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AutoReNexemplAR – NuR zuR peRSöNliCHeN VeRweNduNG
Das Interview
Warum die meisten Therapeuten nur durchschnitt-lich sind (und was wir dagegen tun können)1
Tony Rousmaniere im Gespräch mit Scott Miller
An diesem Punkt begann ich, nach einer anderen Erklärung für jene Ergebnisse zu suchen, welche folgenden Schluss zuließen: faktisch alles, was Therapeuten taten, schien trotz aller Unterschiedlichkeit zu funktionieren, und zwar unabhängig davon, wie man die Methoden und Ansätze benannte. Auf der Suche nach einer Erklärung hierfür stieß ich wieder auf die Allgemeinen Wirkfaktoren – jene Theorie, wonach es bestimmte Faktoren gibt, die von den verschiedenen Methoden in der Psychotherapie geteilt werden. Diese gemeinsamen Elemente begünstigen einen positiven Therapieverlauf stärker als solche, die einzig für einen bestimmten Ansatz oder eine bestimmte Schule stehen. Mein Kollege Mike Lambert hatte diese These schon früh formuliert, aber ich hatte sie als wenig reizvoll, ja uninteressant verworfen. Damals dachte ich noch: Das kann doch nicht stimmen.
Zu dieser Zeit lernte ich Mark Hubble und Barry Duncan kennen. Gemeinsam haben wir einige Bücher zu diesem Thema geschrieben, etwa Jenseits von Babel. In diesem Band argumentieren wir gerade nicht, dass Allgemeine
Wirkfaktoren den Weg aufzeigen, wie man Therapie macht. Sie sind vielmehr der Rahmen für Therapeuten, die unterschiedliche Sprachen sprechen, um sich zu verständigen und zu begegnen.
Um das Jahr 1999 herum wurde mir jedoch klar, dass immer mehr Menschen, ein
schließlich der Mitglieder unseres eigenen Teams, die Allgemeinen Wirkfaktoren wie ein Modell verwendeten und sie als Therapiemöglichkeit betrachteten. Aber ein Therapiemodell auf der Grundlage Allgemeiner Wirkfaktoren ist unlogisch. Die Allgemeinen Wirkfaktoren basieren ja gerade auf allen Ansätzen. Diese Erkenntnis rief zunächst eine gewisse Fassungslosigkeit hervor und führte zu vielen, auch schwierigen Diskussionen. Schließlich vertrat ich dem Team gegenüber die Ansicht, dass die Art und Weise, wie
Jenseits von Babel
Tony Rousmaniere: Sie haben viel auf dem Gebiet der Allgemeinen Wirkfakto-ren geforscht. Können Sie uns erklären, was Allgemeine Wirkfaktoren sind? Und, daran anschließend, warum Sie sich in letzter Zeit anderen Themen zugewandt haben?Scott Miller: So altmodisch es klingen mag – ich bin an der Wahrheit interessiert. Welche Faktoren sind für eine wirksame Behandlung entscheidend? Schon früh habe ich die lösungsorien-tierte Therapie kennengelernt, mich für diese Behandlungsmethode eingesetzt und sie zusammen mit anderen weiterentwickelt. Gegen Ende meiner Zeit am »Family Center« in Milwaukee kamen einige Wissenschaftler zu uns, die Folgendes herausfanden: Das, was wir machten, war zwar wirksam, aber eben nicht effektiver als die Methoden irgendeines anderen Modells oder einer Schule. Für mich, der ich die Ansicht vertrat, dass lösungsorientierte Arbeit eine höhere Wirksamkeit bei gleichzeitig geringerer Therapiedauer ermöglichte, waren diese Ergebnisse ein gewaltiger Schock.
Scott Miller, PhD, ist Mitbegründer des »Institute for the Study of Therapeutic Change«, einer priva-ten, aus Klinikern und Wissenschaftlern zu-
sammengesetzten Arbeitsgruppe. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was bei der Behandlung von psychischen Störungen und Drogenmissbrauch »funktioniert«. Scott Miller leitet Workshops und Ausbildungskurse und hält weltweit Vorträge. Er hat zahlreiche Fachartikel verfasst und ist Co-Autor von The Heart and Soul of Change: What Works in Therapy, The Heroic Client: A Revolutionary Way to Improve Effectiveness through Client-Directed, Outcome-Informed Therapy und dem in Kürze erscheinenden Band What Works in Drug and Alcohol Treatment.
Tony Rousmaniere, PsyD, ist Direktor am »Student Health and Counseling Center« der University of Alaska Fairbanks, wo er die klinische Aus-
bildung von Doktoranden leitet. Sein Spezialgebiet ist die Intensive Kurz-fristige Dynamische Psychotherapie (ISTDP). Den Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit bilden klinisch-praktische Supervision und Ausbil-dung.
1 Zuerst veröffentlicht in Psychotherapy.net, http://www.psychotherapy.net/inter view/scott-miller-interview. Übersetzt und abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber. Aus dem Amerikanischen von Angelika Engberding, Heidelberg.
Alle Ansätze sind gleichwer-tig. Suchen Sie sich deshalb
einen aus, der Ihnen und
Ihrem Patienten zusagt
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Therapeuten arbeiten, keinen großen Unterschied mache. Entscheidend sei vielmehr, ob die Therapie zwischen einem bestimmten Patienten und einem bestimmten Therapeuten zu einer bestimmten Zeit funktioniere. Mike Lambert forschte bereits in diese Richtung und meinte: »Wir können das messen. Lass uns das herausfinden. Wen kümmert es, welches Modell du anwendest? Wichtig ist, dass es für den Patienten stimmig ist und ihm hilft.« So fingen wir an, Daten zu erheben. Sehr schnell stellten wir fest, dass einige Therapeuten erfolgreicher arbeiten als andere.
