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Acht Geigen, drei Bratschen, zwei Celli, ein Kontrabass für die CAMERATA BERN
Geigenbauschule Brienz – Barock
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Die ersten 200 Jahre in der Geschichte des Geigenbaus
nennt man den barocken Geigenbau, da er sich weitge-
hend während der barocken Musikepoche entwickelt hat,
die parallel zur allgemeinen Kunstepoche des Barocks von
circa 1575 bis 1770 verläuft. Allerdings sind erste eindeu-
tig der Geigenfamilie zuzuordnende Instrumente bereits
um die Mitte des 16. Jahrhunderts nachgewiesen; be-
kannteste Beispiele sind diejenigen von Andrea Amati,
dem Stammvater der Amati-Familie und des Cremone-
ser Geigenbaus.
Die Träger der Barock-Kultur waren Hof, Aristokratie und
Klerus. Geigen, Bratschen und Celli kamen in deren Um-
feld schnell in Mode und fanden bis 1650 in ganz Europa
Verbreitung. Als Folge wurden Geigen während der noch
lange andauernden Epoche in vielen kulturellen Zentren
Europas gebaut, im ganzen damaligen deutschsprachi-
gen Raum ebenso wie auch in Frankreich und England,
den Niederlanden und dem schon erwähnten Italien.
Einigen Zentren gelang es, eine Produktion aufzubauen,
die über die Versorgung des heimischen Marktes hinaus
reichte. So wurden, um beim bekanntesten Beispiel zu
bleiben, Geigen aus Cremona an verschiedene europä-
ische Höfe geliefert und dadurch oft zu Modellvorlagen
für die dort ansässigen Instrumentenbauer. Im Paris des
17. und auch noch des frühen 18. Jahrhunderts unter-
schied man Geigen nach der italienischen und französi-
schen Façon, wobei in der Regel mit der italienischen,
auf die Cremoneser Machart angespielt wurde. Es kann
also nicht von einem einheitlichen barocken Geigenbau
gesprochen werden.
Herausragende Interpreten beeinflussten mit den Ei-
genheiten ihres Spiels Geigenbauer und Bogenmacher
in ihrem Umfeld. Verbindliche, nicht selten von Stadt zu
Stadt abweichende Masseinheiten (Längen-, Gewichts-
und Hohlmasse) sowie verschiedene Gestaltungsansätze
(innerhalb des aus heutiger Sicht barocken Stils) beein-
flussten das Handwerk und führten im Geigenbau letzt-
lich zu verschiedenen Modellen – barocker Geigenbau
ist vielfältig.
Trotzdem drängt sich die Frage nach der Einheit in dieser
hier nur angedeuteten Vielfalt des barocken Geigenbaus
auf. Schliesslich verbreiteten die Handwerksburschen ihr
Wissen und Können auf ihren Wanderschaften in ganz Eu-
ropa, was nicht nur zur Vielfalt, sondern eben auch zu Ver-
einheitlichungen beitrug. Den vielleicht wichtigsten Stel-
lenwert nehmen dabei die Instrumentenmacher aus dem
Allgäu ein. Bereits 1562 wurde in Füssen die erste Lau-
ten- und Geigenmacherzunft Europas gegründet, deren
Reglement die Zahl der Werkstätten zum Schutz der Etab-
lierten einschränkte. Hunderte von Füssener Lauten- und
Geigenmachern mussten ihre Heimat verlassen, um ihr
Auskommen in einer der europäischen Kulturmetropolen,
an Fürstenhöfen und in grossen Handelsstädten zu finden.
Wer die Einheit im barocken Geigenbau im Sichtbaren
sucht, wird beim Korpusumriss, den F-Löchern in der
Fichtendecke, der Schnecke, den vier von den Wirbeln
über den Steg zum Saitenhalter verlaufenden Saiten und
der Klangerzeugung mit dem Streichbogen hängen blei-
ben. Beim Hören sind die Barockgeigen an der Quint-
stimmung der Saiten zu erkennen sowie am Klangspek-
trum. Alle diese Feststellungen treffen aber auch für die
sogenannt moderne Geige zu, die heute üblicherweise
gespielt wird.
