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Die Obere Wörthstraße mit ihren kleinen, individuellen Geschäften und urigen Wirtschaften gehört zu den Schätzen der Nürn-berger Architektur. Foto: Geschichte Für Alle

Die heutige Entdeckertour mit HartmutHeisig von Geschichte für Alle erfordertnur ein paar Hundert Meter Laufleistung– trotzdem sind alle paar SchritteZeugnisse der Vergangenheit zu finden.

Touristen aus aller Welt schlen-dern heutzutage über den Hen-kersteg 1. Einst erhob sich

hier ein trutziges Bauwerk, das eherauf Abschreckung ausgerichtet war:die vorletzte Stadtmauer. Mit Errich-tung der heutigen letzten Mauer wur-de diese militärisch überflüssig, undnach einem Umbau zogen städtischeBedienstete ein. Im nördlichen Teil,dem Henkerhaus, fand der Nürnber-ger Scharfrichter sein Domizil. Im süd-lichen logierte sein Gehilfe, der soge-nannte Löwe. Dieser Gebäudeteil, andem der ursprüngliche Henkerstegangehängt war, stürzte beim Pegnitz-hochwasser im Jahr 1595 in die Flutenund wurde nicht wieder errichtet. Beidem „erschröcklichen“ Geschehenkamen drei Schaulustige ums Leben.

Am Südufer der Pegnitz erhebt sichder mächtige Bau des Unschlitthauses2 das 1490/91 als 55 Meter langerKornspeicher über dem alten Stadt-graben errichtet wurde – monumenta-le Architektur der Zeit um 1500, diean Nürnbergs Bedeutung als spätmit-telalterliche Metropole erinnert. Hierließ der Rat der Stadt für KrisenzeitenGetreidevorräte einlagern. Der Name„Unschlitt“ leitet sich von unverzehr-baren Eingeweidefetten ab, die ausSchlachtabfällen ausgekocht wurden.Sie dienten als wichtiger Rohstoff fürdie Herstellung von Seife, Wagen-schmiere und Kerzen.

Rohes Gedärmefettsorgt für markanten Geruch

Ab 1650 wurde vor dem Haus ingroßen Kesseln das rohe Gedärmefettausgeschmolzen. Ein Vorgang, der dienähere Umgebung zweifellos mit ei-ner markanten Geruchsmarke prägte.Heute ist im Gebäude u.a. das traditi-onsreiche Nürnberger Leihhaus ansäs-sig, das mittlerweile auf eine über400-jährige Geschichte zurückblickt.1899 zog es an den Unschlittplatz undbietet immer noch günstigen Pfand-kredit und darüber hinaus den Freun-den edler Geschmeide und hochwerti-ger Uhren verlockende Objekte.

Ebenfalls an der Westfassade desUnschlitthauses befindet sich der Hie-serleinbrunnen, der sich bis 1377 zu-

rückverfolgen lässt. DasOriginal der geheimnis-vollen Brunnenmaske be-findet sich heute im Ger-manischen Nationalmuse-um.

Wenige Meter weitererinnert eine Hochwasser-marke an den 5. Februardes Jahres 1909, als dieletzte große Überschwem-mungskatastrophe eineverheerende Sintflut indie Straßen Nürnbergsspülte. In kurzer Zeit wardie Verbindung zwischenden Stadthälften St.Se-bald und St.Lorenz un-terbrochen, und die Ufer-zone der Pegnitz verwan-delte sich in eine Art frän-kisches Venedig, freilichohne Idyll. Aus dem städ-tischen Eichamt wurdenFässer und Gefäße he-rausgespült, die auf demFluss davontrieben. DieWucht des Wassers warso groß, dass die Uferbö-schung am Unschlitt-platz unterspült wurde.In der Folge stürzte dasdortige Klohäuschen indie Fluten.

Fast möchte man glau-ben, dass der Dudelsack-pfeiferbrunnen 3 seitJahrhunderten in der Mit-te des Unschlittplatzessteht, doch tatsächlich istdies erst seit 1946 der Fall. Die Origi-nalplastik des Bildhauers FriedrichWanderer stammt aus dem Jahr 1888;er orientierte sich dabei an Nürnber-ger Renaissancebrunnen. Auch einStich von Albrecht Dürer aus demJahr 1514 mag Pate gestanden haben.In der Dürerzeit war der Dudelsackin Deutschland bei Bauernhochzeitenund dörflichen Kirchweihfesten sehrpopulär.

Die Legende will wissen, dass derPfeifer zu Zeiten des Schwarzen To-des in der Stadt lebte. In schwer be-trunkenem Zustand sollen ihn verse-hentlich die Knechte eines Pestkar-rens mit auf ihren Leichenberg gela-den haben. Durchtränkt mit desinfi-zierendem Alkohol scheint er jedochdas Missgeschick unbeschadet über-standenen zu haben. . .

