An v er gessenen Kr iegsschauplätz en - volksbund.de · sc hem Ko mmando stehende Orient-armee mit...

Preview:

Citation preview

46 SONDERSEITE Freitag, 19. Oktober 2018

An vergessenen KriegsschauplätzenDeutsche Soldatengräber des 1. und 2. Weltkrieges in Bulgarien

Von Michael Betz

Ein wenig Wein schüttet GeorgiTantschew auf den Boden, Rauchaus dem Weihrauchfass steigt weiß-grau auf, die singenden orthodoxenGebete klingen über den Ort. DerOrtsgeistliche von Sandanski segnetGräber. Es sind die letzten Ruhe-stätten deutscher Soldaten, die vorteilweise mehr als hundert Jahrenim Ersten Weltkrieg gefallen sindim äußersten Südwesten des heuti-gen Bulgarien. Obwohl der ErsteWeltkrieg vom sprichwörtlichen„Pulverfass Balkan“ seinen Aus-gang nahm und obwohl in der bergi-gen Region im Herbst 1918 ent-scheidende Schlachten geschlagenwurden, kann man von einer verges-senen Front sprechen. Dass die Op-fer dieser Front im Ersten undZweiten Weltkrieg nicht auch mitvergessen werden, dafür sorgt derVolksbund Deutsche Kriegsgräber-fürsorge mit seiner Arbeit, die auchin Bulgarien stattfindet.

Die kleine religiöse Zeremonieauf dem Friedhof von Sandanskiwird von einer Gruppe bayerischerJournalisten verfolgt, die an einervon Volksbund Deutsche Kriegsgrä-berfürsorge organisierten Informa-tionsfahrt ins westliche Bulgarienteilnehmen. Der Blick schweift imkleinen Soldatenfriedhof inmittender zivilen Gräber auch über dieNamen bayerischer Soldaten. Ge-meinsam mit bulgarischen und ös-terreichisch-ungarischen Truppenstanden sie vom Oktober 1915 inden Bergen westlich von Sandanskiim Kampf gegen die Serben. Da-

mals hieß die Ortschaft noch SwetiVrac, die bulgarischen Kommunis-ten ließen den Namen erst 1947nach einem Revolutionshelden än-dern.

Die Kommunisten wurden alsMachthaber vor 30 Jahren abge-setzt, der Name ist geblieben. DieToten auch. Und seit dem Ende desSozialismus werden die deutschenSoldatengräber auch wieder ge-pflegt, der kleine Friedhof wird voneiner lokalen Helferin liebevoll in-standgehalten. „Nach dem ZweitenWeltkrieg verfielen die Gräber all-mählich“, weiß Ludmilla Karaiwa-nowa, die für die Kriegsgräberfür-sorge die Region Sandanski betreut.

Krieg folgt auf KriegDass hier im Ersten Weltkrieg

überhaupt deutsche Soldaten imKampf standen, hat mit der politi-schen Entwicklung Bulgariens zuBeginn des 20. Jahrhunderts zu tun.In zwei Balkankriegen 1912 und1913 drängten zunächst Serbien,Bulgarien, Griechenland und Mon-tenegro die Truppen des Osmani-schen Reiches weitgehend auf dieGrenzen der heutigen Türkei zu-rück. Allerdings konnten sich dieBündnispartner nach dem Endedieses ersten Balkankrieges nichtüber die Aufteilung der erobertenTerritorien einigen. Bulgarien griffdeshalb am 29. Juni 1913 die grie-chischen und serbischen Truppenan – und erntete eine Niederlage.

Nach und nach folgten Angriffesämtlicher Nachbarländer auf Bul-garien, das innerhalb weniger Wo-chen kapitulieren musste und in derFolge seine gesamten Gebietsgewin-ne aus dem ersten Balkankrieg wie-der verlor. Ein Jahr später löste derMordanschlag serbischer Nationa-listen auf den österreichischenThronfolger Franz-Ferdinand denErsten Weltkrieg aus – das „Pulver-fass Balkan“ setzte in der Folgenicht fast ganz Europa in Brand.Bulgarien bleibt im Konflikt an-fangs neutral, stellt sich jedoch abMitte Oktober an die Seite der Mit-telmächte – man wollte die nationa-le Schmach des zweiten Balkan-krieges tilgen. Serbien wird damitvon Deutschen, Österreichern undBulgaren gemeinsam angegriffenund bricht Anfang 1916 zusammen.Allerdings haben die Alliierten alsVerbündete Serbiens mittlerweileVerstärkung geschickt: In Salonikiformiert sich die unter französi-schem Kommando stehende Orient-armee mit Soldaten aus Frankreich,Italien, Serbien und dem Common-wealth – ihre Stunde schlägt imSeptember 1918 (siehe eigenen Be-richt).

