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D. P. König • U. Münnich • J. Schmidt • M. Dünnwald • Klinik und Poliklinik für Orthopädie (Direktor: Prof. Dr. M. H. Hackenbroch) der Universität zu Köln Die Wertigkeit der manuellen Muskelfunktionsdiagnostik nach Janda Eine Untersuchung an Bundesligaringern Zusammenfassung Die Muskelfunktionsdiagnostik nach Janda erlaubt, Muskelverkürzungen zu erkennen. Sie ist eine einfache und reproduzierbare Methode, die vor und während der Saison muskuläre Dysbalancen aufdecken kann. Mehrere Untersuchungen konnten zei- gen, daß sich die Verletzungsinzidenz durch frühzeitig erkannte Dysbalancen und deren Therapie reduzieren ließ. Die Muskelfunktionsdiagnostik nach Janda sollte im Rahmen der sportärztlichen Betreuung zum Einsatz kommen. Zur Diagnose komplexer Probleme ist die Janda-Testung nicht vorgesehen und nicht geeignet. Gefundene Hypermobilitäten sind überwiegend sportartspezifisch, können je- doch z. T. Ursache für spezielle Probleme (In- stabilitätsimpingement) sein. Hypomobilitäten erfordern Zusatzun- tersuchungen (z. B. Röntgen), um die Genese (z. B. Hüftdysplasie) derselben herauszufin- den. Die Janda Methode kann dem Untersu- cher in diesen speziellen Fällen nicht weiter- helfen. Schlüsselwörter Muskelfunktionsdiagnostik • Janda • Musku- läre Dysbalancen • Sportverletzungen • Prävention M uskuläre Dysbalancen werden in mehreren Studien ursächlich für das Auftreten von sportspezifischen Verlet- zungen diskutiert [1, 3–5, 7]. Die manuelle Muskelfunktionsdia- gnostik in Anlehnung an die Beschrei- bung von Janda [2] soll nach den Anga- ben o.a. Autoren hilfreich in der Auf- deckung muskulärer Dysbalancen sein, deren Behandlung zu einer Reduktion der Verletzungsinzidenz führt [8, 10, 11]. Nach Sachse [6] werden drei Arten der Hypermobilität unterschieden. Die lokale pathologische, die generalisierte pathologische und die konstitutionelle Hypermobilität. Der lokalen Hypermobilität liegt oftmals eine benachbarte Gelenksblok- kierung zugrunde. Sie muß als Kom- pensationsmechanismus der Blockie- rung interpretiert werden. Generalisierte pathologische Hy- permobilitäten sind bei einigen zentra- len Tonusstörungen und einigen extra- pyramidalen Erkrankungen vorhanden. Charakteristisch für die konstitu- tionelle Hypermobilität ist, daß der ge- samte Körper, in zum Teil unterschiedli- cher Ausprägung, betroffen ist. Diese Form der Hypermobilität ist häufiger bei Frauen als bei Männern anzutreffen. Die Hypermobilitätsuntersuchung be- inhaltet immer eine Gelenkuntersu- chung. Unter Muskelverkürzung bzw. ver- minderte Dehnbarkeit wird ein Zustand verstanden, bei dem es zu einer Verkür- zung des in Ruhe befindlichen Muskels gekommen ist. Posturale Muskeln (Halte-Muskeln) haben eine ausge- prägte Neigung zur Verkürzung. Die Be- wertung einer Muskelverkürzung darf nur erfolgen, wenn die Gelenkbeweg- lichkeit nicht aus anderen Ursachen ein- geschränkt ist. Letztendliches Ziel dieser Untersu- chung ist es behandlungsbedürftige Be- funde zu erheben, die potentiell zu einer Verletzung führen können. Ringen ist eine Zweikampfsportart, die Kraft, Ausdauer, Koordinations- und Reaktionsfähigkeit sowie beson- dere Ansprüche an die Schnelligkeit und Beweglichkeit des Athleten stellt. Im Rahmen der Saisoneingangsun- tersuchung erfolgt bei unserer Mann- schaft eine manuelle Muskelfunktions- diagnostik in Anlehnung an die Be- schreibung von Janda [2]. Ziel dieser Untersuchung ist es die Wertigkeit der Muskelfunktionsdiagno- stik nach Janda an einem Kollektiv von Bundesligaringern zu überprüfen. Vor- handene Muskelverkürzungen bzw. Hy- permobilitäten sollen mit Hilfe der Janda-Methode aufgedeckt werden und im Trainingsprogramm gezielt berück- sichtigt werden. Manuelle Medizin 2·99 89 Manuelle Medizin 1999 · 37: 89–95 Springer-Verlag 1999 Originalien Dr. D. P. König Arzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Mannschaftsarzt der SG EC Bayer Worringen, Klinik und Poliklinik für Orthopädie der Universität zu Köln, Joseph Stelzmann-Straße 9, D-50924 Köln

