Als Rebell geboren

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Nr. 1752

Als Rebell geboren

Er fliegt ein Regenbogenschiff - undkämpft für die Freiheit seines Volkes

von Hubert Haensel

Der Plan der lischähnlichen Hamamesch wirkte so einfach wie teuflisch zugleich:Zuerst landeten die Händler aus der weit entfernten Galaxis Hirdobaan In der GroßenMagellanschen Wolke und in der Milchstraße, erbauten dort jeweils ihre Basare undsorgten durch ihre mysteriösen, jedes Wesen in ihren Bann ziehenden Waren fürgroßes Aufsehen.

Als bereits Milliarden von Waren verkauft und Milliarden von Intelligenzwesen ge-radezu süchtig nach dem "Zauber der Hamamesch" geworden waren, bauten sie ihreBasare ab und verschwanden. Zurück ließen sie eine Botschaft: "Wenn ihr weitereWaren wollt, dann kommt nach Hirdobaan – dort gibt es genug für euch alle." Millio-nen von Galaktikern verlassen in der Folge die Menschheitsgalaxis und brechen ingroßen Raumschiffspulks auf nach Hirdobaan – über 118 Millionen Lichtjahre hin-weg. Sie wollen die sogenannten Imprint-Waren, wollen den längst vergangenen"Zauber der Hamamesch" erneut spüren – koste es, was es wolle. Das ist die Situati-on im Sommer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was dem Jahr 1251 Pen Inder Zeitrechnung der Hirdobaan-Völker entspricht, als die BASIS unter dem Kom-mando von Perry Rhodan vor der kleinen Galaxis eintrifft. Die Galaktiker erhalten er-ste Kontakte zu den Hamamesch und zu ihren Gegnern, den Crypers. Und sie treffenauf Coram-TiII – der Pirat wurde ALS REBELL GEBOREN …

Die Hautpersonen des Romans:Coram-Till - Der Anführer der Ambraux-Crypers wagt einen Großangriff.»Bremse« - Ein Prospektor vom Volk der Stuuhr ärgert sich mit Galaktikern herum.Gunion - Ein Hamamesch bekommt unerwarteten Besuch.Atlan und Ronald Tekener - Zwei Unsterbliche geraten zwischen die Fronten einer planetarenSchlacht.

Prolog

Drei Lichtsekunden vor Halbar fielen dieRaumschiffe aus dem Hyperraum, und bis zuihrem Eintritt in die planetare Atmosphärevergingen nur wenige Inx.

Sie brachten Tod und Zerstörung. EinFeuersturm tobte über die bislang friedvolleWelt.

Dennoch regte sich bald wieder Lebenam Rande der bizarren Trümmerwüste. Dasnahe Meer mit den tief in die Felsenküstehineinreichenden Höhlen hatte so einigenhundert Männern, Frauen und KindernSchutz und Zuflucht geboten; die Überleben-den empfanden jedoch weder Erleichterungüber die eigene Rettung noch Trauer um dieToten. Ihr einziges Gefühl war Haß auf dieHamamesch.

In den folgenden Wochen dezimiertenHunger und Krankheit die verlorene Schar,und als endlich ein Rebellenschiff landete,lebten nur noch dreißig Crypers, unter ihnenTrecq-Morna. Sie war die Gefährtin Coram-Hais' gewesen, der als Führer ihrer Wider-standsgruppe schon zu Beginn des Angriffsden Tod gefunden hatte.

Ohne Coram-Hais, das erkannte sie zu-nehmend deutlicher, würde das Leben uner-träglich einsam und sinnlos sein. Für siehatte er gekämpft, für eine gemeinsame bes-sere Zukunft, für ihre Brut, die sie seit sie-ben Monaten in der Bauchtasche trug.Schon Tage vor dem Überfall hatte sie dieersten schwachen Bewegungen wahrgenom-men, inzwischen waren diese Ankündigun-gen neuen Lebens aber selten geworden.Den schrecklichen Gedanken, die Embryoskönnten Schaden erlitten haben, schobTrecq-Morna weit von sich; doch in der

Nacht kamen die Alpträume, die ihr jede Ru-he raubten.

Als Halbar evakuiert wurde, gab esnichts mitzunehmen außer schmerzvollenErinnerungen. Neue Kämpfe warteten, neuesLeid und neue Tränen.

»Die Hamamesch glauben, daß sie unsbesiegen können«, stieß Trecq-Morna ge-preßt hervor. »Lassen wir die verfluchtenHändler in dem Glauben, bis wir eines Ta-ges stark genug sein werden …«

Seit längerem spürte sie die beginnendeSchwäche, hatte diese aber von Anfang annur den desolaten Umständen und der man-gelnden Hygiene zugeschrieben. Erst nachder Landung auf dem Planeten Nirgon, derkünftig ihre Zuflucht sein würde, verstandsie, daß ihre Müdigkeit andere Ursachenhatte. Von da an wollte sie nur noch die Au-gen schließen und Coram-Hais in das ver-heißene Land jenseits des Großen Ozeansfolgen.

Ihre Brut war abgestorben. Die begin-nende Fäulnis hatte ihren Körper vergiftet.

Selbst als Trecq-Morna erfuhr, daß den-noch ein Kind überleben würde, brachte dasihren Lebenswillen nicht zurück. Die Weltwar gnadenlos und würden nie den Friedenbieten, den sie erhoffte.

Trecq-Morna sah noch ihren Sohn, dervielleicht ebenso groß und stark werdenwürde wie sein Vater. Immerhin hatte erschon Zähigkeit bewiesen, bevor er dasLicht der Welt erblickte. Leben und Tod la-gen viel zu nahe beieinander, weil eines oh-ne das andere unmöglich war.

»Nennt mein Kind Coram-Till!« sagteTrecq-Morna. »Er ist ein Rebell, und ichweiß, daß er eines Tages einen großen Na-men tragen wird.« Dann endete ihr Leben.

So geschehen im Jahre 1208 Pen, im Mo-

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nat Kalim.

1.

Die einsame Sonne gehörte zum Buragar-Oktanten, sie stand weitab jeder Grenzlän-derstation im Randbereich der KleingalaxisHirdobaan. Ein heißer, bläulichweißer Sternmit ausgeprägter Aktivität.

Die Überreste zweier zerborstener Plane-ten umkreisten die Sonne, ein Schwarm vonAsteroiden, die in nicht mehr ferner Zukunftdem Sog der Schwerkraft folgen und verglü-hen würden.

Mit lodernden Schutzschirmen hing dieNIKKEN in der oberen Korona.

»Die Eruptionen erreichen ein neues Ma-ximum, Kommandant.« Unaufhörlich drehtePhora-Sugh den Kopf. Je unruhiger er wur-de, desto weiter spreizten seine Halsschup-pen sich ab.

Coram-Till musterte ihn schweigend.Grelles Licht von den Schirmen drang inden Raum. Vor der NIKKEN löste sich einemächtige Bogenprotuberanz.

»Schirmfeldbelastung übersteigt Maxi-malwert!«

Der Rebellenführer nahm die Meldungunbewegt zur Kenntnis. Wie ein in Stein ge-hauenes Standbild wirkte er in diesem Mo-ment.

Überlegen und unnahbar, von einer Aus-strahlung umgeben, die ihm schon in jungenJahren große Erfolge eingebracht hatte.

»Du hast kein Vertrauen in unser Schiff,Phora-Sugh«, tadelte er. »Aber nur Vertrau-en gibt die Kraft zur Pflichterfüllung.«

Sein Gegenüber schluckte schwer. »DieSonne ist tückisch, ein Riesenkrake, dessenTentakel uns hinabzerren werden …«

»Das ist alles?« unterbrach Coram-Tillbeinahe spöttisch. »Kein Cryper fürchteteinen Riesenkraken …« Zu spät entsann ersich, was er vor langer Zeit gerüchteweisegehört und in einem ungenutzten Winkelseines Gedächtnisses vergraben hatte, daßPhora-Sugh zwei Angehörige durch einenAngriff von Riesenkraken verloren hatte und

selbst nur knapp mit dem Leben davonge-kommen war. Eine fröhliche Feier auf demMeer und am Ende ein unbegreiflicherSchicksalsschlag. Fünfzehn Hi-Jahre lag dasinzwischen zurück, aber sie hatten nie dar-über gesprochen; Phora-Sug schwieg dieVergangenheit tot.

»Ich habe dich auf die NIKKEN geholt,weil keiner die Ortungen besser beherrscht«,erinnerte Coram-Till.

Seine letzten Worte verhallten im Stakka-to der Störgeräusche. Entfesselte Naturge-walten fegten das Raumschiff aus dem Kurs,wirbelten es davon wie eine Sturmflut wel-ken Tang. Flüssiges Feuer schien von denBildschirmen herabzuspringen und über-schwemmte die Zentrale.

Eine zweite, noch heftigere Protuberanzstreifte das Schiff.

»Äußeres Schirmfeld zusammengebro-chen«, meldete der Computer.

Die Hälfte aller Bildschirme war ausge-fallen, die anderen erstrahlten in unregelmä-ßigen Abständen in weißblauem Feuer oderzeigten die Schwärze des interplanetarenRaumes. Die NIKKEN rotierte über zweiAchsen.

Endlich flaute der Strom glühender Parti-kel ab. Die Protuberanz hatte das Regenbo-genschiff Tausende Kilometer weit in denRaum hinausgeschleudert. Doch schon zerr-te die Gravitation wieder an der NIKKEN.

»Kommandant übernimmt die Steue-rung!« Coram-Till schaltete schnell undkompromißlos. Das Bordgehirn war gut,doch ihm behagte das Gefühl nicht, von ei-ner Maschine abhängig zu sein. Sein Lebenlang hatte er gelernt, sich nur auf sich selbstzu verlassen und Technik lediglich als Hilfs-mittel zu betrachten, als psychische undphysische Krücke, aber nicht als Ersatz füreigenen Einsatz und eigene Entscheidungen.

»Schirmfelder erreichen wieder volle Ka-pazität!«

Coram-Till wußte, was er verlangen durf-te, und ein Zusammenstoß mit einer Hama-mesch-Flotte würde der Crew vielfach grö-ßere körperliche Anstrengung abverlangen.

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Nur wer sich selbst unaufhörlich forderte,schuf die Voraussetzungen fürs eigeneÜberleben. Jedes Ausruhen auf Erreichtemwar gleichbedeutend mit Resignation.

»Seit zwei Tagen halten wir den Orbit umdie namenlose Sonne«, protestierte Moin-Art, sein Stellvertreter. »Wie lange sollenwir noch warten?«

Coram-Till vollführte eine schroffe Hand-bewegung. »Bis der Bote unseres Informan-ten erscheint«, erwiderte er heftig.

»Es gibt viele Möglichkeiten, was ihm zu-gestoßen sein kann …«

»Er kommt!« versicherte Coram-Till imBrustton der Überzeugung. »Würde ichsonst auf ihn warten?«

Das war allerdings ein Argument vonzwingender Logik, dem Moin-Art sich nichtentziehen konnte. »Energiereserve bei 58Prozent«, verkündete er nach einer Weile.»In spätestens eineinhalb Tagen müssen wirden Sonnenorbit verlassen.«

»Ortung!« Phora-Sughs Ausruf enthobden Kommandanten einer lästigen Antwort.»Distanz 30 Millionen Kilometer. Wegender Sonnenemissionen bekomme ich abernur verzerrte Massewerte.«

»Vielleicht ein aus der Bahn geratenerAsteroid«, vermutete Moin-Art, fest davonüberzeugt, daß der erwartete Nischdrichnicht kommen würde. Wieso auch? Wesenseiner Art hatten es nicht nötig, mit Rebellengemeinsame Sache zu machen; sie konntensich frei bewegen und hatten ein leidlichesAuskommen.

In der Zentrale herrschte angespannte Er-wartung. Der Kommandant hatte von einergroßen Warenlieferung gesprochen, vonlandwirtschaftlichen Maschinen für eine Ha-mamesch-Welt. Güter dieser Art waren fürdie Crypers lebensnotwendig und nahezu je-des Risiko wert. Aber noch fehlten genaueInformationen.

»Kontaktsonde ausschleusen!« Coram-Till traute den Hamamesch jede nur erdenk-liche Gemeinheit zu. Für ihn war das Händ-lervolk aus Hirdobaan der Inbegriff des Bö-sen, obwohl die Crypers möglicherweise

von den Hamamesch abstammten. Dochüber die Herkunft der Rebellen hatte die Ge-schichte längst den Mantel des Schweigensausgebreitet.

Die Robotsonde jagte am Rande eineraufblühenden Protuberanz in den Raum hin-aus.

Auf einem der Bildschirme wechselte dieWiedergabe. Die Sonne erschien in der Grö-ße eines phortanischen Wasserschnecken-hauses, also mit einem Durchmesser, der an-nähernd der Körperlänge eines Crypers ent-sprach, gleich darauf wurden die Asteroi-denbahnen eingeblendet. Der blinkendeLichtpunkt dazwischen kennzeichnete dasfremde Schiff, es schwenkte in eine tangen-tiale Bahn in Höhe des Sonnenäquators ein.

»Landwirtschaftliche Geräte für einenganzen Planeten«, sagte Moin-Art argwöh-nisch, »das klingt zu schön, um wahr zusein.«

Mittlerweile mußte die Sonde den Auffor-derungsimpuls abgestrahlt haben. Der Botehatte danach zehn Inx Zeit, mittels Kode zuantworten. Falls das nicht geschah, würdedie Selbstvernichtungssequenz alle Hinwei-se auf die Crypers verwischen.

Das Schiff war gefechtsklar.»Die Sonde …«, stieß Phora-Sugh nach

einer Weile in höchster Erregung hervor.»Sie ist soeben explodiert.«

Moin-Art verfluchte die Hamamesch bisin den tiefsten Graben aller Ozeane. DerLichtpunkt, der den fremden Raumer mar-kierte, begann die Tangente zu verlassen.

»Wir folgen dem Schiff!« bestimmteCoram-Till. »Die NIKKEN ist schneller alsdiese Rostschleudern, die von den Nischd-rich großspurig als Handelsraumer bezeich-net werden. Wir können den Kahn vor demEintritt in den Hyperraum abfangen.«

Jäh fiel Moin-Art ihm in den Arm. EinenAugenblick lang starrten beide Crypers sichan – Coram-Till ungläubig und überrascht,sein Stellvertreter verbissen und entschlos-sen, weder Schiff noch Mannschaft sinnloszu opfern. Mit einer unwilligen Bewegungwischte Coram-Till die ihn behindernde

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Hand beiseite. »Ich hoffe, du weißt, was dutust«, raunte er so leise, daß niemand außerMoin-Art es hören konnte. Sie hatten in lan-gen Jahren Seite an Seite gekämpft und wa-ren zu Freunden geworden, sonst hätteMoin-Art sich einen derartigen Fehltrittnicht erlauben dürfen.

»Die vermeintlichen Maschinen sind dasRisiko nicht wert«, sagte der Stellvertreter inebenfalls verhaltenem Tonfall. »Die Angele-genheit riecht nicht nur nach einer Falle, siestinkt geradezu. Der Köder ist zu groß.«

*

Der Beuteraumer beschleunigte mitHöchstwerten. Vor einigen Jahren hatte das300 Meter lange Regenbogenschiff noch denFermyyd gehört, der Schutztruppe der Ha-mamesch in Hirdobaan.

Wie ein loderndes Fanal stieß die NIK-KEN in den interplanetaren Raum vor –Sinnbild des unbeugsamen Freiheitswillensder Ambraux-Crypers.

Ruckartig zog Coram-Till den schweben-den Mikrophonring zu sich heran, der einerihm unbekannten Technik entstammte.Mochte Gomasch Endredde wissen, woherdie Fermyyd diese Errungenschaft bezogen.

»Coram-Till ruft das fliehende Raum-schiff. Stoppt und nehmt unser Enterkom-mando an Bord, andernfalls eröffnen wir dasFeuer!«

Keine Antwort. Nur das Rauschen derStatik drang aus dem Empfänger.

Inzwischen zeichneten die Optiken auf.Auf gewisse Weise mutete es wie ein Wun-der an, daß das ovale Etwas, das halb vonder Sonne angeleuchtet wurde und zur ande-ren Hälfte mit der Schwärze des Weltraumsverschmolz, nicht schon längst auseinander-gebrochen war.

Der Rumpf des Seelenverkäufers erschienals Konglomerat aus Flicken und Verstre-bungen. Mit offenkundigem Dilettantismuswar versucht worden, Schäden durch Auf-schweißen immer neuer Platten zu beheben.

»Ich wiederhole mich ungern!« rief der

Rebell ins Mikro. »Unseren Geschützen habtihr nichts entgegenzusetzen.«

Er registrierte, daß Moin-Art den Waffen-leitstand besetzte und die Kontrollen hoch-fuhr, während gleichzeitig der Funker denEmpfang ins Zentrum der Panoramawandlegte und folglich die optische Darstellungdes Nischdrich-Frachters mit eingeblendeterRestzeit auf einen der Peripherie-Monitoreverbannt wurde.

»Verfluchte Piraten!« hallte es, von Stö-rungen verzerrt, durch die Zentrale.»Aufrechte Nischdrich sterben lieber, bevorsie ihr Schiff kapern lassen.«

»Der Tod ist endgültig«, warnte Coram-Till.

»Aber ehrenvoll. Sei sicher, Gesetzloser,daß wir uns zu wehren verstehen.«

Endlich stabilisierte sich das Bild. Dieauftretenden Schlieren verrieten den auch imInnern des Frachters herrschenden desolatenZustand.

Der Nischdrich hatte drei grobe Pseudo-podien ausgebildet, kurze Stummelarme, dieübergangslos in vier Fingern endeten, undgestikulierte heftig vor der Aufnahmeoptik.Im übrigen kauerte er als amorphe Erschei-nung, einem Sack nicht unähnlich, vor ei-nem Kontrollpult. Neben ihm glitzerte üppi-ger Schleim, für Coram-Till ein deutlicherBeweis, daß der Nischdrich unter großerseelischer Anspannung stand. 120 Kilo-gramm mehr oder weniger formlos verteiltesFett gerieten in zuckende Bewegung.

»Mit Drohungen kannst du uns nicht ein-schüchtern, Pirat«, verkündete der Nischd-rich in quäkendem Tonfall. »Wir haben un-sere Abwehrfelder aktiviert.«

»Natürlich«, sagte Coram-Till, so gedul-dig, als versuche er einem Kleinkind dieFunktionen eines Computers beizubringen.»Welche Fracht hast du geladen?«

»Nichts, was Crypers interessieren dürf-te.« Das amorphe Wesen gab sich Mühe,den Namen Cryper voll Verachtung auszu-sprechen.

»Hyperraum-Manöver in fünf Inx wahr-scheinlich«, meldete Phora-Sugh.

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»Der Bursche hält uns zum Narren«,schnaubte Moin-Art aufgebracht. »Zeigenwir ihm endlich, daß er das mit uns nichtmachen kann! Wir sind schließlich keinelahmen Hamamesch.«

Coram-Till funkelte seinen Stellvertreterwütend an. »Ich bekomme meine Informa-tionen. Auch ohne Gewaltanwendung.«

»Steigende Emissionen!« rief Phora-Sughdazwischen. »Der Kahn wird jeden Momentverschwinden.«

Die Funkverbindung brach zusammen.Gleichzeitig erlosch das Schirmfeld um denNischdrich-Raumer. Alle Energiereservenwurden für den Übertritt in den Hyperraumbenötigt.

»Jetzt!« befahl der Kommandant. »Feuerfrei!«

Die NIKKEN erbebte unter dem Abschußder Geschütze. Doch die todbringendenEnergien verloren sich in der Weite desWeltraums. Der altersschwache Frachterwar den Bruchteil eines Augenblicks vorheraus diesem Kontinuum verschwunden.

»Peilkontrolle und Nahortung auf den Be-reich konzentrieren, in dem der Frachter ent-materialisiert ist!«

Moin-Art ließ einen schrillen Laut derÜberraschung vernehmen. Mit der flachenHand schlug er sich gegen die Stirn. »Du er-wartest, daß der Bote trotz allem eine Nach-richt hinterlassen hat?«

»Er durfte sich vor seiner Mannschaftnicht bloßstellen. Die Begegnung mit derNIKKEN mußte zufällig aussehen; wie erden Anflug an die Sonne begründet hat, istfür uns unwichtig.«

»Und jetzt wird der Nischdrich von seinerCrew als Held gefeiert? Weil er den Mut be-sessen hat, uns die Stirn zu bieten.«

»So ungefähr. Zumindest die Computersollten unseren Feuerüberfall registriert ha-ben.«

Die Ortungen fanden ein winziges metal-lisches Kästchen, gerade so groß wie einegeballte Cryperfaust. Die Seitenabweichungvon der Flugbahn des Frachters verriet, daßder Nischdrich mit der Eröffnung des Feuers

gerechnet hatte. Allzu leicht hätte der Daten-speicher sonst in den entfesselten Energienverglühen können.

Ein Zugstrahl fing das Kästchen ein.Coram-Till war nicht minder gespannt aufdie Nachricht als jeder an Bord.

Der Datenspeicher aktivierte ein Holo-gramm, das von den Crypers nur sehr einge-schränkt wahrgenommen wurde. Je nachStandort sahen die Männer und Frauen derZentralebesatzung unterschiedliche Dinge.Doch eines wurde allen klar: Auf sie wartetedie wertvollste Beute, seit sie im Hand-streich die NIKKEN erobert hatten.

2.

Zweieinhalb Lichttage vor einer unschein-baren gelben Sonne fiel die ATLANTIS inden Normalraum zurück. Die Galaktiker un-ter Atlans Kommando bewegten sich auf un-bekanntem Terrain, im Randgebiet einerfremden Sterneninsel mit einem mittlerenDurchmesser von lediglich 10.000 Lichtjah-ren. Von der Milchstraße aus gesehen standdie Kleingalaxis Hirdobaan rund 200.000Lichtjahre hinter NGC 4793 in Richtung derGroßen Leere, wurde von Queeneroch je-doch gänzlich verdeckt. Der Name Quee-neroch für NGC 4793 entstammte demSprachgebrauch der Arcoana und bedeutetesoviel wie »Unendliches Land«.

»Fünf Planeten, zwei davon innerhalb derBiosphäre«, meldete die Ortung.

»Alarmbereitschaft wird angeordnet«,sagte Aktet Pfest.

Julian Tifflor, eben noch in Gedankenversunken das Hologramm der astronomi-schen Abteilung studierend, das bereitseinen Großteil der Sternenpopulation inner-halb des Mereosch-Oktanten zeigte, legtenachdenklich die Stirn in Falten. »Du erwar-test einen Angriff?« fragte er. »Falls wirk-lich Imprint-Outlaws in der Nähe sind, dürf-ten sie heilfroh sein, wenn wir sie in Ruhelassen.«

»Meiner Meinung nach haben wir es mitVerrückten zu tun«, behauptete der Kom-

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mandant der ATLANTIS.»Und Verrückten ist beinahe jede Schand-

tat zuzutrauen«, führte Ronald Tekener denGedanken zu Ende. Der Smiler hatte wäh-rend des kurzen Fluges von der Grenzlän-derstation SCHERMOTT aus die Zentraleebenfalls nicht verlassen. Knapp siebenhun-dert Lichtjahre – verglichen mit den gewalti-gen kosmischen Entfernungen, die das Fern-raumschiff BASIS seit der ersten Expeditionzur Großen Leere zurückgelegt hatte, kaumbedeutungsvoller als ein Fingerschnippen.

»Diese sogenannten Verrückten sind im-merhin Galaktiker«, protestierte Tiff.

»Angeführt von einer Handvoll Terra-ner«, gab Aktet Pfest trocken zu bedenken.

Der sich anbahnende Disput wurde voneiner Auswertung unterbrochen. Demnachwaren zwei Planeten der nahen Sonne besie-delt. Aufgefangene Funksprüche und dieEnergiemuster im Orbit stehender Frachterließen eindeutige Schlüsse zu.

»Liegen die Übersetzungen vor?«»Es geht ausschließlich um freie Ladeka-

pazitäten, Vertragsbedingungen und Preisab-sprachen – alles ziemlich unergiebig.«

»Ein Grund mehr, uns umzusehen.« Atlanbedachte Pfest mit einem aufforderndenBlick.

Der Überschwere, der sich vom Chef derarkonidischen Landungstruppen zum Kom-mandanten der ATLANTIS hochgearbeitethatte, nickte knapp. »Ende unseres nächstenÜberlichtmanövers vor der äußeren Plane-tenbahn. Eintauchpunkt erreicht in – zweiMinuten.« Nachdenklich massierte er seinmassiges Kinn. »Bis dahin«, fügte er hinzu,»sollten wir uns über die Galaktiker unter-halten. Immerhin haben wir es bereits mit ei-ner bunt zusammengewürfelten Flotte vonüber 500 Schiffen zu tun.«

»… darunter etlichen hochmodernen Ein-heiten aus Beständen der Liga Freier Terra-ner«, ergänzte Atlan. »Und wir müssen da-mit rechnen, daß das Gros der Flotte erst inabsehbarer Zeit in Hirdobaan eintrifft, dennlängst nicht alle Schiffe sind mit schnellenMetagravtriebwerken ausgerüstet.«

»Unter diesen Umständen sind die Hama-mesch weit mehr zu bemitleiden als die Ga-laktiker«, folgerte Tiff. »Wahrscheinlichwerden wir sogar alle Hände voll zu tun ha-ben, die Händler vor den wildgewordenenImprint-Süchtigen zu beschützen. Ungefährnach dem Motto: Wehe, wenn sie losgelas-sen …«

Bei jedem Satz Tifflors hatte der Kom-mandant der ATLANTIS die Augen einStück weiter aufgerissen, nun starrte er denAktivatorträger unverhohlen herausforderndan. »Entwickelst du telepathische Fähigkei-ten?« stieß er hervor. »Du hast meine Ge-danken fast wörtlich wiedergegeben.«

»Dazu gehört nur ein Hauch Intuition«,versetzte Tekener an Tifflors Stelle.»Mancher Taschenspielertrick ist schwererzu durchschauen. – Im übrigen habe ichmich wie ihr alle auf einen ruhigen und er-holsamen Heimflug in die Milchstraße ge-freut.«

Das war allerdings eine Behauptung, dieihm niemand abnahm. Ronald Tekeners Le-benslauf umfaßte vieles: USO-Agent, Spie-ler und wildverwegener Draufgänger; einerder wenigen Menschen, die den Lashat-Pocken nicht zum Opfer gefallen waren;später enger Mitarbeiter Perry Rhodans,Kommandant des TSUNAMI-Spezial-verbands und, und, und … –, daß ein mehroder weniger ereignisloser Flug über die ge-waltige Distanz von 225 Millionen Lichtjah-ren bei einer Dauer von dreieinhalb Stan-dardjahren für ihn eine Erholung darstellte,konnte keiner glauben, der ihn kannte. Teke-ner war nicht der Mann, der in fatalistischerManier die Füße hochlegte und der Dingeharrte, die kommen würden. Tief im Innernseines Herzens verabscheute er tägliche Mo-notonie, und seine Verbindung mit Dao-Lin-H'ay hatte daran nichts geändert. DieKartanin und der Smiler waren einander vielzu ähnlich.