Seit ungefähr 2004 untersuchen Mark Hubble und andere am »International Center for Clinical Excellence« (ICCE) die Behandlungsmuster von sehr erfolgreich arbeitenden Therapeuten. Im Grunde weiß ich ja, dass die Allgemeinen Wirkfaktoren ausschlaggebend sind für eine gelingende Psychotherapie. Doch eine Erklärung, weshalb etwas wirkt, unterscheidet sich von einer Strategie. Ich denke, dass die Allgemeinen Wirkfaktoren niemals als Strategie dienen können. Alle Ansätze sind gleichwertig. Suchen Sie sich deshalb einen aus, der Ihnen und Ihrem Patienten zusagt.
Der Gesang der Sirenen
Tony Rousmaniere: Mithilfe der Allge-meinen Wirkfaktoren kann man also die Wirksamkeit von Psychotherapien unter-suchen; sie bieten aber keine Möglich-keit, ein Modell zu implementieren?Scott Miller: Es ist per Definition unmöglich, ein Modell aus den Allgemeinen Wirkfaktoren abzuleiten, weil es dann eben nicht mehr allgemein, sondern spezifisch wäre. Ich sage keineswegs, dass Allgemeine Wirkfaktoren keine Rolle spielen, aber sie führen in eine therapeutische Sackgasse. Sie helfen Therapeuten nicht bei der Arbeit, denn diese brauchen nach wie vor eine Behandlungsmethode. Die Allgemei
nen Wirkfaktoren sind aber keine Methode. Warum nicht? Sind die Daten erhoben und die Methoden in einer randomisierten kontrollierten Studie verglichen worden, so ergibt sich für alle Behandlungsansätze die gleiche Wirksamkeit. Man braucht also immer noch eine Form, um die Allgemeinen Wirkfaktoren zu operationalisieren.
Und warum sollten wir ein neues therapeutisches Verfahren erfinden, wenn wir bereits 400 unterschiedliche Therapieansätze haben? Manchmal kommt es mir so vor, als müsste auf unserem Gebiet jeder sein eigenes Süppchen kochen. Ein verheißungsvolles neues Modell ähnelt dem Gesang der Sirenen, sodass es Therapeuten schwerfällt, das eigene Schiff nicht dorthin zu steuern. Ich bin der Auf fassung, dass ein Therapeut sich einen aus den 400 bestehenden Ansätzen, der ihm geeignet erscheint, auswählen sollte. Dann sollte er sorgfältig prüfen, ob er auch seinem Patienten guttut. Wenn nicht, ist es an der Zeit, dass sich der Therapeut ändert – und nicht der Patient.
Tony Rousmaniere: In der Zeitschrift Psychotherapy haben Sie einen Beitrag veröffentlicht, in dem Sie drei Schlüssel benennen, mit deren Hilfe Therapeuten ihre Arbeit erfolgreicher gestalten kön-nen. Ihr Hauptaugenmerk scheint nun darauf zu liegen, wie Therapeuten ihre Arbeit mit jedem einzelnen Patienten verbessern können. Könnten Sie diese drei Schlüssel beschreiben?Scott Miller: Der erste Schlüssel besteht darin, seine Ausgangssituation zu prüfen. Man kann seine Arbeit nur verbessern, wenn man weiß, wie gut man sie tatsächlich macht. Wir Therapeuten denken, dass wir das wissen. Aber die erhobenen Daten zeigen, dass wir unsere Wirksamkeit generell um 65 Prozent überschätzen. Man sollte also als Erstes wissen, wie effektiv man unterm Strich ist. Das heißt, dass man irgendeine Art von Messmethode haben sollte, um die Wirksamkeit der Arbeit mit den
Patienten im Laufe der Zeit zu überprüfen.
Der zweite Schlüssel ist ein wohldurchdachtes Feedback. Wenn man einmal weiß, wie wirksam die eigene Arbeit ist, dann ist es an der Zeit für Coaching und Feedback. Diese kann man auf zweierlei Weisen bekommen. Zum einen kann man genau dieselben Messmethoden verwenden, die man angewendet hat, um selbst die eigene Wirksamkeit zu ermitteln. So kann man ein Feedback von den einzelnen Patienten bekommen. Vor allem geht es darum zu sehen, wann man tatsächlich hilfreich ist und wann nicht. Die
gewonnenen Erkenntnisse kann man dazu nutzen, den Therapieverlauf für einen bestimmten Patienten zu modifizieren. Zum anderen kann man ein Feedback von jemandem erbitten, dessen Arbeit man schätzt und der bzw. die
etwas breiter qualifiziert ist als man selbst. Man kann ihn oder sie bitten, insbesondere jene Fälle zu kommentieren, bei denen die eigene Arbeit nicht zufriedenstellend verlaufen ist. Man sucht also nach Mustern im eigenen Material, wann man nicht besonders hilfreich gewesen ist, und hält nach jeman dem Ausschau, der ein guter Coach sein könnte. Es ist wie beim Golfen: Wenn man einmal weiß, welches Handicap man hat, kann man einen Coach anheuern, der gute Verbesserungsvorschläge macht. Es geht also nicht darum, den gesamten Arbeitsstil umzukrempeln oder einen ganz neuen Behandlungsansatz zu erlernen. Im Grunde geht es darum, die eigenen Fertigkeiten auf die nächste Leistungsstufe zu heben.