Die Wertigkeit der manuellen Muskelfunktionsdiagnostik

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Fazit für die Praxis Der pathologische Endwiderstand bei der Untersuchung einer segmental gezielten passiven Bewegung wird als charakteristisch für eine artikuläre Dysfunktion angesehen. Die vorgestellten Beispiele zeigen anhand der Effektivität einer gezielten Muskelrelaxation oder einer relaxierenden Lagerung (BWS und LWS), daû eindeutig erscheinende Blockierungsbefunde an Extremitätengelenken und Wirbelsäulensegmenten nicht immer artikulär bedingt sind, sondern durch muskuläre Störungen verursacht werden können. Die Differenzierung zwischen artikulä- ren und muskulären Dysfunktionen ist für die Therapieentscheidung wichtig.

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D. P. König · U. Münnich · J. Schmidt · M. Dünnwald · Klinik und Poliklinik für Orthopädie(Direktor: Prof. Dr. M. H. Hackenbroch) der Universität zu Köln

Die Wertigkeit der manuellenMuskelfunktionsdiagnostiknach JandaEine Untersuchung an Bundesligaringern

Zusammenfassung

Die Muskelfunktionsdiagnostik nach Jandaerlaubt, Muskelverkürzungen zu erkennen.Sie ist eine einfache und reproduzierbareMethode, die vor und während der Saisonmuskuläre Dysbalancen aufdecken kann.

Mehrere Untersuchungen konnten zei-gen, daû sich die Verletzungsinzidenz durchfrühzeitig erkannte Dysbalancen und derenTherapie reduzieren lieû.

Die Muskelfunktionsdiagnostik nachJanda sollte im Rahmen der sportärztlichenBetreuung zum Einsatz kommen.

Zur Diagnose komplexer Probleme istdie Janda-Testung nicht vorgesehen undnicht geeignet.

Gefundene Hypermobilitäten sindüberwiegend sportartspezifisch, können je-doch z. T. Ursache für spezielle Probleme (In-stabilitätsimpingement) sein.

Hypomobilitäten erfordern Zusatzun-tersuchungen (z. B. Röntgen), um die Genese(z. B. Hüftdysplasie) derselben herauszufin-den. Die Janda Methode kann dem Untersu-cher in diesen speziellen Fällen nicht weiter-helfen.

Schlüsselwörter

Muskelfunktionsdiagnostik · Janda · Musku-läre Dysbalancen · Sportverletzungen ·Prävention

Muskuläre Dysbalancen werden inmehreren Studien ursächlich für dasAuftreten von sportspezifischen Verlet-zungen diskutiert [1, 3±5, 7].

Die manuelle Muskelfunktionsdia-gnostik in Anlehnung an die Beschrei-bung von Janda [2] soll nach den Anga-ben o. a. Autoren hilfreich in der Auf-deckung muskulärer Dysbalancen sein,deren Behandlung zu einer Reduktionder Verletzungsinzidenz führt [8, 10, 11].

Nach Sachse [6] werden drei Artender Hypermobilität unterschieden. Dielokale pathologische, die generalisiertepathologische und die konstitutionelleHypermobilität.

Der lokalen Hypermobilität liegtoftmals eine benachbarte Gelenksblok-kierung zugrunde. Sie muû als Kom-pensationsmechanismus der Blockie-rung interpretiert werden.

Generalisierte pathologische Hy-permobilitäten sind bei einigen zentra-len Tonusstörungen und einigen extra-pyramidalen Erkrankungen vorhanden.

Charakteristisch für die konstitu-tionelle Hypermobilität ist, daû der ge-samte Körper, in zum Teil unterschiedli-cher Ausprägung, betroffen ist. DieseForm der Hypermobilität ist häufigerbei Frauen als bei Männern anzutreffen.Die Hypermobilitätsuntersuchung be-inhaltet immer eine Gelenkuntersu-chung.

