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Welche Universitäten für diese Krisen?

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Transkript des Vortrags von Corinna Milborn, Audimax Universität Wien, 29.10.2009

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Welche Universitäten für diese Krisen?Transkript des Vortrags von Corinna Milborn, Audimax Universität Wien, 29.10.2009

Schönen Nachmittag, vielen Dank für die Einladung, hier im Audimax zu sprechen. Das freutund ehrt mich. Anders als die KollegInnen vor mir hatte ich leider keine Zeit, für euch eineRede zu schreiben – ich werde also frei sprechen und hoffe, das ist ok.

Meine Themen sind Globalisierung, Wirtschaft – derzeit vor allem in Form von Krisen –Migration, Ökologie, Frauen- und Menschenrechte. Ich möchte darüber sprechen, in welchermultiplen Krise wir uns derzeit befinden und worin die Rolle der Universitäten bei ihrerBewältigung bestehen sollte.

Meine These ist, dass wir uns derzeit am Ende einer Ära befinden. Die Krisen, in denen wirstecken, konnten klar vorausgesagt werden. Wie es nun aber weitergeht, ist offen: Es kannsein, dass es uns gelingen wird, global ein solidarischeres und kooperativeres System zuschaffen. Es ist aber auch gut möglich, dass die globale Kooperation scheitert, die Welt inFaschismen zerfällt und darin die Gesellschaften zerfallen, so dass jede_r gegen jede_nkämpft. Das wünschen wir uns alle nicht. Die Frage ist nun, welches Bildungs- undUniversitätssystem wir brauchen, um den Weg in eine gerechtere Welt einzuschlagen.

1. Wirtschaftskrise

Beginnen wir mit der Wirtschaftskrise, die ja noch lange nicht vorbei ist, auch wenn dieBörsen und Bankendaten das suggerieren. Dennoch ist die Krise erst am Weg in die breiteGesellschaft. Die Arbeitslosenzahlen steigen – innerhalb der EU geht dieJugendarbeitslosigkeit in Richtung 30 Prozent, das bedeutet, dass jede_r dritte Europäer_inunter 25 keinen Job findet. Global gesehen ist die Situation noch viel dramatischer. Dazu nureine Kennzahl: Die Zahl der Hungernden ist im Zuge dieser Krise von 800 Millionen auf übereine Milliarde gestiegen. Das sind Menschen, die nicht einmal das tägliche Essen haben, unddas darf man nicht aus den Augen verlieren: Gesellschaften, die hungern, das bedeutet, es gibtsehr viele Menschen, die nicht mehr genug Energie haben, um auch nur ihr eigenes täglichesÜberleben zu sichern. Kinder, die in ihrer körperlichen Entwicklung behindert sind und derenZukunft daher negativ vorbestimmt ist.

Wie ist das nun passiert? In dieser Krise platzte eine globale Finanzblase, die schon seit denfrühen 1980er Jahren aufgebläht wird. George Soros, der bekannte Hedgefonds-Manager,nennt das die „Superbubble“ und warnt schon seit Jahren vor den Folgen dieser Entwicklung.Seit dem Jahr 2001 hat sich diese Blase so stark aufgebläht wie historisch nie zuvor: Erstenshaben die Notenbanken nach dem Platzen der Dotcom-Blase und nach 9/11 so viel Geld zuniedrigsten Zinsen ins System gepumpt wie kaum je zuvor. Zweitens haben die Banken dieseSituation genützt, um so viele billige Kredite zu vergeben wie nie zuvor – und haben damitdie Menge an Geld auf der Welt Jahr für Jahr stärker erhöht als die Wirtschaft gewachsen ist.Es gab damit viel zu viel Geld, das verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten suchte, umRenditen zu erzielen, die wiederum weit über dem realen Wirtschaftswachstum liegenmussten.

Verschärft wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Banken quasi den Stein der Weisen derkurzfristigen Geldvermehrung fanden: Sie fanden eine Möglichkeit, das Kreditrisiko einfachweiterzuverkaufen, indem sie Kredite – darunter viele uneinbringliche – bündelten und darausFinanzpapiere machten, die an den Finanzmärkten gehandelt wurden. Das ist natürlich extremgefährlich, denn es funktioniert nur so lange, so lange eben alle an den Aufschwung glauben,