Die ATLANTIS tauchte in den Hyper-raum ein. Nur Sekunden verweilte derSchlachtkreuzer der Außenbord-Träger-klasse im übergeordneten Kontinuum, dann

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zeigten die Hologramme von neuem dieSternenvielfalt Hirdobaans. Und ein auf denersten Blick undefinierbares Etwas, ein skur-riles, von Licht und Schatten zerfressenesGebilde. Abstrakt, beinahe surreal.

»Gegen dieses Schiff ist ein Posbiraumerüberschaubar!« spöttelte jemand. EinigeMänner und Frauen der Zentralebesatzunglachten verhalten. Doch die Stimmung bliebgedrückt.

»Funkkontakt kommt nicht zustande!«wurde gemeldet.

»Also sehen wir uns dieses Konglomeratabstrakter Baukunst aus der Nähe an«, ent-schied der Kommandant.

Atlan nickte knapp. Die ATLANTIS gingauf Abfangkurs.

»Wer immer dort drüben an Bord ist,glaubt offenbar, uns ignorieren zu können.«

»Kollision in vierzig Sekunden«, teilte derSyntron mit.

Aktet Pfest starrte auf das Hologramm,als könne er das fremde Raumschiff alleinkraft seiner Gedanken zu einem Flugmanö-ver zwingen.

»Die denken nicht daran, auszuweichen«,stellte Tifflor fest.

Tekener lächelte versonnen. Entwederwaren die Fremden lebensmüde oder mit al-len Wassern gewaschene Hasardeure. Letz-teres machte sie ihm durchaus sympathisch.

»… zehn Sekunden.«Aktet Pfest hatte die Überrangschaltung

auf seine Konsole gelegt und damit frühzei-tige Sicherungsmaßnahmen des Syntronsunterbunden. Allerdings wurde offenbar,daß sogar ein Mann seines Kalibers nichtohne Gefühlsregung blieb; auf seiner lind-grünen Haut schimmerten erste Schweißper-len.

»Ausweichen!« befahl Atlan.Die Schaltungen des Überschweren ver-

änderten den Flugvektor und verstärkten dasprojizierte Schwerkraftzentrum zum Maxi-malwert. Mit einer Sogbeschleunigung von1000 km/sec2, die abrupt zum Tragen ka-men, wurde die ATLANTIS aus dem Kursgerissen – ein Gewaltmanöver, das die An-

druckabsorber ziemlich ruppig quittierten.»Geringste Distanz bei zweieinhalbtau-

send Kilometern«, meldete der Syntron.»Sie haben uns ignoriert«, seufzte Teke-

ner. »Außerdem ist das Schiff verschwun-den.«

Das Holo der Rundumbeobachtung warleer.

»Übertritt in den Linearraum 47 Millise-kunden nach größter Annäherung. Kein Ver-such einer Kontaktaufnahme.«

»Das war's dann wohl«, sagte Tifflor.»Ich vermute, die Besatzung wollte vor dervermeintlichen Kollision in den Linearfluggehen.«

»Kein Lebewesen riskiert freiwillig Kopfund Kragen, falls es sich vermeiden läßt.«

»Dann sollten wir bei den Hamameschanfragen, ob sie bereit sind, bessereBordrechner in ihr Lieferprogramm aufzu-nehmen.«

»Apropos Hamamesch.« Aktet Pfest deu-tete auf die Symbolkennung des Hyper-funks, die auf die Panoramagalerie über-spielt wurde. »Sieht so aus, als wollte end-lich jemand mit uns reden.«

Während die ATLANTIS die Umlaufbahndes äußeren Planeten überquerte, erschiendas Konterfei eines Hamamesch.

Deutlichster Beweis für die Abstammungdes Händlervolkes von Fischen war nebender geschuppten Haut der vorgewölbte karp-fenhafte Mund mit den wulstigen Lippen.

Die starr wirkenden Augen saßen seitlicham Kopf, eine gute Handbreit über den Oh-ren, die auf den ersten Blick an Kiemen er-innerten und durch bewegliche Klappen ver-schlossen werden konnten.

Trotz der fremdartigen Physiognomie ge-wannen die Männer der ATLANTIS denEindruck, daß ihr Gegenüber sie herablas-send musterte.

Bevor Atlan zu einer Begrüßung ansetzenkonnte, polterte der Hamamesch los. Zumin-dest gab der Translator das nasale, schwerverständliche Gemurmel als schroffes Pol-tern wieder.

»Verschwindet! Niemand will euch hier

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haben!«Deutlicher konnte die Abfuhr nicht sein.»Ein Mißverständnis«, vermutete Atlan.

Der Translator übertrug seine Worte insHamsch, die Umgangssprache in Hirdobaan.

»Das System Drebil ist für euch verbote-nes Gebiet«, verkündete der Hamamesch.»Verschwindet! – Euch bleibt eine Frist vondrei Rou.« Die Wiedergabe erlosch.

»Exakte Definition der Zeitangabe«, ver-langte Tifflor. Der Translator nannte 6,428Normminuten.

»Ein unhöflicher Kerl«, grollte Pfest.»Vorgestellt hat er sich nicht, und seine

unausgesprochene Drohung kann er sichsonstwohin stecken. Wie ungehalten wird ererst sein, wenn wir nach der nächsten Über-lichtetappe zwischen den Planeten auftau-chen.«

»Die Schuppen werden sich ihm aufstel-len«, pflichtete Tekener bei.

Atlan winkte beschwichtigend ab. »Wirsind keine Barbaren, die mit gleicher Münzezurückzahlen. Aktet, zum Ende der Fristverharrt die ATLANTIS in relativem Still-stand!«

Pünktlich meldete sich der Hamameschwieder. Auch diesmal hielt er sich mit keinerVorrede auf.

»Euer Verhalten stellt eine unbeschreibli-che Provokation dar.«

»Ich sehe das anders«, widersprach Atlan.»Wir erbitten lediglich einige Informatio-nen.«

Der Hamamesch versteifte sich. SeineHaltung wurde unmißverständlich ableh-nend.

»Du verweigerst uns nach wie vor denAnflug?« Atlan hoffte, daß der Translatorseinen erstaunten, ja ungläubigen Tonfallnuancengleich wiedergab.

Von den Ortungen kam die nächste Mel-dung: »Auf den bewohnten Planeten startenRaumschiffe. Insgesamt vierzehn … acht-zehn – jetzt zwanzig.«

»Der Kurs dürfte klar sein«, quittiertePfest. »Das wird ein klassischer Hinauswurf.Die Frage ist nur, ob wir uns hinauswerfen

lassen.«Nachdem er seine Flotte auf den Weg ge-

schickt hatte, wurde der Hamamesch sogargesprächiger. »Wir haben euch nicht geru-fen, also fliegt zurück, von wo ihr gekom-men seid. Hirdobaan ist ein Ort des Friedens– niemals werden wir dulden, daß Fremdeunsere Schiffe zerstören und Stützpunkte be-schädigen. In meinem Verwaltungsbereichherrscht Ordnung. Hier ist kein Platz für un-zivilisierte Barbaren.«

Obwohl ihm nicht danach zumute war,setzte sogar Julian Tifflor ein vielsagendesGrinsen auf. »Barbaren – irgendwo habe ichdiesen Begriff schon vernommen.«

»Die Wahrheit ist eben universell«, kon-terte der Arkonide. »Anflugkontrolle?«

»Die dreiundzwanzig dickbauchigenRaumer auf Kurs. Fächern auf, aktivierenSchirmfelder und Waffensysteme.«

»Wir ziehen uns zurück«, entschied At-lan. »Arkoniden haben sich nie jemandemaufgedrängt. Vielleicht gibt man woandersbereitwilliger Auskunft.«

*

Die aus dem Arresum heimkehrenden Ga-laktiker unter Perry Rhodan waren einiger-maßen konsterniert gewesen, als sie Coma-6nahezu ausgeplündert vorgefunden hatten.Noch größer war ihre Überraschung gewor-den, als sie von den letzten Androgyn-Robo-tern erfuhren, daß keineswegs die in kosmi-scher Nachbarschaft lebenden Hamamesch,sondern Galaktiker aus der Milchstraße fürden Überfall verantwortlich waren – einewüste, offenbar völlig durchgedrehte Meute.

Der zerstörte Hamamesch-Stützpunkt,rund 10.000 Lichtjahre von Coma-6 in Rich-tung Hirdobaan, hatte weiteres Unheil ahnenlassen. Zum erstenmal hatten Rhodan undseine Leute hier den Begriff Imprint-Warengehört. Wie ein Heuschreckenschwarmmußten die Galaktiker über die ahnungslo-sen Hamamesch hereingebrochen sein – undwie die biblische Plage waren sie weiterge-zogen, eine Spur der Verwüstung hinter sich

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lassend. Imprint-Waren hatten sie nicht ge-funden, ebenfalls nicht auf der Grenzländer-station SCHERMOTT.

Von überlebenden Galaktikern aus einemder beim Kampf um SCHERMOTT zerstör-ten Schiffe hatte Perry Rhodan die Ge-schichte der Hamamesch-Basare in Magel-lan und der Milchstraße erfahren. Der großeTreck nach Hirdobaan bildete den vorläufi-gen Höhepunkt einer rasanten Entwicklung.Weit mehr als die bislang georteten Schiffe,vollgepfercht mit Imprint-Outlaws undHigh-Tech-Tauschware, hatten den 118 Mil-lionen Lichtjahre weiten Weg angetreten.

Ein ziemlicher Schock war es außerdemgewesen, hören zu müssen, daß Homer G.Adams trotz Mentalstabilisierung und Akti-vatorchip zu den Süchtigen gehörte, daß derehemalige Hanse-Chef sogar eindeutig alsRädelsführer auftrat.

Die vage Hoffnung, Adams übe bloßeMitläuferschaft, um Schlimmeres zu verhin-dern, war wie eine schillernde Seifenblasezerplatzt, als der Vakuta Phermi ebenfallsvon dem Fremden erzählte. Adams hatteseltsame Fragen gestellt, nach GomaschEndredde und einem Maschtaren, nach Im-print-Waren … Erst die Beschreibung desbesonderen Charakters solcher Waren hattePhermi an ein Gerücht erinnert, wonach derJondoron-Oktant vor Jahren alle wirtschaft-lichen Ressourcen genutzt und einen großenHandels-Konvoi ausgesandt hatte.

Mit den Koordinaten des betreffendenOktanten war Adams überstürzt abgeflogen.Die Automatorter der BASIS hatten denKurs der TANKSET bis zum Eintauchen inden Hyperraum registriert. Der Vektor wiesnach Jondoran.

Homer G. Adams konnte kein genauesZiel vor Augen haben, denn bislang warendie Imprint-Süchtigen erst in den Randbe-reich von Hirdobaan vorgedrungen. Eintiefer in der Kleingalaxis erscheinendes ga-laktisches Raumschiff würde zwangsläufigAufsehen erregen. Andererseits war zu er-warten, falls wirklich die Jondoron-Ha-mamesch die Handelskarawane in die

Milchstraße entsandt hatten, daß diese sichAdams gegenüber kooperativer zeigen wür-den als der ihn verfolgenden ATLANTIS.

Schon aus dem Grund zog Atlan mehrereZwischenstopps in Erwägung, um Informa-tionen zu beschaffen. Hintergrundwissen er-schien weitaus wichtiger, als sich kopflosund unvorbereitet in ein Abenteuer zu stür-zen. Julian Tifflor und sogar der draufgänge-rische Ronald Tekener waren mit ihm derMeinung, daß sie sich für Erkundungen Zeitnehmen sollten.

»Es war auf den ersten Blick klar, daß inHirdobaan einiges faul ist«, sagte der Smiler.

Seit wenigen Minuten schrieb man den 8.Juni 1220 NGZ. Auf der Panoramagalerieprangte die zweigeteilte Sternenpracht desMereosch-Oktanten, im oberen und unterenBereich jeweils ein gleißendes Lichtermeer,dazwischen das Nichts, ein schmales Bandundurchdringlicher Schwärze.

Drei Lichtjahre vor dem Rand der Dun-kelwolke hatte die ATLANTIS den Hyper-raum verlassen. Die nächste Sonne lag imBereich der Ausläufer dichter Dunkelmate-rie.

»Acht Planeten. Funk- und Schiffsver-kehr.«

Tekener blickte gelangweilt drein. Mitübereinandergeschlagenen Beinen hockte erin seinem Sessel, den rechten Ellenbogenauf der Armlehne und das pockennarbigeKinn auf der zur Faust geballten Hand abge-stützt; mit dem Mittelfinger der Linkentrommelte er einen monotonen Rhythmus.»Hoffentlich ist die Kunde von den rüdenGalaktikern noch nicht bis in diesen Winkelvorgedrungen.«

»Die Nachrichtentechnik der Hamameschist keineswegs im Zeitalter der Postkutschenstehengeblieben«, erinnerte Tifflor. Tek rea-gierte mit einem beiläufigen Achselzucken.

Bei einem geringen Überlichtfaktor von300.000 dauerte der folgende Metagravfluggerade fünf Minuten. Eine Hyperkomverbin-dung stand diesmal schon nach wenigen Au-genblicken.

»Mein Name ist Atlan«, begann der Arko-

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nide. »Ich bitte um Landeerlaubnis für meinSchiff …«

»… und vermutlich suchst du um eine be-fristete Handelsgenehmigung nach?«

Das kam überraschend. Atlan nickteknapp, wobei ihm klar war, daß der Hama-mesch diese Geste vermutlich nicht ver-stand.

»Deine Wahl ehrt uns, Atlan. Meniem giltzu recht als die Perle dieses Sektors, umnicht zu sagen, des Mereosch-Oktanten.Einen besseren Ort, deine Geschäfte abzu-wickeln, hättest du nicht finden können.«

Der Hamamesch stutzte, schürzte die wul-stigen Lippen. Atlan bemerkte, daß er dieOhren weit öffnete, deutliches Zeichen fürden hohen Grad an Aufmerksamkeit, den erdem unerwarteten Besucher entgegenbrach-te.

»Gib mir ein Archivbild deines Schiffes,Atlan. Für die Zuweisung eines geeignetenLandeplatzes.«

Das erledigte der Syntron.»Hochstehende Technik«, registrierte der

Hamamesch verblüfft. »Ich kann mich nichtentsinnen, von einem solchen Kugelschiffjemals gehört zu haben.«

»Wir haben einen Flug über sechzehnMillionen Lichtjahre hinter uns.« Demschnellen Rat seines Extrasinns folgend, ver-fälschte der Arkonide die Wahrheit ein we-nig. »Wir müssen unsere Vorräte auffüllenund bezahlen mit wertvoller Technik.«

»Landeerlaubnis wird erteilt, ebenso dieHandelsgenehmigung. Ihr erhaltet einenPeilstrahl. Bereitet euch vor, eine amtlicheSchätzkommission an Bord zu nehmen.«

»Eine Schätzkommission?« wiederholteAtlan.

»Der Wert der angebotenen Tauschwaremuß exakt ermittelt werden. Wir wollendoch nicht, daß jemand sich übervorteiltfühlt, schließlich haben die Händler von Me-niem einen sehr guten Ruf zu verlieren.«

»Das Entsprechende gilt für uns«, be-hauptete Atlan.

»Ich danke dir«, sagte der Hamamesch somonoton, daß es sich nur um eine Höflich-

keitsfloskel handeln konnte. »Ein Schiff ei-nes fremden Volkes verirrt sich selten in denMereosch-Oktanten. Den meisten ist be-kannt, daß nahezu aller Handel über dieGrenzländerstationen abgewickelt wird.«

»Ein lukratives Geschäft laßt ihr euchdennoch nicht entgehen?« wandte Tiffloramüsiert ein; als der Hamamesch bereits vonsich aus die Verbindung unterbrochen hatte,fügte er hinzu: »Habt ihr das Leuchten inseinen Augen gesehen, als Atlan unsereHigh-Tech erwähnte? Überschlägig hat erschon den Profit kalkuliert.«

Mit wenig mehr als einem Sechstel Licht-geschwindigkeit flog die ATLANTIS in dasSonnensystem ein.

Der Anruf von Meniem kam überra-schend. Der Hamamesch – ein anderer Ge-sprächspartner als vorhin – hielt sich nichtmit Vorreden auf.

»Ihr habt uns belogen!« protestierte er.»Die Landeerlaubnis wird zurückgezogen!«

»Unsere Mission ist friedlicher Natur«,reagierte Atlan betroffen. »Wir sind For-scher und …«

»Wieder eine Lüge. Viele deines Volkessind in Hirdobaan eingefallen und haben so-gar den Frevel begangen, eine Grenzländer-station zu okkupieren. Trotz eurer hochste-henden Technik seid ihr nur halbzivilisierteWilde ohne jeden Anstand.«

»Die ATLANTIS gehört nicht zur Flottedieser Galaktiker.«

»Lächerlich! – Alle diese Fremden gierennach Imprint-Waren, ein Hirngespinst, vondem ich nie gehört habe. Es gibt keine sol-chen Produkte.«

»Die Männer und Frauen, von denen dusprichst, sind krank, geistig verwirrt durcheben jene Waren, die ihnen von Hamameschverkauft wurden.«

»Du versuchst mich ebenfalls zu verwir-ren, aber das wird dir nicht gelingen. Wersollte derartige Dinge herstellen und vertrei-ben? Vor allem weshalb?«

»Genau das frage ich dich!«Der Hamamesch stieß eine Reihe blub-

bernder Laute aus, die nicht übersetzt wur-

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den. Äußerungen seiner Erregung oder sei-nes Unbehagens.

»Du begehst einen Fehler, wenn du unsdie Landung verweigerst«, sagte Atlan ru-hig. »Laß uns über alles reden. Wir sind kei-ne Imprint-Süchtigen. Im Gegenteil, wirwollen den Hamamesch helfen, diesen Spukschnell zu beenden.«

»Ausflüchte! Und immer neue Lügen. In-zwischen wurde ich hinreichend informiert.«Das Bild erlosch.

»Verdammt«, sagte Atlan inbrünstig.»Wenn ich nicht um gute Kontakte bemühtwäre, müßte ich die Muskeln spielen lassen.Wie kann man nur derart borniert sein?«

»Würdest du an Stelle der Hamameschanders handeln?« wollte Aktet Pfest wissen.

»Ich würde mir zumindest anhören, wases zu sagen gibt«, versetzte der Arkonide.»Hochmut kommt bekanntlich vor demFall.«

Nachdenklich massierte Tekener seinenNacken. »Ich frage mich, ob die Hamame-sch eiskalte Rechner sind, die ihre Kundensüchtig machen, um sie hinterher bis aufsHemd abzuzocken …«

»Oder?« drängte Tifflor, als die Gedan-kenpause zu lange dauerte.

»… oder selbst Betrogene in einer un-durchsichtigen Partie, in der jemand mit ge-zinkten Karten spielt.«

3.

Der Asteroid war in keiner Sternenkarteverzeichnet. Im nachhinein erschien es alsunbegreiflicher Zufall, daß der Massetasterden öden Felsbrocken überhaupt erfaßt hat-te. Aber Zufälle waren das Salz des Lebens– nicht wenige Stuuhr verdankten ihrenReichtum einer solchen schicksalhaften Be-gegnung.

Das nächste Sonnensystem lag sechsein-halb Lichtjahre entfernt. Vermutlich drifteteder winzige Asteroid seit Jahrmillionendurch den Weltraum.

»Instinkt und Glück müssen einander er-gänzen«, murmelte der Prospektor, als er die

gedruckte Auswertung der Strahlungsanaly-se las. Die Sternkristalle waren von einerReinheit, wie es sie selten gab. Egal welchenexakten Preis er für die Kristalle erzielenwürde, er hatte auf jeden Fall bis an sein Le-bensende ausgesorgt.

Er konnte es kaum erwarten, endlicheinen der winzigen Kristalle in Händen zuhalten, wollte dessen verzehrendes Feuer se-hen – doch welche Rolle spielten jetzt nocheinige Augenblicke der Besinnung? DerAsteroid hatte Äonen überdauert, er würdenicht von heute auf morgen aufhören zu exi-stieren.

Nbltsgndpfrdbrms (Stuuhr besaßen aus-nahmslos ellenlange, nur aus Konsonantenbestehende Namen) übertrug Funk und Or-tung dem Computer und vergewisserte sich,daß Heizung sowie Sauerstoff zufuhr desRaumanzugs ohne Leistungsabfall arbeite-ten. Der leichte Folienanzug mit den ver-stärkten Gelenkkapseln hätte längst ausran-giert gehört, doch allein die Raten für Hy-perortung, Überlichtantrieb und Funkanlageseines Raumschiffs fraßen ihm inzwischendie letzten schwarzen Haare vom Kopf.

Die Schürfaggregate auf dem zerklüftetenAsteroiden aufzubauen, kostete Zeit undSchweiß. Der Winkel des Desintegrator-strahls zur kristallinen Deckschicht mußteauf Kommabruchteile exakt ausgerichtetwerden, andernfalls bestand die Gefahr, daßder Stuuhr das Vorkommen eigenhändig inwertlose Ware verwandelte. Das war dannungefähr so, als würde er Unsummen in dennächsten Konverter schaufeln.

Ein Tag verging, bis der Stuuhr beginnenkonnte, die oberste Gesteinsschicht abzutra-gen. Kontrollmessungen bewiesen, daß dieEnergiezufuhr den Kristallen nicht schadete.

Im ungünstigsten Zeitpunkt meldete sichder Bordrechner: »Strukturerschütterung imWarnbereich.«

»Ein Hamamesch-Raumer?«»Drei Echos. Nicht identifiziert.«Piraten? Der Prospektor war noch nie

selbst den gefürchteten Schiffen begegnet,doch er hatte genug Schauergeschichten

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über sie gehört. Crypers schlugen zu, woman sie am wenigsten erwartete, sie morde-ten, plünderten und verschwanden so spurlosim Nichts, wie sie erschienen waren.

»Funkkontakt«, meldete der Computer.Der Stuuhr war auf alles vorbereitet, nicht

jedoch auf derart hektische Stimmen. Er ver-stand kein Wort. Mehrere Wesen schienenbemüht, sich gegenseitig zu übertönen.

Die Scheinwerfer auf dem Asteroiden er-loschen. Kurz darauf waren die fremdenRaumer schon ohne Hilfsmittel auszuma-chen. Fahl schimmerte das Licht der fernenSterne auf ihren Rümpfen.

Kugelschiffe! Kein Volk flog solche Kon-struktionen. Nicht einmal Crypers.

»Wer seid ihr?« fragte der Stuuhr irritiert.»Na also«, erklang es krächzend. »Der

Kerl ist doch nicht aufs Maul gefallen.«»Wir haben dich auf dem Schirm«, spru-

delte eine andere Stimme wie ein Wasser-fall. »Du kannst uns nicht davonlaufen. Alsorunter mit den Hosen!«

»Ich verstehe nicht«, sagte der Prospek-tor.

»Er versteht nicht …« Da war wieder die-ses heisere, stoßweise laute Atmen. »Wirkommen rüber zu dir, Freundchen, und dannschnappen wir uns die Waren, die du anBord hast. Diesmal ganz ohne Bezahlung.«

In einem der Schiffsrümpfe erschien einhell erleuchtetes Rechteck. Der Stuuhr sahein schmales Etwas daraus hervorschießen –so schnell, daß er der Bewegung kaum fol-gen konnte.

Der Flugkörper entpuppte sich als einezur Mitte hin deutlich verdickte Scheibe. Sieverharrte über dem Asteroiden, eine Schleu-se öffnete sich. Der Prospektor reagierte ent-täuscht, als der erste Fremde nach untenschwebte.

Er war kleiner als jeder Stuuhr, reichteihm gerade ein Stück bis über die Leibesmit-te. Hinter dem Helm schimmerte eine blei-che Gesichtsfarbe. Die Augen saßen zudemso eng beieinander, daß ihr Blickfeld unge-wöhnlich schmal begrenzt sein mußte.

Drei Bleichhäutige waren mit dem Schiff

gekommen, einer von ihnen hob seine Waf-fe. Die Abstrahlmündung zielte unmißver-ständlich auf den Prospektor.

»Noch nie einen Galaktiker gesehen,Freundchen? Na klar, wie solltest du. Aberdu bist auch nicht gerade mein Schönheits-ideal. Wir wollen Imprint-Ware, kapiert?Rück das Zeug endlich raus, und dann verratuns, wo wir mehr davon auftreiben.«

»Vielleicht bei den Hamamesch …«»Das hat nicht geklappt. Deshalb bist du

an der Reihe.«Ein schwach gepolter Zugstrahl setzte sie

in der Schleusenkammer ab. Ungeduldigwarteten die Fremden auf den Druckaus-gleich.

»Die schönsten Stücke sind für uns«, be-hauptete der mit der Waffe und klappte alserster seinen Helm zurück. »Wo ist das Ver-steck?«

Sie waren verrückt wie gierige Borramos.Was sie fanden, warfen sie achtlos beiseite.Vorerst waren das lediglich abgenutzte,schrottreife Ausrüstungsgegenstände. Be-griffen sie denn nicht, daß sie in wertlosemPlunder wühlten?

Schmerzhaft bohrte sich die Strahlwaffeunter die Brustplatten des Stuuhrs. »Redschon, Bursche! Erst will ich deinen Namenwissen und dann das Versteck. Na los, wor-auf wartest du?«

»Nbltsgndpfrdbrms«, sagte Nbltsgndpfrd-brms.

Der Translator versagte bei dem Versuch,den Namen in eine verständliche Lautfolgezu übertragen. »Keine Übersetzung mög-lich«, verkündete der Servo. »Vorschlag:Wegen der akustischen Ähnlichkeit das alt-terranische Wort Bremse als Synonym ver-wenden.«

»He!« brüllte der Galaktiker. »Der Bur-sche will uns verarschen.«

Mittlerweile war der Stuuhr zu der umfas-senden Erkenntnis gelangt, daß die Fremdenim Kopf nicht ganz richtig waren. Dasmachte ihr Verhalten zwar nicht verständli-cher, doch es entschuldigte manches.

»Red endlich!« kreischte sein Gegenüber.

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Nbltsgndpfrdbrms reagierte hart undschnell. Seine Fäuste schossen vor, schlugendie Waffe zur Seite, und als sich gleichzeitigder todbringende Schuß löste, verflüssigtedie Thermoenergie nur einen Teil der ange-häuften Ausrüstung.

Der Galaktiker taumelte unter dem uner-warteten Angriff; er versuchte zwar noch,die Arme hochzureißen, aber der Stuuhrahnte die Bewegung schon im Ansatz. Inein-ander verkrallt stürzten sie zu Boden.»Bremse« schlug blindlings und unnachgie-big zu. Im nächsten Moment riß er die Waf-fe an sich, wirbelte herum und feuerte aushalb aufgerichteter Position.

