GEHIRN UND TRAUMA Bewältigungsstrategien in Krisen · Dissoziation Biologisch angelegte (gesunde)...

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GEHIRN UND TRAUMA Bewältigungsstrategien

in Krisen

©ingrid lutz www.theatertherapie.org-

Übersicht

•  Begriffsklärungen•  Traumafolgereaktionen

•  GehirnphysiologischeZusammenhänge

•  BasicPh�einModellmenschlicherBewältigungsstrategieninKrisen

•  KreativeundressourcenorientierterAnsätzeinderArbeitmitTraumatisierten

©ingrid lutz

WasisteinTrauma?

TraumatischeErlebnissesindErfahrungenextremerHilflosigkeit,bestehendeBewältigungsmechanismenversagen,diebisherigePersönlichkeitsstruktur,jadiebisherigeWelt,brichtzusammen.NacheinersolchenErfahrungistesabsolutnatürlich,dasskörperlicheundpsychischeFunktionen„verrückt“spielen.

ObdiesestraumatischeErlebnisdannzueinerTraumatisierungführt,hängtabvon:

-  derIntensitätbzw.derDauerundWiederholungdesErlebnisses,

-  dersozialenUmgebung

-  derPersönlichkeitsstrukturdesBetroffenen

-  undderEntwicklungsphase,inderdasEreigniseintritt.©ingrid lutz

Quelle: Das Kind und seine Befreiung vom Schatten der großen, großen Angst - Ein Bilderbuch von Susanne Stein, www.susannestein.de

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Traumafolgereaktionen

entstehenineinemfürdasunmittelbareÜberlebenabsolut„sinnvollen“ProzessangesichtseinesGeschehens,dasalsübermächtigundKörperundSeeleexistentiellbedrohenderlebtwirdundsind

„normale“Reaktionenaufeine„un-normale“Situation!!•  DissoziationoderTeilamnesien

•  Flashbacks,abgespaltenetraumatischeErinnerungen(Bilder,Empfindungen)werden–durchbestimmteSchlüsselreizeausgelöst–plötzlichinsBewußtseinfreigegeben

•  Hyperarousal:ständige„Hab-acht“-Haltung/“inAlarmsein“,Erschreckbarkeit,manchmalvermehrteWut

•  SchlafstörungendeswegenundausAngstvorFlashbacks•  ExtremesVermeidungsverhalten:vonGedankenund

Gefühlen,desTraumaortes,vonBerührungen,sozialenKontakten,nichtmehrausdemHausgehen

•  emotionaleTaubheit,Apathie©ingrid lutz

Dissoziation

Biologischangelegte(gesunde)Schutz-Reaktion

desmenschlichenBewusstseins,beiÜberforderunginTrancezufallen(übrigensauchbeirepetitiverWiederholung)mitdiesenSymptomen:•  Amnesie:keinenZugangmehrzuErinnerungenzuhaben,vollkommener„Filmriss“,z.B.nichtmehrwissen,wiemaneinenOrtgekommenist

•  Depersonalisationserscheinungen/TrennungvomKörper(outofbody-experience):sichnichtmehrmitsichselbstbzw.seinemKörperidentifizierenkönnen

•  Analgesie:SchutzvorSchmerzen©ingrid lutz

Flashbacks

•  durchoftharmloseAuslöser(z.B.Geruch,Musik,Gegenstände,dunklerWeg,Aufzugkabine,Blicke/VerhaltensweisenandererMenschen)könnentraumatischeEmpfindungenwiePanikundexistenzielleHilflosigkeit,manchmalinVerbindungmitkonkretenErinnerungen,plötzlichaktiviertwerden.GrundsätzlichkannjedesGefühltraumatischeÄngsteoderErinnerungenauslösen;häufigeAnlässesindauchAnfangoderEndeeinerBeziehung,zwischenmenschlicheKonflike,unübersichtlicheMenschenansammlungen,bestimmteFernsehsendungensowiejedeandereFormvonStreß.