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und bricht zusammen, sobald die Marktteilnehmer versuchen, diese Kredite wiederloszuwerden, oder Konkurswellen eintreten. Das war den Banken durchaus bewusst. Ende desJahres 2006 war schon klar, dass dieses Spiel bereits überstrapaziert war. Die Frage war nun,wer die heiße Kartoffel der gebündelten Risiken in der Hand hat zu jenem Zeitpunkt, an demin diesem Spiel, das nach dem Muster „Des Kaisers neue Kleider“ lief, der erste ruft: „DerKaiser ist ja nackt!“ Die großen Banken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank usw. habendaher schon im Herbst 2006 diese Papiere in großem Stil abgestoßen. Wer sich auskannte, hatin dieser Zeit sehr viel Geld damit verdient. Und wer hat die heiße Kartoffel übernommen? Eswaren erstaunlich viele öffentliche Stellen: In Österreich etwa die Kommunalkredit, dasFinanzministerium, die ÖBB, und viele andere. Damit wurden schon vor dem Platzen derBlase ein großer Teil der Risiken in den öffentlichen Bereich verschoben.

Als das Kartenhaus mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15.9.2008 in sichzusammenfiel und eine Reihe von Banken und Versicherungen mitzog, hörte man von allenSeiten – vor allem von der Politik, aber auch von renommierten Ökonomen:Das war nicht vorherzusehen, das konnte niemand wissen.

Das ist natürlich nur ein Affront gegenüber all jener, die diese Krise seit vielen Jahren sehrpräzise vorausgesagt haben, und selbst gegen den gesunden Menschenverstand.

Zugleich wirft dieses breit geblökte „Das hat niemand kommen sehen“ ein sehr schlechtesLicht auf die Universitäten und zwar in zweierlei Hinsicht: Auf die Lehre und Ausbildungsowie auf die Analyse und Forschung. Nicht nur die Politik – auch die Universitäten haben indieser Krise spektakulär versagt.

In der Lehre haben die meisten Universitäten und Business Schools in den letzten Jahrzehntennichts weiter gemacht, als Human Ressources für ein System zu schaffen, von dem schonabsehbar war, dass es scheitern wird. Es wurde, anstatt freies Denken zu fördern, freiesDenken verhindert. Ich habe das selbst in einer französischen Business-Elite-Uni erlebt, in deruns der Philosophieprofessor ein Jahr lang in Form einer Art Gehirnwäsche eingetrichtert hat:Ethik ist eine Einbildung, Menschenrechte sind eine seltsame Spinnerei, Gut und Böseexistieren nicht, es zählt nur eines auf der Welt: Das ist der Gewinn.

Diese Art der universitären Ausbildung einer ganzen Generation von Managern istmitschuldig daran, dass die handelnden Personen verlernt haben, auf ihre Verantwortung zuachten, ja auch nur ihren so genannten Hausverstand zu benützen, sondern ihr ganzes Strebenausschließlich auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtet haben: Ohne Rücksicht auf Verluste,ohne Rücksicht auf den Rest der Welt – nach dem Motto: hinter ihnen die Sintflut. DieHarvard Business School etwa hat nun einen Diskussionsprozess gestartet darüber, welcheVerantwortung diese Art der Ausbildung für die Krise trägt. Er hat erstmal dazu geführt, dassein Ethikkodex verabschiedet wurde.

Genau solche Universitäten können wir in Zukunft nicht brauchen. Das Andauern der Krisezeigt sich nicht nur am Arbeitsmarkt – sie ist auch auf den Finanzmärkten durch riesigeMengen öffentlichen Geldes nur verschoben. Die Blase wurde weiter aufgebläht, der nächsteCrash wird somit noch massiver ausfallen. Wir können keine Universitäten brauchen, dieausschließlich Human Ressources für dieses System ausbilden und es verabsäumen,Menschen darin zu bestärken, über den Tellerrand des Gewinns hinauszublicken.

Universitäten haben aber auch in der Forschung und der Analyse so sehr versagt, dasskürzlich die Queen of England die Ökonomen der Londoner School of Economics zu sich

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zitiert hat, um sich erklären zu lassen, wie sie denn eine so massive Krise nicht kommensehen konnten. Und Paul Krugman, der Nobelpreisträger von 2008, betitelte seinen Essayzum ersten Krisengeburtstag „How could we get it so wrong?“ „Wie konnten wir so falschliegen?“ Bezeichnenderweise gab derselbe Krugman in der Gratulation, die er seinerNachfolgerin beim Wirtschaftsnobelpreis – Elinor Ostrom, die abseits des Mainstream forscht– zukommen ließ, offen zu, mit deren Arbeiten nicht vertraut zu sein. In seiner Antwort aufdie Frage, warum die Ökonomen so falsch lagen, konzentriert er sich wieder nur auf AltBekanntes: Die beiden Pole Markt und Staat, Neoklassik und Keynesianismus.

