1 INFORMATIONSETHIK Rafael Capurro Hochschule der Medien 2004

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INFORMATIONSETHIK

Rafael CapurroHochschule der Medien2004

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Lernziele

Grundkenntnisse ethischer Theorien und Begriffe

Selbständige Problematisierung ethischer Konflikte im Informationsbereich

Übung im interkulturellen Dialog Sensibilisierung für

informationsethische Fragen

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Übersicht

-> Warm up1. Ethik – Angewandte Ethik2. Informationsethik2.1 Historische Aspekte2.2 Systematische Aspekte3. World Summit on the Information

Society 4. Fallbeispiele aus “telepolis”

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Warm up Aus dem Leben gemailt ICIE telepolis Chaos Computer Club: Hackerethik Infoethik an der Uni Saarbrücken WSIS

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Warm up: Aus dem Leben gemailt

Aus dem Leben gemailt

von Christoph Drösser, DIE ZEIT 31.7.03Jochem Müller geht nicht ins Internet. Jochen Müller ist im

Internet - fast immer.Aus Angst, nicht erreichbar zu sein, verliert die Info-Elite

den Anschluss an die Wirklichkeit (information overkill).

Die Sucht nach der nächsten Mail zerstückelt den Tag: Leben im “Multitasking”-Modus.

Für Stunden der Ruhe wird die Verbindung gekappt.

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Warm up: ICIEicie/zkm.de - gegründet 1999 von Rafael Capurro.- Internationales und interkuturelles Forum mit ca. 150

Mitgliedern weltweit.- Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe seit 2001.- Kooperation mit der Universität Augsburg seit 2002

(Buchreihe beim Fink Verlag München), regelmäßige Symposien.

- Internationales Symposium 2004 “Localizing the Internet. Ethical Issues in Intercultural Perspective”.

- Website: Bibliografie, Meetings, Virtual Library, Teaching, Institutionen.

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Warm up: telepolis

www.heise.de/tp/

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Warm up: Hackerethik

Chaos Computer Clubwww.ccc.de/hackerethics

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Warm up: Infoethik

Universität Saarbrücken:

Virtuelles Handbuch InformationswissenschaftInformationsethik

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Warm up: WSIS

World Summit on the Information SocietyGenf, 10-12 Dezember 2003Tunis 2005

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1. Einführung in die Ethik

Menschliches Handeln ist “begründungsbedürftig”: Natur und Freiheit

Kants Fragen: “Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?”

“Wollensethik” und “Sollensethik” (H. Krämer) Das “anstößige” der Moral und der “An-Stoß”

der Ethik Allgemeine Ethik und angewandte Ethik

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1. Einführung in die Ethik

Ethik zur Einführung:- M. Düwell, Chr. Hübenthal, M. H. Werner

Hrsg.: Handbuch Ethik. Stuttgart 2002- O. Höffe: Lexikon der Ethik. München 1997- H. Hastedt, E. Martens Hrsg.: Ethik. Ein

Grundkurs. Reinbek b. Hamburg 1994- Bernard Williams: Ethik und die Grenzen der

Philosophie. Hamburg 1999- Thomas Gil: Ethik. Stuttgart 1993

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1. 1 Historische Aspekte Herkunft und Bedeutung der Worte ‘Ethik’ und

‘Moral’ (oder ‘ethos’) Plato und die Idee des Guten: Ethik als ‘Ideo-

logie’ Sokrates und die Sophisten: Selbstdenken Aristoteles als Begründer der Ethik: “Ethik”,

“Ökonomie” und “Politik” (Praktische Philosophie): das ‘gute Leben’

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1. 1 Historische Aspekte Hellenismus: Die Kultur der “Selbstsorge” und

ihrer Aktualität (Michel Foucault) Christliche Ethik: Thomas von Aquin: “bonum”,

“lex aeterna” und Gottesebenbildlichkeit (theologische Ethik)

Neuzeitliche Ethik: Descartes, Kant, Bentham, Mill: Utilitarismus und Pflichtethik (Kant)

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1. 1 Historische Aspekte

Ethik im 19. und 20. Jahrhundert Hegel: Moralität und Sittlichkeit oder die

Vernünftigkeit des Realen Marx: Protest gegen

Geistmystifikationen; die Macht des historischen Subjekts

Kierkegaard: das Ästhetische, das Ethische und das Religiöse als Dimensionen der menschlichen Existenz