Der Impulsstrahl streifte einen der heran-stürmenden Galaktiker. Dem Mann wurdenförmlich die Beine unter dem Leib wegge-rissen. Schreiend wälzte er sich am Boden,während sich das Material seines Anzugsblasenwerfend über der Wunde schloß. Dendritten Angreifer schlug der Stuuhr mit derWaffe nieder.

»Energetische Entladung an Bord«, mel-dete der Computer. Auch er war längst über-holungsbedürftig.

An die Kugelraumer denkend, hatte derProspektor ganz andere Sorgen. »Alarmstartvorbereiten!« rief er und zerrte die Bewußt-losen in die Schleusenkammer. Er schloß ih-re Helme.

»Die Schürfaggregate wurden noch nichtabgebaut«, erinnerte der Bordrechner.

Unwichtig! Zumindest vorerst. Und keineAntwort wert.

Der Druckausgleich erfolgte viel zu lang-sam. Nbltsgndpfrdbrms überbrückte die Si-cherheitskontrolle. Als das Außenschottendlich aufglitt, wirbelten die Fremden da-von. Der Prospektor sah es schon nichtmehr, er hastete den Mittelgang entlang undwarf sich in den Pilotensessel. Die Neutrali-satoren heulten auf. Durchschlagende An-druckkräfte preßten ihn in die Polster.

»Absorberdefekt!« krächzte die mechani-sche Stimme.

Falls die Galaktiker schnell waren, eröff-neten sie in dieser Sekunde das Feuer. Mit

aller Kraft stemmte der Stuuhr sich nachvorne, hob die Arme. Schwer fielen seineFinger auf die Flugkontrollen.

Fast gleichzeitig ein Aufblitzen auf denBildschirmen – flüchtig nur, doch beinahetödlich.

Zum zweitenmal riß der Prospektor seinwinziges Schiff aus dem Kurs. Der Welt-raum begann sich zu überschlagen, gleißen-de Strahlbahnen irrlichterten durch dasNichts. Sie lagen gefährlich nahe.

Für einen Augenblick geriet der Asteroidin den Sichtbereich. Ein Impulsschuß hatteden öden Felsbrocken getroffen, die Kristal-le begannen aufzuglühen.

Ein unglaublicher Verlust.Die Kugelraumer wanderten ins Zentrum

der Schirme. Noch zigtausend Kilometerentfernt, doch rasend schnell wurden siegrößer.

Der Stuuhr hielt auf das mittlere Schiffzu, auf das hell erleuchtete Rechteck desHangars. Er würde den Fremden zeigen, daßmit ihm nicht zu spaßen war.

Sie hatten den Beschuß eingestellt. Warsein Schiff schon zu nahe? Massig undschier unüberschaubar wuchs in der opti-schen Vergrößerung die Kugelzelle vor ihmauf.

Zwei Torpedos waren scharf und ab-schußbereit. Der Stuuhr aktivierte sie im al-lerletzten Moment, bevor er sein Schiff mithöchsten Beschleunigungswerten aus demKurs riß.

Die stählerne Kugel fiel unter ihm zurück,eine zweite schob sich ins Bild. Er raste mit-ten zwischen ihnen hindurch.

Hinter ihm zündeten die Torpedos. DerProspektor schrie enttäuscht auf, denn dieSprengsätze waren weit vor dem geöffnetenHangar detoniert, ohne Schaden anzurichten.

»Jetzt Hyperraum-Eintritt möglich«,plärrte der Computer.

Vorbei der Traum von einem neuen Schiffmit besserer Technik. Das Kristallvorkom-men war vernichtet.

Verbissen aktivierte der Stuuhr den Über-lichtantrieb.

Als Rebell geboren 15

4.

Der Sturm war eisig und peitschte denSchnee heran. Schaurig klang sein Heulenzwischen den Felsen.

Coram-Till zog den Pelzkragen enger umdie Schultern. Er fror erbärmlich und sehntesich nach einer warmen Heizung sowie ei-nem heißen Getränk, das seine absterbendenSinne neu belebte. Doch ihm wäre niemalsin den Sinn gekommen, jetzt aufzugeben. Ermußte durchhalten.

Sein Blick huschte über die Höhlen, wan-derte höher, hinauf zu den scharfkantigen,halb verschneiten Graten. Am Fuß der Fel-sen lauerten die »Hamamesch«, er konnteihre Nähe beinahe spüren. Vor allem mußteer an ihnen vorbei, um den rettenden Gleiterzu erreichen, mußte besser sein als dieseAusgeburten des Bösen …

Coram-Till kämpfte gegen den Sturm an,der ihm das Gesicht zerschnitt und die Fin-ger absterben ließ. Er schlug einen weitenBogen, quälte sich durch unwegsames, wildzerklüftetes Gelände. Schroffe Felsvorsprün-ge, eisig glatte Kanten, an denen er kaumHalt fand. Nur sein eiserner, unbeugsamerWille hielt ihn in der steilen Wand. Lieberwürde er sterben als aufzugeben.

Endlich entdeckte er die beiden»Hamamesch«. Sie starrten nach Westen,wußten, daß er aus keiner anderen Richtungkommen konnte, weil das Gelände halsbre-cherisch war. Ihre Paralysatoren waren ent-sichert.

Lange würde er sich nicht mehr haltenkönnen. Ein paar Zentimeter noch … Errutschte und sprang gleichzeitig, prallte ge-gen einen der beiden »Hamamesch« undschlug ihm die Faust an die Schläfe. Gur-gelnd sackte der Gegner zusammen.

Der andere riß seine Waffe herum, dochda schnellte Coram-Till schon nach vorneund hebelte ihn aus … Ein gellender Schrei:»Du brichst mir den Arm! Hör auf!«

Er blinzelte, hatte Mühe, sich zurechtzu-finden. Die Bilder der Vergangenheit und

der Gegenwart – Düsternis, ein matt schim-mernder Bildschirm, Technik – vermischtensich zu einem bunten Konglomerat.

»Kahma-Jorg?« Der heisere Klang der ei-genen Stimme erschreckte ihn. Erst jetzt ak-tivierte die Automatik das Licht.

Coram-Till saß steil aufgerichtet am Randseiner Schlafkoje. Mit einer fahrigen Hand-bewegung wischte er sich über den Schädel.Er hatte geträumt. Von seiner Kindheit aufNirgon.

»Cryper schlägt Hamamesch«, murmelteer gedankenverloren. Wie lange lag das in-zwischen zurück? Fünfunddreißig Jahre. Da-bei erschien es ihm, als hätte er das beliebte-ste Spiel seiner Jugend erst gestern gespielt.Acht war er gewesen und hatte in der Aus-bildung sogar die Älteren geschlagen.

In wenigen Tagen würde er wieder bewei-sen, was er damals gelernt hatte. Den Hama-mesch stand eine neue Schlappe bevor.

Coram-Till versuchte erneut einzuschla-fen. Doch eine innere Unruhe quälte ihn.Stimmen wisperten unter seiner Schädel-decke, Erinnerungen, die ihm die nötige Ru-he verweigerten.

»… kämpften die Hamamesch-Han-delsfürsten bis zum letzten Blutstropfen ge-gen Olkheol, der vor rund 1200 Jahren bei-nahe ganz Hirdobaan erobert hätte. Wie eseiner der Guerilla-Gruppen gelang, auf sei-ner Zentralwelt Pendregge zu landen undwas dort geschah, ist unbekannt – nur daßPendregge kurz darauf explodierte und Olk-heol und seine Kerntruppen vermutlich inden Tod riß.

Im sogenannten Frieden von Pendreggewurde als Konsequenz des Krieges ein abso-lut strikter Regelkodex geschaffen, der Hir-dobaan in die acht Händlerreiche aufteilteund den Verkehr der Hamamesch-Völkeruntereinander regelte …«

Unruhig wälzte der Rebellenführer sichauf seinem Lager. Er fand den Schlaf nicht,nach dem er sich sehnte; seine Gedanken be-schäftigten sich mit dem bevorstehendenBeutezug und schweiften zugleich in dieVergangenheit ab.

16 Hubert Haensel

»… natürlich wäre es jedem Hamameschmöglich, die selbstgesteckten Grenzen zuverletzen. Doch ein strenger Ehrenkodex,der nie gebrochen wird, verhindert das. –Coram-Till, träumst du? Steh auf und erzähluns, was dich ablenkt.«

Die Erzieherin war eine strenge, aber ge-rechte Frau. Wie sie stellte er sich seineMutter vor, die er leider nie gekannt hatte.

»Ich denke über die Hamamesch nach«,sagte er. »Jeder Händler würde eher ster-ben, als die Grenzen eines Oktanten zu über-schreiten. Und genau das ist unser großerVorteil: Wir Crypers unterliegen keiner Be-schränkung.«

Er schaffte es nicht, den Schlaf herbeizu-sehnen. Also erhob er sich, streifte eineleichte Kombination über und suchte dieZentrale auf. Hirdobaans Sterne leuchtetenihm matt von den Schirmen entgegen.

»Wie lange noch?« wollte er wissen.Moin-Art wandte sich im Hochsitz um.

»In zwei Tagen treffen wir auf fünfzehnSchiffe, die sich zwischen Perm und Am-mach sammeln.«

Hirdobaan, die Brutstätte des Bösen. Keinvernünftiger, aufrechter Cryper würde je inder Kleingalaxis siedeln, geschweige dennhätte er dort geboren sein wollen. Daß den-noch Crypers in Hirdobaan lebten, betrach-tete Coram-Till als notwendiges Übel. Nachaußen hin hatten sie sich den Hamameschuntergeordnet und erhielten von den Händ-lern gegen entsprechendes Entgelt sogarhochwertige Technik. Viele der Cryperssympathisierten jedoch mit den Rebellen ausQueeneroch und arbeiteten insgeheim mitihnen zusammen. Aber mehr als das gab esnicht, keine übermäßig freundschaftlichenKontakte und schon gar keine gemeinsamgezeugten Nachkommen.

Die NIKKEN blieb auf Schleichfahrt, bisauf die unerläßlichen Ortungen waren alleSysteme auf ein Minimum zurückgefahren.

»Außergewöhnlicher Schiffsverkehr imZielgebiet?«

»Keine Besonderheiten«, bestätigte Moin-Art. »Ich würde es dich sofort wissen lassen.

Der Überfall ist eine Nummer größer als dieEroberung unseres Flaggschiffs.«

»Zweifelst du nach wie vor am Erfolg?«fragte Coram-Till lauernd. »Haben wir nichtimmer alles erreicht, was wir wollten?«

Wir werden auch in Zukunft geschicktesTaktieren und Glück miteinander vereinen,fügte er in Gedanken hinzu. Eines Tageswürde er sogar den geheimnisvollen Masch-taren gegenübertreten, von denen es hieß,daß sie die eigentlichen Machthaber in Hir-dobaan waren.

Erneut schweiften seine Gedanken ab, zu-rück in die Jugend. Begierig hatte er stets al-les Wissen in sich aufgenommen und sichnie mit Erreichtem zufriedengegeben.

Die Stille der Nacht barg tausend Stim-men. Er lauschte dem Knacken in den Wän-den, den Stimmen der Erzieher, die sich aufdem Korridor unterhielten, aber vor allemdem fernen Donnern der Raumschiffe, die inder Dunkelheit wie Sternschnuppen über dasFirmament zogen. Seine Sehnsucht galt denendlosen Weiten zwischen den Welteninseln.Aber dort draußen lauerte auch das Böse: InHirdobaan lebten die Mörder seiner Eltern…

»Jetzt!« vernahm er hinter sich eine flü-sternde Stimme. Bevor er reagieren konnte,waren sie über ihm. Einer rammte ihm dieKnie in den Leib, ein anderer zerrte ihm dieArme auf den Rücken, und der dritte drückteseinen Kopf in die Kissen, daß er glaubte,ersticken zu müssen.

»Gefällt dir das, Coram-Till? Diesmalbist du nicht der Bessere – diesmal siegenwir!«

Vergeblich versuchte er, sie abzuschüt-teln. Kahma-Jorg lachte dumpf. »Weißt dunoch, daß du mir den Arm ausgekugelt hast?Das kann ich nicht vergessen.«

Der Schweiß brach Coram-Till aus allenPoren. Er bekam keine Luft mehr, in seinenOhren rauschte das Blut wie ein Wasserfall.

Kahma-Jorgs Stimme klang gefährlichleise: »Immer waren wir die Hamamesch.Das ist nun vorbei. Du, Coram, spielst heuteden Bösen.«

Als Rebell geboren 17

Ungestüm schlugen sie auf ihn ein. DerSchmerz wurde unerträglich, als wollten sieihm die Schuppenhaut in Fetzen reißen. Siewaren wie die Hamamesch für Coram-Till,feige und nur in der Überzahl stark.

»Wir töten dich, Hamamesch!«Langsam schwanden ihm die Sinne, er

spürte die Fäuste kaum noch, die ihn trak-tierten. Aber kein Erzieher betrat denSchlafsaal und machte der Qual ein Ende.

»Ich glaube, er hat genug.«»Unsinn. Macht ihn fertig, den verfluch-

ten Hamamesch!«Crypers starben einsam. Weil sie gegen

das System rebellierten. Ihr Leben war einimmerwährender Kampf. Aber ohne Kampfkein Leben.

Mit einer letzten, schier übernatürlichenAnstrengung bäumte Coram-Till sich auf.Der Kerl auf seinem Rücken kippte zur Seiteund behinderte für einen Moment die beidenanderen. Coram-Till kam auf die Knie; dieHände ineinander verschränkt, wirbelte erherum und rammte dem völlig überraschtenKahma-Jorg die Fäuste unters Kinn. Gur-gelnd kippte er nach hinten.

Coram-Till ließ die anderen nicht mehrzur Besinnung kommen. Als seine Fäustebluteten, setzte er sich mit Ellenbogen undKnien zur Wehr, und seine Widersacher sa-hen anschließend um einiges schlimmer ausals er selbst.

Hoch aufgerichtet und stolz stand er end-lich über ihnen und starrte sie herausfor-dernd an. »Ihr seid die Hamamesch«, stießer keuchend hervor. »Ihr werdet einen eh-renhaften Crypernie besiegen können.«

Von da an respektierten sie ihn und seineErfolge.

Ein kodierter und geraffter Funkspruchtraf ein. Fünf weitere Einheiten waren imAnflug auf den Treffpunkt.

Trotz seiner inneren Unruhe war Coram-Till zufrieden.

5.

»Fehlfunktion!« schnarrte die künstliche

Stimme des Bordrechners. Übergangslos fieldas Prospektorenschiff aus dem. Hyperraum.»Feuer im Triebwerkssektor, Löschsequenzausgelöst. Feuer im Triebwerkssektor,Löschsequenz …«

»Es reicht, ich habe verstanden.« Benom-men massierte der Stuuhr sich den Kopf.»Welche Distanz haben wir zurückgelegt?«

»Feuer im Triebwerkssektor …«, rattertedas Bordgehirn.

Er unterdrückte das quälende Bedürfnis,mit bloßen Fäusten die Konsole zu zerlegenund alle elektronischen Bauteile in denMüllschlucker zu werfen. Das hätte ihmzwar Genugtuung verschafft, ansonsten abernichts zum Besseren verändert. Endlichbrachte der Bordrechner die Mitteilung, daßder Rücksturz nach 172 Lichtjahren erfolgtwar. Kurs lag an Richtung Vankanton-Ok-tant.

»Löschvorrichtungen deaktiviert. Weite-rer Handlungsbedarf besteht nicht.«

»Schadensmeldung!« forderte der Stuuhrunbewegt.

»Die Aggregate sind versiegelt.«»Aber es gibt eine Ursache für den Rück-

sturz?« Irgendwann würde der Computer ihnzur Verzweiflung treiben. Leider ließ derVertrag eine vorzeitige Stornierung nur un-ter beträchtlichen finanziellen Einbußen zu.Hamamesch wußten, wie man Verträge ab-schloß.

»Mehrere Möglichkeiten«, antwortete dasRechengehirn.

»Gib mir eine Auflistung nach Wahr-scheinlichkeit!«

Über die Monitoren inspizierte der Stuuhrdie Triebwerkssektion; das Feuer schieneinen der Kompensatoren verwüstet zu ha-ben. Nur mit halbem Ohr registrierte er denBericht des Bordcomputers.

»…Überlastung durch gegnerischen Be-schuß; 33 Prozent Überalterung der Materi-alstruktur im gesamten Überlichtsystem;zwölf Prozent Zusammenwirken beider Fak-toren. Der Austausch oder eine Wiederher-stellung des Kompensators wird dringendangeraten, andernfalls ist ein dauerhafter

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Ausfall des Überlichtantriebs wahrschein-lich.«

So hervorragend der Tag begonnen hatte,so böse schien er enden zu wollen. Der Pro-spektor besaß nicht einmal mehr sein hoch-wertiges Schürfgerät, das er im Falle einesAustausches für die vereinbarte Abstands-zahlung hätte veräußern können. Anderer-seits war er auf sein Schiff angewiesen. EinTeufelskreis.

Die kostengünstigste Lösung einer Repa-ratur war gefragt. Nichts anderes kam ange-sichts seiner desolaten Finanzlage in Be-tracht.

Eine Auflistung aller im Umkreis vonfünfzig Lichtjahren verzeichneten Sonnen-systeme brachte den Stuuhr einen gehörigenSchritt weiter. Das Drei-Planeten-SystemKillam entsprach seinen Wünschen, zumaler bis Killam mit der Recyclingwelt Mom-men nur lächerliche 38 Lichtjahre zu über-winden hatte.

Der erste Versuch, erneut in den Über-lichtflug zu gehen, mißglückte. Nur mitdeutlich erhöhtem Energieaufwand gelangder Übertritt.

Sekunden nachdem das Prospektoren-schiff aus dem Normalraum verschwundenwar, materialisierten drei250-Meter-Kugelraumer.

*

Erst weit nach Überschreiten der Umlauf-bahn des inneren Planeten endete die Über-lichtetappe. Die Verwünschung, die dem un-zuverlässig arbeitenden Triebwerksblockgalt, blieb dem Prospektor im wahrsten Sin-ne des Wortes im Halse stecken: Sehr vielnäher an der Sonne hätte er den Hyperraumnicht verlassen dürfen.

Die von seinem Hamamesch-Berater nochvor wenigen Jahren als Non-Plus-Ultra imBereich kleiner Raumschiffsbauten ange-priesene Technik (nur deshalb hatte der Pro-spektor einen 20-Jahres-Vertrag unterzeich-net) zeigte bedenkliche Ausfallserscheinun-gen. Bis das Schiff endlich den Schwer-

kraftsog der nahen Sonne überwand,schwitzte er Blut und Wasser.

Er würde auf vorzeitige Entlassung ausdem Vertrag drängen. Mit gutem Zureden –er massierte seine Fäuste, bis die Knochenknackten – mußte der Jondoron-Hamameschzu überzeugen sein, daß es durchaus auch inseinem Sinn war, den Vertrag ohne zusätzli-che Kosten aufzulösen.

»Halsabschneider!« schnaubte er wütend.»Dir werde ich zeigen, was es heißt, einemStuuhr schlechte Ware anzudrehen.«

Innerhalb des Killam-Systems gab esrecht reger Flugbetrieb – ein Schmelztiegel,in dem viele der raumfahrenden Völker Hir-dobaans vertreten waren: stabförmige Pat-ruskee-Schiffe ebenso wie die immer ir-gendwie im Bau oder in Reparatur befindli-chen verschlungenen Konstruktionen derStelzmakalies, dazu schrottreife Handelsrau-mer der Nischdrich. Dazwischen bauchigeHamamesch-Schiffe, zum Teil mit ange-flanschten Containern. Mommen hatte sichin den vergangenen Jahren einen guten Ruferworben.

Auf dem Hauptbildschirm erblühte dasLogo der Recycler – eine Werbesendung,lichtjahreweit zu empfangen. Mommen wur-de in einprägsamen Bildern vorgestellt. MitTexten, die marktschreierisch die Rücknah-me aller Arten von Gebrauchsgegenständenverkündeten, angefangen von abgenutztemKinderspielzeug bis hin zum abzuwracken-den Großraumfrachter. Abholung von Groß-posten vor Ort; faire Preise, wie sie nur derMereosch-Oktant bieten konnte; ein schnel-ler und ebenfalls kostengünstiger Reparatur-dienst. Defekte Kleinteile, auch auf Grenz-länderstationen erworbene Ware, wurdengegen geringes Aufgeld ausgetauscht.

Mitten in einer Wiederholungsschleifebrach die Werbung ab. Eine Sprecherin ver-kündete, daß vorerst sämtliche Kapazitätenausgelastet seien. Hilfesuchende undSchrottverwerter, die Mommen in dieserZeit anzufliegen gedachten, sollten ihr Vor-haben auf einen anderen Termin verschie-ben.

Als Rebell geboren 19

»Ausblenden!« befahl der Stuuhr. Erdachte überhaupt nicht daran, der Aufforde-rung nachzukommen und seine Zeit mitNichtstun zu vergeuden.

Der Versuch, eine Funkverbindung zuschalten, heizte seine gereizte Stimmungweiter an. Eine kleine Ewigkeit verging, bissein Anruf endlich angenommen wurde. Ei-ne Bildverbindung unterblieb jedoch.

»Mommen ist für die kommenden Tagegesperrt«, begründete das eine unwirscheStimme. »Hast du die Mitteilung nicht emp-fangen?«

»Mein Antrieb ist defekt«, versetzte derProspektor, ohne auf die Frage einzugehen.

»Gedulde dich einige Tage, dann wird direin Platz zugewiesen.«

»Halt, warte!« stieß der Stuuhr hervor, be-vor sein Gesprächspartner unterbrechenkonnte. »Ich denke nicht daran, eipe unsin-nige Aufforderung zu befolgen. Auf Mom-men wird sich wohl ein Landeplatz für meinProspektorenschiff finden.« Wie alle seinesVolkes sprach er das Hamsch in zwar abge-hackten, aber korrekt modulierten Worten.

Offenbar hatte der Hamamesch erst jetztrichtig hingehört. Zumindest wurde seinTonfall eine Nuance verbindlicher. »Ich ge-he auf Bildübertragung.«

Er will sich überzeugen, schoß es demStuuhr durch den Sinn, als ein zerknittertwirkendes Fischgesicht auf dem Schirm er-schien.

»Warum hast du nicht gesagt, wer dubist?« erkundigte sich der Hamamesch, einklein wenig zuvorkommender.

»Hätte das etwa die Abwicklung be-schleunigt?«

Der Hamamesch wand sich vor Seelen-pein. Nervös rutschte er auf seinem Hochsitzhin und her.

»Du weißt gar nicht, wie sehr ich es be-dauere …«

»Leere Worte reichen nicht, Hamame-sch!«

»…wie sehr ich es bedauere«, fuhr der an-dere verbindlich fort, »ausgerechnet einemStuuhr einen Wunsch abschlagen zu müssen.

– Aber vielleicht«, fügte er hastig hinzu,»kann ich dir für übermorgen einen Lande-platz reservieren.«

»Heute!« schnaubte Nbltsgndpfrdbrms.»Ich lasse mich nicht vertrösten.«

»Versteh doch«, bat der Hamamesch, »ichtue für dich alles in meiner Macht stehende.Übermorgen …«

»Wer hat auf Mommen das Sagen?«»Gunion, aber …«»Verbinde mich mit ihm!«Der Hamamesch wand sich vor Unbeha-

gen. »Das ist unmöglich. Der Verwalter in-spiziert erst vor kurzem eingetroffene Mate-rialien.«

»Dein Gesicht werde ich mir merken. Ichbin sehr nachtragend.«

Wortlos schaltete der Mann weiter, umden unbequemen Stuuhr endlich loszuwer-den. Stuuhr galten als reizbar und schwierig.

»… ich sagte nein!« Eine fremde Stimmeerklang, mitten aus dem Satz herausgerissen.

Abrupt wechselte das Bild.»Du bist Gunion?« begann der Prospek-

tor, ehe der Verwalter Gelegenheit fand, sichauf die verfängliche Situation einzustellen.»Ich bin hier, um dringende Reparaturenvornehmen zu lassen. Zu meinem Ärgernis…« Den Satz ließ er absichtlich unbeendetin der Luft hängen.

»Wirklich dringende Reparaturen?« hakteGunion nach. Ihm war anzusehen, daß erherzlich wenig Lust auf einen Streit mit demStuuhr hatte. Wenigstens um den Schein zuwahren, zögerte er noch, bevor er zustimm-te. »Zwei Techniker stehen für deine Wün-sche bereit.«

6.

Übergangslos wich das charakteristischeFlirren des Metagravflugs dem gewohntenAbbild der Sterne.

Die PANDORA, ein 250 Meter durch-messender Raumfrachter mit äquatorialem»Roll-on-Roll-off«-Hangar, hatte sich wäh-rend der kurzen Überlichtetappe um mehrereMillionen Kilometer von den Begleitschif-

20 Hubert Haensel

fen entfernt. Die Korrektur wurde umgehendeingeleitet.

»Keine Ortung im Sinne der Anfrage«,ließ der Syntron vernehmen. »Das Objekthat die errechneten Koordinaten bereits ver-lassen.«

»Verdammt!« Tamiel Androsch fühltesich wie kurz vor einem gewaltigen Knall.Nur die Tatsache, daß seine linke Hand tiefin der Hosentasche steckte und sein Heilig-tum umklammerte, verhinderte einen Tob-suchtsanfall.

»Das kleine Schiff hatte bestimmt nichtgenügend Waren für uns alle an Bord«, ver-setzte Iona Tormonen. »Warum also unnötigZeit vergeuden, die wir sinnvoller nutzenkönnten?«

»Wir haben einen Mann verloren«, argu-mentierte er schwach. »Sein beschädigterRaumanzug hat dem Vakuum nicht standge-halten. Wir haben eben keine SERUNS.«

»Hast du ihn gekannt?« Ionas tiefliegen-den Augen loderten in verzehrendem Feuer.Langsam fuhr sie mit beiden Händen durchihr kupferfarbenes Haar. Auch ohne weitereWorte verstand Androsch.

Iona Tormonen stammte von Ferrol undgehörte damit einer Zivilisation an, dieschon lange vor der Menschheit die interpla-netare Raumfahrt betrieben hatte, jedoch nieüber die Grenzen des eigenen Sonnensy-stems hinausgekommen war. Sie war einebemerkenswerte, zielstrebige Frau, die ande-re mitzureißen verstand. So wie sie ihn, jah-relang nur Lademeister auf der PANDORAund ohne Ambitionen zu Höherem, um denFinger gewickelt hatte: erst, als sie Mittelund Wege gefunden hatte, den Hamamesch-Ba-sar MATMATA in der Tolot-Ballung zu be-suchen, 40.200 Lichtjahre von Sol entfernt –Androschs Linke verkrampfte sich noch fe-ster –, und später, als sie unnachgiebig dar-auf gedrängt hatte, nach Hirdobaan zu flie-gen. Über gewaltige 118 Millionen Lichtjah-re hinweg. Der schönsten und preiswertestenWaren wegen, die das Universum je gesehenhatte.

