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7/24/2019 Dossier Hermeneutisches Uebersetzen Foehl
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Hermeneutisches Übersetzen Johanna Föhl
Seminar: Probleme und Methoden der Übersetzungswissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Carsten Sinner
Sommersemester 2013
Johanna Föhl
Dossier: Hermeneutisches Übersetzen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .............................................................................................................................................................. 2
2. Die geschichtliche Entwicklung .................................................................................................................. 2
3. Theoretische Grundlagen .............................................................................................................................. 4
3.1 Verstehen ....................................................................................................................................................... 4
3.2 Auslegung ...................................................................................................................................................... 5
3.3 Kreativität und Intuition......................................................................................................................... 5
3.4 Subjektivität .................................................................................................................................................. 6
4. Diskussion ............................................................................................................................................................. 6
6. Bibliographie ....................................................................................................................................................... 8
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1. Einleitung
Die moderne Hermeneutik sieht eine eindeutige Verbindung zwischen der Hermeneutik
und dem Übersetzen (vgl. Cercel 2013: 26) und auch Hans Josef Vermeer schreibt in
seinen Skizzen zu einer Geschichte der Translation, dass Dolmetschen bzw. Übersetzen
„von Anfang an Hermeneutik“ war – das heißt Erklären (in derselben oder einer anderen
Sprache), was in einer Aussage gemeint war (Vermeer 1992: 43). Die Nähe der beiden
Konzepte zeigt sich schon im Ursprung des Wortes Hermeneutik. Gadamer zum Beispiel
definiert die Grundbedeutung von hermeneia als die „Aussage von Gedanken“, wobei
Aussage für „Äußerung, Erklärung, Auslegung und Übersetzung“ stehen kann (nach
Cercel 2013: 24). Das Verstehen dieser Aussage ist natürlich immer von der auslegenden
Person abhängig, weshalb der kompetente Übersetzer im Zentrum derübersetzungshermeneutischen Überlegungen steht (vgl. Stolze 2003: 305).
Im folgenden Dossier wird zuerst ein kurzer Einblick in die Geschichte des
hermeneutischen Übersetzens gegeben und anschließend kursorisch fünf grundlegende
Konzepte, die den Texten dieser übersetzungswissenschaftlichen Strömung gemein sind,
vorgestellt – genauere Theorien müssen aufgrund des Umfangs der Arbeit
ausgeklammert werden. Abschließend werden noch einige Kritikpunkte an der
Übersetzungshermeneutik1 angesprochen.
2. Die geschichtliche Entwicklung
Für den Beginn der geschichtlichen Entwicklung des hermeneutischen Übersetzens
können zwei Anfangspunkte genommen werden. Der erste bezieht sich auf die
Hermeneutik als Methodenlehre des Verstehens, die – wie durch die Definition von
hermeneia gezeigt wurde – schon immer eng mit dem Übersetzen verbunden war. Somit
könnte die Erforschung der Übersetzungshermeneutik mit der Antike beginnen. Wird
jedoch von der eher praktischen Theorie des Verstehens ausgegangen, die Hermeneutik
und Übersetzen bewusst verbindet, wird häufig die deutsche Romantik und besonders
Friedrich Schleiermacher als Anfangspunkt gesetzt (vgl. Rega nach Cercel 2013: 27).
Diesem Ansatz wird auch hier gefolgt.
1 Anmerkung: „Übersetzungshermeneutik“ ist ein Ausdruck, den Larisa Cercel in der Einleitung vonÜbersetzungshermeneutik: Historische und systematische Grundlegung prägt. Er wird in dieser Arbeitsynonym mit der Bezeichnung „hermeneutisches Übersetzen“ benutzt.
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Theorien bzw. das „Bewusstsein der theoretischen Zugehörigkeit zu einer …
übersetzungshermeneutischen Tradition ist … [jedoch] wenig ausgeprägt“ (ebd.: 103).
