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Prof. Dr. Dr. h.c. Alf C. Zimmer

Fakultät Psychologie, Pädagogik und Sportwissenschaft

Der Mensch in der selbstgeschaffenen Umwelt

Probleme, Lösungen und Perspektiven aus

psychologischer Sicht: Ergonomie und HF

Auf den Weg zur

systemischen Sicherheit

Beispiel: Assistenzsysteme im

Fahrzeug

Verteilung der Unfallursachen

Sonstige Ursachen

1,2%

Technische Mängel am

Fahrzeug

0,7%

Umgebung / Wetter

4,6%

Menschliches

Fehlverhalten

93,5%

Quelle: GIDAS-Datenbank

„menschliches Versagen“

Technisches Versagen

1945 2000

leistungsbe-

einflussende

Faktoren

Situative

Faktoren

Verkehrs-Infrastruktur

Verkehrsregeln

Qualifikation & Training

Bedingungen

menschlichen

Fehlverhaltens

Ablenkung durch externe Reize

Überforderung

Mangelnde Voraussetzungen

Intrinsische Variabilität

Kognitive Funktionen, die am Zu-

standekommen von Fehlhandlungen

beteiligt sind:

Diskrimination (zu eng oder zu weit)

Verarbeitung der Eingangsinformation

(falsche Aufmerksamkeitsverteilung)

Gedächtnisaktivitäten (Heuristiken)

Interferenz (Ähnlichkeit, Habituation)

Parametersetzung (falscher Ort, Zeit,

Kraft)

Internes FehlverhaltenFehl-Erkennen (Interpretation, Identifikation)

Fehl-Planen (Ziel, Mittel, Objekt, Entscheidung)

Fehl-Ausführung (Zeitpunkt, Dauer)

Fehl-Kommunikation

Beobachtbares

FehlverhaltenAuslassungsfehler

Ausführungsfehler:

Reihenfolge

Zeitpunkt

Art/Ort der Handlung

Fehleranalyse nach Rasmussen (1982):

• Mechanischer oder struktureller Fehler

• Informationsfehler

• Diagnosefehler

• Zielsetzungsfehler

• Fehler in der Auswahl der Vorgehensweise

• Handlungsfehler

• Bedienungsfehler

Fehleranalyse nach Reason (1990):

Aufmerksamkeits-

fehler

Zielsetzungs-

fehler

Informations-

verarbeitungsfehler

Nicht intendierte

Verhaltensweisen

Intendierte

Handlungen

Verstöße

sicherheitsorientiert

effektivitätsorientiert

gefährdende

Verhaltensweisen

Grundlegende

Fehlertypen

Ebe

nen

de

r V

erh

altensste

ueru

ng

bei W

arn

ung

Evaluatives Verhalten aufgrund

von Werten & EinstellungenBewertung

Wissensbasiertes Verhalten

Mustergesteuertes

Verhalten

Sensorische

Eingabeinternes Feedback Aktionen

Affektive Reaktionen Hierarchie von

Zielen

Identifikation des

SystemzustandesAufgaben-

auswahl

Planung der

Handlungs-

folge

Wiederer-

kennen

Zustands-

Aufgabe-

VerbindungRegelan-

wendung

Umsetzung in

analoge Führgrößen

Automatisierte

sensu-motorische

Muster

analoge

Signale

(affordances)

Bewertung

Symbole

Zeichen

Folgeverhalten

Innovationsphasen

technischer Reifegrad

Orientierung am Nutzer

Mangelnde Systemtransparenz hat zur Folge:

• Entwicklung falscher mentaler Modelle bezüglich der inhärenten Kausalität

• Anwendung nicht zutreffender Heuristiken (z.B. ‚Viel hilft viel‘ o.ä.)

• Falsche Interpretation des Systemverhaltens und darauf aufbauend:

• Nicht zielführende bzw. schädigende Eingriffe bei Bedienung und Instandhaltung/Reparatur

Sicherheitskulturen

• Die juristische Sicherheitskultur

• Die ingenieurwissenschaftliche Sicherheitskultur

• Die systemische Sicherheitskultur

Die juristische Sicherheitskultur

• Hauptkennzeichen: schuldhaftes oder fahrlässiges Fehlhandeln

• Hauptfragen: Wer konnte zu welchem Zeitpunkt den nach menschlichem Ermessen zu erwartenden Auslöser des negativen Ereignisses erkennen? Wer hatte die zumutbare Möglichkeit, die Auswirkungen dieses Auslösers zu verhindern?

Menschliche Fehler werden bei

Unfällen als am wenigsten zwingend

und daher als vermeidbar angesehen

Warum? Menschen sind

freie Agenten, die

zwischen richtig und falsch

wählen können

Weil Fehler daher als

teilweise absichtlich

angesehen werden,

erfolgt

Schuldzuweisung

Gegen Fehler

(= schuldhaftes

Handeln) werden

Warnungen und

Sanktionen

eingesetzt

Bei Unfällenist dies

wirkungslos, daher

treten die Fehler

weiterhin auf.