•  DieoderderBetroffenestecktdannemotionalinderdamaligenSituationfestundkannsichausdiesemEmpfindenoftnichtauseigenemWillenbefreien. ©ingrid lutz

PosttraumatischeBelastungsstörung

•  WenndieTraumafolgesymptomelängerwie4-6Wochenanhalten,sprichtmanvoneinerposttraumatischenBelastungsstörung

•  wenndieselängerals6Monatebestehenbleibt,voneinerchronifiziertenposttraumatischenBelastungsstörung

DiesenZustandbeschreibtPierreJANETbereits1919,nachdem1.Weltkrieg:„DieBetroffenenverlierendieFähigkeit,neueErfahrungenaufzunehmen,(...)alsobihrePersönlichkeitendgültiganeinerbestimmtenStelleangehaltenhätteundsichnichtweiterentwickelnkönnte,indemsieneueElementehinzufügtoderintegriert“

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PTBS-Symptome•Konzentrations-undGedächtnisstörungen•DissoziativeSymptome(negativeundpositive)•Angst/Panikattacken•Affekt-undImpulsregulationsstörung•GefühlzumKörper/zusichselbstverlorenzuhaben•Somatisierung•SozialerRückzug•AusgeprägtesKontrollbedürfnis,Zwangsdenken•Beziehungsstörung(PhobiehinsichtlichBindungundBindungsverlust)•VeränderungderLebenseinstellung•Suizidalität ©ingrid lutz

ErweiterterTraumabegriff:KomplexeTraumatisierung

Nijenhuis,vanderHaart,Steele(2008)"DasverfolgteSelbst.StrukturelleDissoziationunddieBehandlungchronischerTraumatisierung"

WennjemandinderKindheit(oderspäter,z.B.beiFolteroderKrieg)

•  wiederholtSituationenemotionaleroderphysischerGewaltoderVernachlässigungausgesetztwar

•  ZeugeeinessolchenGeschehenswurdeoder•  wiederholtvorsätzlichundohneersichtlichenGrundentwertet,gedemütigtoderangeschrienwurde,

entwickeltsicheinestrukturelleDissoziation:

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StrukturelleDissoziationSeelischeSpaltungderPersönlichkeit

ANP-anscheinendnormalerPersönlichkeitsanteilEmotionaleTaubheitHandlungssystem:Alltag

}VermeidettraumatischeErinnerung

}Arbeit,Sport}Fürsorgefürandere

}Sprache,Lernen}InderGegenwart

}ZwanghafteKontrolliertheit}Sucht

}Arterhaltung

EP-emotionalerPersönlichkeitsanteilEmotionalesWiedererlebendesTraumasHandlungssystem:Abwehr/Vermeidung

}FixiertauftraumatischesEreignis

}BedürfnisnachBindung/Schutz,wehrtdasgleichzeitigab

}DesorientiertinOrtundZeit

}Angst,Terror,Schrecken,Ausgeliefertsein,Unterwerfung

}ArchaischeWut

}Individuelles(seelisches)Überleben ©ingrid lutz

LaßtmichbloßinRuhe

LasstmichbloßinRuhe

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GehirnphysiologischeZusammenhänge

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DieneuronaleSteuerungpsycho-/physischerVerhaltensreaktionen

2grundsätzlicheFormen:

-  überdieAMYGDALA(Notfall-undAlarmsystem),zuständigfürquasiinstinktive„Überlebens“-Reaktionen.BeieinerauchnurschemenhaftenWahrnehmungvonabgespeicherterGefahr/Druck/AngstaktiviertdieAmygdalainnerhalbvon200MillisekundendieautomatisierteundvomBewusstseinnichtsteuerbarephysiologischeAngstreaktionenFlucht,AngriffoderErstarrung

-  überdenHIPPOCAMPUS(dasKontextsystem),dieSchaltstellezwischendemlimbischenSystem(„Gefühlssystem“)unddemGroßhirn-zurReaktionsbildungkanndiedortgesammelteDatenbankbisherigerErfahrungenunddiekognitivenGehirnfunktionenaktiviertwerden.Neue(kreative!)unddergegenwärtigenSituationangemesseneReaktionensindmöglich.

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ImTeufelskreisDieunwillkürlicheAngst-/StressreaktionwirdimemotionalenGedächtnisderAmygdalagespeichert

à  umsoöfterdiephysiologischeAngst-/Aggressionsreaktionabgerufenwirdumsoschnellerläuftsieab,

à  undumsowenigerwirdderHippocampusaktiviert.

HäufigerAbrufderautomatisiertenAmygdala-Reaktion,bewirkteinenSchrumpfungsprozessdesHippocampus(Amygdalawirdnichttangiert).DieMöglichkeit,überdenHippocampusandereGehirnfunktionenundReaktionsmöglichkeitenzuerreichen,wirdimmergeringer.

NachweisediesesProzessesbspw.beiunbewältigtemchronischenStress,schwerenDepressionenoderposttraumatischenBelastungsstörungen(z.B.beiUntersuchungenvonVietnamveteranen)....

=Stressempfindlichkeiterhöht,Bewältigungsmöglichkeitengleichzeitigreduziert.Beimanchen-z.B.Soldaten/FlüchtlingenwirddannauchdiegespeicherteunbändigeWutaktiviertundausagiert.

