Anita Taschler & Richard Parncutt Karl-Franzens-Universität Graz Ekstase und Trance in der...

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Anita Taschler & Richard Parncutt

Karl-Franzens-Universität Graz

Ekstase und Trance in der Musik

Ein interkultureller Vergleich

Internationale Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie

Gießen, 2007

Veränderte Bewusstseinszustände

Identität Erfassung von Selbst, Umwelt, Interaktion

Empfinden Denkabläufe, Zeitempfinden, Bedeutungserleben Emotion, Synästhetie/Halluzination

Einengungen körperliche und geistige Kontrolle freie Willensbestimmung

Etymologie

Ekstasegriech. ékstasis = das Aus-sich-heraustreten

Trancealtfrz. transe = Hinübergehen

Unterschiede

Ekstase Außer-sich-geraten (Verzückung) erhöhte…

Spannung positive Emotion Hingabe und Aufnahmevermögen

Trance In-sich-hineingehen (schlafähnlich) reduzierte…

Spannung Aufmerksamkeit Reaktionsfähigkeit

Ekstase und Trance nach Rouget

(Rouget, 1985:11)

Ekstase Trance

Unbeweglichkeit BewegungStille LärmEinsamkeit GemeinschaftOhne Krise In KriseSensorischer Verlust Sensorische ÜberstimulationErinnerung AmnesieHalluzinationen Keine Halluzinationen

Flow

Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit. Das

Handeln wird als ein einheitliches Fließen von einem

Augenblick zum nächsten erlebt.

(Csikszentmihalyi und Csikszentmihalyi, 1988)

Ethnologisch-anthropologische Kulturgeschichte

in vielen Kulturen institutionalisiert Schamanismus

Sufi-Ritual

Tarantella-Tanz

Bourguinon, 1997; Goodman, 1994

Musikethnologie: Methoden zur Induzierung veränderter Bewusstseinszustände

Einnahme von psychoaktiven Pflanzen oder

Substanzen

Rhythmische Stimulation

Kontrolle des Atems

Körperhaltungen

Konzentration

(Rätsch, 1998)

Psychologie: Emotionstheorie

“Peak experiences”(Maslow, 1968)

Musik als Auslöser starker Emotionen

(Rousseau, 1768; Sloboda, 1985 u.a.)

Gabrielsson und Lindström (2003) Strong experience related to music: A descriptive system

Methode

Forschungsgegenstand

TeilnehmerInnen

Durchführung

Analyse

Forschungsgegenstand

Trance und Ekstase auf der Bühne

Ergänzung von strong experiences related to

music (Gabrielsson & Lindström, 2003)

nicht Musikhören, sondern Musizieren

Interkultureller Vergleich

TeilnehmerInnen

1 Geschlecht 9 M3 F

2 Alter Zw. 19 J. und 50 J.3 Herkunft Österreich, Deutschland,

Italien, Senegal, Marokko5 Instrument/e Jazzgesang, Klavier,

Kontrabass, Tanz, Trommel,Percussion, Keyboard, undKomposition

6 Musizierpraxis Mind. 6 Jahre bis über 30 Jahre

Durchführung

halb-strukturierte Interviews

Frage-Leitfaden Postfragebogen Dauer: zw. 30 min und 1,5 h Ort: Cafés, Bars, Proberäume, bei 1. Autorin

oder bei den ProbandInnen zuhause Aufnahme mit Minidisk

Analyse

Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2003)

Auswertung: Paraphrasierung

Generalisierung (Abstraktionsniveau)

Reduktion

Kategorienzusammenfassung

Vergleich mit Gabrielsson & Lindström (2003)

Auswertungskategorien

Kategorienmodell von Gabrielsson & Lindström (2003)

allgemeine Charakteristika physiologische Reaktionen und Verhaltensweisen Wahrnehmung Kognition Emotionen existentielle- und transzendentale Aspekt persönliche- und soziale Aspekte

Subkategorien

1 Allgemeine Charakteristika und Merkmale von Ekstase und

Trancea) Einzigartigkeitb) Erfahrung, die schwierig zu beschreiben ist

1. c) Definitionsunterschiede (*)d) Häufigkeit (*)

2 Physiologische Reaktionen und Verhaltensweisena) Physiologische Reaktionenb) Verhaltensweisen und Aktionenc) Quasi-physiologische Reaktionend) Kraftaufwand (*)

Ergänzung des Kategorienmodells

Neue Kategorien Kontext des Musizierens vergleichbare Zustände

Neue Subkategorien Definitionsunterschiede Häufigkeit Kraftaufwand Selbstvergessenheit Erotische Gefühle Offenheit Bleibender Eindruck

Ergebnisse

Denkabläufe

Zeitempfinden Körperkontrolle Bedeutungserleben intensive Emotionen (vorwiegend positiv) persönliche, soziale und musikalische Einsichten

Stärkung des Selbstbewusstseins

Motivation zum Spielen.

