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DIE WAHRHEIT ÜBER DEN HERPES-VIRUS KÖNNEN – ODER MÜSSEN WIR ÜBERHAUPT – UNSERE PFERDE SCHÜTZEN?
Nachdem im Juli der tödliche Virus EHV1 11 Pferden in
Hessen das Leben kostete wurden große Veranstaltungen, wie
die Hessischen Meisterschaften, abgesagt, Die finanziellen
Einbußen der Veranstalter und Sponsoren sind enorm. Strenge
Schutzmaßnahmen in den Ställen wurden getroffen. Panik
macht sich breit. Wir fragen Experten nach Ihren
Meinungen.Dr. med. vet. Christian A. Bingold, Fachtierarzt
für Pferde, Gründer der Pferdeklinik Großostheim. Dr.
Bingold ist über EquiVetInfo publizistisch tätig, hält
Fachvorträge und ist Mitglied der American Association of
Equine Practitioners.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Dr. Bingold, es herrscht bei den Pferdebesitzern große Angst vor dem
Ausbruch des Herpes- Virus. Ist das gerechtfertigt?
Bingold: Vorweg, wir haben es hier nicht mit der Seuchenlage einer mittelalterlichen Pest oder einer
modernen Ebola Epidemie zu tun, sondern um den lokalen Ausbruch einer tragischer Weise für die
betroffenen Pferde oft tödlichen Erkrankung. Eine Panikmache ist durch die modernen Medien üblich
aber nicht gerechtfertigt, was nicht bedeutet, dass das Problem bagatellisiert oder verharmlost werden
darf. Ausbrüche wie der jetzige sind nicht neu, sondern haben historisch immer wieder stattgefunden und
beschränken sich in der Regel auf den betroffenen Bestand, verursachen also keine Seuchenzüge.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Wie stecken sich die Pferde an dem Herpes Virus an?
Die Besonderheit der Equinen Herpes 1 Virusinfektion (EHV1) beginnt damit, dass es sich Herpes
typisch um eine Infektion handelt, die bereits in praktisch jedem Bestand vorhanden ist, also nicht
eingeschleppt werden muss, sondern je nach Region bereits in einer sehr hohen Zahl von Pferden (ca.
80%) versteckt schlummert und – wenn sie so wollen – auf die Gelegenheit eines Ausbruchs wartet. Die
meisten Pferde infizieren sich bis zum Jährlingsalter und machen eine mehr oder weniger stark
ausgeprägte Atemwegserkrankung durch. Akut erkrankte Pferd können eine EHV1 Infektion wie jede
andere ansteckende Krankheit jedoch in einen Bestand einschleppen.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Wie ist der Krankheitsverlauf, wie erkennt man den Ausbruch einer
Infektion?
Bingold: Die eigentliche EHV1 Infektion betrifft vorwiegend die Atemwege (von nicht bemerkt bis hoch
fieberhaft), verursacht Spätaborte, lebensschwache Fohlen, jedoch nur sehr selten die neurologische
Verlaufsform mit Lähmungen und dem großen Risiko des Todes. Die Übertragung des Virus erfolgt
über die Atemwege, entweder durch Einatmung ausgehusteter Viren über die Luft oder direkten
Schleimhautkontakt.
Krankheitssymptome der neurologischen Form sind plötzliche Ataxie (Bewegungsstörung),
Lähmungserscheinungen beginnend in der Hinterhand sowie eine zunehmende Blasenlähmung.
Das „standard“ EHV1 Virus verursacht in der Regel keine neurologische Verlaufsform. Nach aktuellem
Kenntnisstand bedarf es einer spezifischen Mutation des Virus, um die aggressive neurologische
Erkrankungsform zu verursachen. Diese Mutation erfolgt selten, das Risiko steigt mit der Anzahl der
produzierten bzw. ausgeschiedenen Viren. Weitere Risikofaktoren sind die grundsätzlichen
Haltungsbedingungen, die generelle Gesundheitslage einzelner Pferde und des gesamten Bestandes und
vermutlich Stresssituationen und andere Faktoren, die das Immunsystem schwächen. Ist das Virus in
einem Bestand einmal zur aggressiven neurologischen Variante mutiert, ist das Risiko der Erkrankung
mehrere Pferde und mehre Todesfälle in diesem Bestand sehr groß und leider auch wahrscheinlich.
Der genaue Krankheitsmechanismus der neurologischen Verlaufsform ist nach wie vor nicht vollständig
geklärt. Gezielte Medikamente fehlen.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Wie ist der Erreger nachweisbar?
Im akuten Stadium der Virusausscheidung ist eine Labordiagnose aus dem Blut und aus dem Nasensekret
durch Erregernachweis gut möglich, wobei sich die Ergebnisse aus Blut und Nasensekret überlappen,
weshalb immer beides untersucht werden muss.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Gibt es eine Behandlungsmöglichkeit?