Das ist bezeichnend für die Universitäten: Kritische Wissenschafter_innen wurden undwerden systematisch an den Rand und aus den Universitäten gedrängt. Übrig bliebenWissenschafter_innen, die sich gegenseitig immer wieder versichern, dass ihre Rezepte – diealle Jahrzehnte alt sind – die richtigen seien, obwohl sich die Welt seit den 50er Jahrenfundamental geändert hat.

Das hat sich in der Krisenbewältigung gezeigt. Auch dabei sind keine neuen Modelleaufgekommen: Es gibt nur die beiden Denkrichtungen „Markt“ und „Staat“. Als nun derMarkt nicht mehr funktionierte, mussten also die Staaten einspringen. Damit wurde dieVerteilungskrise weiter verschärft: Die gigantischen Verluste aus der Spekulationsspirale derletzten Jahre wurden in hohem Maß von der Allgemeinheit aufgefangen – also von uns allen,den Steuerzahler_innen. Während die Gewinne sicher auf die Seite geschafft waren, wurdendie Verluste sozialisiert. Die Geldmengen, die Staaten in die Bankenrettungen undKonjunkturpakete pumpten, waren unerhört. Allein das erste Bankenpaket in Österreichumfasste 100 Milliarden, davon 15 Milliarden Kapitalspritze für die Banken. Das ist einVielfaches dessen, was die Universitäten benötigen, und es wurde innerhalb einer Woche zurVerfügung gestellt. So schnell kann ein öffentliches Budget angezapft werden, wenn dieBanken in der Krise stecken. Steckt die Bildung hingegen in einer Krise, heißt es nun: Es gibtkein Geld mehr.

Nun hat sich seit der Krise nicht sehr viel geändert: Die Schrottpapiere mit all ihremunabschätzbaren Risiko liegen weiterhin in den Bankbilanzen. Globale Regulierungen sindnur angedacht und zwar so zögerlich, dass sie nicht geeignet sein werden, eine neuerlicheKrise zu verhindern. Und die „Superbubble“, deren erstes Anzeichen, dass sie eben auchplatzen könne, uns in diese Situation gebracht hat, wurde durch gigantische Mengen anöffentlichen Geldern weiter aufgeblasen.

Es ist dringend notwendig, neue Sichtweisen und Rezepte zu generieren, wie dieseEntwicklung aufgehalten werden kann. Welche Universitäten brauchen wir also, um nichtgleich in die nächste Krise zu schlittern? Wir brauchen sicher keine Universitäten, die nichtsanderes tun, als perfekt adaptierte Human Ressources für ein System zu schaffen, das sooffensichtlich gescheitert ist und wieder scheitern wird. Wir brauchen auch sicher keineUniversitäten, an denen gelehrt wird, was Professor_innen in den 1960er und 70er Jahrenrichtig fanden und an denen von den Studierenden nicht mehr erwartet wird, als dieses alteWissen auswendig zu lernen und fehlerfrei wiederzugeben. Auf diese Art wird es nichtmöglich sein, der Herausforderung zu begegnen, vor der wir hier stehen.

Wir brauchen im Gegenteil Universitäten, die neue Forschungen ermöglichen. Die ihrAugenmerk auf jene Aspekte richten, vor denen man bisher die Augen verschlossen hat. Diekritische Wissenschafter_innen nicht verdrängen, sondern in den Mainstream holen.

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Vor allem brauchen wir Universitäten, die freies Denken und Kreativität fördern. Ich bin festdavon überzeugt, dass Universitäten, deren Leistungsbeurteilung nur auf Punkte und auf dasEinhalten von Mindeststudienzeiten hin ausgerichtet ist, das nicht leisten können.

Ich gehe jetzt noch auf die weiteren Krisen ein, vor denen wir stehen.

2. Die Klimakrise

Was die Klimakrise betrifft, werden die Warnungen der Wissenschafter_innen aus dennaturwissenschaftlichen Bereichen nun wahrgenommen – allerdings erleben wir in denangebotenen Rezepten zur Bewältigung dieser Krise dieselbe Unfähigkeit zu neuem Denken,wie in der Antwort auf die Wirtschaftskrise. Es gibt derzeit nur zwei Arten von Antworten:Markt und Staat.

