Ist Zeit eindimensional? Eine begriffsanalytische Reflexion Karl Erich Wolff fz°bw-Seminar 15. Mai...

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Ist Zeit eindimensional?Eine begriffsanalytische Reflexion

Karl Erich Wolff

fz°bw-Seminar 15. Mai 2003

karl.erich.wolff@t-online.dewww.fbmn.fh-darmstadt.de/home/wolff/

Gliederung

•Philosophische Fragen zum Begriff „Zeit“

•Beschreibungsformen von Bewegungen

•Rahmen und begriffliche Skalen

•Begriffliche Zeitsysteme mit Zeitrelation

•Objekte, aktuelle Objekte und Lebenslinien

•Einfache Objekte und Zeitdimensionen

Philosophische Fragen zum Begriff „Zeit“

•Was ist „Zeit“?

•Ist „Zeit“ in „der Realität“ oder in „der Theorie“?

•Ist „Zeit“ eindimensional?

•Pragmatisch: Wie gehen wir mit „Zeit“ um?

•Wie verständigen wir uns über „Zeit“?

•Wie hängt der Zeitbegriff zusammen mit dem Gedächtnis?

Messen der „Zeit“

Galileo’s Wasseruhr: (“kontinuierlich”)

Galileo describes his water clock in Discourses on Two New Sciences (1638):

For the measurement of time, we employed a large vessel of water

placed in an elevated position; to the bottom of this vessel was soldered a pipe

of small diameter giving a thin jet of water, which we collected in a small glass

during the time of each descent... the water thus collected was weighed,

after each descent, on a very accurate balance;

the difference and ratios of these weights gave us the differences and ratios of the times...

Galileo‘s Idee einer Pendeluhr („diskret“)

Zeittheorien

•Aristoteles: Zeitkontinuum, Zeitpunkt, Zeitdauer, Zeit als eine Kategorie

•Klassische Physik: Beispiel: x“(t)=a; x(t)=x(0) + v t + ½at²

•Spezielle Relativitätstheorie: Zeit verknüpft mit Raum

•Quantentheorie: Zeitabhängige Schrödinger-Funktion ψ(t)

•Automatentheorie: Zustände, Transitionen (ohne explizite Zeitbeschreibung)

•Mathematische Systemtheorie: Zustand? System?

•Quanten-Gravitations-Theorie: Suche nach einer grundlegend neuen Theorie

Eine allgemeine Zeittheorie sollte ...

•diskrete und kontinuierliche Beschreibungen zulassen

•den Wechsel zwischen diskreten und kontinuierlichen Beschreibungen ermöglichen

•das Mischen von diskreten und kontinuierlichen Beschreibungen zulassen

•eine Granularitätstheorie beinhalten

•im Rahmen eines geeigneten Systembegriffs den Zustandsbegriff abhängig von der gewählten Granularität einführen

•Transitionen als zeitabhängige Übergänge zwischen Zuständen definieren

•Objekte als Untersysteme (und nicht als „Atome“) einführen

•die Beziehungen zwischen Objekten, Zeit und Raum klären („Eigenzeit“, „Volumen“)

•Ordinale, algebraische, metrische, differenzierbare Strukturen klar unterscheiden

•eine temporale Logik aufbauen, deren Modelle allgemeine Zeitsysteme sind

Arbeiten zur begrifflichen Systemtheorie

• Concepts, States, and Systems. Liège, CASYS 1999.

• Towards a Conceptual System Theory. Orlando, SCI 2000.

• Temporal Concept Analysis. Stanford, ICCS 2001.

• Transitions in Conceptual Time Systems. Liège, CASYS 2001.

• Interpretation of Automata in Temporal Concept Analysis. Borovets, ICCS 2002.

• A Conceptual Granularity Theory for Objects in Space and Time.

• Darmstadt, ICFCA 2003.

• Conceptual Relational Time Systems. Darmstadt, ICFCA 2003. (Koauthor: Yameogo)

• Time Dimension, Objects, and Life Tracks – A Conceptual Analysis. Dresden, ICCS2003. (Koauthor: Yameogo)

Ein begriffliches Zeitsystem

Eine Reise von

Tobi und Julia

Das Reiseprotokoll (Ausschnitt)

Tag Tageszeit Ort

Tobi,0 Do morgens Frankfurt

Tobi,1 Do nachmittags Neapel

Julia,0 Do nachmittags Frankfurt

Rahmen, Skalen, begriffliche Skalen

später oder gleich

morgens nachmittags abends

morgens

nachmittags

abends

Schema eines begrifflichen Zeitsystems

g

Zeitteil T Ereignisteil C

Zeitskalen Ereignisskalen

v w

K(C)K(T) |

Zeit-Zustände Zustände

SituationenGegenstandsbegriffe:

Zeitpunkte

abgeleiteter KontextKeine Ordnungder Zeitpunkteerforderlich!