Nur ein Teil aller Raumschiffe in der

Milchstraße war ausgerüstet, den Hamame-sch in ihre Heimatgalaxis zu folgen. DiePANDORA war eines dieser Schiffe. Ionahatte Tamiel Androsch überredet, den Frach-ter zu kapern, sie war hinter allem die trei-bende Kraft.

Um ihre Frage zu beantworten, Tamielhatte den Toten bestenfalls flüchtig gekannt.Nur wenige Mitglieder der ursprünglichenBesatzung befanden sich noch an Bord,kaum hundert an der Zahl. Allen anderenfühlte er sich in keiner Weise verpflichtet.

Lächelnd zog er die Hand aus der Tascheund betrachtete die gerade fünf Zentimeterdurchmessende transparente Kugel. Sie bargein Konglomerat ineinander verschachtelterTreppen, Durchlässe und Nischen. Ein Ge-schicklichkeitsspiel, bei dem es darauf an-kam, einen winzigen silbernen Würfel durchdas Labyrinth zu bewegen.

Heftig schüttelte Tamiel die Kugel. Es ge-lang ihm nicht, auch nur das erste Hinderniszu überwinden. Seine Hand zitterte leicht.Allerdings entsann er sich, daß er tagelangnichts anderes getan hatte, als den Würfelins Ziel zu bringen. Und das ohne die ge-ringste Anstrengung; es war unbeschreiblichschön gewesen.

»Tamiel!« Wie durch ein Meer von Wattehindurch drang Ionas Stimme an sein Be-wußtsein. »Tamiel, hörst du mir überhauptzu?«

Aus einem herrlichen Traum holte sie ihnin die ernüchternde Realität zurück, in derdas Labyrinth sein Flair längst verloren hat-te. Entgeistert starrte er die Ferronin an –und dann, einer jähzornigen Aufwallung fol-gend, schleuderte er die transparente Kugelgegen die Wand. Es gab ein gräßlich knir-schendes Geräusch, als zersplittere Glas.

»Nein«, krächzte Tamiel entsetzt. »Das… das wollte ich nicht.« Im nächsten Mo-ment kniete er am Boden und wischte mithastigen Bewegungen die kläglichen Über-reste der Kugel zusammen. Tränen desZorns und der Hilflosigkeit verschleiertenseinen Blick. Er hatte das Wertvollste zer-stört, was er je besessen hatte.

Als Rebell geboren 21

Wütend wischte er Ionas Hand von seinerSchulter.

»Du bist schuld«, keuchte er.»Deinetwegen …«

Eisig kalte Flüssigkeit klatschte in seinGesicht und beendete seine Tirade. Ernüch-tert registrierte Androsch, daß die Ferronineinen Trinkbecher in den Abfallvernichterwarf.

Ihre Haltung war eine einzige Herausfor-derung. »Sieh dir das Holo an! Danachweißt du hoffentlich, was wir zu tun haben.«

Zuerst konnte er nicht viel mit den Bil-dern anfangen. Impressionen von der Ober-fläche eines offenkundig atmosphärelosenMondes oder Planeten wurden gezeigt. Dazuredete ein Hamamesch.

»Dokumentationen über Hirdobaan-Wel-ten interessieren mich einen Dreck, sonderneinzig und allein Imprint-Ware«, schimpfteTamiel Androsch.

»… bieten wir Reparaturen von Warenjeglicher Art und Preisklasse«, sagte der Ha-mamesch in dem Moment.

Der ehemalige Lademeister der PANDO-RA stutzte. Plötzlich galt seine uneinge-schränkte Aufmerksamkeit dem Holo-gramm. Die Splitter der Plastikkugel hielt erfest umkrampft in der Hand; er bemerktenicht, daß nadelscharfe Spitzen seine Fingerzerschnitten und Blut auf den Boden tropfte.Die gesamte Zentralebesatzung starrte dasHologramm an, als hätten sie alle, Ferronen,Unither, Arkoniden, Swoons, Topsider undTerraner, nie eine schönere Sendung gese-hen.

»… auf Mommen werden Besucher mitoffenen Armen empfangen und individuellberaten …«

»Das genügt!« Beifall heischend, blickteAndrosch in die Runde. »Wir fliegen dieseWelt an.«

Ein Topsider stimmte ein grollendes La-chen an, die anderen fielen ein. So hatten dieMänner und Frauen zuletzt beim Anflug aufden Hamamesch-Stützpunkt gelacht, 10.000Lichtjahre von Coma-6 entfernt. Doch dies-mal würde alles anders sein. Keine neue

Enttäuschung, dafür die gesuchten Waren inHülle und Fülle.

»Wie … finden wir diese Welt?« rief einhelles Stimmchen. Einer der Swoon war aufeine Konsole geklettert und präsentierte hef-tig gestikulierend seine 30 Zentimeter Kör-perlänge. »Ich kann nicht mehr lange war-ten.«

Iona Tormonen bat um Ruhe.»Die Laderäume sind mit High-Tech voll-

gestopft, und allein was in den Containernim Hangardeck lagert, wird ausreichen, dieHamamesch in Entzücken zu versetzen. DerSyntronverbund hat den Ausgangsort derDokumentation eingepeül. Wir können inein paar Minuten das betreffende System er-reichen.«

Der Jubel war unbeschreiblich. Dreitau-send Galaktiker, die das Schicksal zusam-mengeführt hatte, triumphierten nun.

Vergessen waren die Strapazen der letztenbeiden Jahre. Menschen, die einander trotzder langen Zeit immer noch fremd waren, la-gen sich plötzlich in den Armen und wein-ten.

*

Über den Syntronverbund gesteuert, wur-de das nächste Überlichtmanöver der dreiKugelraumer trotz mangelnder Erfahrungder Besatzungen zu einem Vorzeigestück.Lediglich dreieinhalb Lichtsekunden überMommen verließen die Schiffe den Hyper-raum.

Die PANDORA bildete die Spitze einerDreiecksformation. Mit jeweils 50.000 Kilo-metern Abstand folgten der epsalische Kreu-zer RIMDAN II, dessen Unterschiff einengeringeren Durchmesser aufwies als dieobere Kugelschale, und die SANSSOUCI.

Beim Anblick der ersten »dicken Hama-mesch-Pötte« brandete erneut Jubel auf. Ein-heiten dieses Typs hatten die galaktischenBasare mit Waren versorgt, mit Containernvoller unvorstellbarerer Herrlichkeiten.Trotzdem wehrte Iona Tormonen spontanab.

22 Hubert Haensel

»Nicht die Frachter anfliegen, Tamiel!Warum sollen wir uns mit einigen Schiffsla-dungen begnügen, wenn es auf dem Plane-ten ein Vielfaches davon zu holen gibt?«

Das Wechselbad der Gefühle ließ An-drosch erschaudern. Zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt schwanktesein Stimmungsbarometer. Eben noch sah ersich in Gedanken durch endlose Basarebummeln, im nächsten Moment öffnetensich in den Wänden verborgene Containerund die in ihnen gestapelten Produkte pras-selten auf ihn herab. Die Flut der Warenschlug wie eine Woge über Tamiel zusam-men und preßte ihm die Luft aus den Lun-gen. Dem Ersticken nahe, begann er um sichzu schlagen, doch die Hanteln, Kugeln undall die undefinierbaren Gegenstände hattensich zu einer unüberwindbaren Mauer ver-keilt. Verzweiflung und Panik. DanachGlückseligkeit.

Tamiel Androsch erstickte in einem Meerherrlicher Waren. Nie war ein Mensch vorihm einen schöneren Tod gestorben. Ernahm das Glücksgefühl mit hinüber in dieWelt jenseits allen Vorstellungsvermögens.

Ein kurzer, kaum wahrnehmbarer ste-chender Schmerz, begleitet von leisem Zi-schen … Neue Empfindungen brachen überihn herein. Eine quälende Enge im Brust-korb. Er keuchte, rang nach Atem, war nahedaran, sich zu übergeben.

Wie aus weiter Ferne hörte Tamiel jeman-den seinen Namen rufen. »Seine Psyche istangegriffen«, sagte die Stimme. »Jede Auf-regung ist in diesem Zustand Gift für ihn.Der Herzstillstand war eine ernste War-nung.«

Tamiel Androsch öffnete die Augen. Übersich sah er das Gesicht eines Medoroboters.Abrupt setzte er sich auf. Die Liege aus For-menergie paßte sich seiner neuen Haltungan.

»Keine Hektik«, warnte der Roboter. »Ichwerde dir ein Sedativum …«

»Laß die Finger weg!« brüllte Androsch.»Keine zweite Injektion!«

Besänftigend redete der Medorobot auf

ihn ein. Doch Tamiel wollte sich nicht beru-higen, er riß seinen Strahler hoch und feuer-te aus nächster Nähe auf den Roboter, dersein Schirmfeld nicht aktivierte, weil er un-weigerlich die Menschen neben ihm gefähr-det hätte. Androsch lachte schrill, als dasBioplastgesicht sich auflöste.

»Syntron, Landung auf Mommen einlei-ten! Wir haben es verdammt eilig.«

Im Holo waren längst Ausschnitte derPlanetenoberfläche zu erkennen: eine grau-braune Wüste aus nacktem Gestein und un-fruchtbarer Erde. Es gab keine Meere, Seenoder gar Wälder, nur ausgedehnte Lagerplät-ze, Landefelder und miteinander verwachse-ne Kuppelbauten.

Ein Hamamesch meldete sich über Funk.»Sicherheitskontrolle. Erbitte Identifizie-rung.«

»Wir sind Galaktiker!« brüllte Androschin das entstehende Akustikfeld. »Wir wollenvon euch Imprint-Waren kaufen, nichtssonst. Hörst du schlecht, Fischgesicht? Gibuns Landekoordinaten für einen Basar!«

»Die Landung wird untersagt und ein Par-korbit zugewiesen. Ein Verstoß gegen dieseAnordnung …«

Erst wurde der Terraner bleich, danachfeuerrot im Gesicht. »Du aufgeblasener Rie-senhering, glaubst du, wir lassen uns irgendetwas verbieten? Der weite Weg hat uns fastzwei Jahre unseres Lebens gekostet, dukannst uns nicht wie unmündige Kinder ab-weisen. Außerdem verfügen wir über Zah-lungsmittel, High-Tech in Hülle und Fülle,alles was ihr wollt – aber gebt uns endlichImprint-Waren dafür.« Seine Stimme warschrill geworden, hastig hatte er geredet, oh-ne Punkt und Komma. Überrascht blickteder Hamamesch auf.

»Akustikfeld zu mir!« Auch Iona Tormo-nens Gesicht war hektisch gerötet, als siesich an den Hamamesch wandte.

»Wann können wir landen?« wollte siewissen.

»Frühestens in drei Tagen. Die Abferti-gung erfolgt in der Reihenfolge der Warteor-bits.«

Als Rebell geboren 23

Lautstarker Protest regte sich. Doch dieFerronin brachte die Männer und Frauen miteiner herrischen Geste zum Schweigen.

»Weis uns einen Parkorbit zu«, bat sie.Minuten später schwenkten die Kugelrau-

mer in eine stabile Umlaufbahn um die mer-kurgroße Recyclingwelt ein.

»Die Händler haben ihren Willen«, ver-kündete Iona. »Und wir werden in Kürzeebenfalls bekommen, was uns zusteht.Space-Jets, Shifts und Raumlinsen – wirpacken alles mit Tauschwaren voll und flie-gen damit runter auf die Oberfläche. Ichmöchte den Hamamesch sehen, der danndrei Tage warten kann. Die sind genausoscharf auf unsere High-Tech wie wir auf ih-re unwiderstehlichen Waren.«

*

Mommen war eine atmosphärelose, kahleund wegen der Entfernung zu ihrer Sonneauch kalte Welt. Tief eingegrabene Flußtälerund aus dem All deutlich erkennbare Mee-resbecken verrieten, daß der Planet schonbessere Zeiten gesehen hatte.

In wenigen Jahrzehnten würde die heutenoch schroffe Oberflächenstruktur gänzlichverschwunden sein. Die Recyclinganlagender Hamamesch wucherten wie Krebsge-schwüre, neue Raumhäfen waren im Entste-hen begriffen, gigantische Lagerflächen,Wohnsilos und Werkstattkuppeln – eine ge-waltige Maschinerie, um Schrott aller Art ei-ner Wiederverwertung zuzuführen, Materia-lien zu trennen, zu sortieren und einzu-schmelzen, aber auch alles, was nicht hoff-nungslos defekt war, zu reparieren.

Das Prospektorenschiff landete neben ei-ner ausgedehnten Kuppelanlage. Wie exoti-sche Pilze hoben sich die silbernen Bauwer-ke gegen den nachtschwarzen Weltraum ab.

»Sektor Antas-III«, erklang die seelenloseStimme einer Computereinheit. »Ein Repa-raturteam steht nach Abschluß laufender Ar-beiten zur Verfügung.«

Nbltsgndpfrdbrms war schon wieder un-geduldig, und ein ungeduldiger Stuuhr galt

bei den Völkern Hirdobaans als äußerst un-angenehm. Er war es gewohnt, so gut wieüberall bevorzugt behandelt zu werden.Warten ließ man andere, vor allem Sour-vants und Nischdrich.

Endlich meldete der Bordrechner denAufbau eines Energieschirms über dem Lan-defeld. Wenig später registrierten die Senso-ren eine atembare Atmosphäre außerhalbdes Schiffes. Eine mit zwei Hamamesch-Technikern und einem Roboter bemannteSchwebeplattform verließ die nächstliegen-de Kuppelhalle.

»Wurde ja auch Zeit«, empfing der Stuuhrden Trupp.

Die Hamamesch überhörten den Vorwurfgeflissentlich.

»Was ist defekt?« fragte der Roboter, einezweckmäßige Konstruktion, kugelförmig,mit einem umlaufenden Band unterschiedli-cher Greifwerkzeuge.

»Stellt die Frage andersherum«, gab derProspektor eisig zurück. »Was ist nicht de-fekt?«

»Wir verrichten unsere Arbeit so gut undso schnell wir können«, bemerkte einer derTechniker, ohne sich von der massigen Ge-stalt beeindrucken zu lassen.

Der Stuuhr zwang sich zur Ruhe. Ihm warklar, daß jeder Streit seine Wartezeit aufMommen nur verlängern würde.

»Der Überlichtantrieb arbeitet unregelmä-ßig. Ich denke nicht daran, teuere Raten fürein Produkt zu bezahlen, auf das ich michnicht hundertprozentig verlassen kann.«

Ein nichtssagendes Verziehen der Stirn-falten. Kein Snuort beißt dem anderen einBein ab, durchzuckte es den Stuuhr. DasSprichwort besaß Allgemeingültigkeit. Eiligfolgte er dem Reparaturtrupp in den Antrie-bsbereich.

Während der Roboter sich in Schaltkreiseeinklinkte, inspizierten die Hamamesch dieAggregatblöcke, Umwandler und Gleich-richter … Der Prospektor hatte das Schiffgeleast und wußte, wie man damit umging,aber technische Details waren ihm fremd.

Bald stapelten sich Dutzende abgehobener

24 Hubert Haensel

Verkleidungen in den ohnehin schmalenWartungsgängen, doch die Arbeit der Tech-niker schien sich auf gelegentliche ratloseGesten zu beschränken.

»Was ist?« herrschte der Stuuhr die Ha-mamesch an. »Ich bin nicht bereit, euer ta-tenloses Herumstehen zu bezahlen.«

»Wir könnten Gleichrichter und Impuls-geber austauschen, aber der Fehler im An-triebssystem wäre damit noch nicht behö-ben.«

»Der ÜL-Block ist versiegelt«, betonteder andere Techniker.

»Hamamesch-Ware, von Hamamesch fürteures Geld geleast«, brauste der Stuuhr auf.»Ich verlange, daß ihr das Siegel aufbrecht!«

7.

Eine Flut von Space-Jets, Gleitern, Kor-vetten und Raumjägern ergoß sich aus denHangars der drei Kugelraumer über Mom-men.

Jeder wollte der erste sein, der in denwundersamen Waren der Hamamesch wüh-len und kaufen konnte, was das Herz be-gehrte. Einige blieben aber schon zu Beginndes hektischen Wettlaufs auf der Strecke; esgrenzte an ein Wunder, daß keine Todesfällezu beklagen waren. Auf der RIMDAN IIkollidierten zwei 30-Meter-Space-Jets, alsdie unerfahrenen Besatzungen sich aus derSyntron-Kontrolle lösten. Eine der Jets muß-te schwer beschädigt mit einem Traktor-strahl eingefangen werden, die andere fandaus eigener Kraft in den Hangar zurück.

Auf allen Funkfrequenzen war die Höllelos. Die wartenden Frachter meldeten ihreVorrechte an. Ein babylonisches Sprachen-gewirr, in dem einer den anderen nicht ver-stand, war die Folge. Etliche Galaktiker ver-zichteten aus unerfindlichen Gründen aufdie Translatoren, und ihr Interkosmo wurdevon niemandem verstanden. Vielleicht wäredie Invasion friedlich verlaufen, hätten nichtdie Besatzungen zweier Hamamesch-Schiffezur Selbsthilfe gegriffen. Starke Traktor-strahlen stoppten einige Raumlinsen und

mehrere mit ungeduldigen wilden Passagie-ren vollgepferchte Raumjäger.

Einer der Piloten reagierte auf den Angriffmit Impulsschüssen, und der epsalischeKommandant der RIMDAN II sah sichebenfalls zum Gegenschlag veranlaßt. Ein-hunderttausend Kilometer über Mommenentstand der sonnenhelle Glutball einerTransformexplosion. Sekunden später ver-glühten zwei Kugelcontainer, die bis dahinin einem stationären Orbit über der atmo-sphärelosen Welt gestanden hatten.

»Aufhören, verdammt!« brüllte TamielAndrosch über Hyperfunk. »Wir sind hier,um Waren zu kaufen, nicht um sie zu ver-nichten.«

Er hatte den Satz noch nicht zu Ende ge-bracht, als auf die PANDORA geschossenwurde.

Der Angreifer wurde mit einer Trans-formsalve eingedeckt, die zwar weit vordem Ziel lag, als eindringliche Demonstrati-on der Überlegenheit ihre Wirkung aber kei-neswegs verfehlte. Mit flammenden Trieb-werksdüsen löste sich der Gegner aus demOrbit und beschleunigte.

»Beidrehen!« befahl Androsch über Hy-perkom. »Wir verlangen, daß uns alle Frachtverkauft wird.«

Auf dem Schirm erschien das Abbild ei-nes zierlichen Wesens. »Wer seid ihr?« er-klang eine schwache Stimme. »HinterhältigeCrypers?«

Tamiel Androsch entsann sich dunkel,daß irgend jemand an Bord von Crypers ge-redet hatte; sie waren Gesetzlose, die Piratenvon Hirdobaan. Hatten sie nicht währendRhodans erster Expedition zur Großen LeereComa-6 überfallen und die dort wartendenHamamesch niedergemetzelt?

»Wir nennen uns Galaktiker«, antworteteIona Tormonen an seiner Stelle. »Wir sindHändler wie die Hamamesch.«

Auf der Panoramawand waren die weitmehr als hundert Beiboote zu sehen, die wieein wütender Insektenschwarm dem Plane-ten entgegenfielen.

Unvermittelt überlagerte die Stimme eines

Als Rebell geboren 25

Hamamesch jeden anderen Funkkontakt.Der stationäre Sender verfügte also über ei-ne hohe Ausgangsleistung. »Die Galaktikerwerden aufgefordert, sich von Mommen zu-rückzuziehen und weitere Weisungen abzu-warten. Jede Landung wird als Akt der Ag-gression gewertet.« Androschs Finger ver-krampften sich um die traurigen Überresteseiner Labyrinthkugel. Kein Beiboot würdejetzt noch umkehren.

»Wir kommen in Frieden«, sagte er, be-müht seiner Stimme einen festen Klang zuverleihen. Das Herz schlug ihm bis zumHals, in seinen Schläfen rauschte das Blut,und er zitterte wie nach großer körperlicherAnstrengung.

Er brauchte die Waren der Hamamesch!Jeder an Bord der drei Kugelraumer

brauchte sie!

*

Nur wenige Kilometer hoch fegte die PA-SJ 2 über eine wildzerklüftete Landschafthinweg. Die Stimmung war gereizt; die Jet,üblicherweise mit maximaler Kapazität für50 Personen, war mit 220 Männern undFrauen überbelegt. Sogar in der Zentraledrängten sie sich.

»Ich habe die ersten Kuppeln auf demSchirm!« rief die Frau hinter den Ortungen.»Im Anschluß daran ein kleiner Raumhafen.– Nein«, fuhr sje fort und kam damit einerentsprechenden Frage zuvor, »keine großenFrachter, überhaupt keine Schiffsemissio-nen. Dort stehen nur …« Sie stockte.»Container«, stieß sie dann hervor.

Ein Thermostrahl verfehlte die Space-Jetnur knapp. Ein Warnschuß. Im ersten Zornverdächtigte der Pilot die eigenen Leute inden folgenden Raumjägern. Monate langhatten sie alles miteinander geteilt, Hoff-nung, Verzweiflung und Sehnsucht; aberjetzt, so dicht vor dem ersehnten Ziel, warjeder sich selbst der Nächste. Daß er vonsich auf andere schloß, kam ihm gar nicht inden Sinn. Bevor er jedoch angemessen rea-gieren konnte, erwiderten die Jäger das Feu-

er.»Gegnerische Geschützstellung elimi-

niert«, meldete die Orterin.Der Pilot schwieg dazu.»Na, Alter«, kam es über Funk. »Als

Dank schuldest du uns was.«Der Begriff Raumhafen für die Landefel-

der hinter den Kuppeln war übertrieben.Container, zehn an der Zahl, beanspruchtennahezu die gesamte Fläche.

Kein Hamamesch ließ sich sehen, als dieJet und in einiger Entfernung die Jäger lan-deten.

Nach allen Seiten strömten die Galaktikerdavon, einige schleppten schon Tauschwa-ren mit sich, andere hofften wohl, das Ange-bot erst einmal sichten zu können.

Enttäuscht hasteten sie zwischen denContainern umher, wandten sich dann denKuppeln zu.

»He, Bedienung!« rief der Pilot überHelmfunk. »Macht endlich den Laden auf,Kundschaft ist da.«

Zwei Ertruser brachten einen schwerenDesintegrator in Position. Unter dem Jubelder Umstehenden begannen sie, den erstenContainer aufzubrechen. Sie schnitten eingut zwanzig mal zwanzig Meter messendesSegment aus der Kugelhülle.

Ein stählerner Regen prasselte auf dasLandefeld, undefinierbare Dinge türmtensich auf, rutschten auseinander, wuchsenweiter in die Höhe. Bis der nachströmendeWarenfluß versiegte, weil das Containerleckim wahrsten Sinne des Wortes verstopfte.

Bald darauf erklangen die ersten ent-täuschten Ausrufe. Ungeachtet der Gefahrdurch nachrutschendes Material durchwühl-ten viele Galaktiker den Haufen.

»Schrott!« protestierten sie. »Das istnichts anderes als ordinärer Schrott.«

»Die Hamamesch wollen uns für dummverkaufen.«

»Stürmt die Kuppeln! Zeigt den Fischge-sichtern, daß sie das nicht mit uns machenkönnen.«

*

26 Hubert Haensel

Czebarnech führte eine Gruppe von min-destens fünfhundert Galaktikern. »KeineQuerelen«, hatte er vor der Landung befoh-len. »Wer aus der Reihe tanzt, wartet bis zu-letzt auf seine Waren. Ich verhandle mit denHamamesch, und ich verspreche euch, wirbekommen einen Rabatt, der alle anderenvor Neid erblassen läßt.«

Vorerst sah es indes nicht so aus, als wür-den die Hamamesch sich überhaupt auf Ge-schäfte mit dem Cheporparner einlassen.

»Verschwindet!« erklang es aus den Hel-mempfängern. »Niemand will mit euch Un-ruhestiftern Geschäfte machen.«

Czebarnech hatte seit jeher einen ausge-prägten Geschäftssinn und ein Gespür fürden eigenen Vorteil besessen. Deshalb truger auch als einer von wenigen in seinerGruppe einen SERUN.

Er reagierte keineswegs überrascht, alsder Pikosyn in anschauliche Grafiken umge-setzte Ortungsdaten auf die Innenseite derHelmscheibe projizierte. Feldlinien wuchsenentlang der Kuppeln aus dem Boden undvereinigten sich in mehreren hundert MeternHöhe. Die Hamamesch aktivierten einSchirmfeld.

»Ihr elenden Hunde«, heulte der Chepor-parner enttäuscht auf. »Sind wir Aussätzige,oder was gefällt euch nicht an uns?« Im sel-ben Atemzug entschied er den Angriff:»Punktfeuer auf den Schirm. Mein Pikosynüberspielt die Daten an die Bordrechner.«

Eigentlich war das bevorstehende Feuer-werk als letzter Überredungsversuch ge-dacht, doch im unpassendsten Moment mel-dete der Pikosyn zwei Raumschiffe im An-flug. Ein Hamamesch-Frachter stieß aufMommen herab. Sekunden später über-strahlte der gleißende Schein einer Transfor-mexplosion die ferne Sonne.

»Ihr da unten, wird Zeit, daß ihr euch ander Kasse anstellt.« Das war AndroschsStimme, schrill und aufgeregt. »Ich habekeine Ahnung, wie lange wir euch diedicken Pötte vom Hals halten können. Wennwir die Frachter beschädigen, treibt das nurdie Preise in die Höhe.« Er lachte wie über

einen besonders gelungenen Witz, doch sei-ne Stimme verriet deutlich, wie sehr er da-nach fieberte, endlich wieder ein besonderesProdukt in Händen zu halten. Das Verhaltender Hamamesch war schlichtweg unver-ständlich: Die Händler verzichteten auf einlukratives Geschäft und provozierten stattdessen eine Auseinandersetzung, bei der siezwangsläufig den kürzeren ziehen mußten.

»Verrückt«, murmelte Czebarnech imSelbstgespräch. »Die Hamamesch sind totalbescheuert.«

Kurz darauf rollte der Angriff. Die Im-pulsschüsse dreier Space-Jets vereinten sichzu Punktfeuer, in das beginnende Flackerndes Schirmes hinein feuerten die Raumjäger.

»Voraussichtlicher Zusammenbruch desSchirmfeldes in zweiunddreißig Sekunden«,meldete der Pikosyn.

All die herrlichen Waren, diese Gegen-stände unbeschreiblicher Schönheit und Her-kunft … Formen von faszinierender Ästhe-tik, Wunderwerke, die den Geist des Be-trachters in ein Paradies entführten … Ein-mal nur in diesen Produkten wühlen und eineinziges der kostbaren Stücke wieder seineigen nennen. Oder gar zwei?

Unsanft wurde Czebarnech aus seinemWachtraum aufgeschreckt. »Angriff einstel-len?« fragte der Pikosyn.

