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Dezentralisierung von Unternehmen
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung..................................................................................................... 1
2. Anlage der Untersuchung.............................................................................3
2.1 Formen der Dezentralisierung.........................................................3
2.2 Materialgrundlage...........................................................................3
2.3 Argumentationsgang und Fragestellung..........................................4
3. Typologie und Illustration............................................................................6
3.1 Formen operativer Dezentralisierung..............................................6
3.1.1 Typologie.........................................................................6
3.1.2 Exemplarische Illustration................................................7
3.2 Veränderte Steuerungskonzepte....................................................10
3.3 Gründe und Ziele der Dezentralisierungspolitik............................13
4. Wirkungen der Dezentralisierung auf nichtoperative Bereiche...................16
4.1 Abbau von hierarchischen Ebenen und höheren Führungskräften..16
4.2 Veränderte Vorgesetztenrollen und veränderte direkte Produktion 17
4.3 Auswirkungen auf die (verbleibenden) indirekten Bereiche..........18
4.4 Auswirkung auf die Karrierewege.................................................20
5. Betriebspolitische Aspekte des Wandels und Auswirkungen in den
industriellen Beziehungen...............................................................................23
5.1 Das betriebspolitische Dilemma....................................................23
5.2 Betriebspolitische Situationen des Wandels...................................23
5.3 Erfolge und kritische Bewertung der Dezentralisierungspolitik.....27
6. Zusammenfassung und Ausblick................................................................30
Literaturliste................................................................................................... 33
Anhang........................................................................................................... 34
1. Einleitung
Die Schriftenreihe Industrielle Beziehungen, zu der auch der hier behandelte Band
„Dezentralisierung von Unternehmen“ gehört, versammelt Texte über Austausch- und
Konfliktbeziehungen zwischen Arbeit und Kapital im gesellschaftlichen Kontext.
Im Brennpunkt stehen Auseinandersetzungen und Kompromisse der beteiligten Akteure
über Gestaltung und Regelung von Arbeitsverhältnissen, sowie die aus diesen Prozessen
hervorgehenden Normen, Verträge, Institutionen und Organisationen. Die
Kompromißnotwendigkeiten erfolgen hierbei natürlich weniger auf Befehl und
Gehorsam, als durch Macht- und Austauschprozesse zwischen den jeweiligen
Akteuren.1
Eine geschlossene Theorie soll hier aber nicht erwartet werden, da das
Forschungsgebiet zentrale gesellschaftliche Konflikte einschließt und der theoretische
Zugang interdisziplinär nicht genau zu bestimmen ist.
Zehn Fallstudien aus der Metall- und Elektroindustrie werden anhand der
Dezentralisierungsbestrebungen dargestellt. Dies ist ein zentrales Element der Lean-
Production-Diskussion mit dazugehörigen Elementen wie Abflachung der Hierarchie
und Verschlankung der indirekten Bereiche.
Ein Stilwechsel von der bisherigen tayloristisch-fordistischen2 zur neuen reflexiven
Rationalisierung3 soll hierbei mit allen Voraussetzungen und Folgen herausgestellt
werden. Diesen beschreiben die Autoren mit einem Wechsel von der funktionalen
Ausgliederung spezialisierter Tätigkeiten hin zu der Reintegration von „herstellenden“
und „dienstleistenden“ Tätigkeiten, zu flexibleren und qualitäts- und
innovationszentrierteren Arbeitsformen. Generell steht die bisherige Arbeitsteilung
zwischen „Hand- und Kopfarbeit“, zwischen planenden, steuernden und ausführenden
Tätigkeiten auf dem Prüfstand.4
Die dezentralen Organisationsformen sind nur ein Element der Lean-Production-
Debatte neben anderen (Hersteller-Zulieferer-Beziehungen, simultanes Engineering
u.a.). Da Lean Production, als grundsätzlich neue Spielregel und Antwort auf einen
radikal sich ändernden Markt5, zum zentralen Bezugspunkt der Rationalisierungsdebatte
1 Heidenreich, S. 272 s. Anhang, S. 34, Bild 1: Idealtypisches tayloristisches Organisationsmodell3 vgl. Kapitel 54 Heidenreich, S. 275 vgl. Logistik für Unternehmen, S. 3
1
geworden ist, sichert der positive Bezug zum Stichwort dieser Arbeit –
Dezentralisierung von Unternehmen – allemal Aufmerksamkeit und Legitimation.6
Es wird sich zeigen, daß die direkte Arbeit in Qualifikation und Status aufgewertet, die
indirekte Arbeit aber dadurch einen veränderten Aufgabenzuschnitt erfährt.
Die Fallbeispiele, die die Autoren anhand von Äußerungen der Akteure einbringen,
werden hier exemplarisch verwendet, aber nicht ausgiebig zitiert, sondern vielmehr
werden die aus ihnen hervorgegangene Erkenntnisse der Autoren und deren Thesen
genauer betrachtet.
Hauptsächlich kommen Ergebnisse zum tragen, die die strukturellen Wirkungen der
Dezentralisierungspolitik und ihre betriebspolitischen Voraussetzungen betreffen. Der
Beschreibungsweg läuft in der vorliegenden Arbeit von der Typologie über
Auswirkungen auf die Arbeitsgestaltung bis hin zu Auswirkungen auf die
Arbeitsbeziehungen.
Zunächst aber noch genauer zum Wege der Beschreibung, zur Anlage der
Untersuchung.
6 vgl. Faust, S. 199
2
2. Anlage der Untersuchung
2.1 Formen der Dezentralisierung7
a) Die operative Dezentralisierung
Hier werden Kompetenzen aus indirekten Abteilungen und Stäben zu den operativen
Einheiten, also den ausführenden Beschäftigten, verlagert. Damit sind vor allem
Formen der Lean Production gemeint, wie Gruppenarbeit oder Qualitätszirkel (QZ).
Operative Dezentralisierung hat dann Reorganisationen der indirekten Bereiche und der
gesamten Hierarchie zur Folge. Diese sind hier deshalb wichtig, weil der Erfolg der
Dezentralisierungsbestrebungen einerseits vom gelungenen Neuzuschnitt der indirekten
Bereiche abhängt, und andererseits diese Abteilungen letztlich betriebspolitische
Schlüsselstellungen einnehmen.
b) Die strategische Dezentralisierung
Gemeint sind dabei vor allem Reorganisationsvorhaben von Unternehmen und deren
Kooperationspartnern. Formen wie Verringerung der Fertigungstiefe und Veränderung
der Hersteller-Zulieferer-Beziehungen sind hier zu nennen.
Operative und strategische Dezentralisierung gehen oftmals nebeneinander, wenn z.B.
das just-in-time-Konzept verwirklicht wird. Die strategische Form ist aber nicht
eigentlicher Gegenstand dieser Untersuchung. Die Autoren beschränken sich auf die
Darstellung von Aspekten strategischer Dezentralisierung.
2.2 Materialgrundlage
Sechs Intensivfallstudien und vier weitere aus der Elektro- und Automobilindustrie,
sowie aus dem Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Baden-Württemberg sind die Basis
dieser Untersuchung8. Innerhalb dieser Unternehmen werden vor allem Projekte in der
Produktion näher betrachtet. Einflüssen des Marktes, der Produktionstechnologie oder
der Unternehmensgröße auf die Dezentralisierungsprojekte wird nicht systematisch
7 s. Anhang, S. 35, Bild 2: Formen der Dezentralisierung8 s. Anhang, S. 36, Bild 3: Fallübersicht
3
nachgegangen.
Kriterium der Fallauswahl war das erkennbare Bestreben von Unternehmen,
Kompetenzen auf die operative Ebene zu verlagern und ein dies förderndes
Management.
Alle Erhebungen erfolgten von 1989 bis 1991 und behandeln ausschließlich Projekte,
die vor der heute populären und als einzige Alternative zu Taylorismus und CIM
gesehenen9 Lean Production-Diskussion geplant und umgesetzt wurden.
Allgemeine Aussagen über den Verbreitungsgrad von Dezentralisierungsprojekten sind
trotz anderer Untersuchungen aufgrund schwer vergleichbarer Erhebungskriterien nicht
möglich. Es kann sogar soweit gegangen werden, daß der „(...) Industrie (...) keinesfalls
eine Vorreiterrolle bei der subjektiven Modernisierung der Arbeitswelt zu(-kommt).“10
2.3 Argumentationsgang und Fragestellung
Das Hauptinteresse dieser Untersuchung gilt Formen, Wirkungen und Prozessen
operativer Dezentralisierung.
In Kapitel 3.1 werden zunächst Projektformen in der Produktion beschrieben, die dann
in Kapitel 3.2 durch die Auflösung der bisherigen strikten funktionalen Trennung der
Bereiche Produktion, Entwicklung und Vertrieb in diese eingebunden werden.
Kapitel 3.3 geht den Zielen und Beweggründen der Reorganisationsprozesse nach, wie
sie von den relevanten Akteuren geschildert wurden.
Die Frage nach den Konsequenzen für die formale Hierarchiestruktur, für die
Vorgesetzten und für die indirekten Bereiche wird in Kapitel 4 zu beantworten
versucht. Die strukturellen Wirkungen operativer Dezentralisierung sind hier also
gesucht.