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1. 1 Historische Aspekte

Nietzsche: Kritik der Moral Max Scheler: die materiale Wertethik Analytische Ethik: Moore und Hare Existentialistische Ethik: Camus, Sartre, Beauvoir,

Levinas Liberale/libertäre Ethik: von Hayek, Rawls, Nozick Kommunitaristische Ethik: Etzioni, Taylor, Walzer Diskursethik: Apel und Habermas Postmoderne: Foucault

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1. 1 Historische Aspekte www.capurro.de/raffael.htm

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1.2 Systematische Aspekte

Die Rolle der Moral in der Alltagserfahrung

Gruppenmoral und Universalmoral Berufs- und Standesethos Normenpluralismus, “goldene Regel”

und Verallgemeinerungsprinzip Freiheit, Autonomie und

Menschenwürde (Moralität)

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1.2 Systematische Aspekte

Moral, Ethik und Recht: Moral = gelebte Sitten und Traditionen Ethik = kritischer Diskurs über Moral und

Recht Recht = staatlich sanktionierte Normen

Strafandrohungen: Geldstrafe , Freiheitsentzug (Todesstrafe) (BGB, StGB)

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1.2 Systematische Aspekte

Vorrang der Moral über Ethik und Recht (Fundamentalismus)

Vorrang des Rechts über Ethik und Moral (Legalismus)

Vorrang der Ethik über Moral und Recht (Ethischer Rigorismus) > Abwägungsprozesse

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1.2 Systematische Aspekte

Code-orientierte vs. Ethik-orientierte Moralen (M. Foucault): Vorrang eines bestimmten Codes gegenüber der bleibenden Aufgabe der Lebensgestaltung

Ethik als “Ästhetik der Existenz” (M. Foucault): Technologien der Produktion, der Zeichen, der Macht und des Selbst

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1.2 Systematische Aspekte Handlungen = von Personen wissentlich und

willentlich hervorgerufene Ereignisse (Subjekt, Vollzug, Absicht, Ziel)

Herstellende (‘poiesis’) und selbstzweckhafte Handlungen (‘praxis’) (Ziel außerhalb des H.vollzugs oder nicht)

Gesinnungs- und Verantwortungsethik (Max Weber): Handlung und Verantwortung

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1.2 Systematische AspekteEinige Topthemen der Ethik:

Glück Lebenshaltungen (Tugenden) und Lebensformen Natur und Technik Pflicht und Verantwortung Krieg und Frieden Freiheit und Existenz Liebe und Freundschaft Lebenssinn Selbst sein und ‘Niemand sein’ Wohlstand und Gerechtigkeit Werte und Orientierung

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1.2 Systematische Aspekte

Die Güter und das Gute: Güter sind äußere Strebensziele das Gute verweist auf die Art des

Lebensvollzugs (der Person) (Tugendethik)

> rationale Güterabwägung und vernünftige Entscheidung bei Zielkonflikten (Gemeinwohl, Gerechtigkeit): sittliche Urteilskraft

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1.2 Systematische Aspekte Die “Goldene Regel” (Konfuzius, Sieben

Weisen, Indien, NT...) negativ und positiv formuliert: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’

auch keinem andern zu Behandle andere so, wie du auch von ihnen

behandelt sein willst. > Abstand vom Selbstinteresse und

Vergeltung > Aufforderung zum wechselseitigen

Respekt

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1. 2 Systematische Aspekte

Kants Moralgesetz: “Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.” Prinzip der Willensautonomie kategorischer Imperativ Kausalität durch Freiheit theoretische Deduktion des m.G. nicht möglich:

“Faktum der reinen Vernunft”

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1.2 Systematische Aspekte

Interkulturelle Aspekte und die Frage nach einem “Weltethos” (H. Küng) Ethnozentrismus und Eurozentrismus Islamische Ethik: Glaubensbekenntnis, Gebet,

Abgaben, Fasten, Pilgerfahrt Jüdische Ethik: Gotteswille, Gesetz (Dekalog),

Gerechtigkeit Hinduistische Ethik (Veden) Chinesische Ethik (Konfuzius, Daoismus) Buddhistische Ethik (Siddharta, Meditation)

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1. 2 Systematische Aspekte

Allgemeine Erklärung der MenschenrechteUniversal Declaration of Human Rights (UDHR)

Achtung vor der Menschenwürde (Art. 1) Vertraulichkeit (Art. 1, 2, 3, 6) (Chancen-)Gleichheit (Art. 2, 7) Recht auf Privatheit (Art. 3, 12) Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 19) Recht auf Beteiligung am kulturellen Leben (Art.

