Geschichte, Theorie und Ethik 2020...Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE) 2020 Dr. Timo...

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Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE)

2020

Dr. Timo Sauer, M. A. Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin

Klinisches Ethik-Komitee

Einführung in die medizinische Ethik

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Überblick

I.  Moral, Ethik und angewandte Ethik

II.  Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

III.  Informed Consent

IV.  Klinische Ethik vs. Forschungsethik

I. Moral, Ethik und angewandte Ethik

Moral, Ethik, angewandte Ethik Ethik und Moral

Moral (lat: mos=sitte, Gewohnheit, Charakter) ... ist die Gesamtheit der tradierten und durch Tradierung stabilisierten Verhaltensnormen einer Gesellschaft.

Ethik (gr: ethos=Charakter, Sitte, Brauch) ... ist die philosophische Reflexion auf Moral ... ist Moralphilosophie

Moral, Ethik, angewandte Ethik Ausdifferenzierungen des Ethik-Begriffs

→  nach Geltungsanspruch →  nach Methode →  nach Begründungsansatz →  nach Gegenstandsbezug

Moral, Ethik, angewandte Ethik Differenzierung nach Geltungsanspruch

→  normative Prinzipien (Anspruch auf Allgemeingültigkeit)

→  evaluative Fragen des guten Lebens (kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit)

Hintergrund: Pluralität der Lebensentwürfe

Moral, Ethik, angewandte Ethik Differenzierung nach Methode

→  deskriptive Ethik

Die deskriptive Ethik beschreibt beschreibt und analysiert vorhandene moralische Haltungen und Überzeugungen.

→  normative Ethik

Die normative Ethik begründet moralische Urteile und Einstellungen.

Moral, Ethik, angewandte Ethik Differenzierung nach Begründungsansatz

→  Deontologische Ethik →  Utilitarismus →  Tugendethik

Moral, Ethik, angewandte Ethik → Deontologische Ethik (Etymologie: Deon (gr.)= das Notwendige, die Pflicht)

Deontologische Ethiken sind Ethiken, die unbedingte Normen formulieren. Die Moralität von Handlungen wird primär im Hinblick auf die Übereinstimmung mit Normen beurteilt. (→ Pflichtethik)

Moral, Ethik, angewandte Ethik Deontologische Ethik: Immanuel Kant (1724-1804)

Der Kategorische Imperativ (Universalisierungsformel):

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

(Grundlegungen zur Metaphysik der Sitten)

Moral, Ethik, angewandte Ethik → Konsequenzialismus

Der Konsequenzialismus ist ein Überbegriff für Ansätze, die die (moralische) Richtigkeit von Handlungen nach den Konsequenzen beurteilen.

→ Utilitarismus

Moral, Ethik, angewandte Ethik Vier Elemente des Utilitarismus

1.  Die Moralität einer Handlung ergibt sich aus deren Folgen (Folgenprinzip).

2.  Die Folgen werden nach dem Nutzen beurteilt (Utilitätsprinzip).

3.  Das höchste Gut ist die Lust im Sinne des Wohlergehens (Hedonismusprinzip)

4.  Entscheidend ist nicht nur das Wohlergehen des Handelnden sondern das Wohlergehen aller Betroffenen (Aggregationsprinzip).

Moral, Ethik, angewandte Ethik Utilitarismus: Jeremy Bentham (1748-1832)

Utilitätsprinzip: Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu vermindern, um deren Interessen es geht.

(An Introduction to the Principles of Morals and Legislation)

Moral, Ethik, angewandte Ethik → Tugendethik

Tugendethik ist der Überbegriff für Ansätze, die die Kultivierung bestimmter menschlicher (Charakter-) Eigenschaften (Tugenden) zum Zwecke einer „guten“ Lebensgestaltung thematisieren.

Moral, Ethik, angewandte Ethik Tugendethik: Aristoteles (384-322 v. Chr.)

Für die Handlungsorientierung entscheidend ist die Entwicklung (u. A.) der vier Kardinaltugenden:

-  Klugheit -  Gerechtigkeit -  Tapferkeit und -  Besonnenheit.

Anschluss an die Medizinethik: Der tugendhafte Arzt, der gewohnheitsmäßig zum Wohl des Patienten handelt (Pelligrino / Thomasma 1993)

Moral, Ethik, angewandte Ethik Deontologie, Konsequenzialismus, Tugendethik

Richtig handeln bedeutet...