EinebewussteVerhaltenssteuerungistsonichtbzw.nursehreingeschränktmöglich! ©ingrid lutz

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„resilire“=zurückspringen,abprallen,inseinenursprünglichenZustandzurückkehren(physikalischfürMaterialien),d.h.,elastischundflexibelaufäußereEinflüssezureagieren!

AlsResilienzwirddieFähigkeitbezeichnet,krisenhafteundtraumatischeEreignissezubewältigen

DieseFähigkeitistnichtangeboren,sondernerworbenundveränderbar!

WiekanndieseFähigkeitgestärktundweiterentwickeltwerden?

à Resilienzforschung:WichtigsteFaktoren:

-  mind.eineliebevolleBezugsperson

-  Selbstwirksamkeitsüberzeugung

-  Selbstberuhigung=Gefühlszuständeregulierenkönnen

-  SozialeKompetenzen,ggf.Hilfeholenkönnen©ingrid lutz

àCopingmodell„BasicPh“

•  EntwickeltvonProf.MooliLahad,PsychologeundDramatherapeut

•  BasiertaufbestehendenUntersuchungenweltweit

•  Identifiziert6entscheidendeStrategienfürdieEntwicklungundStärkungpsychischerWiderstandskraft

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Basic Ph – Ein integratives Modell menschlicher Bewältigungsstrategien in Krisen

entwickelt von M. Lahad, Israel

elief

Bedeutung

ffect

Ausdruck

ocial

Soziale Interaktion

magination

Imagination

ognition

Kognition

hysical

Physisches Vermögen

Fähigkeit, Situationen

Bedeutung zu geben

Fähigkeit, Gefühle

auszudrücken

Fähigkeit, sich als Teil von sozialen

Gruppen zu verstehen und

diese zu nutzen

Phantasie und Vorstellungskraft

nutzen

Denken und Informationen

nutzen

Körperliche Fähigkeiten

nutzen

� Überzeugungen � Haltungen � Werte � Glauben � Sinn � Religion � Moralvorstellun-

gen � Ideale

� Emotionaler Ausdruck

� Sich Luft machen � Akzeptanz � Annahme � Benennung von

Gefühlen � Zuhören können

� Fähigkeit zu Kommunikation und sozialer Interaktion

� Soziale Unterstützung einholen

� In der Gruppe Rollen finden und erfüllen

� Kreativität (Intuition, Humor): Spiel, Künste

� ‚So tun, als ob‘ � Ablenkung � Verwandlung von

Bedrohung in Abenteuer

� Symbole � Phantasiewelten

� Kognitive Bearbeitung: Analysieren, Einordnen, Informationen einholen

� Prioritäten setzen � Rationales

Denken und Planen

� Problemlösung

� Körperliche Aktionen: Sport, Spiel, Essen, Arbeit, Aktivitäten

� Sich beschäftigen � Bewegung (bis

zur Erschöpfung) � Entspannung � Atemübungen � Signale des

Körpers erkennen

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“BasicPh”-Puppenspiel-ProjektfürVorschulkinder(SmadarCooper-Caesari,CreativeArtsTherapiesResearchCenter,HaifaUniversity)

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Quelle:barleben-handspielpuppen.de Quelle:kohlverlag.de

...weitereBewältigungsstrategien...

àWaskannwerbesondersgut?

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6–Bilder-GeschichtezurDiagnoseundInterventionsplanung

•  Held/Heldinund

KontextderGeschichte

•  Ziel/Missiondes/derHeldIn

•  Hindernisse/Gegenspieler

•  Washilft?Helfer/hilfreicheEigenschaften

•  Wasgeschieht/wasbringtdenWendepunkt

•  ErgebnisdesGeschehens/EndederGeschichte

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Zu Beginn der Resilienzforschung wurde Resilienz mit dem unrealistischen Menschenbild der „Unverletzlichkeit“ gleichgesetzt. Heute ist deutlich, daß sie sich in einem komplexen Wechselspiel zwischen Risiko- und Schutzfaktoren entfaltet, in einem Zusammenwirken von Herausforderungen (durchaus auch extremen) und einem Umfeld, in dem sich dynamische Anpassungs- und Entwicklungsprozesse vollziehen können. Zitat von Mooli Lahad: „Wir lernen nicht laufen, indem wir immer aufrecht und oben bleiben, sondern indem wir immer und immer wieder hinfallen und aufstehen!“

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Exkurs:EtablierteAnsätzederTraumabehandlung•  CBT:CognitiveBehavioralTherapy(kognitiveVerhaltenstherapie)