27) Schutz der materiellen und geistigen Arbeit (Art.

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1.2 Systematische Aspekte

Ziele der Ethik: Reflexive Aufklärung von Praxis Einübung in die kritische Beurteilung von

Praxis und Geltungseinsprüchen Reflexive Aufklärung des Handelnden

bezüglich seines Handelns

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1.2 Systematische Aspekte

Grenzen der Ethik: Die Ethik ist nicht die Praxis, aber ihr Ziel ist die

Praxis Die Ethik macht uns nicht moralisch(er) Die Ethik ist keine Supermoral Die Ethik ist keine Fallsammlung (Kasuistik):

Rolle des Fallbeispiels: die Vermittlung von Norm und Situation veranschaulichen

Die Ethik gibt uns keine konkreten Handlungsanweisungen, sondern fordert uns auf, zu problematisieren und selbst zu entscheiden

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1.2 Systematische Aspekte

Grundformen ethischer Argumentation oder was sind “gute Gründe”?

Moralische Begründungen: Bezugnahme auf ein Faktum, auf Gefühle, auf mögliche Folgen, auf einen Moralkodex, auf moralische Kompetenz, auf das Gewissen

Ethische Begründungen: logische Methode (deontische Logik), diskursive Methode (Konsensustheorie), dialektische Methode (Platon), Analogische Methode (Klugheit, Lebensformen: Aristoteles), transzendentale Methode (Maximen: Kant), analytische Methode (begrifliche Zerlegung), hermeneutische Methode (Auslegung)

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1.2 Systematische Aspekte

Grundtypen ethischer Theorie: Deskriptive Ethik: beschreibt menschliche

Praxis als ein empirisches, geschichtliches Geschehen.

Normative Ethik: systematische Begründung moralischer Geltungsansprüche und Normen in bezug auf ein höchstes Gebot (Moralprinzip) (Theologische E., utilitaristische E., teleologische E., deontologische E.).

Emanzipatorische Ethik (marxistische E., feministische Ethik, Philosophie der Befreiung...): gegen Bevormundung und Diskriminierung.

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1.2 Systematische Aspekte Metaethik: ob und wie sich moralische Urteile

(sprachanalytisch) rechtfertigen lassen: Non-Kognitivismus (Hume): der Bereich des Sittlichen

ist keiner wissenschaftlichen Erkenntnis fähig Kognitivismus: Prinzipielle Erkennbarkeit des

Sittlichen. Moral als empirische Wiss. Problem: naturalistischer Fehlschluß oder Sein-Sollen-Fehlschluß (Moore)

Logizismus (deontische Logik): Analyse der moralischen Argumentationsmethodik

Realismus/Antirealismus: Gibt es moralische Tatsachen unabhängig von unseren moralischen Urteilen?

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1.2 Systematische Aspekte

Drei Arten sozialkritischer Moralphilosophie nach Michael Walzer: “Pfad der Entdeckung”: Rückgriff auf

göttliche Offenbarung “Pfad der Erfindung”: Rückgriff auf die

menschliche Vernunft (Habermas, Rawls) “Pfad der Interpetation”: Rückgriff auf die

reale moralische Praxis (Walzer)Vgl. M. Walzer: Kritik und Gemeinsinn, Berlin 1990

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1.2 Systematische Aspekte

Ethische Theorien in der aktuellen Diskussion:Kommunitarismus: betont das Gewicht (kleinere)

Gemeinschaften (engl. communities) mit ihren kulturellen Besonderheiten (vs. anonyme und pluralistische Gesellschaften. Autoren: Kommunitarismus: Amitai Etzioni, Alasdair MacIntyre, Michael Walzer, Charles Taylor. Herkunft: Aristoteles, Locke, J.S. Mill, Rousseau, Hegel.