Die Wirkungen speziell auf die direkte Produktionsarbeit wird in Abschnitt 4.2
behandelt, die sich fortgeführt in Abschnitt 4.4 als Prozeß der Erosion der traditionellen
Arbeiter-Angestellten-Unterscheidung wiederfinden.
Kapitel 5 befaßt sich dann mit den betriebspolitischen Aspekten der Dezentralisierung,
wo das betriebspolitische Dilemma in Abschnitt 5.1 und die veränderten
betriebspolitischen Konstellationen in Abschnitt 5.2 zum tragen kommen. Das Kapitel
9 Logistik für Unternehmen, S. 310 Heidenreich, S. 29: Veränderte „subjektzentrierte“ Organisationskonzepte beziehen sich auf berufsinhaltliche, kommunikative und expressive - kurz: subjektbezogene - neue Ansprüche an die Arbeit.
4
5.3 wendet sich der Frage nach der Erfolgskontrolle zu. Die Frage, ob die Projekte
erfolgreich sind und die Ziele erreicht wurden, ist zwar für die Fürsprecher sehr
wichtig, sie kann hier aber nicht abschließend geklärt werden.
Zusammenfassung und Ausblick beenden diese Arbeit mit Kapitel 6, wo mitunter die
Wirkungen der Dezentralisierung auf das System der industriellen Beziehungen
thematisiert werden.
5
3. Typologie und Illustration
Die industriesoziologische Forschung hat wenig zu einer begrifflichen Klärung der
neuen Organisationskonzepte beigetragen11. Deshalb scheint eine möglichst präzise
begriffliche Bestimmung im vorhinein angebracht.
Dezentralisierung beschreibt nach Meinung der Autoren die Veränderung von
Organisationsstrukturen und deren Richtung, also nicht die dadurch neu entstehenden
Arbeitsstrukturen. Zur Beschreibung des entstehenden Arbeitssystems müssen folgende
Faktoren mit einbezogen werden: Die Technologie des Arbeitssystems, das
Aufgabenspektrum, die interne Arbeitsteilung sowie der interne Steuerungsmodus.
Zur Analyse sprechen die Autoren vom prozessualen Begriff der Dezentralisierung.
Hierdurch werden erst Veränderung und Richtung der Dezentralisierung, die
Reduzierung der Arbeitsteilung, genügend beschrieben.
3.1 Formen operativer Dezentralisierung
3.1.1 Typologie
Die operative Dezentralisierung weist zwei Grundformen auf: Zum einen die parallele,
strukturbegleitende, zum anderen die „echte“, strukturverändernde; sie werden im
folgenden vorgestellt:
a) Parallele Dezentralisierung kennt z.B. Formen wie Qualitätszirkel und
Projektorganisation nach der CEDAC-Methode.12
Gemeinsames Kennzeichen ist die Begrenzung auf einen definierten Zweck und
Zeitraum, die bisherigen formalen Qualifikationsstrukturen bleiben unangetastet.
Dennoch kann von Dezentralisierung gesprochen werden, da Elemente von
Verantwortung und Kompetenz nach unten delegiert werden. Die Hierarchie und
funktionale Organisation wird nicht grundlegend verändert, sondern lediglich ergänzt.
Ihr Ziel ist es, letztlich Kommunikationslücken zwischen der Produktion und den
indirekten Bereichen zu schließen. „Produktionsintelligenz“, also das Einbringen
eigener Erfahrung, soll so mobilisiert und die horizontale Arbeitsteilung reduziert
werden. Das verrichtungsorientierte Werkstattprinzip kann bestehen bleiben.
11 vgl. Faust, S. 3312 Cause and Effect Diagramm with Addition of Cards
6
b) Echte Dezentralisierung greift in die formale Arbeitsorganisation generell und
zeitlich unbegrenzt ein. Sie reduziert auch teilweise die vertikale Arbeitsteilung, z.B.
durch Fertigungsinseln auf objektorientiertem Prinzip.
Hier gibt es wiederum zwei Grundtypen echter Dezentralisierung: Das
Selbstorganisationsmodell13 und das Intrapreneurmodell14. Diese Unterscheidung
bewährt sich im Hinblick auf die Frage nach Rückwirkungen von
Dezentralisierungsprozessen auf fertigungsnahe Abteilungen und Vorgesetztenrollen.15
Beim Selbstorganisationsmodell werden Kompetenzen von Vorgesetzten auf operative
Ebenen verlagert. Eine feststehende Form von Arbeitsteilung gibt es nicht mehr.
Das Intrapreneurmodell macht dagegen durch Kompetenzverlagerung aus einem
unteren Vorgesetzten einen „Unternehmer im Unternehmen“. Die formale Struktur der
Arbeitsteilung bleibt innerhalb der operativen Ebene erhalten. Das bedeutet eine
größere Verantwortung für betriebliche Linienvorgesetzte, wie etwa den Meister.
Dessen Position kann in so einer abgeflachten Hierarchie und bei dadurch reduzierten
indirekten Abteilungen deutlich angehoben sein.
Beide Modelle unterscheiden sich ferner im Grad der Dezentralisierung. Den definieren
die Autoren als Art und Umfang der Verlagerung von Funktionen und Kompetenzen.
3.1.2 Exemplarische Illustration
Anhand der Fallbeispiele der Erhebung soll ein genaueres Bild der vorherigen
Typologie beschrieben werden. Neun der zehn Fälle setzten dabei auf die Grundform
der echten Dezentralisierung. Davon konnten aber nur sieben Unternehmen in drei
Typen des Intranpreneurmodells und vier Typen der Selbstorganisation unterteilt
werden.
a) Parallele Dezentralisierung
Aus den Untersuchungsergebnissen wird hier der Fall eines Unternehmens geschildert,
das sich von japanischen KAIZEN16-Methoden hat inspirieren lassen. Es handelt sich
dabei um ein deutsches Tochterunternehmen eines japanischen Multinationals, das
Anfang der 80er Jahre folgende zwei Methoden einführte:13 s. Anhang, S. 37, Bild 4: Typisierte Organisationsform des Selbstorganisationsmodells14 „Neue Meisterwirtschaft“15 vgl. Faust, S. 3716 kontinuierlicher Verbesserungsprozeß
7
· Qualitätszirkel (QZ)
Diese bestanden in der Regel aus fünf bis sechs Beschäftigten, die sich für ein halbes
Jahr einmal in der Woche für eine halbe Stunde trafen. Nach einem halben Jahr sollten
sie ein Ergebnis vorlegen. Dazu sollte jeder innerhalb der Treffen Vorschläge zur
Verbesserung der Qualität, aber auch weitergehende Themen eingeben. Allerdings
wurde von außen nahegelegt, nur Themen aus dem eigenen unmittelbaren Arbeitsfeld
zu diskutieren. Die Versuche, Themen über den eigenen Bereich hinaus zu behandeln,
wurden vorher schon durch Kompetenzabgrenzungen anderer Bereiche erschwert.
Die Arbeitsergebnisse wurden von Vertretern der Geschäftsleitung, des Betriebsrates
und von Abteilungsleitern bewertet und unabhängig davon an die zuständigen
Fachabteilungen weitergeleitet. Diese blockierten häufig die Umsetzung der Ergebnisse.
Die QZ wurden am ehesten von den indirekten produktionsnahen Abteilungen und von
den qualifizierteren Arbeitern angenommen. Keinen Erfolg hatte man in den
Angestelltenbereichen und bei angelernten Arbeiterinnen, wo man zwar die QZ als
Arbeitszeit anrechnete, diese aber doch nur als Überstunden in die Zeit nach Feierabend
fielen. Im Laufe der Zeit erlahmten dann auch die Aktivitäten der anderen Bereiche.
Als dann die japanische Zentrale eine neue Methode (CEDAC) propagierte, schliefen
die QZ ein. Das formale Gehäuse war sowieso schon ausgehöhlt.
· CEDAC
Dies meint eine Darstellungsmethode zur Problembearbeitung anhand eines Ursache-
Wirkung-Diagramms. Zuständig dafür ist der jeweilige Abteilungsvorgesetzte. Jeder
Beschäftigte ist aufgefordert, Problemlösungen vorzuschlagen, die graphisch im
Diagramm dargestellt werden. Fortschreitungspunkte sind dabei z.B.
Zurkenntnisnahme, Einleitung von Maßnahmen und Vollzug. Diese Methode hängt
stark von der individuellen freiwilligen Bereitschaft der Beschäftigten neben der
regulären Arbeit ab. So scheiterte auch dieser Versuch und mehr als die rein formale
Unterstützung wurde nicht erreicht.
Folgende Ergebnisse der parallelen Dezentralisierung aus den Fallstudien werden
genannt: Einerseits lassen negative Erwartungen im mittleren und unteren Management
und in den indirekten Bereichen Widerstände aufkommen. Einer
Kompetenzerweiterung der Produktionsarbeit und somit einer Veränderung des eigenen
8
Selbstverständnisses stehen große Vorurteile und Ängste gegenüber.
