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Michael Feindt gründete Predictive Analytics Spezialisten Blue Yonder

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Page 1: Michael Feindt gründete Predictive Analytics Spezialisten Blue Yonder

. WISSENSCHAFTDienstag, 28. Januar 2014 Ausgabe Nr. 22 – Seite 17

DEM BALZTANZ von Graurücken-Leierschwänzen mit seinen vielseitigen Schritten undden gespreizten Federn recht nah ist dieses Profi-Tanzpaar. Archivfoto: dpa

Tierisches Verhaltenoft seltsam vertraut

Biologische Studien mit WiedererkennungswertVon unserem MitarbeiterValentin Frimmer

Berlin. Tausende Wissenschaftler neh-men Jahr für Jahr die Tierwelt unter dieLupe. Dabei stoßen sie manchmal aufkuriose Parallelen zum Menschen –nicht nur bei Affen. Bienen bringen ihrGehirn mit Koffein auf Trab und Lamasschlucken Medizin lieber in einer lecke-ren Creme. In einigen Tieren, die Verhal-tensforscher jüngst beschrieben haben,kann man sich leicht wiedererkennen.

Wenn Männer beim Tanzen Eindruckschinden wollen, legen sie sich beson-ders ins Zeug. Die Männchen der Grau-rücken-Leierschwänze stehen ihnen dain nichts nach und legen ihren Balztanzüberraschend viel-seitig aufs Parkett.Ihre Vogeldamenbeeindrucken siemit variierendenTanzschritten – jenachdem, ob sie einen ruhigeren oder ei-nen wilderen Gesang anstimmen, be-richtete Anastasia Dalziell von der aust-ralischen Universität Canberra. „Ge-nauso, wie wir Walzer tanzen bei Wal-zer-Musik oder Salsa zu Salsa-Musik, sotreten die Leierschwänze seitwärts undspreizen ihre Schwanzfedern wie einenSchleier zu einem Gesang, der klingtwie ein Spielautomat aus den 1980erJahren.“

Wildes Nachtleben macht müde. Dahilft nur eins: Kaffee. Das schwarze Ge-tränk weckt nicht nur Millionen Deut-sche jeden Tag, sondern hält auch Bie-nen auf Trab. Koffein verändert dieHirnstruktur der Bienen und stärkt ihrGedächtnis, wie britische Forscher derUniversität Newcastle herausfanden.Mit der richtigen Dosis Koffein zur Be-lohnung erinnerten sich Bienen bis zudreimal länger an den Duft einer Futter-pflanze. Koffein stärke offensichtlichdas Langzeitgedächtnis der Bienen,schlussfolgerten die Forscher. Die Ge-

hirne von Bienen und Menschen seienzwar sehr verschieden. „Auf der Ebeneder Zellen, Proteine und Gene funktio-nieren sie aber sehr ähnlich. So könnteman an Bienen erforschen, wie Koffeinunser eigenes Gehirn und Verhalten be-einflusst.“

Viele Erwachsene können sich einenArbeitstag ohne Kaffee kaum vorstellen.Die meisten Kinder finden Kaffee je-doch eher eklig. Erst im Laufe der Pu-bertät schauen sie sich das Kaffeetrin-ken bei den Älteren ab – ähnlich wie dieGrünen Meerkatzen. Die kleinen Affenbeobachten, welche Speisen ihre Artge-nossen bevorzugen und greifen dannebenfalls zu dieser Kost. Auch wenn dasihren Vorlieben widerspricht. Die Tiere

lernen nicht, indemsie selbst auspro-bieren, sondern in-dem sie ihre Artge-nossen imitieren,folgern die For-

scher. „Das ergibt Sinn in der Natur, wodas Wissen der Einheimischen oft derbeste Hinweis auf ein optimales Verhal-ten in ihrer Umgebung ist.“

Bei wirklich ekligem Geschmack hilftaber auch Gruppendruck nicht mehrviel. Bei bitterem Hustensaft zum Bei-spiel. Kleinkinder kriegen das Mittel oftmit süßem Zucker eingeflößt. Sonst spu-cken sie die Medizin wieder aus – wie ös-terreichische Lamas: Die Tiere mögenihre Medikamente gegen Leberegelnicht und wehren sich nach Kräften.Forscher der VeterinärmedizinischenUniversität Wien haben deshalb einewohlschmeckende Paste entwickelt. Da-mit nähmen die Tiere ihre Medizin gerneund machten keine Faxen.

