Einführung in die Philosophie, VL 1 · 8 Konzeptionen der Philosophie „Der spekulative Philosoph...

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Einführung in die Philosophie, VL 1

© Stephan Schmid, Universität Hamburg

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- Zur Einführungsvorlesung

- Was ist Philosophie?

- Was studiert man, wenn man Philosophie studiert?

- Was ist Philosophiegeschichte?

- Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

- Fazit: Philosophie und Philosophiegeschichte

Plan für heute

Einleitung

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Alles, was Sie wissen müssen, ...

0. Organisatorisches zur Einführungsvorlesung

... finden Sie auf der Webseite zur Einführungsvorlesung:https://philosophieeinfuehrung.wordpress.com/

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Formalia

0. Organisatorisches zur Einführungsvorlesung

(1) Sie besuchen die Vorlesung im Rahmen Ihres Philosophiestudiums für das Einführungsmodul oder den Wahlbereich:

Sie erhalten 2 LP für die regelmäßige Anwesenheit. Eine Bescheinigung (für den Wahlbereich) können Sie im Studienbüro (im Raum 3089) anfordern.

(2) Sie besuchen die Vorlesung im Studium Generale:Sie erhalten 3 LP für die regelmäßige Anwesenheit und das Verfassen eines Sitzungsprotokolls (von ca. 1000 Wörtern) in Ansprache mit dem/ der Dozentin einer ausgewählten Sitzung.

(3) [selten] Sie brauchen eine Prüfungsleistung für diese VL.

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Zum heutigen Thema

Übergang

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Konzeptionen der Philosophie

1. Was ist Philosophie?

Existentialistische Konzeption„Die Art der in [der Philosophie] zu gewinnenden Gewissheit ist nicht die wissenschaftliche, nämlich die gleiche für jeden Verstand, sondern ist die Vergewisserung, bei deren Gelingen das ganze Wesen des Menschen mitspricht. Während wissenschaftliche Erkenntnisse auf je einzelne Gegenstände gehen, von denen zu wissen keineswegs notwendig ist, handelt es sich in der Philoso-phie um das Ganze des Seins, das den Menschen angeht […].“

(Karl Jaspers, „Was ist Philosophie?“, 51f. & 54f.)

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Konzeptionen der Philosophie

1. Was ist Philosophie?

Positivistische Konzeption I„Die spekulative Philosophie suchte nach allgemeiner Erkenntnis, nämlich nach den allgemeinsten Prinzipien, welche das Universum beherrschen. […] Die wissenschaftliche Philosophie dagegen überlässt die Erklärung des Weltalls gänzlich dem Naturwissen-schaftler, baut jedoch die Erkenntnistheorie mit Hilfe der Ergeb-nisse der Wissenschaft auf und ist sich darüber bewusst, dass weder die Physik des Kosmos noch die des Atoms auf der Grund-lage von Begriffen verstanden werden kann, die dem täglichen Leben abgeleitet sind.“

(Hans Reichenbach, „Die alte und die neue Philosophie: Ein Vergleich“, 20)

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Konzeptionen der Philosophie

„Der spekulative Philosoph strebte ferner danach, ethische Direktiven, gleich der Erkenntnis, als absolut hinzustellen. […] Die wissenschaftliche Philosophie hat den Plan, ethische Vorschriften zu geben, völlig aufgegeben und betrachtet moralische Ziele als Ergebnisse von Willensakten, nicht aber als Gegenstand der Erkenntnis.“

Positivistische Konzeption II

1. Was ist Philosophie?

(Hans Reichenbach, „Die alte und die neue Philosophie: Ein Vergleich“, 21)

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Probleme der erwähnten Konzeptionen der Philosophie

Die vorgestellten Konzeptionen der Philosophie werden der zeitgenössischen akademischen Philosophie nicht gerecht –und liefern damit keine adäquate Charakterisierung dessen, was Sie in den nächsten Jahren hier studieren werden.

1. Was ist Philosophie?

Inadäquatheiten der vorgestellten Konzeptionen:JASPERS. Akademische Philosophie versteht sich als Wissenschaft (mit verallgemeinerbaren Erkenntnissen).REICHENBACH. Akademische Philosophie ist in dem Sinne spekulativ, in dem sie sich auch mit Fragen der allgemein-sten Prinzipien der Wirklichkeit und normativen Fragen auseinandersetzt.

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Versuch einer adäquateren Charakterisierung der Philosophie

1. Was ist Philosophie?

Wissenschaft?

Letzte Grundlagen?

– Methodisch kontrollierte Wahrheitssuche.

– Fundamentale Annahmen und Begriffe, die (a) in den einzelwissenschaftlichen Untersuchungen des Seins, Denkens und Handelns und (b) in unserer alltäglichen Lebenspraxis vorausgesetzt (aber nicht geklärt) werden.

Philosophie ist die Wissenschaft der letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns.

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Philosophische Kompetenzen

Was muss man können, um Ansichten über die letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns wissenschaftlich beurteilen zu können?