Für dieses Kapitel wurde deshalb auf Larisa Cercels Übersetzungshermeneutik –
Historische und systematische Grundlegung zurückgegriffen, wo u. a. versucht wird, die
Übersetzungshermeneutik entwicklungsgeschichtlich zu bestimmen (vgl. ebd.).
3. Theoretische Grundlagen
Ein weiterer Punkt von Cercels oben genannter Monographie ist die Entwicklung fünf
grundlegender Dimensionen des Übersetzungsvorgangs. Im Folgenden werden diese
Dimensionen als Basis genommen, um die wichtigsten Punkte der
übersetzungshermeneutischen Forschung zusammenzufassen (vgl. Cercel 2013).
Zwischen den einzelnen Dimensionen existieren dabei Überschneidungen, Verstehen
kann beispielsweise nie von der Subjektivität des Verstehenden getrennt werden,
ebenso sind Auslegen und Intuition verknüpft.
3.1 Verstehen
Verstehen als eines der Kernthemen der Übersetzungswissenschaft ist Teil
verschiedener Theorien und wurde dementsprechend aus verschiedenen Perspektiven
betrachtet. Die enge Verknüpfung von Verstehen und Hermeneutik macht das Verstehen
für die hermeneutische Übersetzungswissenschaft jedoch besonders relevant (vgl.
Cercel 2013: 149ff.).
Die Voraussetzung von Verstehen ist in der Hermeneutik eine Haltung der Rezeptivität,
d. h. der Leser muss offen für die Botschaft des Textes sein, da eine interessegeleitete
Textverarbeitung nur selektives Wahrnehmen ermöglicht (vgl. Stolze 2003: 105).
Außerdem muss immer vom Textganzen ausgegangen werden, einzelne Textstellen also
nicht unabhängig betrachten werden (vgl. ebd.: 45). Das darauf folgende Verstehen wird
als Zusammenspiel von Kognition und Intuition verstanden. Beim Übersetzen muss eine
logisch-analytischen Herangehensweise an Texte mit einer emotional-intuitiven
kombiniert werden; erst die Kombination beider Verfahren macht wirkliches Verstehen
möglich, da so auch die individuellen Aspekte des Texts erfasst werden (vgl. Cercel
2013: 345). Eine Grundvoraussetzung beider Aspekte des Verstehens ist dabei das Vor-
bzw. Allgemeinwissen des Übersetzers, durch welches ein Text in seiner „sprachlichen,
geschichtlichen, fachlichen und kulturellen Welt“ verortet werden kann (ebd.: 345). Die
entstehende Übersetzung wird also, genau wie das Original vor ihm, ort- und
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zeitgebunden, nicht nur in Bezug auf den Kontext, sondern auch in Bezug auf die
Sprache und die Übersetzungstheorie, von der die Übersetzung beeinflusst wurde. Aus
hermeneutischer Sicht entsteht Verstehen nur in Form eines Dialogs, in dem die
Mitteilung, die eigene Ansicht und das eigene Textverständnis be- und hinterfragt
werden, um den Text zu verstehen (vgl. Stolze 1994: 191f.). Daraus ergibt sich, dass
Verstehen – und dementsprechend auch Übersetzen – ein dynamischer, also
unabschließbarer Prozess ist (vgl. Cercel 2013: 347). Da das eigene Wissen und deshalb
auch die „Fragen“, die ein Übersetzer an einen Text stellt sich in einem ständigen
Wandel befinden, wandelt sich auch die Mitteilung, die der Übersetzer aus dem Text
zieht und so auch der Zieltext.