Wiederholungs-

Fehler nach Warnungen

oder Bestrafungen

werden als besonders

schuldhaft angesehen,

Konsequenzen von Assistenz im Fahrzeugals Beispiele für gute und problematische Mensch-

Maschine-Passung

• ENTLASTUNG bei der Handhabung (ACC, ABS etc.)• ENTLASTUNG bei der Fahrtplanung (Navigationssysteme)• BELASTUNG durch Überwachung

eventuell:• ÜBERFORDERUNG bei Übernahme (ACC)

• PROBLEM: Kompetenzverlust– Mangelnde Handlungskompetenz ohne Assistenz– Mangelnde Differenzierung bei der Anwendung von Assistenz

Die systemische Sicherheitskultur

• Hauptkennzeichen: Sicherheit ist eine Funktion des gesamten Mensch-Technik-Umwelt-Systems

• Hauptfragen: Welche Interaktionen bestehen zwischen den Systemkomponenten? Welche Systemarchitektur ist besonders fehlerverzeihend? Welche Systemarchitektur entwickelt sich am ehesten in Richtung Voraussagbarkeit und Stabilität?

IntegrationHollnagel‘s Joint Cognitive Systems

Fahrzeug

Wahrnehmung

AusführungSensorik

Verar-

beiten

Exekution

KognitionFahrer

Externe Ereignisse und

Systeme

Langzeitgedächtnis

Gedächtnissysteme

Arbeitsge-

dächtnis

Prospektives

Gedächt-

nis

Intentionen

Routinen

Pläne

visuell-

räumlich

oder

phonetisch

Mentales

Modell

Voraus-

sagen

Se

lektiv

e A

ufm

erk

sa

mke

it

Situationsbewusstsein Entscheiden & Handeln

Planungvon

Reaktionen

Diagnose

Anomalienerkennen

Entscheidung

für die „beste“

ErklärungSuchen nach

Ursachen

System verhält

sich nicht wie

erwartet

Überprüfen

der erwarteten

Veränderungen

Registrierung von

AbweichungenKorrektur System-

bedienung

Bediener

Systemfunktion

System-zustands-anzeige

- Information

- Geschwindigkeit

- Fahrstand

- verfügbarer

Brennstoff

Info

rma

tio

nsk

an

äle

Abwarten, ob Wiederherstellung der Norm

Leistung des Menschenunbefriedigend hervorragend

hervorragend

Automatische

Systeme

Mensch

und

Assistenz-systeme

Mensch

Geschätzte Fehlerwahrscheinlichkeiten(Swain&Gutman, 1983; in Klammern : Zimmer et al. 1999)

• Analoganzeige falsch ablesen

• Graphen falsch interpretiert

• Signal übersehen

• Situationsdiagnose

• .003 (beim Fahren .09)

• .01 (falsche Interpretation von

Symbolen neuer Systeme: bis .3)

• .0003 (beim Fahren zwischen .13

und .30)

• hochgerechnet 0.75 (beim

Fahren weniger als .01)

aber:

Fehlerabwehrmaßnahmen durch Telematik und Assistenztechnologie

• Enforced compliance: direkter Eingriff

• Implied complience: Eingriff über Information oder Rückmeldung

• Induced Compliance: Eingriff über veränderte Gestaltung der Regelung

EingabenBedienelemente

Menus

Spracheingabe

von anderen Modulen

Sensorik

Decodierung InterpretationInterface

Manager

Fehlermonitor

Ressourcen

-Modell

Leistungs-

Modell

Adaptive

Unterstützung

Display-

Generator

Blackboard

Fehleranalyse nach Rasmussen (1982):

6

18

24

240

23

0

38

0 50 100 150 200 250 300

Bedienungsfehler

Handlungsfehler

Methodenfehler

Zielsetzungsfehler

Diagnosefehler

Informationsfehler

Strukturelle Fehler

Feh

lera

rt

HäufigkeitAnzahl Unfälle: N=312

Relative Risiken der Unfallverursachung

• Negative Emotion (RR=2.01)• Müdigkeit (RR=1.94)• Kognitive Ablenkung (RR=1.90)• Nicht angepasste Geschwindigkeit (RR=1.85)• Ablenkung durch Navigationsaufgabe (RR=1.65)• Verstoß (RR=1.62)• Mangelnde Ortskenntnis (RR=1.62)• Alkoholisierung (RR=1.55)• Kein früher absolviertes Fahrsicherheitstraining (RR=1.40)• Mangelnder Sicherheitsabstand (RR=1.39)• Ablenkung durch Objekte außerhalb des Fahrzeugs (RR=1.32)• Ablenkung durch Objekte innerhalb des Fahrzeugs (RR=1.30)• Sonnenblendung (RR nicht definiert); 12 Unfälle (4%), nur Unfallverursacher