Liberale/libertäre Positionen: Vorrang der Freiheit und Autonomie der Person gegenüber dem Staat. Autoren: Friedrich A. von Hayek, John Rawls, Robert Nozick. Herkunft: Locke, Kant, J.S. Mill.

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1.2 Systematische Aspekte

Utilitarismus (lat. utilis=nützlich): Das Kriterium der Sittlichkeit ist die Optimierung des Glückes (oder...) aller Betroffenen aufgrund einzelner Handlungen (Handlungs-U.) , von Handlungsregeln (Regel-U.) oder von Präferenzen (Präferenz-U.) (-> Konsequentialismus) (vs. deontologische E.)

Autoren: J.J.C. Smart, J.O. Urmson. Herkunft: J. Bentham, Th. Hobbes, J.S.Mill

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1.2 Systematische Aspekte

Deontologische Ethik (gr. to deon=das Erforderliche): Eine Handlung gilt als sittlich richtig, wenn sie Maximen folgt, die an sich gut sind (vs. empirisch-pragmatische oder utilitaristische Überlegungen) (kategorischer Imperativ) (vs. utilitarische E.)

Autoren: O. Höffe, R. Wimmer, D. Mieth. Herkunft: christliche Ethik, Kant

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1.2 Systematische Aspekte

Diskursethik: strittige soziale und politische Fragen sollten nach dem Prinzip einer gewaltfreien, rationalen und allgemein zustimmungsfähigen Lösung aufgrund eines auf Konsens hin geführten Diskurses gelöst werden.

Autoren: Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas. Herkunft: Kant, Ch. S. Peirce

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1.2 Systematische Aspekte

Angewandte Ethik (Bereichsethiken): Politische Ethik Rechtsethik Wirtschaftsethik Bioethik (Ökologische Ethik, Genethik,

Medizinethik) Technikethik Wissen(schafts)ethik, Informationsethik (Medienethik, Netzethik)

Vgl.: J. Nida-Rümelin Hrsg.: Angewande Ethik, Stuttgart 1996

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2 Informationsethik: Einführung

Informationsethik im weiteren Sinne umfaßt ethische Fragen: in der Informatik (Computerethik) in den Massenmedien (Medienethik,

journalistische Ethik)

Informationsethik im engeren Sinne umfaßt ethische Fragen: im Internet (Netzethik, Cyberethik)

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2 Informationsethik: Einführung Informationsethik als deskriptive Theorie:

beschreibt die verschiedenen moralischen Strukturen und Machtverhältnisse, die das Informationsverhalten in verschiedenen Kulturen und Epochen bestimmen

Informationsethik als normative und emanzipatorische Theorie: befaßt sich mit der Kritik der Entwicklung moralischen Verhaltens im Informationsbereich. Sie umfaßt individuelle, kollektive und menschheitliche Aspekte.

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2 Informationsethik: Einführung

Informationsethik soll: Die Entwicklung moralischen Verhaltens

im Informationsbereich beobachten und bewerten.

Die Strukturen und Machtverhältnisse, die das Informationsverhalten bestimmen, analysieren und bewerten.

Die neuen Informationsmythen aufdecken und kritisieren.

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2 Informationsethik: Einführung Verdeckte Widesprüche der

herrschenden theoretischen und praktischen Sprachregulierung offenlegen.

Die Entwicklung informationsethischer Fragestellungen beobachten.

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2. Informationsethik: Einführung

Die Grundfrage der Informationsethik lautet: Wie gestalten wir individuell und als (Welt-)Gesellschaft unsere Freiheit im Kontext der digitalen Weltvernetzung?

Diese Frage betrifft einen formalen (den „code“) und einen inhaltlichen Aspekt („knowledge sharing“). Sie zielt auf eine Kultur des freien Einschlusses zur digitalen Kommunikation.

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2 Informationsethik: EinführungHauptthemen der Informationsethik:- Produktion von Information: Eigentumsrecht

(copyright) (vs. freies Gut)- Selektion von Information: Recht auf freie

Meinungsäußerung (vs. Zensur)- Verbreitung von Information: Recht auf

Privatheit und auf freie Meinungsäußerung (vs. Bevormundung)

Vgl. ICIE: http://icie.zkm.de/research

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2 Informationsethik: EinführungLeitende moralische und rechtliche

Grundsätze:-> Grundsatz der “informationellen

Selbstbestimmung” (Schutz personenbezogener Daten) -> Recht auf informationelles Eigentum

-> Grundsatz der “informationellen Grundversorgung” (Recht des freien Zugangs zum Netz, als “negatives” und/oder “positives” Recht, d.h. als gesell. Aufgabe zur Verhinderung des digital divide)

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2 Informationsethik: Einführung

Recht auf freie Meinungsäußerung: Art. 5 GG: “Jeder hat das Recht, seine

Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zenstur findet nicht statt.”