Sowohl bei Kindern als auch bei Er-wachsenem gibt es schlechte Verlierer.Sie flippen aus, wenn sie zum drittenMal in Folge beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht verlieren. Eine Studie der DukeUniversität in Durham (US-Staat NorthCarolina) zeigte: Affen reagieren in sol-

chen Situationen ähnlich. Verzockensich Schimpansen beim Glücksspiel,rasten sie aus. Die Wissenschaftler stell-ten die Tiere vor die Wahl: Bei der ris-kanten Option erhielten die Affen ent-weder ihren Lieblings-Snack oder ein

Essen, das sie nicht mochten. Bei der si-cheren Option bekamen sie immer mit-telmäßiges Futter. Die Affen zocktenhäufig um ihre Leibspeise. Verloren siedabei, schlugen sie um sich, schrien,jammerten oder fiepten.

Sind Schimpansenauch schlechte Verlierer?

Designer-SchalenKarlsruhe (em). In Petrischalen

sollen Zellen so wachsen wie in ih-rer natürlichen Umgebung. Dochdiese ist nicht statisch, sondern än-dert sich laufend und gibt den Zel-len wechselnde Impulse. Christo-pher Barner-Kowollik und MartinBastmeyer entwickeln am KIT Mi-kro-Petrischalen, deren Oberflä-chen mit Haft- und Abstoßpunktenausgestattet sind. Insbesondere sol-len die Eigenschaften dieser Punktesowie die mechanischen Eigen-schaften der Petrischalen je nachBedarf geändert werden können:die Bindungen sollen also wiederlösbar und neu zu besetzen sein. Fürdie Beschichtung werden bioaktiveMoleküle mit einer fotoaktivenGruppe genutzt. Schon in ihrer bis-herigen Forschung haben die beidenKIT-Forscher punktgenaue An-dockstellen für Zellen entwickelt.

Welche teuren Therapien bringen nichts?Physiker Michael Feindt gründete mit „Blue Yonder“ Deutschlands führenden Anbieter von Prognose-Software

Karlsruhe. Mit „Blue Yonder“ hat derPhysiker Michael Feindt vom Institutfür Experimentelle Kernphysik des KITeinen führenden Anbieter von Progno-se-Software gegründet. „Was ich heutemache“, erzählt Feindt, „hatte ich ur-sprünglich gar nicht im Sinn. Ich waram Cern in Genf, es ging mir rein um diePhysik und wie wir aus unseren Datenmehr herausholenkönnen. Oder an-ders gesagt: Wiekann man viele In-formationen opti-mal zusammen-bringen, um einen Apparat zu verbes-sern und letztendlich irgendwelche Ei-genschaften von Elementarteilchen fin-den? Das war zu hundert Prozent daseinzige Ziel.“ Um diesem näherzukom-men, entwickelte Feindt das VerfahrenNeuroBayes, das Zusammenhänge ausunzähligen Einzeldaten lernen kannund legte damit den wissenschaftlichenGrundstein für seinen heutigen unter-nehmerischen Erfolg. „Denn was da-mals Cern-Daten waren, sind heute Ar-tikel oder Kunden“, so Feindt, „von de-nen weiß man einiges oder vieles undwir sind interessiert daran, etwas vor-herzusagen über die Zukunft, wir ma-chen eine Wahrscheinlichkeitsaussage.“

Wie extrem nützlich diese Aussagenfür Unternehmen sein können, lässt sichgut am Beispiel Versandhäuser zeigen.„Aus allen Daten, die wir haben – diehistorischen Abverkäufe zum Beispiel –versuchen wir, mit erprobten wissen-schaftlichen Methoden, automatisierterForschung, wirklich statistisch relevan-te Aussagen zu treffen. Wir können zumBeispiel Prognosen machen, welcheStückzahlen von einem einzelnen Arti-kel wahrscheinlich im nächsten Jahr ge-kauft werden. Aufgrund dieser Aussa-gen können Unternehmen bessere undpräzisere Entscheidungen treffen, die zumehr Gewinn und weniger Lagerhal-tung führen.“ Denn die selbstlernendeund dynamische Software liefere bei-spielsweise treffsichere Absatzprogno-sen und sogar automatische Bestellvor-schläge.

