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Einführung in die Sozialpsychologie
Vorlesung, Sommersemester 2012
8. Sitzung: Forts. Gruppenprozesse, Interpersonelle Attraktion
Prof. Dr. Gerald Echterhoff
1
Beispiele für Klausurfragen
• Bitte achten Sie genau auf die Fragestellung und beantworten Sie nur die gestellten Fragen so präzise wie möglich.
• Für zusätzliches Material, das sich nicht auf die Frage bezieht, werden keine Punkte vergeben.
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In welcher Beziehung stehen das Ausmaß der Konformität (erfasst als Übernahme falscher Antworten einer Mehrheit) und die Größe der Einflussgruppe? (3)
Die Konformität nimmt mit der Anzahl der Mitglieder der Einflussgruppe in Form einer sich abflachenden Kurve zu, wobei das Maximum bei etwa 3-4 Mitgliedern erreicht ist.
Unter welcher Voraussetzungen kann eine Minderheiten sozialen Einfluss haben, und welche Art von Akzeptanz wird bewirkt, welche nicht? (2)
Eine zentrale Voraussetzung ist die Konsistenz der Meinungsäußerung. Die Wirkung ist in der Regel eine private Akzeptanz, nicht bloß öffentliche Konformität (compliance).
3
Eine der vier Antwortmöglichkeiten trifft zu.
Die Anzahl von Zuschauern bei einem Unfall hat einen negativen Einfluss auf die Hilfsbereitschaft jedes Einzelnen. Worauf lässt sich dieses Phänomen zurückführen?
(a) Pluralistische Ignoranz (b) Verantwortungsdiffusion (c) Fehlende Kompetenz (d) alle genannten (a-c)
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THEMA: Gruppenprozesse
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Überblick
• Grundbegriffe • Gruppeneinflüsse auf Individuen • Gemeinsame Aufgabenbearbeitung und
Entscheidungen in Gruppen (Prozessverluste)
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Deindividuation: Untergehen in der Menge
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Deindividuation
Definition: Zustand, in dem die eigene individuelle Identität "in der Menge (oder Gruppe) untergeht“.
ausgelöst durch: Uniformierung, Anonymität, fehlende soziale Kontrolle
Effekte: Unterminierung internalisierter Normen; reduzierte Selbstaufmerksamkeit; Verhaltenskonsequenzen werden nicht bedacht => antisoziales Verhalten
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Deindividuation Forschungsbeispiele: • Vpn, die Uniformen und Kapuzen tragen,
verhalten sich aggressiver als normal gekleidete Vpn (Zimbardo, 1970).
• Stanford Prison Experiment (Haney et al., 1973)
• Relevant zur Erklärung von: Verhalten von Fußball-Hooligans; "ethnische Säuberungen"; Folter
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Aber:
Deindividuierung kann auch förderliche Effekte haben. Normen der Gruppe werden durch Deindividuierung verstärkt; wenn die Normen positiv sind, wird das Verhalten positiver
Social identity model of deindividuation (SIDE) von Reicher, Spears & Postmes (1995)
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Studie von Johnson & Downing (1979): • "Ku-Klux-Klan"-Uniformen erhöhen die
Aggressionsbereitschaft; "Krankenpfleger"-Uniformen senken die Aggressionsbereitschaft
• Effekte besonders ausgeprägt bei Anonymität (Gesicht verdeckt)
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Entscheidungen in Gruppen • Potentielle Vorteile
– Mehr Entscheidungsressourcen (brainpower) – Spezialisierung
• Potentielle Nachteile – Zeitverlust – Konflikte und Reibungsverluste – Produktionshemmung – vorwiegend Kommunikation über
bereits geteiltes Wissen (Stasser & Titus, 1985) – Gruppendenken (Groupthink)
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Präferenz für geteiltes Wissen (Stasser & Titus, 1985)
Gruppenentscheidungen vs. Individuelle Entscheidungen
Verbesserung von Gruppenentscheidungen: Überwindung der „preference for shared information“:
• Gruppe ist heterogen; • Mitglieder haben verschiedene, sich ergänzende
Fähigkeiten (Expertise) und respektieren dies (Anerkennung eines transaktiven Gedächtnisses / Wissens; Wegner, 1995);
• Zeit für offenen Austausch und Diskussion.
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Was hilft gegen Gruppendenken (group think; Janis, 1972)?