Häufigkeit

„Ich erlebe das [Ekstase] bei jedem Konzert, mindestens einmal, und wenn ich’s nicht erlebe, dann hat mich das Konzert unbefriedigt zurückgelassen.“ (Fall D, ♂)

„Trance passiert jeden Tag. Wenn ich Melodien singe im Kopf, bin ich schon in Trance, glaube ich.“ (Fall B, ♂)

„Ekstase kommt öfter vor wie Trance.“ (Fall I, ♂) „Wie oft das vorkommt, weiß ich nicht.“ (Fall A, ♂)

Vertrauen

„Vertrauen ist ganz wichtig. Man muss sich vor allem als Solist, dann musst du dich tausend%ig auf deine Musiker verlassen können.“ (Fall G, ♂)

„Und das Umfeld ist auch wichtig. Wenn du dich in einem Kreis von Menschen bewegst, wo du weißt, dass du denen vertrauen kannst und du sein darfst, dann geht’s natürlich viel besser und ganz anders.“ (Fall J, ♀)

Symptome

„Ekstase ist für mich wirklich Gänsehaut..“ (Fall F, ♀)

„..ich hatte erstens Mal ein Lächeln auf dem Gesicht und zwar die ganze Zeit und auf der anderen Seite war ich überhaupt nicht fähig.. Ich konnte mit niemandem reden.“ (Fall F, ♀)

„Ja, ich steh unter Strom. Physisch bemerke ich bei mir immer wenn das passiert (atmet tief aus) wie wenn du in einer Achterbahn sitzt und es geht runter.“ (Fall F, ♀)

Bezug zur Musik

„dieses fließende Gefühl, dass man die Stimme total durch sich Durchdringen spürt und sich selbst irrsinnig spürt.“ (Fall J, ♀)

„dass man komplett abschalten kann und für den Moment in der Musik ganz drinnen ist.“ (Fall E, ♀)

Kraftaufwand

„Es war eine Stunde wirklich extreme Kraft, einerseits im Sinne der Anstrengung beim Spielen selbst, andererseits im Sinne des Wissens was wir da gerade tun.“ (Fall A, ♂)

„Das sind so Momente, da gehe ich auch an meine physischen Grenzen, weil ich weiß, dass der Körper da so überladen ist mit Anspannung, bis du zu diesem Moment kommst, weil du brauchst Kraft dafür, das durchdringt dich.“ (Fall D, ♂)

„Das ist an unsere körperlichen, an unsere psychischen Grenzen [..] gegangen.“ (Fall A, ♂)

Synästhesie

„Musik macht das zwar nicht direkt, aber es entstehen Bilder durch Erfahrungen und dadurch gelange ich in Trance.“ (Fall B, ♂)

„..dass man nur mehr auf diese Sache konzentriert ist und nur mehr das hört, und dann entstehen Bilder, aber was für welche.“ (Fall B, ♂)

„Man denkt vielleicht in Farben oder in Stimmungen. Man ist von der Außenwelt abgeschlossen und ist voll mit sich selbst.“ (Fall G, ♂)

Musikalische Struktur

„F. hat ein extrem cooles Lick gespielt, an einem Moment, wo dann der Schlagzeuger richtig reagiert, oder cool reagiert hat, und ich habe ohne nachdenken genau die corners erwischt, die das ganze Bam! auf das nächste Level katapultiert hat.“ (Fall C, ♂)

„dann kommt es (das Solo) einfach natürlich heraus.. Es gibt keine falschen Töne mehr. Jeder spielt und alles was gespielt wird gibt total Sinn und es grooved und es passt auf einmal alles zusammen, weil wahrscheinlich jeder aus so einem Zustand heraus spielt.“ (Fall C, ♂)

Kognition

„..ich war leer – oder voll eigentlich. Ich war leer an Gedanken und so voll an Eindrücken.“ (Fall F, ♀)

„Wenn du voll konzentriert bist und vertieft, dann bist du auch vielleicht in einem Trance Zustand, wie du einfach auf eine Sache fokussiert bist und nicht tausend Gedanken im Kopf schweben.“ (Fall B, ♂)