Kein signifikanter Einfluss von Alter, jährlicher Fahrleistung, Mangelnder Vertrautheit mit Fahrzeug, Dauer des Führerscheinbesitzes

Beispiel: Fehlerarten in Abhängigkeit vom Alter

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

50%

55%

60%

65%

70%

75%

80%

bis 24 25 bis 59 ab 60

Alter

An

teil

de

r F

eh

lera

rte

n

Informationsfehler

Diagnosefehler

Handlungsfehler

Struktureller Fehler*

Abwendung

Ablenkung

Junge Fahrer Ältere Fahrer

Reaktions-

zeiten

Funktionsstärken von Fahrern bzw.

technischen Systemen: Wahrnehmung bzw. Sensorik

• Signalaufnahme multimodal und in großen Bereichen

• Detektion schwacher Signale durch Aufmerksamkeitssteu-erung & Kontrast-verstärkung

• automatische Form- & Raumwahrnehmung

• effiziente Bewegungs-wahrnehmung

• Detektion von Signalen außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsbereiches

• hoch präzise Registrierung und

Speicherung von Mess-Daten

• Kontextunabhängigkeit

Ablaufkontrolle:

Fahrer technisches System• Kontextspezifische und

schemageleitete effektive

Suche im Gedächtnis

• Strategienwechsel bei

Misserfolg

• Flexibilität hinsichtlich

Perspektivenwechsel

• schnelle Plausibilitäts-

überprüfung

• Automatische & vollständige Suche in großen Datenmengen - schlagwortgesteuert

• Vollständige Durchführung aller spezifizierten Optionen incl. Permutationen von Reihenfolgenhängig

• Parallele Abarbeitung mehrerer komplexer Funktionen

Planung:

Fahrer technisches System• Voraussage und Antizipation

komplexer Abläufe

• Adaptivität, schnelles Lernen

durch Rückmeldung

• Induktives Schließen

• Lösung unvollständig

spezifizierter oder neuer

Probleme

• Komplexe Entscheidungen

auch bei unvollständiger oder

widersprüchlicher Information

• Exakte Wiederholung

spezifizierter Prozesse mit

großen Datenmengen (z.B.

Matrizen)

• vollständige Durchführung

deduktiver Schlüsse

• vollständige Suche nach

Entscheidungsalternativen, die

mit allen Daten kom- patibel

sind und Bewertung nach

vorgegebener Strategie

Orientierung in Bedienungsanleitungen:

Fahrer technisches System

• Effiziente Suche nach bedeutungsgleichen oder ähnlichen Begriffen

• Schnelles Erfassen von Kernaussagen bei Texten (gist)

• (tiefe) Verarbeitung: Reprä-sentation unabhängig von der grammatikalischen Struktur

• Schnelle Suche nach spezi-

fischen Suchworten und ihren

logischen Verknüp- fungen

Informationsverarbeitung:

Fahrer technisches System

• Adaptive Regelung bei

wechselnden

Randbedingungen

• schnelle Detektion relevanter

Stellgrößen

• Stabilität durch Variabilität

• Effizientes Differenzieren und

Integrieren

• schnelle Reaktionen auf

vorher definierte Signal-

muster und Parameter

• gleichbleibende Qualität bei

Produktion und Über-

wachung über lange Zeit

Spurassistenzsystem

(Lane Departure Warning)Night Vision

Automatische Notbremse

Stau

Abstandstempomat

(Adaptive Cruise Control)

Aufmerksamkeitskontrolle

Spurwechselassistent

!!

Adaptives Kurvenlicht

Verkehrszeichenerkennung

Fahrerassistenzsysteme

auf dem Weg zum

„Unfallvermeidenden Auto“

Überblick Fahrerassistenz-Funktionen:

Potenziale von Fahrerassistenzsystemen

21

53

17

34

25

78

77

309

0 50 100 150 200 250 300 350

Spurwechselassistent

Verkehrszeichenerkennung

Adaptives Kurvenlicht

Night Vision

Aufmerksamkeitskontrolle

Lane Departure Warning

Adaptive Cruise Control

Automatische Notbremse

Häufigkeit

Anzahl Unfälle: N=312; Anzahl Fahrer: N=528, Mehrfachnennungen möglich

Prof. Dr. Dr. h.c. Alf C. Zimmer

Fakultät Psychologie, Pädagogik und Sportwissenschaft

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Referenzen

• Die berichteten fahrbezogenen Daten stammen u.a.aus den Projekten MoTiV-MMI und KOMI-ZIF und SANTOS

• Finanzierung: BMBF+T, BMW AG, DaimlerChrysler AG, Bosch AG, General Motors Opel, Freistaat Bayern

• Projektmitarbeiter: K.Dahmen-Zimmer, I.Scheufler, W.Piechulla, M.Praxenthaler J.Bernhardt, I.Kaiser u.v.a.

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