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2 Informationsethik: Einführung

Recht auf Privatheit: Art. 13 Abs. 1 GG: “(1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2)

Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährderter Jugendlicher vorgenommen werden.”

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2 Informationsethik: Einführung Allg. Erklärung der Menschenrechte, Art.

12: “No one shall be subjected to arbitrary interference with his privacy, family, home or correspondence, nor to attacks upon his honour and reputation. Everyone has the right to the protection of the law against such interference or attacks.”

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2 Informationsethik: Einführung Recht auf informationelle Privatheit

Freie Entscheidung, wer in den privaten informationellen Raum eintreten darf

Informierter Konsens (informed consent) Einschränkung der Verbreitung und/oder

des Zugangs zu bestimmten Inhalten im Netz?

Filterung oder Überwachung? Wer kontrolliert die Kontrolleure? ->

starke/schwache Rolle des Staates?

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2 Informationsethik: Einführung

Wie lassen sich das Wohl der Individuen und das der Gesellschaft im Medium der digitalen Weltvernetzung fördern? auf nationaler Ebene: durch Gesetze sowie durch

demokratisch legitimierte Institutionen zwischen den Nationen (und ihren Bürgern): durch

Deklarationen und Verträge, die sich aber nur schwach durchsetzen lassen.

-> Spannung zwischen Gemeinwohl- und

Individualwohl orientierten Ethiken

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2 Informationsethik: Einführung

Orientierungsrahmen: Herstellung informationeller

Gerechtigkeit Wahrung informationeller Autonomie Wahrung informationellen Eigentums Wahrung des freien Zugangs zum Netz Wahrung kultureller Vielfalt und

informationeller Selbstbestimmung Wahrung des Rechts auf Kommunikation

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2 Informationsethik: Einführung

“Informationsethik / InformationskulturDie Frage nach der Ethik im Zusammenhang mit Information und Informationsarbeit stellt sich nicht erst seit der Globalisierung der Computernetze durch das Internet. Informationsethik und Informationskultur sollen ein „Informationsklima“ schaffen, in dem ein freier Zugang zu und Austausch von Information jederzeit möglich ist.”

Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken

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2 Informationsethik: Einführung

“In der (Informations-)Wirtschaft treten ethische Fragen z.B. im Zusammenhang mit Informations- und Wissensmanagement auf ( z.B. Mobbing durch Informationsvorenthaltung). Ein Problem des Wissensmanagements könnte der gläserne Mensch sein: was ich weiß, gehört (auch) meiner Firma; meine Firma weiß, was ich (nicht) weiß. Ganz allgemein formuliert könnte der ethische Grundsatz für die Informationswirtschaft lauten: Das Interesse der Nutzer ist auch das Interesse der Informationswirtschaft.” Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken

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2 Informationsethik: Einführung“Informationswirtschaft und Informationskultur” von Heinz-

Dirk Luckhardt in Anschluß an Dieter Schumacher, ONLINE gmbh

- “Das Hauptziel der Informationswirtschaft ist die Verbreitung qualitativ hochstehender Informationsprodukte.

- Den Kern der Informationswirtschaft bilden die klassischen Informationsproduzenten, die Informationsanbieter und die Informationsvermittler.

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2 Informationsethik: Einführung

- Das Interesse der Nutzer ist auch das Interesse der Informationswirtschaft.

- Die Nutzer sollen informationell autonom sein: dazu gehört die bedarfsgerechte, ungehinderte Versorgung mit reichhaltigen, langlebigen, nicht manipulierbaren Informationsgütern.

- Einmal produziertes Wissen soll auch (im Idealfall immer) abrufbar bleiben.”

Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken

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2 Informationsethik: Einführung

Daraus ergeben sich für Luckhardt/Schumacher folgende Thesen:

1. Die Informationskultur wird unter der Überschrift “Globalisierung” zunehmend rein wirtschaftlichen und branchenfremden Interessen unterworfen.