3.2 Auslegung
Durch Auslegung, als „explizit gemachte Form des Verstehens“ (Cercel 2013: 348), soll
der Übersetzer den Sinn eines Textes für sich selbst erkennen und für die Leser der
Übersetzung offen darstellen. Dadurch grenzt sich das Auslegen vom Interpretieren ab,
was laut Stolze „aus dem Blickwinkel eines ideologischen Zwecks“ erfolgt (Stolze 2003:
303) und auf keinen Fall Teil einer Übersetzung sein darf (vgl. Cercel 2013: 348). Damit
die Auslegung trotzdem objektiv bleibt, müssen Schleiermachers oben erläuterte
Verfahren (das divinatorische und das komparative, d. h. Intuition und Kognition)
einbezogen werden. Nur so kann das, was intuitiv aufgenommen wird, auch von der
Kognition überprüft werden. Da jedoch das Verstehen des Textes unabschließbar ist, ist
auch jede Auslegung unendlich (vgl. Stolze 2003: 56f.).
3.3 Kreativität und Intuition
Die unter diesem Punkt zusammengefassten Dimensionen werden von der
übersetzungswissenschaftlichen Forschung wegen „ihrer Unsystematisierbarkeit“
weitgehend ausgeklammert (vgl. Cercel 2013: 259). Und obwohl Kreativität wie auch
Intuition in der Übersetzungshermeneutik als entscheidend gelten, existiert auch hier
wenig systematische Behandlung des Themas (vgl. ebd.: 261; 286). Cercel merkt jedoch
an, dass Kreativität und Intuition eng mit dem Vor- und Erfahrungswissen des
Übersetzers und gleichzeitig mit den „sprachlichen und kontextuellen Gegebenheiten
der Textvorlage“ verknüpft sind. Dadurch seien sie „bis zu einem gewissen Punkt
rational rekonstruierbar“ und nicht so willkürlich, wie von anderen angenommen (ebd.:349).
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Im Übersetzungsprozess muss die Kreativität des Übersetzers nicht nur bei der
Produktion des Zieltextes angewandt werden, sondern schon beim Verstehen und
Auslegen des Ausgangstextes (vgl. ebd.: 265f.). Übersetzen wird als fundamental
kreativer Prozess angesehen, in dem Kreativität auch als Problemlösungsverfahren
genutzt werden kann (vgl. ebd.: 269ff.). Trotzdem muss Kreativität ebenso wie
Auslegung vom Übersetzer überprüft werden (vgl. Stolze 2003: 302).
Verstehen wird in der Übersetzungshermeneutik – wie oben erläutert – als die
Wechselbeziehung von Vernunft und Intuition angesehen, weshalb die Intuition des
Übersetzers als ein so zentraler Punkt verstanden wird (vgl. Cercel 2013: 287). Intuition
ist beim Verstehen vor allem auf das Erfassen des Individuellen in einem Text
ausgerichtet und deshalb für das Verstehen der Aussage eines Textes unerlässlich (vgl.ebd.: 287).
3.4 Subjektivität
In der Übersetzungshermeneutik wird die Subjektivität des Übersetzens im Gegensatz
zu anderen Theorien hervorgehoben: Erstens ist, wie eingangs erwähnt, jeder
Übersetzungsvorgang auf dreifache Art subjektbezogen – in Bezug auf Verfasser,
Übersetzer und Leser (vgl. Cercel 2013: 349) und zweitens sind die oben erläuterten
und beim Übersetzen beteiligten kognitiven Prozesse (Verstehen, Auslegen, Kreativität,
Intuition) immer subjektiv (vgl. ebd.: 302f.). Da Übersetzen eine Form menschlichen
Handelns ist enthält es zwangsläufig „intuitive, subjektive Gründe, Unabwägbarkeiten, ja
Unzulänglichkeiten“ (Stolze 2003: 309). Trotzdem ist Subjektivität an bestimmte Regeln
geknüpft: sprachlich, textuell und kontextbezogen. Dadurch können subjektive
Entscheidungen überprüft und objektiviert werden (vgl. Cercel 2013 349f.). Ein Beispiel,
wie dies überprüft werden kann, bieten Stolzes fünf translatorische Kategorien
(Thematik, Semantik, Lexik, Pragmatik und Stilistik), anhand derer subjektive
Entscheidungen untermauert werden können (vgl. Stolze 1992).