„Ich denke an gar nichts.“ (Fall G, ♂)

Verlust von Kontrolle / Selbst

„Die Finger bewegen sich automatisch.“ (Fall E, ♀) „Da trau ich mich zu behaupten, ich war wirklich

komplett weg, wo ich für kurze Zeit vergessen habe, wenn die Leute nicht geklatscht hätten, dass ich gerade vor Leuten singe. “ (Fall E, ♀)

„Ich denke, bei der Ekstase verlierst du dich selbst und fällst in das ganze rein.“ (Fall J, ♀)

Out-of-body experiences

„Ich war irgendwie – ich weiß nicht – im ersten Stock oben und habe mir selbst zugeschaut. Ich bin einfach nur da gestanden und das Instrument hat von selbst gespielt.“ (Fall C, ♂)

„Es war wie ein Traum. Ich bin oben. Ich greife die Erde nicht an, obwohl ich am Boden bin. Es ist total hell. Aber das Licht ist nicht wie die Sonne, es ist feines Licht. Ich wusste es selbst nicht. Meine Hand war schmutzig. Leute fächerten mir Luft zu und sagten zu mir: „Du warst weg!“ Ich wusste nicht wo ich war. Es war gut. Ich habe Leute gesehen – gute Geister.“ (Fall I, ♂)

Emotion

„..und es sind dort Situationen, die dich einfach überwältigen. Wo du einfach sagst: „Wow!“ Du hast so ein enormes Glücksgefühl dabei, dass du das Gefühl hast, für das ist es wert, ein ganzes Leben lang, auf der Suche nach dem verbringen, weil das so ein enormes Glücksgefühl ist.“ (Fall C, ♂)

„Manchmal spürst du, dass du verliebt bist, manchmal spürst du, dass du unschuldig bist, manchmal spürst du auch, dass du schuldig bist.“ (Fall K, ♂)

Spiritualität

„Trance ist die Kommunikation zwischen Seele und Geistern. In Senegal heißt Trance, dass der Mensch in eine andere Welt übertritt – in die Welt der Geister und Ahnen..“ (Fall I, ♂)

Motivation, Selbstbewusstsein

„Es hat mich gestärkt in dem was ich mache, das muss doch irgendwie ein Zeichen sein. „(Fall E, ♀)

„Wenn ich ein Lied schreibe, spüre ich das: Dieses Lied wird ein super Lied. Dann habe ich das Gefühl, dass ich daran arbeiten muss. Das gibt mir auch Kraft zum weiterarbeiten.“ (Fall K, ♂)

„Dass ich keine Angst haben muss. Respekt habe ich schon mehr bekommen.“ (Fall E, ♀)

Vergleichbare Zustände

„Es gibt die Ekstase, die ich empfinde, wenn ich wie jetzt vor 2 Wochen, mit einem Windsurfer über den Neusiedlersee fahre. Es gibt die Ekstase, wenn ich durch einen jungfräulichen Tiefschneehang, mit meinem Snowboard durchschneide. Es wirkt sich auch ganz anders aus am Instrument.“ (Fall G, ♂)

„Das ist wie der Gipfelrausch – wie wenn du kurz vor dem Gipfel vom Mount Everest stehst und du weißt du hast eigentlich die Kraft für die letzten 100m nicht mehr, aber du wirst ganz sicher da hoch gehen, egal was für ein Sturm kommt. Die 100 Höhenmeter gehst du hoch.“ (Fall D, ♂)

Was begünstigt oder hemmt Ekstase/Trance auf der Bühne?

aktuelles persönliches Befinden Lampenfieber

Vorbereitungsgrad

Setting

Konkurrenz zwischen MusikerInnen Identifizierung mit der Musik körperlicher und geistiger Aufwand

Bewegung

Konzentration

Sinn und Funktion von Ekstase/Trance

Integration in sozial-kulturelle Handlungen emotionale Kommunikation Spiritualität, Reliosität Identität; Stärkung des Selbstbewusstseins Erholung, Heilung

Integration in musikalischen Schaffensvorgang kreative Einsicht

persönlich sozial musikalisch

Motivation zum Üben

grundsätzliche Funktion und Ursprung der Musik?

Weitere Forschungsfragen

Ekstase und Trance bei Kleinkindern

Genderunterschiede Veränderte Bewusstseinszustände beim

Musikhören vs. Musikspielen

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