Wer heute den südwestlichen Zip-fel Bulgariens am Rand des Pirin-Gebirges bereist, denkt nicht zuerstan Kriegstote. Trotz der Platten-bau-Tristesse und ruinendurchsetz-ter Ortsränder als Erinnerung an

das sozialistische Experiment,überwiegt in Sandanski das Bild ei-ner vitalen Stadt. Ein großzügigesKulturhaus wurde mit Geldern derEU gefördert, darauf weist stolz einSchild hin.

Griechische Aufschriften an Ge-schäften erinnern daran, dass es bisnach Saloniki nur rund eineinhalbStunden Autofahrt sind, die Grenzezum Nachbarland ist nahe. Man iststolz hier auf das antike Erbe derRegion, wo Spartakus geboren seinsoll. Ein monumentales Standbilddes als Sklaven verschleppten Thra-kers prägt den Ortseingang vonSandanski.

Angriff auf GriechenlandDie Erinnerung an die deutschen

Kriegstoten fällt bedeutend zurück-haltender aus, Heldenkult gibt esauf den Soldatenfriedhöfen desVolksbundes Deutsche Kriegsgrä-berfürsorge nicht. In Marino Pole,einige Kilometer südöstlich vonSandanski, sind es dunkelgraueSteinplatten mit den schwarz ein-gravierten Namen der Gefallenen,die hier an 369 Soldaten der Wehr-macht erinnern, die auf diesemFriedhof im Zweiten Weltkrieg be-stattet wurden.

Die Grenze zwischen Bulgarienund Griechenland war nämlich imApril 1941 wieder zur Front gewor-den: Um ihrem italienischen Bun-desgenossen zu helfen, griffen deut-sche Truppen am 6. April von Bul-garien aus Griechenland an. DieKämpfe am Rupel-Pass um die Me-taxas-Linie, eine Kette griechischerGrenzbefestigungen, forderte gleichzu Beginn der Kämpfe zahlreicheOpfer. Die Griechen verteidigtensich zäh in einem Fort am Pass. EinTeil dieser Gefallenen wurde sofortnach Marino Pole gebracht. Derkleine Friedhof verfiel zwar nachdem Krieg, die Gemeinde verhin-derte jedoch auch in der kommunis-tischen Ära eine Überbauung. Sokonnte die Kriegsgräberfürsorgeden zwischenzeitlich oberirdischgar nicht mehr erkennbaren Fried-hof neu anlegen.

Rund 1800 deutsche Gefallenedes Zweiten Weltkriegs sind nachden Unterlagen des Volksbundesauf dem Gebiet des heutigen Bulga-rien bestattet, für den Ersten Welt-krieg gibt es keine konkreten Daten.230 Einzelmeldungen von Gefalle-nen liegen hier jedoch vor. In sechsOrten des Landes gibt es größeredeutsche Soldatenfriedhöfe. In So-fia erinnern seit dem Jahr 1989 Ta-feln an die Namen von 1560 deut-schen Kriegstoten beider Weltkrie-ge in Bulgarien. Und immer wiederzeigen Kerzen oder Blumen auf ein-zelnen Gräbern und den Friedhofs-anlagen, dass die Toten nicht ver-gessen sind. Sie waren Söhne, Brü-der, Ehemänner, Väter. Ihr Tod fernder Familien und der Heimat isteine Verpflichtung – zum Frieden.

Steinplatten mit den Namen der 369 deutschen Toten, die auf dem Soldatenfriedhof Marino Pole im südwestlichen Bul-garien bestattet wurden. Sie fielen größtenteils im April 1941 zu Beginn des Angriffs der Wehrmacht auf Griechenland.

Sandanski liegt im Südwesten Bulgariens nahe den Grenzen zu Griechenlandund Mazedonien.