Der Glaube, dass der freie Markt alles richten würde, hat in der Klimapolitik dazu geführt,dass man das Recht zur Luftverschmutzung nun kaufen und handeln kann. Er hat zurUmstellung von Werbelinien, zur Schaffung von Ökofonds und zu megalomanischenProjekten wie unterirdischen CO2-Speichern geführt. Doch das Grundproblem der Klimakriseliegt tiefer: Man kann, wenn man nur einen Planeten zur Verfügung hat, nicht so leben alshätte man ein paar in Reserve, wie es derzeit geschieht. Und in dieser Hinsicht bekommt manin einem Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum in sich zusammenstürzt, ein Problem. DieFrage nach einem Wirtschaftssystem ohne Wachstum ist derzeit ein Tabu – ich stelle dieseFrage routinemäßig den Ökonom_innen, die ich interviewe, und ernte immer nur ungläubigesStaunen. Dabei müsste es doch eine Priorität sein darüber nachzudenken, ob ein System dasrichtige sein kann, in dem es einer Katastrophe gleichkommt, nur mehr so viel zu produzierenwie im Jahr 2006, wie es derzeit in dieser Rezession der Fall ist (wo wir doch 2006 auch ganzschön viel produziert haben, das wir nicht wirklich brauchen). Es müsste eine Priorität sein,Alternativen zu diesem Wachstumszwang zu entwickeln, statt immer kreativer nachMöglichkeiten zu suchen, Wachstum und Klimaschutz zu verbinden – Versuche, die bisheralle gescheitert sind, wie an den wachsenden CO2-Mengen abzulesen ist.

Ebenso schlecht funktioniert der Umgang mit der Klimakrise, wenn man auf den Staat setzt.Hier sehen wir, dass wir zusätzlich in einer tiefen politischen Krise stecken, zu der ich späternoch etwas sagen möchte.

3. Die Migrationskrise

Eng verbunden mit Wirtschafts- und Klimakrise ist eine dramatische Entwicklung in derglobalen Migration. Es sind derzeit mehr Menschen in Bewegung denn je: Sie fliehen vorHunger, vor der Zerstörung ihrer Lebensräume durch den Klimawandel und vor Kriegen, diein vielen Fällen auf globale Verteilungskämpfe um Rohstoffe zurückgehen.

Die einzige Antwort Europas auf die Migrationsbewegungen aus armen Ländern – an denenEuropa ja nicht unschuldig ist – zeigt sich darin: Die Grenzen zu schließen. Die Konsequenzdaraus ist ein Massensterben an den Grenzen, an denen zehntausende Flüchtlinge undMigrant_innen im Meer, in der Wüste, an den Zäunen zugrunde gehen. Mittlerweile ist esnicht nur so, dass man diese Menschen sterben lässt – man treibt sie sogar aktiv in den Tod:Die EU-Grenzschutztruppen von Frontex haben die explizite (und seerechtswidrige) Aufgabe,Flüchtlingsboote auf offenem Meer abzudrängen. Militärs und Polizeieinheiten in denangrenzenden Ländern wiederum schieben Flüchtlinge im Auftrag Europas (und finanziert

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mit europäischen Geldern) zurück, setzen sie in der Wüste aus oder sperren sie in Lager, indenen regelmäßig auf Flüchtlinge geschossen wird – wie eben wieder in Libyen.

Diese Lage ist ein eklatanter Bruch mit den Grundwerten unserer Gesellschaft. Es ist fastunglaublich, in welchem Ausmaß an den Universitäten die Augen vor dieser Situationverschlossen werden. Solange Menschen an Europas Grenzen zu Tausenden in den Todgetrieben werden, dürfte es eigentlich in einer ganzen Reihe von Disziplinen kein Seminarund keine Vorlesung geben, in denen diese Problem nicht angesprochen wird. Derzeitgeschieht das nicht.

4. Die politische Krise

Alle diese Krisen sind globale Krisen, die globale Antworten erfordern und auf Ebene derNationalstaaten nicht zu lösen sind. Unser politisches System, unsere Demokratie, unsereSozialsysteme bauen jedoch auf dem Nationalstaat auf. Es ist bisher nicht gelungen, jenseitsder Nationalstaaten Modelle und Strukturen aufzubauen, die wirksam mit diesenHerausforderungen umgehen. Stattdessen fällt die – im Nationalen verhaftete – Politik immerwieder darauf zurück, Politik für die „eigenen Leute“ zu machen, und damit allen zu schaden.In der Finanz- und Wirtschaftskrise äußert sich das in der Unfähigkeit, den globalenFinanzmärkten globale Regeln gegenüberzustellen, die dringend notwendig sind. In derKlimakrise äußert es sich in unwürdigem Kuhhandel, wie wir ihn wohl in Kopenhagen leiderwieder erleben werden. In der Migrationskrise ist die Unfähigkeit, mit der Situationumzugehen, total: Man beschränkt sich darauf, die Grenzen und die Augen gleichermaßenfest zu verschließen.

