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22 10.03.19 10. MÄRZ 2019 WSBE-HPBELICHTERFREIGABE: --ZEIT:::BELICHTER: FARBE:

WELT AM SONNTAG NR. 10 10. MÄRZ 201922 WISSEN

Von Heilung mag niemand spre-chen, doch natürlich schwingt dieHoffnung mit: Britische Forschergaben diese Woche im Fachblatt„Nature“ bekannt, dass ein von ih-nen behandelter HIV-Infizierter seiteineinhalb Jahren frei von HI-Virenist. Der „Londoner Patient“ ist nachdem „Berliner Patienten“ erst derzweite Fall dieser Art. Einen mögli-chen dritten Fall meldete daraufhindie Universität Düsseldorf, hierwurden die HIV-Medikamente aller-dings erst vor dreieinhalb Monatenabgesetzt.

Einen endgültigen Sieg über Aidsbedeuten die Erfolge keineswegs.Denn möglich wurden sie nur durchaußerordentliche und eigentlich un-glückliche Umstände: Weil die Pa-tienten zusätzlich zur HIV-Infektionauch an Krebs erkrankt waren, hatteman ihr Immunsystem durch eineriskante Knochenmarkstransplanta-tion ausgetauscht. Im Gedächtnisaber bleibt ein Kürzel: CRR5. Soheißt der Rezeptor auf den Oberflä-chen menschlicher Immunzellen,der den HI-Viren Zugang gewährt.Ist dieses Molekül defekt, wird derMensch resistent gegen das Virus.Es ist das gleiche Molekül, das auchder chinesische Forscher He Jiankuimittels Crispr-Genschere im Erbgutvon Embryonen zerstörte. Inzwi-schen besteht der Verdacht, dass derchinesische Forscher bei seinenMenschenversuchen nicht nur eineHIV-Resistenz im Sinn hatte: AusVersuchen mit Mäusen weiß man,dass ein Verlust des Rezeptors auchdie Gedächtnisleistung und Lernfä-higkeit verbessert. Gut möglich,dass wir von CRR5 noch öfter hörenwerden. BIRGIT HERDEN

Ein Molekülmacht Karriere

QUANTENSPRUNG

QUÄNTCHEN

So wenige lebten zum Ende der Alt-steinzeit im Schnitt in Europa. Undzwar in Gebieten mit einer Bevölke-rung von je etwa 150 Menschen inNordspanien, Belgien, Tschechien,Südwestfrankreich und im oberenDonauraum, fanden Forscher derUnis Köln, Bonn und Aachen heraus.

1500MENSCHEN

Auf der Insel Sulawesi, die zu Indo-nesien gehört, gab es eine Rüsselkä-ferart. Eine einzige Art, so beschrie-ben es Forscher im Jahr 1885. Die Kä-fer waren sehr klein, zwei bis dreiMillimeter maß jedes Tierchen. Viel-leicht fielen deshalb die Unterschie-de damals nicht auf? Ein deutscherForscher hat mit indonesischen Kol-legen seit 1990 den Regenwald derInsel durchforstet und nun einenneuen Bericht über die Rüsselkäfervon Sulawesi vorgelegt – und 103 Ar-ten statt einer beschrieben. Jede Artbekam einen neuen Namen von denForschern, die versuchten, sich dabeian den kleinen, großen Differenzenzu orientieren: Auf dem Bild liegt einExemplar von Trigonopterus Asterix(links) neben Trigonopterus Obelix. DP

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BEFUNDDa waren esplötzlich 103

M it dem Klimaschutz ist esein bisschen so wie mit Si-syphos. Der mythische ko-rinthische König wurde vonden Göttern dazu verur-teilt, auf ewig einen großenStein einen Berg heraufzu-

rollen, der dann, fast am Gipfel angekommen, je-des Mal wieder herabrollt. Ähnlich fühlt sich somancher, der sein Leben klimafreundlicher gestal-ten will. Denn das ist gar nicht so einfach. Im Prin-zip gibt es drei Stellschrauben: Verkehr, Wohnungund Konsum. Doch selbst wer an allen dreiendreht, wer sich bemüht, umsteigt und verzichtet –sobald er seine Daten in einen CO2-Rechner ein-gibt, macht er eine frustrierende Erfahrung: Derökologische Fußabdruck ist noch immer viel zugroß.