• Leiter/in sollte sich zurückhalten; • externe Meinungen sollten eingeholt werden; • Expertenmeinungen sollten angehört werden; • Übernahme der Rolle eines „Advocatus diaboli“
durch ein Gruppenmitglied; • Aufteilung der Gruppe in Untergruppen; • anonyme Verschriftlichung der Meinungen; • geheime Abstimmung.
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Gruppenpolarisierung
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• Durch Gruppendiskussion wird Ausgangsmeinung der Mitglieder verstärkt
• Risky shift – Verstärkung einer anfänglichen Tendenz zum
Risiko • Cautious shift
– Verstärkung einer anfänglichen Tendenz zur Risikovermeidung
Einflüsse: Verbreitung zuvor nicht bekannter Argeumente, sozialeVergleichsprozesse; Normen sind u.a. kulturbedingt (Brown, 1965)
Risky Shift
• Studie von Kogan & Wallach (1964) – Erfassung der Individualmeinung
• Choice dilemma Fragebogen (12 Situationen) • Z.B.: Herr B. ist schwer krank. Sein Arzt rät zu einer
riskanten Operation. Bei welcher Erfolgschance soll Herr B sich für die Operation entscheiden?
– 10%, 30%, 50%, 70%, 90% • Diskussion • Erfassung der Gruppenmeinung • Ergebnis: Gruppenmeinung ist risikofreudiger
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IV. Konflikt und Kooperation
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Begriffsdefinitionen • Konflikt: wahrgenommene Unvereinbarkeit von Zielen,
Bedürfnissen, Werten von zwei oder mehr Parteien (vgl. Pruitt & Carnevale, 1993; Smith & Mackie, 2007)
oft im Hinblick auf Beherrschung (mastery) von materiellen oder sozialen Vorteilen
• Kooperation (cooperation): Handlungen, die den gemeinsamen Nutzen eines Kollektivs oder einer Gruppe maximieren.
• Wettbewerb (competition): Handlungen, die den relativen Nutzen der eigenen Person oder Gruppe im Vergleich zu anderen Personen oder Gruppen maximieren.
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"Mixed-motive situation" oder soziales Dilemma: Situation, in der ein Konflikt zwischen
kooperativen und kompetitiven Motiven bzw. individuellen und kollektiven Zielen
besteht.
Wichtiger Typ:
Gefangenendilemma
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Soziale Dilemmata • Konflikte, bei denen die vorteilhafteste Lösung
für den Einzelnen schädlich für den Anderen ist • Untersuchungsparadigma: Gefangenendilemma
(Wahl des Gegenspielers nicht bekannt)
B kooperativ
B eigennützig
A kooperativ
+3 / +3 -6 / +6
A eigennützig
+6 / -6 -1 / -1
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Gefangenendilemma (Prisoner‘s Dilemma):
Beispiel
leugnet gesteht
leugnet 1 Jahr
1 Jahr
Freispruch
10 Jahre
gesteht 10 Jahre
Freispruch
5 Jahre
5 Jahre
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Gefangener A
Gefangener B
Prisoner‘s Dilemma: Illustration
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Merkmale des Gefangenendilemmas • Das individuelle Ergebnis ist bei unkooperativem
Handeln („gestehen“) positiver als bei kooperativem Handeln („leugnen“).
• Das gemeinsame Ergebnis ist am positivsten, wenn beide Partner kooperativ handeln.
• Folge: Konflikt zwischen kollektivem und individuellem Interesse.
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Befunde
• Egozentrismus – Konfliktparteien gehen davon aus,
dass die Gegenseite dieselbe Strategie wählt. • Reziprozität:
kooperatives Verhalten wird mit kooperativem Verhalten beantwortet, wenn – es klar erkennbar ist, – es mehrfach angeboten wird; – Gegenüber nicht stark kompetitiv eingestellt ist.