Bingold: Die Behandlung der neurologischen Form ist frustrierend, da fast ausschließlich nach den
Symptomen aber nicht nach der Ursache behandelt werden kann und der Verlauf oft nicht aufzuhalten ist,
was in der Notwendigkeit der Euthanasie enden kann. Die Effektivität der Behandlung mit antiviralen
Medikamenten (Acyclovir) ist umstritten und relativ teuer.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Wie lange sollen Quarantänemaßnahmen eingehalten werden?
Quarantänemaßnahmen müssen mindestens 3 Wochen nach der letzten Virusausscheidung durchgeführt
werden. Der Bestand sollte mindestens 3 Wochen symptomlos sein.
Zahlen und Fakten:
• Im März 2003 brach in einem Koplex der Findlay,Ohio University of Findlay’s (UF) English
Riding Facility der Virus EHV1 aus. Der Stall mit einem sehr großen Pferdebestand (114 Pferde)
verfolgte über Jahre einen äußerst genauen Impfplan, alle Pferde waren geimpft. 85% der Pferde
erkrankten (Fieber, Nasensekret, später neurologische Symptome), 8 Pferde wurden
eingeschläfert, 4 sind natürlich gestorben (Quelle: http://veterinarynews.dvm360.com/herpes-
virus-death-toll-notably-high-university-experts-say)
• Todesopfer in Deutschland in den letzten Jahren, geimpfte und ungeimpfte Pferde waren
betroffen:
2014 Holstein Gut Tangstedt 2 Pferde
2013 Baden – Württemberg (Mind. 8), Bayern (3)
2015 Hannover 2 Pferde
Milstedt Holstein 6 Pferde
2016 Juli Hessen, Limburg- Weilburg Obertiefenbach: 11 Pferde
= Im Vergleich an der Anzahl Todesopfern durch z.B. Hufreheerkrankungen dürfte die große Angst vor
einem Krankheitsausbruch durch Herpes eine untergeordnete Rolle spielen, wenn die
Quarantänebedingungen eingehalten werden.
Kurzinfo:
• Es handelt sich beim Herpes um eine Viruserkrankung.
• Herpesviren sind tierartspezifisch und kommen bei vielen Tierarten vor.
• Sie sind nicht zwischen den Tierarten und auch nicht auf den Menschen übertragbar.
• Die Infektion erfolgt über Sekrete und Exkrete akut erkrankter Tiere (Nasensekret,
Genitalschleimhäute). Ein direkter Kontakt mit den Sekreten eines ausscheidenden Tieres, eine
sog. Tröpfcheninfektion, ist in der Regel für eine Infektion notwendig. Durch Abschnauben kann
es zur Aerosolbildung kommen, so dass von dem Erreger auch Distanzen von bis zu zehn Metern
überwunden werden können.
• Die Equine Herpes Myelitis ist die schwere, neurologische Form der Krankheit, die mit einer
Rückenmarksentzündung einhergeht.
• Bei ca. 1,1 Millionen Pferde alleine in Deutschland und 2 Impfungen im Jahr pro Pferd bei einer
Impfbeteiligung von 60 % lässt sich schnell errechnen, weshalb das Interesse der Pharmaindustrie
gewaltig ist, diesen Impfstoff auf dem Markt zu erhalten.
Die Herpesimpfung – Sinn oder Unsinn?Professor Dr. Dr. Peter Thein ist Fachtierarzt für Pferde
und Fachtierarzt für Mikrobiologie. Er arbeitet seit über 40
Jahren wissenschaftlich und praktisch im Bereich der
Infektionsmedizin speziell der Herpesviren des Pferdes.
Er ist Autor und Mitarbeiter vieler Fach- und Lehrbücher,
Berater der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und über
viele Jahre Leiter der Arbeitsgruppe Infektionsschutz der
Gesellschaft für Pferdemedizin.
Pferde Rhein-Main: Können wir die Pferde mit einer
Impfung vor Herpes schützen?
Prof. Dr. Dr. Peter Thein: Keiner der derzeit verfügbaren Herpesimpfstoffe schützt davor, an einer der
möglichen klinischen Formen der Infektion mit Equinen Herpesviren des Typs 1 und 4 zu erkranken. In
konsequent durchgeimpften Pferdebeständen jedoch sollen weniger Viren ausgeschieden werden als von
nicht geimpften Pferden. Eine konsequente Impfung mit gleichmäßigen Impfintervallen des gesamten
Bestandes soll also bestenfalls die Menge über den Atemweg ausgeschiedener Viren beeinflussen. Unter
Praxisverhältnissen ist dies allerdings nie bewiesen worden!
Pferde Rhein-Main und Bayern: Welche Impfstoffe gibt es auf dem Markt?
Thein: Es gibt derzeit zwei Impfstoffe auf dem Markt: Den Lebendimpfstoff Prevaccinol (enthält
biologisch abgeschwächtes, aber noch vermehrungsfähiges Abortvirus EHV1) und den inaktivierten
Impfstoff Duvaxyn EHV1/4.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Warum raten Sie speziell vom Lebendimpfstoff ab?