Formal: Kenntnis der wichtigsten Methoden der Wahrheitssuche (wie Logik und Argumentationstheorie)

Philosophie ist die Wissenschaft der letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns.

2. Was studiert man, wenn man Philosophie studiert?

Inhaltlich: Kenntnis (a) berühmter Ansichten über die letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns und (b) der Begriffe zur Charakterisierung und Evaluation dieser Ansichten.

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Erwerb philosophischer Kompetenzen

Formale Kompetenzen der methodisch kontrollierten Beurteilung philosophischer Ansichten (über die Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns) gewinnt man in Logik- und Argumentationskursen sowie durch die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen Positionen.

2. Was studiert man, wenn man Philosophie studiert?

Inhaltliche Kompetenzen der Kenntnis und Charakterisierung philosophischer Ansichten gewinnt man durch die Lektüre und Diskussion verschiedener (historischer) philosophischer Texte.

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Das Studium der Philosophie

2. Was studiert man, wenn man Philosophie studiert?

Statt sich direkt mit den letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns zu befassen, werden Sie sich in Ihrem Philosophie-studiums vor allem mit verschiedenen Meinungen oder Ansichtenüber diese Grundlagen befassen.Im besten Fall befassen Sie sich aber kritisch mit diesen Meinungen, indem Sie diese nicht nur zu verstehen suchen, sondern auch evaluieren. Ziel Ihres Studiums sollte es sein, die richtige oder wahre Meinung über die eine oder andere letzte Grundlage des Seins, Denkens und Handelns zu identifizieren.

Studiert man in der Philosophie de facto die Geschichte der Philosophie statt die Philosophie?

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Philosophie und Philosophiegeschichte

3. Was ist Philosophiegeschichte?

Philosophie ist letztlich Philosophiegeschichte, weil wir (1) alle historische Subjekte sind, die ihre Überlegungen an einem bestimmten historischen Ort vollziehen und (2) dies auf der Grundlage ebenfalls historischer Begriffe und Theorien tun.

„Alles bisherige philosophische Wissen war immanent-zeitlich.“

(Flasch 2005, 29)

Ansicht 1:

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Philosophie und Philosophiegeschichte

3. Was ist Philosophiegeschichte?

Philosophie ist letztlich Philosophiegeschichte, weil wir (1) alle historische Subjekte sind, die ihre Überlegungen an einem bestimmten historischen Ort vollziehen und (2) dies auf der Grundlage ebenfalls historischer Begriffe und Theorien tun.

Nur weil wir immer in einer historischen Situation mit historischen Begriffen über die Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns nachdenken, heißt das nicht, dass die Grund-lagen, über die wir dabei nachdenken, selbst historisch sind.

Ansicht 1:

Problem

Vergleich: Mathematik.

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Philosophie und Philosophiegeschichte

3. Was ist Philosophiegeschichte?

Das Projekt der Philosophie ist von dem Projekt der Philosophiegeschichte verschieden, da diese Projekte verschiedene Fragen beantworten wollen.

Ansicht 2:

Die philosophische Frage: Was ist eigentlich X? (Wobei „X“ ein (zumindest vermeintlicher) Grundbegriff für das Verständnis des Seins, Denkens oder Handelns ist).

Die philosophiehistorische Frage: Was meinte Y, was X eigentlich sei? (Wobei „Y“ der Name eines/r Philosoph/in ist und „X“ ein Grundbegriff für das Verständnis des Seins, Denkens oder Handelns ist).

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Philosophiegeschichte: Philosophie oder Geschichte?

3. Was ist Philosophiegeschichte?

Fragen der Philosophiegeschichte sind also keine philosophischen Fragen, sondern historische Fragen über (historische) Ansichten über philosophische Fragen.

Zum Vergleich: Fragen der Mathematikgeschichte sind keine mathematische Fragen, sondern historische Fragen über (historische) Ansichten über mathematische Fragen.

Mit welchem Recht sind Philosophiehistoriker/innen in der Regel in der Philosophie und nicht vielmehr der (Wissenschafts-)Geschichte angesiedelt?

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Die pädagogische Funktion der Philosophiegeschichte

3. Was ist Philosophiegeschichte?

Besteht der philosophische Wert der Philosophiegeschichte allein in ihrer pädagogischen Funktion?

Statt sich direkt mit den letzten Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns zu befassen, werden Sie sich in Ihrem Philosophiestudiums vor allem mit verschiedenen Meinungen oder Ansichten über diese Grundlagen befassen.

