BERTOLD FABRICIUS Zwischen Klartext und...

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den derHeiratssaisonmacht sie Bräute hübsch.„Das ist eine komplett an-dere Welt. Hochzeitensind immer positiv. Ich ha-be da nur mit glücklichenMenschen zu tun. Das gibtviel Energie!“ Ein willkom-mener Ausgleich zur Be-

triebsratsarbeit. „Hier beschäftige ichmich ja meistens mit eher negativenThemen, mit Problemen, und muss mirschon mal anhören, was wir alles falschgemacht haben.“

Als Betriebsrat sei man „oft derBuhmann“, sowohl für den Arbeitge-ber als auch für die Kollegen, die nichteinsehen wollen, dass man sich nichtimmer auf ganzer Linie durchsetzenkann. „Man muss in Verhandlungenauch mal Kröten schlucken. Das ist so.Leider schimpfen dann Kollegen oft:Der doofe Betriebsrat hat nicht genuggetan.“

Auf Betriebsversammlungen gibt eseinen speziellen SMS-Service, der dasVersenden anonymer Kritik erlaubt.„Da habe ich mich schon das ein oderandere Mal gewundert, mit welcher

Res-pektlo-

sigkeit gewisseKommentare abgegeben werden. Ichsage mir allerdings: Das darfst du nichtpersönlich nehmen. Man muss sichwirklich ein dickes Fell zulegen!“

Trotz ihrer Begeisterung fürs Make-up hat sie nach der Schule eine Ausbil-dung als Kauffrau für Bürokommunika-tion gemacht, und zwar bei Airbus. Dasschien ihr der bessere Weg zu einem si-cheren Einkommen. Das Abi hat sienicht geschafft. „Schule hieß immernur dasitzen und zuhören. Irgendwannhabe ich festgestellt, dass die Welt auchfunktioniert, ohne dass ich Mathe undPhysik begreife.“ Studieren wollte sieeigentlich nie, hat dann aber doch ei-nen Bachelor in Wirtschaftsrecht er-worben, und zwar parallel zu ihremJob, durch Pauken am Abend und amWochenende.

2010 wird sie in den Betriebsrat ge-wählt und zwei Jahre später schon zurStellvertreterin. „Das musste ich mirgut überlegen, nach nur drei, vier Jah-ren Berufserfahrung schon zu hundertProzent in die Betriebsratsarbeit zu ge-hen.“ Denn es bedeutet, die fachlicheEntwicklung im eigentlichen Beruf auf

Wichtiger sind ihr andere Fragen. Siemöchte gern mehr Frauen gewinnenfür Airbus, zur Zeit ein sehr männlichdominierter Betrieb mit einem Frau-enanteil von nur rund 15 Prozent. ImAufsichtsrat und im Vorstandwünscht sie sich 50 Prozent Frau-en, wenn es nicht anders geht, perQuote. Selbst im Betriebsrat ist ei-ne Frau in Führung keine Selbst-verständlichkeit, das hat sie bei ih-rer eigenen Wahl zur Vorsitzen-den erfahren. Da wurde argumen-tiert, sie sei eine Frau, noch jungund wolle sicher noch Kinder be-kommen. Das ließe sich mit so ei-nem Job doch nicht vereinbaren.

Bei diesem Thema gerät SophiaKielhorn so richtig in Fahrt: „Ent-

schuldigung, ich kriege nicht alleineKinder! Würden Sie das einem jungen

Mann, der noch eine Familie gründenmöchte, genauso sagen? Ich finde esschlimm, dass wir Frauen dafür best-raft werden, dass wir Kinder kriegenkönnen. Obwohl wir dafür eigentlichmal gefeiert werden müssten, denn dasist ja nicht gerade ein Spaziergang.“Auch für die Männer findet sie dasschlimm. „Bei einem Mann, der sichum die Kinder kümmern will, heißt esnämlich: Hast du dafür keine Frau oderwas?“

Kinder seien doch kein Problem,stellt sie kategorisch fest. „Die Gesell-schaft macht sie zum Problem, wennsie nicht das passende Drumherumschafft.“ Ihre Mutter hat immer Voll-zeit gearbeitet, als Sekretärin, Sophiaging in die Kita. Das war in der DDRüblich und anders kennt sie das garnicht. Sie ist in Mecklenburg-Vorpom-mern aufgewachsen, bis der Vater,Schiffbauer von Beruf, nach dem Fallder Mauer dort keine Perspektive mehrsah und mit der Familie nach Hamburgübersiedelte.