»Tickst du nicht mehr richtig? Ich willdiese Waren …«

»Du bekommst sie auch ohne Gewalt.Hast du nicht gehört, daß die Hamameschkapitulieren? Ich habe dir die Entscheidungabgenommen, der Angriff ist eingestellt.«

Die letzte Energie verwehte. Eine Fracht-schleuse öffnete sich im nächstliegendenKuppelbau; jeder Galaktiker wollte der erstesein, der mit einem Hamamesch handelsei-nig wurde.

Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß.Sie hatten einen Basar erwartet, aber sie

fanden nahezu sterile Räume: Büros, Werk-stätten, Unterkünfte. Jede Menge Waren, de-fekte, auseinandergenommene, reparierteGüter, angefangen von bizarren Zeitmessernbis hin zu tonnenschweren Kühlaggregaten

Als Rebell geboren 27

und undefinierbaren Geräten. Aber keineImprint-Waren.

Die Freude schlug in Enttäuschung um,und der Enttäuschung folgte eine neu erwa-chende Aggressivität. Erste Kämpfe flamm-ten auf. Anfangs waren es nur Roboter, dieauf der Strecke blieben, doch dann formier-ten sich die Verteidiger; die Fronten verhär-teten. Die Versuche einiger weniger Beson-nener, eine Verständigung herbeizuführen,waren zum Scheitern verurteilt. Niemandmachte dem Irrsinn ein Ende.

*

Auf dem Monitor der Außenbeobachtungsah der Stuuhr ein kleines Raumschiff vorder schützenden Energiesphäre landen, ver-mutlich nur ein Beiboot. Gleichzeitig began-nen Alarmsirenen zu heulen.

»Wir können nichts für dich tun.« DieTechniker schickten sich an, den Maschi-nenraum zu verlassen.

Nbltsgndpfrdbrms zerrte einen der we-sentlich kleineren Hamamesch an denSchultern herum. In seinen Facettenaugenglomm ein verzehrendes Feuer. »Du hast esnicht einmal versucht«, herrschte er denMann an.

Der Techniker machte eine Geste des Be-dauerns. »Das ist nicht persönlich gemeint,Stuuhr.«

»Bei allen Boliden dieses Oktanten.« DerProspektor verpaßte dem Hamamesch einenwütenden Stoß, doch sofort hinderte der Ro-boter ihn daran, nachzufassen und seinemZorn Ausdruck zu verleihen.

Die Hamamesch und ihr stählerner Be-schützer verließen das Schiff durch eineSchleuse. Einen Steinwurf weit entfernt, jen-seits der Energiebarriere, landeten noch wei-tere Schiffe der Fremden.

Galaktiker!Sie mußten verrückt sein. Eine andere Er-

klärung für ihr Verhalten fand der Stuuhrnicht. Wer außer Verrückten hätte sich dazuhinreißen lassen, in Bergen von Abfall zuwühlen.

Haushaltsgeräte, Kleincomputer, Spiel-zeug – alles, was die Hamamesch nicht mehrreparieren konnten, hatten sie zur Verwer-tung auf Halde geworfen. Dazu Unmengenvon Schrott, Teile von der Größe einerSchraube bis hin zu mehrere Quadratmetermessenden Platten, die nach diversen Um-bauarbeiten an Raumschiffen nicht mehr be-nötigt wurden.

All das türmte sich fast schon so hoch wiedie Kuppeln, und die Galaktiker turnten dar-auf herum, als begriffen sie überhaupt nichtdie Gefahr, in der sie dabei schwebten.

Wonach suchten die Fremden mit einersolchen Besessenheit? Imprint-Waren, hat-ten sie gesagt. Der Prospektor wußte nicht,was damit gemeint war.

Daß einige Galaktiker Projektoren aufge-baut hatten, mit denen sie in der ihn schüt-zenden Energiesphäre einen Durchgangschufen, bemerkte er erst, als sie sein Raum-schiff stürmten.

Er verteidigte die Schleusenkammer mitbloßen Fäusten. Bis er sich unvermittelt ei-nem Wesen gegenüber sah, das fast seineGröße erreichte. Eine seltsame Haarprachtzierte die Mitte des ansonsten kahlen Schä-dels und zog sich wie eine Sichel von derStirn bis in den Nacken hin.

Das war ein Gegner, der an Kampfkrafteinem Stuuhr gleichkam! Jeder Trefferschmerzte, der Prospektor taumelte, schlugzurück, doch der andere quittierte die Hiebemit dröhnendem Gelächter.

Im nächsten Moment war es dem Stuuhr,als ziehe ihm jemand die Beine unter demLeib weg. Noch im Fallen begriff er, daß erTreffer aus einer Lähmwaffe erhalten hatte.Das erschreckende Gefühl der Taubheitbreitete sich auch über seinen Oberkörperaus. Er war paralysiert, vom Kopf bis zu denFüßen, aber sein Geist war hellwach. Hilflosmußte er mit ansehen, wie die Meute seinSchiff stürmte.

Nach einer endlos anmutenden Zeitspannezogen die Galaktiker wieder ab. Der Lärm,den sie verursacht hatten, ließ das Schlimm-ste vermuten.

28 Hubert Haensel

»Ich habe keine Imprint-Waren«, häm-merte es im Schädel des Stuuhr. Unaufhör-lich. Bis ein schmerzhaftes Prickeln seinenKörper durchpulste, als stachen tausend Na-deln in seine Eingeweide.

Langsam fiel die Lähmung von ihm ab. Erfand seine schlimmsten Befürchtungen be-stätigt. Das Schiff war ein Trümmerfeld.Überall Splitter, abgerissene Verkleidungen,zerschlagene Kontrollen – die Galaktikerhatten ihren Frust gründlich ausgetobt.

Mit einem schweren Stahlrohr als Waffestürmte der Prospektor auf das Landefeldhinaus.

8.

Unbarmherzig stach die Kälte in seinenKörper und holte Coram-Till aus einer Weltjenseits normaler Empfindungen zurück indie erschreckende Wirklichkeit. Aus allenWinkeln seines Gehirns kroch die Erinne-rung hervor – erschreckend, unnachgiebigund tödlich. Mit einem heiseren Aufschreiauf den Lippen wälzte er sich herum.

Das letzte, woran er sich erinnerte, warder unbeschreibliche Glutball, als dasSchwesterschiff im konzentrierten Feuer derHamamesch explodiert war. Unmittelbardanach hatte es auch die NIRGON erwischt;die gellenden Todesschreie der Freundewürde er nie vergessen können, immer nochhallten sie in ihm nach.

Pochende Schmerzen durchpulsten sei-nen Schädel. Coram-Till riß die Arme hoch,doch die Hände stießen auf den Widerstanddes Helmes. Sein Atem beschlug dieSichtscheibe: die Heizung war ausgefallen.Falls die Hamamesch ihn nicht töteten, wür-de er erfrieren.

Er krächzte heiser. Die eigene Stimme er-schreckte ihn. »Hat noch einer überlebt?«rief er, aber niemand antwortete ihm.

Coram-Till zwang sich zur Ruhe. Die Ha-mamesch würden das Wrack nach Hinwei-sen auf die Heimatwelt der Crypers durch-suchen. Sie hatten den Rebellen eine Fallegestellt, und die Kommandanten beider

Schiffe waren ahnungslos hineingetappt.Er hatte es geahnt, hätte es verhindern

können, doch für Selbstvorwürfe war jetztdie falsche Zeit. Häufig veränderte ein einzi-ger Augenblick ein ganzes Leben.

Der Belag auf der Helmscheibe verflüch-tigte sich teilweise wieder. Coram-Till er-blickte ein unbeschreibliches Chaos. Ge-schmolzener und in der Weltraumkälte bi-zarr erstarrter Stahl ragte in sein Blickfeld.Das Beiboot war ebenfalls zerstört. Er sahCrypers, tot, erschlagen von Wrackteilen;dazwischen aufgerissene Anzüge mit Restentoter Crypers, kein erbaulicher Anblick. Daßausgerechnet er überlebt hatte, erschien ihmwie ein Wunder. Aber vielleicht wollte dasSchicksal, daß er seine Heimatwelt rettete.Auf keinen Fall durften die Koordinaten denHamamesch in die Hände fallen; sie würdenden Planeten auslöschen, wie sie Halbarzerstört hatten.

Alles war wie ein böser Alptraum. DieAtmosphäre war wohl so aus dem Schiff ent-wichen, daß es keine explosive Dekompres-sion gegeben hatte. Tote schwebten in denKorridoren und Antigrav-Schächten, ihreKörper aufgedunsen, die Haut blutig. Eingrauenvoller Anblick, den Coram-Till nurertrug, weil er ein Ziel vor Augen hatte.

Irgendwie erreichte er die Zentrale. Hiergab es noch Restenergie. Der Bordrechner,die Koordinaten … Coram-Till hantierteschnell und zielstrebig. Die Löschsequenzgriff nicht, er stieß eine heftige Verwün-schung aus. Im Helmfunk hörte er Ge-räusche. Die Hamamesch? Wie nahe warensie schon? Coram-Till zerrte seinen Ther-mostrahler aus dem Holster, stellte ihn aufschärfste Bündelung. Eine Ewigkeit schienzu vergehen, bis endlich die Verkleidung desComputers aufbrach. Zwei Granaten mußtengenügen, das Werk der Vernichtung zuvollenden. Er stellte die Zünder auf drei Rouein, Zeit genug für ihn, sich in Sicherheit zubringen.

Sicherheit? Unter den gegebenen Um-ständen ein lächerlicher Begriff. Er zweifeltenicht daran, daß er sterben würde. Aber

Als Rebell geboren 29

wenn er schon in die tiefsten Abgründe fuhr,wollte er zuvor einige Hamamesch mitneh-men auf die Reise ohne Wiederkehr.

Ein Stöhnen drang aus dem Helmempfän-ger. »Hilf mir, Coram, ich …«

Er kannte die Stimme. »Phana-Corg?«rief er. Keine Antwort. Und der Zünder ließsich nicht mehr beeinflussen.

»Wir müssen hier verschwinden! Phana-Corg?«

Unter einem Berg von Trümmern ragteein Raumhelm hervor. Der Rebell wußtespäter nicht mehr zu sagen, wie er es ge-schafft hatte, den Anführer unter all demStahl hervorzuzerren. Der Ambraux-Cryperschien schwer verletzt zu sein.

Coram-Till schaffte es gerade noch inhalbwegs sichere Deckung, bevor der Bord-computer in einer heftigen Explosion ver-ging.

Die fehlende Schwerkraft half ihm, mitPhana-Corg Richtung Heck zu fliehen. An-gelockt durch die Explosion würden die er-sten Hamamesch wohl in Kürze die Zentralestürmen. Sie waren schon auf der NIRGON,er hörte ihre triumphierenden Stimmen.

Ein irrsinniger Plan nahm in seinen Ge-danken Gestalt an. Sie mußten es schaffen,unbemerkt die Außenhülle des Wracks zu er-reichen … Phana-Corg verstand auch ohneWorte, worauf es ankam. Obwohl er wahn-sinnige Schmerzen haben mußte, lächelte er.

Irgendwann hingen sie, mit Magnetleinengesichert, außen am Rumpf: zwei winzigeGestalten, die sich kaum gegen die vielfälti-gen Zerstörungen abhoben. Das Wrack wür-de bald in die Lufthülle des Planeten eintau-chen.

Coram-Till entdeckte drei Beiboote derHamamesch, eines davon fast greifbar naheverankert. Die Händler fühlten sich sicher,sonst hätten sie nicht darauf verzichtet, dieAußenschleuse zu schließen.

Mit zwei gezielten Schüssen zerstörteCoram-Till die Elektronik, die ein gleichzei-tiges Öffnen des Innenschotts verhinderte.Er hatte nur diese eine Chance. Das Schottglitt auf, die Atmosphäre begann zu entwei-

chen. Was nicht niet- und nagelfest war,wirbelte vorbei: auch ein Hamamesch, mitweit hervorgequollenen Augen und verzerr-tem Gesicht, tot.

Den Thermostrahler in der Faust, stürm-te Coram-Till vor. Er traf auf keinen Wider-stand, ein zweiter Hamamesch hing tot imPilotensitz, auch er hatte keinen Raumanzuggetragen.

Über kurze Entfernungen hinweg war daskleine Beiboot sogar überlichtflugtauglich.Flüchtig machte Coram-Till sich mit denKontrollen vertraut, bevor er das Boot vomWrack löste und es mit schwachen Korrek-turschüben abdriften ließ. Der Bug zielte aufden nahen Planeten.

Ein Funkanruf. Der Rebell ignorierte dieblinkenden Symbole. Das Beiboot tauchte indie äußere Atmosphäre ein, erste Partikel-spuren begannen aufzuglühen. Alle Energieauf den Antrieb, mit dem Prallfeld warten,bis es wirklich nicht mehr anders ging.

Die Hamamesch reagierten. Ihr Nachteilwar, daß das Wrack der NIRGON zwischenden großen Schiffen und dem fliehenden Bei-boot lag. Bis einer der Frachter Schußposi-tion erreichte, hatte Coram-Till den Plane-ten schon halb umrundet.

Immer noch mit Wahnsinnswerten be-schleunigte er. Die Temperatur in dem klei-nen Boot wurde unerträglich.

Dann lag der Weltraum vor ihm. Etlichebange Rou. Die großen Schiffe folgten, siewürden mit ihren überlegenen Triebwerkenrasch aufholen.

Viel zu früh riß Coram-Till das Beibootin den Hyperraum. Der Entzerrungsschmerzraubte ihm die Besinnung.

Als er nach langer Zeit wieder zu sichkam, hatte sich alles verändert. Das Boottrieb steuerlos im interplanetaren Raum,fernab von jedem Sonnensystem. Und Ha-mamesch gab es hier nicht.

»Du hast es geschafft«, sagte Phana-Corg voll Bewunderung. »Ich hätte es nichtfür möglich gehalten.«

Daran dachte der Rebellenführer, als erseine versammelte Flotte sah, Schiffe der

30 Hubert Haensel

Ambraux-Crypers. Bald hatte er eine Streit-macht von 43 Einheiten beisammen, zwarnur ein Teil der Schiffe, die ihm wirklich zurVerfügung standen, doch ausreichend.Schnell und effektiv zuschlagen konnte mannur mit einer überschaubaren Flotte.

»Ich wünschte, du könntest dabeisein,Phana-Corg«, murmelte er leise im Selbstge-spräch. »Die Zeit, die wir miteinander ver-bracht haben, mein Freund, war schön.«

Im Alter von fünfundzwanzig Jahren warCoram-Till in die kämpfende Flotte aufge-nommen worden und hatte sich, nicht zuletztwegen der Rettung, als »Unbesiegbarer«einen Namen gemacht.

Aber Phana-Corg weilte nicht mehr unterihnen. Nach seinem Tod war Coram-Till dieNachfolge zugefallen, doch längst nicht alleAmbraux hatten ihn anerkannt. Erst seinHandstreich, ein Fermyyd-Schiff zu kapernund in Besitz zu nehmen, hatte Neid undMißgunst verstummen lassen.

Neun Jahre waren inzwischen vergangen.Während dieser Zeit hatten die Ambraux-Cry-pers ihren Ruf als gefährlichste und stärksteRebellengruppe begründet. Nur eines bedau-erte Coram-Till: Seine Versuche, die ande-ren sechs Gruppierungen zu vereinen, warenan der Angst ihrer Führer gescheitert, dieMacht an ihn zu verlieren. Sie waren nochnicht reif, über den Tellerrand ihrer Interes-sen hinweg zu sehen.

Vielleicht würden sie eines Tages dieNotwendigkeit erkennen.

»Dann«, murmelte Coram-Till, »wird dieHerrschaft der Hamamesch enden.«

9.

Ein nur wenige Minuten währender Flug,ein neuer Zwischenstopp und eine zufälligaufgefangene Werbesendung – mitunterschlug das Schicksal Kapriolen.

Aus dem Bauch heraus hatte Atlan ent-schieden, das Killam-System anzufliegen,rund 500 Lichtjahre vor dem nächsten Ok-tanten.

Die Überraschung war perfekt.

»Kugelraumer!« brüllte jemand von den Or-tungen. »Da sind drei von unseren Schif-fen!«

Die beiden inneren Welten des Killam-Systems wurden von dichten Giftgasschwa-den eingehüllt; Nummer drei, der kleinstePlanet, war gerade merkurgroß und ohne At-mosphäre.

Zwei Frachter und ein epsalischer Kreu-zer standen nahe Mommen. Impulsschüssezuckten durch den Raum, vereinzelt erfolg-ten Transformexplosionen kleineren Kali-bers.

»Das ist keine Raumschlacht, bestenfallsein Geplänkel«, bemerkte Aktet Pfest.

Mit gut einem Viertel Lichtgeschwindig-keit fiel der arkonidische Schlachtkreuzerdem dritten Planeten entgegen. Die Oberflä-chentaster vermittelten das Image einer kah-len Welt, auf der riesige Ansammlungen vonMetall das Bild entscheidend prägten.

»Schrott, der entweder auf Mommenselbst weiterverwertet oder abtransportiertwird«, vermutete Julian Tifflor.

Noch etwas stellten sie fest: Beiboote al-ler Größenordnungen waren auf der Recy-clingwelt gelandet.

»Die Galaktiker wühlen in den Schrott-bergen nach Imprint-Waren«, seufzte Pfest.

»Ich bezweifle sehr, daß sie fündig wer-den«, fügte Tekener hinzu. »Und enttäuschteHoffnungen führen oft zu einem unkontrol-lierten Ausbruch von Gewalt. Beispiele da-für haben wir erst erlebt.«

Atlan ließ eine Funkverbindung herstel-len. Das überraschte Gesicht einer Ferroninblickte ihm entgegen.

»Holla!« rief sie. »Eben erfahre ich, daßein 500-Meter-Schiff aufgetaucht ist. SuchtHomer G. Adams auf Mommen auch nachImprint-Waren?« Ihre Stimme klang plötz-lich frostig unterkühlt. Im Hintergrund wur-de geflüstert, auch einige halblaute Wortefielen; kurz wandte die Frau sich um und ge-stikulierte mit jemandem außerhalb des Er-fassungsbereiches. Als sie wieder ins Optik-feld schaute, war ihr Blick ein einziges Fra-gezeichen. »Nicht die TANKSET? Aber …«

Als Rebell geboren 31

Dann erst schien sie zu erkennen, mit wemsie redete. »Atlan?« platzte sie verblüfft her-aus.

Ein Mann drängte sie zur Seite. Er wargut zehn Zentimeter größer als die Ferroninund wirkte einige Jahre jünger.

»Androsch«, stellte er sich vor. »Ich binder Kommandant der PANDORA. Um esgleich zu sagen: Niemand hat dich eingela-den. Falls du gekommen bist, um Unfriedenzu stiften, verschwinde lieber wieder.«

»Seltsam«, konterte der Arkonide.»Ähnliche Aufforderungen habe ich in derletzten Stunde mehrfach vernommen.«

»Du solltest ihnen Folge leisten.« Ohneweiteren Kommentar wurde die Verbindungvon der anderen Seite unterbrochen.

»Er muß doch wissen, daß wir seinemHaufen an Feuerkraft weit überlegen sind«,schimpfte Aktet Pfest.

»Zwischen Wissen und Begreifen liegenbei Süchtigen Welten«, kommentierte Teke-ner. »Das führt sogar dazu, daß sie sehendenAuges in den eigenen Untergang rennen unddennoch bis zuletzt glauben, sie hätten ihrParadies gefunden.«

Atlan verlangte eine neue Hyperkom-Verbindung. Aber die Bemühungen bliebeneinseitig. Inzwischen stand die ATLANTISnur noch zwei Millionen Kilometer vorMommen und schwenkte in eine Kreisbahnein. Deutlich war zu erkennen, daß die Ga-laktiker die Raumschiffe der Hirdobaan-Völ-ker im Orbit zusammentrieben.

»Funkspruch an diesen Androsch!« kom-mandierte der Arkonide. »Falls er nicht so-fort mit dem Schwachsinn aufhört, greifenwir ein. Ich verlange eine Kapitulation.«

Auf der Oberfläche des Planeten warenschwache energetische Entladungen nach-weisbar. Auch auf Mommen wurde also ge-kämpft.

»Funkempfang auf Richtstrahl. Der Sen-der steht auf der Recyclingwelt.«

Der Anrufer, ein Hamamesch, wirkte vonPanik erfüllt und kratzte sich unaufhörlichdie Halsschuppen.

»Ich bin Gunion, der Leiter von Mom-

mens Werkstätten. Helft mir, oder ich mußdie Fermyyd rufen. Ich wende mich an euch,weil der ausgewertete Funkverkehr michhoffen läßt.«

»Du glaubst, wir könnten dir helfen?«»Wenn nicht ihr, dann nur noch die Fer-

myyd.«»Eine Bedingung«, sagte Atlan. »Wir ver-

langen Informationen über die Verhältnissein Hirdobaan.«

»Alles, was ihr wollt. Aber greift ein, be-vor noch mehr Verluste zu beklagen sind.Diese Galaktiker zerstören vieles, was aufMommen aufgebaut wurde. Sie sind schlim-mer als die Schuppenkrätze.«

»Wir befreien euch von den Quälgeistern.Obwohl ihr Hamamesch selbst sie gerufenhabt.«

»Niemals!« empörte Gunion sich imBrustton der Überzeugung.

Atlan hörte schon nicht mehr hin. Er lösteAlarmstufe I aus. Das bedeutete Bereitschaftzum Abkoppeln der sechs Großbeiboote.

Ein letztes Ultimatum erging an die Im-print-Süchtigen.

»Wagt es nicht, uns anzugreifen«, prote-stierte die Ferronin. »Wir holen auf Mom-men nur das, was uns zusteht. Oder glaubtihr wirklich, wir hätten die 118 MillionenLichtjahre zum Vergnügen abgesessen?Dann seid ihr …« Der Ausdruck, den sielaut hinausschrie, war alles andere als druck-reif.

Präzise liefen auf der ATLANTIS dieletzten Vorbereitungen ab. January Khemo-Massai zeigte lachend seine weißen Zähne.»Wir kriegen das ohne Blutvergießen hin,Atlan.«

January war nicht nur Kommandant desSchweren Arkonkreuzers AT-CASOS, einesder vier 150-Meter-Großbeiboote, sondernzugleich Chef der Trägerflottille. Bei allenaußenbords der ATLANTIS in Docking-Mul-den mit dem halben Rumpf verankerten Bei-booten handelte es sich um neue Arkon-Konstruktionen ohne Ringwulst.

In Sekundenabständen wurden die Raum-er abgekoppelt. In weit aufgefächerter V-

32 Hubert Haensel

Formation setzten sie sich seitlich vor dieATLANTIS.

»Bleibt uns vom Leib!« brüllte die Ferro-nin über Hyperkom. »Zwingt uns nicht, aufeuch zu schießen.«

»Habt ihr Imprint-Waren gefunden?«fragte Atlan ruhig.

»Das ist nur eine Frage der Zeit. Mom-men ist die richtige Welt.«

Die Imprint-Süchtigen ersetzten ihre feh-lenden Argumente durch Transformexplo-sionen; die Ausläufer der Explosionswolkenerfaßten die AT-CASOS und die AT-DASSUS. Sekundenbruchteile vorher hatteder Syntronverbund auf beiden Einheiten je-doch die HÜ-Schirme aktiviert.

Die Taktik der Arkoniden war einfach:Verhindern, daß die Outlaws nach Mommendurchbrechen konnten, die drei Kugelraumervom Planeten abdrängen und entern. Mittler-weile stand fest, daß es sich neben der PAN-DORA um die SANSSOUCI und die epsali-sche RIMDAN II handelte. Ihre Flugmanö-ver wirkten schlecht koordiniert. Kein Wun-der, wenn man bedachte, daß die Besatzun-gen sich größtenteils auf den Planeten abge-setzt hatten und ohnehin die wenigsten aus-gebildete Piloten waren. Ohne ausgleichen-de Syntroniken wäre ein gemeinsames Vor-gehen kaum möglich gewesen.

Tifflor forderte die Hamamesch und An-gehörigen anderer Völker auf, sich zurück-zuziehen. Tatsächlich beschleunigten diemeisten Raumer, kaum daß die Aufmerk-samkeit der Galaktiker nachließ, und ver-schwanden auf der Nachtseite des Planeten.

Die RIMDAN II ging ebenfalls aufFluchtkurs. Allerdings hatten die Epsalernicht damit gerechnet, daß zwei Beibooteder ATLANTIS schon über dem Planetenstanden. Heftiges Sperrfeuer zwang dasSchiff zum Abdrehen.

»Unfähige Stümper.« Aktet Pfest schüt-telte den Kopf angesichts der schwachenLeistung der Epsaler. »Ich frage mich, wiesie es überhaupt bis Hirdobaan geschafft ha-ben.«

Die Auseinandersetzung verlagerte sich in

den interplanetaren Raum; die HÜ-Schirmeder SANSSOUCI brachen unter heftigemFeuer zusammen. Enterkommandos legtenan den Hauptschleusen an, wenig späterstürmten die Mannschaften im Schutz ihrerSERUNS. Dennoch vergingen annäherndvierzig Minuten bis zur abschließenden Er-folgsmeldung. Der Kampf um den Frachterwar auf beiden Seiten ohne Verluste abge-gangen.

In der Zwischenzeit waren auch dieSchirmfelder der PANDORA verweht. Der»Roll-on-Roll-off«-Frachter hatte jedochWirkungsfeuer hinnehmen müssen und wiesim Bereich des äquatorialen HangardecksRumpfschäden auf.

Nur die Crew der RIMDAN II setzte sichnoch zur Wehr. Da der Kreuzer im Gegen-satz zu den anderen Schiffen über einen ein-fachen Paratronschirm verfügte, bissen dieAngreifer sich zunächst die Zähne aus.

Konzentrierter Transformbeschuß, beidem der Syntronverbund der ATLANTISund ihrer Beiboote die Abstrahlleistung derGeschütze und die Feuergeschwindigkeitderart exakt festlegte, daß die verwehendenRestenergien den Kreuzer zwar gehörigdurchschüttelten, doch keine Schäden verur-sachten, zermürbte gewissermaßen dasSchiff: Der Paratronschirm wurde abge-schaltet, wohl vom Syntron – als Notlösung.

Dem Enterkommando unter Ronald Teke-ners Führung schlug erbitterter Widerstandentgegen. Erst fünfeinhalb Stunden nach Be-ginn des Raumgefechts meldete der Smilerden Fall der RIMDAN II.

*

Inzwischen waren Funksprüche an dieImprint-Süchtigen ergangen, ihr sinnlosesWühlen im Schrott aufzugeben, an Bord ih-rer Beiboote zurückzukehren und einenSammelpunkt im planetennahen Orbit anzu-fliegen. Atlan hatte den Frauen und Män-nern versprochen, alles zu unternehmen, umihnen Waren zu verschaffen – sein Hinterge-danke dabei war, daß sich an Bord der BA-

Als Rebell geboren 33

SIS Mittel und Wege finden würden, sie vonder Sucht zu heilen.