Wir müssen genauer hinschauen und unser Augenmerk
auf das nicht unmittelbar Sichtbare richten. Hier hilft uns
das Wissen über die im Barock angewendeten Zahlensys-
teme und verwendeten Masseinheiten. Die Handwerker
der Barockzeit rechneten weder ausschliesslich im Dezi-
malsystem noch massen sie im metrischen System. Ihnen
war das Halbieren, Dritteln, Vierteln usw. und das Verviel-
fachen eines Eichmasses geläufiger, das Zwölfersystem
war zumeist das verbreitetste. So wurde das Fussmass in
zwölf Zoll und dieses wiederum in zwölf Teil-Linien oder
in 1⁄2-, 1⁄4- und 1⁄8-Zoll gegliedert. Beim Studium der im Ba-
rock verbreiteten Bauweise des Resonanzkörpers über ei-
ner Form, die als wiederverwendbare Lehre diente, fallen
deren oftmals einfache, ganzzahlige Proportionen auf,
z.B. die Verhältnisse 1:2 und 4:5, die in der Musik Okta-
ve und grosse Terz heissen. Ein einfacherer Zugang zum
Barocker Geigenbau: Vielfalt in der Einheit – Einheit in der Vielfalt
CAMERATA BERN – Geigenbauschule Brienz
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proportionalen Gestalten von Geigen eröffnete sich den
Handwerkern durch geometrische Grundkonstruktionen.
Wer Kenntnisse des Messens und Konstruierens hatte,
wurde im Barock beispielsweise mit dem Zirkel in der
Hand porträtiert (Caspar Tieffenbrucker, Füssener Lau-
ten- und Geigenmacher).
Der Begriff barocker Geigenbau kann also im engeren
Sinne für alle sich noch im Originalzustand befi ndenden
Instrumente und auch für Geigen, Bratschen und Celli, die
nach den verschiedenen, im Barock angewendeten Vor-
gehensweisen nachgebaut wurden, verwendet werden.
Die nachfolgende Gegenüberstellung weist auf die sicht-
baren Veränderungen hin, die an fast allen Geigen aus
der Barockzeit während der Klassik und Romantik vorge-
nommen wurden. Diese Instrumente werden nun verall-
gemeinernd als moderne Geigen bezeichnet.
Nicht thematisiert wird in diesem Katalog die Bedeutung
des Bogens. Auf ihn kann in einer möglichst authenti-
schen historischen Aufführungspraxis unter keinen Um-
ständen verzichtet werden. Ihm gehört in einem hoffent-
lich nachfolgenden Projekt der ihm gebührende Platz.
Unser herzlicher Dank geht an alle bei diesem Projekt mit
viel Enthusiasmus und Engagement beteiligten Musike-
rinnen und Musiker, im Speziellen an die Barockgeigerin
Chiara Banchini für ihren umfassenden Support in allen
Fragen der Feineinstellung der Instrumente.
Hans Rudolf Hösli, Geigenbauschule Brienz
Kammerton a1 unterschiedlich hoch, gegenwärtige
historische Aufführungspraxis oft 415 Hz
Saitenlängen nicht einheitlich, stehen aber oft in direktem
Kontext zu den Korpusmassen und -proportionen
Blanke und einfach umsponnene Darmsaiten
Barocke, oft auch schlichte Wirbelmodelle
Verschiedene Hals-Korpus-Verbindungen:
– Hals stumpf auf Korpus gesetzt, geleimt und genagelt
– im Halsstock vernutete (gesteckte) und verkeilte Zargen
Mit Hartholz furniertes Griffbrett mit Weichholzkern,
allenfalls dekoriert, im Frühbarock deutlich kürzer als
im 18. Jahrhundert
Barocke, ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch klassische Stegmodelle
Proportionierter Saitenhalter zum Griffbrett passend,
allenfalls dekoriert
Hängelsaite: Darm, selten Draht
Im Korpusinnern: stark variierende Bassbalkenlängen mit geringerer
Masse; verschiedene Stimmstockmasse und -positionen
Barock
Barock
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Kammerton a1 im 19. Jahrhundert um 430 Hz,
