheint vorbei: Selbst ein grosser Teil der Studenten der Germanistik liest aus eigenem Antrieb überhaupt keine literarischen Texte – und empfindet das nicht einmal als ein Problem. Stattdessen sitzt man in der Lehrveranstaltung mit uninteressiertem Gesicht da oder versteckt sich hinter dem Laptop. Man kann darüber die Achseln zucken und sich zynisch gar noch in die Tasche lügen, es ziehe da ja eine neue Art von Literatur herauf statt eines neuen Analphabetismus.
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Das Standardisierungsproblem
Illustration: Adrzeij Krauze
George Monibotphwa.ch/monibot
In the future, if you want a job, you must be as unlike a machine as possible: creative, critical and socially skilled. So why are children being taught to behave like machines?
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Jung et al., 2017phwa.ch/jungetal
Konrad Paul Liessmannnzz.ch/meinung/debatte/vw-1.18383545
Kein Mensch mit Sprachgefühl kann solche Curricula lesen, ohne nicht in eine tiefe Depression zu verfallen. Oder wie anders soll man auf Formulierungen dieser und ähnlicher Art reagieren: »Über Lesefähigkeiten verfügen – Lebendige Vorstellungen beim Lesen von Texten entwickeln – Schreibabsicht klären – Inhalte (sic!) verstehend zuhören – zu Texten Stellung nehmen – bei der Beschäftigung mit Texten Sensibilität und Verständnis für Gedanken und Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen zeigen […]«
»
Hessische LehrkräfteakademieKerncurriculum gymnasiale Oberstufe Deutsch
Interview mit Frank-Walter Steinmeier ZDF, Bettina Schausten und Peter Frey D, Februar 2017 - Quelle: www.heute.de/fws-46535124.html
Die Idee des »genauen Lesens« – also dass man kontextualisierend liest oder dass die Einheit eines Arguments nicht ein Satz ist, sondern ein ganzes Kapitel oder das ganze Buch – scheint für die Studenten von heute vielfach Schnee von gestern. […] Ich meine das gar nicht wertend […] jede neue Fähigkeit ist auch ein Gewinn. Es kommt mir so vor, dass diese jüngere Generation heute quasi die Google-Suchfunktion intuitiv verinnerlicht hat und gewissermaßen granularer liest und denkt.
»Lauraine Dastonderstandard.at/1392687126582/Wir-sollten-immer-offen-fuer-Zufaelle-sein
Zusammenfassung
Sprachkrise
Unterricht orientiert sich an verwertbaren Problemlöseverfahren (»Kompetenzorientierung«)
literarisches und kulturelles Wissen verschwindet
fehlende Gesprächsbasis im Netz
mangelnde Lesefertigkeiten
Bild: Craig Evans
Teil 3
Stimmt der Befund?
Kreativ schreiben mit »Don’t Starve« phwa.ch/ksdont
Eine richtige Verarschung, aber es scheint niemandem aufzufallen. In meiner ersten Arbeitswoche hatte ich mich verlaufen und trat aus Versehen in einen der Räume, wo ein Schild mit »Betreten verboten« hängt. Ich konnte ja nicht anders. Heutzutage wird man in unseren Schulen nur für das spätere Arbeitsleben vorbereitet. Lesen ist bloss ein Freifach. Aber Gott sei Dank weiss ich, wie ich von diesen Dummköpfen gesteuert und kontrolliert werde, nur damit sie auf ihren kleinen Computern Spass haben.
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Als ich wieder bei vollem Bewusstsein war, sass ich auf einer leuchtend grünen Wiese, die von Blumen übersät war. Die Sonne schien mir ins Gesicht und er hielt mich schützend in seinen Armen. Eine Erkenntnis traf mich komplett unerwartet. Ich wusste wieder, wer er war. Wie konnte ich das nur vergessen? Er heißt Liam. »Wo sind wir Liam?« fragte ich vorsichtig? »Du erinnerst dich wieder«, sagte er mit einem Grinsen im Gesicht.
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Als ich ankomme, sehe ich eine weisse Gestalt mit hohlen Augen und einer Blume am Kopf, unter ihrem Mund glänzen zwei weisse Zähne. Komisch, seit wann hat Abigail solche Zähne? Aber sie ist endlich da, ich will sie umarmen, mit ihr reden und normale Sachen machen. Aber ich renne weg. Also eigentlich will er, dass ich wegrenne. Aber wieso will er das? Innerlich will ich ihn anflehen und wahrscheinlich auch töten, denn ich habe sie nun schon ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen.