Aber sind Software-Prognosen wirk-lich genauer als die Erfahrung eines alt-

gedienten Einkäu-fers? Die AntwortFeindts ist eindeu-tig: „Wir haben in-zwischen haufen-weise Beispiele, wo

wir besser sind als die menschliche In-tuition. Kleidung ist zwar schwerer zuprognostizieren als beispielsweise einLebensmittel, weil sie stärker Trendsunterliegt. Aber es war auch eine schöneÜberraschung, dass wir sogar in diesemBereich so gute Ergebnisse erzielen kön-nen“, sagt Feindt, zu dessen Team inzwi-schen rund 100 Mitarbeiter gehören, vondenen über 60 Prozent promovierte Phy-siker, Mathematiker und Informatikersind.

Neben Gewinnoptimierung generiert„Blue Yonder“ auch ganz andere, höchstpositive Nebeneffekte für die gesamteGesellschaft. So kann der Bedarf anGrillfleisch an einem langen Wochenen-

de mit Donnerstag-feiertag bei wech-selhaftem Wetterso genau vorherge-sagt werden, dassdeutlich wenigerLebensmittel nachGeschäftsschlussweggeschmissenwerden müssen alsohne die Progno-sen. Auch der Per-sonalbedarf imEinzelhandel kannso präzise langfris-tig analysiert wer-den, dass sich spä-ter kein Mitarbei-ter an einem Sams-tagmorgen sinnlosdie Beine in denBauch stehenmuss. Ebenso istdie vorausschauen-de Wartung vonMaschinen undAnlagen möglich,böse Überraschun-gen wie ungeplante Stillstände werdendeutlich reduziert. Ein Konzept, das vie-le überzeugt: So zählen zu den Kundendes im Jahr 2008 gegründeten Unter-nehmens inzwischen unter anderemOtto, dm, Vodafone und Crate&Barrel.

„In Daten schlummern Erkenntnisse,die können die Menschheit entscheidendweiterbringen“, sagt Michael Feindt.„Beispiel Medizinforschung. Die Analy-tiker brauchen qualitätsgesicherte Da-ten, haben aber nur 90 Fälle, die schonsehr teuer zu erheben waren. Denn einArzt sieht im Mittel nicht viele Patien-ten und von seltenen Krankheiten schonmal gar nicht. Wir hatten Zugriff aufDaten von privaten Versicherern, woman natürlich gleich Millionen Fälle

hat. Auch wennbestimmt nicht je-des Datum ge-stimmt hat, konn-ten wir aber zei-gen, dass man sehrgut damit Vorher-sagen treffen kann,sogar bis zehn Jah-re in die Zukunft.Wohlgemerkt, allesanonym. Aber wirhaben zum Bei-spiel gesehen, dassRisikozuschläge,die Fachleute fest-legen, noch unge-rechter sind, als

würde jemand die Leute per Zufall aus-wählen.“

Erkenntnisse, die manche Interessen-gruppen lieber nicht wahrhaben möch-ten? „Sicher“, sagt Michael Feindt, „wirkönnen feststellen, dass zum Beispieleine Therapie sinnlos ist, viel Geld kos-tet, Leid erzeugt und die Leute trotzdemsterben. Aber trotzdem wird noch nichtsgemacht. Bisher kennt man in der Medi-zin nur eine globale Wahrscheinlichkeit,jetzt wollen wir das individualisieren.Ist es bei Männern und Frauen gleich?Hängt es vom Alter ab? Hängt es vomÜbergewicht ab? Genau das können wir.Die schweren Entscheidungen zu indivi-dualisieren. Aber da ist die Frage: Willdie Gesellschaft das? Wer hat die Daten?Und hat der Interesse daran?“

An Skepsis und Widerstände hat sichMichael Feindt längst gewöhnt. Dochwas war die größte Hürde, die auf demlangen Weg zu „Blue Yonder“ überwun-den werden musste? „Ich war schon vorüber zehn Jahren sehr davon überzeugt,dass wir was können, was andere nichtkönnen und dass das einen großen wirt-schaftlichen Nutzen bringt. Was ich ab-solut unterschätzt habe, ist, dass manauch einem Professor nicht unbedingtglaubt. Das war ich nicht gewohnt.“

Heute lässt sich die Anerkennung fürFeindts Leistung schon mit Händengreifen. Auf einem Regal in der Firmareihen sich diverse Preise, unter ande-rem der Focus Digital Star Award 2013.