ab 1939 440 Hz, heute in vielen Orchestern 442 – 444 Hz
Auf 327/8 mm geeichte Saitenlänge, ohne Berücksichtigung der
ursprünglichen Proportionen des Instruments
Vorerst blanke und einfach umsponnene Darmsaiten,
ab ca. 1900 auch blanke Stahl- und umsponnene Stahlkernsaiten und
ab ca. 1950 auch umsponnene Saiten mit Kunststoffkern
Verschiedene Wirbelmodelle, historisierende Formen
Verbreitet standardisierte Halsverbindung:
– Hals in Korpus (Oberklotz) eingesetzt und geleimt
– barocke Verbindungen werden aber bis ins 20. Jahrhundert angewendet
Massives, in der Länge standardisiertes Ebenholzgriffbrett,
an einfachen (billigen) Instrumenten auch gefärbte Hölzer
Klassische, moderne Stegmodelle
Klassischer, dann standardisierter Saitenhalter (wenige Grössen),
im Zusammenhang mit Stahlsaiten auch mit Feinstimmern
Hängelsaite: Darm, Stahl, Kunststoff
Im Korpusinnern: geringere Variationsbreite der Bassbalkenmasse, meist mit
Vorspannung eingepasst; eingegrenzte Stimmstockmasse und -positionen
Klassik
Klassik
Romantik
Romantik
Moderne
Moderne
Burgergemeinde Bern
Die Burgergemeinde Bern freut sich ganz besonders über
das gelungene Gemeinschaftswerk «Projekt CAMERATA
BERN», sind doch sowohl die Stiftung Geigenbauschu-
le Brienz (2001) wie auch die Stiftung CAMERATA BERN
(1988 erster Preisträger überhaupt) mit dem Kulturpreis
der Burgergemeinde Bern ausgezeichnet worden.
Dank dem gemeinsamen Zusammenwirken der Stiftun-
gen CAMERATA BERN, der Geigenbauschule Brienz,
der Hans und Verena Krebs Stiftung sowie der Burger-
gemeinde Bern mit ihren Gesellschaften und Zünften
konnte ein Projekt realisiert werden, welches im Allein-
gang kaum möglich gewesen wäre. Ein schönes Beispiel,
welches zeigt, dass sich mit vereinten Kräften grossartige
Werke realisieren lassen, welche weit über Stadt und Re-
gion Bern hinausstrahlen. Zusammen sind wir stark!
Das Projekt «CAMERATA BERN» passt zudem bestens in
die Kulturstrategie der Burgergemeinde Bern, welche
neben der breiten, niederschwelligen Finanzierung von
Kulturprojekten ganz gezielt auch längerfristige Enga-
gements mit «Leuchtturmcharakter» eingeht und damit
eine nachhaltige Entwicklung des Kulturplatzes Bern
unterstützt.
Freuen wir uns am Zusammenspiel von hochqualifi-
ziertem Handwerk und hochqualifizierter Streichmusik,
präsentiert durch die Geigenbauschule Brienz und die
CAMERATA BERN. – Chapeau!
Rolf Dähler, Burgergemeindepräsident
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Geigen, Bratschen und Celli erhielten im Laufe der Zeit oft Beinamen, die sich
auf deren Geschichte beziehen, z.B. auf den einstigen Auftraggeber oder ei-
nen renommierten Interpreten, der das Instrument besass. Die Geige mit dem
Namen «Violon du Diable» wurde 1734 von Giuseppe Guarneri del Gesù in
Cremona gefertigt. Sie stand für die auf dieser Seite gezeigte Violine Modell.
Der Name nimmt offensichtlich auf einen «Teufelsgeiger» Bezug.
Hinter jedem Instrument des «Projekts CAMERATA BERN» steht eine Berner
Zunft oder Gesellschaft als Patin, worauf mit dem jeweiligen Wappen auf dem
Ahornboden verwiesen wird. Der Gepfl ogenheit folgend sprechen wir hier
nun also von der «Distelzwang».
Gesellschaft zum Distelzwang
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Für die Geige «Pfi stern» hielten wir uns an die Vorlage der «King Joseph»,
die 1737 vom selben Vertreter der Guarneri-Familie gebaut wurde wie das
Vorbild «Violon du Diable», der vorgängig erwähnten «Distelzwang».