Desweiteren besteht eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen von
Arbeitsverbesserung und den unveränderten, täglichen tayloristischen Prinzipien im
Betrieb. So wird es zu einem Problem, die Motivation aufrechtzuerhalten.
b) Echte Dezentralisierung
· Intrapreneurmodell
Hier handelt es sich um ein deutsches Werk eines amerikanischen
Leiterplattenherstellers, in dem dieses Modell eingeführt wird. In der Ausgangslage
waren folgende Grundprinzipien der Organisationsstruktur zu finden: Neben einer
vielfach geteilten Verantwortung für den Produktionsprozeß gab es eine hohe
funktionale Spezialisierung und dadurch wiederum eine Aufblähung indirekter
Bereiche; außerdem bestand ein ausgeprägter „Standesdünkel“, sowie ein hoher
Koordinierungsaufwand durch viele „Schnittstellen“.
Das Grundkonzept für die angestrebte Dezentralisierung besteht in der Umstellung von
einer strikt funktionalen zu einer prozeßorientierten Organisationsstruktur. Dies soll
durch Integration aller relevanten indirekten Funktionen in die Produktionseinheiten
verwirklicht werden. Zu nennen sind hier Instandhaltung, Grundversorgung,
Qualitätskontrolle und Fertigungssteuerung.
Alles in allem soll die Linie gegenüber dem Stab und die direkte Arbeit gegenüber der
indirekten gestärkt werden. Bestimmte Prozesse sind allerdings sehr kapitalintensiv und
daher schwer in das Prinzip der Abteilungsbildung nach Produktverantwortung zu
integrieren. Deshalb werden Basisprozesse als eigene Produktionseinheiten geführt, die
zentral für alle Prozesse zuständig sind.
Prinzipiell bleibt die Arbeitsteilung zwischen indirekten und direkten Funktionen
innerhalb der neuen Produktionseinheiten erhalten. Dazwischen jedoch will man die
Linien durchlässiger halten. So sollen Techniker z.B. in Notfällen auch „mit anpacken“
müssen; „Teambildung“ unter Führung des Abteilungsleiters ist das Stichwort.
Das Ergebnis der echten Dezentralisierung mit dem Intrapreneurmodell wird von den
Autoren als noch nicht gelungen beschrieben. Die alten Demarkationslinien zwischen
den Funktionen sind nicht zu überwinden. Insbesondere bei ehemalig indirekten
Beschäftigten wird diese Umstellung als eigener Abstieg interpretiert.
9
· Selbstorganisationsmodell
Zur Beschreibung dient hier ein Maschinenbauunternehmen als Teil eines größeren
ausländischen Konzerns, mit einem sehr spezialisiertem Produktprogramm.
Dort wird die flächendeckende Einführung von Fertigungs- und Montageinseln
angestrebt. D.h. daß Betriebsmittel der jeweiligen Teilefamilie räumlich und
organisatorisch zusammengefaßt werden. Vorher waren die Maschinen nach dem
verrichtungsorientierten Prinzip zusammengefaßt (Bohren, Fräsen).
Die Mitarbeiter haben die weitgehende Selbststeuerung der Kooperations- und
Arbeitsprozesse zu übernehmen. Durch diese Selbstkontrolle soll der externe
Kontrollaufwand minimiert werden. Die jeweilige Inselmannschaft übernimmt auch die
Feinplanung und -steuerung der Aufträge und der Termine; es werden also
produktionsökonomische Zielgrößen mit marktökonomischen Zielgrößen direkt
aufeinander abgestimmt.
Die interne Arbeitsteilung ist gering ausgeprägt, so daß jeder Mitarbeiter alle
Maschinen bedienen kann und auch soll. Eine hohe Einsatzflexibilität ist das Ergebnis.
So kann auch jedes Gruppenmitglied im Wechsel die nicht hierarchische Position eines
Inselkoordinators übernehmen.
Einmal im Monat findet dann eine Besprechung der relativ autonomen Gruppe statt.
3.2 Veränderte Steuerungskonzepte
In diesem Abschnitt werden die veränderten Beziehungen in der Funktionsstruktur
innerhalb der neuen Organisationsgestaltung behandelt. Anhand der Erhebung kommen
Veränderungen der Koordinierung zum tragen, nämlich a) innerhalb der Produktion
und b) innerhalb der Unternehmen in Bezug zur Produktion. Es wird gefragt: Wie
wirken sich die neuen Dezentralisierungsprojekte auf zu verändernde
Steuerungskonzepte aus? Wie sieht die Dezentralisierung von Kompetenzen aus?
Die Formen der Integration der neuen Produktionskonzepte untereinander und in das
Unternehmen haben einen gemeinsamen Hintergrund im neuen Leitbild der neuen
Organisationsgestaltung.
a) Integration innerhalb der Produktion
In den allermeisten Fällen ist die Dezentralisierung mit einer veränderten
Produktionsplanung und -steuerung verbunden. Das ergibt sich aus den verfolgten
10
Zielen, wie Bestandssenkung, verbesserte Durchlaufzeiten und termingerechte
Lieferzeiten. Natürlich gilt dies besonders für kundenspezifisch fertigende Klein- und
Mittelserienfertiger.
Die dezentralen Einheiten werden hierbei entweder nach dem Konzept der
Objektorientierung oder nach dem Konzept der Fertigungssegmentierung nach
Produktlinien reorganisiert.
· Fertigungssegmentierung
Der just-in-time-Gedanke als Steuerungsprinzip steht dabei im Mittelpunkt, man spricht
von ziehender Fertigung auf vorgelagerte Fertigungsabschnitte. Der Fluß innerhalb der
einzelnen Produktionsabschnitte wird hierbei über teilautonome Gruppen organisiert,
was schnelle Reaktion auf Produktänderungen „von oben“ durch kurze Wege, also
verbesserten Informationsfluß, sichert.
· Objektorientierung
Bei diesem Konzept ändert sich der organisatorische Zusammenhang innerhalb der
Teilefertigung. Die Koordinierung der Teilarbeiten kann nun in Selbstorganisation
abgewickelt werden. Allerdings bedarf es zur Synchronisation mit den nachfolgenden
Montagearbeiten eines übergeordneten Steuerungsmechanismus. Der just-in-time-
Vorteil verliert sich sonst an den dann problematischen „Schnittstellen“.
b) Integration der Produktion innerhalb der Unternehmen
In den untersuchten Fällen wurden vielfach neue Formen der organisatorischen
Integration der Produktion in das Gesamtunternehmen festgestellt.
Ohne veränderte Einbindung der neuen operativen Einheiten in das Unternehmen
werden dort gewonnene Vorteile an den Nahtstellen zum Vertrieb oder zur
Konstruktion wieder verloren gehen. Zur Überwindung der funktionalen Aufteilung des
gesamten Unternehmens müssen also die einzelnen Unternehmensteile besser
aufeinander abgestimmt werden. Diese neue Ablauforientierung beschleunigt dann z.B.
Innovationen und deren Marktreife.
Folgende Integrationsformeln im Gesamtunternehmen sind deshalb hervorzuheben, die
die Grenzen der funktionalen Struktur überwinden helfen sollen:
· Divisionalisierung
11
Die Überlegung, die Grenzen zwischen Marketing/Vertrieb, Entwicklung/Konstruktion
und Produktion durchlässiger zu machen, ist hier der Grundgedanke.
Eigenverantwortung für die jeweilige Produktgruppe soll betriebswirtschaftliche
Orientierungen in allen Subeinheiten verankern. Die Division zieht sich
produktverantwortlich durch alle relevanten Bereiche. Die funktionale Organisation
bleibt hierbei zwar erhalten, doch ist sie stark verkleinerbar.
· Zentrale Auftragsleitstellen
Hier handelt es sich um hierarchisch hoch angesiedelte Abstimmungs- und
Koordinierungsstellen. Sie sollen die Teilsysteme, wie etwa Divisionen, an einem
Abstimmungsoptimum orientieren. Dabei leiten sie den Produktionsfluß soweit, daß sie
Rahmentermine angeben und auch die Termin- und Kostenkontrolle übernehmen.
Der untersuchte Fall war laut Autoren aber noch zu jung, um Erfolge beurteilen zu
können. Sicher ist allerdings, daß die Auftragsleitstelle wie ein Stachel im Fleisch der
funktionalen Organisation wirkt.17
· Funktionsübergreifende Projektorganisation
Dies ist eine andere Möglichkeit, den Funktionalismus zu überwinden, womit speziell
eine Beschleunigung und Qualifizierung von Entwicklungs- und
Konstruktionsprozessen erreicht werden soll. Es geht darum, Kenntnisse und
Erfahrungen verschiedener Teilsysteme zusammenfliessen zu lassen. Dies soll
vorteilhafter gegenüber dem sequentiellen Abarbeitungsmuster der alte Organisation
sein.
Ziel ist eine rekursive Input-Output-Kooperation, vornehmlich nach Produktlinien, die
hinführen soll zu Projektorganisationen.
Eine weitergehende Aufhebung der traditionellen funktionalen Struktur wurde von den
Autoren nicht festgestellt.
3.3 Gründe und Ziele der Dezentralisierungspolitik
Sämtliche untersuchten Dezentralisierungsbestrebungen gehen auf veränderte
Wahrnehmungen der Wettbewerbssituation zurück.