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Die Doppelnatur der Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

„The history of philosophy is a study which proposes to itself twosomewhat different objects, of which the first is mainly historical, while the second is mainly philosophical. From this cause it is aptto result that, where we look for history of philosophy, we find rather history and philosophy.“ (Russell 1900, xix)

„Questions concerning the influence of the times or of otherphilosophers, concerning the growth of a philosopher’s system, and the causes which suggested his leading ideas—all these aretruly historical: they require for their answer a considerableknowledge of the prevailing education, of the public to whom itwas necessary to appeal, and of the scientific and political eventsof the period in question. “ (Russell 1900, xix)

Die historische Komponente

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Die Doppelnatur der Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

„[T]here remains always a purely philosophical attitude towardsprevious philosophers—an attitude in which, without regard todates or influences, we seek simply to discover what are the greattypes of possible philosophies, and guide ourselves in the searchby investigating the systems advocated by the great philosophersof the past. […] [I]n such inquiries the philosopher is no longerexplained psychologically: he is examined as the advocate ofwhat he holds to be a body of philosophic truth.“ (Russell 1900, xixf.)

Die systematische Komponente

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Das Spektrum der Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

Sowohl die systematische als auch die historischen Komponente können in der philosophiehistorischen Forschung unterschiedlich stark betont werden.Aber ein völliger Verzicht der einen Komponente zugunsten der anderen unterminiert eine befriedigende Philosophiegeschichte.

✗ Philosophiegeschichte ohne systematischen Blick verkommt zur reinen Ideengeschichte, in der ausschließlich Rezeptionszusammen-hänge studiert werden und philosophische Argumente nicht als Argumente rekonstruiert und bewertet werden.

✗Historisch uninformierter Philosophiegeschichte gelingt es höchstens zufälligerweise die Bedeutung einer philosophischen These aus der Geschichte richtig zu erfassen.

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Vom philosophischen Nutzen und Nachteil der Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

Je nachdem, ob man die systematische oder historische Komponente der philosophiehistorischen Forschung betont, wird man einen anderen philosophischen Nutzen daraus ziehen können, aber auch anderen philosophischen Gefahren entgegensehen müssen.

Vorteil der systematisierenden Philosophiegeschichte: Man kann (a) von den Alten lernen und (b) philosophischen Fortschritt erkennen.

Gefahr der systematisierenden Philosophiegeschichte: Man identifiziert nur unvollkommene Vorgänger der philosophischen Theorien, die wir heute als die wichtigen identifiziert haben – mit dem Resultat, dass wir von den Alten oft philosophisch enttäuscht sind und ihren originellen philosophischen Punkt verpassen.

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Vom philosophischen Nutzen und Nachteil der Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

Vorteil der historisierenden Philosophiegeschichte: Man lernt radikal verschiedene Weltbilder kennen und wird sich des historisch kontingenten Charakters des eigenen Denkens bewusst.

Gefahr der historisierenden Philosophiegeschichte: Man verliert vor lauter historischen Details den philosophischen Faden und hört auf, historische Philosoph/innen als Philosoph/innen ernst zu nehmen, sondern sieht sie nur noch als Übermittler von Ideen statt als Vertreterinnen begründeter Ansichten über die Grundlagen des Seins, Denkens oder Handelns.

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Der philosophische Wert ausgewogener Philosophiegeschichte

4. Was ist philosophisch an der Philosophiegeschichte?

Gelingt es, Philosophiegeschichte mit dem richtigen Maß von historischer und systematischer Informiertheit zu betreiben, darf man auf folgenden philosophischen Nutzen hoffen:

✓ Gewinn von (negativen und positiven) Einsichten in philosophische Fragen, die uns heute (noch) umtreiben.

✓ (Wieder-) Entdeckung in Vergessenheit geratener philosophischer Fragen.

✓ Erinnerung an die historische Kontingenz des philosophischen Nachdenkens: Lektion in intellektueller Bescheidenheit.

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Philosophie & Philosophiegeschichte

5. Fazit

Die zeitgenössische (akademische) Philosophie ist eine Grundlagenwissenschaft, die darauf abzielt, Fragen über die Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns auf methodisch kontrollierte Weise zu beantworten.Im Studium der Philosophie kommt dem Studium der Geschichte der Philosophie eine wichtige Rolle zu:Anhand der Reflexion über historische Meinungen über die Grundlagen des Seins, Denkens und Handelns, lernen Sie, verschiedene philosophische Positionen zu beurteilen.Und auch wenn Philosophie und Philosophiegeschichte voneinander verschieden sind, lässt sich praktisch kaum das eine betreiben, ohne auch das andere zu tun.

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Collingwood, Robin G.: An Essay on Philosophical Method, Oxford, New York 2005 (Original 1933)

Flasch ,Kurt: Philosophie hat Geschichte, Bd. 2: Theorie der Philosophiehistorie, Frankfurt a.M. 2005.

Garber, Daniel: „Does History have a Future?“, in ders. Descartes Embodied, Cambridge, Mass. 2001, 13-30.

Jaspers, Karl: „Was ist Philosophie?“, in K. Salumun, Hg.: Was ist Philosophie?, Tübingen 52009, 51-63.

Reichenbach, Hans: „Die alte und die neue Philosophie: Ein Vergleich“, in K. Salumun, Hg.: Was ist Philosophie?, Tübingen 52009, 20-38.

Russell, Bertrand: A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, London 1992 (Original 1900).

Sellars, Wilfrid: Science and Metaphysics, London 1968.

Literatur

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