Der dritte Schlüssel ist bewusstes Üben. Das Schlüsselwort ist hier »bewusst«. Wir alle üben. Wir gehen nämlich zur Arbeit. Es stellt sich allerdings heraus, dass die Anzahl der Stunden, die wir bei der Arbeit verbringen, kein guter Prädiktor für die Wirksamkeit einer Behandlung ist. Es geht darum, die
Generell über-schätzen wir Therapeuten unsere Wirk-samkeit um 65 Prozent
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Grenze des Bereiches, in dem man aktuell zuverlässig Leistung erbringt, zu markieren. Mit anderen Worten: An welcher Stelle machen Sie Ihre Arbeit nicht ganz so gut? Und dann sollten Sie einen Plan entwickeln, wie Sie sich die nötigen Fähigkeiten aneignen können, um besser zu werden. Diese Fertigkeiten gilt es einzuüben und anzuwenden. Dann können Sie Ihre Arbeit erneut überprüfen, um zu sehen , ob Sie sich verbessert haben.
Übrigens habe ich diese drei Schritte nicht selbst entwickelt. Wir haben sie vollständig der PerformanceLiteratur entnommen, insbesondere den Arbeiten von Anders Ericsson, die in der Ausbildung von Piloten, im Schachtraining, in der Ausbildung von Programmierern, Chirurgen etc. Anwendung gefunden haben. Sollten wir irgendeinen Anspruch auf Ruhm haben, so deshalb, weil wir die Erkenntnisse zum ersten Mal auf das Gebiet der Psychotherapie übertragen haben.
Tony Rousmaniere: Eine meiner ersten Reaktionen auf Ihre Ausführungen ist die Frage: Kommen manche nicht einfach als die besseren Therapeuten auf die Welt?Scott Miller: Ericsson hat herausgefunden, dass die Suche nach genetischen Faktoren, die man als ausschlaggebend für die Leistung herausragender Individuen betrachtete, überraschenderweise nicht erfolgreich war. Im Sport denken wir oft: »Hier spielen genetische Aspekte eine Rolle«, oder wir sagen : »Ihm wurde die Musik in die Wiege gelegt«. Es wurde jedoch nachgewiesen, dass bei praktisch niemandem, den die Forscher auf genetische Disposition untersuchten, diese für den Erfolg ausschlaggebend war. Selbst Mozart spielte 17 Jahre lang Klavier, bevor er mit ungefähr 21 Jahren etwas komponierte, das einzigartig war. Er begann mit vier Jahren, Klavier zu
spielen. Sein Vater übte schon als Baby Tonleitern mit ihm. Wenn man also einmal die Komponente »Übung« außer Acht lässt, lässt sich kein Beleg für
die entscheidende Bedeutung genetischer Faktoren finden – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen.
Beim Boxen zum Beispiel scheint es so zu sein, dass die Sportler mit einer etwas größeren Reichweite einen leichten Vorteil haben. Beim Baseball wiederum ist es so: Fangen Werfer in einem bestimmten Alter nicht an zu üben, entwickeln sich ihre Arme nicht entsprechend,
um den Ball so schnell und präzise zu werfen, wie dies professionelle Pitcher können.
In einer weiteren Studie wurden soziale Kompetenzen untersucht. Oft ist ja zu hören, dass gute Therapeuten – zusätzlich zu ihrer genetischen Disposition – »einfach nur besonders ausgeprägte soziale Kompetenzen haben«. Im Rahmen der Studie konnte dies allerdings nicht nachgewiesen werden. Der Grund hierfür ist, dass diese Art von Ideen ein zu hohes oder zu allgemeines Abstraktionsniveau hat. Der eigent liche Unterschied zwischen den besten Therapeuten und den übrigen besteht darin, dass die besten ein tieferes fachspezifisches Wissen besitzen. Sie haben eine höchst kontextualisierte, breite Wissensbasis, auf die sie bei entsprechenden Anhaltspunkten aus dem Kontext gut zugreifen können.
Kontextualisierte, breite Wissensbasis
Tony Rousmaniere: Könnten Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie sich eine breite, kontextualisierte Wissensbasis in einem Behandlungsraum auswirkt?Scott Miller: Das klassische Beispiel – ich sage das im Spaß – ist der NonSuizidVertrag. Oder das SuizidPräventionsInterview. Jemand kommt und sagt: »Ich werde Selbstmord begehen«. Und wir antworten: »Haben Sie schon
einen Plan? Haben Sie das schon jemals zuvor versucht?« Bla, bla, bla. Das ist dekontextualisiertes Wissen. Sie könnten diese Fragen auch einem Stock stellen .
Ein TopTherapeut stellt solche Fragen anders, nuancierter, abhängig vom Auftreten des Patienten. Aufgrund seines komplexeren und gut organisierten Wissens ist es ihm möglich, Verhaltensmuster zu erkennen, die uns Übrigen entgehen und auf die wir auf eine sehr viel unspezifischere Art reagieren. Die eigentliche Frage ist also: Wie kann man Therapeuten helfen, diese kontextualisierte, breite Wissensbasis zu erlangen? Wenn man einmal darüber verfügt, kann man dieses Wissen nicht nur im entscheidenden Moment abrufen, sondern auch auf einzigartige Weise Verbindungen herstellen und diese therapeutisch nutzen. Dies käme einem durchschnittlichen Therapeuten niemals in den Sinn – und wenn er solche Verbindungen fände, dann höchstens zufällig.
Tony Rousmaniere: Was Sie sagen, legt nahe, dass Behandlungsmanuale nicht unbedingt der beste Weg sind, Therapeu-ten zu schulen.Scott Miller: Wir wissen, dass die Behandlung nach einem Manual weder eine bessere Wirksamkeit garantiert noch die Variabilität der Therapeuten, die ein und dasselbe Manual benutzen, reduziert. Es zeigen sich nach wie vor viele unterschiedliche Behandlungsergebnisse, auch wenn jeder von ihnen nach derselben Methode behandelt.