„Humanisierung der Arbeit“ und „Arbeitsdemokratie“ sind altbekannte
Anknüpfungspunkte für Gewerkschaften und in diesem Zusammenhang dann auch für
17 vgl. Faust, S. 66
12
die Verantwortlichen ein Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.18
Es ergibt sich ein Spektrum von aktuellen Wettbewerbsanforderungen bzw. Problemen
(es handelt sich hier um von Verantwortlichen geschilderte Probleme, die weiter zu
diskutieren sind):
So besteht bspw. bei Unternehmen, die nicht vorwiegend Wettbewerbsdimensionen wie
Produktinnovation, Qualität, Flexibilität und Zeit bedienen können, eine verschärfte
Konkurrenz auf der Ebene der Produktionskosten. Daneben existieren restriktivere
Qualitätsstandards der Produkte bei abhängigen Unternehmen (wie z.B. Zulieferern),
erhöhte Anforderungen an eine beschleunigte Innovation sowie die Forderung des
Marktes nach bester Kundenbedienung. Zudem müssen sich die Unternehmen mit einer
hohen Kapitalkostenbelastung durch unzureichende Maschinennutzung
auseinandersetzen und die Unterauslastung der Arbeitskräfte durch überkommene
Organisationsstrukturen in Betracht ziehen. Letzteres betrifft zum einen die reine
Arbeitskraft und zum anderen die Qualifikation mit nachfolgender Demotivierung.
Diese Anforderungen an die Unternehmen erweisen sich wegen jahrzehntelanger
tayloristischer Rationalisierung als problematisch. So werden denn auch die neuen
Leitbilder als rechtzeitige und adäquate Chance verstanden, da in alter Manier kaum
noch etwas zu machen ist.
Dementsprechend sind dann die offiziellen Ziele der Dezentralisierungspolitik
folgendermaßen angesetzt:
· Reduktion von Stillstandszeiten durch Nutzung der Selbststeuerungskapazität von
Arbeitsgruppen
· Nutzung der „Produktionsintelligenz“ von Facharbeitern zur kontinuierlichen
Verbesserung der Produktionsabläufe
· Nutzung von Produktionsreserven durch Gruppenarbeit und dadurch Reduzierung der
Lohnstückkosten
· Verbesserung der Durchlaufzeiten durch z.B. just-in-time-Steuerung
· Verringerter indirekter Personalaufwand durch Integration indirekter Funktionen in
dezentrale operative Einheiten
· Verbesserte Qualität der Produkte durch Produktverantwortung z.B. in Divisionen
· Höhere Motivation der Mitarbeiter durch attraktiveren Arbeitseinsatz
18 vgl. Faust, S. 68f
13
· Beschleunigung von Produktinnovationen durch verbesserte Abstimmung der
Funktionsbereiche.
Dies sind alles Ziele, die z.T. in den oben erwähnten Fallbeschreibungen schon
auftauchen. Sie sind hier aber der Vollständigkeit halber noch einmal genannt.
Handlungsbestimmend sind aber niemals alle Ziele gleichzeitig, vielmehr nur
ausgewählte. Die Unternehmensstrategie und die konkreten Wettbewerbsbedingungen
sind hier Gründe, oder aber auch neue Leitbilder, wie z.B. die Studie von Womack u.a.
(1991, Verschlankung). Die Autoren bezeichnen diese Art der Zielbildung als
sogenannte institutionelle Interpretation.19
Offizielle Ziele können auch symbolische Funktion haben. Sie zielen auf die
Einbindung von externen oder internen Akteursgruppen, die sogenannte
koalitionstheoretische Interpretation.20 Das Ziel hat dann z.B. die Funktion, das
betriebspolitische Feld für Veränderungen günstig zu gestalten. Ziele der
Dezentralisierung unterliegen also der Gefahr des Rationalitätsvoruteils.
Befragt man Manager nach Zielen getroffener Maßnahmen, ist man also immer in der
Gefahr, das rationalistische Bild zu reproduzieren.
Dies sind Methoden zur Entscheidungs- und Zielbildung der Reorganisationsprozesse
auf Betriebsebene. Dabei ist vieles undurchschaubar im Wirkungsgefüge und interne
und externe Interventionen bzw. Entscheidungen erhalten eine rationale Fassade.
Es ist fraglich, ob Ziele überhaupt unabhängig von Leitbildern bzw. von für rational
gehaltenen Mitteln zustande kommen.21 Denn eigentlich erst veränderte
Wahrnehmungsmuster strukturieren die für notwendig gehaltenen Ziele.
Der Zielbegriff ist einer der tückischsten Begriffe, mit denen Organisationsforscher
hantieren. Ziele werden funktionalisiert, sie liefern Motive für die Identifikation mit der
Organisation und bieten aktuelle Rechtfertigung für zurückliegende Handlungen.
19 vgl. Faust, S. 74, S. 7820 ebenda21 ebenda, S. 79
14
4. Wirkungen der Dezentralisierung auf nichtoperative Bereiche
4.1 Abbau von hierarchischen Ebenen und höheren Führungskräften
Die Autoren unterscheiden zwischen a) durch operative Dezentralisierung induzierten
und b) durch allgemeine Enthierarchisierungsprogramme erfolgten Abbau. Im Zuge der
Dezentralisierung und der Verkleinerung der Funktionseinheiten ist in den meisten
Fällen ein kompensierender Führungskräfteabbau angebracht.
a) Abbau durch operative Induzierung
Die Gefährdung des Abbaus trifft in diesem Fall besonders die unteren
Führungspositionen, die dem Konzept der Selbstorganisation noch vorstehen. Gerade
bei dieser Konzeptverfolgung kann der Anreiz entstehen, auf diese zu verzichten, da ein
Koordinator aus der Gruppe dort in direkter Konkurrenz zur untersten Führungsebene
steht. Diese Verliererebene wird dann auch vom oberen Bereich als überflüssig erkannt.
Die Entscheidungen über den Abbau müssen nicht im vorhinein geplant sein, sie
können sich aus der betriebspolitischen Dynamik ergeben. Andersherum können sie
auch aus dieser Dynamik erst einmal zurückgestellt werden.
Haben sich aber stabile selbstorganisierte operative Einheiten gebildet, können sich
noch weitere Folgewirkungen auf die Hierarchie ergeben. So ist mit der Abflachung der
Hierarchie eine Stärkung der verbleibenden Ebenen verbunden. Schließlich braucht die
selbstorganisierte Produktion Führungskräfte als quasi Verbündete, um Risiken und
Kompetenzansprüche beim Hierarchieabbau neu zu verteilen bzw. zu erlangen.
b) Abbau als allgemeines Konzept
Im Zuge der Studie von Womack u.a. (1991) erhält der Abbau von Hierarchieebenen
eine eigenständige Rolle. „Schlank werden“ durch flachere Hierarchie setzt sich dabei
programmatisch auf Dezentralisierungsgeschehen und erweitert diese.
Das Rezept des Vorbildes des japanischen Unternehmens wird von den Autoren aber
bezweifelt, da vieles den Zusammenhang mit der operativen Dezentralisierung
übersteigt. Da sind beispielhaft die mit einbezogenen oberen Hierarchieebenen zu
nennen.
15
Es kann aber auch gegenteilig zu erhöhtem Führungskräftebedarf kommen, wenn die
funktionalen Organisationseinheiten Vertrieb/Marketing, Produktion und
Entwicklung/Konstruktion auf mehrere Divisionen verteilt werden und fehlender
Hierarchieabbau so mehr Führungspositionen entstehen läßt.
4.2 Veränderte Vorgesetztenrollen und veränderte direkte Produktion
Gravierende Veränderungen ergeben sich dabei durch die echte Dezentralisierung. Bei
paralleler Dezentralisierung können dagegen Veränderungen nicht dauerhaft erzielt
werden. Die beiden Haupttendenzen sind also gerade bei echter Dezentralisierung
wieder erwähnenswert:
a) Echte Dezentralisierung: Selbstorganisation und Veränderung der
Vorgesetztenrolle
Die Meister werden hierbei aus ihren klassischen Aufgabenbereichen verdrängt –
Stichwort „Meisterkrise von unten“, die die klassische Meisterkrise ergänzt. Es steht die
Frage im Raum: Was macht der Vorgesetzte eigentlich noch?
Begriffe wie „Moderator“ und Koordinator kreisen um die neue Meisterfunktion. Das
neue Aufgabenfeld bleibt aber oft sehr undeutlich und die Meister fühlen sich nicht
qualifiziert genug für ihre neue Position. Eine tiefgreifende Rollenverunsicherung ist
die Folge, da eine fortschreitende Abflachung der Hierarchie arbeitsplatzbedrohend
wirkt. Sie fühlen sich als Verlierer, die ihre alte Funktion quasi „weg-moderieren“.
Allerdings können sie auch in die indirekten Bereiche aufsteigen, wie im folgenden
erläutert wird:
b) Echte Dezentralisierung: Intrapreneurmodell und Herausforderung und
Überforderung
Kennzeichnend ist hier die Stärkung der Linie gegenüber dem Stab. „Im Kopf“ der
operativen Einheiten werden Kompetenzen reintegriert, daher auch die Bezeichnung
„Neue Meisterwirtschaft“, oder auch die des „Unternehmers im Unternehmen“.
Gemäß dieser Vorstellung gibt es Führungskräfte auf allen Ebenen (die Intrapreneure).
