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Bindungswissen und Bindungsdiagnostik in
der Erziehungs- und Familienberatung Eine Erhebung in Nordrhein-Westfalen
Mathias Berg
Master of Arts, Dipl.-Sozialpädagoge
Fachtagung „Bindungsorientierung in der Sozialen Arbeit“
11.-12.01.2013 an der Kath. Hochschule NRW, Aachen
KatHO NRW
Aachen
Köln
Münster
Paderborn
Videobeispiel: Testung eines
siebenjährigen
Jungen in der
Erziehungsberatung
mit dem
Geschichten-
ergänzungsverfahren
zur Bindung (nicht Teil dieser pdf)
Literaturempfehlung
Zur Ausgangslage
• Erziehungs- und Familienberatung (EB) ist seit Einführung des KJHG mit weitem Abstand die am meisten genutzte Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII ff.)
zum Vergleich:
Stat. Bundesamt (2011)
Hilfe zur Erziehung begonnene Hilfen
innerhalb eines Jahres
EB 310813
SPFH 43390
Erziehungsbeistandsch. 25919
Heimerz. / betreutes Wh. 35495
Zur Ausgangslage
• Hinsichtlich der Anlässe eine Beratung in Anspruch zu nehmen, gibt es eine deutliche Häufung bei Problemen in der zwischenmenschlichen Beziehung. Für die EB bedeutet dies vorrangig:
1. Schwierigkeiten in der Eltern-Kind-Beziehung
2. Schwierigkeiten in der Paarbeziehung/ Elternbeziehung
Stat. Bundesamt (2005)
Beratungsanlässe Nennungen in % an den absoluten Zahlen der
Bezugsgruppen gemessen
Beziehungsprobleme 40,2 %
Entwicklungsauffälligkeiten 26.4 %
Schul-/Ausbildungsprobleme 25,5 %
… …
Zur Ausgangslage
• Bzgl. des Alters der vorgestellten jungen Menschen in der EB
macht die Altersgruppe der 6 -12 jährigen mehr als 40 %
aus
Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (2003)
Alter der Hilfeempfänger (2003)
0
5
10
15
20
25
0-3 3-6 6-9 9-12 12-15 15-18 18-21 21-24 24-27
Alter
Pro
zen
t
Zur Ausgangslage
• Aufrüttelnde Berichte zur (auch psychischen und sozialen) Gesundheit von Heranwachsenden in Deutschland v.a. durch den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (Robert-Koch-Institut 2006) und den 13. Kinder- u. Jugendbericht der Bundesregierung (2009)
„… bei 21,9 % der Kinder lagen zumindest Hinweise auf psychische Auffälligkeiten vor …“ „… am Stärksten ist ein Zusammenhang mit (chronischen) Familienkonflikten erkennbar …“
KiGGS-Studie (2006)
Diagnostikverfahren zur Bindung Alter Erhebungsverfahren Methodischer Zugang
12 – 18 Monate Fremde Situation – Kleinkinder
CARE-Index (0 – 30 Monate)
Beobachtungsverfahren 2,5 – 5,5 Jahre Fremde Situation – Kindergarten und
Vorschulalter
Attachment Q Sort
5 – 8 Jahre Trennungsbilder (SAT)
Geschichtenergänzungsverfahren projektive Verfahren
8 – 14 Jahre Child Attachment Interview
Bindungsinterview für die späte Kindheit
Bochumer Bindungstest (projektiv)
Interviewverfahren
(und projektive Verfahren)
ab 16 Jahre Adult Attachment Interview vereinfacht für
Jugendliche
ab 18 Jahre Adult Attachment Interview
Adult Attachment Projective (projektiv)
Bielefelder FB zu Partnerschaftserwartungen
Diagnostik der Bindung bei Kindern von 4-8 J.
Das Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (GEV-B) (Gloger-Tippelt & König 2009)
• Ist eine Methode zur Erfassung des inneren Arbeitsmodells der Bindung auf Basis des kindlichen Spiel- und Erzählverhaltens
• Ist standardisiert, seit 2009 für deutsche Verhältnisse adaptiert und zählt zu den projektiven Verfahren
• Es werden Puppenhausfiguren und -material verwendet
• Die Methode besteht aus 7 Geschichtenanfängen, die ein Bindungsthema beinhalten und in der Intensität ansteigen
• Die Auswertung findet videogestützt statt und folgt einem festen Kodierschema – ermittelt wird ein Bindungssicherheitswert und der Bindungstyp
• Reliabilität zwischen .51 und .83 / Validität: Übereinstimmung mit FST = 57,4 % mit CAI = 61,3 %
Diagnostik der Bindung bei Kindern von 8-13 J.