Außerdem glaube ich, dass es entscheidend ist, dass Therapeuten einen bestimmten Ansatz kennenlernen und, zumindest am Anfang, daran festhalten. Warum? Wenn Sie zu früh beginnen, Ihre Methode zu variieren, reduzieren sich Ihre Möglichkeiten, Ihre Leistung später zu verbessern. Ein Beispiel : Ich bekam Unterricht in klassischer Gitarre bei einem hochinteressanten Lehrer. Die ganze erste Unter
Was unterschei-det die besten Therapeuten von den übri-
gen? Sie haben ein tieferes
fachspezifisches Wissen und eine höchst kontextuali-sierte, breite Wissensbasis
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richtsstunde verbrachten wir damit, dass er mich anhielt, den Gitarrenhals mit meiner linken Hand zu greifen – und das als Rechtshänder. Er sagte: »Wenn du versuchst, deinen Griff von Anfang an zu variieren, wirst du später nie die gleichen Möglichkeiten haben, dein Spiel bewusst flexibel zu gestalten. Deshalb ist es wichtig, mit einer Grundhaltung zu beginnen.« Ich glaube, dass Therapeuten häufig auf eine hochkomplexe, nuancierte Weise beginnen und in ihre Arbeitsweise willkürlich Variationen einführen – ohne groß darüber nachzudenken.
Tony Rousmaniere: Es wäre also bes-ser, mit einem festen Rahmen oder einer Struktur zu beginnen, die eine stabile Grundlage schafft, und kontextualisiertes Wissen später zu erwerben.Scott Miller: Und die Arbeit in einer Weise zu variieren, die es erlaubt, die Wirkung eines neuen Elementes gegenüber dem, was jemand normalerweise macht, zu überprüfen. Das ist der Schlüssel. Andernfalls hat man eine Trickkiste. Man kann alle Tricks anwenden, aber dann gibt es keinen Zusammenhang, und man kann nicht erklären, warum man hier die Arbeit verändert hat, dort aber nicht.
Tony Rousmaniere: Es ist also nicht un-bedingt eine schlechte Idee, mit einem Manual zu beginnen.Scott Miller: Keineswegs. Ich würde sogar vorschlagen: Nehmen Sie sich ein Handbuch, und machen Sie dort eine Ausbildung, wo ein spezifischer Ansatz gelehrt wird, der es Ihnen ermöglicht zu üben. Auch ist es gut, andere durch einen Einwegspiegel zu beobachten. Wenn Sie die Grundlagen erst einmal »draufhaben«, können Sie selbstständig eigene Variationen einführen.
Tony Rousmaniere: Ich höre Therapeu-ten sagen: »Ich habe zwanzig, dreißig Jahre Erfahrung«. Geht aus der Forschung hervor, dass Erfahrung an sich jemanden besser macht?
Scott Miller: Nein. Wir kennen das nicht nur aus der Therapie, sondern von vielen Dingen. Wenn Sie genauer darüber nachdenken, verstehen Sie auch, warum das so ist. Steckt jemand mitten in der Arbeit, hat er nicht genug Zeit, seine Fehler sorgfältig zu korrigieren. Wir haben herausgefunden – und das finde ich sehr schockierend –, dass der Unterschied zwischen den Besten und den Übrigen darin besteht, was sie tun, bevor sie einen Patienten behandeln und nachdem sie ihn behandelt haben. Es geht also nicht darum, was sie während der Therapiestunde tun. Ich möchte das anhand eines Beispiels aus dem Eiskunstlaufen veranschaulichen. Wenn Sie einen Weltmeister im Eiskunstlaufen beobachten, der gerade eine goldmedaillenwürdige Vorstellung zeigt, können Sie beschreiben, was er gemacht hat. Doch das verrät Ihnen noch lange nicht, wie Sie selbst solche Fertigkeiten erlangen können. Um eine solche Leistung zu erbrin gen, muss der Eiskunstläufer etwas tun, bevor er auf das Eis geht und nachdem er das Eis verlassen hat. Das ist die Zeit, die ihn eine solch über ragende Leistung erzielen lässt. Man kann aufs Eis gehen und versuchen, so viele DreifachAxel zu springen, wie man will. Das allein wird einen nicht besser machen. Man muss planen, üben, ausführen und danach das eigene Tun reflektieren. Die meisten von uns sehen nicht die Anstrengung, die in dieser tollen Leistung steckt. Wir anerkennen nur, wie herausragend sie ist.
Tony Rousmaniere: Ich sehe allerdings einen Unterschied zum Eiskunstlauf, der die Sache schwierig macht. Wir ver-suchen, jedem Patienten zu helfen. Und wenn wir etwas Neues ausprobie-ren, werden wir unweigerlich Fehler machen . Und das ist nicht so leicht, weil wir einen Fehler bei einem echten Men-schen machen, der uns gerade gegen-übersitzt.
Scott Miller: Wir alle machen Fehler. Und die Fehler, die ich meine, sind im Allgemeinen klein und nicht gravierend. Das heißt, Ihre Leistung verbessert sich nicht, wenn Sie nur auf grobe Fehler oder auf Fertigkeiten im Großen und Ganzen achten. Ihre Leistung wird besser, wenn Ihre üblicherweise angewandten Methoden versagen – wenn sie nicht fruchten. Entscheidend ist, dass Sie sich merken, was nicht funktioniert hat, darüber nach der Sitzung nachdenken und einen Plan entwickeln, was Sie anders machen könnten. Auf diese Weise vollzieht sich Verbesserung.
Wenn Menschen den von Ihnen genannten Einwand vorbringen, glaube
ich, dass sie denken, dass die Fehler weit gröber sind als das, worüber ich spreche. Wenn Therapeuten sich erst einmal ihre Grundhaltung erarbeitet haben, werden die meisten – vielleicht zu ihrer Überraschung – feststellen, dass sie im Hinblick auf ihre Ergebnisse durchschnittlich oder leicht unterdurchschnittlich sind. Es geht nicht darum , unsere Leistung auf
ein durchschnittliches Niveau zu bringen. Es geht darum, sie auf die nächste Ebene zu heben. Um das zu erreichen, muss der Blick auf kleine Fehler im Vorgehen gerichtet werden.