Auf dem kleinen Soldatenfriedhof in Sandanski sind 19 deutsche Tote des Erstenund 16 Tote des Zweiten Weltkrieges bestattet.

Einsames Fliegergrab im WaldErinnerung an deutsche Flugzeugbesatzung

Der Weg ist steil hinauf zumFliegergrab von Roshen bei

Sandanski. Treppenstufen führenim Wald nach oben zu einer kleinenebenen Fläche. Auf einem Gedenk-stein stehen die Namen von vierdeutschen Soldaten. Es war die Be-satzung eines Bombers vom TypJunkers JU 88, der am 16. April1941 auf dem Rückflug von einemAngriff auf Griechenland wenigeMeter oberhalb des heutigen Grabesabgestürzt ist. Ein deutsches Kom-mando beerdigte kurz nach demAbsturz die toten Kameraden direktvor Ort. Dass das lange vergesseneGrab in dem einsamen Waldstückheute noch besucht werden kann, istauch das Verdienst von LudmillaKaraiwanowa, der lokalen Reprä-sentantin der Kriegsgräberfürsorge.Ihre Eltern konnten sich noch anden Absturz im Jahr 1941 erinnern.Sie selbst betreut seit 1998 eine Ju-gendbegegnung von bulgarischenund deutschen Teilnehmern aus Ba-den-Württemberg. Im Zuge einer

dieser Aktionen wurde das Grabrestauriert und der Weg dorthinwieder begehbar gemacht. -be-

Im Wald hinter dem heutigen Grab istdas Flugzeug 1941 abgestürzt.

Haussammlungfür Kriegsgräber

Am heutigen Freitag startetbayernweit wieder die

Haus- und Straßensammlungdes Volksbundes DeutscheKriegsgräberfürsorge. Die imJahr 1919 gegründete Organi-sation hat aktuell etwa 2,7 Mil-lionen Kriegstote beider Welt-kriege auf 832 Kriegsgräber-stätten in 46 Staaten in ihrerständigen Obhut. Beständigwird vom Volksbund vor allemin den ehemaligen Ostblock-staaten weiterhin nach Gräberndeutscher Soldaten gesucht, umsie auf zentrale Kriegsgräber-stätten umzubetten. Für seineArbeit ist der Volksbund aufSpenden der Bürger angewie-sen; staatliche Zuwendungenmachen nur einen geringen Teildes Budgets der Organisationaus. Informationen zum Volks-bund und zu Spendenmöglich-keiten gibt es im Internet unterwww.volksbund. de. -be-

Gräber der „Orientarmee“Gedenkstätte auf dem Friedhof von Sofia

Im Tod sind sich die Soldaten einstverfeindeter Länder wieder nah:

Auf einem besonderen Areal desZentralfriedhofs der bulgarischenHauptstadt Sofia sind die Gefalle-nen der Kämpfe in dieser Region imErsten Weltkrieg bestattet. Ein eng-lischer, deutscher, italienischer undfranzösischer Teil des Friedhofs lie-gen direkt nebeneinander.

Deutsche und Österreicher warenim Süden Europas eingesetzt, umSerbien niederzuringen und so eineLandverbindung zum verbündetenOsmanischen Reich herzustellen.Die Orientarmee der Alliierten soll-te anfangs den bedrängten Serbenbeistehen, wofür sie jedoch zu spätkam. Das international bunt ge-mischte Truppenkontingent errich-

tete allerdings ab 1916 eine Frontli-nie von Albanien im Westen bis inden griechischen Teil Mazedoniensim Osten. Mehrere alliierte Offensi-ven und zäher Stellungskrieg for-derten zahlreiche Opfer.

Am 14. September 1918 trat dieOrientarmee in Mazedonien zumAngriff auf Bulgarien an. Diese so-genannte „Schlacht von Dobro pol-je“ führte schon nach wenigen Ta-gen zum Zusammenbruch derFront, Bulgarien musste um einenWaffenstillstand mit den Alliiertenbitten. Dies bedeutete nach den ka-tastrophalen deutschen Rückschlä-gen im August 1918 in Frankreichauch, dass eine Niederlage für dasDeutsche Reich nicht mehr ab-wendbar war. -be-

Gräber deutscher Gefallener des Ersten Weltkrieges auf dem Friedhof in Sofia.

8A6LniQo

Recommended