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Fazit • Gruppenbildung als menschliches
Grundbedürfnis • Gruppen beeinflussen individuelles Verhalten
– social facilitation / inhibition – Social loafing – Deindividuation
• Entscheidungsverhalten in Gruppen: Gruppenarbeit vs. Einzelarbeit, Gruppendenken Gruppenpolarisierung
• Wie man Konflikte reduzieren kann
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Thema: Interpersonelle Attraktion
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Inhalte
• Determinanten interpersoneller Attraktion • Theorien interpersoneller Attraktion • Enge Beziehungen: Modelle und
Erklärungen
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Räumliche Nähe • Festinger, Schachter, & Back (1950)
– MIT-Wohnheim „Westgate West“ – Zufällige Zuweisung der Appartments an Fremde – AV: Nennung der 3 engsten Freunde im Wohnkomplex – Ergebnisse:
• 41% direkte Nachbarn • 22% zwei Türen entfernt • 10% entgegen gesetzte Seiten eines Stockwerks
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Räumliche Nähe • Funktionale Nähe
– Bewohner in Apartments 1 und 5 (Treppe) haben mehr Freunde im 1. OG
– Häufigkeit der Interaktion entscheidend
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Mere Exposure Effekt
• Wiederholte Konfrontation mit einem Stimulus erhöht Attraktion
• Zajonc (1968): Aussprechen „türkischer Wörter“ • Moreland & Beach (1992)
– Manipulation der Anzahl der besuchten Sitzungen einer Studentin : 0, 5, 10, 15
– AV: Sympathieurteil über Studentin – Ergebnis: Sympathie steigt mit Anzahl der Besuche
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Mere Exposure Effekt
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„Gleich und gleich gesellt sich gern“ Ähnlichkeit & Attraktion
• „similarity-attraction“ Hypothese (Byrne) • Newcomb (1961)
– Studie in einem Studentenwohnheim – Ähnlichkeit
• Demographischer Hintergrund (z.B. Stadt, Land) • Einstellungen
– Ähnlichkeit fördert Entstehung von Freundschaften
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Angenommene Zuneigung
• Wir finden diejenigen attraktiv und sympathisch, die uns mögen.
• kann selbst mangelnde Ähnlichkeit ausgleichen
• Gold, Ryckman & Mosley (1984): männliche Von fanden Frau sehr sympathisch, die Blickkontakt suchte, sich in ihre Richtung lehnte und aufmerksam zuhörte – obwohl sie in wichtigen Punkten anderer Meinung war.
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Wechselseitige Zuneigung • Angenommene Zuneigung
wichtiger Prädiktor von Attraktion
• Mechanismus: Sich selbst erfüllende Prophezeiung – Durch eigenes
„sympathisches“ Sozialverhalten bei angenommener Zuneigung:
• Blickkontakt • Selbstoffenbarung • …
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„sympathisches“ Sozialverhalten
tatsächliche Zuneigung
Angenommene Zuneigung
Quelle: Smith & Mackie (2000) 36
Sich selbst erfüllende Prophezeiung • Snyder, Tanke & Berscheid (1977):
– Männliche VPn telefonieren mit Frau – UV: Bild von attraktiver vs. weniger attraktiver
Frau – AV 1: Kommunikationsverhalten der Männer – AV 2: Einschätzung der Frau durch Männer – AV 3: Einschätzung der Frau durch Beobachter – Ergebnis: Männer reagieren wärmer auf die
vermeintlich Schöne. Die vermeintlich Schöne wirkt wärmer, sympathischer, gelassener und unterhaltsamer (unabhängige Beobachter/innen).
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Snyder et al. (1977), Sich selbst erfüllende
Prophezeiung
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Schönheit / physische Attraktivität • Walster (Hatfield) et al. (1966)
– Blind date bei einer Tanzveranstaltung: Zufallszuweisung der Paare
– Erfassung von Persönlichkeitsunterschieden und Fähigkeiten (z.B. Intelligenz, Einfühlungsvermögen)
– AV: • Sympathie • Interesse an weiterem Kontakt
– Ergebnis: Physische Schönheit war stärkster Prädiktor. 39
Was ist schön? • Cunningham et al. (1995)
– „Elemente der Schönheit“: Einschätzungen von Gesichtern + Messung der
Proportionen von Gesichtselementen – Zentrale Elemente:
• Große Augen • Hohe Wangenknochen • breites Lächeln • Kleines Kinn (w), kräftiges Kinn (m)
– hohe interkulturelle Übereinstimmung 40
Average = Beautiful (Langlois & Roggman, 1990)
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Vertrautheit
• Durchschnittsgesichter weisen mehr vertraute Merkmale auf als ungewöhnliche Gesichter.