Wie die anderen zum CAMERATA BERN-Ensemble gehörenden Instrumente
wurde die «Pfi stern» aber nicht einfach kopiert – vielmehr wurden Guarneri del
Gesùs Instrumente aus derselben Arbeitsperiode analysiert und die daraus
resultierenden Erkenntnisse in Kombination mit dem heute gesicherten Wis-
sen über die Arbeitsweise und die verwendeten Materialien im Cremona des
17. und frühen 18. Jahrhunderts in der Planung, Gestaltung und im Nachbau
berücksichtigt.
Gesellschaft zu Pfi stern
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Die «Mittellöwen» orientiert sich an Geigen aus der «goldenen» Arbeitsperio-
de von Antonio Stradivari, die allgemein zwischen 1700 –1720 angesetzt wird.
Die Arbeiten aus der Stradivari-Werkstatt – es arbeiteten immer auch Gesel-
len und Lernende mit – beeinfl ussten schon die Zeitgenossen im Umfeld des
Cremoneser Geigenbaus. Antonio Stradivari seinerseits führte und prägte
seine Werkstatt über 60 Jahre lang aktiv. Er konnte sich dabei auf eine bereits
100 Jahre alte Tradition abstützen, die vorweg von der Amati-Familie be-
stimmt wurde. Ebenfalls einer alten Tradition folgend, verwendeten wir für die
Decke der hier abgebildeten Geige gewässertes Holz. Speziell ausgewähltes,
unter günstigen Umständen gefälltes und gelagertes Holz bringt nach ge-
konnter Verarbeitung besonders gute Klangresultate.
Gesellschaft zu Mittellöwen
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Die Geige «Webern» ist ebenfalls einem Instrument aus der Stradivari-Werk-
statt verpfl ichtet. Das Vorbild «Oppenheim» entstand im Jahre 1716. Wie in
der Barockzeit verbreitet, ist dieses Modell nach genau eingehaltenen, ganz-
zahligen Proportionen konzipiert: Im Korpusinnern nachgemessen, beträgt
die Länge 1 Fuss und die obere maximale Breite ½ Fuss, was ins Verhältnis ge-
setzt der Proportion 2:1 entspricht. In der Musik wird diese Proportion Oktave
genannt. Dieselbe Proportion bildet auch die maximale untere Breite mit der
geringsten Breite in der Taille. Die obere maximale Breite verglichen mit der
unteren maximalen Breite entspricht dem Verhältnis 4:5, was in der Musik als
grosse Terz ertönt. Erkennbare geometrische Konstruktionen beziehen sich in
der Barockzeit bei Streichinstrumenten auf den Korpusinnenraum.
Zunft zu Webern
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Vergleichbar dem Schuh, der zur Herstellung über einen Leisten (das Modell)
gezogen wird, fertigten viele barocke Instrumentenmacher ihre Geigen, Brat-
schen und Celli über Formbretter, die demzufolge den Innenraum der Reso-
nanzkörper in den Hauptmassen defi nierten. Nach dieser Methode sind alle In-
strumente des CAMERATA BERN-Ensembles gebaut. Zu jedem Modell eines
Instruments gehört die entsprechende Form. Vom Über-einen-Leisten-ziehen
kann also im barocken Geigenbau nicht gesprochen werden. Jedes Modell hat
seine abweichenden Masse, allerdings stets innerhalb seiner in sich stimmigen
Proportionen. Das Konstruieren und Gestalten mit Masseinheiten, die sich auf
den menschlichen Körper bezogen (Elle/coudée, Fuss/pied, Zoll/pouce), wa-
ren im barocken Geigenbau das Übliche.
Gesellschaft zu Schuhmachern
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Die Geigen «Mohren» und «Pfi stern» wurden auf derselben Form gebaut.
Trotzdem sehen sie auch für den Laien verschieden aus. Der Saitenhalter der
«Mohren» ist aus naturbelassenem Ahornholz – auch dieser ist übrigens zur
gesamten Komposition passend proportional gestaltet. Bei der Geige «Pfi s-
tern» wurde der Ahornkern des Saitenhalters mit einem Sägefurnier aus Eben-
holz belegt und zusätzlich mit einer Einlage verziert. Die Böden der beiden
Geigen sind zwar beide aus Bergahorn gefertigt, bei der «Pfi stern» allerdings
aus zwei radialgeschnittenen zusammengefügten Brettern, der einteilige Bo-
den der «Mohren» ist im Tangentialschnitt aus dem Stamm gesägt worden,
was sich im Holzbild wiederspiegelt.
