Jonglierkunst der Röhrenwürmer

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| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

Chem. Unserer Zeit, 2005, 39, 306 – 307 www.chiuz.de © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 307

E L A S T IZ I T Ä T |Die Elastizität des Wasserstoff-bindungsnetzesWasser ist bekanntlich ein ganz be-sonderer Saft [1]. Es hat so unge-wöhnliche Eigenschaften der Kohä-renz, die sich auf alle physikalischenund chemischen Verhältnisse projizie-ren, weil die hoch polaren Wasser-moleküle untereinander dynamischdurch Wasserstoffbindungen zwar im-mer nur überaus kurzfristig, aber viel-fach wechselnd verbunden sind [2].

Einen Einblick in das Kräftespielim 3D-Netzwerk des Wassers kannman durch multidimensionale nichtli-neare IR-Spektroskopie der OD-Streckung und –Schwingung mit deu-terierten Wassergemischen erhalten,noch exakter, wie M. L. Cower et al.R. J. D. Müller zeigen, der OH-Streck-schwingung von reinem H2O untervoll-resonanten Bedingungen in ultra-dünner Schicht speziell dazu gefertig-ter Zellen [3]. Sie messen eine Dyna-mik der Wasserstoffbindungen im 50 fs-Bereich, das ist um eine volleGrößenordnung schneller als die bis-her angegebene. Das bedeutet einesehr viel schnellere Umverteilung derPartner im voll-resonanten Wasser-stoffbrücken-Käfigwerk und dement-sprechend kürzere Relaxationszeitenelementarer Anregungen und kürze-res Gedächtnis für Bindungsverhält-nisse in Hydratationshüllen und an-deren Bindungsverhältnissen, auchzwischen Biomolekülen und -poly-meren, die alle stark wechselwirkendmit dem Umgebungswasser verkop-pelt sind.

[1] R. Ludwig, D. Paschek, Chem. unserer Zeit22000055, 39, 164-175.

[2] D. Eisenberg, W. Kauzmann, The Structureand Properties of Water, New York 11996699; F. Franks (Hrsg.) Water, Plenum New York,11997722.

[3] M. L. Cower et al. Nature 22000055, 434, 199 – 202.

Lothar Jaenicke, Köln

Der Kreislauf des Röhrenwurms Rif-tia pachyptila transportiert beideStoffe von den Kiemen, wo sie ausdem Wasser aufgenommen werden,zum Trophosom mit Hilfe einer exoti-schen Variante des bekannten Sauer-stofftransporters Hämoglobin. Es istunklar, wie der Wurm es schafft, diebeiden reaktiven Substanzen gleich-zeitig zu transportieren, ohne dass ih-re Energie in einer vorzeitigen Oxida-tion verpufft.

Um diesen Akt der molekularenJonglierkunst besser zu verstehen,hat Jason Flores mit seiner Arbeits-gruppe an der Pennsylvania StateUniversity die Kristallstruktur des C1-Hämoglobins aus R. pachyptilagelöst. Dieses Protein besteht aus 24Untereinheiten (Einzelmolekülen),von denen jede einzelne im Grobender seit vier Jahrzehnten bekanntenStruktur des Muskelproteins Myoglo-bin ähnelt. Das Hämoglobin unsererroten Blutkörperchen hat nur viersolche Untereinheiten, ist also ein Tetramer. Im gewöhnlichen Regen-wurm, Lumbricus terrestris, bildendrei solche Tetramere einen Ring,und in R. pachyptila sind zwei solcheRinge übereinander gestapelt.

Die erste Überraschung erfuhrenFlores und seine Mitarbeiter, als siezusätzlich zu den sauerstoff-binden-den Eisen-Ionen, die jedes Hämoglo-bin enthält, zwölf weitere Metalli-onen entdeckten, die sie durch Mas-senspektrometrie als Zink identifi-zierten. Jedes der sechs Tetramereenthielt ein solches Zinkion, undsechs weitere waren zwischen denbenachbarten Tetrameren eines Ringsangeordnet.

Dieser Fund brachte die Forscherauf die Idee, dass womöglich dieZinkionen und nicht, wie vorher ver-mutet, freie (also nicht in Disulfid-brücken gebundene) Cystein-Resteden transportierten Sulfidionen alsAndockstelle dienen. Diese Hypothe-se erschien auch deshalb attraktiv,weil die freien Cysteine in der Kris-tallstruktur recht unzugänglich im Inneren des Proteins angeordnet wa-ren.

Um diese neue Theorie zu testen,führten die Amerikaner umfangrei-che Studien zum Bindungsverhaltendurch. Sie fanden heraus, dass dieZinkionen für einen Großteil derTransportkapazität für Sulfide verant-wortlich sind, dass es aber zusätzlicheinen weiteren Mechanismus gebenmuss. Im Prinzip könnten sich Disul-fidbrücken öffnen und die freigesetz-ten Cysteine als Bindungsstellen die-nen. Da jedoch alle Disulfide diesesHämoglobins für den Zusammenhaltder Struktur wichtig zu sein schei-nen, würde man für diesen Fall er-hebliche Änderungen in der Grob-struktur und im Verhalten des Pro-teins erwarten, die bisher noch nichtbeobachtet wurden.

Deshalb führen Flores und seineMitarbeiter derzeit weitere Untersu-chungen durch, um herauszufinden,welcher zusätzliche „Trick“ es demRöhrenwurm ermöglicht, Sulfide undSauerstoffmoleküle gleichzeitig zujonglieren.

[1] J. F. Flores et al., Proc.Natl.Acad.Sci. USA22000055, 102, 2713.

Michael Groß

S Y M B I OS E |Jonglierkunst der RöhrenwürmerRöhrenwürmer mit ihren bis zu einem Meter hoch aufragenden weißenGehäusen und den leuchtend roten Kiemen, die oben herausschauen,sind die auffälligsten Bewohner der Tiefseebiotope in der Umgebungheißer Quellen. Sie erhalten ihre Nahrung von chemosynthetischen Bakterien, welche sie in einem speziellen Organ, dem Trophosom beherbergen. Diese Symbiosepartner benötigen ihrerseits Sulfide undSauerstoff, um Nährstoffe erzeugen zu können.

Der RöhrenwurmRiftia pachyptilabeherbergt imTrophosom sym-biontische Bakte-rien, die von ihmmit den nötigenNährstoffen (u.a.Sulfide und Sauer-stoff) versorgtwerden.

Röhre

Tropho-som

Herz

Kiemen

Mehr über den Lebensraum derRöhrenwürmer finden Sie auf denSeiten 360ff.

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