Ein weiteres Beispiel: Auf einer unserer Konferenzen spielte eine junge Pianistin. Sie war erst acht Jahre alt und eine unglaublich begabte Konzertpianistin. Sie trug ein sehr schwieriges Stück vor. Hinterher fragte ich sie, ob sie irgendwelche Fehler gemacht habe. Sie sagte: »Natürlich, jede Menge«. Ich antwortete ihr, dass ich keinen Fehler gehört hätte, und sie erwiderte: »Das liegt daran, dass Sie nicht gut sind auf diesem Gebiet.« Darauf sagte ich: »Und was machst du jetzt?« Sie sagte: »Die Sache ist die: Ich habe viele Fehler gemacht, aber ich kann während des Auf
Entscheidend ist, sich zu mer-ken, was nicht
funktioniert hat, darüber nach der Sitzung
nachzudenken und einen Plan zu entwickeln,
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tritts nichts daran ändern«. Das sagte eine Achtjährige. Ich fragte noch einmal: »Was machst du also?« Sie antwortete: »Ich bemerke die kleinen Fehler in meinem Spiel. Ich speichere sie ab. Mein Lehrer im Publikum hört sie, und ich konzentriere mich, wenn ich zwischen den Auftritten übe, ganz darauf, sie zu korrigieren.«
Die meisten von uns sind durchschnittlich
Tony Rousmaniere: Wie viele Thera-peuten üben wirklich zwischen den Sitzun gen? Ich glaube, sehr wenige. Was meinen Sie?Scott Miller: Die meisten von uns sind durchschnittlich. Und die Hälfte von uns liegt unter dem Durchschnitt, stimmt’s? Es üben also nur sehr wenige, doch Übung ist das eigentliche Geheim nis von Kompetenz und Exzellenz. Warum betreiben einige Therapeuten diesen zusätzlichen Aufwand? Finanziell rechnet sich das jedenfalls nicht. Ich denke, das wird sich in Zukunft ändern, aber derzeit ist es schlichtweg egal, ob du durchschnittlich arbeitest, schlecht oder wirklich gut bist. Die Preise richten sich nach der erbrachten Dienstleistung.
Tony Rousmaniere: Das ist ein großes Problem. Ich hoffe, dass sich das in Zu-kunft ändern wird.Scott Miller: Ich glaube, die Dinge geraten hier in Bewegung. In unserem Bereich wird es so werden wie in anderen Gebieten, wo die Bezahlung vom Ergebnis und nicht von der gelieferten Leistung abhängig ist.
Tony Rousmaniere: Zurück zum Üben. Therapeuten lesen Bücher und gehen zu Workshops, aber das ist eine Art passives Lernen. Was halten Sie davon?Scott Miller: Das gehört zum Üben dazu. Darryl Chow, mit dem ich zusammengearbeitet habe, hat gerade an der University of Perth/Australien pro
moviert und seine Doktorarbeit über dieses Thema geschrieben. Er hat herausgefunden, dass die besten Therapeuten überdurchschnittlich viel Zeit damit verbringen, Bücher und Fachartikel zu lesen. Wir wissen auch, dass die besten Therapeuten mehr Zeit darauf verwenden, fachtherapeutische Texte noch einmal zu durchdenken.
Therapeuten suchen oft nach einer Möglichkeit, wie sie ihre Arbeit verändern können, um an einen Patienten, mit dem sich die Arbeit schwierig gestal tet, heranzukommen. TopTherapeuten tun nicht nur das, sondern sie vergewissern sich darüber hinaus kontinuierlich bestimmter Grundkenntnisse. So stellen sie sicher, dass sie diese auch in ihrer Arbeit berücksichtigen. Sie verwenden Zeit darauf, Fachliteratur zu lesen, die enorm langweilig sein kann, aber trotzdem sehr hilfreich ist. Gerard Eagins »The Skilled Helper«, Corey Hammonds Buch über die Therapeutische Kommunikation – diese Titel sind Grundlagenliteratur. Sie erinnern uns an Dinge, die wir in der Hektik des Alltags mit den vielen Patienten, die wir jede Woche behandeln, vergessen.
Tony Rousmaniere: Lesen ist also wich-tig. Was ist mit Workshops?Scott Miller: Was Workshops betrifft, bin ich Zyniker. Einfach, weil ihre übliche Struktur die Gesetzmäßigkeiten, die die Forschung in den letzten dreißig Jahren über das menschliche Lernen herausgefunden hat, missachtet. Sechs Stunden, ausgesucht von demjenigen, der sich weiterbilden muss, ohne dass seine Fertigkeiten überprüft würden, ohne dass neue Fertigkeiten erworben würden, ohne Bewusstsein für bestimmte Defizite in der Praxis. Die Forschungsarbeiten von Greg Neimeyer befassen sich ein Stück weit hiermit, und es gibt wirklich keinen einzigen Beweis dafür, dass unsere aktuel len Weiterbildungsstandards zu einer verbesserten Leistung führen.
Tony Rousmaniere: Der Psychothera-pie-Ausbilder Jon Frederickson lässt seine Studenten psychotherapeutische Übungen machen in einer Art von Rol-lenspiel im Kreis. Entspricht das Ihren Vorstellungen von einer Übung?Scott Miller: Das kommt darauf an, aber es klingt erst einmal gut. Es ist also keine Übung, in der ein ganzes langes Spiel gespielt wird, sondern die Leute üben bestimmte, ganz spezifische Fertigkeiten innerhalb einer kurzen therapeutischen Sequenz. Das deckt sich mit
den Grundsätzen der EricssonForscher. Wenn man ein erfahrener Profi ist, kann die Motivation, zu einem CEEvent zu gehen, sehr verschieden sein. Von mir selbst weiß ich, dass ich oft dankbar bin für einen freien Tag, an dem ich mich mit Freunden treffe. Der eigentliche Inhalt eines Workshops – ich schäme mich, das zuzugeben – in
teressiert mich weniger. Die Leistungsanreize sind einfach allesamt falsch.