Unter Muskelverkürzung bzw. ver-minderte Dehnbarkeit wird ein Zustandverstanden, bei dem es zu einer Verkür-zung des in Ruhe befindlichen Muskels

gekommen ist. Posturale Muskeln(Halte-Muskeln) haben eine ausge-prägte Neigung zur Verkürzung. Die Be-wertung einer Muskelverkürzung darfnur erfolgen, wenn die Gelenkbeweg-lichkeit nicht aus anderen Ursachen ein-geschränkt ist.

Letztendliches Ziel dieser Untersu-chung ist es behandlungsbedürftige Be-funde zu erheben, die potentiell zu einerVerletzung führen können.

Ringen ist eine Zweikampfsportart,die Kraft, Ausdauer, Koordinations-und Reaktionsfähigkeit sowie beson-dere Ansprüche an die Schnelligkeitund Beweglichkeit des Athleten stellt.

Im Rahmen der Saisoneingangsun-tersuchung erfolgt bei unserer Mann-schaft eine manuelle Muskelfunktions-diagnostik in Anlehnung an die Be-schreibung von Janda [2].

Ziel dieser Untersuchung ist es dieWertigkeit der Muskelfunktionsdiagno-stik nach Janda an einem Kollektiv vonBundesligaringern zu überprüfen. Vor-handene Muskelverkürzungen bzw. Hy-permobilitäten sollen mit Hilfe derJanda-Methode aufgedeckt werden undim Trainingsprogramm gezielt berück-sichtigt werden.

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Manuelle Medizin1999 ´ 37: 89±95 � Springer-Verlag 1999 Originalien

Dr. D. P. KönigArzt für Orthopädie, Sportmedizin,Chirotherapie, Physikalische Therapie,Mannschaftsarzt der SG EC Bayer Worringen,Klinik und Poliklinik für Orthopädieder Universität zu Köln,Joseph Stelzmann-Straûe 9, D-50924 Köln

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Material und Methode

13 Ringer der Bundesligamannschaftwurden vor Saisonbeginn untersucht.Das Durchschnittsalter der Ringer lagbei 29 Jahren (19±42 Jahre). Der Trainermit 42 Jahren wurde mituntersucht, daer aktiver Ringer in seiner Altersklasseist. Im Durchschnitt rangen die Aktivenseit 19 Jahren (9±36 Jahre). Die meistenwaren seit frühester Jugend im Ringer-sport aktiv.

Während der Wettkampfsaisonfand dreimal wöchentlich das Trainingund einmal wöchentlich der Wettkampfstatt. In der Vorbereitungsphase wurdeneben dem dreimal wöchentlichen Trai-ning jedem Ringer ein individuellesTrainingsprogramm, das vom Trainerin Absprache mit dem Mannschaftsarztund Physiotherapeuten zusammenge-stellt wurde, aufgegeben.

Die Untersuchung auf Hypo- undHypermobilitäten bzw. Muskelverkür-zungen erfolgte nach der Vorgabe vonJanda [2]. Die Beurteilung und Graduie-rung erfolgte nach den Angaben vonJanda [2]. Es wurden folgende Gruppenzur besseren Übersicht gebildet:

w Halswirbelsäulew Schultergürtelw Ellenbogen, Hand- und Fingerge-

lenkew Stammw Untere Extremität

Halswirbelsäule

Es wurden ein Hypermobilitätstest(Kopfdrehung) und drei Verkürzungs-tests angrenzender Muskeln durchge-führt.

w Kopfdrehung (Abb. 1)w Der M. trapezius (oberer Anteil)

wurde in Rückenlage überprüft. Zu-nächst wurde mit der einen Hand derSchultergürtel mit dem Gabelgriff fi-xiert. Mit Hilfe der anderen Hand,die den Kopf unterstützte, wurde pas-siv eine maximale laterale Flexionzur nicht getesteten Seite geführt.

In Abänderung der Empfehlungvon Janda führten wir diese Untersu-chung nicht in neutraler Rotations-stellung sondern in gleichseitiger Ro-tationsstellung des Kopfes durch.Wenn die Endposition erreicht war,führte die fixierende Hand einen Kau-dalschub auf den Schultergürteldurch.