Diese neuen Vorgesetzten gehören also zu den Gewinnern22, da die alte Diskrepanz
22 vgl. Henning, S. 432: Nach den industriesoziologischen Untersuchungen von Kern/Schumann gibt es
16
zwischen hoher Kompetenz und niedriger Verantwortung aufgelöst wird. Der Meister
trägt nun erweiterte einheitliche Verantwortung für Kosten, Termine und Personal.
Ob diese Verantwortung als Chance gewertet wird, hängt von zwei Faktoren ab: Zum
einen von den individuellen Qualifikationsvoraussetzungen, bei denen Ingenieure, die
den Anforderungen eher gewachsen sind, dem Industriemeister vorgezogen werden
(Rekrutierungsstrategien und Arbeitskräfteangebot beeinflussen sich wechselseitig),
zum anderen von der Qualifikation der Produktionsbasis: Wer nicht auf höherwertige
Mitarbeiter bauen kann, dem droht die Überforderung.
Zusammenfassend gebe ich die veränderten Qualifikationsanforderungen an die
Führungskräfte der direkten Abteilungen noch einmal wieder: So soll der Intrapreneur
mehr Verantwortung übernehmen und über mehr sozial-kommunikative Fähigkeiten
und höhere Fachkenntnisse verfügen. Das Anforderungsprofil der Selbstorganisation
verlangt dem Moderator hauptsächlich sozial-kommunikative Fähigkeiten ab – eine
neue Sozialkompetenz. Wird die Hierarchie verkürzt, treten auch neue fachliche
Anforderungen ins Blickfeld.
Außerdem sorgen technologische und innovatorische Veränderungen für die
Verwissenschaftlichung der Produktion. Diese wird durch die Wirkungen der
organisatorischen Veränderungen noch verstärkt. Produktionsvorgesetzte mit
akademischem Grad besetzen immer häufiger Führungspositionen unterer Ebenen. Für
die direkte Produktionsarbeit ergeben sich also folgende drei Dimensionen von
Qualifikationsanhebung:23 Erstens die berufsfachliche, in der eine Erweiterung der
traditionellen berufsfachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten an Bedeutung gewinnt,
zweitens die dispositive, in der der Verantwortung und Anwendung von abstrakten
Optimierungsregeln, wie z.B. Qualität und Termine, eine neuer Bedeutung beigemessen
wird und drittens schließlich die sozial-kommunikative: Hier spielen Begriffe wie
„Teamfähigkeit“ eine große Rolle, ihre Definition bleibt aber eher vage.
4.3 Auswirkungen auf die (verbleibenden) indirekten Bereiche
Drei Folgewirkungen und Trends echter Dezentralisierung auf die indirekten Bereiche
werden von den Autoren genannt:
vier Gruppen von Betroffenen: Gewinner, Dulder, Arbeiter der krisenbestimmten Branchen und Risikoträger.23 vgl. hierzu Faust, S. 117
17
1. Kosteneinsparungen durch Personalabbau: Die vormaligen indirekten Abteilungen
werden als überflüssiges „Polster“ bewertet und als primäres Ziel der Kosteneinsparung
anvisiert. Der Personalabbau bekommt also unter dem Einfluß der Lean Production und
der allgemeinen Wirtschaftskrise ein größeres Gewicht.
2. Ein neues Selbstverständnis: Durch Aufwertung der direkten Arbeit ereilt die
verbleibenden indirekten Abteilungen ein Statusverlust. Sie müssen sich nun durch
konkrete „Dienstleistungen“ neu definieren.
Das Verhältnis zur Produktion wird umgekehrt: Der Stab wird wesentlich abhängiger
von der Linie. Statusängste sind die Folge, müssen sie sich doch jetzt vor der
Produktion in jeder Entscheidung rechtfertigen. Sie werden von „Aufträgen“ der
Produktion abhängig und ein firmeninternes Kunden-Lieferanten-Verhältnis wäre die
Konsequenz. Experimentiert wird mit der Einführung marktähnlicher
Austauschbeziehungen in Organisationen, aber auch noch weitergehend mit der
rechtlichen Verselbständigung einzelner Bereiche.24
Die dann strikter vom Produktionsgeschäft getrennten Dienstleistungsabteilungen
könnten nun einem Externalisierungsdruck unterliegen, bzw. sich freiwillig lösen.
Einmal könnte die Produktion prinzipiell bei Fremdvergabe „eigene“
Dienstleistungsabteilungen mißachten, zum anderen könnten ebenfalls die indirekten
Bereiche Anbieter auf einem externen Markt werden. Das hängt aber davon ab, wie
marktgängig beide Betriebsteile sind.
3. Eine Nivellierung der alten Statusunterschiede: Aus der Studie geht hervor, daß es
die Tendenz gibt, ehemalige indirekte Mitarbeiter „nach unten“ zu versetzen. Die
Versetzung wird als Degradierung zum „Fachidioten des Segments“25 empfunden.
Abschließend läßt sich diese Entwicklung als Vermischung von indirekten und direkten
Produktionstätigkeiten beschreiben, die noch lange nicht allgemein gilt und mit
betriebspolitischen Gegentendenzen zu kämpfen haben wird.
Die Qualifikationsanforderungen der verbleibenden indirekten Abteilungen steigen
innerhalb dieser Entwicklung also an, werden Spezialtätigkeiten vermehrt verlangt, die
dann vielmehr nur „nach oben“ hin gefunden werden können.
Für in operative Einheiten verlagerte indirekte Mitarbeiter muß aber nun unmittelbare
Verantwortung für ein festes Aufgabengebiet übernommen werden. Dies gilt als
Dequalifizierung, wenn überwiegend operative Aufgaben in dieses Gebiet fallen, da vor 24 vgl. Heidenreich, S. 2825 vgl. Faust, S. 107
18
dem Hintergrund des traditionellen Aufstiegs eine Rückversetzung empfunden werden
muß.
Diese Veränderungen im indirekten Bereich haben auch eine Fernwirkung auf zentrale
Stäbe. Die Autoren sehen eine Eigendynamik des betriebspolitischen Prozesses26, die
sie an zwei Faktoren ausmachen:
Zum einen verlangen die Produktionseinheiten die Anwendung der gleichen
Rationalisierungsprinzipien auf die zentralen Stäbe. Durch die gewonnene Transparenz
der Produktion kann sich nun kein Unternehmensbereich mehr dem
Rechtfertigungszwang entziehen.
Zum zweiten verlangen die verbliebenen indirekten Bereiche, Funktionen aus den
zentralen Stäben „nach unten“ zu verlagern. Wie oben schon erwähnt, wird auch hier
ein Rechtfertigungszwang „nach oben“ weitergegeben, um, wie im operativen Bereich,
immer mehr Kompetenzen „nach unten“ ziehen zu können.
Die Ansprüche „von unten“ können höhere Abteilungen nicht mehr so einfach wie
früher mit dem Verweis auf den eigenen Expertenstatus abwehren. Zudem muß durch
die operative Ökonomisierung z.B. der dortige Rahmen für Durchlaufzeiten sich in
höheren Abteilungen mehr als wiederfinden.
4.4 Auswirkung auf die Karrierewege
Aus den Veränderungen durch die Dezentralisierung ergeben sich für Berufsgruppen, ja
für ganze gesellschaftliche Arbeitssektoren (primär, sekundär, tertiär), völlig neue
Karrierewege und Unterscheidungen. Hierzu haben die Autoren jeweils Thesen aus den
Studienergebnissen gezogen.27
a) Der klassische Facharbeiter
Facharbeitern setzt die reflexive Rationalisierung28 den Aufstiegsmöglichkeiten ein
Ende. Drei Entwicklungen stützen diese These: Die Reduktion und gleichzeitige
Integration von fertigungsnahen indirekten Tätigkeiten in operative Einheiten, der 26 ebenda, S. 110ff27 Hier bringen die Autoren einen Abstecher ein, den man an anderer Stelle noch einmal diskutieren könnte, weil er im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen würde: „Es sei nicht unplausibel, die von Kern/Schumann (1984) identifizierten ,neuen Produktionskonzepte’ als erste Ansätze zu einem säkularen Wechsel in der gesellschaftlichen Bündnisstrategie des industriellen Kapitals zu deuten.“ (usw.), vgl. ebenda, S. 12228 vgl. Kapitel 5
19
verringerte Bedarf an Führungskräften durch die Verkürzung der Hierarchie sowie der
Verdrängungswettbewerb für nicht akademisch ausgebildete Anwärter auf betriebliche
Führungspositionen.
Der klassische Aufstiegsweg für Facharbeiter ist demnach also weggebrochen. Die
Autoren erkennen hier so etwas wie ein Attraktivitäts-Aufstiegsdilemma, denn:
„Die Paradoxie der Entwicklung besteht darin, daß gerade in dem Moment, in dem die erweiterte Nutzung der Facharbeiter als Wissens- und Motivationsreserve erkannt wird, Aufstiegsmöglichkeiten beschnitten werden und damit auch der Status dieser Gruppe tangiert wird.“29
Die Position des Facharbeiters gerät zudem durch Veränderungen auf der Angebotsseite
unter Druck. Es gibt zum einen neue Zugangswege in die Gruppe eine Stufe über der
Facharbeit (z.B. Berufskollegs), zum anderen wächst das Angebot auf der
Ingenieurseite. Damit entsteht ein zusätzlicher Konkurrenzdruck auf der Aufstiegsleiter.