Tony Rousmaniere: Das führt uns zu-rück zu der Frage nach der Motivation.Scott Miller: Ich glaube nicht, dass auf unserem Fachgebiet Anreize für so etwas geschaffen werden. Tatsächlich kann es passieren, dass man bestraft wird.
Tony Rousmaniere: Ein starker Anreiz für mich in meiner eigenen Praxis war der hohe Prozentsatz an Klienten, die ihre Therapie abbrachen. Dies motivierte mich, weiter zu üben. Es kann sein, dass andere Therapeuten dieses Problem nicht haben, aber mich motivierte es gewal tig.Scott Miller: Wenn Klienten ihre Therapie abbrechen, kann dies positiv oder negativ sein. Zum Beispiel reizt unser derzeitiges System die Therapeuten, zu jeder verfügbaren und abrechenbaren Stunde einen Patienten im Sessel zu haben . Das heißt, es kann für die Therapeuten auch ein Anreiz sein – und auch
Die besten The-rapeuten ver-bringen über-
durchschnittlich viel Zeit damit,
Bücher und Fachartikel zu
lesen und diese zu durch-denken
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dazu gibt es Datenmaterial –, Patienten zu halten, egal, ob eine Veränderung stattgefunden hat oder nicht. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass das Anreizsystem versagt. Es gibt hin und wieder motivierte Menschen – wie Sie selbst –, die sich sagen: »Moment mal, das kann’s doch nicht sein«. Aber das erfordert ein Maß an Reflexion, das die meisten von uns als schwierig empfinden, vor allem dann, wenn wir gute Ausreden parat haben. In den Augen dieser Leute brechen Patienten ihre Therapie ab, weil sie ihre eigenen Probleme verleugnen, und nicht deshalb, weil die Therapeuten selbst etwas falsch gemacht haben könnten. Man fügt diese Dinge zusammen, und das kann eine fatale Kombination sein. Als diejenigen, die Dienstleistungen empfangen und dafür zahlen, müssen wir einen Schritt zurücktreten und über die Anreize in unserem aktuellen System nachdenken. Ich weiß, dass das furchtbar wirtschaftsorientiert klingt, aber ich glaube, dass solch eine Orientierung für unseren Bereich wichtig ist.
Tony Rousmaniere: Das erscheint mir sinnvoll. Was ist mit Psychotherapie-Videos ? Videos von Experten, wie sie psychotherapy.net produziert? Ist das für Sie eine Übung?Scott Miller: Ja. Vor allem am Anfang, wenn Sie feststellen, dass Sie in einem bestimmten Bereich Unterstützung brauchen, oder wenn Sie merken, dass bestimmte Fertigkeiten noch nicht ausreichend ausgebildet sind. Im Wesentlichen verbringen Sie oft mehr Zeit damit , dass Sie »ins Schwimmen kommen«, anstatt zu reflektieren, was genau abläuft. Dies wäre viel wichtiger.
Tony Rousmaniere: Könnten Sie weitere Beispiele für gezielte Übungen nennen?Scott Miller: Es gibt beispielsweise die StoppStartStrategie von Darryl Chow. Und Chris Hall führt zurzeit eine Studie an der UNC durch, an der
wir beteiligt sind. Bei dieser Studie sehen Therapeuten kurze Sequenzen eines Videos und müssen dann augenblicklich auf eine Weise reagieren, die maximal empathisch, unterstützend und nichtdistanzierend ist. So werden die Therapeuten darin ausgebildet, kompetent mit einigermaßen unkomplizierten Patienten umzugehen.
Dann kann man den emotionalen Kontext oder den physischen Kontext, in welchem die Leistung erbracht wird, verändern. Etwa sagt der Patient nicht einfach nur: »Ich bin traurig«. Er droht damit, auszusteigen oder Suizid zu begehen. Das sind Dinge, die schwieriger sind. Eine Strategie, um damit umzugehen, besteht darin, sich Zeit zu nehmen, um außerhalb des Behandlungsraumes darüber nachzudenken und spezielle Fälle, die einen herausfordern, mit Kollegen oder Beratern zu besprechen. Darryl Chow hat in seiner überaus spannenden Arbeit herausgefunden, dass diejenigen Therapeuten die besten Ergebnisse erzielen, die innerhalb der ersten acht Berufsjahre ca. sieben Mal mehr Stunden auf diese Weise verbringen als die Therapeuten, die qualitativ in den unteren zwei Dritteln anzusiedeln sind. Sieben Mal mehr! Jetzt, wo wir das wissen, können wir entsprechend früh damit beginnen, die Arbeit so auszurichten. Die schlechte Nachricht ist: Wenn Sie schon einige Zeit dabei sind, ist es unmöglich, zu den Besten aufzuschließen. Wir sind dafür schlichtweg zu alt. Wir schaffen es nicht mehr. Der Schlüssel ist, wirklich früh zu beginnen und rechtzeitig etwas zu investieren. Es ist in etwa so, wie wenn man Ihnen rät, für den Ruhestand Rücklagen zu bilden. Nicht in den letzten fünf Jahren. Nicht in den ersten fünf Jahren, aber jedes Jahr ein wenig.