VON SARAH MARIA BRECH

Statistisch stößt jeder Deutsche etwa elf TonnenKohlendioxid-Emissionen im Jahr aus. Um die Kli-maziele zu erreichen, dürfte es ab Mitte des Jahr-hunderts nur noch etwa eine Tonne sein. Wissen-schaftler, die zum Thema forschen, kommen zu-nehmend zu dem Schluss, dass es nichts nützt, nurdem Einzelnen ein schlechtes Gewissen zu ma-chen. Um eine Klimakatastrophe zu verhindern,müssen wir grundsätzlicher werden – und die Um-stände ändern, unter denen wir leben.

„Vieles kann der Einzelne gar nicht ändern“,sagt Michael Kopatz, der am Wuppertal Institutfür Klima, Umwelt, Energie forscht, sich in derKommunalpolitik für die Grünen engagiert unddas Buch „Ökoroutine“ zum Thema geschriebenhat. „Natürlich hat unser Verhalten Auswirkungenauf die Umwelt. Aber die sind eben gering. Manverzichtet auf etwas – und sieht keinen direktenEffekt.“ Ähnliches diagnostiziert Grischa Perino,der an der Universität Hamburg die Professur fürVWL mit dem Schwerpunkt Ökologische Ökono-mie innehat. Die klassisch ökonomische Perspekti-ve erklärt er so: Was ein Einzelner in einem Lebenausmachen könne, habe keinen messbaren Effektauf den zukünftigen Anstieg der Temperatur.

Wenn viele Menschen ihr Leben ändern, hat dasnatürlich durchaus einen großen Effekt. Aber derist für den Einzelnen, der sich mit der Frage he-rumschlägt, ob er sich noch schnell einen Kaffee togo aus dem Pappbecher holen darf, kaum zu über-blicken. Das Erstaunliche, sagt Perino, „ist eigent-lich, dass trotzdem viele etwas tun. Dass sich Men-schen also immerhin bemühen, ihr Leben nachhal-tiger zu gestalten.“ Eines ist den meisten klar:Wenn die Menschheit sich nicht ändert, heizt sichdie Erde ungebremst weiter auf – mit potenziell ka-tastrophalen Folgen. 71 Prozent der Deutschen, dasergab eine Umfrage des Pew Research Centers, ma-chen sich deswegen Sorgen. Perino sagt: „Wenn alleetwas täten, würde sich etwas bewegen.“

Viele potenzielle Klimaschützer geben auf, weilihnen das Ziel unerreichbar erscheint. Andere be-mühen sich, tun aber das Falsche. Den größten öko-logischen Fußabdruck haben oft ausgerechnet jeneDeutschen, die besonders umweltbewusst leben

wollen. Das zeigen Zahlen des Umweltbundesamtesvon 2016. Diese Menschen sind nämlich meist imSchnitt gut gebildet und verdienen eher viel Geld.Was bedeutet, dass sie auch eher in großen Woh-nungen leben (und diese beheizen) sowie Fernrei-sen unternehmen – Faktoren, die den CO2-Schnittschneller und zuverlässiger ruinieren als etwa man-gelhafte Mülltrennung. Doch das unterschätzenoder ignorieren viele. In einer neuen Umfrage vonEuropäischer Investitionsbank und YouGov gabmehr als die Hälfte der Deutschen an, mehr einhei-mische und saisonale Produkte kaufen, ihren Abfallwiederverwerten und insgesamt weniger Müll pro-duzieren zu wollen. Weniger als ein Drittel plante,das Auto häufiger stehen zu lassen. Auf den Flug inden Urlaub verzichten wollte kaum jemand. Von ei-nem Mind-Behavior-Gap, einer Kluft zwischen Wis-sen und Verhalten, sprechen Soziologen.

Statt lange über den Kaffeebecher nachzugrü-beln, sollte man seine Zeit besser dafür nutzen,sich beispielsweise politisch zu engagieren, zu de-monstrieren, öffentlich nachzudenken – sich alsodafür einzusetzen, das Leben für alle nachhaltigerzu gestalten. Kopatz und Perino sind sich einig:Dass sich die Bedingungen ändern, daran könnenalle mitarbeiten.