4. Diskussion
An der hermeneutischen Übersetzungswissenschaft werden vor allem zwei Punkte
kritisiert: die fehlende Klarheit der hermeneutischen Konzepte und die Betonung der
Subjektivität (vgl. Stanley 2012: 247f.). Beide Kritikpunkte sind eng miteinander
verknüpft, da gerade die Subjektivität des Verstehens, des Auslegens, der Kreativität und
der Intuition, „dieser unformalisierbare Rest“, das Aufstellen von genauen Regeln
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verhindert (Cercel 2013: 52). Die Übersetzungshermeneutik genießt deshalb „den Ruf
einer methodenfeindlichen Forschungsrichtung“ (ebd.: 350). Cercel zitiert in diesem
Zusammenhang einige Kritiker: Koller spricht vom „hermeneutischen Kaugummi“, Reiß
von Beiträgen, die „allegorisch verbrämt … [und] >wolkig<“ seien, und Nord fragt, „ob …
Hermeneutik immer als Gegensatz zur Methodik [gesehen werden muss] und mit so
nebulösen Begriffen wie Paepckes >Leibhaftigkeit des Übersetzers< [kombiniert werden
muss]“ (nach ebd.: 100).
Die hermeneutische Seite hält ihren Beitrag für einen Versuch, den subjektiven Faktor
(auf allen seinen Ebenen) in die wissenschaftliche Betrachtung der Übersetzung mit
einzubeziehen. „ Sie versteht daher ihre Leistung als eine unentbehrliche Ergänzung zur
modernen, wissenschaftlich ausgerichteten Übersetzungsforschung“ (ebd.: 20). Eswerden also nicht einfach alle anderen Übersetzungstheorien abgelehnt, sondern eine
zu starke Fokussierung auf die Systematik der Sprache (vgl. ebd.: 100f.). Der
hermeneutische Ansatz gibt für die Praxis keine genauen Anweisungen, es soll nicht
gezeigt werden „‚wie man es macht ‘, als vielmehr worauf man beim eigenen
Sprachhandeln zu achten hätte. Wie man das sich zeigende Problem dann im Einzelfall
jeweils löst, bleibt jeweils zu entscheiden“ (Stolze 2003: 304). In Bemerkungen aus der
Übersetzungspraxis wird deutlich, dass Verstehen des Texts, dessen subjektive Deutung,Kreativität und Intuition beim Übersetzungsprozess entscheidend sind. Die
Hermeneutik, die sich genau mit diesen Problemen beschäftigt, kann hierzu wichtige
Erkenntnisse liefern und sieht sich somit als einen realitätsnahen Ansatz (vgl. ebd.:
350f.).
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6. Bibliographie
Stanley, John. „The Dilemma of Subjectivity in Translational Hermeneutics.“ In:
Unterwegs zu einer hermeneutischen Übersetzungswissenschaft. Radegundis Stolze zu
ihrem 60. Geburtstag. Hrsg.: Larisa Cercel und John Stanley. Tübingen: Narr Francke
Attempto Verlag, 2012. 246-273.
Stolze, Radegundis. Tübinger Beiträge zur Linguistik: Hermeneutisches Übersetzen .
Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1992.
Stolze, Radegundis. Tübinger Beiträge zur Linguistik: Hermeneutik und Translation .
Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2003.
Stolze, Radegundis. Übersetzungstheorien. Eine Einführung. Tübingen: Gunter Narr
Verlag, 1994.
Cercel, Larisa. Übersetzungshermeneutik. Historische und systematische Grundlegung.
St.
Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 2013.
Vermeer, Hans Josef. Skizzen zu einer Geschichte der Translation. Band 1.
Frankfurt/Main: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 1992.
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