2. Die Großkonzerne nutzen die Informationsbranche zur eigenen Machtvergrößerung, ohne ein wirkliches Interesse an Produkt “Information” zu haben.

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2 Informationsethik: Einführung

3. Branchenfremde instrumentalisieren die Informationsbranche: sie behaupten, dem Informationswesen dienen zu wollen, stimulieren aber nur ihr Wachstum, um IT-Tools, Netzwerkverbinbungen und PR-Gags zu verkaufen.

4. Einziges Ziel vieler Websites ist es, Traffic auf ihren Seiten zu erzeugen. In dem Sinne sind gute Informationsdienste kein Ziel an sich, sondern bestenfalls Mittel zum Zweck.

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2 Informationsethik: Einführung

5. Information Retrieval mit Suchmaschinen bedeutet einen Rückfall in die frühen 80er Jahre

6. Gravierende Nachteile von Webinformationen sind: Manipulierbarkeit und ungewisse Lebensdauer von Webseiten.

7. Zu jeglicher Informationskultur gehört, dass einmal produzierte Informationen auch abrufbar bleiben.

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2 Informationsethik: Einführung

8. Die Regierungsprogramme zur Förderung der Informationskultur (Fachinformationsprogramme, seit 1974) sind oft den aktuellen Entwicklungen hinterhergehinkt.”

Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken

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2.1 Historische Aspekte Freiheit der Rede (‘parrhesia’) als

Grundlage der griechischen Demokratie (Sokrates, Sophisten, Kyniker): Orale Kulturen (freedom of speech)

Freiheit des gedruckten Wortes: Buchkultur, Reformation, Aufklärung, Zensurfreiheit, Pressefreiheit (freedom of the press)

Freiheit des Zugangs zum Internet (freedom of access)

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2.2 Systematische Aspekte: Lawrence Lessig „Code“

Regulierungsformen des Verhaltens im Cyberspace: Moralische Normen: Stigmatisierung Markt: Preise Architekturen (Code): Beschränkungen Recht: Androhung von Strafen

L. Lessig: Code. Berlin 2001

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“

„Die Regulierung des offenen Codes. (…) Regulierbarer Code ist geschlossener Code. (…) Ein offener Code schränkt die Macht des Staates ein. (…) Bücher sind offene Software: Sie verbergen nichts; sie zeigen ihren Quellcode, ja sind ihr eigener Quellcode.“ (S. 191-192

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2.2 Lawrence Lessig: Code

Anwendungen: Übersetzung: ‚alte‘ Werte im neuen

Kontext Geistiges Eigentum Privatsphäre Freie Rede Souveränität

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“ „Unser Problem ist allerdings nicht

staatliche Macht im Cyberspace, sondern staatliche Macht schlechthin. Es gibt keine speziellen Schwierigkeiten, vor die uns der Cyberspace hier stellte – es gibt lediglich die vertrauten Schwierigkeiten des modernen Staates, nur an einem anderen Ort.“ (S. 379)

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“ „Man sollte meinen, kollektive

Entscheidungen seien etwas für den Staat. Doch nur wenige von uns möchten, dass der Staat diese Entscheidungen trifft. Der Staat scheint für keines unserer Probleme die Lösung zu sein, und wir müssen verstehen lernen, warum das so ist. Wir müssen den Iren in uns verstehen lernen.“ (S. 379)

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“ „Unsere Skepsis ist nicht grundsätzlicher

Art. Die meisten von uns sind keine radikalen Freigeister. Wir mögen gegen den Staat sein, doch in der Mehrzahl glauben wir, dass es kollektive Werte gibt, die privates Handeln leiten sollten. Wir sind außerdem der Überzeugung, dass die technische Welt, die da gerade entsteht, einer Regulierung durch kollektive Werte bedarf. Unser Problem ist nur, dass wir nicht wissen, wie und durch wen diese Regulierung erfolgen soll. Wie der Ire, sind wir des Staates überdrüssig.“ (S. 379-380)

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“

„Die Ziele des Staates werden durch den offenen Code also nicht einfach vereitelt, sondern vielmehr besteht ein Konflikt zwischen Öffentlichkeit und Macht, zwischen dem Gebot der Transparenz und dem der Gesetzestreue.“ (S. 389)