Wenn die Schultergürteldepres-sion leicht durchführbar ist, liegtkeine Verkürzung vor. Wenn die De-pression nur mit gröûerem Druckoder nicht durchführbar ist, liegteine Verkürzung vor.

w Der M. levator scapulae wurde inRückenlage und maximaler Vorbeu-gung des Kopfes untersucht. DerKopf wurde zur kontralateralen Seitegeneigt und rotiert. Die andere Unter-sucherhand fixierte die Scapula mitdem Gabelgriff und führte eine De-pression der Schulter durch. Ausge-wertet wurde das Endgefühl derSchulterdepression. Eine Verkürzungliegt vor, wenn die Schulterdepressionerschwert oder nicht möglich ist.

w Der M. sternocleidomastoideus wur-de auf eine Verkürzung hin unter-sucht. Der Test wurde in Rückenlagemit überhängenden Kopf durchge-führt. Sternum und Schlüsselbeinwurden mit der einen Hand fixiert,und mit der anderen Hand wurde derKopf in Richtung Extension, Lateral-flexion und Rotation zur nicht gete-

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The value of Janda's functional musculardiagnostics. Experience with first leaguewrestlers

Summary

Especially by using the ªFunctional MuscularDiagnosticsº described by Janda specificmuscular imbalances can be found. Themethod is easy to apply and should be usedduring and before the championship season.

Several studies show a high amount ofmuscular imbalances in athletes leading tosport-specific injuries. Treatment can pre-vent these injuries.

More complex problems (e. g. hip dys-plasia) can not be diagnosed with thismethod. They require the use of other diag-nostic tools (X-ray, CT-Scan, NMR). General-ized joint laxity is often sport specific, some-times this can cause problems likewise theinstability impingement.

Key words

Functional muscular diagnostics · Janda ·Muscular imbalance · Sports injuries ·Prevention

Manuelle Medizin1999 ´ 37: 89±95 � Springer-Verlag 1999

Abb. 1 " Die Prüfung der Kopfdrehung erfolgt,indem der Kopf aus der Neutralstellung in die

Endstellung geführt wird. Aus der Endstellungwird passiv geprüft, ob eine weitere Bewegung

möglich ist. Bei einer Hypermobilität kann aktivüber 90 � und passiv noch weiter gedreht werden

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Abb. 2 ~ Die Überprüfung des M. pectoralis major wird in Rückenlage am Bankrand durchgeführt. Zur Überprüfung des distalensternalen Teils wird der gestreckte Arm passiv nach schräg oben angehoben. Sinkt der Arm bis zur Horizontalen, und ist es möglichbei Abwärtsdruck des Oberarms das Bewegungsausmaû zu vergröûern, so liegt keine Verkürzung vor

Abb. 3 ~ Normalerweise reicht der Ellenbogen bei der Prüfung der Nackenumfassung bis zur Medianebene des Körpers

Abb. 4 ~ Bei Normomobilität ist es möglich, bei im Nacken verschränkten Armen mit den Fingerspitzen die Spina scapulaeauf der Gegenseite zu berühren

Abb. 5 ~ Bei Normomobilität ist es möglich, bei der Prüfung der Fingerberührung hinter dem Rücken die Finger aneinander zu führen

Abb. 6 ~ Zur Überprüfung der aneinandergelegten Ellenbogen legt der Proband bei maximal gebeugtem Ellenbogen beide Unterarmesenkrecht in ganzer Länge vor dem Körper zusammen. Ohne die Ellenbogen voneinander zu lösen, versucht er die Unterarmenach vorn zu strecken. Bei normalem Bewegungsausmaû gelingt es, den Ellenbogen bis zur Rechtwinkelstellung zu strecken

Abb. 7 ~ Zur Überprüfung der aneinandergelegten Hände drückt der zu Untersuchende die Handflächen vor dem Körper aneinanderund überstreckt im Handgelenk durch Abwärtsdrücken der Hände, ohne die Handflächen zu lösen. Normomobilität liegt bei einem Winkelvon 90 � zwischen Handgelenk und Unterarm vor

Abb. 8 ~ Die Fingergelenke werden durch die aneinandergelegten Finger überprüft. Hierbei muû die Mittelhand in Verlängerung desUnterarms sein. Die ausgestreckten Finger werden fest aneinander gepreût. Durch eine Abwärtsbewegung der Hände entsteht eineHyperextension in den Fingergrundgelenken. Bei normalem Bewegungsausmaû entsteht ein Winkel von 80 � zwischen beiden Handflächen

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steten Seite bewegt. Die Verkürzungwurde nach dem Ausmaû der Exten-sion bewertet. Dieser Test sollte lang-sam durchgeführt werden, da dieA. vertebralis durch die Position aufungünstige Weise beeinfluût werdenkann.

