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Chemnitzer Online-Reisevermittler hadert mit Korruption in Vietnam http://www.freiepresse.de Samstag, 16.05.2015 Lokales Chemnitz Chemnitzer Online-Reisevermittler hadert mit Korruption in Vietnam Ein Chemnitzer ist in Vietnam um seine Firmenanteile betrogen worden. Wirtschaftsminister Gabriel hat sich deshalb eingeschaltet. Doch die Behörden schauen weiter weg. Chemnitz. Als Sigmar Gabriel vor sechs Monaten auf Werbetour für die deutsche Wirtschaft durch das kommunistische Vietnam reiste, rang er in Hanoi Bui Quang Vinh ein Versprechen ab. Der vietnamesische Minister für Planung und Investitionen sagte zu, sich des Falles Heiko Grimm anzunehmen. Grimm, 49, ist ein Online-Reisevermittler aus Chemnitz. Im August 2012 hatte er sich mit seiner ITI-Holiday bei einem kleinen Veranstalter in Ho-Chi-Minh-Stadt eingekauft. 30.000 Euro war ihm die 40-prozentige Beteiligung an AP Travel wert, um die Vorortbetreuung seiner Kunden zu verbessern. Doch als das Geld geflossen war, präsentierte ihm der Mehrheitseigner plötzlich Verluste - und forderte Geld für die Renovierung eines Hotels. Von dem wusste Grimm aber gar nichts, zumal AP Travel gar keine Lizenz hatte, eine Herberge zu betreiben. Als ihm dann auch noch der Einblick in die Unterlagen verwehrt wurde, schaltete er Anwälte ein. Die staunten Anfang 2014, als sie entdeckten, dass der Mehrheitsinhaber den Chemnitzer bei der Investitionsbehörde schon im April 2013 als Anteilseigner hatte wieder aus- und an dessen Stelle seine eigene Ehefrau hatte eintragen lassen. Offensichtlich war dazu Grimms Unterschrift gefälscht worden. Mehr als ein Jahr lang hatte Grimm daraufhin versucht, gegen seinen Ex-Partner Anzeige zu erstatten - vergeblich. Die vietnamesische Kripo ließ sie einfach fallen. Erst nach politischem Druck verwies sie den Fall zurück an die örtliche Polizei. Da hatte Grimms Ex-Partner von den Behörden unbehelligt die gemeinsame Firma aber längst abgewickelt, nur um ein paar Blöcke weiter unter ähnlichem Namen die Geschäfte fortzuführen. Angeblich war diese neue Adresse für die Polizei aber unauffindbar. Grimm solle daher die Anschrift selbst ermitteln und zudem bei der Investitionsbehörde herausfinden, wie die Übertragung seiner Firmenanteile ohne seine rechtskräftig beglaubigte Unterschrift möglich war, hieß es nun. Der 49-Jährige kann das nicht fassen. "Je tiefer meine Anwälte in diesen Sumpf aus Betrug und Korruption vordringen, desto unglaublicher wird diese Geschichte." Denn auch Protestschreiben des deutschen Generalkonsuls und der deutschen Auslandshandelskammer in Vietnam konnten bislang nichts bewirken. Die Behörden schauen weiter weg. Zwar teilte das Wirtschaftsministerium Grimm im Januar 2015 mit, dass sich jetzt eine deutsch-vietnamesische Arbeitsgruppe um derartige Einzelfälle kümmere. Die vietnamesische Seite bitte deshalb um ergänzende Informationen. Doch welche das sein sollen, ließ sie bis heute offen. Weder Grimm noch dessen Anwälte sind seither von ihr kontaktiert worden. Ohnehin will der Chemnitzer nach all den gescheiterten Versuchen gar nicht mehr strafrechtlich gegen seinen Ex-Partner vorgehen - obwohl die Investitionsbehörde ihm endlich angeboten hat, die Unterschriften von der Polizei auf ihre Echtheit überprüfen zu lassen. Denn Experten wie Christian A. Brendel, der seit neun Jahren eine Rechtsanwaltskanzlei in Vietnam