Es dauerte lange, bis die ersten Space-Jetsund Raumlinsen von Mommen abhoben. DieGalaktiker jagten nach wie vor ihren uner-füllten Träumen nach, und nur einige hun-dert hatten die Sinnlosigkeit ihres Tuns er-kannt.

Atlan setzte mehrere Dutzend Landekom-mandos ein und ließ es sich nicht nehmen,selbst einen der Trupps anzuführen. Mit derAT-DASSUS unter dem Arkoniden Hatoleclandete er in einem Bereich des Recycling-planeten, in dem Galaktiker sich ein schwe-res Gefecht mit Robotern geliefert hatten.Ausgeglühte Maschinen und sogar zwei zer-störte Raumjäger ließen ahnen, welche Sze-nen sich abgespielt hatten.

»Das alles wegen einiger Schiffsladungenvoll Schrott.« Verständnislos schüttelte Ha-tolec den Kopf. »Wenn ich es nicht mit eige-nen Augen sehen würde, könnte ich es nichtglauben. Was, bei allen Planeten Arkons, istwährend unserer Abwesenheit in der Milch-straße geschehen?«

Vollrobotisierte Sortieranlagen, endloseBandstraßen, Schmelzöfen … Alles stillge-legt, beschädigt, in ein Tohuwabohu ver-wandelt.

Hatolec machte Atlan auf zwei Kreuzeaufmerksam. Aus Stahlträgern zusammenge-schweißt, steckten sie nebeneinander im Bo-den. An einem davon baumelte ein abge-trennter Raumhelm. Zu flachen Hügeln auf-geschichtetes Geröll ließ erkennen, daß dieImprint-Süchtigen nicht ohne Blutzoll da-vongekommen waren.

»Wenigstens etwas Menschlichkeit habensie sich bewahrt«, sagte Atlan erschüttert.»Die Sucht hindert sie nicht daran, ihre To-ten zu ehren.«

Immer noch wühlten Galaktiker in denSchrotthalden. Eine Sisyphusarbeit. Vielehatten nicht einmal die Aufforderung zurRückkehr vernommen, weil sie, um unge-stört zu bleiben, ihre Funkgeräte abgeschal-tet hatten.

Die Hamamesch hielten sich aus allem

heraus. Sie überließen den Arkoniden dasFeld.

Während Atlan die verstreuten Imprint-Outlaws einsammelte, räumte Tekener inden Kuppelsiedlungen auf. Die Bauten er-weckten zwar von außen den Eindruck klei-ner Städte, doch handelte es sich überwie-gend um Werkhallen sowie Forschungs- undLagerstätten. Der Smiler bekam den Ein-druck, daß auf Mommen nur wenige tausendHamamesch lebten und arbeiteten.

Von Tifflor kam die Nachricht, daß mitt-lerweile viertausend Imprint-Süchtige anBord ihrer Schiffe zurückgekehrt waren. Te-kener vertraute sich einem Hamamesch-Transmitter an – natürlich nicht, ohne vorherdie Zielkoordinaten überprüft zu haben –und materialisierte in einer Kuppelsiedlungauf der Nachtseite des Planeten. Eine trübeDämmerung empfing ihn, doch der Pikosynseines SERUN projizierte ein taghelles Ab-bild der Umgebung auf die Helmscheibe.

»Zehn zusammenhängende Kuppeln aufeiner Fläche von annähernd fünfzehn Qua-dratkilometern«, ließ der akustische Servowissen.

Der Smiler wartete nicht, bis alle Männerseines Trupps aus dem Transmitter kamen.Im Laufschritt hastete er weiter. Der Raumwar vollgestopft mit technischem Gerät,Bildschirmen in endlos langer Reihe, jetztaber desaktiviert. Offenbar war dies nochvor kurzem das Herz der planetaren Anlagegewesen.

Tek erkannte zwanzig Meter voraus denenergetisch gesicherten Durchgang zurnächsten Kuppel. »Energiefluß darstellen!«

Der Servo schickte ihm eine Einblendungauf die Helmscheibe. Die Sperre war keinvollflächiges Hindernis, sondern bestand aushorizontal verlaufenden Energieriegeln.

Der Verteiler lag im Rahmen des Durch-gangs, gespeist von einer dicken Ader in derWand, vermutlich ein altertümliches Kabel.

Zwei Desintegratorschüsse beseitigten dasHindernis.

Das Gebäude glich einem verschachteltenLabyrinth auf mehreren Ebenen. Alle Räu-

34 Hubert Haensel

me nach Imprint-Outlaws zu durchsuchenwürde Stunden in Anspruch nehmen.

Hinter einer der unzähligen Abzweigun-gen stolperte Tekener beinahe über zweiTerraner. Sie hatten die Helme ihrer Raum-anzüge zusammengefaltet und schliefen denSchlaf der Gerechten. Zufriedenheit spiegel-te sich auf ihren Gesichtern.

Der Smiler nahm einem der Männer einenfaustgroßen konischen Gegenstand aus denHänden, ein undefinierbares, in matten Far-ben schillerndes Ding. Den seligen Zügendes Schlafenden nach zu urteilen, hatte ergefunden, wonach alle suchten.

Tek drehte das Ding unschlüssig, dochihm blieb nur ein Kopfschütteln. Das sollteImprint-Ware sein? Der Konus eignete sichbestenfalls für den nächsten Müllschlucker.

»He!« Er rüttelte den Schlafenden wach.»Wird Zeit, daß wir uns unterhalten.«

Zögernd schlug der Mann die Augen auf.Im nächsten Moment schnellte er hoch undging Tekener an die Kehle. Bis er allerdingsbegriff, was mit ihm geschah, lag er wiederrücklings auf dem Boden und hatte geradenoch die Bewegungsfreiheit, die er brauchte,um nach Luft zu schnappen.

»Etwas weniger stürmisch«, tadelte derSmiler.

»Gib es mir!« keuchte der Mann. »Gibmir mein Eigentum zurück!«

Mit der Linken warf Tek den Konus hochund fing ihn spielerisch auf. Dem Terranerquollen fast die Augen aus den Höhlen, alser vergeblich versuchte, sich dem hartenGriff zu entziehen.

»Ist das Imprint-Ware? Wenn du damitglücklich wirst – fang!«

Mit zitternden Händen griff der Terranerzu, drückte den Konus an seine Brust … undbegann noch heftiger zu zittern. Ein wider-williger Zug erschien um seine Mundwinkel,Freude verwandelte sich in Abscheu. Acht-los ließ er den Gegenstand.

»War wohl doch nicht das Richtige?« be-merkte Tekener.

Der Terraner starrte ihn aus geröteten Au-gen an. Sein Blick verlor sich in weiter Fer-

ne. Abgehackt begann er zu reden.»Ich war müde … dachte, ich habe es ge-

funden … aber dann die Enttäuschung. Ichmuß … muß wohl von Imprint-Ware ge-träumt haben. – Wer bist du?«

»Ronald Tekener. Ich will, daß du aufdein Schiff zurückkehrst.«

»Ich …?« Seine Augen weiteten sich inungläubigem Erstaunen. Aber es lag auchein Ausdruck grenzenloser Überraschung inihnen.

Tekener rollte sich seitlich ab. Wo er ebennoch in der Hocke verharrt hatte, klirrte einschweres Stahlrohr, von kräftigen Fäustengeführt, auf den Boden. Der SERUN hätteden Angriff zwar abgewehrt, doch Tek hattenicht wissen können, was sich hinter seinemRücken abspielte.

Der abgedunkelte Scheinwerfer, vor Se-kundenbruchteilen noch auf den Terranergerichtet, erfaßte eine monströse insektoideGestalt. Das Wesen war gut drei Meter groß,und sein schwarzer Körper – oder trug eseinen Anzug? – schien den schwachenLichtschein förmlich aufzusaugen.

Tekener lächelte matt. Geschmeidigsprang er auf, unterlief den nächsten Hiebdes so unverhofft erschienenen Gegners undhebelte ihn über sich hinweg. Ein dumpfes,knirschendes Geräusch hallte durch denKorridor, als das Wesen aufschlug.

Tek sah verkümmerte Stummelflügel.Und einen riesengroßen schwarzen Kopf mitschillernden Facettenaugen. Das Bild einerfetten Stubenfliege drängte sich ihm auf.

»Warum greifst du mich an?«Die Fliege legte den Kopf schräg. Wäh-

rend sie sich mit den fließenden Bewegun-gen eines geübten Kämpfers aufrichtete unddas Rohr wie einen Spieß vor sich hielt, ant-wortete sie in abgehackt klingendem Ham-sch. Der Servo des SERUN übersetzte.

»Galaktiker haben mein Schiff verwüstet.Wer bezahlt mir den Schaden? Du?«

Tekener lächelte noch immer. Kopf-nickend deutete er auf die primitive Waffe.»Ist das deine Art, Schadenersatz zu for-dern?« Er hatte noch mehr hinzufügen wol-

Als Rebell geboren 35

len, aber die Fliege griff erneut an, wollteihn aufspießen. Im letzten Moment wich erzur Seite, packte mit beiden Händen zu undnutzte den Schwung des Angreifers. Unsanftschloß die massige schwarze Gestalt mit dernächsten Wand Bekanntschaft und ließ eindumpfes Ächzen vernehmen.

Auge in Auge standen sie sich gegenüber,auf nicht einmal drei Meter Distanz, und je-der hielt das Stück Stahl umklammert. Einstummes Kräftemessen.

»Du verlangst Schadenersatz? Vielleichtwäre Verhandeln der bessere Weg.«

Die Fliege starrte ihn ungläubig an. Erstjetzt registrierte Tek den pulsierenden Sau-grüssel.

»Trau dem Kerl nicht!« stieß der Terranerhervor, der sich furchtsam bis an die nächsteGangmündung zurückgezogen hatte. »Ichhabe gesehen, wie er einige von uns verprü-gelt hat.«

»Hat er jemanden getötet?«»Nein – ich glaube, das nicht.«Tekener löste seinen Griff und trat zwei

Schritte zurück. Nicht den Bruchteil einerSekunde wandte er den Blick von seinemGegenüber. Zu seinem Spiel gehörte ein ver-meintlich hoher Einsatz. Sein Gegenüberkonnte nicht wissen, welch nahezu perfektenSchutz der SERUN seinem Träger bot.

Einem überraschten Krächzen folgte dieFrage: »Du bist nicht so verrückt wie alleanderen?«

»Natürlich nicht«, antwortete Tekener. Indem Moment, das wußte er, hatte er gewon-nen.

Das Stahlrohr polterte zu Boden. »Wirverhandeln«, sagte der Insektoide. »Aberglaube nicht, daß du mich betrügen kannst.So wahr ich Nbltsgndpfrdbrms heiße.«

Lange und nachdenklich schaute Tekenerdas Fliegenwesen an. Er hatte nicht die Ab-sicht, sich beim Aussprechen des Namensdie Zunge zu verrenken.

»Ich werde dich ›Bremse‹ nennen«, sagteer. »Das entspricht deinem Aussehen.«

10.

Der 10. Juni Bordzeit war schon nichtmehr taufrisch. Vor wenigen Minuten hattendie letzten Imprint-Süchtigen Mommen ver-lassen. Ronald Tekener landete in Beglei-tung des schwarzhäutigen Insektoiden in ei-nem Hangar der SANSSOUCI.

Tek wußte inzwischen, daß Stuuhr als äu-ßerst reizbar galten und man gut daran tat,sie mit Samthandschuhen anzufassen. Wenner selbst sich nicht an diese Regel hielt, solag das daran, daß sein Begleiter ihn in jederHinsicht respektierte. Bremse hatte sogarSeite an Seite mit ihm Imprint-Süchtige ein-gesammelt und in die Beiboote verfrachtet.Außerdem hatte er von Hirdobaan erzählt –daß kein Hamamesch es wagen würde, jeeinen anderen Oktanten zu betreten, daßaber alle anderen Völker Hirdobaans sichungehindert bewegen konnten. Solange sievon den Hamamesch die erforderliche Tech-nik erhielten.

Tek hatte das Prospektorenschiff besich-tigt. Die Schäden waren keineswegs so um-fassend, wie Bremse sie hinzustellen ver-sucht hatte, dennoch ließ sich nicht leugnen,daß einige Galaktiker wie die Vandalen ge-haust hatten.

Da Besatzungsmitglieder der SANSSOU-CI die Schäden verursacht hatten, lag es aufder Hand, in den Lagerräumen des Frachtersnach einer Entschädigung zu suchen. Brem-se verlangte ein neues Triebwerk, mit Nach-druck sogar, doch damit stieß er bei Tek auftaube Ohren. Letztlich einigte man sich aufdie Übergabe eines Hyperkom-Handys so-wie mehrerer syntrongesteuerter Haushalts-geräte. Der Smiler war überzeugt davon, daßBremse nichts Eiligeres tun würde, als seinneues Hab und Gut den Hamamesch zu ver-äußern. Zu einem horrenden Preis natürlich.Und keineswegs auf Mommen.

Atlan hatte inzwischen zwei erfahreneRaumfahrer aus der ATLANTIS-Crew fürjedes Imprint-Schiff abgestellt. Damit dieSchiffe sicher die BASIS erreichten.

Dem Arkoniden war klar, daß Perry Rho-dan keine große Freude haben würde, fallsdie BASIS zum Treffpunkt aller Imprint-

36 Hubert Haensel

Süchtigen werden sollte. Aber die einzigeMöglichkeit, die Galaktiker unter Kontrollezu bringen und ihnen zu helfen, war, sie aufmöglichst engem Raum zu vereinen. Undeinen anderen Treffpunkt als die Grenzlän-derstation SCHERMOTT und die BASISwußte der Arkonide beim besten Willennicht.

In den frühen Morgenstunden des 11. Juniverließen die drei Kugelraumer den Orbitum Mommen und verschwanden im Hyper-raum.

»Wir haben unseren Part erfüllt«, sagteJulian Tifflor, und mit einem Seitenblick aufTekener fügte er hinzu: »Deine Großzügig-keit in allen Ehren, aber hoffentlich verlangtdieser Gunion nicht eine angemessene Ent-schädigung.«

»Dann präsentieren wir die Gegenrech-nung«, meinte der Smiler gelassen.»Produktionsausfall in der Milchstraße, Ma-terialaufwand für den Flug nach Hirdobaan…«

Gunion meldete sich über Hyperfunk.»Meine Freunde aus einer fernen Gala-

xis«, platzte er überschwenglich heraus,»wie freue ich mich, daß der Zufall euch imrechten Augenblick zu mir geführt hat. At-lan, was kann ich für dich tun? Ich erfülledir deine geheimsten Wünsche. Aber was re-de ich? Du bist selbst mit dem Besten ausge-rüstet, was dein Volk an Technik zu bietenhat. Laß uns Handel treiben, der beiden Sei-ten Vorteile bringen wird.«

»Warum fangen wir nicht mit einem ein-fachen Informationsaustausch an?« fragteAtlan.

»Du willst nicht mehr?« Das klang beina-he enttäuscht. »Ich verspreche dir Waren,wie du sie nie zuvor gesehen hast, Dinge,die dein Herz erfreuen werden und deinerSeele schmeicheln.«

»Das hört sich irgendwie bekannt an«,raunte Tifflor.

»Du sprichst von Imprint-Waren?« wollteAtlan wissen.

»Schon wieder dieser Begriff.« Gunionwand sich vor Unbehagen. »Ich weiß nichts

davon. Sollten sie aus Hirdobaan stammen,dann nicht aus dem Mereosch-Oktanten. Wirverkaufen reelle Produkte, preisgünstig, gutund haltbar. Ich biete dir nur Sonderpreise,Atlan.«

Der Arkonide winkte ab. »Später, viel-leicht. Wenn du dich bedanken willst, gibuns Informationen über die Hamamesch desJondoran-Oktanten und über das politischeGefüge in Hirdobaan.«

Gunion stieß eine Reihe von Geräuschenaus, die wohl das Äquivalent menschlichenLachens darstellten.

»Nun gut, Atlan, ich will deinen Wissens-durst befriedigen und ich biete dir zugleicheine große Ehre an. Handelsfürst Adrom Ce-reas von Mereosch erwartet mich, damit ichihm persönlich Bericht über die Fortschritteauf Mommen erstatte. Der Fürst residiert aufAntantotas, dem vierten Planeten des Mala-ya-Systems, und ich werde morgen an Bordmeiner CHANTOM aufbrechen. Alles Wis-senswerte kannst du vom Handelsfürstenselbst erfahren. Und weil ich dir verpflichtetbin, Atlan, werde ich dafür sorgen, daß derFürst ein Permit ausstellt, das dir innerhalbdes Mereosch-Oktanten völlige Bewegungs-freiheit garantiert.«

»Klingt nicht schlecht«, sagte Tekener.»Das ist ein Angebot, das ich nicht ab-

schlagen kann«, versetzte Atlan. »Aber ichmöchte nicht alleine dem Handelsfürsten ge-genübertreten. Das wäre seiner Bedeutungnicht angemessen.«

»Du hast recht«, seufzte Gunion. »Wähleeinen Begleiter. Er ist an Bord der CHAN-TOM ebenfalls willkommen.«

Tekener schnalzte leise mit der Zunge.»Ich glaube, Atlan«, sagte er, »dein Beglei-ter hat soeben zugestimmt.«

»In zehn Stunden erwarte ich euch aufMommen«, fuhr der Hamamesch fort. »Wasdarf ich sonst für euch tun? Benötigt ihr Le-bensmittel im Tausch?«

»Gib mir die Koordinaten des Malaya-Systems«, bat Atlan. »Damit mein Schiffuns dort abholen kann.«

»Ich lasse die Daten überspielen. Und nun

Als Rebell geboren 37

entschuldige mich, ich habe Vorbereitungenfür meinen Bericht zu treffen.«

»Wir sehen uns«, verabschiedete sich derArkonide, doch da hatte Gunion schon abge-schaltet.

»Gute Beziehungen waren immer und zuallen Zeiten hilfreich«, meinte Tifflor. »DerHamamesch sprach von seinem Handelsfür-sten wie von einem Regierungsoberhaupt.«

»Ich halte es für sicherer, nicht mit die-sem Gunion zu fliegen«, wandte der stell-vertretende Kommandant ein, der schwei-gend zugehört hatte.

Atlan winkte ab. »Ich denke, daß es aufeinem Hamamesch-Schiff Interessantes zuerfahren gibt und daß auch das soziale Gefü-ge Rückschlüsse zuläßt. Dabei ist mir klar,daß der eigentliche Flug mit Start und Lan-dung nur kurze Zeit dauern wird.«

*

Die CHANTOM war einer der dickbau-chigen 500-Meter-Frachter, wie sie auch inder Milchstraße operiert hatten. Soviel wuß-ten Atlan und Ronald Tekener aus den bis-herigen Berichten.

»Also dann«, sagte der Smiler, währendsie gemessenen Schrittes auf das Schiff zu-gingen, »keine Waren anfassen, nichts kau-fen, nichts geschenkt annehmen.« Er grinstebreit. »Das erinnert mich an meine Kind-heit.«

Aus Sicherheitsgründen hatten die Un-sterblichen ihre SERUNS angelegt, die Hel-me aber nicht geschlossen.

»Gunion erwartet euch.« Ein Hamameschin einfacher Montur führte die Besucher indie Zentrale. Es gab nicht viel zu sehen aufdem Weg dorthin, die Hamamesch-Raumerwaren wie jedes andere Frachtschiff auch:zweckmäßig, auf größte Ladekapazität be-dacht. Einem Vergleich mit modernen ga-laktischen Schiffen hielten sie nicht stand, inihrem Standard hinkten die Hamamesch denHochzivilisationen der Milchstraße um Jahr-hunderte hinterher.

»Meine Freunde«, mit ausgebreiteten Ar-

men eilte Gunion heran, »ich freue mich,euch endlich begrüßen zu dürfen. Mein Han-delsfürst wird ebenfalls entzückt sein. Be-steht die Möglichkeit, einen festen Handels-pakt zu schließen?« Er blickte beide groß an.»Ihr seid meine Gäste. Fragt, wenn etwasunklar ist, fühlt euch wie zu Hause. – Abervorerst entschuldigt mich, die Startvorberei-tungen …«

Eine Bildschirmgalerie entlang der Wän-de, gestaffelt stehende Kontrollpulte mitMonitoren, Funk- und Ortungsbereich seit-lich angegliedert. Etliche Hamamesch thron-ten auf einer Art Hochsitz mit verstellbarenGelenkarmen, alles sehr beweglich, nach al-len Seiten verstellbar. Es gab auch Sitzgele-genheiten, die an Kontursessel erinnerten.

»Nehmt Platz!« rief Gunion quer durchden Raum. »Kostet auch nicht mehr.«

Tek ließ sich nicht zweimal bitten. Erwarf Atlan einen bedeutungsvollen Blick zu.»Humor hat unser neuer Freund«, bemerkteer trocken, »das muß man ihm lassen.«

»… und nur Geschäfte im Kopf«, ergänz-te der Arkonide. »Er hofft, uns für seineZwecke einspannen zu können. Ohne Hin-tergedanken bringt er uns bestimmt nicht zuseinem Handelsfürsten. Wenn wir so funk-tionieren, wie er sich das erhofft, fallen fürihn wohl einige Vergünstigungen ab.«

»Und für uns Informationen aus ersterHand.«

Die CHANTOM startete mit hohen Be-schleunigungswerten. Mommen und die imOrbit schwebenden Raumschiffe fielen raschzurück.

»Gunion hat es eilig«, betonte Tek.»Wenn mich nicht alles täuscht, sogar sehreilig.«

»Alles zu eurer Zufriedenheit?« erkundig-te der Hamamesch sich nach einigen Minu-ten. »Das große Kugelschiff folgt uns in ge-ringer Distanz.«

Atlan nickte knapp. »Wie lange wird derFlug dauern?«

»Oh«, machte Gunion und kratzte sich dieHalsschuppen. »Nicht sehr lange. Aber viel-leicht ergibt es sich, daß wir Rebellenschif-

38 Hubert Haensel

fen ausweichen müssen. Dann verlieren wirmöglicherweise Zeit.«

»Crypers?«»Sie sind die schlimmste Plage, noch

schrecklicher als Schuppenkrätze.« Wie erdas sagte, klang es in der Tat abscheulich.

»Vielleicht wissen sie eine Antwort aufdie Frage nach den Imprint-Waren«, platzteTekener heraus.

Gunion brachte den Mund nicht mehr zu.»Die Crypers?« Er schüttelte sich.

»Eine große Hamamesch-Karawane hatunsere Heimat aufgesucht, 118 MillionenLichtjahre entfernt. Die Händler haben Ba-sare errichtet und diese Imprint-Waren ver-kauft, und sie haben alle, die leer ausgingen,aufgefordert, nach Hirdobaan zu kommen.Die drei Schiffe über Mommen waren erstder Anfang. Willst du wissen, wie vielenoch kommen werden?«

»Nein!« keuchte Gunion. »Behalte es fürdich! Ich weiß nichts von einer Handelskara-wane und von Imprint-Waren, kein Hama-mesch des Mereosch-Oktanten weiß davon.«

»Wir haben von einem Grenzländer ge-hört, daß möglicherweise das HandelshausJondoron damit zu tun hat«, drängte Atlan.

Gunion nickte heftig, eine Geste, die ersehr schnell seinen Gästen abgeschaut hatte.»Das wäre sogar wahrscheinlich«, bestätigteer. »Es gibt da gewisse Informationen …«

»Über dunkle Kanäle?« fragte Tekener.Als der Hamamesch ihn irritiert anschaute,verbesserte er sich sofort: »Geheime Infor-mationen?«

»Natürlich. Gute Geschäfte stehen undfallen mit der Schnelligkeit, mit der sie ab-geschlossen werden. Stets ein klein wenigschneller sein als die Konkurrenz – das ist,die Devise. Und da kein Hamamesch jeeinen anderen Oktanten betreten würde,müssen Informationen eben anderweitig be-schafft werden, über Angehörige jener Völ-ker, die fast keiner Beschränkung unterlie-gen. Man handelt Informationen wie Waren.Wenn ihr Genaueres erfahren wollt, fragtAdrom Cereas. Der Fürst ist streng und ge-recht, und zwei so wertvollen Verbündeten

wie euch wird er sein Wissen nicht vorent-halten. Er ist … eben ein Fürst.«

Atlans Extrasinn meldete sich mit einemleisen Lachen. Ist dir die Betonung aufgefal-len? Ebenso wie Gunions plötzliche Unsi-cherheit?

Er hat Respekt vor dem Handelsfürsten,gab der Arkonide in Gedanken zurück.

Das allein ist es nicht. Gunion fürchtetihn; mit der gerühmten Gerechtigkeit ist eswohl nicht weit her. Gunion scheint nichtmehr zu sein als ein kleiner Befehlsempfän-ger, aber er ist froh, Cereas mit Tek und dirzwei wertvolle Verbündete präsentieren zukönnen, die noch dazu über eine fortschritt-liche Technik verfügen. Das wird sein Anse-hen heben.

Der Übertritt in den Hyperraum stand un-mittelbar bevor.

»Wann erreichen wir den Planeten Antan-totas?« fragte Atlan.

»In einigen Tagen.« Gunions Zuversichtwar plötzlich wie weggewischt. Sein Unbe-hagen wurde deutlich spürbar. »Wir sindaber aus – wie soll ich sagen? – aktuellemAnlaß zu einem kleinen Umweg gezwun-gen.«

Atlan und Tekener wechselten einen über-raschten Blick. »Das war nicht abgespro-chen«, protestierte der Smiler.

Gunion breitete die Arme aus. »Die Ge-schäfte erfordern einen Abstecher zur Agrar-welt Porlock. Dort liegt die Produktionbrach, das Soll kann nicht erfüllt werden,weil wichtige Maschinen ausgefallen sind.Überaltete Maschinen.«

Tekener seufzte ergeben. »Gibt es aufPorlock keinen Verwalter und keine Compu-ter, die rechtzeitig Ersatzlieferungen anfor-dern? Ein einzelnes Gerät kann überra-schend ausfallen, aber der Maschinenparkeines ganzen Planeten?«

Gunion wirkte unsicher. »Ersatzteile undneue Maschinen wurden längst bestellt undhätten schon vor einem Zehner geliefertwerden sollen. Warum das nicht geschehenist? Ich weiß es nicht. Eigentlich ist ein sol-cher Vorfall unvorstellbar, deshalb wird die

Als Rebell geboren 39

Information noch geheimgehalten.«»Du hättest uns trotzdem vorher informie-

ren müssen«, sagte Atlan zornig. »DieMannschaft der ATLANTIS ist über dieKursänderung nicht unterrichtet und wirdeinen unliebsamen Zwischenfall befürchten…«

»Ich muß meine Pflicht erfüllen, Atlan, sowie auch du Pflichten hast. Ein vollständigerProduktionsausfall während der Erntezeitwäre eine wirtschaftliche Katastrophe, des-halb sind meine Techniker gefordert. Siemüssen das Unmögliche versuchen und dieMaschinen von Porlock wieder in Gangbringen. Wir haben ohnehin schon zweikostbare Tage verloren, weil die Galaktikerjeden normalen Betrieb auf Mommen lahm-gelegt haben.«

»Wie lange wird unser Zwischenstoppdauern?«

Gunion gab sich einen merklichen Ruck.»Wenn du es wünschst, Atlan, werde ich dieTechniker lediglich auf der Agrarwelt abset-zen und unseren Aufenthalt möglichst kurzgestalten.«

Die CHANTOM beendete den Überlicht-flug für eine kurze Orientierungsphase. At-lan forderte die Hamamesch auf, die AT-LANTIS vom Kurswechsel zu benachrichti-gen. Doch ein Kontakt kam nicht zustande;wahrscheinlich war die ATLANTIS geradeim Hyperraum.