Schultergürtel

Die drei untersuchten Komplexbewe-gungen dienten der Auffindung von Hy-permobilitäten. Die Untersuchung desM. pectoralis major ist ein Muskelver-kürzungstest:

w M. pectoralis major (Abb. 2)w Prüfung der Nackenumfassung

(Abb. 3)w Hinten verschränkten Arme (Abb. 4)w Prüfung der Fingerberührung hinter

dem Rücken (Abb. 5)

Ellenbogen, Hand-und Fingergelenke

Die drei durchgeführten Untersuchun-gen sind Hypermobilitätstests:

w Aneinandergelegte Ellenbogen(Abb. 6)

w Aneinandergelegte Hände (Abb. 7)w Aneinandergelegte Finger (Abb. 8)

Stamm

Sechs Tests wurden durchgeführt. ZweiVerkürzungstests:

w M. quadratus lumborum (Abb. 9)w Paravertebrale Rückenmuskulatur

(Abb. 10)

Es folgten vier Hyper- und Hypomobili-tätsuntersuchungen:

w Prüfung der Rumpftiefbeuge (Abb. 11)w Rumpfseitneigung

Bei der Rumpfseitneigung wurde unterSeitneigung die Hand an der lateralenOberschenkelseite abwärts geführt.Normalerweise verläuft das von derAchselfalte gefällte Lot durch die Inter-glutealfalte. Bei einer Hypermobilitätverschiebt sich das Lot auf die kontrala-terale Seite.

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Abb. 9 ~ Der Verkürzungstest des M. quadratus lumborumwird in Seitlage überprüft. Der Proband streckt den zunächst90 � im Ellenbogengelenk gebeugten Arm und schiebt somitden Oberkörper langsam hoch. Ist die senkrechte Entfernungder Markierung von der Unterlage 5 und mehr cm, dann liegtkeine Verkürzung vor

Abb. 10 ~ Die paravertebrale Rückenmuskulatur wird imaufrechten Sitz untersucht. Die Knie und Hüftgelenke sind90 � gebeugt. Das Becken wird vom Untersucher fixiert.Es erfolgt sodann eine maximale Rumpfvorbeuge. Gemessenwird der Abstand zwischen Stirn und den Knien. Ab einerEntfernung von 15 cm und mehr liegt eine Verkürzung derparavertebralen Muskulatur vor

Abb. 11 ~ Bei der Prüfung der Rumpftiefbeuge ist der zu Untersuchende normalerweisein der Lage mit den Fingerspitzen in etwa den Fuûboden zu erreichen. Bei einer konstitutionellenHypermobilität ist es möglich, die Finger und sogar die flache Hand auf den Boden zu legen

Abb. 12 ~ Das Niedersetzen zwischen die Fersen gelingt normalerweise bis auf Fersenhöhe.Ist der Proband in der Lage mit dem Gesäû die Unterlage zu erreichen, liegt eine Hypermobilität vor

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w Niedersetzen zwischen die Fersen(Abb. 12)Wenn der Proband in der Lage ist, beider Vorbeuge aus dem Fersensitz denOberkörper zwischen den gespreiz-ten Knien auf die Unterlage zu legen,liegt definitionsgemäû eine Hyper-mobilität vor.

Untere Extremität

w M. triceps suraeDie Untersuchung erfolgte in Rücken-lage mit gestrecktem Bein. Die Fersewurde nach distal gezogen bei Bewer-tung der passiven Dorsalflexion.Wenn die Dorsalflexion bis zur 0 �Stellung möglich ist, liegt keine Ver-kürzung vor.