-  nach der Tugendethik tugendhaft, -  nach der deontologischen Ethik aus pflichtgemäß und -  nach der utilitaristischen Ethik konsequenzenorientiert

handeln.

Moral, Ethik, angewandte Ethik Differenzierung nach Gegenstandsbezug

Angewandte Ethik ist Ethik bezogen auf einen distinkten gesellschaftlichen Bereich.

→ Bereichsethiken

Klinisches Ethik-Komitee

Timo Sauer M. A

hph / FH Ludwigshafen

Moral, Ethik, angewandte Ethik

Was ist medizinische Ethik?

→  Medizinethik ist die systematische Reflexion auf moralische Fragen des Gesundheitswesens

→  Grundlage der Bearbeitung von ethisch relevanten Entscheidungskonflikten in der klinischen Praxis

→  Medizinethik ist angewandte Ethik des Gesundheitswesens

II. Prinzipienethik (Beauchamp/Childress)

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

The Principles of Biomedical Ethics (1979)

● Prinzipienethische Grundlage der Klinischen Ethik

● Prinzipien „mittlerer Reichweite“ (keine Letztbegründung)

● Einfache und gut nachvollziehbare Form!

● Enthalten in ärztlichen Ethik-Kodizees (z. B. Charta der ärztlichen Berufsethik etc).

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Die vier Prinzipien der biomedizinischen Ethik

● Fürsorgeprinzip (beneficence)

● Autonomieprinzip (autonomy)

● Nichtschadensprinzip (nonmaleficence)

● Gerechtigkeitsprinzip (justice)

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Prinzip (des Respekts vor) der Autonomie

● Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung

● Förderung der Wahrnehmung des Rechtes (Kontextsensibilität)

● Patienteneinwilligung bei medizinischen Maßnahmen („informed consent“)

● Anerkennung von Patientenverfügung / mutmaßlicher Wille bei Nichteinwilligungsfähigkeit

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Prinzip der Fürsorge

● (positive) Pflicht zur Hilfestellung

● Pflicht zur Förderung und Erhaltung der körperlichen Integrität

● Pflicht zur bestmöglichen Therapie

● Pflicht zur Lebensverlängerung

● Pflicht zur Erhaltung und Steigerung der Lebensqualität

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Das Prinzip des Nichtschadens

● (negative) Pflicht zur Schadensvermeidung

● Schaden impliziert Lebensverkürzung und Minderung der Lebensqualität

● Jeder ärztliche Eingriff ist ein „Schaden“

● Rechtfertigung durch Patientenzustimmung nötig

● Rechtfertigung durch medizinische Indikation ist nötig (Minimalinvasivität!)

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Das Prinzip der Gerechtigkeit ● Gebot der Fairness

● Keine Diskriminierung wegen der ethnischen Zugehörigkeit, wegen Geschlecht oder politischer Meinung etc.

● Verteilungsgerechtigkeit

● gleicher Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen

● faire Verteilungsmechanismen

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Typische Konflikte der medizinischen Praxis:

- Fürsorge vs. Autonomie (→ Einwilligung)

- Fürsorge vs. Nichtschaden (→ med. Indikation)

- Fürsorge/Autonomie vs. Gerechtigkeit

→ Wie können die einzelnen Prinzipien gewichtet werden?

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress)

Prinzip

Autonomie (autonomy)

Prinzip

Fürsorge (beneficence)

Prinzip

Nichtschaden (nonmaleficence)

Prinzip

Gerechtigkeit (justice)

Prinzipienethik (Beauchamp / Childress) Autonomie als „Leitprinzip“ der (westlichen)

Medizin- und Pflegeethik

-  Aus dem Autonomieprinzip folgt des Selbstbestimmungs- recht des Patienten,

-  medizinische und pflegerische Eingriffe bedürfen der Einwilligung, -  der Patient muss in die Lage versetzt werden, eine eigen-

ständige Entscheidung zu treffen (informed consent), -  das Recht auf Selbstbestimmung bleibt auch bei

dauerhafter oder vorübergehender Nichteinwilligungs-fähigkeit bestehen!

III. Informed Consent

Informed Consent

Informed Consent = Informierte Einwilligung

→  Aus dem Autonomieprinzip folgt: Die Einwilligung in medizinische Maßnahmen darf kein rein formaler Akt sein!

