BAUERNZ Jenseits von Klischees fileMÄRZ 2013 ALBERTA Sc hon me r als schauten wir mit kanadischen...

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22. MÄRZ 201324 BAUERNZEITUNG

ALBERTA � Schon mehrmalsschauten wir mit kanadischenFreunden Werbefilme oder Foto-bücher über die Schweiz an. Dabei hörten wir fast immer diegleichen Bemerkungen, wieschön die Schweiz doch sei, undweshalb wir bloss weggezogenseien. Natürlich sieht man in die-sen kurzen «Touristenattrakti-onswerbespots» nur das Bestevom Besten (nicht dass es etwasanderes in der Schweiz gäbe),aber wenn man alle Regionen derSchweiz in zwei Minuten zusam-menfasst und alles noch mit traditioneller Musik untermalt,sieht alles sehr faszinierend aus.Da könnte das Augenwasserschon etwas drücken.Die Schweiz kennt man im

Ausland für die Schokolade, denKäse und die Uhren, was hier al-les käuflich ist, wenn man denentsprechenden Preis bezahlenwill oder kann. Die Qualität derkanadischen Produkte ist nichtschlecht (der Mensch kann sichja bekanntlich an vieles gewöh-nen), aber eben doch nicht ganzso vergleichbar mit jenen in derSchweiz.

Die Eisenbahnschienenverschwanden vor 13 JahrenEs gibt ein paar wenige Sa-

chen, die ich von meiner Zeit inder Schweiz immer noch vermis-se wie z. B. das öffentliche Ver-kehrssystem. In der Schweiz be-sass ich nie ein Auto und brauch-te nur eins für meine diversenUmzüge. Sonst bewegte ich michimmer zu Fuss, per Fahrrad oderper Zug/Bus. Einfach nur so in ei-nen Zug einsteigen und von Anach B fahren, das vermisse ichschon. Vor 13 Jahren wurden inunserer Region die wenigen Ei-senbahnschienen abmontiert,was mich als ehemalige SBB-Be-amtin sehr beschäftigte. Jetztwird alles auf Rädern transpor-tiert, was man der Strasse auchansieht, da diese für so viel Ver-

kehr nicht gebaut wurde. JedesMal, wenn ich mich für ein paarTage in einer Stadt befinde, fahreich mit der U-Bahn, um das rol-lende Gefühl für einige Minutenwieder zu haben. Leider gibt es inden Städten auch fast keine Fuss-gängerzonen oder Fahrradwege.Es gibt noch vieles, wo wir vonden Europäern lernen können.

Frisches Brot gibt es fünf Autostunden entferntEtwas anderes, was ich von

meiner Schweizerzeit her vermis-se, ist eine gute Bäckerei. In unse-ren Lebensmittelläden bekommtman natürlich Backwaren undBrote, aber vieles davon wirdschon vorbereitet ins Geschäftgeschickt, wo es dann nur nochaufgewärmt wird. Die Qualitätkann man mit Frischware nichtvergleichen, und vieles siehtgleich aus. Es gibt da eine Bäcke-rei in Jasper, die wunderbare

Brote (sprich: europäische) undBackwaren vor Ort bäckt und ver-kauft, aber leider muss ich zuerstfünf Stunden fahren, bis ich ihreProdukte geniessen kann. Ja, soheisst es nun selber backen. ZumGlück gibt es unter den Schwei-zern hier in der Re gion begabteBäckerinnen, die uns an den Zu-sammenkünften immer sehr ver-wöhnen. Da kann es schon malvorkommen, dass da eine Creme-schnitte oder ein Stück Rüeblitor-te vor der Hauptmahlzeit vomTisch verschwindet. Woran denkt man, wenn man

das Wort Kanada hört? Ist es viel-leicht die Grösse des Landes (Ka-nada ist etwa 242 Mal grösser alsdie Schweiz mit 341⁄2 MillionenEinwohnern)? Die Natur mit denRocky Mountains, den weitenEbenen, Seen und Meeren? Sindes die Bären, Biber oder Elche? Javielleicht sogar die Indianer oderEskimos?

Mich beeindruckt die Naturmit der Tierwelt am meisten.Nach meinem ersten Aufenthaltin Kanada fand ich, dass das En-gadin eine kleinere Ausführungder Rocky Mountains sein könn-te. Während meiner Zeit in Pon-tresina verbrachte ich viele Stun-den bei der Segantinihütte, vonwo man eine wunderschöne Aus-sicht aufs Engadin geniessenkann, was zu meinem kleinenKanada wurde.

Zwischen zwanzig undachteinhalb Stunden TageslichtDie Rocky Mountains befin-

den sich zwar ein paar Stundenvon uns entfernt, aber die Naturin der Prärie ist trotzdem nichtminderwertig. Die Provinz vonAlberta gilt als die sonnigste vonKanada. Auf unserem Breiten-grad sehen wir das Tageslicht amlängsten Tag knapp 20 Stunden,und am kürzesten 81⁄2 Stunden.

Im Winter kann das Thermome-ter auf bis zu –50 °C hinunterge-hen, während es im Sommer biszu 35 °C warm werden kann. Ne-bel sieht man hier zum Glückeher selten. Diese langen Tagevon Frühling bis Herbst helfendem Bauern beim Säen und Ern-ten wie uns auch beim Lammenim Mai.Die offiziellen Landesspra-

chen sind Englisch und Franzö-sisch, wobei hier im Westen dasFranzösisch eher zu kurz kommt.Ein Fünftel der Bevölkerungspricht aber eine andere Sprachezu Hause, so wie wir. Die Urein-wohner (Indianer und Eskimos)sprechen auch immer noch ihreeigenen Sprachen wie z. B. Cree,Haida und Inuktitut.

Corinne Moor

«Mein Spruch der Woche: Heimatist da, wo wir verstehen und verstanden werden.» Karl Jaspers

Jenseits von KlischeesKanada / Schnee und Berge gibt es in der neuen wie in der alten Heimat. Manche wichtige Unterschiede sind nicht ganz offensichtlich.

FÜR NEUGIERIGE UND SPASSVÖGEL

Verschneite Rocky Mountains mit Blick auf den Maligne Lake. (Bild Corinne Moor)

Sam Glauser wanderte 1988von Birwinken TG, nach Alber -ta, Kanada, aus. Später fand erArbeit in British Columbia undAlberta, bis er sich 1996 inScottswood einen kleinen Bau-ernbetrieb kaufte. CorinneMoor verliess Arosa GR, 1997,um mit Sam den Betrieb zu be-wirtschaften. Scottswood istein Weiler, 26 km von Fairview,Alberta, entfernt. Sie haltenSchafe, Ziegen, Kühe, Pferde,Hühner, manchmal Schweine,Hunde und Katzen. Sie habeneinen grossen Garten, von demsie das ganze Jahr leben. Mit wenigen Ausnahmen wird dieArbeit auf dem Betrieb mit Per-cheron-Pferden erledigt. DasBauernhaus wurde 1931 ge-baut und war von 1960 bis1996 nicht bewohnt, wurdedarum nie am Netzstrom ange-schlossen. Da der Anschlussheutzutage sehr teuer ist, wirdder Strom mit Solarzellen pro-duziert. Im Frühjahr 2008 konn-ten sie ein Solargeschäft kau-fen. Zusätzlich haben beideeine Teilzeitarbeit.

AUSWANDERER

Sam Glauser und CorinneMoor, Alberta, Kanada

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