Zunft zum Mohren
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Die «Schiffl euten» und die Geige der Burgergesellschaft sind Schwestern und
einem Modell des Venezianers Sanctus Seraphin aus dem Jahre 1733 nach-
empfunden. Für beide Instrumente wurde Holz von denselben zwei Baum-
stämmen verwendet. Die Fichte für die Decken wuchs von ca. 1820 – 2002
im Bauwald ob Brienz und der Bergahorn für die restlichen Teile der beiden
Geigenkörper in Bosnien. Auf den Böden und Zargen lässt sich die Verwandt-
schaft an der Flammenzeichnung beobachten. Einer barocken Spielerei fol-
gend sind die für Wirbel, Griffbrett und Saitenhalter verwendeten Materialien
(Buchsbaum, Ebenholz) bei den beiden Violinen «Schiffl euten» und «Burger-
gesellschaft» übers Kreuz angeordnet.
Gesellschaft zu Schiffl euten
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Wie schon bei der «Schiffl euten» erwähnt, wurden für die Schwestergeigen
Materialien aus denselben zwei Baumstämmen verwendet. Die Decke der
«Schiffl euten» wurde allerdings einer mehrwöchigen Wasserlagerung unterzo-
gen, während die der Burgergesellschaft direkt im Holzlager heranreifte. Die
beiden Instrumente gehören zum «Projekt CAMERATA BERN» und auch zu
einem Forschungsprojekt, bei dem wir mehr über die Auswirkungen der Was-
serlagerung erfahren möchten. Zwillingsinstrumente, wie die beiden hier er-
wähnten, geben den Praktikern (Geigenbauern und Musikern) über den Klang
und das Spielverhalten – erfahrbar über die eigenen Sinneswahrnehmungen
– vergleichbare Rückmeldungen. Holzwissenschafter werden mit analytischen
Methoden die unterschiedlich gelagerten Fichtendecken untersuchen.
Burgergesellschaft Bern
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Hans und Verena Krebs Stiftung
Die Hans und Verena Krebs Stiftung, 2004 aus dem
Nachlass des Berner Architekten Hans Krebs und seiner
vorverstorbenen Ehefrau Verena gegründet, bezweckt
ausschliesslich «die Unterstützung und Förderung der
gemeinnützigen Stiftung Geigenbauschule Brienz».
Im Herbst 2010 entstand aus einem Gedankenaustausch
von Vertretern der beiden vorgenannten Stiftungen fol-
gende, auf einem früheren, höfischen Brauch basierende
Idee: Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der CAME-
RATA BERN schenken ihr die Gesellschaften und Zünfte
der Burgergemeinde Bern 14 Barock-Instrumente, wel-
che von der Geigenbauschule Brienz speziell für dieses
Jubiläum gebaut und mit den Wappen der Gesellschaf-
ten und Zünfte versehen werden. In die Finanzierung
teilen sich die Gesellschaften und Zünfte der Berner
Burgergemeinde zusammen mit der Hans und Verena
Krebs Stiftung. Die Kosten für die feierliche Übergabe
der Instrumente teilen sich die CAMERATA BERN und
die Burgergemeinde Bern.
Die rasche und begeisterte Zustimmung aller Beteiligten
zu diesem Projekt war überwältigend. Die von den Musi-
kern als hervorragend eingestuften Instrumente sind der
Beweis für die Leistungsfähigkeit der Geigenbauschule
Brienz auf höchstem Niveau. Es bleibt an dieser Stelle,
allen Beteiligten den Dank für die Unterstützung bei der
Umsetzung dieses spannenden Projektes auszusprechen.