w Beuger des HüftgelenksDie Beuger des Hüftgelenks wurdengemeinsam in Rückenlage unter-sucht. Im Steiûsitz an der Bankkantewurde das nicht getestete Bein vomProbanden mit beiden Händen in vol-ler Beugung gehalten. Das getesteteBein hing über die Liegenkante. Liegtder Oberschenkel horizontal, der Un-terschenkel senkrecht nach unten

und an der Lateralseite des Ober-schenkels besteht nur eine leichte Ab-flachung, liegt keine Verkürzung vor.Besteht eine spontane Hüftbeugung,so liegt eine Verkürzung des M. iliop-soas vor. Bei Verkürzung des M. rec-tus femoris ist der Unterschenkelnach vorn gestreckt. Liegt eine Ab-duktion des Oberschenkels vor mitVertiefung an der Lateralseite, ist derM. tensor fasciae latae verkürzt.

w Ischiokruralmuskulatur: M. bicepsfemoris, M. semitendinosus, M. se-mimembranosus (Abb. 13)

w Adduktoren des Oberschenkels(Abb. 14)

w M. piriformis (Abb. 15)

Ergebnisse

Halswirbelsäule

Bei der Untersuchung der HWS wurdenbei der Verwendung oben beschriebe-ner Tests, überwiegend Normalbefundeerhoben. Keiner der 13 untersuchtenRinger zeigte eine Verkürzung desM. trapezius, des M. levator scapulaeoder des M. sternocleidomastoideus.Die Kopfdrehung ergab bei 4/13 Ringerneine Hypermobilität.

Schultergürtel

Die Untersuchung des Schultergürtelsergab testspezifische Unterschiede. Ein-deutige Tendenzen zu Hyper- bzw. Hy-pomobilitäten lieûen sich nicht feststel-len. Der M. pectoralis war bei keinemRinger verkürzt. Bei der Nackenumfas-sung lag viermal eine Hypermobilitätund dreimal eine Hypomobilität vor.Bei der Untersuchung der nach hintenverschränkten Arme konnte nur einmaleine vermehrte Beweglichkeit, jedochsechsmal eine Hypomobilität registriertwerden. Bei der Fingerberührung dor-sal war dreimal eine vermehrte undzweimal eine verminderte Beweglich-keit feststellbar.

Ellenbogen ± Handgelenke ±Fingergelenke

Eindeutige Tendenzen ergaben sich beider Untersuchung der Hand- und Fin-gergelenke.

Sportspezifisch ergab sich bei 11/13 Ringer eine Handgelenkshypermobi-lität und bei 12/13 eine Fingergelenkshy-permobilität.

Die Untersuchung der Ellenbogen-gelenke war weniger eindeutig, es zeigte

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Abb. 13 ~ Die rückseitige Oberschenkelmuskulatur (Ischiokruralmuskulatur:M. biceps femoris, M. semitendinosus, M. semimembranosus) ist in Rückenlagemit gestrecktem Knie zu überprüfen. Mit gehaltenem Bein wird eine Hüftbeugungdurchgeführt. Als Verkürzung wird eine Hüftbeugung kleiner 90 � bewertet

Abb. 14 ~ Die Adduktoren des Oberschenkels werden gemeinsam überprüft.Am Bankrand in Rückenlage und leichter Abduktion des kontralateralen Beinserfolgt eine passive Abduktion des zu untersuchenden Beins. Gefordert wirdeine Abduktionsfähigkeit von 40 �, anderenfalls liegt eine Verkürzung vor

Abb. 15 3 Der M. piriformis wird durch Hüftbeugung von 60 �, Horizontalstellungdes Unterschenkels und gleichzeitiger maximaler Hüftadduktion mit Innenrotationüberprüft. Ist die Adduktion und Innenrotation in vollem Ausmaû bei weicherEndspannung möglich, liegt keine Verkürzung vor

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sich sechsmal eine verminderte undzweimal eine vermehrte Beweglichkeit.

Stamm

Der M. quadratus lumborum war beikeinem Sportler verkürzt. 8/13 hatteneine vermehrte Seitneigefähigkeit und7/13 eine vermehrte Rumpftiefbeugefä-higkeit. 7/13 konnten aus dem Fersensitzden Rumpf auf den Boden legen und 8/13 waren in der Lage, beim Niedersetzenzwischen den Fersen das Gesäû auf dieUnterlage zu führen.