Das Bindungsinterview für die späte Kindheit (BISK) (Zimmermann & Scheuerer-Englisch 2003)
• Ist ein halbstandardisiertes, offenes Interview, das für die Forschung
entwickelt und seit 2003 für die Praxis beschrieben wurde
• Ähnlichkeiten zum AAI, Dauer ca. 50 - 90 Min., videogestützt
• Erfassung subjektiv-belastend erlebter Situationen aus allen
wesentlichen Lebensbereichen (und die Regulation dieser in
Beziehung zu erwachsenen Bindungspersonen)
• Trotz fester Leitfragen und standardisierter Auswertungsskalen:
Prozessorientierte Vorgehensweise!
• Erfassung der Bindungsorganisation auf 3 Ebenen:
• Die aktuelle Bindungsrepräsentation
• Das berichtete Bindungsverhalten
• Die Qualität des Zugangs zu bindungsrelevanten
Gedanken und Gefühlen
Studie
Institutioneller Rahmen
Kooperation der KatHO NRW, Aachen, der Familien-
beratungsstelle Kerpen und der LAG Erziehungs-
beratung NRW, Willich (Mitglied der bke)
Zeitlicher Rahmen
Erhebungszeitraum: Juni 2011 bis September 2011
Studienteilnehmer
Alle beraterisch-therapeutischen Mitarbeiter in
Erziehungs- und Familienberatungsstellen in NRW
(prinzipielle Vollerhebung)
Fragestellungen
1. Bindungswissen
Wie viel Wissen zur Bindungstheorie besitzen die Fachkräfte
der EB?
2. Stellenwert der Bindungstheorie in Bezug zur Diagnostik
Welchen Stellenwert hat die Bindungstheorie in der EB und hat
sie bereits Einfluss auf psychosoziale Erklärungs- und
Erkenntnisprozesse (diagnostischer Blick) in der EB gefunden?
3. Bindungsdiagnostikverfahren
Wie verbreitet sind Erhebungsverfahren/Testverfahren zur
Diagnostik der Bindungsbeziehung in der EB?
Methode
Befragung der Fachkräfte in Erziehungs-
beratungsstellen mittels standardisiertem Fragebogen
(OFBw – Online-Fragebogen zum Bindungswissen)
Deskriptiv-statistische Auswertung mittels SPSS 19
Ergebnisse
242 Erziehungs- und Familienberatungsstellen in NRW (100 %), 101 Stellen nahmen an der Untersuchung teil (41,7 %). Von den 636 Fachkräften in den teilnehmenden Beratungsstellen nahmen 283 Personen an der Online-Befragung teil (Rücklauf 44,5 %). Zahlenmäßig am stärksten vertretene Professionen:
Profession/Studienabschluss Anzahl Prozent
Psychologe(in) 113 40,4
Sozialpädagoge /-arbeiterin 113 40,4
Heilpädagoge(in) 21 7,5
… … …
Ergebnisse
Ausrichtung der Beratungs- und/oder
Therapieweiterbildung (n=276)
01020304050607080
ST TP/PA GPT/PZ VT GT Sonstige
Pro
ze
nt
67,4 24,3 21,7 15,9 6,9 15,2
Ergebnisse
Wie gut schätzen Sie Ihre Kenntnisse zur Bindungstheorie
ein?
keine
gute
wenige
sehr
gute
Häufigkeit Prozent
keine Kenntnisse 3 1,2
wenige Kenntnisse 84 32,9
gute Kenntnisse 139 54,5
sehr gute
Kenntnisse 29 11,4
255 100
Ergebnisse
wenig
relevant
sehr
relevant
Für wie relevant halten Sie die Erkenntnisse der Bindungsforschung für
Ihre tägliche Arbeit in der Erziehungsberatung?
Häufigkeit Prozent
nicht relevant 0 0,0
wenig relevant 29 11,7
relevant 139 56,0
sehr relevant 80 32,3
248 100
Ergebnisse
Welche Theorien und Konzepte nutzen Sie am häufigsten, um
die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
zu erklären? (n=237)
1 2 3
Systemische Konzepte (45,6 %)
Psychodynamische Konzepte (23,9 %)
Bindungstheorie (33,3 %)
Psychodynamische
Konzepte (20,1 %)
Bindungstheorie (25,7 %)
Psychosoziale
Entwicklungstheorie
(E.H. Erikson) (26,3 %)
Ergebnisse
Welche Theorien und Konzepte nutzen Sie am häufigsten, um
auffälliges Verhalten (in Beziehungen) von Kindern und
Jugendlichen zu erklären? (n=251)
1 2 3
Systemische Konzepte (60,6 %)
Psychodynamische Konzepte (22,8 %)
Bindungstheorie (35,8 %)
Psychodynamische
Konzepte (28,5 %)
Bindungstheorie (32,7 %)
Psychodynamische
Konzepte (22,8 %)
Ergebnisse
Wie häufig verwenden Sie Konzepte und Begrifflichkeiten der Bindungstheorie
als Beschreibung in Fallbesprechungen?
sehr
häufig
fast nie
selten
häufig
Häufigkeit Prozent
fast nie 23 9,0
selten 122 47,8
häufiger 94 36,9
sehr häufig 16 6,3
255 100
Ergebnisse
Wie gut schätzen Sie Ihre Kenntnisse zur Diagnostik der Bindung ein?