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BASF-Studie, Rechtschreibung
BASF-Studie, Rechtschreibung
IFD-Umfrage
Steinig/Betzel 2013phwa.ch/steinig
Steinig/Betzel 2013phwa.ch/steinig
Steinig/Betzel 2013phwa.ch/steinig
Steinig und Betzelphwa.ch/steinig
Dieses Verhalten beruht, wie wir vermuten, auf einer zunehmenden Individualisierung und Differenzierung im Grundschulunterricht. Das Schreiben in der von uns vorgegebenen […] Situation wurde von vielen offenbar nicht als schulisch-normatives Schreiben gewertet, sondern als ein ‚freies‘, von der Institution Schule unabhängiges Schreiben. Die Situation Unterricht, in [die] unser Schreibexperiment eingebettet war, garantiert offenbar nicht mehr automatisch, dass in dieser Situation die normativen Erwartungen an Textsorten, die im Deutschunterricht üblich sind, erfüllt werden.
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Christa Dürscheidphwa.ch/parlando
Die beiden Studenten schreiben, wie sie miteinander sprechen würden. Der Grund liegt auf der Hand: Ihr Schreiben ist dialogisch, sie sind miteinander vertraut, der Schreibanlass ist privater Natur. Ein Gespräch ist es dennoch nicht, der eine kann den anderen nicht unterbrechen, die Kommunikation erfolgt schriftlich, nicht (medial) mündlich, die Beiträge werden aufgezeichnet und sind, solange der Nachrichtenaustausch andauert, jederzeit nachlesbar.
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Christa Dürscheidphwa.ch/parlando
Es gibt keine Evidenz dafür, dass das private, dialogische Schreiben in den neuen Medien einen Niederschlag in den Schultexten findet. Zwar kann es vereinzelt vorkommen, dass ein Smiley gesetzt wird, doch die meisten Merkmale, die typisch für das Schreiben in den neuen Medien sind und weiter oben erwähnt wurden, finden sich in den Schultexten nicht. Die Schülerinnen und Schüler wissen die beiden Schreibwelten, die private und die schulische, zu trennen.
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Studierende in den USA; verschiedene Universitäten
10. Klasse, OsloLinearer Pisa-Text
Wortschatz-Test
Bandwurm-Trenntest
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< 0.05
Probanden, die auf Papier lesen, bringen bessere Leistungen als solche, die digital lesen.
Die so genannte »Verdrängungs-hypothese« scheint nicht haltbar, vielmehr treten Buch und Medium in ein Verhältnis der wechselseitigen Beeinflussung. […] Das Lesen wird von Jugendlichen gegenüber der Mediennutzung als anstrengend empfunden, […] daher wird das lineare Lesen zunehmend von […] »switchen, zappen, zoomen« ergänzt.
«Christian Dawidowski phwa.ch/dawidowski
«Christian Dawidowski phwa.ch/dawidowski
Zusammenfassung
(schulisches) Schreiben wird mündlicher und informeller
Rechtschreibfehler nehmen tendenziell zu
Lektüre wird vielfältiger, aber weniger linear
analoge Verfahren können digital nicht abgebildet werden
Bild: Craig Evans
Teil 4
Jugendkultur würdigen
Axel Krommer, Volker Frederking, Thomas Möbius
Die Mediensozialisation heutiger Heranwachsender ist in einem Maße durch die digitalen Medien geprägt […], dass weder Deutschdidaktik noch Deutsch-unterricht diesen Sachverhalt (länger) ignorieren können bzw. dürfen. Hinzu kommt der fundamentale Wandel, dem auch die fachlichen Gegenstände des Faches Deutsch – Sprache und Literatur – unterliegen. […] Bewusstmachung, Reflexion und Verarbeitung dieses medial bedingten sprachlichen und literalen Wandels bilden zentrale Aufgaben der Deutschdidaktik und des Deutsch-unterrichts im Zeichen der Digitalisierung.
»
»Computerspiele [sind] inzwischen die eigentliche Form digitaler Jugendliteratur.«Axel Krommer
Unsere Schülerinnen und Schüler schreiben so viel wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Unser Schreiben verändert sich massiv. Die Herausforderung für die Schule besteht darin, herauszufinden, was seine Bedeutung ist, um für die nützlich zu sein, die ihre Erfahrung in Kompetenzen ummünzen möchten.