Ein Beispiel ist der Verkehr. Mobilität ist lautUmweltbundesamt für etwa viereinhalb der elfTonnen Treibhausgase pro Kopf verantwortlichund damit der größte Posten. Hier ließe sich alsoviel einsparen, indem man weniger fliegt, Kreuz-fahrten vermeidet und weniger Auto fährt. Wer dasAuto stehen lassen will, stößt aber vielerorts aufdas Problem, dass die Infrastruktur vor allem aufAutofahrer ausgelegt ist. Der öffentliche Nahver-kehr ist schlecht ausgebaut, Radwege fehlen odersind gefährlich. Hinzu kommt die Macht der Ge-wohnheit – und der Bequemlichkeit. „Eigentlichwill niemand mehr Autos in seiner Stadt“, sagt Ko-patz. „Berlin bräuchte nur halb so viele Pkw. UndOsnabrück, meine Heimatstadt, auch. Aber wenndas Fahrzeug schon mal vor der Tür steht, nutztman es eben auch.“ Er schlägt darum eine Kombi-nation aus Anreizen und Geboten vor, die eines ge-mein haben sollten: Gerechtigkeit.

Benzin deutlich stärker zu besteuern etwa wür-de vor allem Ärmere treffen. Für sinnvoller hält erMaßnahmen, die alle gleichermaßen betreffen, eingenerelles Tempolimit etwa. „Da sich jeder daranhalten müsste, empfände man es als fair.“ Ausrei-chen würde das allerdings nicht – ein Tempolimitvon 120 Stundenkilometern auf Autobahnen würdedie CO2-Emissionen des Verkehrsbereichs nur umzwei Prozent senken. Darum, so glaubt er, müsstenweitere gesetzliche Regelungen hinzukommen. Sokönnte man beispielsweise festlegen, dass Emis-sionen von Neuwagen Jahr für Jahr zurückgehen

müssen. Einen solchen Standard hat die EU bereitsbeschlossen. Ab einem bestimmten Jahr wären alleAutos emissionsfrei. Wie die Hersteller dies entwi-ckeln, bliebe ihnen überlassen. „Das muss mannicht politisch festlegen. Das ist Ingenieurskunst.“Klimaschutz, glaubt der Umweltwissenschaftler,müsse sich gut anfühlen. Mit schönen Autos, dieanderen Verkehrsteilnehmern mehr Platz ließen.So sei es unabdingbar, die Radwege sicherer zu ma-chen und Bussen Vorrang zu gewähren. „Das sindStrukturen der Wertschätzung.“ Diese würden aufDauer zum gewünschten Ergebnis führen: wenigerEmissionen, aber auch weniger Stau und wenigerParkplatzsuchen – ein entspannterer Verkehr.

Für mehr Entspannung plädiert auch Perino.Zum Beispiel beim Fliegen. Zwar sei Fliegen klima-schädlich, sagt er – aber wenn man nun einmal flie-gen müsse, nütze es auch nichts, sich mit einemschlechten Gewissen herumzuquälen. „Innereuro-päische Flüge sind durch den europaweiten CO2-Emissionshandel abgedeckt.“ Dieser sieht vor, dassin Europa nur eine bestimmte, vorher festgelegteMenge an Treibhausgasen ausgestoßen werdendarf. Unternehmen, die große Mengen solcherEmissionen verursachen, müssen für jede ausge-stoßene Tonne CO2 ein Zertifikat haben, könnenaber auch damit handeln. „Die Zertifikate gibt esalso schon“, erklärt Perino. „Wie sie verbrauchtwerden, ist erst einmal zweitrangig. Das kann auchdurch innereuropäische Flüge geschehen.“

Die Sache hat zwei Haken. Erstens wird beimFliegen nicht nur CO2 ausgestoßen, sondern auchWasserdampf, der auch eine Wirkung auf das Klimahat. „Insgesamt werden also Emissionen ausgesto-ßen, die eine etwa 1,5- bis zweimal so starke Wir-kung haben wie das reine CO2, das beim Fliegenentsteht“, erklärt Perino. Diese sollte man ausglei-chen. Einige Reiseportale bieten bei der Buchung ei-ne CO2-Kompensation an. Das Geld geht an Organi-sationen, die es etwa in Anlagen für erneuerbareEnergien stecken oder CO2-Zertifikate kaufen, abernicht nutzen, und sie so vom Markt holen. Kompen-sation funktioniere aber nur, wenn die Maßnahmentatsächlich zu einer zusätzlichen und dauerhaftenReduktion von Treibhausgasen führten, sagt Perino.„Hier ist es wichtig, auf die Vertrauenswürdigkeitdes Anbieters zu achten.“ Es gibt Listen mit Emp-fehlungen, etwa vom Umweltbundesamt.