Guido Albisetti, Präsident des Stiftungsrates
der Hans und Verena Krebs Stiftung 23
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Die «Schmieden»-Bratsche stützt sich auf eine Vorlage der Gebrüder Ama-
ti aus dem frühen 17. Jahrhundert ab. Sie gehört mit der «Zimmerleuten»
zusammen zu den beiden grösseren Vertretern der Alt-Stimmen. Um einen
reichhaltigen Klang des Bratschenregisters zu erreichen, kombiniert man ger-
ne verschieden grosse Instrumente miteinander. Während kleinere Bratschen
in ihrer Klangfarbe eher an das Geigenregister anschliessen, schlagen die
grösseren Instrumente klanglich den Bogen zum Bassregister, den Celli und
dem Kontrabass. Auffallend sind die klein gehaltenen F-Löcher auf der De-
cke. Sie tragen in ihrer Funktion, neben den voll gehaltenen Wölbungen von
Boden und Decke, zur erstaunlich ausgeprägten Kraft der tieferen Saiten bei.
Zunftgesellschaft zu Schmieden
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Carlo Antonio Testore schuf um 1740 in Mailand die Vorlage zur «Kaufl euten»-
Bratsche. Dieses handliche Modell der Alt-Stimmlage ist unter Musikerinnen
und Musikern weitherum beliebt. Während einfachere Mailänder Instrumente
oft am Boden anstelle einer schmückenden Randeinlage nur zwei mit einem
Messer angerissene und mit Lack gefüllte Zierkerben aufweisen, haben wir die
«Kaufl euten» gleichwertig den andern Bratschen mit Einlagespänen versehen.
Dreiteilige Zierspäne in schwarz-weiss-schwarzer Ausführung aus gefärbtem
Birnbaum- und Ahorn- oder Pappelholz schmücken alle Decken und Böden
der Geigen, Bratschen und Celli, beim Kontrabass hingegen nur die Decke.
Gesellschaft zu Kaufl euten
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Die Geigenbauer wären im Bern des 17. und 18. Jahrhunderts wohl auf der
Stube der Zimmerleute heimisch gewesen – allerdings sind zu dieser Zeit in
Bern keine Geigenbauer bekannt. Die Zunftregeln schreiben vielerorts bis in
Kleinigkeiten hinein den Alltag der Handwerker vor. So erlaubten sie z.B. den
Geigenbauern den Erwerb von professionell hergestelltem, hochwertigem
Leim und auch geschmiedeten Nägeln, die sie bei der Ausübung ihres Hand-
werks neben dem Holz benötigten. Im barocken Geigenbau fi xieren zusätzlich
zur Leimverbindung oft mehrere Nägel den Korpus mit dem Geigenhals. Die
Form für die Bratsche «Zimmerleuten» wurde nach einem wenig bekannten
Modell von Giacomo Gennaro, einem Schüler von Nicola Amati, mit Zirkel
und Lineal konstruiert (Methode nach François Denis).
Gesellschaft zu Zimmerleuten
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Stiftung Geigenbauschule Brienz
Die Geigenbauschule Brienz – 1944 als private Schule ge-
gründet, später vom Kanton Bern geführt – wird seit 1998
von einer privaten Stiftung getragen. Die vierjährige Aus-
bildung an der einzigen schweizerischen Schule für Gei-
genbau verbindet von Anfang an Handwerk und Theorie.
Das Angebot wurde in den letzten Jahren durch einen Re-
staurierungskurs (Teil der Grundausbildung) und Weiter-
bildungskurse im Sommer erweitert. Eigenes Musizieren
und Musikunterricht sind Teil der Ausbildung. Die grosse
Nachfrage nach den Ausbildungsplätzen und die Tatsa-
che, dass die Ausgebildeten Arbeitsplätze finden, zeugen
für den Erfolg der Schule. Sie trägt auch zum kulturellen
Leben im Berner Oberland bei. Mit der Musikfestwoche
Meiringen besteht eine enge Zusammenarbeit. Am Eröff-
nungskonzert verleiht die Stiftung jeweils den Goldenen
Bogen als Auszeichnung für international hervorragende
Musikerinnen und Musiker, die sich um die Streichinstru-
mente verdient gemacht haben.
Das 50-jährige Jubiläum der CAMERATA BERN weckte
die Idee, dieses hervorragende Kammerorchester, das seit
den Anfängen auch alte Musik besonders pflegt, mit nach-
gebauten Instrumenten in barocker Bauweise auszurüsten.