„Ich zeige es euch“, denkt SophiaKielhorn heute. „Wenn es so weit ist,werdet ihr sehen, dass es geht, Mutterzu sein und einen Führungsjob zu ha-ben.“ Kurz stutzt sie: „Hoffentlich habeich den Mund nicht zu voll genom-men.“ Sie wird das schaffen, da bin ichsicher.

Eis zu le-gen. Sie ist

zufrieden mitihrer Entschei-

dung und eigentlichauch ausgelastet. Ihre

Nebenbeschäftigung ist ihrtrotzdem sehr wichtig. Die Hei-

ratskandidatinnen sind immerdankbar. „Ich schminke eine Braut undstyle sie, damit habe ich am Ende einenglücklichen Menschen.“

Hochzeiten mag sie so sehr, dass sieselbst nun mit 33 bereits zum zweitenMal verheiratet ist. Nein, natürlich istdas nicht der Grund. Es ist einfachschiefgegangen beim ersten Mal.„Aber jetzt muss es halten!“ Sieschmunzelt. Zweimal hat sie ihren Na-men geändert, zuletzt von Jacobsen zuKielhorn. Eigentlich sieht sie sich alsFeministin. Warum nimmt sie dannden Namen des Mannes an? „Wenn ichmich an den zweiten Namen gewöhnthabe, kann ich mich auch an den drit-ten gewöhnen“, antwortet sie mit ei-ner wegwerfenden Handbewegung.„Es ist mir egal, darüber definiere ichmich nicht.“

35 07.01.17 Samstag, 7. Januar 2017 DWHH-REGBelichterfreigabe: --Zeit:::Belichter: Farbe:

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DIE WELT SAMSTAG, 7. JANUAR 2017

Gewinnbe-teiligungder Kollegenin Gefahr ist,findet sie un-gerecht, undUngerechtigkei-ten hasst sie.

In blauem Mini-rock und schwarzenNylons sitzt sie char-mant in ihrem gänzlichuncharmanten Büro inFinkenwerder. Wer sie we-gen ihres Alters oder ihres Aus-sehens unterschätze, irre sich,warnt sie mit einem verschmitztenLächeln. Ja, da ist auch die-se mädchenhafte Seite, siehat ein Faible für Stylingund Hochzeiten. Ich schieleauf die Büroutensilien aufihrem Schreibtisch: pinkfar-bener Rechner und Lochersowie Klebestreifen zumAbrollen in pinkfarbenenHigh Heels. „Jetzt, wo wirein Mädchen hier haben,brauchen wir auch Mäd-chenfarben, hat meine Se-kretärin festgestellt“, er-klärt sie mir lachend. Sie redet gernund viel und immer so, wie ihr derSchnabel gewachsen ist. „Ich bin echteine kleine Quasselstrippe.“

Auf Facebook scheut sie sich nicht,politisch zu provozieren, zeigt sich imT-Shirt mit der Aufschrift „I could be arefugee“ und postet Fotos mit Parolenwie: „Bombing for peace is like fuckingfor virginity“. Dazwischen ganz vieleFotos mit ihrem Mann Alexander, ei-nem Polizisten. Frisch verheiratet istdas Paar, erst seit ein paar Monaten,sehr verliebt – und Sophia meist wun-derschön geschminkt.

Im Teenageralter wollte sie unbe-dingt Visagistin werden. Und sie ist esauch geworden, nebenberuflich. AlsMake-up-Artist übernimmt sie das Sty-ling für Fotografen; an den Wochenen-

Als sie bei Airbus anfing, hat-te sie noch nie in einemFlugzeug gesessen. „Das istschon merkwürdig, hier zuarbeiten und jeden Tag die

Flugzeuge zu sehen, wenn du selbernoch nie geflogen bist.“ Doch wohl-weislich gehörte ein Kurs in Motorse-gelfliegen zur Ausbildung, und so konn-te Sophia Kielhorn mit 21 zum erstenMal abheben.

Schon zehn Jahre später wird sie Be-triebsratsvorsitzende bei der AirbusOperations GmbH Hamburg, vertrittheute rund 14.000 Mitarbeiter. Sie istdas Sprachrohr des Betriebsrats, ersteAnsprechpartnerin des Managements.Eine ihrer Lieblingsaufgaben: auf derBetriebsversammlung die Rede halten,den Bericht des Betriebsrates abgeben.„Denn da darf man schon mal ein biss-chen böse sein dem Arbeitgeber gegen-über. Es ist das Privileg des Betriebsra-tes, Dinge auszusprechen, die ein Mit-arbeiter so vielleicht lieber nicht sagensollte.“

VON SABINE STAMER

Schon ihre Mutter hat ihr beige-bracht, für die Schwächeren einzutre-ten und sie gegen Benachteiligungen zuverteidigen. „Damit sind mein Bruderund ich groß geworden und deswegenbin ich jetzt auch im richtigen Job.“ Aufder letzten Versammlung hat sie sich„massiv aufgeregt“ über die Ausliefe-rungszahlen des Unternehmens. Vielzu hoch, ihrer Meinung nach.