Definition: Informiert ist die Einwilligung dann, wenn der Patient durch angemessene Aufklärung die Vor- und Nachteile einer medizinische Behandlung in vollem Umfang verstanden hat.

Informed Consent

Informed Consent = Informierte Einwilligung

→  Die Aufklärung muss enthalten:

- Allgemeine Hinweise zu den Risiken

- spezielle Hinweise zu den Risiken im konkreten Fall

- Alternative Behandlungsmöglichkeiten

→  Die „informierte Einwilligung“ ist die (Rechts-) Grundlage für einen medizinischen Eingriff

Informed Consent

Informed Consent = Informierte Einwilligung

Bedingung für den informed Consent:

→  Einwilligungsfähigkeit des Patienten

- Erkenntnisfähigkeit

- Steuerungsfähigkeit

→  ≠ Geschäftsfähigkeit

Informed Consent

Darstellung nach Jochen Vollmann

IV. Klinisch Ethik vs. Forschungsethik

Klinische Ethik vs. Forschungsethik

Kommission oder Komitee?

-  (Bio-) Ethikkommission -  (Forschungs-) Ethikkommission -  Ethik-Komitee

Klinische Ethik vs. Forschungsethik

(Bio-) Ethikkommission -  Allgemeine Betrachtungen zu Fragen der

(angewandten) Ethik -  Erarbeitet Stellungnahmen -  Politikberatung -  Technikfolgenabschätzung

→ z. B. Deutscher Ethikrat, Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (ZEKO)

Klinische Ethik vs. Forschungsethik

(Forschungs-) Ethikkommissionen sind interdisziplinäre Gremien (Ärzte und Juristen)

zur Beratung bei bzw. zur Überwachung von •  Forschungsvorhaben am Menschen •  oder mit humanen Geweben •  und bei epidemiologischer Forschung •  mit personenbezogenen Daten •  in Bezug auf rechtliche / berufsrechtliche und

ethische / berufsethische Aspekte.

Klinische Ethik vs. Forschungsethik

(Forschungs-) Ethikkommissionen gibt es -  in den medizinischen Fakultäten und -  bei den Landesärztekammern.

→  Es gibt 53 EK (Stand 2014)

Wichtige Grundlage neben Gesetze und Leitlinien: Die Deklaration von Helsinki

Klinische Ethik vs. Forschungsethik Deklaration von Helsinki

•  Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki. Empfehlungen für Ärzte, die in der biomedizinischen Forschung am Menschen tätig sind verabschiedet von der 18. Generalversammlung des Weltärztebundes in Helsinki im Juni 1964 verabschiedet.

•  Revisionen: 1975 Tokio, 1983 Venedig, 1989 Hong Kong, 1996 Somerset West, 2000 Edinburgh, 2008 Seoul

→ Aktuelle Revision vom Oktober 2013 in Fortaleza.

Klinische Ethik vs. Forschungsethik Deklaration von Helsinki (Auswahl)

•  Die Ziele der Forschung (Erkenntnisgewinn) dürfen niemals Vorrang vor den Rechten der Menschen haben.

•  Forschung am Menschen bedarf einer sorgfältigen Abwägung zwischen Risiken und Nutzen.

•  Die Risiken dürfen den Nutzen nicht überschreiten.

•  Studien an vulnerablen Personen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn es hierzu keine Alternative gibt und die Personen einen potenziellen Nutzen von der Studienteilnahme haben.

•  Die Teilnahme an Studien beruht auf einer informierten Einwilligung.

Klinische Ethik vs. Forschungsethik

Ethik-Komitee Ein Ethik-Komitee ist ein interdisziplinäres Gremium zur Wahrung der moralischen Integrität einer Klinik. -  Mitglieder aus allen klinischen Bereichen, aus allen

relevanten Berufsgruppen -  Am KGU: Benennung durch den Vorstand Konkret: -  Mitwirkung an Aus-, Fort- und Weiterbildung -  Ethische Fallberatung -  Entwicklung von Leitlinien

Klinische Ethik vs. Forschungsethik Ethikberatung (oder Ethik-Fallberatung)

-  Beratung bei ethisch relevanten Entscheidungs- konflikten -  Ziel der Beratung: die richtige Entscheidung für den Patienten, Entlastung der Mitarbeiter, Verbesserung der Kommunikation und des Arbeitsklimas -  Die „Letztentscheidung“ bleibt beim behandelnden Arzt

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