Lösungen des obigen Attraktivitäts-Aufstiegsdilemmas sieht man in der Erleichterung
der Studienberechtigung für berufserfahrene Facharbeiter oder in der honorierten
Statusdifferenzierung innerhalb der operativen Einheiten, in der Anhebung des
Sozialprestiges des Facharbeiters gegenüber dem Hochschulabsolventen. Es deutet sich
eine Statusangleichung zwischen den Ausbildungsabschlüssen auf Kosten der
Hochschulabsolventen an.30
b) Der Ingenieur
Das Gegenstück zur Entwicklung der Facharbeiterkarriere ist die der Ingenieure. Sie
sollen zumindest eine Zeit lang auch in der Produktion arbeiten, so daß eine
ausschließliche Karriere in indirekten Abteilungen ausgeschlossen ist. Wechsel vertikal
und horizontal der Hierarchie sind also vorgesehen. Danach soll ressort- und
funtionsübergreifendes Denken betrieblich sozialisiert werden, was eine fortlaufende
Neuorientierung zur Folge hat. Dies gerade, weil durch hohes Innovationstempo in den
Entwicklungsbereichen der Weg aus der Produktion zurück verbaut werden kann.
c) Arbeiter-Angestellte: Das Ende der Unterscheidung?
Die organisatorischen Veränderungen untergraben eine zukünftige Arbeiter-
Angestellten-Unterscheidung. Drei zusammenfassend genannte Faktoren erhärten diese
Entwicklung:
· Zusammenführung und -arbeit nehmen die Legitimation der Unterscheidung
· Tätigkeiten durch „angestelltentypische“ Züge der Produktion und dem gegenüber
29 Faust, S. 12430 ebenda, S. 127
20
prozeß- und produktionsnähere Angestelltentätigkeiten werden angeglichen
· Die Statusangleichung vollzieht sich durch Aufwertung der direkten und
Problematisierung der indirekten Arbeit.
Der Bestand der Arbeiter-Angestellten-Unterscheidung hängt noch von anderen als von
betrieblichen Faktoren ab. So ist die Tarifpolitik zwischen den Beschäftigtengruppen
strittig, da ein Vertretungsdilemma31 zur Lohnanpassung den Konflikt für die
Gewerkschaft brisant werden läßt32. Eine Angleichung nach oben kann zu
Bodenverlusten der Gewerkschaften bei Angestellten führen; sie sprechen dann von
einem einseitigen „Arbeitertarifvertrag“.
Sich angleichende Differenzierungen darüber hinaus werden von den Autoren nicht
konkret gemacht, es wird aber zahlreiche geben, die dennoch erhalten bleiben.
31 ebenda, S. 130, vgl. auch Kapitel 5.2 d)32 vgl. Famulla, S. 69: Aber auch weitergehend wird von einer Stärkung der betriebspolitischen Position der Beschäftigten durch die neuen Produktionskonzepte nicht gesprochen.
21
5. Betriebspolitische Aspekte des Wandels und Auswirkungen in den industriellen
Beziehungen
Die Autoren bezeichnen die zu beobachtenden Dezentralisierungsprozesse als reflexiv33,
weil sie tayloristische Rationalisierungsstrukturen grundlegend verändern.34 Zwar sollen
spezielle Folgeprobleme tayloristischer Prinzipien gelöst werden (z.B. wachsender
indirekter Bereich), doch baut dieses Konzept immer noch auf die in diesem Sinne
„veralteten“ Macht- und Leitbildstrukturen auf. Die Geisteshaltung von Mitarbeitern
und besonders der Führungskräfte läßt deshalb häufig „einen Taylor“ im Kopf
erkennen.35
Der Versuch der Reform löst inner- und überbetrieblich deshalb verstärkt
Aushandlungsprozesse und Veränderungsimpulse aus. Diese werden hier näher
betrachtet.
5.1 Das betriebspolitische Dilemma
Initiativen der Organisationsspitze können auf halbem Wege steckenbleiben, wenn sich
Widerstand „von unten“ bildet. Schließlich geht es um die Demontage der eigenen
Positionen. Eine Unterstützung zur Veränderung braucht aber motivierte und loyale
Mitarbeiter, was deshalb ein unabsehbares Risiko in sich birgt. Also können z.B.
technischer und organisatorischer Sachverstand aus dem mittleren Management zur
Lösung der Umstellungsprobleme nur schwer aktiviert werden.
Wird aber nicht wirklich in der Hierarchie und in den ausufernden Stäben eingespart,
bleiben die zu erwartenden Effekte wohl aus. Nicht zuletzt auf Werkstattebene würde
bei Aufrechterhaltung der alten Strukturen die Motivation schwinden.
5.2 Betriebspolitische Situationen des Wandels
Vier betriebspolitische Situationsfaktoren sollen Blockierungen deshalb überwinden
helfen: Die Unternehmenskrise (a), ein vorantreibendes Zentrum (b), neue Leitbilder (c)
und eine neue Koalitionen (d). Alle vier Faktoren beeinflussen und unterstützen sich
33 vgl. Einleitung und Kapitel 4.4 a)34 vgl. Faust, S. 13335 vgl. Automobil-Industrie, S. 101
22
gegenseitig, treten also nie vereinzelt auf.
a) Die Unternehmenskrise
Erst in der Krise erkennt man, daß es so nicht weitergehen kann. Die
Krisenwahrnehmung wird durch die von den Promotoren des Wandels ins Unternehmen
getragenen neuen Leitbilder bewußter wahrgenommen. So werden bisherige Strukturen
in deren Sinne als ineffizient erkannt.
Erst das Krisenbewußtsein kann also Widerstände brechen und Reorganisationsprojekte
vorantreiben. Allerdings kann auch der gegenteilige Effekt eintreten. Die Autoren
können zur Hauptwirkungsrichtung von Krisen noch kein Urteil abgeben.
b) Das vorantreibende Zentrum
Im oberen Management sind vor allem engagierte Machtpromotoren und „Visionäre“
zu finden. Meist sind es Produktionsmanager, da die Produktion traditionell am
intensivsten durchleuchtet wird, manchmal sind es auch von außen kommende
„Sanierer“ mit einem anderen Blickwinkel auf die Unternehmenssituation, die in keine
betrieblichen Beziehungsnetze verwoben sind.
So können die Promotoren versuchen, Zukunftsbilder des Unternehmens mit
Suggestivkraft und politischem Geschick durchzusetzen.
c) Die neuen Leitbilder
Eine Krise und die erwähnten Promotoren „bringen ja nur etwas Neues, wenn sie nicht
die Lösungen in alten Rezepten suchen.“36 In den 80er Jahren waren erst die
vollautomatisierte Fabrik, die EDV-technische Integration und Steuerung (CIM, PPS),
„Japanese Manufacturing Techniques“ und dann das just-in-time-Konzept
konzeptionelle Bezugspunkte von Reorganisation. Leitbilder konnten sich dann
besonders fest etablieren, wenn Besuche bei vorbildhaften Unternehmen zur
Überzeugung beitrugen.
Die Promotoren müssen nun allgemeine Leitbilder mit den konkreten Gegebenheiten
des Unternehmens zu einem schlüssigen Konzept verbinden. Etwas zeremonielle
Inszenierung und symbolische Überhöhung gehören auch dazu, sind aber zu vage und
interpretationsbedürftig. Konkrete Projekte, die nur auf einer funktionalen Begründung
basieren, geraten ins stocken und erst mit einem übergeordnetem Leitbild kommt
36 Faust, S. 144
23
wieder Schwung in den Prozeß.
Leitbilder und konkrete Vorbilder können Zweiflern die argumentatorische Basis
entziehen und symbolisch-legitimatorische Bedeutung gewinnen. Hier könnte man sich
auf die erfolgreiche Karriere der Lean Production berufen.
Externe Experten spielen eine wichtige Rolle als Vermittler und als
Legitimationsinstanz, wenn sie Rückendeckung durch interne Machtpromotoren
zusätzlich erhalten. Die Bewährungsprobe steht nach den Autoren aber noch aus.
d) Die neuen Koalitionen
Starke Promotoren, Visionäre und neue Leitbilder brauchen Verbündete durch neue
Koalitionen. Bisher, im tayloristisch-fordistischen Ansatz, standen sich Management,
indirekte Abteilungen und der operative Bereich als Profiteure und Verlierer gegenüber.
Da aber durch den neuen Rationalisierungsansatz alte betriebspolitische Koalitionen
untergraben werden, gibt es Verlierer jetzt nämlich auch im mittleren Management und
in den indirekten Bereichen.
Die zu erwartende Selbsteinschätzung als Verlierer läßt die subjektive Sicht
handlungsleitend werden. Das schafft gleichgerichtete, gleichgesinnte
Handlungsströme, die die Autoren in zwei Typen von Koalitionen des Wandels
zusammenfassen: die gruppenorientierte Koalition und die leitbildorientierte Koalition.
Bei der gruppenorientierten Koalition handelt es sich um eine Koalition des oberen
Managements mit den operativ Beschäftigten und dem Betriebsrat. Diese ist gegen das
mittlere und untere Management und die indirekten Bereiche gerichtet. Dabei soll eine
konzeptionelle Einflußnahme des Betriebsrates ein konfliktbewußtes
Zusammenarbeiten mit dem oberen Management schaffen. Beide Seiten können sich
dabei aber Ärger über Legitimationsprobleme von seiten ihrer jeweiligen
Verbandsorganisationen einhandeln.
Unter solchen Bedingungen fühlen sich die Betriebsräte für die gesamte
Unternehmensentwicklung verpflichtet, sehen sie doch darin die Chance einer
erweiterten Einflußnahme.
Voraussetzung für eine gruppenorientierte Koalition ist die frühzeitige Information und
Einbeziehung des Betriebsrates. Dabei können Mitbestimmungsauseinandersetzungen
vermieden und Engagement „von unten“ erreicht werden. Dies setzt aber wiederum
Vertrauen voraus, daß als Vereinfacher des Wandels gerade „von oben“ gegeben sein
24
muß, um überhaupt wechselseitig dauerhaft zu bleiben. Erkennbar neue Chancen zur
Entwicklung auf der Werkstattseite tun ihr übriges.
Probleme gibt es allerdings, wenn nicht alle Beschäftigtengruppen sich anteilig im
Betriebsrat wiederfinden. So bleiben traditionell Angestellte gewerkschaftlicher
Politikformulierung fern. Harte Fraktionslinien verhindern so stabile Koalitionen. Der
Berufsgruppenspagat wird dadurch zwar fast unmöglich, aber trotzdem ist dieses
Dilemma bisher kaum in Angriff genommen worden.37
Schon hier muß die neue Koalition die an Vertretung verlierenden Gruppen mehr
einbinden. Speziell der Betriebsrat als Bündnispartner soll Interessenkonflikte
ausgleichen, um als „starker Partner von oben“ anerkannt zu werden. Dies ist
Grundlage für erweitertes Vertrauen.
Eine weitere wichtige Ergänzung dieser Voraussetzungen ist die Kompromißfindung
bei der entstehenden Aufbrechung der traditionellen Leistungsentlohnung. Auf diesem
Feld wird auch der deutlichste Reformbedarf an tariflichen Regelungen gesehen.
Bei der leitbildorientierten Koalition geht es um eine Koalition auf Basis eines vom
Zentrum ausgegebenen Leitbildes. Die dazugehörigen Gruppen formieren sich hier eher
über individuelle Überzeugungen, also quer zu gewachsenen Strukturen.38 Ein
Reorganisationsprozeß ist aber nur dann einfacher durchzusetzen, wenn schon früher
die Ausbildung starker Gruppenidentitäten verhindert wurde.
Voraussetzung für diese Art von Koalition sind also kaum verfestigte
Gruppenidentitäten vor allem im Management. Damit soll ein einheitlicher Geist nach
„unten“ weitergegeben werden und so anhand gemeinsamer Orientierungen
Zusammenhalt geschaffen werden, quer zu alten Hierarchien. Die Autoren bezeichnen
diese Managementorganisation, die Sozialisation des Managements, als „gering
kristallisiertes Management“.39
Diese „geringe Kristallisation“ soll eine loyalitätserzeugende, wie materiell bindende
Wirkung erzeugen und damit die Identifikation mit dem Unternehmen fördern.
Berufliche Mobilität innerhalb des Unternehmens ist die Grundvoraussetzung dafür,
denn dieses Rotationsprinzip begünstigt geradezu einen organisatorischen Wandel.
Kurzfristig sind solche Bedingungen dafür überhaupt nicht herzustellen40. Nur eine
schon längerfristig angelegte Personalpolitik in diesem Sinne kann die Grundlage dafür 37 vgl. ebenda, S. 16638 ebenda, S. 15939 vgl. ebenda, S. 17040 vgl. wie im folgenden Faust, S. 175ff
25
geben. Zusammenfassend ergeben sich folgende personalpolitische Maßnahmen und
Prinzipien:
· Ein quasi garantiertes Beschäftigungsverhältnis für die Stammbelegschaft
· Eine möglichst komplette unternehmensinterne Managementrekrutierung
· Eine hohe Flexibilität durch regionale und funktionale Mobilität innerhalb und mit
Hilfe des Unternehmens
· Hohe interne Weiterbildungsmöglichkeiten
· Materielle und immaterielle Anreize (z.B. Betriebsrenten)
· Eine stabile Wirtschaftslage des Unternehmens
Es bleibt allerdings die Frage, inwieweit veränderte wirtschaftliche und tarifliche
Rahmenbedingungen ein solches Modell der sozialen Schließung anzugreifen
vermögen.
5.3 Erfolge und kritische Bewertung der Dezentralisierungspolitik
Eine eigenständige Erfolgsüberprüfung ist laut Autoren nicht Gegenstand dieser Studie.
Lediglich persönliche Erfolgsbewertungen der Betroffenen sollen die
Dezentralisierungspolitik und deren Auswirkungen charakterisieren. Somit ist eine
eindeutige Erfolgsbewertung nicht möglich.41
Erfolgsgrößen und deren Bewertungsgrundlagen sind überhaupt schwer zu definieren.
Zwar gibt es quantitativ meßbare Kriterien wie Mitarbeiterzahl, Lohn- und
Gehaltsvolumen, Qualität, Durchlaufzeit und auch das übergeordnete Ziel der
Wettbewerbsfähigkeit. Doch ist mit Rekonstruktionsproblemen der Ziele zu kämpfen,
die ein eindeutiges Ursache-Wirkungsgefüge manchmal nicht erkennen lassen.
Um konzeptionelle Probleme hinsichtlich einer kritischen Erfolgsbewertung zu
vermeiden, scheinen folgende vier Gesichtspunkte unumgänglich:
Erstens beeinflusst der Stand der Umsetzung einer neuen Organsationsform eine
wirkliche Erfolgsbewertung. Man kann z.B. bei einer Verschlechterung der
Durchlaufzeiten nicht umstandslos auf den Mißerfolg eines neuen
Organisationskonzeptes schließen, wenn die angestrebte dezentrale
Verantwortungsübernahme sichtbar nicht erreicht wurde.42
41 ebenda, S. 17842 ebenda, S. 180
26
Zum zweiten spielt der Zeitpunkt der Erfolgsmessung eine große Rolle. Es herrscht
vielfach Unsicherheit über den Horizont, in dem die Ziele zu erreichen sind.
Reorganisationen brauchen auf alle Fälle Zeit, nicht zuletzt wegen vielfältiger
Aushandlungsprozesse von Interessen und Macht- und Statusverteilungen in den
Unternehmen. Die Autoren formulieren den Zeitraum als abhängig „von der Ungeduld,
mit der meßbare Erfolge eingeklagt werden.“43
Dieser Spielraum der Ausreifung wird z.B. von Banken oder anderen finanziellen
Einflüssen zeitlich begrenzt. Er ist vom Vertrauen in den Erfolg abhängig, wenn
aussagekräftige Zahlen noch fehlen.
Drittens verlangen aussagekräftige Zahlen aber, daß die zugrundegelegten Ziele meßbar
gemacht werden, damit erkennbar ist, welche Zielgröße Kriterium des Erfolgs sein soll.
Manche Ziele wie Durchlaufzeitenverringerung oder Personaleinsparung können zwar
quantifiziert werden, doch sind konkrete Maßnahmen aus der nachfolgenden Bewertung
dieser Zielgrößen häufig fehlgeleitet, da z.B. die auf Durchlaufzeiten einwirkenden
Größen sehr unterschiedlich sein können.
Fehlgeleitete Maßnahmen werden auch dadurch begünstigt, daß Zahlen von Operatoren
subjektiv in deren Sinne interpretiert werden. So kommt es dann zur Verquickung von
Erfolgsmessung und betriebspolitischen Interessen. Meßmethoden und somit
Zielbewertung hängen also von der jeweiligen Machtposition ab.
Der vierte Gesichtspunkt, der Einfluß auf eine Erfolgsbewertung hat, ist das Leitbild:
Ausgewählte Ziele umschreiben Wirklichkeitsausschnitte, die andere Ziele ausblenden
können. Leitbilder verstärken aber diese Begrenzungsfunktion von ausgewählten
Zielen, ohne dies offensichtlich von vornherein zu implizieren. So kann es zum
„Übersteuern“ von Dezentralisierungsprojekten kommen, wo z.B. Ziele wie
Innovationsfähigkeit, Risikovorsorge und Flexibilität angesichts der schlanken
Produktion ausgeblendet werden. Kalkulierbare Risikogrößen wie Slack und
Reservekapazitäten fallen dadurch an den Schnittstellen einfach weg.
Der Organismus Organisation44 wird zum Mechanismus hochstilisiert, wo positive
Aspekte, wie z.B. Sicherheit und Streßfreiheit folgerichtig negiert werden.