Dann verschwanden die Sterne wiedervon den Schirmen.

»Von wem hätte die Warenlieferung kom-men sollen?« fragte Tekener ahnungsvoll.»Von den Jondoron-Hamamesch und überdie Grenzländerstationen?«

»Unsinn!« rief ihr Gastgeber, fügte abersofort weitaus versöhnlicher hinzu: »Allewichtigen und darum versiegelten techni-schen Geräte werden im galaktischen Zen-trum gefertigt und repariert. Das gilt ohneAusnahme für alle Oktanten.«

»Warum fliegen nicht ein paar Frachterhin und holen die ausstehende Lieferungab?«

»Hinfliegen? Ins Zentrum?« Gunion

schnappte nach Luft wie ein Fisch auf demTrockenen. »Das galaktische Zentrum darfvon keinem Hirdobaaner betreten werden.Alle Lieferungen können nur an bestimmtenVerteilerstellen abgeholt werden.«

»Wer baut die Maschinen? Gibt es eigeneFabrikplaneten?«

»Ich weiß es nicht.«»Du willst uns wirklich erzählen, daß die

Hamamesch eine Technik verwenden und anandere Völker weitergeben, die sie selbstnicht herstellen?«

Der Translator übertrug jede Nuance vonAtlans Stimmlage. Die Schärfe seiner Wortewar unmißverständlich.

»Du glaubst mir nicht«, zeigte sich Guni-on betroffen. »Das schmerzt mich. Trotzdemkann ich dir keine andere Antwort geben.Natürlich kursieren viele Gerüchte und Le-genden über die Produktion von Technik,aber die Wahrheit kennen wohl nur dieMaschtaren – und außer ihnen vielleicht dieHandelsfürsten.«

11.

Porlock hing als blau-gelbes Juwel imAll, eine Sauerstoffwelt mit ausgeglichenemVerhältnis von Festland und Wasser und na-hezu ohne Jahreszeiten, da die Polachsesenkrecht zur Ekliptik stand.

Während des Landeanflugs wurde die in-tensive landwirtschaftliche Nutzung derÄquatorregion deutlich. Als breites Bandzog sich das leuchtende Gelb der reifen Ern-te um den Planeten.

Gunion erläuterte, daß infolge des gemä-ßigten Klimas drei Fruchtfolgen im Jahrwuchsen. Die Meere auf Nord- und Süd-halbkugel, durch künstliche Kanäle mitein-ander verbunden, wirkten als ausgleichenderFaktor, der noch weit vom Äquator entferntgroße Erträge ermöglichte. In den kälterenund damit weniger fruchtbaren Polregionenwar eine gigantische Ernährungsindustrieentstanden: endlose Fabriken, in denen Ge-treide, Gemüse und die Zuchttiere verarbei-tet wurden. In den Polregionen lagen auch

40 Hubert Haensel

die beiden Raumhäfen von Porlock. Vondieser Welt aus wurden weite Teile des Me-reosch-Oktanten mit Nahrungsmitteln belie-fert.

Die CHANTOM landete auf dem größe-ren Raumhafen im Norden. Nur fünf dick-bauchige Frachter standen nahe der nächstenFabrikanlage. Antigravplattformen transpor-tierten Waren in die Frachträume.

»Zu normalen Zeiten wäre es schwer füruns, einen geeigneten Landeplatz zu fin-den«, sagte Gunion, und es klang beinahewie eine Entschuldigung. »Dann hätten wirstundenlang im Orbit bleiben müssen.«

Aus nächster Nähe wurden sie Zeuge, wieeiner der Lastengleiter aus unerfindlichenGründen ins Schwanken geriet. Die Ladungverrutschte, begann auf die Piste abzureg-nen. Behälter platzten auf und verspritztenihren Inhalt im Umkreis. Im Nu war allesmit einem Gemisch aus Pulver, Flüssigkeitund Früchten bedeckt.

Gunion stieß eine deftige Verwünschungaus. »Da seht ihr es mit eigenen Augen. DieZustände sind untragbar.« Er wandte sich andie Besatzung seines Schiffes: »Ich erwarte,daß jeder sein Bestes gibt. Arbeitet, bis euchschwarz vor Augen wird, und haltet die EhreMommens hoch. Wenn wir es nicht schaf-fen, die Produktion wieder auf Hochtourenzu bringen, dann niemand.«

Ein Schwarm von Gleitern umkreiste dieCHANTOM. Alles schien von langer Handvorbereitet zu sein. Die Techniker verließendas Schiff über mehrere Schleusen, getragenvon Zug- und Antigravfeldern, und die be-mannten Gleiter verschwanden sofort imstrahlenden Blau des Himmels und machtennachrückenden Maschinen Platz.

Nach zwei Stunden ebbte die hektischeBetriebsamkeit ab. Aus aufgefangenen undvon den Servos ausgewerteten Funksprü-chen hatten die beiden Unsterblichen inzwi-schen ein deutlicheres Bild von der Situationauf Porlock erhalten. Die Lage war ernster,als Gunion zugegeben hatte. Die Frachter la-gen schon seit Wochen fest und wartetendarauf, endlich beladen zu werden.

Unerwartet näherte sich der Hamamesch.»Freunde«, begann er, »wenn ihr mehr se-hen wollt, begleitet mich zu den Abferti-gungsbüros. Einige Formalitäten sind nochzu erledigen, danach setzen wir unserenFlug fort.«

Ein offener Gleiter holte sie ab. Nach ver-waisten Landefeldern kamen die Fracht- undFabrikationshallen, die sich anfangs nur alszerklüftete Silhouette gegen den Horizontabgezeichnet hatten.

Gunion gab weitere Erklärungen. Früherwaren die großen Viehherden auf Porlockunter freiem Himmel gehalten worden, dochihr Stoffwechsel hatte mit Unmengen vonGasen die Atmosphäre geschädigt und in derFolge die Ernten bedroht. Seither gab es fürdie Tierzucht unterirdische Kavernen, diemit Hilfe modernster Technik hermetischabgeschlossen und entsorgt wurden – dieGase wurden komplett zurückgeführt.Nichts auf Porlock war heute noch dem Zu-fall überlassen.

»… dachte man bisher.«Gunion schaute Tekener überrascht an.

»Meine Leute bekommen das Problem inden Griff«, sagte er zuversichtlich. »Und inKürze werden die erwarteten Ersatzlieferun-gen eintreffen.«

Der Gleiter landete vor einem schmuckenBauwerk, dessen Konstruktion an eine auf-geklappte Muschel erinnerte. Auch hier hin-kte die Technik dem galaktischen Standardum Jahrhunderte hinterher.

Der Alarm heulte auf, als sie gerade erstdas Gebäude betreten hatten. Die schrillenSirenenklänge gingen durch Mark und Bein.

»Crypers!« gellten entsetzte Schreie auf.Gunion hielt so abrupt inne, als sei er ge-

gen einen unsichtbare Wand geprallt.»Zurück!« stieß er hart hervor. »Wir müssenuns beeilen!«

Tekener hielt ihn am Arm fest. »Willst duuns nicht verraten, was los ist?«

»Crypers!« keuchte der Hamamesch.»Begreift ihr nicht? Wenn euch euer Lebenlieb ist, lauft!«

Aus seinem Mund klang das ungefähr

Als Rebell geboren 41

wie: »Die Wilde Horde kommt!«Das eben noch geordnete Leben verlief

nun in chaotischen Bahnen. Gunion verzich-tete auf die Robotsteuerung des wartendenGleiters und zwängte sich selbst hinter dieKontrollen, riß die Maschine mit irrsinnigenWerten herum und entging einem Zusam-menstoß nur um Haaresbreite.

Die Ortungen der SERUNS erfaßten mehrals zwanzig Raumschiffe über der Tagseitedes Planeten. Mit flammenden Triebwerkenstießen sie in die Atmosphäre vor – Stern-schnuppen, die in Formation aus dem Him-mel stürzten, weithin sichtbare Schweife ausionisierten Gasen nach sich ziehend.

»Das ist der Weltuntergang!« jammerteder Hamamesch.

Das eben noch ferne, dumpfe Dröhnenwie von einem beginnenden Vulkanaus-bruch steigerte sich zum ohrenbetäubendenLärm. Die ersten Ausläufer einer heißenDruckwelle fegten heran. Gunion hatte Mü-he, den Gleiter zu stabilisieren. Andere Ma-schinen, die sich nicht im Windschatten ei-nes der großen Frachter befanden, wurdendavongewirbelt, schlugen irgendwo auf undexplodierten.

In das beginnende Chaos hinein zucktendie ersten Strahlschüsse.

»Sie zerstören die Funkstation!« stellteAtlan fest.

Tekener nickte knapp. »Schon registriert.Verteidigungsanlagen sind nicht geradezahlreich vorhanden.«

Hinter ihnen tobte ein energetisches Cha-os. Eine Fabrikhalle begann nach mehrerenTreffern von innen heraus zu glühen. Sekun-den später vernichtete eine verheerende Ex-plosion das Gebäude. Sengende Hitze breite-te sich aus.

Das war eine getarnte Geschützstellung,ließ Atlans Extrasinn wissen. Die Angreifersind hervorragend informiert.

Die Schiffe der Crypers schwebten nurnoch wenige Kilometer über dem Raumha-fen. Lediglich ein Raumer war schlanker, et-wa zigarrenförmig. Atlan schätzte das Schiffauf eine Länge von dreihundert Meter und

den Durchmesser auf gut hundert Meter ander dicksten Stelle. Es erstrahlte in den Far-ben des Regenbogens, wobei das Heck diedunklen Tönungen aufwies und die Farbenzum Bug hin heller wurden. Außerdemprangten abstrakt anmutende Motive undSchriftzüge in teilweise riesigen Lettern aufdem Rumpf.

»Gomasch Endredde stehe uns bei!«keuchte Gunion, als er das Schiff bemerkte.»Ausgerechnet Coram-Till, der übelste allerPiraten. Ein Verbrecher, wie Hirdobaan kei-nen zweiten kennt.«

Ein Strahlschuß fegte über den Gleiterhinweg. Gunion schaffte es nicht mehr, denTurbulenzen auszuweichen; das Fahrzeugwurde herumgewirbelt wie ein welkes Blattim Herbststurm. Sekunden später schlug dieMaschine auf – und verging in einer grellenDetonation.

*

»Der Arme ist ohnmächtig geworden«,stellte keine hundertfünfzig Meter entferntRonald Tekener fest. Als zwei Schläge mitder flachen Hand ins Gesicht den Hamame-sch nicht wieder zu sich brachten, verzichte-te er achselzuckend auf weitere Versuche.»Der Anblick des Regenbogenschiffs hatihm den Rest gegeben.«

Nur mit Hilfe ihrer SERUNS und derGravopaks hatten sie den abstürzenden Glei-ter verlassen und Gunion retten können. Ge-rade noch rechtzeitig bevor die ersten Schif-fe der Angreifer landeten und ihnen Tausen-de bewaffneter Crypers entströmten, erreich-ten sie die CHANTOM.

»Ein solcher Überfall erfolgt nicht ausheiterem Himmel«, gab Tekener zu beden-ken. »Ich halte jede Wette, daß er von langerHand vorbereitet wurde.«

Das blanke Entsetzen stand Gunion insGesicht geschrieben, als er wieder zu sichkam. »Weg hier!« stieß er abgehackt hervor.»Wir müssen starten! Sofort!«

»Im Zenit hängen mindestens zehn großeSchiffe«, wehrte Atlan ab. »Deine CHAN-

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TOM hätte keine Chance.«»Eben deswegen.« Immer noch unsicher

auf den Beinen, sprang Gunion auf das zurZentrale führende Laufband. »Wir dürfenkeine Rou zögern.«

»Die Crypers schießen unser Schiff ab,bevor wir an ihnen vorbei sind.«

»Lieber sterbe ich im Kampf, als michvon den Rebellen niedermetzeln zu lassen.«

»Manchmal ist es sinnvoller zu verhan-deln«, argumentierte Tekener.

»Ihr habt keine Ahnung von den Cry-pers«, erwiderte Gunion schroff.

Sie erreichten die Zentrale. »Alarmstart!«brüllte der Kommandant. »Schirmfelder ak-tivieren! Ich übernehme die Geschütze.«

Die CHANTOM hob ab, raste mit größerwerdender Beschleunigung in den wolkenlo-sen Himmel. Die ersten Strahlbahnen kreuz-ten ihren Kurs, gleich darauf begann dieSchiffszelle wie eine angeschlagene Glockezu dröhnen.

Rasend schnell fiel die Agrarwelt unterdem Schiff zurück. Ebenso zwei oder dreiRaumer der Angreifer.

Für einen Moment glaubte sogar Atlan,daß die Hamamesch es schaffen könnten.Aber dann erbebte die CHANTOM unterden auftreffenden Energien, die Teile derAußenhülle wegrissen und sich einen Wegtief ins Schiffsinnere fraßen. Der aufbran-dende Lärm machte jede Verständigung na-hezu unmöglich. Innerhalb von Sekunden-bruchteilen griff das Chaos nach der Zentra-le; Bildschirme implodierten, Überschlags-blitze rissen Kontrollpulte auf und töten Ha-mamesch in Gedankenschnelle.

Einen Moment lang herrschte Schwerelo-sigkeit, dann stürzte die CHANTOM ab.

Vergeblich kämpften die Hamamesch ge-gen das Ende an. Irgendwie schafften sie so-gar das Kunststück, erneut Schubleistungauf die Triebwerke zu bringen. Der Abstur-zwinkel wurde flacher, die wenigen nochfunktionierenden Schirme ließen ausgedehn-te Felder unter dem Schiff erkennen.

Kurz darauf der Aufprall. Ein Splittern,Bersten und Kreischen, das vor nichts haltz-

umachen schien. Die CHANTOM bohrtesich in fruchtbares Erdreich, pflügte ern-tereife Felder um und hinterließ eine breiteSpur der Verwüstung.

*

Wie sehr hatten sie diesem Tag entgegen-gefiebert, hatten all ihre Träume, Hoffnun-gen und Wünsche darauf ausgerichtet. DieCrypers kämpften nicht, weil sie den Kriegliebten oder ihnen Tod und Verzweiflungangenehmere Gefährten gewesen wären alsLiebe und die Sicherheit einer geborgenenHeimat – sie kämpften für ihre Zukunft, fürdie Freiheit, die ihnen das starre System derHamamesch niemals gewähren würde, undvor allem ums Überleben.

Als die Schiffe im Gefolge der NIKKENden Hyperraum verließen, ahnte auf Porlocknoch niemand das nahende Unheil. JedePhase des Angriffs hatte Coram-Till simu-liert, hatte Möglichkeiten verworfen und neutaktiert. Es durfte keine Fehler geben.

Bis die Hamamesch endlich begriffen, la-gen die wichtigsten Knotenpunkte derAgrarwelt schon unter Beschuß. Die Funk-stationen und Verteidigungsanlagen wurdengezielt zerstört; die Planetarier durften keineGelegenheit erhalten, Hilfe herbeizurufen.

Zwanzig Schiffe verteilten sich über dieRaumhäfen, legten Funk-Störfelder über diewartenden Frachter und hielten sie alleindurch die Drohung ihrer Anwesenheit amBoden fest. Die übrigen 23 Einheiten ausCoram-Tills Flotte landeten und setztenTausende kampferfahrener Crypers ab, de-ren Aufgabe es war, die Kontrolle über denPlaneten zu erringen. Daß dabei Blut fließenwürde, ließ sich nicht vermeiden. WelcheRevolution war je ohne Opfer verlaufen?Das große Ziel aller Rebellen rechtfertigteden Tod.

Bei den Crypers von Queeneroch galtendie Hamamesch seit jeher als Inbegriff allesBösen. Schon die mögliche Herkunft derCrypers warf ein bezeichnendes Licht aufdie Händler. Hieß es denn nicht, daß um-

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weltangepaßte Hamamesch lange vor denOlkheol-Kriegen auf einer Extremwelt aus-gesetzt und gezüchtet worden waren. Nachdem Frieden von Pendregge hatten bereitszehn Milliarden Crypers auf verschiedenenWelten der acht Oktanten gesiedelt, aber siewaren abgesondert und als Parias und Recht-lose behandelt worden. Nicht zuletzt hattedas bedeutet, daß sie alle Technik und be-sonders Raumschiffsantriebe mieten mußten– zu Bedingungen, die ihnen von Hamame-sch diktiert wurden.

Schon dagegen hatten die Crypers jahr-hundertelang vergeblich angekämpft undsich unter dem Druck von außen und derNot in viele Volksgruppen aufgesplittert.Während ein Teil von ihnen in Hirdobaanseßhaft blieb und den Status von Parias bei-behielt, wanderten die anderen nach Quee-neroch aus – manche freiwillig, die meistenunter dem Druck der Hamamesch. Aber alldas war längst Geschichte.

Unsanft wurde Coram-Till aus seinen Ge-danken aufgeschreckt. »Ein Schiff startet!«rief Moin-Art. »Diese Verbrecher wagen estatsächlich …«

»Abschießen!«Coram-Till hatte die Dauer ihrer Aktion

mit mindestens sechs Tagen veranschlagt.Unter der Voraussetzung, daß alles erwar-tungsgemäß ablief. Falls irgendwie jedochdie Fermyyd Wind von der Sache bekamen,würden die Rebellen das Nachsehen haben.

Die NIKKEN feuerte aus allen Rohren.Coram-Till registrierte, daß die Waffen sei-nes Beuteschiffs den gegnerischen Schutz-schirm durchschlugen und verheerendeSchäden anrichteten. Mit anderen Wesenhätte er Mitleid empfunden, nicht mit Hama-mesch. Die Hände zu Fäusten geballt, ver-folgte er den Absturz des Raumers. Quasi imletzten Moment gelang eine halbwegs passa-ble Notlandung.

»Das Schiff ist die CHANTOM«, meldetePhora-Sugh. »Registriert auf Mommen.«

Die Recyclingwelt! Coram-Tills Mienehellte sich schlagartig auf. »Vermutlich wur-den an Bord der CHANTOM Techniker

nach Porlock gebracht, um die Arbeiter indie neuen Maschinen einzuweisen.« Er zö-gerte einen Augenblick und fügte dann hin-zu: »Mich interessiert, was in dem Wrackheil geblieben ist.«

Moin-Art machte eine bestätigende Geste.»Die NIKKEN landet in unmittelbarer Nähe.Ich glaube nicht, daß auf der CHANTOMnoch irgendein Waffensystem funktioniert.«

Wenig später stürmten schwer bewaffneteCrypers das Wrack, allen voran ihr Anfüh-rer. In einigen Sektionen war das Schiff nurnoch ein klägliches Gerippe; geschmolzeneStahlträger hatten sich beim Aufprall inein-andergeschoben und bildeten ein schwer zuüberwindendes Hindernis. An manchen Stel-len brannten Feuer, und dichter, schwererQualm wälzte sich durch die verformtenKorridore.

Wie Wesen einer anderen Welt brachendie Crypers aus den Rauchschwaden hervor.Sie fanden tote Hamamesch und Verletzte,kümmerten sich aber nicht um die zum Teilverstümmelten Wesen. An ihrem Schicksalwaren die Hamamesch selbst schuld.

Erster Widerstand schlug ihnen entgegen.In den oberen Decks waren die Chancen derBesatzung besser gewesen, den Absturz zuüberleben. Zwei Techniker hatten sich hintereiner Gangbiegung verschanzt und feuertenaus handlichen Thermowaffen.

Coram-Till schritt unbeirrt weiter. Flüssi-ges Metall tropfte von der Decke herab, erachtete nicht darauf. Den schweren Kombi-strahler mit den drei Läufen hielt er wieeinen Schild vor sich; er feuerte unaufhör-lich. Aber nur mit den beiden Thermo-Läu-fen, der Paralysator half ihm nicht weiter.

Die Hamamesch waren hinter ihrerDeckung gefangen, sie schossen unkonzen-triert und hatten keine Chance, ihn so zu er-wischen. Coram-Till lachte spöttisch.»Zeigt, was ihr könnt, ihr verfluchtes Pack!Hier steht der Anführer der Ambraux-Cry-pers. Hat euch der Mut verlassen? Dannkriecht zurück in die Bauchtaschen eurerMütter, ihr Memmen.«

Eine schlimmere Beschimpfung konnte er

44 Hubert Haensel

ihnen nicht an den Kopf werfen. Die Hama-mesch schnellten nach vorne, rollten sich ab,schossen gleichzeitig. Aber Coram-Till rea-gierte einen winzigen Bruchteil zuvor. Diebeiden Verteidiger starben, ohne zu begrei-fen, was mit ihnen geschah, ihre Schüsseverfehlten den Rebellenführer jedoch nurum Haaresbreite und ließen hinter ihm Teileder Deckenverkleidung herabstürzen.

»Worauf wartet ihr?« herrschte Coram-Till seine Begleiter an. »Beeilt euch!«

Auf dem Hauptdeck machten sie die er-sten Gefangenen, Hamamesch, die ihre Waf-fen wegwarfen und sich angstschlotternd er-gaben.

Das Schott zur Zentrale war blockiert undmußte aufgeschweißt werden. Den Kombi-strahler schußbereit, fühlte Coram-Till sichwie ein Rachegott, der gekommen war, Ver-geltung zu üben.

»Die Überlebenden der CHANTOM sindmeine Gefangenen«, schmetterte er in denRaum. »Wer ist der Kommandant?«

Im Hintergrund, von flackerndem Lichtnur spärlich erhellt, hinter den Überresteneines zerfetzten hufeisenförmigen Pultes,war eine hastige Bewegung. Coram-Till rea-gierte schneller als der Hamamesch; diesmalbenutzte er nur den Paralysator.

»Sollte noch einer glauben, sich mit mirmessen zu müssen, werde ich ihn erschie-ßen. – Ich frage ungern zweimal. Wer ist derKommandant dieses Wracks?«

Ein älterer Hamamesch kam auf ihn zu.»Wie heißt du?«»Gunion«, stieß er mühsam hervor.»Du stammst von Mommen.« Als der Ha-

mamesch schwieg, fuhr Coram Till gering-schätzig fort: »Wenn dir das Reden schwer-fällt, unterhalten wir uns später. Ich habe oh-nehin Wichtigeres zu tun, als einem voneuch meine Aufmerksamkeit zu schenken;das wäre zuviel der Ehre.«

Überrascht registrierte er die beidenFremden, die keinem bekannten Volk inHirdobaan entstammten. Der eine hatte lan-ges helles Haar; sekundenlang ruhten ihreBlicke ineinander, ein stummer, aber ein-

dringlicher Zweikampf, den keiner für sichentscheiden konnte. Der andere wirkte we-gen seines – wie es aussah – von Narbenübersäten Gesichts markant. Coram-Till rea-gierte verwirrt. Obwohl die Fremden mitden Händlern gemeinsame Sache machten,waren sie anders.

Ärgerlich auf sich selbst warf er sich her-um und stapfte davon. Er befahl seinen Leu-ten, den Gefangenen die Waffen abzuneh-men.

Dann verließ er das Wrack wieder. Esgalt, die erbeuteten Maschinen und Vorrich-tungen schnell zu verladen und in Sicherheitzu bringen.

12.

Warten …Zum Nichtstun verdammt, zur Hilflosig-

keit.Mit jeder Stunde, die verstreicht, wird die

Ungewißheit quälender. Du schließt die Au-gen und glaubst, daß eine Ewigkeit vergeht,doch sobald du wieder einen Blick auf denZeitmesser wirfst, mußt du erkennen, daßdie Ziffern kaum weitergewandert sind. Ir-gendwann fängst du an, die Sekunden zuzählen.

Schlafen kannst du nicht, und wenn, dannnur für kurze Zeit. Das reicht, um dich wie-der fit zu machen. Dein Aktivator sorgt da-für, daß jede Sekunde zur Qual wird.

Du spielst mit dem Gedanken, die Wäch-ter zu überwältigen. Den Deflektorschirmund die Schutzschirme deines SERUNS ak-tivieren und einfach hinausspazieren. Aberwohin? Die ATLANTIS ist weit, Aktet Pfesthat keine Ahnung von einer Agrarwelt na-mens Porlock. Dann lieber warten. Darauf,daß dieser Coram-Till wieder erscheint. Erscheint eine besondere Figur auf der kosmi-schen Bühne Hirdobaan zu sein; er wirktwie ein ungestümer Krieger, doch ihm hafteteine Ausstrahlung an, die ihn über den Sta-tus des tumben Kämpfers erhebt.

Gunion starrt die Crypers so offen feind-selig an, als wolle er jedem persönlich den

Als Rebell geboren 45

Hals umdrehen. Doch das wagt er nicht. Erhat sich zu Atlan und mir zurückgezogenund hofft wohl, daß wir ihn beschützen.

Manchmal redet er mit uns. In verschwö-rerischem Tonfall. Er ist ebenfalls überzeugtdavon, daß Coram-Till seine Aktion gründ-lich vorbereitet hat. Und er behauptet, dasSpionagesystem der Crypers sei hervorra-gend; sie müssen genaue Pläne aller Anla-gen auf Porlock besitzen. Andernfalls hättensie nie so effektiv zuschlagen können. Ein-zig und allein das Motiv ihres Überfallskann er sich nicht erklären, darüber zerbrichter sich vergeblich den Kopf. Die Erbeutungvon Grundnahrungsmitteln ist den Aufwandund das Risiko nicht wert, denn die Piratenhaben kaum Probleme mit der Nahrungsver-sorgung. Sie brauchen High-Tech, aber diefinden sie auf Porlock nicht.

Erinnerungen kommen und gehen. Siesind Legion. Manche Bilder einer fernenVergangenheit schmerzen auf der Seele, an-dere würdest du gerne festhalten, doch sieverwehen wie Nebel. Beinahe zweieinhalbJahrtausende sind seit deiner Geburt insLand gezogen, was also kümmern dich einpaar Stunden.

Du denkst an Dao-Lin-H'ay, an ihr wei-ches, anschmiegsames Fell, ihren geschmei-digen Körper und ihre Zärtlichkeit. Die Qualwird dadurch nur noch größer.

Sollst du aufspringen und die Crypers an-greifen? Darauf warten sie doch nur. Ob-wohl du in ihren Gesichtern eher einen un-beugsamen Willen zu erkennen glaubst alsblanke Mordlust.

Endlich – seit dem Absturz der CHAN-TOM sind mehr als dreißig Stunden vergan-gen – tut sich wieder etwas. Vielleicht istnun die Zeit gekommen.