An der Westseite des Unschlittplat-zes hängt am Haus Nr. 8 4 eine Erin-

nerungstafel. Hier trat Kaspar Hauserans Licht der Öffentlichkeit – eine bisheute nicht endende Serie von Ver-schwörungstheorien nahm ihren An-fang. Ob der verwirrte junge Mann,der eines schönen Maitages 1828 hierdesorientiert entlangtaumelte und dasInteresse der Bürger erregte, tatsäch-lich ein Spross der badensischen Fürs-tenfamilie war, konnte jedoch niezweifelsfrei nachgewiesen werden.

Über der Tafel findet sich ein mys-teriöser Eisenring, ebenso am Hausgegenüber. Was hat es damit auf sich?Zum Hunde-Anleinen sind sie zu hochangebracht . . . Auch hier führt dieSpur ins Hochwasserjahr 1909: Da-mals spannte man mit Hilfe solcherRinge Seile, an denen Kähne durchdie überfluteten Gassen bewegt wer-den konnten. So bestand keine Ge-fahr, dass sie durch die heftige Strö-mung abgetrieben wurden. Noch heu-te findet man zahlreiche derartige Rin-ge an den Nürnberger Fassaden, im-mer nur im näheren Umfeld der Peg-nitz.

Ins südliche Ende des Unschlittplat-zes 5 mündet die Hutergasse. Diesehat ihren Namen nach der 1580 erst-mals erwähnten Gastwirtschaft „Bär-leinhuter“. Das Wirtshausschild prä-sentierte den Gästen einen Bären mitHut auf dem Kopf. Durch diese Gassefloss einst der offen durch die Stadtgeleitete Fischbach, der Gerbern, Fär-bern und anderen Gewerben das nöti-ge Wasser lieferte. Wir folgen seinemheute nur noch imaginären Verlauf indie Obere Wörthstraße 6.

Hier hat sich direkt neben der urba-nen Kaufhausmeile eine alte Gassemit kleinen individuellen Geschäftenund urigen Wirtschaften erhalten. DieHäuser mit den schmucken Fach-

werk- und Sandsteinfassaden wurdenzum Teil schon im 16. Jahrhundert er-richtet. Sie könnten so manche Ge-schichte erzählen: Etwa das HausObere Wörthstraße 10, in das 1624eine Person mit einem ganz besonde-ren Schicksal einzog: der vormaligeHenker Franz Schmidt. Mit über60 Jahren war ihm das Hinrichten zubeschwerlich. Zur Belohnung für vierJahrzehnte treuer Dienste gewährteman ihm das Recht, sein Leben als ehr-barer Bürger zu beschließen.

Schmidt eröffnete in der Wörthstra-ße eine Wundarztpraxis und kümmer-te sich um die Leiden der Nürnberger.Das klingt kurios, aber als Scharfrich-ter wusste Schmidt wohl mehr überden menschlichen Körper als somanch’ studierter Arzt der Zeit, dersein Wissen nur aus der Theoriebezog. In seiner vorherigen Berufspra-xis musste Schmidt etwa wissen, wie

weit er beim Foltern gehen durfteoder wie man die Opfer so zusammen-flickte, dass sie in der Öffentlichkeitwieder präsentabel waren.

In unmittelbarer Nachbarschaft lagauch die 1480 urkundlich erstmals er-wähnte Krötenmühle. Sie wurde vomWasser des Fischbachs angetrieben,der danach in die Pegnitz floss. DasKlappern der Mühlen gehörte zum Le-bensrhythmus der Anwohner: Gleichhinter der Krötenmühle lag auf einerkleinen Insel zwischen Karls- undFleischbrücke die Schwabenmühle.Hier gründete der ElektropionierSigmund Schuckert im Jahr 1873 eineWerkstatt, die sich schließlich zumGroßunternehmen mauserte.

m Wer mehr über Scharfrichter FranzSchmidt erfahren möchte, sollte dasHenkerhaus besuchen. Infos dazuunter www.geschichte-fuer-alle.de

Entdeckertour

6

12

34

5

Obere Wörthstraße

Südseite Unschlittplatz

Südende desHenkersteges

Dudelsack-pfeiferbrunnen

Kaspar HauserErinnerungstafel

Haus Nr. 8

WestfassadeUnschlitthaus

ZIEL

START

In der Schwabenmühle hatte der Elektropionier Sigmund Schuckert von 1873 bis1879 seine erste Werkstatt. Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Das Bild zeigt die vorletzte Stadtmauer, den Henkersteg und das Unschlitthaus vordem Jahr 1595. Bild: Museen der Stadt Nürnberg, Grafische Sammlung.

Nicht nur das Klohäuschen an der Pegnitz wurde vom verheerenden Hochwasser am 5. Februar 1909 in Mitleidenschaft gezogen – es stürz-te in die Fluten. Foto: Stadtarchiv Nürnberg

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Ein Spaziergang rund um den Unschlittplatz

Henker, Dudelsackpfeifer und pfiffige Pfandleiher

8 - Samstag, 16. Februar 2019

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