Thein: Der Lebendimpfstoff Prevaccinol, der übrigens vor etwa 50 Jahren entwickelt wurde, sollte
ursprünglich das Feldvirus aus der Impfpopulation verdrängen und den Virusabort verhindern. Keines
dieser Ziele wurde je erreicht. Die Abortquoten konnten auch durch regelmäßige Bestandsimpfungen, wie
beispielsweise in der Vollblutzucht, nicht wirklich gesenkt werden. Es gibt Veröffentlichungen, die sogar
von steigenden Abortquoten in den Impfbeständen berichten und auch bei gut geimpften Pferden besteht
kein Schutz vor Neuinfektion. Außerdem gibt es experimentelle Untersuchungen, zum Beispiel auch aus
Amerika, die dem dort eingesetzten vergleichbaren Produkt im Gegensatz zu Impfstoffen aus
inaktiviertem EHV1 und EHV 4 seine Unwirksamkeit bescheinigen. Daher darf zum, Beispiel mit der
Indikation Virusabort in den USA nur ein speziell EHV1 Antigen angereicherter, inaktiverter Impfstoff
eingesetzt werden. Kurioserweise gibt der Hersteller von Prevaccinol in seiner Gebrauchsanweisung
derzeit auch lediglich an, dass dieser Impfstoff auf der Basis von EHV1 (Virusabort) bei sachgemäßem
Einsatz nur die Symptome einer Atemwegserkrankung, wie sie EHV4 (Rhinopneumonitisvirus)
verursacht, beeinflussen könne. Keiner der genannten Impfstoffe hat eine Zulassung zur Verhinderung
des Virusabortes. Gegen die Equine Herpes Myelitis kann und darf ohnehin nicht geimpft werden.
Pferde Rhein-Main: Gegen welche Art Herpesviren kann ich mein Pferd überhaupt schützen?
Thein: Zuverlässig schützen können Sie Ihr Pferd überhaupt nicht. Das kann keiner der momentan
verfügbaren Impfstoffe. In bis zu 80 Prozent aller untersuchten Pferde schlummern EHV1 und EHV4 in
latenter Form. Die geimpften Tiere sollen, wie schon angeführt, lediglich weniger Viren ausscheiden als
nicht geimpfte. Neuinfektionen, Virämie und Viruslatenz können auch dadurch nicht verhindert werden.
Die durch Einsatz der im Markt befindlichen Impfstoffe im Pferd induzierten Antikörper können damit
weder die Infektion noch die daraus resultierende mögliche Erkrankung individuell verhindern.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Sind die derzeitig erhältlichen Impfstoffe aktuell?
Thein: Die genannten Impfstoffe sind Jahrzehnten bezüglich der Art ihrer immunisierenden Herpesanteile
unverändert.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Warum sind die Impfempfehlung der Tierärzte so unterschiedlich?
Thein: Das liegt einerseits wohl daran, dass speziell zu dieser Thematik – trotz entsprechender
Fortbildung – zu wenig konkretes Wissen bei der Mehrzahl der Praktiker vorhanden ist, dass jeder meint,
zu diesem Thema eine Meinung haben zu können und die Materie nicht mit der Sorgfalt behandelt wird,
die sie verlangt. Unterstützt wird dies durch unkorrekte Impfempfehlungen seitens einer STIKO- VET.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Die Impfung zielt auch auf die Vermeidung des Virusaborts ab.
Wie sind da die Studien?
Im Haupt- und Landgestüt Marbach wurden über 44 Jahre die Abortquoten untersucht. Das Resultat von
0,65% EHV 1 Aborten signalisiert, dass keiner der eingesetzte EHV- Impfstoffe einen nachweisbaren
Einfluss auf das Abortgeschehen hatte, sondern dass viel eher Haltungs- und Managementpraktiken im
Gestüt dafür wichtiger waren.
Pferde Rhein-Main: Ist es richtig, dass die Impfstoffe überhaupt nicht dafür zugelassen sind?
Thein: Keine der in Deutschland registrierten EHV – Vakzinen verfügt über eine Zulassung zur
Verhinderung des EHV1 (4) Aborts. Sie zielen lediglich auf postvakziale Antikörperbildung und deren
möglichen Einfluss auf die Virusausschedung bei denkbarer Reduzierung einer Atemwegssymptomatik
ab. Eine entsprechende Aufklärungsberatung der Pferdebesitzer von Seiten der Tierärzte wäre von Nöten.
Pferde Rhein-Main und Bayern: Gibt es eine Aussicht auf einen zuverlässigen Impfschutz gegen
Herpes in den nächsten Jahren?
Mit den momentan verfügbaren Methoden: Nein. Die Praxis bei Herpesvirusinfektionen anderer Tiere,
zum Beispiel Schwein und Rind, hat gezeigt, dass eine bestandsmäßige Virusfreiheit nur über den Einsatz
markierter Impfstoffe und Keulung von Tieren mit Antikörpern gegen Feldvirus möglich ist und
dauernder Kontrolle bedarf. Dies geht – Gott sei Dank – aus vielen Gründen beim Pferd nicht.
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