Der zweite Haken ist der EU-Emissionshandelselbst. Mit der Reform von 2018 hat sich das Prinzipnämlich geändert. Weg von einer festen Obergren-ze, hin zu flexibleren Grenzwerten – die davon ab-hängen, wie viel CO2 in den Jahren davor ausgesto-ßen wurde. „Für jedes Zertifikat, das zuvor nichtverbraucht wurde, wird ab 2023 ein Bruchteil einesZertifikats gelöscht. Die Treibhausgase, die wir jetztausstoßen, beeinflussen also die Politik der Zu-

kunft“, erklärt Ökonom Perino. Ähnlich verhält essich beim Wohnen, dem zweiten großen Klimapro-blem. Heizung und Strom verursachen etwa 2,4Tonnen CO2-Emissionen pro Person und Jahr. Jegrößer eine Wohnung ist und je schlechter isoliert,desto mehr muss sie beheizt werden, desto mehrEmissionen fallen also an. Doch wer sich verklei-nern will, findet meist keine kleinere Wohnungoder nur zu einem höheren Preis. Da das kaum je-mand freiwillig akzeptiert, sieht Kopatz die Politikin der Pflicht. So könne man Älteren, die in einekleinere Wohnung ziehen wollten, eine Prämie be-zahlen und den Umzug für sie organisieren. Zudemmüssten Gemeinden weniger neue Baugrundstückefür Einfamilienhäuser ausweisen und mehr Mehrfa-milienhäuser errichten.

Bleibt das Thema Konsum, der zusammenge-rechnet für fast vier Tonnen CO2-Emissionen proKopf verantwortlich ist. Es ist das bei Weitemkomplizierteste Thema. Denn oft es ist fast un-möglich, zu wissen, was man kaufen sollte. Einigesist zwar klar: Abfall sollte man im Zweifelsfall ver-meiden. Schon nach wenigen Wochen täglichenKaffeetrinkens unterwegs etwa lohnt es sich, einenaufwendiger produzierten Mehrwegbecher statteines Einwegbechers zu benutzen. Fleisch, vor al-lem Rindfleisch, hat eine sehr schlechte CO2-Bi-lanz. Weniger davon zu essen hilft dem Klima alsotatsächlich. Aber was ist mit dem Apfel aus Neu-seeland? Ist er wirklich besser als der Apfel ausDeutschland, der monatelang gekühlt gelagertwurde? „Die Frage, ob regional einkaufen etwasbringt, lässt sich einfach nicht beantworten“, sagtPerino. „Zu viele Faktoren spielen herein.“ Somüsse man nicht nur Transport und Kühlung ein-rechnen, sondern zum Beispiel auch den Dünger –das sei für den Endverbraucher unmöglich.

Die Politik könnte es dem Verbraucher aber leich-ter machen, sagt Kopatz: indem sie lange Transport-wege verteuert, zum Beispiel über eine Lkw-Maut.Dann fiele der Weg beim Preis stärker ins Gewicht –und Kartoffeln aus Ägypten wären eben nicht mehrdie billigsten. Auch ein Straßenbaustopp sei notwen-dig, sonst würden noch mehr Lebensmittel kreuzund quer durch Europa gekarrt. Ähnliches gelte fürFleisch. Artgerechte Tierhaltung führt nicht not-wendigerweise zu einer besseren Klimabilanz. Weni-ger Fleisch zu essen schon. Kopatz’ Idee: Die gesetz-lichen Standards für Tierhaltung könne man schritt-weise anheben. Fleisch würde etwas teurer und inder Folge womöglich weniger gegessen. Verbraucherwürden das aber akzeptieren, glaubt Kopatz. „Diemeisten wollen ja artgerechte Tierhaltung.“ Es seiviel leichter und wirksamer, die Produktion zu än-dern als die Konsumenten. Für diese Einschätzungspricht auch eine Studie, die Perino mit Kollegen ander Universität Hamburg gerade durchgeführt hat.Die Forscher ließen Probanden in vier Gruppen Er-nährungstagebücher führen. Zwischendurch wurdejede Gruppe mit einem anderen Argument für denFleischverzicht konfrontiert: Weniger Fleisch zu es-sen sei gesünder, schütze das Klima – und diene demTierwohl. Nur das letzte Argument zog. Der Gedan-ke an die Tiere brachte die Menschen dazu, wenigerFleisch zu essen. Einfach nur an Klimaschutz zudenken reichte nicht aus.

Klimaschutz und KopfzerbrechenSchon wieder mit dem Auto zur Arbeit gefahren! In denUrlaub geflogen! Rindfleisch gegessen! Wer nachhaltig

leben will, stößt täglich an seine Grenzen. Experten sagenjetzt: Ein schlechtes Gewissen bringt uns nicht weiter

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