690 Flugzeuge auszuliefern, hattesich Airbus für 2016 zum Ziel gesetzt.Deswegen bangten die Kollegen um ih-re Gewinnbeteiligung, die sie nur be-kommen, wenn dieses Ziel erreichtwird. Im Jahr davor hatte Airbus Pro-bleme, die deutlich niedrigere Zahl von635 Flugzeugen fertigzustellen. „Mei-nes Erachtens hat die Unternehmens-leitung nicht genug getan, um Störun-gen in der Produktion zu beheben“, kri-tisiert Sophia Kielhorn. Dass jetzt die

Sabine Stamer, Autorin und Journalistin (www.sabinestamer.de),porträtiert HamburgerFrauen. Dies ist die letzte Folge der Serie

Sophia Kielhorn in einer der Airbus-Hallen auf FinkenwerderBERTOLD FABRICIUS

ZwischenKlartext undLidstrichAls Betriebsratsvorsitzende beiAirbus vertritt Sophia Kielhornrund 14.000 Mitarbeiter. AmWochenende macht sie alsMake-up-Artist Bräute hübsch

Sophia Kielhorn

STAMERSFRAUEN

HAMBURG 35

H amburgs Bürgermeister OlafScholz befürwortet ein härteresVorgehen gegen ausländische

Straftäter. „Wir müssen es möglich ma-chen, dass abgelehnte Asylbewerber, dieals Gefährder eingestuft sind, in Ab-schiebehaft genommen werden können– auch sehr lange, falls es mit den Papie-ren nicht so einfach ist“, sagte Scholz,der auch stellvertretender SPD-Bundes-vorsitzender ist, am Freitag dem Radio-sender NDR 90,3. Außerdem müsse sichdie Bundesregierung stärker dafür ein-setzen, dass die nordafrikanischen Staa-ten ihre Bürger, die als Asylbewerberabgelehnt wurden, wieder aufnehmen.

Zudem kündigte Scholz eine Auswei-tung der Videoüberwachung an. „Wirwerden das, was im Rahmen der Geset-ze und der Rechtsprechung möglich ist,in Hamburg machen. Es wird sicherlichmehr werden.“ Eine Verlagerung derZuständigkeiten der Länder auf dieBundesebene lehnte Scholz ab. Eine Zu-sammenlegung der Landesämter fürVerfassungsschutz, wie von Bundesin-nenminister Thomas de Maizière(CDU) gefordert, sei der falsche Weg.

Optimistisch äußerte sich Scholz mitBlick auf das Verfahren am Bundesver-waltungsgericht in Leipzig, das am 9.

Februar mit einem Urteil enden soll.Scholz rechnet aber auch damit, dasszusätzliche Auflagen im Bereich derAusgleichsmaßnahmen nötig sein wer-den. Ähnlich hatte sich am Vortag auchWirtschaftssenator Frank Horch (par-teilos) geäußert. Dennoch: „Ich bin zu-versichtlich, auch weil ich es gerne seinmöchte. Aber es ist auch sehr gut gear-beitet worden.“

Sollte es zu Auflagen kommen, sei dasnicht verwunderlich, denn schließlichwürde bei der Rechtsprechung zur Elb-vertiefung juristisches Neuland betre-ten. In Richtung der Kritiker sagteScholz: „Da äußern sich ja manchmalwelche, die nicht eine einzige Zeile derSchriftsätze der Gerichtsverfahren ge-lesen haben, die von den verantwortli-chen Behörden geschickt worden sind.“Er selbst habe das jedoch getan und lob-te auch die Vorbereitungen durch dieWirtschaftsbehörde.

Als wichtige innerstädtische Heraus-forderungen für das neue Jahr nannteScholz den weiteren Bau von bezahlba-rem Wohnraum, 3000 Sozialwohnun-gen sollten 2017 entstehen. Und auchfür den wachsenden Autoverkehr müss-ten angesichts der Zuzüge neue Lösun-gen gefunden werden. DW

Scholz für härteres Vorgehengegen ausländische Straftäter Bürgermeister optimistisch für Elbvertiefung

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