• Vpn fanden Gesichter, die ihren eigenen besonders ähnelten, am attraktivsten (Little & Perret, 2002)
• Mechanismus: mere exposure ?!
• „Präferenz für das Vertraute und Sichere gegenüber dem Unbekannten und potenziell Gefährlichen“ (Berscheid & Reis, 1998, S. 210)
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Enge Beziehungen
• Fokus der Forschung für lange Zeit: Faktoren der anfänglichen Anziehung bzw. des ersten Eindrucks
• Erst später: Forschung zu engen / langfristigen Beziehungen
• Es kommen weitere und andere Faktoren ins Spiel!
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Bindungstypen (Hazan & Shaver, 1987)
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sicher ca. 56%
ängstlich-unsicher ca. 19%
vermeidend ca. 25%
Theorie des sozialen Austauschs (Kelley & Thibaut, 1978)
• Enge Beziehungen folgen einem ökonomischen Modell.
• Empfindung bzgl. Beziehung hängt von wahrgenommenen Kosten und Nutzen ab, und außerdem vom – Vergleichsniveau
• Bewertung einer Beziehung durch Vergleich der Kosten/ Nutzen-Relation mit Alternativen
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Theorie der Ausgewogenheit (Equity) (Walster, Walster & Berscheid, 1978)
• Kritik an der Annahme einer Nutzenmaximierung in Beziehungen
• Annahme des Ausgleichs – Eigene Kosten/Nutzen Relation entspricht
Kosten/Nutzen Relation des Partners – Ausgeglichene Beziehungen sind am
glücklichsten und stabilsten – Aber: Ungleichgewicht wird stärker von
Benachteiligten als von Bevorzugten gesehen 46
Sozialer Austausch in Langzeitbezie-hungen: Investitionsmodell (Rusbult)
• Investitionen (z.B. Geld, Zeit, emotionale Energie, Wohl der Kinder) als Determinante der Stabilität von Beziehungen
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Clark & Mills (1993): Exchange vs. communal relationships
Fazit • Anfängliche Attraktion hängt ab von
– Nähe, mere exposure – Ähnlichkeit – reziproker Zuneigung – Schönheit
• Sozialer Austausch spielt eine wichtige Rolle in jeder Art von Beziehung.
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Thema: Prosoziales Verhalten
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Überblick
• Prosoziales Verhalten – Grundbegriffe – Warum helfen wir Anderen? – Gibt es altruistisches Verhalten? – Situationale Determinanten
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Begriffsdefinitionen • Hilfeverhalten: Soziale Interaktion, die Kosten für
eine Person (HelferIn) verursacht und einer anderen Person (HilfeempfängerIn) Nutzen bringt.
• Prosoziales Verhalten: Hilfeverhalten, bei dem die helfende Person nicht aus beruflicher Verpflichtung handelt.
• Altruismus: Prosoziales Verhalten, bei dem der Wunsch zu helfen besteht, selbst wenn es der/m Helfenden Nachteile bringt (oft mit Empathie in Verbindung gebracht).
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Altruismus
Prosoziales Verhalten
Hilfeverhalten
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Gründe für Helfen: Sozialer Austausch
• Hilfeverhalten: aus Kosten-Nutzen-Abwägung • Potentieller Nutzen
– Reziprozität – Abbau der eigenen Anspannung
• „ich kann das nicht mehr mit ansehen“
– Soziale Belohnung – Gesteigertes Selbstwertgefühl
• Kosten – Je höher Kosten desto seltener Hilfeverhalten
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Gründe für Helfen: Empathie-Altruismus-Hypothese
• Gibt es „reinen Altruismus“? • Batson: Zwei Wege zu Hilfeverhalten
– Empathie niedrig • Kosten – Nutzen - Analyse
– Empathie hoch • Reiner Altruismus • Keine Kosten – Nutzen - Analyse
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Toi & Batson (1982) • Hilfeverhalten für verunglückte Studentin?
– UV 1: Empathie (Instruktion) – UV 2: Kosten (häufiger vs. seltener
zukünftiger Kontakt) – AV: Bereitschaft zu helfen
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Situationale Determinanten • Umfeld: Stadt vs. Land
– Mehr Hilfeverhalten auf dem Land – „urban overload“:
• Selbstfokus wegen Reizüberflutung
• Anzahl der Anwesenden – Bystander-Effekt
• Beispiel: Kitty Genovese
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