betreibt, raten davon ab. Zum einen seien die grafologischen Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts in Hanoi leider so dürftig, dass er trotz "eindeutiger" Abweichungen bereits mehrfach vor Gericht verloren habe, so Brendel. Zum anderen hätte Grimm aber auch gar nichts davon, selbst wenn die Fälschungen bestätigt würden. Denn dann würde er zwar wieder als Anteilseigner von AP Travel eingetragen. Diese Firma ist jedoch nur noch eine wertlose Hülle, die nicht einmal mehr bei den Finanzbehörden registriert ist. Grimm will deshalb jetzt den Spieß umdrehen. Die vorgelegten, offenkundig gefälschten Urkunden will er für sich nutzen und den Verkaufspreis für seine Anteile, der nie an ihn gezahlt wurde, zivilrechtlich einklagen. Allerdings, warnt Rechtsexperte Brendel, stünden dem Schuldner selbst bei einem Sieg Grimms vor Gericht eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen, noch vor der Vollstreckung zu "verarmen". "Betrug gibt es überall", sagt Grimm. "Aber in Vietnam müssen Betrüger nicht einmal clever sein, weil es dort absolut keine Rechtsstaatlichkeit gibt, sodass sie keine Verfolgung fürchten müssen." Im Ranking der korruptesten Länder nimmt Vietnam bei Transparency International unter 176 Staaten Platz 45 ein - noch vor Ägypten, Panama oder Ruanda. Marco Walde, Chef der deutschen Auslandshandelskammer in Hanoi, ordnet Grimms Fall dennoch als Einzelfall ein. Vietnam sei zwar ein Investitionsstandort, der seine Herausforderungen habe, sagt Walde. Die seien aber bei entsprechender Vorbereitung beherrschbar. Etliche Positivbeispiele zeigten, dass es für deutsche Unternehmen ausreichend Rechtssicherheit in Vietnam gebe. Heinrich Ludwig Schenk schüttelt den Kopf. Seine pfälzische Verpackungsfirma ist um ihre Mehrheitsbeteiligung an einem vietnamesischen Brandsohlen-Produzenten gebracht worden. Ein Gericht löschte sie einfach aus dem Handelsregister. Schenks 2,5-Millionen-Euro-Investition ist verloren. "Mit dem von der Bundesregierung, der Botschaft und der Handelskammer betriebenen Kuschelkurs gegenüber Vietnam wird das korrupte und totalitäre politische System gestärkt und potenziellen Investoren ein völlig falschen Bild vermittelt", schimpft er. "Ich kenne kein deutsches Unternehmen hier in Nordvietnam, das nicht ähnliche Probleme hatte oder hat. Leider ist die Bereitschaft, das offen zu kommunizieren, nicht sehr groß." - "Verträge sind nichts wert, und die Durchsetzung von Forderungen ist angesichts eines lausigen Rechtssystems und der Korruption kaum möglich", klagt auch ein Vertreter aus der Chefetage eines deutschen Logistikunternehmens hinter vorgehaltener Hand. Der Chef eines schwäbischen Handelsunternehmens mit Niederlassungen in Vietnam investiert daher nur noch sehr zurückhaltend. "Die allgegenwärtige Korruption bremst jedes Engagement aus", sagt er. Das hat Folgen. Vietnam ist zwar jung, die Lohnkosten sind niedrig, das Land ist aufstiegshungrig. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner in der EU. Am Flughafen Hanoi ist gerade ein neues Terminal eröffnet worden. Doch deutsche Firmen sind bei derartigen Großprojekten aber in der Regel nicht mit dabei. Mit 1,3 Milliarden US-Dollar, die deutsche Firmen 2014 in Vietnam hatten investieren wollen, rangiert die Bundesrepublik unter allen Ländern abgeschlagen nur auf Platz 22. erschienen am 16.05.2015 © Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG

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Samstag, 16.05.2015

Lokales Chemnitz

Chemnitzer Online-Reisevermittler hadert mit Korruption in Vietnam

Ein Chemnitzer ist in Vietnam um seine Firmenanteile betrogen worden. Wirtschaftsminister Gabriel hat sich deshalb eingeschaltet.

Doch die Behörden schauen weiter weg.

Chemnitz. Als Sigmar Gabriel vor sechs Monaten auf Werbetour für die deutsche

Wirtschaft durch das kommunistische Vietnam reiste, rang er in Hanoi Bui Quang Vinh ein Versprechen ab. Der vietnamesische Minister für Planung und Investitionen sagte zu, sich des Falles Heiko Grimm anzunehmen.

Grimm, 49, ist ein Online-Reisevermittler aus Chemnitz. Im August 2012 hatte er sich

mit seiner ITI-Holiday bei einem kleinen Veranstalter in Ho-Chi-Minh-Stadt eingekauft. 30.000 Euro war ihm die 40-prozentige Beteiligung an AP Travel wert, um die Vorortbetreuung seiner Kunden zu verbessern. Doch als das Geld geflossen war, präsentierte ihm der Mehrheitseigner plötzlich Verluste - und forderte Geld für die Renovierung eines Hotels. Von dem wusste Grimm aber gar nichts, zumal AP Travel gar keine Lizenz hatte, eine Herberge zu betreiben. Als ihm dann auch noch der Einblick in die Unterlagen verwehrt wurde, schaltete er Anwälte ein.

Die staunten Anfang 2014, als sie entdeckten, dass der Mehrheitsinhaber den Chemnitzer bei der Investitionsbehörde schon im April 2013 als Anteilseigner hatte wieder aus- und an dessen Stelle seine eigene Ehefrau hatte eintragen lassen. Offensichtlich war dazu Grimms Unterschrift gefälscht worden.

Mehr als ein Jahr lang hatte Grimm daraufhin versucht, gegen seinen Ex-Partner Anzeige zu erstatten - vergeblich. Die vietnamesische Kripo ließ sie einfach fallen. Erst nach politischem Druck verwies sie den Fall zurück an die örtliche Polizei. Da hatte Grimms Ex-Partner von den Behörden unbehelligt die gemeinsame Firma aber längst abgewickelt, nur um ein paar Blöcke weiter unter ähnlichem Namen die Geschäfte fortzuführen.

Angeblich war diese neue Adresse für die Polizei aber unauffindbar. Grimm solle daher die Anschrift selbst ermitteln und zudem

bei der Investitionsbehörde herausfinden, wie die Übertragung seiner Firmenanteile ohne seine rechtskräftig beglaubigte Unterschrift möglich war, hieß es nun. Der 49-Jährige kann das nicht fassen. "Je tiefer meine Anwälte in diesen Sumpf aus Betrug und Korruption vordringen, desto unglaublicher wird diese Geschichte."

Denn auch Protestschreiben des deutschen Generalkonsuls und der deutschen Auslandshandelskammer in Vietnam konnten

bislang nichts bewirken. Die Behörden schauen weiter weg. Zwar teilte das Wirtschaftsministerium Grimm im Januar 2015 mit, dass sich jetzt eine deutsch-vietnamesische Arbeitsgruppe um derartige Einzelfälle kümmere. Die vietnamesische Seite bitte deshalb um ergänzende Informationen. Doch welche das sein sollen, ließ sie bis heute offen. Weder Grimm noch dessen Anwälte sind seither von ihr kontaktiert worden. Ohnehin will der Chemnitzer nach all den gescheiterten Versuchen gar nicht mehr strafrechtlich gegen seinen Ex-Partner vorgehen - obwohl die Investitionsbehörde ihm endlich angeboten hat, die Unterschriften von der Polizei auf ihre Echtheit überprüfen zu lassen. Denn Experten wie Christian A. Brendel, der seit neun Jahren eine Rechtsanwaltskanzlei in Vietnam betreibt, raten davon ab. Zum einen seien die grafologischen Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts in Hanoi leider so dürftig, dass er trotz "eindeutiger" Abweichungen bereits mehrfach vor Gericht verloren habe, so Brendel. Zum anderen hätte Grimm aber auch gar nichts davon, selbst wenn die Fälschungen bestätigt würden. Denn dann würde er zwar wieder als Anteilseigner von AP Travel eingetragen. Diese Firma ist jedoch nur noch eine wertlose Hülle, die nicht einmal mehr bei den Finanzbehörden registriert ist.