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“

„Der offene Code würde solche Transparenz gewährleisten – nicht für jedermann (nicht jeder kann Codes lesen) und nicht vollkommen (schlecht geschriebene Codes verbergen ihre Funktionen sehr gut), aber immerhin vollständiger als ein geschlossener Code.“ (S. 390)

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“

„Der aus Sicht der in der Verfassung niedergelegten Werte beste Code ist sowohl modular als auch offen. Modularität stellt sicher, dass Komponenten durch bessere Module ersetzt werden können.“

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2.2 Lawrence Lessig: „Code“ „Es ist gleichwohl einsichtig, dass sich

bestimmte Teile eines Codes nicht als offener Code entwickeln ließen und das geschlossene Codes unter gewissen Umständen für ein Überleben im Konkurrenzkampf unerlässlich sind. Wenn das zutrifft, könnte der Kompromiß eines modularen Systems die Vorzüge beider Welten miteinander vereinigen – Wettbewerbsvorteile und Transparenz der Funktion.“ (S. 390)

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2.2 Hackerethik

Hackerethik: 00. 1998 (webmaster)“Was sind die ethischen Grundsätze des

Hackens - Motivation und Grenzen- Der Zugang zu Computern und allem,

was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.

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2.2 Hackerethik

- Alle Informationen müssen frei sein- Mißtraue Autoritäten - fördere

Dezentralisierung- Beurteile einen Hacker nach dem, was

er tut und nicht nach üblichen Kriterien wie Aussehen, Alter, Rasse, Geschlecht oder gesellschaftlicher Stellung

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2.2 Hackerethik

- Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen.

- Computer können dein Leben zum Besseren verändern.

- Mülle nicht in den Daten anderer Leute- Öffentliche Daten nützen, private

Daten schützen.”

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2.2 Gifpelthemengipfelthemen.de

Digitale Spaltung: nur eine Frage der Technik? Medien & Kompetenz: was heißt Medienkompetenz? Inhalte & Vorbilder: Was ist ein guter Inhalt? Wissen & Besitz: Wem gehört das Wissen? Multi & Kulti: Vielfalt der Kulturen im Netz? Beteiligung & Spielregeln: Was ist eGovernment? Piraten & Terroristen: Wie gefährlich ist

Cyberkriminalität? Daten & Schutz: Wie lassen sich individuelle Rechte

ohne digitale Überwachung schützen?

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2.2 Charta der Bürgerrechte

“Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft” (Heinrich Böll Stiftung): www.worldsummit2003.de

“Die Ausgangsthese ist, dass die Digitalisierung einen erheblichen Neuordnungsbedarf im Hinblick auf den Umgang mit Wissen hervorruft” (Olga Drossou, Heinrich Böll Stiftung)

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2.2 Charta der Bürgerrechte

Die ethischen Werte der “Charta”:1. Wissen ist Erbe und Besitz der Menschheit

und damit frei.2. Der Zugriff auf Wissen muss frei sein.3. Die Verringerung der digitalen Spaltung

muss als Politikziel hoher Priorität anerkannt werden.

4. Alle Menschen haben das Recht auf Zugang zu den Dokumenten öffenlticher und öffentlich kontrollierter Stellen.

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2.2 Charta der Bürgerrechte

5. Die ArbeitnehmerInnenrechte müssen auch in der elektronisch vernetzten Arbeitswelt gewährleistet und weiterentwickelt werden.

6. Kulturelle Vielfalt ist Bedingung für individuelle und nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung.

7. Mediale Vielfalt und das Angebot von Information aus unabhängigen Quellen sind unerlässlich für den Erhalt einer aufgeklärten Öffentlichkeit.

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2.2 Charta der Bürgerrechte

8. Offene technische Standards und offene Formen der technischen Produktion garantieren die freie Entwicklung der Infrastrukturen und somit eine selbstbestimmte und freie Kommunikation

9. Das Recht auf Achtung der Privatheit ist ein Menschenrecht und ist unabdingbar für die freie und selbstbestimmte Entfaltung von Menschen in der Wissensgesellschaft.

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3. Globalisierung: WSIS

www.itu.int/wsis/

Declaration of Principles Action Plan

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4. Fallbeispiele aus Telepolis

Telepolis

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