*

Coram-Till baute sich in voller Größe vorGunion auf. »Du«, herrschte er den Hama-mesch an und bedachte die beiden Galakti-ker mit einem forschenden Seitenblick, »wirhaben miteinander zu reden.«

Mit rund zwei Metern Körpergröße warder Rebellenführer eine imposante Gestalt.Noch dazu in dem schwarzen, wulstigenRaumanzug, der auf den ersten Blick ausübereinandergestapelten altmodischen Rei-fen zu bestehen schien. Coram-Till wirktedarin unwahrscheinlich bullig.

Der ebenfalls reifenartige Helm war nurvorne offen, die Sichtscheibe hatte Coram-Till wie ein Visier hochgefahren.

Seine Bewaffnung bestand aus einemschweren Kombistrahler, die drei Läufe inForm eines Dreizacks angeordnet. Behängtwar er außerdem wie ein Weihnachtsbaum,mit Granaten und Akkus unterschiedlicherGröße; in Halftern, die sich vor seiner Brustkreuzten, steckten zwei klobige Handfeuer-waffen.

Trotzdem wirkte er auf die beiden Un-sterblichen nicht wie ein Gewalttäter – ehergab er sich alle Mühe, gerade diesen An-schein zu erwecken. Er verbirgt seine wah-ren Gefühle hinter dieser Maskerade, wis-perte Atlans Extrasinn.

Coram-Till verhörte den Hamamesch.Daß er Gunion nicht mit Samthandschuhenanfaßte, war zu erwarten gewesen. Er offen-barte dabei eine ganze Bandbreite von Emp-findungen. Im einen Moment leise und über-legt, beinahe zurückhaltend, brauste erschon im nächsten Augenblick jähzornigauf. Dann hallte seine Stimme wie Donnerdurch die Zentrale, und Gunion hätte sichwohl am liebsten im nächsten Kabelschachtverkrochen.

Die Antworten des Hamamesch kamenstockend. Coram-Till zerrte ihn hoch, schüt-telte ihn und stieß ihn wieder zurück. »Ichweiß aus sicherer Quelle, daß eine Ladunghochwertiger landwirtschaftlicher Geräteund andere Technik nach Porlock geliefertwerden sollte«, keuchte er. »Aber du be-hauptest, diese Ladung sei nie eingetrof-fen?«

Gunion zitterte vor Furcht. »Es … ist die…Wahrheit«, würgte er abgehackt hervor.»Sieh … dich um.«

»Das habe ich längst getan«, brüllte der

46 Hubert Haensel

Rebellenführer. »Ich brauche die Geräte.«»Dein Pech.« Entweder war Gunion

plötzlich lebensmüde, oder die psychischeAnspannung war zu stark geworden.

Coram-Till starrte den Hamamesch ent-geistert an. Schließlich huschte die Andeu-tung eines Lachens über sein Gesicht, eingefährliches Lachen. »Weißt du, was ge-schieht?« fragte er leise. »Ich bin wütend,aber ich kann mich beherrschen. Doch mei-ne Leute schäumen über vor Wut, und siewerde hier keinen Stein auf dem anderenlassen.«

»Sie werden nichts finden. – Wir wolltennur die alten Maschinen reparieren.«

»Ja«, sagte Coram-Till gedehnt und be-gann eine ruhelose Wanderung, »vielleichthast du recht. Vielleicht ist es wirklich so.Dann war alles umsonst.« Abrupt hielt er in-ne und starrte Gunion herausfordernd an.»Daß die erwartete Lieferung ausbleibt, istmehr als ungewöhnlich, es muß ein schwer-wiegender Grund vorliegen. Was weißt dudarüber?«

»Nichts, gar nichts«, beeilte sich der Ha-mamesch zu versichern.

»Feigling«, knurrte Coram-Till. »Auchohne dein Jammern werde ich herausfinden,warum das so ist. So wahr ich hier stehe.«Seine Stimme wurde eine Nuance weicher,lauernd beinahe. »Könnte es sein, daß sicherste Hoffnung zeigt, daß der lange Kampfder Crypers endlich das System der Hama-mesch erschüttert hat? Daß euer Reich ausGewalt und Lüge zu bröckeln beginnt? Dannallerdings könnte ich sogar meine fehlge-schlagene Operation Porlock in einem posi-tiven Licht sehen.« Zum erstenmal wandteer sich bewußt an Atlan und Tekener undunterzog die beiden einer eingehenden Mu-sterung. »Wer seid ihr?« herrschte er sie an.

Tekener verschränkte die Arme vor derBrust. »Erwartest du wirklich, daß wir aufeine derart unhöfliche Frage antworten?«

»Die Galaktiker stehen unter meinemSchutz«, platzte Gunion heraus.

Coram-Till begann zu lachen. Laut undschallend. »Unter deinem Schutz?« prustete

er. »Du jagst mir Angst ein.« Im nächstenMoment hielt er abrupt inne. »Galaktiker?«fragte er scharf und spie aus. »Ich habe voneuch gehört. Nun wundert mich nichts mehr:Ein Verbrecher gesellt sich zum anderen.«

Er winkte einige Rebellen herbei. »Bringtdie Gefangenen von hier weg und laßt sieverfolgen, was auf Porlock geschieht.Schlachtet außerdem das Wrack aus, alles,was sich noch gebrauchen läßt. Damit wirnicht mit völlig leeren Händen abziehen.«

*

Die Gefangenen wurden auf das Regen-bogenschiff gebracht, und nach ihren Waf-fen mußten Atlan und Tekener auch die SE-RUNS abgeben.

Wieder begann eine Zeit des Wartens,doch diesmal erlebten sie mit, was sich au-ßerhalb der Wände abspielte. Auf demSchiff liefen viele Fäden zusammen, Bild-übertragungen aus allen Regionen derAgrarwelt. Die enttäuschten Crypers haustenauf Porlock wie die Vandalen. In blinderZerstörungswut hatten sie zu brandschatzenbegonnen: Felder wurden niedergebrannt,Viehherden abgeschlachtet oder an Bord derFrachter transportiert. Tod und Vernichtunghielten Einzug, Fabriken explodierten, undder Rauch brennender Gebäude verdunkeltedie Sonne.

Die Pockennarben ungezählter Flächen-brände verunstalteten das Antlitz des JuwelsPorlock. Aus dem Weltraum gesehen ver-barg die Agrarwelt sich hinter dichter wer-denden riesigen Rauchwolken. Ein Leichen-tuch.

Die Crypers sorgten für planetenweitesChaos. Ihre Raumschiffe beschossen dieTangfabriken auf den Ozeanen, die bald alsglühende Inseln versanken. Auch die Kaver-nen unter dem Festland blieben nicht ver-schont. Tiefe Gräben wurden aufgerissenund füllten sich mit glühender Schlacke.

»Sie töten und zerstören grundlos«,schnaubte Atlan entrüstet, »sie vernichteneine blühende Welt, nur weil sie den Hama-

Als Rebell geboren 47

mesch gehört.«»Ich hätte Coram-Till für klüger einge-

schätzt«, stimmte Tekener nachdenklich zu.»Eigentlich erschien er mir wie ein Mannunseres Schlages …«

Atlan fixierte ihn unter zusammengeknif-fenen Brauen. »Daß er dem Treiben seinerLeute tatenlos zuschaut, kann ich nicht tole-rieren. Plünderer und Mordbrenner warenmir stets zuwider.«

»Du glaubst wirklich, deine Meinungwürde mich interessieren?« Ohne daß sie esbemerkt hatten, war Coram-Till hinter ihnenerschienen. »Ausgerechnet das Urteil einesGalaktikers.« Das klang mehr als nur ver-ächtlich.

Tek bedachte den Rebellenführer mit ei-nem Kopfschütteln. »Es gefällt eben nichtjedem, die eigene Schande zu hören.«

Vorübergehend sah es aus, als wolle derCryper sich auf ihn stürzen. Der Smiler ver-steifte sich, doch Coram-Till überlegte essich im letzten Augenblick anders.

»Du verdammst die Hamamesch«, sagteAtlan. »Aber deine Rebellen töten und ver-nichten aus Lust, nicht aus Notwendigkeit.Sag selbst, ob eine solche Handlungsweiseeines intelligenten Volkes würdig ist.«

»Du willst mir Moral predigen?« stießCoram-Till hervor. »Dabei seid ihr nichtbesser als die Hamamesch: Abschaum undGesindel …«

»Wenn du das glaubst«, sagte Tekenerleise, »dann ist jedes weitere Wort überflüs-sig und verlorene Liebesmüh.«

Der Cryper hatte seinen schweren Kombi-strahler über der Schulter hängen. Mit einerruckartigen Bewegung riß er beide Handfeu-erwaffen halb aus den Halftern. »Ich sollteeuch auf der Stelle erschießen«, knurrte erzornig. »Oder noch besser: Ich lasse euchhinrichten. Als abschreckendes Beispiel füralle, die glauben, sich ein Urteil über andereanmaßen zu können, aber selbst hinterhältigmorden. Ihr kommt aus einem fernen Ster-nennebel und habt kein Recht, euch in dieAngelegenheiten der Crypers einzumischen.Was wißt ihr schon von unseren Nöten und

Problemen? Könnt ihr nachvollziehen, wases bedeutet, Tag für Tag in Furcht leben zumüssen, immer auf der Hut vor Angriffen?«

»Piraten haben kein anderes Schicksalverdient.« Atlan provozierte den Rebellen-führer, um ihn endgültig aus der Reserve zulocken. Falls Coram-Till der Mann war, alsden er ihn trotz seiner zur Schau gestelltenHärte einschätzte, hatte er wenig zu befürch-ten – falls er sich irrte, würde sich erweisen,wer schneller reagierte und der bessereKämpfer war.

Vorübergehend sah es so aus, als wolleCoram-Till wirklich abdrücken, doch dannstieß er mit einer Verwünschung auf denLippen die Waffen zurück.

»Piraten nennen uns die Hamamesch«,brachte er hervor. »Piraten und Plünderer.Weil wir uns dem System nicht unterordnenwollten und die acht Handelshäuser gegenuns waren, wurde unser Volk in die Illegali-tät getrieben; es kann nur durch Piraterieüberleben. Wir sind auf die Technik derHändler angewiesen, ohne sie gäbe es keineWeltraumfahrt in Hirdobaan und Quee-neroch. Aber dieses System ist nur eine vor-nehme Art von Unterdrückung und Ausbeu-tung. Deshalb müssen wir plündern, um inQueeneroch überleben zu können.«

»Euere Heimat liegt in der Nachbargala-xis?«

»Ich verrate kein Geheimnis, Galaktiker,wenn ich dir sage, daß unsere Vorfahreneinst von Hirdobaan auswandern mußtenoder vertrieben wurden. Niemand kennt dieZahl der besiedelten Planeten exakt, abervon den sieben Rebellengruppen sind wirAmbraux-Rebellen die stärksten.«

»Das klingt nicht gerade so, als würdet ihreines Tages gemeinsam losschlagen«, wand-te Tekener ein.

Coram-Till verschränkte die Arme. »Ihrlebt euer Leben, ich das meine, uns trennenWelten. Ich verstehe nicht, warum ich euchdas alles überhaupt erzählt habe.«

»Weil du vielleicht doch das Herz aufdem rechten Fleck hast«, sagte Atlan.

Der Cryper blickte ihn verständnislos an.

48 Hubert Haensel

»Wir halten dich nicht für einen kaltblüti-gen Mörder«, seufzte der Arkonide. »Wasdie anderen Rebellen anbelangt, mag dieseFeststellung eher unzutreffend sein.«

»Wir streben das Ziel, die Herrschaft derHamamesch zu stürzen, auf unterschiedli-chen Wegen an. Einigkeit herrscht lediglichin dem Punkt, daß wir alle uns gegen dieHändler auflehnen.«

»Also kocht jeder sein eigenes Süpp-chen«, schloß Tekener daraus. »Trotzdemwerden wir mutwilliges Töten und Zerstörenniemals gutheißen. Hört auf damit, Coram-Till, sonst wird euer Widerstand eines Tagesan euch selbst zerbrechen.«

»Du wagst es … mir Ratschläge zu ertei-len? Ein hinterhältiger Galaktiker, der denHamamesch in Bösartigkeit nicht nach-steht?« Der Cryper schien gar nicht fassenzu können, was er eben gehört hatte. Aufdem Absatz machte er kehrt und stapfte da-von. Atlan und Tek hörten ihn noch eineWeile Befehle brüllen, aber sie verstandennicht, was er sagte.

»Schade«, murmelte der Smiler. »DerBursche hat Charakter.«

»Vor allem hat er neue Aspekte ins Spielgebracht«, ergänzte Atlan. »Es hat noch niegeschadet, zwei Seiten anzuhören.«

Daß der Rebellenführer ebenfalls hinzu-gelernt hatte, stellten sie kurze Zeit späterfest. Die ersten Crypers beendeten ihr sinn-loses Zerstörungswerk. Stunden später wa-ren alle kriegerischen Handlungen einge-stellt. Dafür begannen die Rebellen mit einergroßangelegten Plünderung: Was die Ver-nichtungsaktion einigermaßen heil überstan-den hatte, wurde an Bord der Raumschiffeverfrachtet.

*

Atlan dachte an Tifflor, Aktet Pfest undall die anderen auf der ATLANTIS, die seitTagen im Gebiet des Malaya-Systems aufdie Ankunft der CHANTOM warteten. Viel-leicht waren sie inzwischen zur BASIS zu-rückgeflogen und hatten Perry Rhodan Be-

richt erstattet. Oder sie hatten Kontakt mitAdrom Cereas von Mereosch aufgenommen.

»Denkst du an dein Schiff?« wollte Ro-nald Tekener wissen. »Ich sehe es dir an, al-ter Arkonide.«

Atlan verzog die Lippen zu einem säuerli-chen Lächeln. »Und du?« gab er knapp zu-rück. »Liegst du in den Armen der Karta-nin?«

»Nur in Gedanken«, versicherte der Smi-ler.

Gunion und die anderen Hamameschblickten sie verständnislos an. Sie redetenfast nicht mehr miteinander. Die Aktivator-träger konnten es sich an den Fingern abzäh-len, daß Gunion bitter enttäuscht war. Erhatte sich Beistand von ihnen erhofft, dochanstatt Sinnvolles zu unternehmen, döstensie in den Tag hinein.

Inzwischen ging es ihnen nicht mehr soschlecht wie zu Anfang ihrer Gefangen-schaft. Die Crypers gaben ihnen Nahrungund zu trinken und hatten sogar Räumlich-keiten für die Verrichtung körperlicher Not-durft zur Verfügung gestellt. Atlan zweifeltenicht daran, daß Coram-Till entsprechendeAnordnungen erteilt hatte.

Lange würden sie wohl nicht mehr auf derverwüsteten Agrarwelt bleiben. Den Rebel-len mußte der Boden unter den Füßen all-mählich heiß werden.

»Ich glaube, daß Coram-Till den Auf-bruch absichtlich verzögert«, sagte Tekenerunvermittelt.

»Er wartet und hofft, daß die ausstehendeLieferung noch eintrifft«, ergänzte Atlan.

Der Mann mit den Narben der Lashat-Pocken lachte leise. »Dann sind wir uns ei-nig. Der Anführer der Rebellen ist ein geris-sener und wagemutiger Bursche.«

»Mich interessiert der Grund seiner Aver-sion gegen uns. Ob es wirklich nur daranliegt, daß wir in Begleitung der Hamameschwaren. Sein Haß kam zeitweise deutlichzum Durchbruch.«

Gunion hatte nicht ein Wort des in Inter-kosmo geführten Gesprächs verstanden.Verbittert blickte er wieder von einem zum

Als Rebell geboren 49

anderen. Seine Geste wirkte hilflos. »DieRebellen werden uns töten«, behauptete er.»Uns und euch. Warum unternehmt ihrnichts?«

»Du hättest uns rechtzeitig die Koordina-ten von Porlock geben sollten«, gab Tekenerbissig zurück. »Dann wäre unser Schifflängst da und hätte die Crypers in die Fluchtgeschlagen.«

Gunion schwieg betreten.Als Coram-Till endlich wieder erschien,

wirkte er im Gegensatz zu seinen vorange-gangenen gelegentlichen Visiten bedrückt.Die Fäuste in die Seiten gestemmt, baute ersich vor den Gefangenen auf. »Unser Auf-bruch von Porlock steht unmittelbar bevor«,verkündete er und streifte die Hamameschmit einem verächtlichen Blick. »Ihr beide«,er deutete auf Atlan und Tekener, »werdetmich als meine Gäste auf der NIKKEN be-gleiten.« Er sagte Gäste, aber er meinte nachwie vor Gefangene. Der Spott in seinerStimme war unverkennbar. »Die anderenwill ich hier nicht mehr sehen.«

Crypers schafften die Hamamesch fort.Was Atlan und Tekener zunächst für eine

späte Folge ihres Disputs mit dem Rebellen-führer gehalten hatten, entpuppte sichschnell als bittere Notwendigkeit. Im freienRaum zurückgebliebene Wachschiffe hattendie Annäherung einer starken Flotte gemel-det. Coram-Till dachte nicht daran, sich aufeine Auseinandersetzung einzulassen.

Nahezu zeitgleich hoben alle Rebellen-schiffe von Porlock ab. Mit höchsten Be-schleunigungswerten strebten sie auseinan-der.

Unmittelbar bevor die NIKKEN in denHyperraum ging, erschienen auf den Schir-men die anderen Schiffe. Doch die Distanzwar zu groß für einen Schußwechsel.

»Das war knapp, und unsere Beute ist lä-cherlich gering«, schimpfte Coram-Till, da-nach musterte er seine Gefangenen langeund eindringlich.

»Du haßt uns?« fragte Atlan unvermittelt.Der Rebellenführer schwieg. Verbittert

und unversöhnlich starrte er den Arkoniden

an.»Warum?« bohrte Atlan weiter.»Das fragst du?« brüllte Coram-Till. Wut-

entbrannt sprang er von seinem Sitzgestellauf, und für einen Augenblick hatte es denAnschein, als wolle er den Aktivatorträgermit bloßen Fäusten attackieren, doch hatte ersich rasch wieder in der Gewalt. »Du kennstden Namen Phana-Corg?«

Atlan horchte auf. Er erinnerte sich an den30. Dezember 1209 NGZ, an den erstenRückflug der BASIS von der Großen Leere.Die Androgynen-Station Coma-6 war vonCrypers angegriffen und verwüstet worden,aber Moira hatte den Terranern einen»Gefallen« getan und die Piraten vernichtet.Ein von ihr zurückgelassener Memowürfelhatte nicht nur Einzelheiten des Kampfes umdie Station gezeigt, sondern unter anderemauch Gespräche zweier Crypers namensPhana-Corg und Earin-Dil.

Ja, der Arkonide erinnerte sich. Trotzdemsagte er zu Coram-Till: »Ich habe den Na-men nie gehört. Wer ist Phana-Corg?«

»Er war mein Freund«, gab der Rebellen-führer zur Antwort. »Der beste, den ich jehatte. Vor mehr als zehn Jahren flog Phana-Corg eine ferne Station an, die erst kurz vor-her von fremden Raumfahrern errichtet wor-den war. Von Raumfahrern, die sich Galak-tiker nannten.« Er machte eine kurze Pause,wie um seine Worte wirken zu lassen. »Mitsiebenundsechzig Schiffen aus verschiede-nen Gruppen brach er auf – zurück kamnicht ein einziges. Keiner unserer Leute hatüberlebt, es war ein Massaker unbeschreibli-chen Ausmaßes.«

»Daran sind wir unschuldig«, begann At-lan, doch der Cryper schnitt ihm mit einerschroffen Handbewegung das Wort ab.

Coram-Till war bis zum Äußersten erregt.»Die Galaktiker sind nicht besser als die Ha-mamesch. Ohne Grund und gnadenlos habensie Phana-Corgs stolze Flotte vernichtet undunsagbares Leid und Trauer über die Wider-standskämpfer von Queeneroch gebracht.Deshalb hasse ich euch.«

»Du hast recht, was die Station anbelangt.

50 Hubert Haensel

Aber sie war nur mit Robotern bemannt, undkeiner von uns …«

»Ausflüchte!« stieß Coram-Till hervor.»Lügen, die nichts an den Tatsachen ändern.Du zitterst um dein Leben, Galaktiker, undich verspreche dir, du hast allen Grund, dichzu fürchten.«

Abrupt wandte er sich ab.Er ist erregt und betroffen, wisperte At-

lans Extrasinn. Er will nicht, daß ihr seineTrauer erkennt und als Schwäche auslegt.

Damit schienen sich die Fronten ausweg-los verhärtet zu haben.

Epilog

»Er ist ein Rebell, und ich weiß, daß er

einen Tages einen großen Namen tragenwird.«

Im Alter von zehn Jahren hatte Coram-Till die letzten Worte seiner Mutter erfah-ren. Er würde sie nie vergessen.

Trecq-Morna und sein Vater hatten ihrLeben für die Hoffnung gegeben, dasSchicksal möge eines Tages ein Einsehenmit den Crypers haben. Deshalb kämpfteauch er, Coram-Till, für die alten Ideale.

Sein Traum war die Freiheit aller Völker.Er würde alles dafür tun, daß dieser

Traum endlich Wirklichkeit wurde.

E N D E

Der Ausflug Atlans und Ronald Tekeners endete mit der Festnahme durch die Piraten vonHirdobaan. Und im Moment sieht es so aus, als ob die Gefangenschaft längere Zeit dauernwürde.

Über das Schicksal der beiden Zellaktivatorträger berichtet der PERRY RHODAN-Romander nächsten Woche, den Peter Terrid geschrieben hat und der unter folgendem Titel er-scheint:

DIE CRYPERS

Als Rebell geboren 51

Computer: Zeitrechnung II

Im ersten Teil unserer Abhandlungen haben wirverschiedene Definitionen zum »Jahr« und die dazu-gehörigen Probleme allgemein beleuchtet. Nun wollenwir uns mehr den handlungsbezogenen Fragen derZeitrechnung zuwenden.

Der Exposé-Factory in der Person von Ernst AltredVlcek versorgt die Autoren seit längerer Zeit mit Jah-reskalendern der jeweiligen Handlungszeit. So lagdem Expose zu Band 1750 der Jahreskalender fürdas Jahr 1220 NGZ (4807 A.D.) bei. Wer sich der Mü-he unterziehen will und das überprüfen möchte: Der1. Januar 1220 NGZ ist danach ein Montag. Wollenwir hoffen, daß der PC der Expo-Factory alle Schalt-jahre bis zu diesem Datum exakt berücksichtigt hat.(Siehe dazu die Anmerkungen zum GregorianischenKalender im Artikel der Vorwoche). Feiner haben wirdort festgestellt, daß im Jahr 4900 eine Korrektur desGregorianischen Kalenders (um einen Tag) erforder-lich wird. Die Expo-Factory hat also noch 93 Hand-lungsjahre Zeit (die schnell vergangen sein können),um sich zu überlegen, wie der Kalender dann aus-sieht.

Sicher wird manch einer sagen, solche Überlegun-gen seien mehr Spielereien am Rand. Recht hat er.Aber wenn ein Autor den 22. Juni 1220 auf einen Frei-tag fallen läßt und der folgende den 29. Juni 1220 aufeinen Samstag, dann findet sich bestimmt ein Leser,der das moniert. Zugegeben, die Zeitrechnung istnicht das A und O. Und außerdem führt sie überall zuVerwirrungen. Tatsache ist jedenfalls, daß wir in derPerry Rhodan-Serie bis heute am GregorianischenKalender festgehalten haben und daß wir mit der Ein-führung der Neuen Galaktischen Zeitrechnung implizitdavon ausgegangen sind, daß das Jahr 3587 abge-laufen war, als das Jahr 1 NGZ begann. Ein Jahr 0gab es da übrigens nicht, ebensowenig gibt es das inder alten christlichen Zeitrechnung.

Nun wird es aber schon komplizierter. Das Jahr3588 A. D. wäre ein Schaltjahr. War es das Jahr 1NGZ, das mit ihm identisch ist, auch? Wir haben die-se Frage beantwortet: In logischer Konsequenz undunter Beibehaltung der Gregorianischen Zeitrechnungund Festlegung waren die NGZ-Jahre 1, 5, 9, 11 undso weiter Schaltjahre. In der Anlage zum Expo 1707ist im Jahreskalender auch ein Schaltjahr ausgewie-sen. Die Expo-Factory hat also die erwähnte»logische Konsequenz« befolgt. Woraus zu schließenist, daß Ernst Vlcek den Kalender für das Jahr 4804A.D. berechnet hat und dann die NGZ-Jahreszahl1217 an die Stelle der 4804 gesetzt hat.

Wir denken nun einen Schritt weiter, ohne damit dielobenswerte Arbeit von Ernst zu kritisieren. Die Frageist berechtigt, ob es nicht irgendwann in der Zukunfteine Reform des terranischen Kalenders geben wird.Oder ob es – aus der Sicht der Perry Rhodan-Hand-lung – eine solche Reform nicht eigentlich gegebenhaben müßte.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die unter-schiedlich langen Monate sind etwa allen Bankiersschon seit langem ein Dorn im Auge. Die verschiede-

nen Längen der Monate sind historisch bedingt, siesind in vielerlei Hinsicht hinderlich. Die Geldinstitutemachen es sich einfach: Sie berechnen grundsätzlichjeden Monat mit 30 Tagen, jedes Jahr mit 360 Tagen.Exakt ist das nicht, besagt es zum Beispiel, daß manfür angelegtes Geld im Monat Februar (mit 28 Tagen)dieselben Zinserträge erhält wie im Juli (mit 31 Ta-gen). Bestrebungen, all das zu vereinheitlichen, sindverständlich.

Da geisterte einmal ein Vorschlag durch die Medi-en. Er besagte, man solle das Jahr mit 360 Tagenund zwölf Monaten festlegen. Der 1. Januar sei stetsein Sonntag. Der 30. Dezember, der offiziell letzteTag im Jahr, wäre dann stets ein Dienstag. Danachmüsse eine »chaltwoche« folgen, die fünf oder sechsTage enthielte. Alle während dieser Schaltwoche Ge-borenen erhielten als Geburtsdatum den 30.12. für dieersten drei Tage, den 1.1. für die letzten zwei oderdrei Tage. Außerdem wäre an den Tagen der Schalt-woche grundsätzlich arbeitsfrei. (Mit dieser Idee ver-folgte der Erfinder wohl das Ziel, Anhänger für die Re-form zu gewinnen).

Man kann sich aber eine Lösung zwischen dieserVariante und der Wirklichkeit vorstellen, nämlich einJahr mit zwölf Monaten zu je 30 Tagen und einerSchaltwoche aus fünf oder sechs Tagen, die den De-zember »verlängert«, mit dem bekannten Schaltjahrund der Beibehaltung der fortlaufenden Wochentage.Denn wer hat schon gern sein ganzes Leben lang im-mer und ewig an einem Montag Geburtstag?

52 Hubert Haensel

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