Tony Rousmaniere: Große Sportler ha-ben den Vorteil, dass ihre Trainer ihnen Tag für Tag vorgeben, welche Bewegun-gen sie auszuführen und welche Leistun-gen sie zu erbringen haben. Ich bin Aus-bilder hier an der University of Alaska Fairbanks, am »University Center for
Student Health and Counseling«, und ich wähle die Patienten, die Tag für Tag hier-her kommen, nicht aus. Das Problem, das sie zu uns führt, können Angstzu-stände sein, Depressionen, alle mögli-chen Erkrankungen. Ich mache also eine Übung, bei der es – sagen wir – um Angstzustände geht, aber der Patient, der hereinkommt, hat eine Depression. Was tun?Scott Miller: Im Wesentlichen verletzen wir die Grundregel der BasketballTrainerlegende John Wooden, d. h. wir erlauben den Studierenden zu »spielen«, bevor wir sie »gedrillt« haben. Und ich muss Ihnen sagen, alle Studenten möchten »spielen«, aber es ist wichtig, sie vorher und währenddessen zu »drillen«. Erinnern Sie sich an meinen Musiklehrer: »So halten wir die Gitarre.« Zunächst spielen wir sehr einfache Songs, und dann beginnen wir, das Üben komplexer zu gestalten, wenn rela tiv einfache Aufgaben erfolgreich bewältigt wurden.
Tony Rousmaniere: Sie würden also eine längere Ausbildungszeit, mehr Übung und mehr Training empfehlen?Scott Miller: Ich würde gerne mehr meisterhaftes Können sehen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Möchten Sie, dass der Pilot auf dem Simulator bei schönem Wetter übt, bevor er ein Flugzeug steuert? Bestimmt erwarten Sie, dass er auf alle möglichen Komplikationen vorbereitet ist: »Warte mal, es regnet«, »Warte mal, es gibt Probleme mit dem Steuerruder«. Da braucht man komplexe Fertigkeiten. Natürlich können wir den Leuten beibringen, diese als einmalige Situation zu managen. Dann werden sie sie aber niemals in ein zusam menhängendes Methodenpaket integrieren können. Dieses erleichtert es ihnen aber, Fertigkeiten schnell aus dem Gedächtnis abzurufen, wenn sie sie später einmal brauchen. Wenn es als etwas Einmaliges, Isoliertes gesehen wird – »Bei dem AngstPatienten habe ich das und das gemacht« –, ist es nicht in einer organisierten Struktur veran
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kert und kann umso schlechter abgerufen werden.
Tony Rousmaniere: Sie möchten also im Lebenslauf eines Therapeuten nicht nur konkrete Dienstleistungen sehen, sondern auch viele Stunden des Übens und Lernens.Scott Miller: Oder, noch besser, jemanden, der seine Ergebnisse überprüft hat, wie Sie selbst das getan haben. Alles, was ich brauche, ist ein durchschnittlicher Pilot. Ich brauche nicht den besten der Welt, denn die meiste Zeit gibt es keine großen Turbulenzen. Wenn Sie Ergebnisse vorlegen können und wenn Sie diese mit mir überprüfen, werden wir auf jeden Fall die meisten Fehler finden. Und dann wünsche ich mir Therapeuten, die einen Plan haben, was ihre berufliche Weiterentwicklung betrifft. Hier sollte es darum gehen, über einen langen Zeitraum hinweg kontinuierlich daran zu arbeiten, kleine Verbesserungen zu erreichen.
Tony Rousmaniere: Ich weiß, dass Sie zur Überprüfung von Resultaten quanti-tative Ergebnis-Maße empfehlen wie die »Outcome Rating Scale« oder den »Outcome Question-naire«. Ich habe allerdings fest-gestellt, dass es bestimmte Pa-tienten gibt, für die quantitative Maße einfach nicht geeignet zu sein scheinen. Es gibt einige Patienten, die die Probleme zunächst nicht ganz offen dar-legen. So kann es den Anschein haben, dass diese sich ver-schlimmern, obwohl sie sich in Wirklichkeit verbessern. Kön-nen Sie über die genannten Maße hinaus qualitative Methoden oder andere Methoden empfehlen, um Ergeb-nisse genau zu erfassen?Scott Miller: Ihrer Darstellung kann ich nicht zustimmen. Ich persönlich sehe das nicht so und würde das Verhalten der Patienten ganz anders erklären. Ein Beispiel: Wir wissen, dass jedes Mal, wenn es eine Verschlechterung
der Scores gibt, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Patient die Therapie abbricht. Dabei ist es egal, ob der Therapeut denkt oder nicht denkt, dass es ein gutes Zeichen ist, dass der Patient »in Kontakt mit der Realität ist und endlich seine Probleme zulässt« oder die Wirklichkeit beim ersten Besuch übertrieben dargestellt hat. Die Schlüsselaufgabe besteht in diesem Fall nicht darin zu sagen: »Es muss eine andere Art des Messens und Erfassens geben«, sondern herauszufinden, welche anderen Fertigkeiten ich in dieser Situation benötige, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Vertiefen Sie den Ansatz, den Sie gut kennen
Tony Rousmaniere: Das ist eine neue Sichtweise – zu schauen, was ich in mei-ner Arbeit verändern kann, anstatt eine neue Messmethode zu wählen.Scott Miller: Nun sehen Sie, warum ich der Meinung bin, dass in unserem Fach die Therapeuten ständig versuchen, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Anstatt gänzlich mit unserer Arbeit verbunden zu sein, sind wir
dauernd auf der Suche nach dem Kunstgriff, der uns zu einem herausragenden Therapeuten machen soll.