Für die Schülerinnen und Schüler der Geigenbauschule
ergab sich dabei die erfreuliche Möglichkeit, sich vertieft
mit dem barocken Geigenbau zu beschäftigen, der heute
aus der Berufspraxis kaum mehr wegzudenken ist. Den In-
stitutionen, welche dieses Vorhaben ermöglicht haben, sei
hier ein grosser Dank der Schule ausgesprochen.
Prof. Dr. phil. Hellmut Thomke, Präsident
der Stiftung Geigenbauschule Brienz
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Auch das Cello «Metzgern» ist nach alten Konstruktionsregeln entworfen, hier
in Anlehnung an ein Modell von Antonio Stradivari. Dieser Meister unserer
Zunft liess nichts unbeachtet. Alles, was sich klanglich bewährte, brachte er
auch optisch in harmonischen Einklang. So kann bei ihm nachvollzogen wer-
den, wie er an seinen Modellen über Jahre hinweg Veränderungen vornahm.
Alle seine Innovationen können funktionell begründet werden: Masseingren-
zungen, Proportionen, Positionierung und Ausgestaltung der Ecken, Lage
und Grösse der F-Löcher, Wölbungstypen von Decke und Boden, Zargenhö-
hen usw. Auch wir ordneten uns diesem Denken unter. So stehen z. B. Seiten-
länge, Griffbrett, Seitenhalter und Bassbalken (im Innern des Korpus) in ganz
bestimmten Proportionen zueinander (modulares Messen).
Zunftgesellschaft zu Metzgern
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Die Celli «Affen» und «Metzgern» wurden kurz nacheinander auf derselben
Form gebaut. Auch in den Ausmessungen der Holzstärken von Decke und Bo-
den sowie der Zargendicken ähneln sich die beiden Instrumente wie zwei Ge-
schwister. Im Lackbild sind sie allerdings, was die farbliche Erscheinung und
auch die Schichtdicke betrifft, bewusst verschieden gestaltet. Mit Grundie-
rung und Lack, ja mit allen Massnahmen im Bereich der Oberfl ächenbehand-
lung beeinfl usst man bei Streichinstrumenten auch den Klang. Die Erfahrung
lehrt uns, welche Grundierung, welcher Lack mit entsprechender Schichtdicke
(wenige Zehntelmillimeter) sich bewähren wird. Primär schützt der Lack das
Instrument aber vor klimatischen Einfl üssen, und zudem schmückt er auch –
ein Lackaffe ist das «Affen» aber keineswegs.
Zunftgesellschaft zum Affen
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Gesellschaft zu Ober-Gerwern
Wie die Zwillingsgeigen nach Sanctus Seraphin widerspiegelt auch der Kont-
rabass nach einem Modell von Lorenzo Carcassi aus Florenz Eigenheiten der
deutschen Tradition. Der Kontrabass ist nicht einfach eine Geige, sondern ein
Zwitter zwischen der Geigen- und der Gambenfamilie. So sind der fl ache Kor-
pusboden mit Knick zum Halsstock hin, der in den Hals hinein verlaufende
Korpusumriss und die einfach ausgebildeten Ecken des Klangkörpers typisch
für den Gambenbau sowie, in diesem Fall in einigen handwerklichen Details,
für den deutschen Instrumentenbau. Die Stimmung der Saiten in Quartab-
ständen ist, im Gegensatz zu der Quintstimmung der Geigen, Bratschen und
Celli, ebenfalls gambentypisch. Hingegen gehören die F-Löcher und die
Schnecke am Ende des Wirbelkastens in die Formensprache der Violinfamilie.
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CAMERATA BERN
Im Jahr 1962 gründeten Studierende des Konservato-
riums Bern ein flexibles Kammer-Ensemble, das von
seiner Konzertmeisterin/seinem Konzertmeister gelei-
tet wird. Unter der Führung von Alexander van Wijn-
koop (1962 – 1978), Thomas Füri (1979 – 1993), Ana
Chumachenko, Daniel Zisman und Thomas Zehetmair
(1993 – 1999), Erich Höbarth (2000 – 2009) sowie Antje
Weithaas (seit 2009) hat sich das Ensemble in diesen
fünfzig Jahren zu einem international anerkannten Kam-
merorchester und unersetzlichen Akteur in der Berner
Kulturszene entwickelt.