Untere Extremität

Verkürzungen an der unteren Extremi-tät lieûen sich nur vereinzelt feststellen.Bei einem Ringer war der M. iliopsoasund der M. tensor fasciae latae verkürzt.Ein weiterer Ringer hatte eine Verkür-zung des M. rectus femoris, des M. ten-sor fasciae latae und der ischiocruralenMuskulatur. Die Kombination von Ver-kürzung des M. rectus femoris und derischiocruralen Muskulatur konnte beieinem Ringer festgestellt werden. Ein-zelne Ringer hatten alleinig eine Verkür-zung des M. tensor fasciae latae, desM. rectus femoris und der Adduktoren.

Diskussion

Die Muskelfunktionsdiagnostik nachJanda ist einfach und reproduzierbardurchführbar. Janda unterteilt die Un-tersuchung in die Prüfung der Kraftfä-higkeit und der Dehnungsfähigkeit. Dievorliegende Untersuchung ist auf die

Untersuchung hinsichtlich der Deh-nungsfähigkeit beschränkt. Die vonJanda aufgeführten Kraftfähigkeitste-stungen stellten an die untersuchtenRinger keine Herausforderung, so daûdarauf verzichtet wurde.

Dies wird von Berthold et al. (1981)an einer Untersuchung von 268 Sport-lern bestätigt [1]. Andererseits be-schreibt Spring 1981 [9] bei 8 Spitzen-Skiläufern muskuläre Dysbalancen mitAbschwächung der Bauch- und Gluteal-muskulatur. Abschwächung der Bauch-und Glutealmuskulatur waren bei denuntersuchten Ringern nicht festzustel-len. Die bei einem Ringer feststellbareM. iliopsoas-Verkürzung ging nicht ein-her mit einer Abschwächung der Bauch-muskulatur. Das im Trainingspro-gramm vorhandene Krafttraining beugtdem vor.

Die von Janda angegebenen Norm-werte wurden von uns übernommen,dennoch ist z. B. eine 0 �-Stellung imOSG bei Testung des M. triceps suraeu. E. als pathologisch zu beurteilen,wird von Janda jedoch als im Normbe-reich befindlich beurteilt.

Die angeführten Tests dienen dergroben Orientierung hinsichtlich etwai-ger pathologischer Befunde und sind alsScreening-Methode zur Aufdeckungmuskulärer Dysbalancen bzw. arthroge-ner Probleme geeignet. Die von Jandaangegebenen Tests sind z. T. nicht aus-schlieûlich auf ein Gelenk bzw. auf einenMuskel beschränkt. Es sind vielmehrKomplexbewegungen, die ± falls patho-logisch ± eine weitergehende Untersu-chung erfordern. Die Diagnose speziel-ler Probleme macht den Einsatz andererklinischer und apparativer Untersu-chungsmethoden notwendig.

Halswirbelsäule

Die HWS-Untersuchungen sind nichtausreichend sensitiv um Hypermobili-täten aufzuzeigen. Bei den untersuchtenAthleten lieûen sich an der Halswirbel-säule überwiegend Normalbefundefeststellen, obwohl die Ringer sportart-spezifisch eine vermehrte Beweglichkeitder Halswirbelsäule, insbesondere fürdie Vor- und Rückneigebewegung, auf-wiesen (Abb. 16).

Schulter

Die Schulteruntersuchungen sind aus-reichend, um Muskelverkürzungen fest-zustellen. Schulterprobleme andererGenese lassen sich damit nicht erfassen.Ein Ringer leidet an einem Instabilitäts-impingement, das mit Hilfe des Gleit-phänomens (Schublade ventral-dorsal),des positiven Apprehensiontests unddes Impingementzeichens nach Neerdiagnostizierbar ist.

Eine bei Ringern oftmals feststell-bare Reizung des Sternoklavikular- undAkromioklaviculargelenks kann zu ei-ner Schmerzangabe bei der Nackenum-fassung führen, läût sich jedoch besserdurch direkte Palpation und Streûte-stung der jeweiligen Gelenke feststellen.

Ellenbogen

Die Befunde am Ellenbogengelenk wa-ren unspezifisch. Die bei einem Ringergefundene Hypomobilität hat eine ar-throgene Genese. Nach Luxationsfrak-tur und daraus resultierender posttrau-matischer Arthrose ist es zu einerarthrogenbedingten Bewegungsein-schränkung gekommen.