Grimm will deshalb jetzt den Spieß umdrehen. Die vorgelegten, offenkundig gefälschten Urkunden will er für sich nutzen und den

Verkaufspreis für seine Anteile, der nie an ihn gezahlt wurde, zivilrechtlich einklagen. Allerdings, warnt Rechtsexperte Brendel, stünden dem Schuldner selbst bei einem Sieg Grimms vor Gericht eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen, noch vor der Vollstreckung zu "verarmen". "Betrug gibt es überall", sagt Grimm. "Aber in Vietnam müssen Betrüger nicht einmal clever sein, weil es dort absolut keine Rechtsstaatlichkeit gibt, sodass sie keine Verfolgung fürchten müssen." Im Ranking der korruptesten Länder nimmt Vietnam bei Transparency International unter 176 Staaten Platz 45 ein - noch vor Ägypten, Panama oder Ruanda. Marco Walde, Chef der deutschen Auslandshandelskammer in Hanoi, ordnet Grimms Fall dennoch als Einzelfall ein. Vietnam sei zwar ein Investitionsstandort, der seine Herausforderungen habe, sagt Walde. Die seien aber bei entsprechender Vorbereitung beherrschbar. Etliche Positivbeispiele zeigten, dass es für deutsche Unternehmen ausreichend Rechtssicherheit in Vietnam gebe.

Heinrich Ludwig Schenk schüttelt den Kopf. Seine pfälzische Verpackungsfirma ist um ihre Mehrheitsbeteiligung an einem vietnamesischen Brandsohlen-Produzenten gebracht worden. Ein Gericht löschte sie einfach aus dem Handelsregister. Schenks 2,5-Millionen-Euro-Investition ist verloren. "Mit dem von der Bundesregierung, der Botschaft und der Handelskammer betriebenen Kuschelkurs gegenüber Vietnam wird das korrupte und totalitäre politische System gestärkt und potenziellen Investoren ein völlig falschen Bild vermittelt", schimpft er. "Ich kenne kein deutsches Unternehmen hier in Nordvietnam, das nicht ähnliche Probleme hatte oder hat. Leider ist die Bereitschaft, das offen zu kommunizieren, nicht sehr groß." - "Verträge sind nichts wert, und die Durchsetzung von Forderungen ist angesichts eines lausigen Rechtssystems und der Korruption kaum möglich", klagt auch ein Vertreter aus der Chefetage eines deutschen Logistikunternehmens hinter vorgehaltener Hand. Der Chef eines schwäbischen Handelsunternehmens mit Niederlassungen in Vietnam investiert daher nur noch sehr zurückhaltend. "Die allgegenwärtige Korruption bremst jedes Engagement aus", sagt er.

Das hat Folgen. Vietnam ist zwar jung, die Lohnkosten sind niedrig, das Land ist aufstiegshungrig. Deutschland ist der wichtigste

Handelspartner in der EU. Am Flughafen Hanoi ist gerade ein neues Terminal eröffnet worden. Doch deutsche Firmen sind bei derartigen Großprojekten aber in der Regel nicht mit dabei. Mit 1,3 Milliarden US-Dollar, die deutsche Firmen 2014 in Vietnam hatten investieren wollen, rangiert die Bundesrepublik unter allen Ländern abgeschlagen nur auf Platz 22.

erschienen am 16.05.2015

© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG