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Sören Jungjohann

Die Verantwortung von Führungskräften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit

Stand: April 2009

1 Einleitung

Führungskräfte haben die Aufgabe, innerhalb ihres Verantwortungsbereiches für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Arbeitsschutz) ihrer Mitarbei-ter zu sorgen. Nachfolgend werden die rechtlichen Grundlagen dieser Füh-rungsaufgabe dargestellt (Nr. 2) sowie die Haftung bei Pflichtverletzungen (Nr. 3). Es wird erläutert, wie das Haftungsrisiko reduziert werden kann (Nr. 4). Abschließend werden wichtige Einzelfragen beantwortet (Nr. 5) und Hinweise auf weiterführende Literatur gegeben (Nr. 6).

2 Verantwortung für den Arbeitsschutz

2.1 Grundsatz: Verantwortung des Arbeitgebers

Die Verantwortung für den Arbeitsschutz obliegt in erster Linie dem Arbeit-geber (Unternehmer). Dieser Grundsatz findet sich im Zivilrecht (§ 618 BGB), im Arbeitsrecht (§ 3 ArbSchG), im Sozialversicherungsrecht (§ 21 SGB VII) sowie im Europarecht (Art. 5 Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG).

Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, beispielsweise eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft, so ist neben ihm auch der Geschäftsführer bzw. der Vorstand verantwortlich.

Der Arbeitgeber muss die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um Arbeits-unfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu ver-hüten. Welche Maßnahmen erforderlich sind, hat der Arbeitgeber durch eine Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln (§ 5 ArbSchG, § 3 BGV A1). Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn sie den Arbeitsschutz verbessert und diese Verbes-serung in einem angemessenen Verhältnis zum damit einhergehenden (Kos-ten-)Aufwand steht.

Der Arbeitgeber muss einmal getroffene Arbeitsschutzmaßnahmen regelmä-ßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und sie ggf. den sich ändernden Ge-gebenheiten anpassen. Er muss sicherstellen, dass die Maßnahmen von allen Führungskräften und Mitarbeitern umgesetzt und beachtet werden.

Diese Pflichten treffen jeden Arbeitgeber und jeden Betrieb, und zwar unab-hängig von der Art der betrieblichen Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftig-ten. Es handelt sich um Grundpflichten des Arbeitgebers.

Über diese Grundpflichten hinaus kann ein Arbeitgeber weitere Pflichten ha-ben. Welche dies sind, ergibt sich einerseits aus der Art der im Betrieb anfal-lenden Arbeiten und den dabei bestehenden Gefahren, andererseits aus den rechtlichen Vorgaben in Gesetzen, Rechtsverordnungen und Unfallverhü-tungsvorschriften. Beispielsweise muss beim Umgang mit gesundheitsschädli-chen Stoffen eine schriftliche Betriebsanweisung erlassen werden. Dies ergibt sich aus der Gefahrstoffverordnung.

Die Summe der im Einzelfall bestehenden Pflichten bezeichnet man auch als Unternehmerpflichten.

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2.2 Delegation von Unternehmerpflichten

Jeder Arbeitgeber kann die ihm obliegenden Unternehmerpflichten auf andere Personen übertragen (§ 13 ArbSchG, § 13 BGV A1). Man spricht dann von der Delegation der Unternehmerpflichten bzw. von der Delegation der Verantwor-tung.

Der Arbeitgeber muss delegieren, wenn er die Unternehmerpflicht nicht selbst erfüllen kann.

Die Delegation sollte zu Beweiszwecken schriftlich erfolgen. In der Praxis wird auf die Schriftform häufig verzichtet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Pflichtenübertragung deshalb unwirksam ist. Jeder Mitarbeiter, der gegenüber anderen Mitarbeitern weisungsberechtigt ist, hat die Pflicht, die notwendigen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen. So muss beispielsweise ein Meister sicherheitswidriges Verhalten seiner Mitarbeiter auch dann unterbin-den, wenn ihm diese Aufgabe nicht schriftlich übertragen worden ist.

Der Arbeitgeber wird durch die Delegation nicht frei von jeder Verantwor-tung. Er muss überwachen, ob derjenige, auf den er die Pflichten delegiert hat, diese Pflichten richtig erfüllt. Diese Überwachungspflicht kann der Arbeitge-ber nicht delegieren. Verstößt er gegen seine Kontrollpflicht und kommt es deshalb zu Verstößen gegen Arbeitschutzvorschriften, droht dem Arbeitgeber eine Geldbuße (§ 130 OWiG). Ereignet sich ein Unfall, der durch eine ord-nungsgemäße Überwachung vermieden worden wäre, so haftet der Arbeitge-ber genauso wie der unmittelbar Verantwortliche.

2.3 Verantwortung ohne Delegation

Eine Verantwortung für den Arbeitssschutz besteht auch ohne vorherige Übertragung der Unternehmerpflichten: Jeder Beschäftigte ist nämlich im Rahmen seiner Möglichkeiten verpflichtet, für die Sicherheit und die Gesund-heit aller Personen zu sorgen, die von seinen Handlungen und Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind (§ 15 Abs. 1 S. 2 ArbSchG, § 15 Abs. 1 S. 1 BGV A1). Deshalb muss jeder Mitarbeiter seine Kollegen und auch Betriebsfremde auf versteckte Gefahren hinweisen. Führungskräfte müssen notfalls auch in fremde Bereiche „hineinregieren“, wenn sie dadurch drohende Unfälle ver-hindern können.

2.4 Verantwortungskette

In jedem Betrieb ergibt sich auf Grund der Pflichtendelegationen eine „Kette der Verantwortung“.

Beispiel 1: Geschäftsführer – Betriebsleiter – Abteilungsleiter – Gruppen-leiter

Dem Gruppenleiter als letztem Glied der Kette obliegt es, für den Arbeits-schutz der Mitarbeiter seiner Gruppe zu sorgen. Zu dieser Gruppe zählen auch Leiharbeitnehmer, Auszubildende und Praktikanten, sofern sie dem Gruppen-leiter weisungsgebunden zugeordnet sind. Für den Arbeitsschutz der Mitar-beiter aus anderen Bereichen ist der Gruppenleiter hingegen grundsätzlich nicht verantwortlich (zu den Ausnahmen siehe Nr. 2.3).

Der Abteilungsleiter muss sich regelmäßig vergewissern, dass der Gruppenlei-ter die ihm übertragenen Unternehmerpflichten erfüllt. Dazu kann er bei-spielsweise ein Meldewesen einführen, in unregelmäßigen Abständen die je-weiligen Arbeitsbereiche besichtigen und als stiller Beobachter an Unterwei-sungen teilnehmen. Verzichtet er auf derartige Maßnahmen, handelt er

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pflichtwidrig und steht bei etwaigen Unfällen ebenso in der Verantwortung wie der Gruppenleiter als unmittelbarer Vorgesetzter.

Auf Grund dieser gemeinschaftlichen Verantwortung besteht bei Arbeitsunfäl-len häufig auch eine gemeinsame Haftung. Die immer wieder aufgestellte Be-hauptung, eine Haftung träfe nur das letzte Glied in der Kette, ist daher falsch.

3 Haftung

3.1 Allgemein

Wird derjenige, der für den Arbeitsschutz (mit)verantwortlich ist, dieser Ver-antwortung nicht gerecht, muss er mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Bereits der bloße Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften kann Rechtsfolgen nach sich ziehen, selbst dann, wenn es nicht zu einem Unfall oder einer konk-reten Gefährdung gekommen ist. Wer beispielsweise als Baustellenkoordina-tor keinen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt, begeht eine Ord-nungswidrigkeit. Bei Ordnungswidrigkeiten können Bußgelder verhängt wer-den (siehe Nr. 3.6).

Wird bei einem Arbeitsunfall ein Mensch verletzt oder getötet, kann dies für den Verantwortlichen straf-, zivil- und arbeitsrechtliche Folgen nach sich zie-hen. Voraussetzung für eine Haftung ist, dass der Arbeitsunfall ganz oder teil-weise auf einem pflichtwidrigen Handeln oder Unterlassen des Verantwortli-chen beruht. Auch der Grad des Verschuldens – Fahrlässigkeit, grobe Fahrläs-sigkeit, Vorsatz – kann für die Haftung von Bedeutung sein.

Schließlich ist zu beachten, dass nicht nur aktives Handeln zu einer Haftung führen kann, sondern auch Unterlassen. Gefahren und Schäden entstehen häu-fig nicht nur durch ein gefährliches Tun der Mitarbeiter, sondern auch durch die Passivität der verantwortlichen Führungskräfte. Führungskräfte sind je-doch auf Grund der Delegation der Unternehmerpflichten zum aktiven Han-deln verpflichtet. Deshalb spielt es rechtlich keine Rolle, ob ein Unfall auf einer sicherheitswidrigen Weisung der Führungskraft beruht, auf einer pflichtwidri-gen Duldung sicherheitswidrigen Verhaltens oder auf dem Unterlassen von erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen.1

3.2 Haftung gegenüber dem Verletzten

3.2.1 Grundsatz: Haftungsfreistellung

Der verletzte Mitarbeiter ist über die Berufsgenossenschaft versichert. Die Berufsgenossenschaft übernimmt wie eine Haftpflichtversicherung alle Kos-ten, die mit der Verletzung zusammenhängen. Sie stellt den Arbeitgeber und etwaige (mit)verantwortliche Beschäftigte von der Haftung frei (Haftungsfrei-stellung). Der Verletzte kann deshalb keinen Schadensersatz vom Arbeitgeber oder vom Verantwortlichen fordern. Auch Ansprüche auf Schmerzensgeld sind ausgeschlossen. Dadurch sollen Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Be-triebes vermieden und der Betriebsfrieden gewahrt werden.

Diese Haftungsfreistellung gilt selbst dann, wenn der Verantwortliche wusste, dass er sich pflichtwidrig verhält, den Arbeitsunfall aber nicht wollte.

Beispiel 2: Der Vorgesetzte duldet, dass sein Mitarbeiter ungesichert an einer Absturzkante arbeitet. Er geht davon aus, dass nichts passieren wird. Der Mitarbeiter stürzt jedoch ab und verletzt sich schwer. Diesen Unfall hat der Vorgesetzte nicht gewollt.

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Trotz dieser wissentlichen Pflichtverletzung haftet der Vorgesetzte gegenüber dem Verletzten nicht. Es ist auch völlig unerheblich, ob der Verletzte den Un-fall mitverschuldet hat (siehe Nr. 5.4).

3.2.2 Ausnahmen

In bestimmten Fällen (vgl. §§ 104, 105 SGB VII) greift die Haftungsfreistellung nicht:

wenn die schädigende Handlung keine betriebliche Tätigkeit darstellt,

Beispiel 3: Tritt in das Gesäß, um der Mitarbeiterin deutlich zu machen, dass sie bestimmte Dinge nichts angingen. Die Mitarbeiterin erleidet ei-nen Steißbeinbruch.2

bei vorsätzlicher Herbeiführung des Arbeitsunfalls,

Beispiel 4: Ein Arbeitgeber weist seinen Mitarbeiter an, ohne Schutzaus-rüstung in einem Raum mit hoher Chlorgaskonzentration zu arbeiten, obwohl er weiß, dass dies extrem gesundheitsschädlich ist. Als der Mitar-beiter sich weigert, droht der Arbeitgeber mit Kündigung. Daraufhin be-folgt der Mitarbeiter die Weisung. Er erleidet dabei Reizungen der Augen und der Atemwege.

bei Wegeunfällen

Beispiel 5:Der Mitarbeiter hat es eilig, nach Schichtende nach Hause zu kommen. Deshalb will er mit seinem Fahrrad trotz roter Ampel über die Kreuzung fahren, wird dabei aber von einem Pkw erfasst. Fahrer des Pkws ist zufälligerweise der Vorgesetzte des Unfallopfers.

In diesen Fällen ist es nicht notwendig, den Verantwortlichen von der Haftung freizustellen und dem Verletzten damit ein Schmerzensgeld zu verweigern. Der Verantwortliche haftet deshalb nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Dabei kann er dem Geschädigten jedoch unter Umständen ein Mitverschulden entgegenhalten (so in Beispiel 5).

Die Haftungsfreistellung gilt zudem nur für Personenschäden. Sie greift nicht, wenn durch den Unfall Sachen beschädigt oder zerstört werden.

3.3 Haftung gegenüber der Berufsgenossenschaft

Eine Haftung gegenüber der Berufsgenossenschaft kommt in Betracht, wenn der Verantwortliche den Unfall grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat. Dabei genügt es, dass der Verantwortliche grob fahrlässig oder wissent-lich gegen seine Pflichten verstoßen hat. Das Verschulden muss sich nicht auf den Unfall oder den Unfallschaden beziehen (vgl. § 110 Abs. 1 S. 3 SGB VII). Ob der Verantwortliche den Unfall vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen, ist für die Haftung gegenüber der Berufsgenossenschaft ohne Bedeu-tung.

Beispiel 6: Ein Montagemeister duldet, dass einer seiner Mitarbeiter un-gesichert an einer Absturzkante arbeitet. Auffangnetze sind nicht angeb-racht, weil diese auf die Schnelle nicht beschafft werden konnten. Der Mi-tarbeiter stürzt aus ungeklärter Ursache 8,50 Meter in die Tiefe und stirbt. 3

In diesem Fall wurde grobe Fahrlässigkeit und damit eine Haftung des Monta-gemeisters bejaht.

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3.4 Haftung gegenüber dem Arbeitgeber

Auch dem Arbeitgeber können durch einen Arbeitsunfall Schäden entstehen. Typische Schäden sind

Entgeltfortzahlungsschaden

Sachschäden an Maschinen

Produktionsausfall

erhöhter BG-Beitrag

Für diese Schäden muss derjenige, der für den Unfall (mit)verantwortlich ist, grundsätzlich haften.

Aus sozialen Gründen haben die Arbeitsgerichte diese Haftung jedoch auf die Fälle beschränkt, in denen der Verantwortliche den Unfall grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat. Das grobe Verschulden muss sich sowohl auf die Pflichtverletzung als auch auf den eingetretenen Schaden beziehen.4 Es ist Sache des Arbeitgebers, die grobe Fahrlässigkeit bzw. den Vorsatz zu bewei-sen.

Bei mittlerer Fahrlässigkeit kommt unter Umständen eine anteilige Haftung in Betracht. Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Verantwortliche überhaupt nicht.

Hat der Arbeitgeber selbst auch pflichtwidrig gehandelt, muss er sich gegebe-nenfalls ein Mitverschulden anrechnen lassen.

Beispiel 7: Ein Vorgesetzter duldet, dass die ihm zugeordneten Stapler-fahrer auch an unübersichtlichen Stellen mit hoher Geschwindigkeit fah-ren. Der Arbeitgeber erkennt die Gefährlichkeit dieses Handelns, unter-nimmt aber nichts. Auf Grund des zu schnellen Fahrens kommt es zum Unfall.

Unabhängig davon kommt auch bei Arbeitsunfällen das übliche arbeitsrechtli-che Instrumentarium in Betracht: Ermahnung, Abmahnung und ggf. Kündi-gung des Verantwortlichen.

3.5 Strafrechtliche Verantwortung

Strafrechtlich steht bei Arbeitsunfällen die Möglichkeit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung im Raum. Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Freiheitsstrafe (§ 229 StGB). In der Praxis werden aber fast alle Strafver-fahren wegen geringer Schuld eingestellt. Bei fahrlässiger Tötung beträgt das Strafmaß bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 222 StGB).

Daneben existieren Straftatbestände, die bereits im Vorfeld eines Unfalls oder einer Gesundheitsbeschädigung greifen. Diese Straftaten sind dadurch ge-kennzeichnet, dass der Verantwortliche durch sein Verhalten das Leben, die Gesundheit oder die Arbeitskraft anderer Personen gefährdet. Man spricht daher von „Gefährdungsdelikten“. Zu nennen sind beispielsweise die Bauge-fährdung (§ 319 StGB), die Gesundheitsgefährdung schwangerer Frauen durch Verstöße gegen Beschäftigungsverbote (§ 21 MuSchG) und die Gesundheitsge-fährdung von Beschäftigten durch Nichtgewährung der Mindestruhezeiten (§§ 22, 23 ArbZG).

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3.6 Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen

Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen Arbeitschutzgesetze oder Unfall-verhütungsvorschriften können Ordnungswidrigkeiten darstellen. Ordnungs-widrigkeiten werden mit Geldbußen geahndet. Bei Verstößen gegen Unfall-verhütungsvorschriften beträgt das Bußgeld bis zu 10.000 Euro (§ 209 SGB VII). Der Bußgeldbescheid wird von der Berufsgenossenschaft erlassen. Ver-stöße gegen staatliches Arbeitsschutzrecht (Arbeitszeitgesetz, Gefahrstoffver-ordnung u. a.) werden durch die Gewerbeaufsicht verfolgt. Die Höhe der Geld-buße ist in den jeweiligen Gesetzen geregelt. Sie beträgt beispielsweise bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz bis zu 15.000 Euro.

Das Bußgeld ist von demjenigen zu zahlen, der die Ordnungswidrigkeit be-gangen hat, also nicht etwa vom Betrieb. Es ist allerdings zulässig, dass der Betrieb die Kosten der Geldbuße aus sozialen Gründen übernimmt.

Stellt ein Verhalten gleichzeitig eine Ordnungswidrigkeit und eine Straftat dar, so wird nur das Strafgesetz angewendet (§ 21 OWiG).

4 Reduzierung des Haftungsrisikos

Das dargestellte Haftungsrisiko lässt sich durch sicherheitsbewusstes und verantwortungsvolles Verhalten bis auf Null reduzieren.

Haftung ist die Folge eines Pflichtverstoßes, also einer nicht oder nicht richtig wahrgenommenen rechtlichen Verantwortung.

Jede Führungskraft ist allein auf Grund ihrer Führungsfunktion im Betrieb für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der ihr zugeordneten Mitarbeiter verantwortlich. Diese Verantwortung kann sie nicht vollständig abgeben, auch nicht durch Delegation der Unternehmerpflichten auf nachgeordnete Füh-rungskräfte.

Es geht für die Führungskraft also nicht darum, die Verantwortung zu meiden, sondern den Pflichtverstoß zu verhindern. Oder positiv formuliert: Jede Füh-rungskraft muss ihre Pflichten in Bezug auf den Arbeitsschutz kennen und diesen Pflichten gerecht werden.

Die Pflichten sind in staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Arbeits-schutzvorschriften geregelt. Kein Arbeitgeber und keine Führungskraft kann alle diese Vorschriften kennen. Dies ist aber auch nicht notwendig. Entschei-dend ist, dass sich eine Führungskraft Grundkenntnisse der Rechtsvorschrif-ten hat, die in ihrem Verantwortungsbereich angewendet werden. Zu diesen Vorschriften gehören in jedem Fall

das Arbeitsschutzgesetz und

die Unfallverhütungsvorschrift BGV A1

Diese Regelwerke sind die „Grundgesetze des Arbeitsschutzes“. Jede Füh-rungskraft muss sie kennen.

Darüber hinaus sind in vielen Situationen Spezialvorschriften zu beachten, z. B. die Gefahrstoffverordnung, das Jugendarbeitsschutzgesetz, die Betriebssi-cherheitsverordnung oder die Unfallverhütungsvorschrift BGV D27 „Flurför-derzeuge“. Nicht jede Führungskraft muss alle diese Gesetze und Vorschriften im Detail im Kopf haben. Jedoch kann und muss man beispielsweise von einem Baustellenleiter verlangen, dass er sowohl die Unfallverhütungsvorschrift BGV C22 als auch die Baustellenverordnung kennt und beachtet.

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Jede Führungskraft muss außerdem zumindest soweit informiert sein, dass sie erkennt, wann ein Experte zu Rate gezogen werden muss. Wichtige Ansprech-partner der Führungskraft sind die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Berufsgenossenschaft.

Kann eine Führungskraft der ihr übertragenen Verantwortung nicht nach-kommen, so muss sie dies dem nächst höheren Vorgesetzten mitteilen. Dies sollte aus Beweisgründen schriftlich geschehen. Durch die „Meldung nach oben“ wird die nächst höhere Führungskraft in die Pflicht genommen, aktiv tätig zu werden. Unabhängig davon muss aber auch die meldende Führungs-kraft im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles tun, um den Arbeitsschutz der Mit-arbeiter sicherzustellen (siehe Nr. 2.3).

5 Einzelfragen

5.1 Was ist Vorsatz?

Vorsatz bedeutet im Regelfall „Wissen und Wollen“ einer Tat, eines Schadens, eines Unfalls oder einer Pflichtverletzung. Es genügt aber auch ein „billigendes In-Kauf-Nehmen“ oder ein „Für-möglich-Halten“.

Wer sich bewusst ist oder es zumindest für möglich hält, dass er gegen seine Pflichten verstößt, handelt hinsichtlich der Pflichtverletzung vorsätzlich.

Vorsatz bezüglich eines Unfalls liegt vor, wenn der Verantwortliche weiß, dass es zum Unfall kommen wird oder wenn er den Unfall zumindest billigend in Kauf nimmt.

5.2 Was ist Fahrlässigkeit?

Fahrlässigkeit bedeutet Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorg-falt (§ 276 Abs. 2 BGB). Im Arbeitsschutz wird die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch das staatliche Arbeitsschutzrecht und die Unfallverhütungsvor-schriften definiert. Das bedeutet: Derjenige, der gegen Arbeitsschutzvorschrif-ten verstößt, beachtet die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht und handelt deshalb fahrlässig.

Fahrlässigkeit liegt auch und gerade dann vor, wenn der Verantwortliche die Vorschrift, gegen die er verstoßen hat, gar nicht kannte. Von diesem Grundsatz rührt das geflügelte Wort her: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“ An-dernfalls würde ja gerade derjenige nicht haften, der bewusst Augen und Oh-ren verschließt oder sich dumm stellt.

5.3 Was ist grobe Fahrlässigkeit?

Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Über-legungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Als Faust-formel gilt: Grobe Fahrlässigkeit liegt nahe, wenn gegen eine Arbeitsschutz- oder Unfallverhütungsvorschrift verstoßen wird, die mit eindeutigen Sicher-heitsanweisungen vor tödlichen Gefahren schützen soll.5

Die Unterscheidung zwischen grober und „normaler“ Fahrlässigkeit ist haf-tungsrechtlich von Bedeutung: Nur bei grober Fahrlässigkeit kommt eine Haf-tung gegenüber der Berufsgenossenschaft und eine volle Haftung gegenüber dem Arbeitgeber im Betracht. Leichte Fahrlässigkeit zieht keine Haftung nach sich.

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Für eine Strafbarkeit reicht hingegen bereits leichteste Fahrlässigkeit im Sinne eines Augenblickversagens aus. Allerdings wirkt sich der Grad der Schuld auf die Höhe der Strafe aus: Ein grob fahrlässiges Verhalten wird härter bestraft als ein leicht fahrlässiges.

5.4 Wann kommt es auf ein Mitverschulden an?

In der Regel ist es bei Arbeitsunfällen nicht von Bedeutung, ob den Verletzten ein Mitverschulden trifft. Die Berufsgenossenschaft leistet auch dann, wenn der Verletzte sich grob fahrlässig verhalten hat.

Die Frage nach einem Mitverschulden stellt sich erst dann, wenn der Verletzte oder die Berufsgenossenschaft eine dritte Person, beispielsweise den Vorge-setzten, auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. In diesen Fällen kann diese dritte Person den Einwand erheben, der Verletzte habe den Unfall mitver-schuldet.

Ein Mitverschulden liegt nahe, wenn der Verletzte nicht die Sorgfalt ange-wandt hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in dieser Situation beachtet hätte.

Allerdings sind Beschäftigte grundsätzlich nicht verpflichtet, stets alle erdenk-lichen Gefahrenquellen zu beobachten. Sie dürfen darauf vertrauen, dass die Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden. Dieses Vertrauen kann ihnen im Schadensfall nicht als Mitverschulden angelastet werden.6

Gleiches gilt, wenn Beschäftigte auf Weisung ihres Vorgesetzten sicherheits-widrig handeln. Zwar ist es Beschäftigten verboten, erkennbar sicherheitswid-rige Weisungen zu befolgen (§ 15 Abs. 1 S. 4 BGV A1). Im Beispiel 4 (Chlorgas) hat der Mitarbeiter also gegen eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen, indem er den Raum mit dem Chlorgas trotz der Kenntnis um die Gefahr betre-ten hat. Dies begründet jedoch kein Mitverschulden, da ein Mitarbeiter in ei-ner derartigen Situation unter Zwang und nicht autonom handelt.7 Erfahrung-sgemäß geht ein Arbeitnehmer trotz besserer Einsicht eher ein Gesundheitsri-siko ein, als dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.8

5.5 Wann droht ein Verlust des Versicherungsschutzes?

Die Beschäftigten sind auch dann unfallversichert, wenn sie den Unfall fahr-lässig oder grob fahrlässig (mit)verursacht haben (vgl. § 7 Abs. 2 SGB VII). Die manchmal vorgebrachte Behauptung, grobe Fahrlässigkeit würde zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, trifft nicht zu. Dies gilt auch bei Verstößen gegen das Arbeitszeitrecht: Wer mehr als die erlaubten zehn Stunden arbeitet, ist trotzdem versichert.

Kein Versicherungsschutz besteht hingegen bei absichtlichen Selbstverletzun-gen und bei privaten Verrichtungen (Essen, Trinken, Toilettenbenutzung usw.).

6 Literatur

Arbeitsgesetze. dtv, 73. Auflage, München 2009. ISBN 978-3-423-05006-7.

Wolfgang Hromadka: Arbeitsrecht für Vorgesetzte. Rechte und Pflich-ten bei der Mitarbeiterführung. dtv, 2. Auflage, München 2009. ISBN 978-3-423-50648-9.

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Jürgen Schliephacke: Führungswissen Arbeitssicherheit. Aufgaben, Verantwortung, Organisation. Erich Schmidt Verlag, 3. Auflage, Berlin 2008. ISBN 978-3-503-11233-3.

Norbert Kollmer: Arbeitsschutzgesetz und -verordnungen. Ein Leitfa-den für die betriebliche Praxis. Verlag C. H. Beck, 3. Auflage, München 2008. ISBN 978-3-406-57823-6.

1 OLG Naumburg, Urteil vom 12.12.2007, 6 U 200/06, VersR 2008, S. 704–705 (Bohrschnecke).

2 LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.1998, 12 (18) Sa 196/98, BB 1998, S. 1694–1695 (Tritt ins Gesäß).

3 BGH, Urteil vom 18.10.1988, VI ZR 15/88, VersR 1989, S. 109–110 (Tod nach Absturz).

4 BAG, Urteil vom 18.01.2007, 8 AZR 250/06, NZA 2007, S. 1230–1235.

5 BGH, Urteil vom 18.10.1988, VI ZR 15/88, VersR 1989, S. 109–110.

6 OLG Hamm, Urteil vom 09.03.2006, 6 U 62/05.

7 OLG Naumburg, a. a. O.

8 LG Schweinfurt, Urteil vom 19.10.2007, 23 O 672/06, UVR 008/2008, S. 585–593.

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