Das ist wie bei einem Sänger, der den einen Song sucht, der ihn berühmt machen wird, anstatt zu lernen, gut zu singen. Wir gehen ständig auf Workshops, und was in diesen Workshops geboten wird, ist oft sehr elementar, auch wenn sie »Für Fortgeschrittene« sind. Es ist einfach
so, dass man im psychotherapeutischen Bereich keinen Workshop für Fortgeschrittene mit 100 Personen veranstalten kann. Das geht nicht. Der Inhalt ist zu abstrakt und zu allgemein. Vielmehr muss man doch die Arbeit eines Therapeuten anschauen und diese verfeinern. So bewegen sich Therapeuten im Kreis und greifen ständig irgendwelche Techniken auf, die sie
dann in einer Art und Weise anwenden, die unzuverlässig ist. Ihre Ergebnisse verbessern sich nicht, nur ihr Selbstvertrauen wird größer.
Tony Rousmaniere: Anstatt jedes Jahr eine neue Technik zu erlernen, wäre es also besser, noch tiefer einzutauchen in die Methode, die man kennt, vorzugs-weise zusammen mit einem echten Ex-perten. Außerdem wäre es gut, wenn man einzeln oder in einer kleinen Grup-pe bestimmte Dinge üben und trainieren würde.Scott Miller: Wenn man erst einmal ein gewisses Leistungsniveau erreicht hat, dann kann man sich meiner Ansicht nach nur dadurch verbessern, dass man ein Feedback bekommt bzgl. der eigenen Defizite. Und die unterscheiden sich von Therapeut zu Therapeut.
Tony Rousmaniere: Das klingt so, als befürworteten Sie uneingeschränkt Videoaufnahme-Sitzungen mit anschlie-ßender Besprechung und Ähnliches.Scott Miller: Nicht nur das – ich befürworte, mithilfe des Blicks eines Exper ten kleine Sequenzen zu besprechen. Andernfalls wird die Flut von Informationen aus dem Video dazu führen, dass man sich selbst infrage stellt, was wiederum die eigene Arbeit beeinträchtigen kann.
Tony Rousmaniere: Was ist mit Live-Supervisionen?Scott Miller: Ich habe nichts dagegen, aber ich denke, es ist ein bisschen wie mit dem GPS – es kann deine Bewegungen in einem Moment korrigieren, aber man wird GPSabhängig und man lernt das Gebiet, in dem man sich bewegt, nicht kennen. Was man zum Lernen braucht, ist Reflexion. Wenn man nicht reflektiert, kann man nicht lernen.
Als ich am »Family Therapy Center« gearbeitet habe, habe ich erstklassige LiveSupervisionen erlebt. Ich wurde augenblicklich von zwei wirklich meis
Anstatt gänzlich mit unserer Ar-beit verbunden zu sein, sind wir dauernd auf der
Suche nach dem Kunstgriff,
der uns zu einem heraus-
ragenden Thera peuten machen soll
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terhaften Therapeuten korrigiert. Was allerdings meiner Ansicht nach einen wirklichen Unterschied machte, war, hinter einem Spiegel zu sitzen, ganz ohne finanzielle Sorgen, zahllose Stunden lang psychotherapeutische Sitzungen zu beobachten und danach darüber zu sprechen. »Das wurde gesagt. Was hättest du sagen können? Wie kommt es, dass wir das gesagt haben? Was musst du tun?« Es war eine himmlische Erfahrung, und infolgedessen konnte ich die Fähigkeit erwerben, dieses Modell auf extrem nuancierte und kontextbezogene Weise anzuwenden.
Und heute, wenn ich es auf meine ScottMillerArt mache und feststelle, dass ein bestimmter Patient in einem bestimmten Augenblick nicht bei der Sache war oder kein Interesse zeigte, denke ich: »Was hätte ich anderes sagen können?« Auf dieser kleinen Mikroebene – im Gegensatz zu einer groben allgemeinen Ebene – kann ich mich wahrscheinlich verbessern.
Leute gehen zu Workshops und sagen: »Ich hatte einige traumatisierte
Patienten. Vielleicht werde ich mal EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) erlernen.«
»Wirklich?« Ich denke nach. »Wissen Sie, wie erfolgreich Sie bei der Arbeit mit diesen Patienten sind?«
»Nein, keine Ahnung.«»Warum, glauben Sie, müssen Sie
EMDR machen?«»Es scheint mir interessant zu sein.«Und ich denke: »Sie sind zum Schei
tern verurteilt.« Nicht, dass mit EMDR etwas nicht stimmt, aber ehrlich, ich habe Francine Shapiro praktizieren sehen, und das sah um einiges anders aus als das, was manche andere Leute gemacht haben, denen ich zugeschaut habe.
Tony Rousmaniere: Das Problem be-steht darin, dass auf andere Techniken umgeschaltet wird, anstatt zu versuchen, bei der Technik, die man gerade anwen-det, besser zu werden.Scott Miller: Da sind wir wieder bei der Suche nach einem Kunstgriff, anstatt darüber nachzudenken, was ich
noch hätte sagen können. Was hätte ich noch tun können, was bereits zu meinem festen Repertoire an Methoden und Techniken gehört? Oder ich hätte hilfreiches Feedback von einem vertrauenswürdigen Mentor bekommen können.
Tony Rousmaniere: Ich weiß, dass Sie diese Thesen in der ganzen Welt darle-gen. Finden Sie Therapeuten, die offen und empfänglich für diese Ideen sind?Scott Miller: Ja, durchaus. Ich glaube, dass es ganz gewiss einige echte Hindernisse gibt, die wir überwinden müssen; aber trotzdem, ja, ich finde welche.
Tony Rousmaniere: Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses wirklich spannende Gespräch.Scott Miller: Ich beschäftige mich einfach gerne mit diesen Themen. Ich bin fasziniert davon und voller Hoffnung in Bezug auf die Richtung, in die die Forschung geht. Insofern danke ich Ihnen, dass Sie mir die Möglichkeit zu diesem Gespräch gegeben haben.
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