Ein Le be n f r die Ku ns t - Gisela Mühlsteff - Home...2015/04/16  · Ein Le be n f r die Ku ns t...

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Ein Leben für die KunstGisela Mühlsteff ist fast 85 Jahre alt – und noch immer Künstlerin mit Leib und Seele. Vor zehn Jahrenzog die lebensfrohe Seniorin nach Oschatz und bereichert seither die Collm-Region mit bis zu sechs

Ausstellungen ihrer Bilder und Skulpturen im Jahr. Ans Aufhören denkt die Frau nicht, die inihrem neunten Lebensjahrzehnt noch ein eigenes E-Mail-Postfach und eine Internetseite hat.

Von christian kunze

Als Gisela Mühlsteff im August vor ein-einhalb Jahren aus dem OschatzerStadtteil Fliegerhorst in die Ritterstraßeim Oschatzer Stadtzentrum umzog,

musste ein Möbelstück unbedingt mit. Von ih-rem großen schweren Holztisch, der in ihremWohnzimmer thront und nach allen Seiten aus-ziehbar ist, kann sie sich nicht trennen. „JedemAnfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb einstHermann Hesse. Der Zauber beginnt bei GiselaMühlsteff an diesem Tisch – hier nehmen ihreIdeen Gestalt an, werden Gedanken zu Gemäl-den, Zeichnungen und Skulpturen. Hier ist ge-nug Platz für Entwürfe – die Kunst und damitverbundene Utensilien und Werkzeuge nehmenPlatz in jedem Raum ein. Die Oschatzerin istselbst erstaunt, dass sich noch nichts stapelt,denn diese Wohnung ist kleiner als ihre vorheri-ge. Ganz egal ob die Staffelei im Wäscheraumoder die Farben, die die Seniorin in der Kücheanrührt – die Kunst ist ihr Leben, und das schonviele Jahrzehnte lang.

Obwohl Gisela Mühlsteff im September ih-ren 85. Geburtstag feiert, denkt sie nicht daran,der Kunst den Rücken zu kehren. Gestalten, daswar und ist ihre Leidenschaft und sie ist nochheute froh darüber, dass ihr Vater ihr ermög-lichte, den Weg einzuschlagen, den sie gehenwollte. „Mein Talent und meine Kreativität habeich von ihm in die Wiege gelegt bekommen, da-ran besteht kein Zweifel“, sagt sie. Das Leuch-ten in ihren Augen, als sie von dem Mannspricht, der sie von Anfang an unterstützte,zeugt von Bewunderung und Respekt. Währendihr Vater, seines Zeichens Ingenieur, Schnell-straßen auf dem Papier entwarf, richtete GiselaMühlsteff ihr Augenmerk vor, während undnach der Ausbildung zur Designerin eher aufdie kleineren, aber nicht weniger praktischenDinge des Lebens – dazu gehörten unter ande-rem Teppiche und Fußböden. Erst in der zwei-ten Hälfte ihres Lebens konnte sie sich intensivder Kunst widmen.

Als der Vater von Berufs wegen aus Schwe-rin, wo Gisela Mühlsteff geboren und aufge-wachsen war, nach Niederbayern versetzt wur-de, zog die ganze Familie mit. „Dort angekom-men, hatten wir erst einmal einen schwerenStand: evangelisch, aus Preußen kommend, nunin einer erzkatholischen Region. Da rümpftenviele die Nase“, erinnert sie sich. Aber letztlichhabe dieser Wechsel auch dazu beigetragen, ihrSelbstbewusstsein zu stärken und den eigenenWeg zu gehen – eine Fähigkeit, die ihr noch öf-ter im Leben weiterhelfen sollte, wie sich baldherausstellte. Nach der Hochzeit mit ihrem ers-ten Mann leiteten beide 25 Jahre lang dieMönchshof-Brauerei. Dass ihr damaliger Gattekeinen Draht zur Kunst und damit auch keinenSinn für ihre Arbeit hatte, daraus macht die Se-niorin heute kein Hehl mehr. „Das Leben istnicht immer so bunt, wie ich es in meinen Bil-dern darstelle. Aber gerade dafür ist die Kunstja da. Ein besseres Ventil habe ich über all dieJahre nicht kennen gelernt“, bekennt sie. Da-rauf angesprochen, ob auf nicht so sonnige Mo-mente im Leben besonders prächtige Bilder fol-gen, winkt Gisela Mühlsteff ab. „Nein, bloßnicht. Wenn es mir dreckig geht, dann taugenauch meine Bilder nix.“ Das sind klare Worte,für die die Oschatzerin auch von ihren Bekann-ten und der Familie geschätzt wird.