«Jeff Grabillphwa.ch/grabilletal
Bild: Instagram/marcodrexel
Jugendliche nutzen Medien nicht, wie Erwachsene das a) denken b) möchten.
When I wake up, I have about 40 snaps from friends. I just roll through and respond to them. […] No conversations…it’s mostly selfies. Depending on the person, the selfie changes. Like, if it’s your best friend, you make a gross face, but if it’s someone you like or don’t know very well, it’s more regular. […]I don’t really see what they send. I tap through so fast. It’s rapid fire.(Rosen, 2016)
Digitale Kommunikation ist ein zunehmend visuelles Phänomen.
Disney Channel, 2001-2004
Jugendgruppen entwickeln eigene Codes und Normen.
a) okay b) oke c) okee(ee…) d) ok e) okai f) okej g) okaii(ii…) h) k
1) 2) . 3) .. 4) … 5) ! 6) !(!!…) 7) !? 8) ;)
Mareike Döring, zebrabutter.de
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?- Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?- Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.-
1) Ich han huere vel für die Prüefig glehrt. (=Für diese Prüfung habe ich sehr viel gelernt.) »huere« von Hure, volksetymologisch von »ungeheuer«, hier verstärkend2) *Huere han ich für die Prüefig glehrt. (=Für diese Prüfung habe ich sicher nicht gelernt.) »huere« hier Ironiemarker, gebunden an syntaktische Position.
Bild: Swystund Communications
Visuelles Storytelling
Bild: Twitter/Luke_Laehy
Bild: Twitter/Luke_Laehy
Bild: Twitter/Luke_Laehy
Bild: Twitter/Luke_Laehy
Zusammenfassung
sprachlichen Kontexte ändern sich durch Digitalisierung
Sprachkrise ist versteckter Sprach- und Kulturwandel
Jugendliche kommunizieren zunehmend visuell, kreativ und mit verändertem kulturellem Repertoire
Bild: Chaunchai Bundej
Teil 5
Konsequenzen für den Deutschunterricht
Soziale Netzwerke haben die Funktionsweise des Schreibens revolutioniert - außer in der Bildung.
In der Schule wird Schreiben vernachlässigt. Wir nutzen Methoden, die 100 Jahre alt sind.
«Jeff Grabillphwa.ch/grabilletal
Eli Review: Teaching Revision
Texte überarbeiten lernennach Eli Review
1. der Sinn des Schreibens
2. das Publikum, das die Bedeutung des Geschriebenen mitbestimmt
3. wie Schreiben das Denken der/des Schreibenden beeinflusst
4. wie sich die Struktur des Textes aufgrund 1. oder 2. verändert hat
5. welche Informationen und Ideen neu im Text zu finden sind
Kollaboratives Schreibennach Schindler/Wolfe
gemeinsam
parallel
zentralisiert
seriell
Faktoren: Dokument - Projekt - Rollen
Strategien zur Qualitätsverbesserung
»straw«-DocPeer-Review
Konflikt Groupware
1. Förderung basaler Lesekompetenz
2. Professionalisierung von Lehrkräften
3. Funktionale Lesekompetenz und umfassende Medienkompetenz
4. Wegfall »normativer Orientierung am klassischen Bildungskanon«
Lesen im Unterricht der Zukunft
Christian Dawidowski phwa.ch/dawidowski
digitale Literatur als Teil eines weiten Textbegriffs
Hassen, oder trauern? Gedanken über Pariser Anschlag.. LeFloid D, November 2015 - Quelle: youtube.com/watch?v=tJZmRR9LQVg
Deep ReadingBedeutung entdecken/konstruieren
We cannot go backwards. As children move more toward an immersion in digital media, we have to figure out ways to read deeply there.
»Maryanne Wolf
Praktiken reflektieren
BYOD-Didaktik früh reflektieren
Ein Lernzugang, der typischerweise nicht im Schulzimmer stattfindet, relativ unstruktriert ist und die Kontrolle über den Lernprozess (Bedürfnisse, Interessen etc.) dem Lerner überlässt.
Informelles Lernen
Jeff Grabillphwa.ch/grabilletal
mit Schüler*innen digital kommunizieren
Zusammenfassung
Lese- und Schreibdidaktik an Digitalisierung anpassen
weiter Textbegriff statt Kanonbezug
Praktiken und Inhalte der Jugendkultur im Unterricht aufgreifen, analysieren und reflektieren
informelles Lernen zulassen und anstoßen