Vordergründig steht der Gewinn einer schlanken, abgespeckten Organisation, während
mögliche Verluste an „organischem Wachstumspotential“ nicht erfaßt werden. D.h. die
Möglichkeiten der Organisation zur Wahrnehmung und Bearbeitung von Risiken und
anderem wird untergraben.43 ebenda, S. 181f44 vgl. ebenda, S. 188
27
„Daß das schlanke Produktionskonzept durch die weitgehende Beseitigung aller Puffer an Zeit, Personal, Vorräten/Material immer auch die Dimension `Risiko` hat, wurde auch in anderen Veröffentlichungen (...) gesehen (...)“.45
45 Faust, S. 190
28
6. Zusammenfassung und Ausblick
Zwei wesentliche Ergebnisse dieser Untersuchung sind also zusammenfassend die
strukturellen Wirkungen der Dezentralisierungspolitik und ihre betriebspolitischen
Voraussetzungen:
a) Strukturelle Wirkungen
Die Lean-Production-Rezeption hat Fahrt in die Planung und Umsetzung neuer
Organisationskonzepte gebracht, wie sie oben beschrieben werden. Die
Dezentralisierung ist nur ein Konzept in der Umsetzung neuer Organisationsformen.
Gruppen- und Teamkonzepte bekommen neben dem KAIZEN-Konzept
Leitbildcharakter, die z.T. unabhängig voneinander eingeführt werden.
Reflexivität als Stilwechsel kann als ein zentrales Merkmal der gegenwärtigen
Rationalisierungspraxis gelten. Dies umso bedeutender, wenn man sie, wie die bisherige
tayloristisch-fordistische Rationalisierung, als neue „systemische Rationalisierung“
versteht. Die beschriebenen Organisationsveränderungen lassen sich also als Umkehr
des bisherigen Trends verstehen.
Nicht zuletzt der im letzten Jahrzehnt verringerte Anteil direkter Arbeit, das höhere
Ausbildungsniveau, mehr Beteiligungsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen
Bereichen und eine bessere soziale Absicherung lassen Führungskonzepte, die nur auf
Befehl und Gehorsam beruhen, zunehmend obsolet werden.46
Bei diesem Strukturwandel arbeits- und betriebsorganisatorischer Art, ist vor allem mit
den folgenden Wirkungen zu rechnen:
· Reduzierung der Hierarchieebenen: Das bedeutet Abbau von Arbeitsplätzen und
Führungspositionen in den indirekten, sowie auch in Stabsbereichen.
· Anforderungsveränderungen an Führungskräfte der mittleren und unteren Ebenen
stellen das bisherige Selbstverständnis in Frage. Dieser Neuzuschnitt benachteiligt
traditionelle Führungskräfte, besonders in puncto Alter und formaler Qualifikation.
Hier liegt ein Risiko der Dezentralisierung: „Die Verschärfung von Segmentations- und
Ausgrenzungstendenzen auf den inner- wie außerbetrieblichen Arbeitsmärkten.“47
Man kann hier auch auf ein verändertes Reproduktionsmuster sozialer Ungleichheiten
verweisen, wo nicht mehr gesetzlich, arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich geregelte
46 Heidenreich, S. 2747 Faust, S. 203
29
Zugangschancen Rationalisierungsgewinner oder -verlierer schaffen, sondern
zunehmend die Persönlichkeit.48
· Die verbleibenden indirekten, produktionsnahen Bereiche übernehmen zunehmend die
Rolle von „Dienstleistern“ für die Produktion. Es kommt zur Verunsicherung über die
berufliche Zukunft, weil sie in ganz anderer Weise als früher unter
Rechtfertigungsdruck für die internen „Kunden-Lieferanten“-Beziehungen kommen.
· Eine Krise traditioneller Karriere- und Aufstiegswege resultiert aus der funktionalen
Integration. Technische und betriebswirtschaftliche Funktionen gewinnen neben
sozialkommunikativen Fähigkeiten an Bedeutung. Die großen indirekten Bereiche
verlieren an Größe und Gewicht und „Schornsteinkarrieren“ werden unmöglich
gemacht.49
· Neue Formen der Leistungsbemessung und -bewertung müssen der Reintegration von
Dienstleistungsarbeit in die herstellende Arbeit nachgezogen werden. Neue
Entlohnungsformen stellen allerdings die von Gewerkschaften tradierten
leistungspolitischen Kompromißlinien in Frage.
Es werden also institutionalisierte Macht- und Interessenstrukturen insgesamt in Frage
gestellt. Und dies in einer problemausblendenden Weise, wie es schon bei zuvor
stilbildende Rationalisierungsleitbilder praktiziert wurde.
Mit einer einfachen Einführung neuer Strukturen „schlanker Produktion“ rechnen die
Autoren nicht. Zumal sie Dezentralisierung als definitive Antwort auf
Wettbewerbsprobleme nicht bezeichnen möchten.
b) Betriebspolitische Voraussetzungen
Neue Voraussetzungen betriebspolitischer Art sind allerdings an die erwarteten
strukturellen Wirkungen gebunden. Die zwei Varianten von neuen Koalitionen spielen
hierbei die wichtigste Rolle.
Das Fehlen neuer Koalitionen kann die Dezentralisierungsprojekte scheitern lassen.
Man kann sagen „(...), daß unter den bundesdeutschen Verhältnissen der skizzierte
Organisationswandel eher auf das Zustandekommen gruppenorientierter Koalitionen
angewiesen ist und damit auf den Typus von Arbeitsbeziehungen, der unter dem Etikett
,kooperative Konfliktverarbeitung’ für wichtige Teile der bundesdeutschen Industrie
48 Heidenreich, S. 3949 Faust, S. 203
30
(zumindest der großbetrieblichen) für typisch gehalten wird.“50
Eine Wirtschaftskrise, deren Probleme sich immer weniger leugnen lassen und wo alte
Lösungsangebote keine Überzeugungskraft mehr haben, ist die beste Basis für
Veränderungen in Richtung neuer Koalitionen. Doch ob jahrzehntelang gepflegte
Machtstrukturen inhaltliche Veränderungen und neue Arbeitsweisen, also eine
notwendige Selbstrationalisierung erlauben, ist fraglich.
Als bezeichnenden Schluß stellen die Autoren fest, daß die „Tertiärisierung“ des
sekundären Sektors zu Ende geht.51
Man kann gesamtgesellschaftlich noch weiter gehen, indem man die bisherigen,
industriegesellschaftlichen Regulationsstrukturen in Frage stellt, die an einer Trennung
von ausführenden und planenden Tätigkeiten festhalten. Das ist der Fall, wenn man eine
De- bzw. Neuregulierung folgender Institutionen anfordert:
„etwa die Aufgaben- und Statusdifferenzierungen zwischen Angestellten und Arbeitern; zwischen Verwaltungs- und Fertigungsbereichen und zwischen Vorgesetzten und Untergebenen; Leistungslohnsysteme, die von exakt vorbestimmten Tätigkeitsanforderungen ausgehen; kollektive Interessenvertretungsinstanzen, die eine klare Arbeitsteilung zwischen Management und anderen Beschäftigten implizieren; starre Arbeitszeitregime, die die ausgehandelten Lohn-Leistungsrelationen in zeitlicher Hinsicht konservieren; Ausbildungen und Berufsordnungen, die exakt abgegrenzte und eifersüchtig verteidigte Verantwortungsbereiche festschreiben und die Entwicklung bereichsübergreifender Qualifikationen verhindert.“52
Es ist nicht abzusehen, welche Strukturen an die Stelle der erodierten
industriegesellschaftlichen Institutionen treten könnten. Nur wird etwa dem
Prämienlohnsystem, als dem richtigen Entlohnungsmodell zur Mitarbeitermotivation,
die größte Chance zugerechnet. Hinzu kommen neben Anderem auch noch flexiblere
Arbeitszeitmodelle, deren Siegeszug gerade erst begonnen hat.53
50 ebenda, S. 20551 vgl. Henning, S. 391: Er schreibt gegensätzlich, daß die „Tertiärisierung trotz Konzentration des Kapitals von einer zunehmenden Dezentralisierung (...) weiter beschleunigt wird.“52 Heidenreich, S. 28f53 Logistik für Unternehmen, S. 3
31
Literaturliste
Automobil-Industrie: Management, Entwicklung, Konstruktion, Fertigung; das
Branchenmagazin, Nr. 3, Vogel, Würzburg: 1995
Famulla, Gerd-E.: Zum Wandel von Arbeit und Ökonomie, in: Schriftenreihe der
Bundeszentrale für politische Bildung, Band 284: Umbrüche in der
Industriegesellschaft, Bonn: 1990
Faust, Michael, Christoph Deutschmann u.a.: Dezentralisierung von Unternehmen, in:
Schriftenreihe Industrielle Beziehungen, Band 7, Hrsg.: Walther Müller-Jentsch, Rainer
Hampp Verlag, München und Mering: 1995
Heidenreich, Martin: Die subjektive Modernisierung fortgeschrittener
Arbeitsgesellschaften, in: Soziale Welt, Nr. 1, Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft
Sozialwissenschaftlicher Institute, Verlag Otto Schwartz & Co., Göttingen: 1996
Henning, Bernd: Sozioökonomische Perspektiven der Neuen Technologien, in:
Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 277: Grundfragen der
Ökonomie, Bonn: 1989
Logistik für Unternehmen, Das Fachmagazin der internen und externen Logistik, Nr.
10: Gesellschaft Fördertechnik, Materialfluß und Logistik, Springer-VDI-Verlag,
Düsseldorf: 1995
32
Anhang
Bild 1:
aus: Faust, S. 41
33
Bild 2:
aus: Faust, S. 39
34
Bild 3:
aus: Faust, S. 27
35
Bild 4:
aus: Faust, S. 42
36
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