Wirbelsäule

Die unauffälligen Wirbelsäulenbefundesind sportartspezifisch. Eine gute Be-weglichkeit in diesem Bereich ist zumRingen notwendig (Abb. 16). Im Trai-ningsplan der Nachwuchsringer wirdder Beweglichkeitsverbesserung imWS-Bereich ein fester Platz eingeräumt.Oftmals sind die Ringer später in derLage sich selbständig im LWS-Bereichzu deblockieren.

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Abb. 16 3 Brücke mit Demon-stration der guten Wirbel-säulenbeweglichkeit, insbe-sondere mit deutlicher Hyper-lordosierung der HWS

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Untere Extremität/Fingergelenke

Die Befunde an der unteren Extremitätwaren überwiegend normal. Die gefun-denen Muskelverkürzungen lassen sichdurch spezifische Dehnungsbehand-lung gut therapieren. Dies ist von be-sonderer Bedeutung beim Freistilrin-gen, da bei Griffen an den Beinen, Rin-ger mit Muskelverkürzungen verlet-zungsanfälliger sind.

Bei einem Ringer lieû sich eine, bisdahin nicht diagnostizierte, arthrogeneHypomobilität der Hüfte auf dem Bo-den einer Hüftdysplasie mit beginnen-den Arthrosezeichen feststellen.

Die gefundenen Hypermobilitätender Wirbelsäule und Fingergelenkesind trainingsbedingt und sportartspe-zifisch. In anderen Sportarten konntedies z. B. für das Schultergelenk bestä-tigt werden [13].

Adaptierter Trainingsplan

Die bei der Saisoneingangsuntersu-chung gefundenen Muskelverkürzun-gen werden für den jeweiligen Ringer re-gistriert und in den persönlichen Trai-ningsplan aufgenommen. Unter Anlei-tung des Physiotherapeuten erfolgt eingezieltes Dehnprogramm.

Die Erfolgskontrolle dieser Maû-nahme erfolgt durch den Physiothera-peuten. Aufgrund der kleinen Fallzahllassen sich keine statistisch signifikan-ten Aussagen zum Erfolg dieser Maû-nahme aufzeigen. Auch ist durch häufi-gen Vereinswechsel der Ringer ein Ver-lauf über mehrere Saisons nicht mög-lich. Dennoch ist seit der Einführung

unseres Screenings vor Beginn der Vor-bereitungszeit eine Reduktion von Mus-kelverletzungen im Laufe der Saison,insbesondere an der unteren Extremi-tät, aufgefallen.

Zu diskutieren sind neuere Unter-suchungen, die es als angebracht anse-hen, muskuläre Dysbalancen nicht mitDehnung, sondern mit Muskelaufbau-training des defizitären Muskels zu be-handeln [12].

Besonderer Dank für die Erstellung der Fo-tos an: Markus Heinen, Ringer der SG ECBayer Worringen (69 kg gr.-röm.), Jugend-europameister und Westdeutscher Meister,Vladimir Kadlec (KS-Verlag) Sportfotograf,Olympiateilnehmer 1984 in Los Angeles imdeutschen Basketballteam

Fazit für die Praxis

Die vorliegende Arbeit stellt eine Studie beiRingern vor, die mit der Muskelfunktionsdia-gnostik nach Janda auf muskuläre Dysbalan-cen untersucht wurden.

Die Muskelfunktionsdiagnostik ergabweitgehende Normalbefunde bei der Unter-suchung der Halswirbelsäule und der übrigenWirbelsäule bei einer sportartspezifischenvermehrten Beweglichkeit der Wirbelsäule.Die Befunde am Ellenbogen waren unspezi-fisch, die an der unteren Extremität überwie-gend normal. Bei der Untersuchung imSchultergürtelbereich konnten sowohl Hy-per- als auch Hypomobilitäten festgestelltwerden. Die nachgewiesenen Hypermobili-täten in den Fingergelenken sind trainings-bedingt und sportartspezifisch.

Hypomobilitäten erfordern zur ätiologi-schen Klärung eine weitergehende Diagno-stik.

Die gefundenen Muskelverkürzungenwurden in den individuellen Trainingsplanintegriert und durch ein spezielles Dehnpro-gramm therapiert. Eine Aussage über die Ef-fizienz dieser Maûnahme ist aufgrund logi-stischer Probleme (Fallzahl, Vereinswechseletc.) nicht möglich.

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deutung der Muskelfunktionstests nachJanda für die sportärztliche Praxis.Med Sport 21: 171±174

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Manuelle Medizin 2´99 95