Wie sie nach zehn Jahren, die sie nun schonin Oschatz lebt, angekommen ist, hat sich zumeinen beim Umzug bemerkbar gemacht. „Dahaben so viele mit angepackt, ich war überwäl-tigt“. Zum anderen ist es die Zahl und Band-breite der Ausstellungen, die die 84-Jährige imzurückliegenden Jahrzehnt allein oder gemein-sam mit anderen Kunstschaffenden gestaltethat. Als Mitglied im Kunst- und KulturvereinJohann Kentmann mit Sitz in Torgau, stellt sienicht nur in dessen Kleiner Galerie aus. Auchdie Krankenhäuser in Oschatz und Wermsdorf,die Rathausgalerie in Mügeln und diverse an-dere Orte in der Collm-Region profitieren regel-mäßig vom Schaffen der lebensbejahendenRentnerin. Allein im vergangenen Jahr stelltesie an sechs verschiedenen Orten aus. Unlängstendete eine gemeinsame Werkschau mit derKeramikerin Carmen Forke im Foyer derOschatzer Stadthalle Thomas-Müntzer-Haus,andere Bilder von ihr sind noch bis Mai in derOschatzer Collm-Klinik zu sehen. Gerne würdesie mehr Solo-Ausstellungen bestreiten. Dochder Aufwand, der damit verbunden ist, vor al-

lem beim Abbau und Transport, das sei ange-sichts ihres Alters nicht mehr ohne Weiteres zubewerkstelligen.

Ihre Produktivität und ihre Vielseitigkeit –von Aquarellen, Ölbildern, Radierungen undZeichnungen bis hin zu Skulpturen aus Glas,Metall und Ton reicht das Spektrum – sind vorallem der Tatsache geschuldet, dass Mühl-steff sich ihre Inspiration holt, wo sie geht undsteht. Wenn sie das Haus verlässt, dann niemalsohne Skizzenblock. Jede Situation, jeder Au-genblick und jede Begegnung kann zu Kunstwerden, sagt sie, ganz egal ob im Wartezimmer,beim Spaziergang oder auf einer Familienfeier,überall lauern Momente, die es für sie gilt, spä-ter festzuhalten. Um so erfüllender wird dies,wenn man Menschen um sich hat, die diese Lei-denschaft nachvollziehen oder teilen können.

Dieses Glück erfuhr Gisela Mühlsteff schließ-lich bei ihrem zweiten Ehemann. Der versuchtesich selbst hin und wieder in der Foto-Malerei.Die zweite Ehe dauerte nicht drei Jahrzehnte,wie die erste, sondern nur 18 Jahre. Nach demTod ihres zweiten Ehemanns Mitte der 2000erJahre folgte sie ihrem Sohn Peter in dessenneue Wahlheimat. Er war nach der Wende ausdem Westen in die Collm-Region gezogen –„ein Flecken Erde, den ich vorher schon ken-nen lernte, als ich regelmäßig auf meine Enkel-kinder aufpassen durfte“, blickt sie zurück.

„Das Leben ist zum Gestalten da“, sagt Gise-la Mühlsteff. Ein Credo, das sie auch in ihremneuen Lebensumfeld verwirklichen konnte. Inbesonderem Maße hat sie das einer Frau undeinem Ort zu verdanken, den auch viele andereGleichgesinnte für sich entdeckt haben: dasKünstlergut Prösitz bei Mutzschen. Hier hat UteHartwig-Schulz eine Anlaufstelle für Menschengeschaffen, die ihr Leben der Kunst widmen.Ein Ort, auf den sie eher zufällig stieß, nach ei-

nem Tipp der Wermsdorfer Apothekerin BettinaZosel. War sie in Prösitz anfangs noch allein,gibt es inzwischen ein knappes Dutzend Frauenjeglichen Alters, das sich hier regelmäßig trifft,um der kreativen Ader freien Lauf zu lassen.Daraus entstanden auch schon gemeinsameAusstellungen, die in ihrem Umfang einzigartigsein dürften. „Wir sind wie eine eigene kleineFamilie“, meint die Seniorin. Eine Familie, inder Gisela Mühlsteff diejenige mit der meistenLebenserfahrung sein dürfte – was vor allemdann zu Tage tritt, wenn andere einen Rat beiihr suchen, der nichts mit künstlerischer Arbeitzu tun hat.