Begriffliches Zeitsystem mit Zeitrelation

G

h

Zeitteil T Ereignisteil C

Zeitskalen Ereignisskalen

v w

K(C)

Zeit-Zustände Zustände

SituationenGegenstandsbegriffe:

Zeitrelation

K(T) |abgeleiteter Kontext

g

Zeitrelation und Transitionen

Die Definition der Zustände, Zeitzustände und Situationen benötigt keine Ordnung der Zeitpunkte.

Zur Einführung der Lebenslinie eines begrifflichen Zeitsystems denkt man zuerst an eine lineare Ordnung der Zeitpunkte. Wir wählen aber nur eine beliebige Relation R auf der Menge G der Zeitpunkte.

Diese „Zeitpfeile“ auf G transportieren wir durch eine Funktion f in einen anderen Raum X: Ist (g,h) R, so heißt das Paar

((g,h), (f(g),f(h))

die f-Transition von g nach h.

g

h

f(g)

f(g)

f

Lebensraum und Lebenslinie

Für jede Funktion f : G X heißt {(g,f(g)) | g G } der f-Lebensraum des begrifflichen Zeitsystems in X.

Wichtigste Fälle: Die Gegenstandsbegriffsabbildung von •K(T)|K(C) liefert die Menge der aktuellen Situationen (g,(g)) •K(C) liefert die Menge der aktuellen Zustände (g,C(g)).

Zeitrelation auf dem Lebensraum:„wie auf G“z.B.: Eine Kette auf G liefert eineLebenslinie.

Begriffliches Zeitsystem mit Objekten und Zeitrelation

g

h

Objekt 2

Objekt 1

g‘

h‘

Zeitteil T Ereignisteil C

Zeitskalen Ereignisskalen

v w

K(C)

Zeit-Zustände Zustände

SituationenGegenstandsbegriffe:

abgeleiteter Kontext K(T) |

Projektion erhält Lebenslinien

Eine Reise von

Tobi und Julia

Dimensionsbegriffe

Dimension von Vektorräumen

•Ordnungsdimension einer geordneten Menge (z.B. eines Begriffsverbandes) ist die Minimalzahl von Ketten, in deren direktes Produkt die geordnete Menge eingebettet werden kann.

•Def.: Die Dimension eines formalen Kontextes ist die Ordnungsdimension seines Begriffsverbandes.

•Def.: Die Dimension eines skalierten mehrwertigen Kontextes ist die Dimension seines abgeleiteten Kontextes.

•Def.: Die Skalendimension eines skalierten mehrwertigen Kontextes ist die Summe der Dimensionen seiner Skalen.

•Lemma: Dimension Skalendimension

Zeitskalendimension = 2

Eine Reise von

Tobi und Julia

Lebenslinien und Objekte

Geburt Kooperation

Kann ein Objekt in einemZeitpunkt in zwei

verschiedenenZuständen sein?

?

Verzweigende Lebenslinien?Eindeutigkeitssatz:Jedes begriffliche Zeitsystem ist zu jedem Zeitpunkt in genau einer Situation, einem Zustand und einem Zeitzustand.

Trotzdem gibt es begriffliche Zeitsysteme mit Lebenslinien-Teilung!Beispiel: Ein Serienbrief als „abstraktes Objekt“ wird in zwei Kopien verschickt.

R Tag Ort

(Brief,0) 0 A

(Brief,1) 1 B

(Brief,2) 2 C

(Brief,3) 3 D

A

B

C

D

Einfache ObjekteDef.: Ein Objekt p eines begrifflichen Zeitsystems mit Objekten und Zeitrelation R heißt einfach, falls die reflexive und transitive Hülle der Einschränkung von R auf die aktuellen Objekte von p eine Kette (K, p) ist.

Bemerkung: Für jedes einfache Objekt p und für jede Funktion f, die jedem aktuellen Objekt (p,g) von p einen Bildpunkt f(p,g) in einer Menge X zuordnet, ist der f-Lebensraum eine Kette bezüglich der Ordnung

((p,g), f(p,g)) f ((p,h), f(p,h)) : (p,g) p (p,h) .

Der Lebensraum eines einfachen Objektes heißt seine Lebenslinie.

Diese Definitionen beschreiben sowohl die diskreten als auch die kontinuierlichen „klassischen“ Lebenslinien.In diesem Sinne sind einfache Objekte „zeitlich eindimensional“.

Die Lebenslinie eines Reisenden

Die Lebenslinie einer Destillationskolonne

Die Lebenslinie einer Kreisschwingung

x-Achsey-Achse

Schraubenlinie einer Kreisschwingung

Die „Lebenslinie eines Vierecks“

Translation

Drehung

Spiegelung

Eine wachsende Welle

Wellenfront 1

Wellenfront 2

Wellenfront 3

Wellenfront 4

Rolle – Strecksprung: Turner

Rolle – Strecksprung: Übungen

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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