Auch hier stehen die Universitäten in der Verantwortung. Wir werden in dieser politischenHerausforderung nicht auf die Rezepte aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkriegzurückgreifen können – und aus dieser Zeit stammt unser globales politisches System. DieUniversitäten sind gefordert, hier Raum zu schaffen, um neue Modelle zu entwickeln.

Sie müssen globales Denken fördern und fordern, damit neue Modelle und Strukturenüberhaupt einmal gedacht werden können. Das bedeutet, Scheuklappen abzuwerfen undgrenzenlos zu denken. Das bedeutet aber auch, für Durchmischung zu sorgen. Ich habe mirjetzt die Zahlen ausländischer Studierender angesehen, die ja immer wieder als Grund für diederzeitige Situation an den Universitäten genannt werden. Gut, es studieren hier über 17.000deutsche Staatsbürger – das sind sieben Prozent der Hörer_innen, was weder unbewältigbarklingt noch ist, es genügen Verhandlungen über Ausgleichszahlungen. In Österreich studierenaber weniger als 500 Personen aus dem gesamten amerikanischen Kontinent. Weniger als 500aus ganz Afrika. Das ist beschämend.

5. Gemischte Gesellschaften und Diversität

Die politische Krise spielt sich aber auch innerhalb der Nationalstaaten, der Gesellschaften ab.Ich konzentriere mich hierbei noch einmal auf die Migrationsthematik. Europa – undbesonders Österreich – begreift sich nach wie vor als einheitliches Gebilde, in dem weiß,christlich, männlich regiert, und in dem jede_r, die, der diesem Bild aufgrund einer anderenHautfarbe, einer anderen Religion oder auch nur einer anderen Herkunft nicht entspricht, imbesten Fall als Gast geduldet wird. Das ist ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.Österreich ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland – spätestens seit den 1960er Jahren,das ist wirklich nicht vorgestern passiert – und wird es in Zukunft noch mehr sein. Die Art,

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wie hier mit dieser Situation umgegangen wird, führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung.Das Zusammenleben wird nicht funktionieren, wenn man einen großen Teil der Bevölkerungals ungebetene Gäste behandelt. Die Politik ist derzeit unfähig, mit diesem Themaumzugehen: Die eine Seite – die Rechte – vertritt den schlichten Standpunkt „alle raus“, wasnatürlich unmöglich ist. Die andere Seite scheut sich davor, das Thema auch nuranzusprechen, weil es so lange der Rechten überlassen wurde. Doch diese Ignoranz wird dieSituation nur verschärfen – in welcher Richtung, das ist in anderen Ländern wieGroßbritannien oder Frankreich deutlich zu sehen, wenn man denn hinschaut.

Die Universitäten haben auch hier eine wichtige Rolle zu spielen. Wir brauchen mehrForschung, wir brauchen mehr Lehre und wir brauchen Ausbildung in diesem Bereich desZusammenlebens in einer gemischten Gesellschaft, der einer der entscheidenden für unsereZukunft sein wird.

Das wird nicht möglich sein an Universitäten, welche die gesellschaftlichenMachtverhältnisse nicht nur reproduzieren – nein, die sogar nur die Spitze dergesellschaftlichen Strukturen abbilden. Sowohl der Lehrkörper als auch die Studierenden sindan unseren Unis ein Zerrbild der Gesellschaft, Menschen mit Migrationshintergrund sindkaum vertreten. Eine Universität, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auf diese Artnur widerspiegelt wird nicht imstande sein, die notwendige Forschung zu betreiben, dierichtigen Fragen zu stellen und Rezepte für die Zukunft zu entwickeln. Wir brauchen daherauf den Universitäten eine aktive Diversitätspolitik, die dafür sorgt, dass die Universitätdurchmischt ist – vom Lehrkörper bis zu den Studierenden. Nur so kann dieseHerausforderung angenommen werden.