•  SE:SomaticExperiencing•  EMDR:EyeMovementDesensitizationandReprocessing(Augenbewegungs-DesensibilisierungundVerarbeitung)

•  PITT:PsychodynamischImaginativeTraumatherapienachLuiseReddemann:innereStabilisierungmithlfegesteuerterDissoziation

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KognitiveVerhaltenstherapie(CBT)

•  verbindetVerhaltens-undkognitiveTherapie

•  �Problem-fokussierte��Therapie

•  FokusaufspezifischeVerhaltens-veränderungen

•  Klientlernt,EntspannungstechnikenmitbelastendenStimulizuverbinden

•  Ziel:AmygdalaimGehirn�umschulen��

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SomaticExperiencing(SE)

•  BasiertaufPeterLevines(1997):WakingtheTiger

•  Levineuntersucht,wieTiereTraumabewältigen

•  FokusaufKörperreaktionen•  Ziel:dieimlimbischen

SystemgespeichertenKörpererinnerungenaktivieren

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Augenbewegungs-DesensibilisierungundVerarbeitung(EMDR)

•  EntwickeltvonDr.FrancineShapiro(1997);basiertauf�RapidEyeMovements�(REM),dienormalerweiseimSchlafwährendderVerarbeitungvonTagesereignissenauftreten

•  TherapeutsimuliertREM,indemer/siedenFingerhinundherbewegt

•  DasUnbewußtedesKlientenverarbeitetsodietraumatischeErfahrung

•  Ziel:effektiveposttraumatischeSymptomreduktion©ingrid lutz

PsychodynamischImaginativeTraumatherapie(PITT)

•  EntwickeltvonLuiseReddemann

•  3Phasen:-  StabilisierungdurchgezielteDissoziation

vonbelastendenGefühlenbeigleichzeitigerStärkunginnererKraftquellen

-  Traumabearbeitungdurchdistanz-ermöglichende„Beobachter“techniken,Konzeptder„innerenBühne“

-  Integration:mithilfevonRitualenundImaginationTrauerundVersöhnungermöglichen,Sinnfragenklären......

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DieMethode“SEEFARCBT”

Lahadetal.(2010)

§  KombinationvonCBT,SEundTheatertherapie

§  FokusaufkreativeProzesse

–aktiviertFantasieundKreativität

§  Arbeitetzusätzlichmit

“FantasticReality:” dem“als-ob”-Raum(Lahad2010,vgl.Winnicotts“Möglichkeitsraum”)

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Literatur•  ClaudiaFLISS/ClaudiaIGNEY(Hrsg.):HandbuchTraumaundDissoziation(Lengerich2008)•  ArnoGRUEN:DerWahnsinnderNormalität(München1989)•  OnnovanderHART:DiePhobievordemTraumaüberwinden(TRAUMA&GEWALTHeft01,Februar

2007,Seite58-61)•  OnnovanderHART/EllertR.S.NIJENHUIS/KathySTEELE:DasverfolgteSelbst.StrukturelleDissoziation

unddieBehandlungchronischerTraumatisierung(Paderborn2008)•  JudithL.HERMAN:DieNarbenderGewalt.TraumatischeErfahrungenverstehenundüberwinden

(Paderborn2003)•  MichaelaHUBER:TraumaunddieFolgen(=TraumaundTraumabehandlungTeil1)(Paderborn2003)•  PeterA.LEVINE:Trauma-Heilung.UnsereFähigkeit,traumatischeErfahrungenzutransformieren(Essen

1998)•  Hans-JürgenMÖLLER/GerdLAUX/ArnoDEISTER:PsychiatrieundPsychotherapie(Stuttgart²2001)•  EllertR.S.NIJENHUIS:SomatoformeDissoziation(Paderborn2007)•  EllertNIJENHUIS/OnnovanderHART/KathySTEELE:StrukturelleDissoziationder

Persönlichkeitsstruktur,traumatischerUrsprung,phobischeResiduen.In:REDDEMANN/HOFMANN/GAST,PsychotherapiederdissoziativenStörungen(2004)

•  LuiseREDDEMANN:PsychodynamischImaginativeTraumatherapie(PITT)–DasManual(Stuttgart2004)•  HaraldWETZEL:AntigonesFamilie-DerfamiliäreKreislaufumGewalt,SuchtundSuizid.In:Blümle,Ch.

(Hrsg.):Lebensbrüche(1996)•  HaraldWETZEL:SexuellerMissbrauch.In:Kleve,H.&Wirth,J.V.(Hrsg):Lexikondessystemischen

Arbeitens.GrundbegriffedersystemischenPraxis,Methodik&Theorie(2012)

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