keine
gute
wenige
sehr
gute Häufigkeit Prozent
keine
Kenntnisse 14 6,0
wenige
Kenntnisse 128 54,5
gute Kenntnisse 87 37,0
sehr gute
Kenntnisse 6 2,6
235 100
Ergebnisse
Welche spezifischen Verfahren zur Diagnostik von Bindung kennen Sie? (n=260)
Rang Verfahren Prozent
1 Fremde Situation 42,3
2 Geschichtenergänzungsverfahren (GEV-B/ASCT) 33,1
3 Adult-Attachment-Interview (AAI) 28,5
4 Bindungsinterview für die späte Kindheit (BISK) 18,5
5 Child Attachment Interview (CAI) 13,1
6 Separation-Anxiety-Test (SAT)/Trennungsbilder 10,8
7 CARE-Index 5,4
8 Adult Attachment Projective (AAP) 3,5
9 Attachment Q-Sort 1,5
Kein Verfahren der Bindungsdiagnostik bekannt 57,7
Ergebnisse
Rang Verfahren Nutzer (26,2 %)
1 Geschichtenergänzungsverfahren (GEV-B/ASCT) 39
2 Fremde Situation 21
3 Adult-Attachment-Interview (AAI) 16
4 Bindungsinterview für die späte Kindheit (BISK) 10
5 Separation-Anxiety-Test (SAT)/Trennungsbilder 7
6 Child Attachment Interview (CAI) 6
Sonstige (Bielefelder Paar-Fragebogen, AAP, Care-
Index, Bindungsinterview (unspezifisch), MBQS) 9
Gesamt 108
Welche spezifischen Bindungsdiagnostikverfahren wenden Sie an? (n=74)
Ergebnisse
Welche Verfahren verwenden Sie, um die Beziehung zwischen dem
Kind/Jugendlichen und seinen Bezugspersonen/Eltern zu erfassen? (n=260)
Rang Verfahren Prozent
1 Interaktionsbeobachtung (allgemein) 85,4
2 Familie in Tieren (FIT) 76,2
3 Fragetechniken im Beratungsprozess (allgemein) 72,3
4 Familienbrett 66,5
5 Satz-Ergänzungs-Test(s) 56,9
6 Sceno/Scenotest 39,2
7 Verzauberte Familie 31,5
8 Family-Relations-Test (FRT) 18,5
9 Düss Fabeln/Düss Fabeltest 16,5
10 Thematischer-Apperzeptions-Test (TAT) oder Kinder-Apperzeptions-Test (CAT) 11,2
11 Spezialisierter Fragebogen (z.B. CBCL/4-18, PFK 9-14, DEF, Fragebogen zu ADHS) 8,8
12 Sonstiges (z.B. Sandspieltherapie, Skulptur- u. Aufstellungsarbeit, Genogrammarbeit) 13,5
Ergebnisse
Gruppenvergleiche der befragten Berater/Therapeuten
1. tiefergehende/spezialisierte Kenntnisse
schreiben sich selbst gute/sehr gute Kenntnisse in Wissen und Diagnostik
zu, arbeiten in den „Frühen Hilfen“, haben Fortbildungen zur BT besucht,
sind häufig als KJP approbiert
2. potentiell Interessierte / kaum Anwendung
schreiben sich selbst gute Kenntnisse im Wissen, weniger in der Diagnostik
zu. Begriffe der BT finden kaum als Beschreibungskategorie in der Praxis
Anwendung
3. kaum Bindungskenntnisse
schreiben sich selbst wenige/keine Kenntnisse zu, haben keine Fortbildung
besucht, nennen keine/wenige spezifische Begriffe zur BT, kennen keine
Verfahren der Bindungsdiagnostik
Diskussion
• Wo steht die Bindungstheorie im Arbeitsfeld Erziehungs- und Familienberatung? Auf was weisen die vorgelegten Ergebnisse womöglich hin?
• Was ist aus dem „Bindungshype“ der vergangenen Jahre geworden? Doch ausschließlich eine Theorie mit Anwendungen für den Säuglings- und Kleinkindbereich (0-3 J.)?
• Quo vadis „desorganisierte Bindung“? Warum finden die Bindungsqualitäten, die vor allem hinsichtlich der unsicheren und hochunsicheren Bindungsmuster für die Beratung bedeutsam sind offensichtlich in der Diagnostik wenig Anklang?
• Alles systemisch? Alles konstruktivistisch? Wie kann die „normative“ Bindungstheorie die Systemische Therapie und Beratung bereichern?
Literaturhinweis
Berg, M., (2013). Bindungswissen
und Bindungsdiagnostik in der
Erziehungsberatung. Fragen –
Befunde – Perspektiven.
Weitramsdorf: ZKS-Verlag (e-book)
www.zks-verlag.de
In Kürze kostenlos verfügbar unter:
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Mathias Berg
mathias.berg@eb-kerpen.de
www.eb-kerpen.de
www.lag-eb-nrw.de
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