Das gilt leider auch für einen Bereich, von dem man denken sollte, dass er seit Jahrzehntenkein Thema mehr sei: Die Teilhabe von Frauen an den Universitäten. Ihr kennt die Zahlen –bei über 50 Prozent Absolventinnen haben wir einen Frauenanteil unter 20 Prozent bei denProfessor_innen und null Prozent bei den Rektoren. Ich begrüße daher die Forderung nacheiner 50%igen Frauenquote, die von diesem Plenum aufgestellt wurde, sehr. Es hat sich inden letzten Jahrzehnten erwiesen, dass die Gleichstellung von Frauen auf freiwilliger Basisnicht funktioniert und dass Qualifikation nicht genügt. Eine Anmerkung dazu auf dieseProtestbewegung bezogen: Die emanzipatorische Qualität einer Bewegung zeigt sich immerdaran, wie sie mit Diskriminierung umgeht. Eine Bewegung, die das ThemaGleichberechtigung nicht in jeder Phase mitdenkt, hat kein Potential für Zukunftsfragen. Ihrkönnt auch also alle herzlich bei der AG Frauen bedanken, die immer wieder den Finger aufdas Thema Sexismus legt und dafür auch den Kopf hinhält.

5. Welche Universitäten für diese Herausforderungen?

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm. Sie erfordern allerdings wenigerAnstrengung als Kreativität und neues Denken. Wir können auf die alten Rezepte nichtzurückgreifen, um damit umzugehen. Es ist eure Aufgabe – der Generation, die jetzt studiert –diese Herausforderung anzunehmen.

Jene, die hier im Saal sitzen, haben schon durch ihre Anwesenheit hier damit begonnen. DieProtestbewegung weckt, glaube ich, auch deshalb so viel Sympathie, weil sie so viel von demerfüllt, was für eine neue Art von Denken und Organisation notwendig ist.

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Ich finde das ursprüngliche Schlagwort „unibrennt“ angemessen für eine Situation, diewirklich untragbar ist. Besser noch gefällt mit das Schlagwort, das später gekommen ist:„Unsere Uni.“ Ich denke, dass das „wir“ hinter diesem „unsere Uni “ nicht nur dieStudierenden sind, auch wenn das vielleicht so gedacht war: Das „Wir“ ist die gesamteGesellschaft. Das hier ist eine öffentliche Universität, sie wird von der Gesellschaft finanziert.Man kann daher den Anspruch an sie stellen, dass sie nicht nur als reine Ausbildungsstättefungiert, sondern dass sie ohne Scheuklappen das Wissen entwickelt, das wir für dieseHerausforderungen brauchen.

Wir brauchen dafür eine Universität, die Leistung nicht rein in Punkten und in kurzerStudienzeit misst, sondern freies, kritisches Denken schult und den Raum dafür schafft.

Wir brauchen eine Universität, die dort forscht, wo bisher zu wenig hingesehen wurde. Dasheißt, dass auch unabhängige Forschung möglich sein muss: Unabhängig vonprojektbezogenen Geldgebern, seien sie privat oder staatlich. Sonst besteht die Gefahr, dasswieder nur ein Denken reproduziert wird, das für die derzeitigen Krisen verantwortlich ist.Das heißt auch, dass langfristige Forschung möglich sein muss – etwas, das durch die skurrilederzeitige Kettenvertragsregelung behindert wird. Und das heißt, dass Forschung und Lehreauf keinen Fall getrennt werden dürfen: Neues Wissen muss sofort an die Studierendenweitergegeben werden – sie müssen ja von diesem Wissensdrang infiziert, mit neuenDenkansätzen konfrontiert werden und darauf aufbauen können, wenn sie denHerausforderungen unserer Zeit begegnen wollen.

Wir brauchen eine Universität, die globales Denken schult und fördert. Es ist dabei nichtförderlich, wenn man im Seminar neben denselben Leuten sitzt, mit denen man schon in dieSchule gegangen ist. Die Universität hat die Aufgabe, globalen Austausch zu fördern. Wirbrauchen also mehr Mobilität – und wir brauchen nicht weniger, sondern mehr ausländischeStudierende.

Schließlich ist uns allen hier bekannt, dass Österreich zu den Ländern mit der niedrigstenAkademikerquote aller Industriestaaten zählt. Es ist daher in Zeiten, in denen die„Wissensgesellschaft“ gehyped wird, ein Skandal, wenn steigende Studierendenzahlen alsProblem behandelt werden. Wir brauchen nicht weniger Studierende, sondern mehr, und wirbrauchen Universitäten, die dafür über den Raum, die Infrastruktur und gut bezahltesLehrpersonal verfügen.

In diesem Sinne wünsche ich dem Plenum hier noch viel Erfolg.