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Unzählige Tourneen und Gastspiele führen die CAME-
RATA BERN um die Welt; mehr als 50 Schallplatten- und
CD-Einspielungen dokumentieren die grosse Stilsicher-
heit in der Interpretation von Werken aller Epochen. Da-
bei ist die Barockmusik immer ein zentrales Anliegen des
Ensembles; seine Einspielungen von Werken Jan Dismas
Zelenkas gelten heute noch als Meilensteine in der Wie-
derbelebung der Musik des 18. Jahrhunderts.
Um mit der Dynamik des modernen Konzertlebens Schritt
zu halten, ist heute eine vertiefte Auseinandersetzung
mit der historischen Aufführungspraxis unabdingbar. Die
Beschäftigung mit den entsprechenden Instrumenten
nach barocken Vorbildern bedeutet für jedes Ensemble-
mitglied sowie für das Ensemble als Klangkörper einen
weiteren Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung.
Die ausserordentlich grosszügige Schenkung der Berner
Gesellschaften und Zünfte, der Burgergemeinde, der
Hans und Verena Krebs Stiftung zusammen mit der Stif-
tung Geigenbauschule Brienz an die CAMERATA BERN
ist einerseits ein Tribut an die glänzende Vergangenheit
des Ensembles, aber auch ein Impuls, ihre Zukunft mit fri-
schen künstlerischen Perspektiven zu gestalten. Die Musi-
kerinnen und Musiker der CAMERATA BERN danken den
schenkenden Institutionen und den ausführenden Instru-
mentenbauern der Geigenbauschule Brienz herzlich für
dieses grossartige Jubiläumsgeschenk, das nun hoffent-
lich die nächsten 50 Jahre des Ensembles prägen wird.
Madeleine von Büren, Präsidentin
der Stiftung CAMERATA BERN
Louis Dupras, Direktor der CAMERATA BERN
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Simon Glaus lernte das Handwerk an
der Geigenbauschule Brienz. Seine
Wanderjahre führten ihn nach Berlin
in die Firma Emil Pliverics & Sohn,
nach Holland zu Wilhelm Bouman in
Den Haag und nach Zürich in die Fir-
ma Musik Hug, wo er Werkstattchef
war. 1985 bestand er mit Erfolg die
schweizerische Meisterprüfung und
1986 erfolgte die Wahl zum Fachleh-
rer an der Geigenbauschule Brienz,
wo er seither praktischen Geigen-
bau und auch theoretische Fächer
unterrichtet. Neben der Unterrichts-
tätigkeit entstanden immer wieder
auch eigene Instrumente – Geigen,
Bratschen und Celli.
Marc Soubeyran lernte gleichzeitig
mit Hans Rudolf Hösli in Brienz.
Nach der Lehre zog er nach London
in die Firma Edward Withers Ltd. Un-
ter der Leitung von Dietrich Kessler
baute er Gamben, die meisten mit
gebogenen Decken nach einer wie-
derentdeckten alten Technik, und
vertiefte sich ins Herrichten alter
Instrumente – entsprechend ihrer
Epoche. 1987 wechselte er in die
Selbständigkeit. In diese Zeit fällt
auch die Gründung der British Violin
Making Association (BVMA), deren
erster Präsident er war. 2001 zog er
ins Landstädtchen Ludlow nahe der
walisischen Grenze. Er gilt heute als
profunder Kenner rund um das Ein-
stellen alter Instrumente.
Hans Rudolf Hösli ist Lehrer und
Geigenbauer. Nach der Meisterprü-
fung vertiefte er sich am Istituto
Svizzero di Roma in die Denkweise
und Arbeitstechniken des barocken
Geigenbaus und verglich diese mit
parallel verlaufenden Ansätzen in
der Architektur. Nach 15 Jahren Selb-
ständigkeit erfolgte 1996 die Wahl
zum Schulleiter der Geigenbauschu-
le Brienz. Bis heute entstanden unter
seinen Händen und seiner Anleitung
zahlreiche Instrumente der Geigen-
familie in barocker und moderner
Konzeption. Der Geigenbau – auf
der Schnittstelle von Physik, Musik,
Handwerk und Gestaltung – übt bis
heute eine unverminderte Faszinati-
on auf ihn aus.
Die Macher – Lernende und Meister
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