DER BEDARF AN GRILLFLEISCH an einem langen Wochenende mit Donnerstagfeiertag bei wechselhaftemWetter kann mit Software der Firma „Blue Yonder“ ebenfalls ziemlich genau vorhergesagt werden. Foto: dpa

ERKENNT MODETRENDS per Datenanalyse: Physiker undFirmengründer Michael Feindt. Foto: KIT

In Daten schlummerngravierende Erkenntnisse

Große digitale Datenmengen bringenungeahnte Möglichkeiten in der Prog-nostik – so können sie etwa die Ein-kaufsstrategie von Versandhäusernoptimieren. Der Gastbeitrag vonDomenica Riecker-Schwörer erschienim neuen KIT-Magazin lookKIT, dassich mit Big Science Data befasst.Der komplette Text und weitere Artikelzum Thema finden sich unterwww.pkm.kit.edu/kit_magazin.php.

BesseresGedächtnis

Tübingen (em). Was geschieht mitunseren geistigen Fähigkeiten,wenn wir älter werden? Meist wirdangenommen, dass die Gehirnfunk-tionen stetig abnehmen. DerSprachwissenschaftler MichaelRamscar von der Universität Tübin-gen kommt nach Computersimula-tionen zu einem anderen Schluss:„Das menschliche Gehirn arbeitetim Alter zwar langsamer, aber nur,weil es im Laufe der Zeit mehr Wis-sen gespeichert hat.“ MichaelRamscar veranschaulicht dies anzwei Beispielen: „Stellen Sie sichjemanden vor, der die Geburtstagevon zwei Personen kennt und sichperfekt an diese erinnert. WürdenSie wirklich behaupten, dass diesePerson ein besseres Gedächtnis hat,als jemand, der die Geburtstage von200 Leuten kennt und in neun vonzehn Fällen Person und Datum rich-tig zuordnen kann? Oder sie durch-suchen ein Buchregal mit 200 Bü-chern und eines mit 20 Büchern? Beiwelchem finden Sie ihre Informa-tionen schneller?“

Ramscar und sein Team kommtzudem zu dem Schluss, dass Er-wachsene ihren Zuwachs an Wissenbesser beherrschen. Die Wissen-schaftler nutzten dafür einen gängi-gen Test, bei dem die ProbandenWortpaare wie „oben“/„unten“oder „Krawatte“/„Knallbonbon“einstudieren mussten. Die Jugendli-chen prägten sich die Wortpaare un-abhängig davon ein, ob sie zusam-men Sinn ergaben – es machte fürsie wenig Unterschied ob „Knall-bonbon“ in Zusammenhang mit„Krawatte“ oder mit einem anderenWort erschien. Die Erwachsenenhingegen merkten sich die zusam-menpassenden Wortpaare leichterals unsinnige Zusammenstellungen– sie hatten im Laufe ihres Lebensein besseres Verständnis dafür ent-wickelt, wie Wörter im Sprachge-brauch zusammengehören.

Die Tübinger Wissenschaftler fol-gern aus ihren Ergebnissen, dass dieMessung der kognitiven Fähigkei-ten älterer Menschen künftig andersgestaltet werden muss.

Nimmt im AlterHirnfähigkeit stetig ab?

Krokodil mitRückenschmerzGeteilter Schmerz ist halber

Schmerz: Auch Urzeit-Tiere hattenoffenbar Rückenschmerzen. Das ha-ben Wissenschaftler des BerlinerMuseums für Naturkunde mit Fos-silien eines 220 Millionen Jahre al-ten Krokodilsauriers gezeigt. SeineKnochen zeigen deutliche Spureneiner entzündlichen Wirbelsäulen-erkrankung. Sie dürfte dem Tiervon jungen Jahren an große Pein be-reitet haben. Eine Variante seinesLeidens wird beim Menschen Mor-bus Bechterew genannt. Dabei kanndie Wirbelsäule so versteifen, dasseine nach vorne gebückte Haltungentsteht. dpa