Mit beinahe 85 Jahren noch geistig und kör-perlich auf der Höhe, fährt die Künstlerin auchnoch selbst Auto – ein glücklicher Umstand, mitdem es morgen vorbei sein kann. Bis 1970 warsie regelmäßig im Gymnastiksport aktiv, einweiteres Hobby, das ihr zur Vitalität bis ins hoheAlter verholfen hat. Ein gesunder Geist in ei-nem gesunden Körper bringt gesunde Kunsthervor und den nachvollziehbaren Wunsch,noch so lange es geht weiterzumachen. „Ichwerde Bilder malen, so lange ich denken kann“,sagt Gisela Mühlsteff. Von ihren fünf Enkelnund den vier Urenkeln wird sie liebevoll „Bas-teloma“ genannt. Ein Kosename, der vor allemdaher rührt, dass sie ihre Nachkommen schonsehr früh mit ihrer Passion vertraut gemacht hat.Dass es nicht bei allen auf fruchtbaren Bodenfällt, spiele dabei keine Rolle. Schließlich habevon ihren beiden jüngeren Geschwistern in de-ren Kindheit auch keines das Faible fürs Gestal-ten so sehr verinnerlicht wie sie damals. „Eskann nicht jeder Künstler sein und manchescheuen auch die Auseinandersetzung mit derKunst“, hat sie feststellen müssen. Dabei sei einjedes Kunstwerk erst dann vollendet, wenn derBetrachter mit ins Spiel kommt. „Was ich mache

ist nicht fertig. Jeder, der es sieht, soll sich seineigenes Bild machen. Erst dann ist Kunst kom-plett. Im besten Falle wird ein Ausstellungsbe-sucher durch die Konfrontation zu eigenen Wer-ken angeregt.“ Das Verhältnis zwischen Werkund Betrachter werde jedoch zunehmendschwieriger, denn seit nahezu jeder digital foto-grafiert und in Windeseile seine Schnappschüs-se präsentieren kann, sei man in der Fotografieals auch in der Malerei dazu übergegangen,mehr und mehr die Dinge zu verfremden, an-statt sie nur abzubilden. Abstrakteres Denkensei da vorausgesetzt.

Eigene Bilder entstehen auch im OschatzerPflegeheim Vitaris. Dort leitet Gisela Mühlsteffeinmal in der Woche Bewohnerinnen und Be-wohner an, selbst etwas auf Papier oder Lein-wand zu bringen. Die Resultate zeigt sie nichtohne Stolz und reiht sie gerne in die ihrigen mitein. „Solange ich das, was ich gelernt habe,weitergeben kann, bin ich glücklich. So langebleibt Kunst auch Erholung für mich.“ Weiter-gegeben hat sie ihre Fertigkeiten auch an dieEnkelkinder. Schaut sie heute in die Schulen,würde sie sich wünschen, dass der Kunsterzie-hung mehr Raum und Zeit gegeben wird. „Ini-tiativen wie mehrtägige Kunstcamps wie etwaam Thomas-Mann-Gymnasium sind da vorbild-lich, aber leider noch viel zu rar gestreut“,schätzt sie ein. Gisela Mühlsteff tut das ihre, umin der eigenen Familie den Sinn fürs Kreativezu erhalten. Viele ihrer Bilder haben keinenKäufer, werden aber dennoch bald den Besitzerwechseln oder haben dies sogar schon getan:Bei den Kindeskindern und folgenden Genera-tionen sind sie in guten Händen.

Kontakt: Ritterstraße 1, 04758 Oschatz, Telefon:➦03435/988808, E-Mail: art@giselamuehlsteff.de,Internet: www.giselamuehlsteff.de

„Aladins Wunderlampe“ aus Ton geformt, dahinter weitere Skulpturen, teils aus dem gleichen Material, teils aus Bronze.

Glaskunst ohne Titel. Skulpturen wie diese schufGisela Mühlsteff im Jahr 2011 im Glashof Riesaunter der Anleitung von Andreas Hartzsch.

„Das Feuerschiff“ ist eine Zeichnung, die sicherst auf den zweiten Blick erschließt.

Giesela Mühlsteffwurde 1930 in Schwerin geboren undzog 1938 mit ihrer Familie nach Franken. Sie hat eineabgeschlossene Ausbildung als Designerin und widmetsich seit 1980 intensiv Malerei, Bildhauerei und Radierung.Sie ist Mitglied im Torgauer Kunst- und KulturvereinJohann Kentmann, der Radierwerkstatt der Volkshoch-schule des Landkreises Fulda, im Kunstverein GedokLeipzig und weiteren künstlerisch tätigen VereinigungenDeutschlands. Ihre Werke sind nicht nur in der Collm-Regi-on, sondern unter anderem auch im Haus des Buches inLeipzig, im Leipziger Rathaus, in Hanau, Grimma undMeinigen zu sehen oder zu sehen gewesen. cku

Zur Person

„Hochzeitspaar aus Peru“– Gisela Mühlsteff zeigt einesihrer frühesten Gemälde.

Fotos: Dirk Hunger

THEMA DES TAGES 13|NR. 88 | DONNERSTAG, 16. APRIL 2015

Quelle :: Oschatzer Allgemeine Zeitung vom 16.04.2015 - Christian Kunze …

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