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Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Liebe Familie, Freunde, Unterstützer und Leser,
viele weitere Monate sind vergangen und so ist es für mich wieder Zeit mich zu melden aus
dem entfernten El Alto in Bolivien. Wie auch im vergangenen Rundbrief wird es mir kaum
möglich sein alle Geschehnisse kompakt zusammenzufassen, aber trotzdem versuche ich
euch wieder einen kleinen Einblick zu geben.
Ein wesentlicher Teil meines Aufenthaltes hier wird natürlich durch meine Arbeit geprägt,
die mir nach wie vor Freude bereitet und durch die Überwindung sprachlicher Barrieren
mittlerweile auch für mich verständlicher und einfacher geworden ist. Wie euch allen bereits
angekündigt, habe ich ein Miniprojekt über meine Organisation beantragt und genehmigt
bekommen. Das Miniprojekt ist eine Möglichkeit für „Weltwärts“- Freiwillige innerhalb ihrer
Arbeit eine eigene Idee aufzubauen und mit Hilfe von 100 € zusätzlichem Geld, hier etwas
weniger als 750 Bolivianos, zu verwirklichen. In meinem Fall hieß das ein Laminier Gerät
samt Folien für meine zwei Kurse (zur Erinnerung: ich bin dem Kurs der urbanen Agrikultur
und der Bäckereiausbildung zugeteilt) zu kaufen und damit Bildungsmaterialien herzustellen,
die eine längere Haltbarkeit haben als ungeschützte Papierblätter. Natürlich wurde das neue
Gerät bereits benutzt und so konnten sich alle über ein Memory- Spiel und neue Buchstaben
und Zahlenblätter freuen. Prinzipiell kann ich auch sagen,
dass sich mein Aufgabenbereich innerhalb der letzten
Monate nochmal sehr verschoben hat. War ich anfänglich
oft direkt bei der Produktion der Bäckereiwaren dabei
oder habe den Schülern in den Gewächshäusern dabei
geholfen die Tiere zu füttern oder das Feld zu gießen,
habe ich mir mittlerweile eher eigene Aufgaben gesucht
und bereite Arbeitsblätter oder Spiele vor oder stelle
Plakate mit den Schülern her, auch wenn ich natürlich
wenn Hilfe benötigt wird immer noch bei der direkten Betreuung der Kurse dabei bin und
die Schüler auch einmal allein nach La Paz zum Fußballspiel bringen musste. Eine kleine
Umgewöhnung war es für mich auch ab Ende November
bis Anfang Februar ohne die Schüler zu arbeiten, die zu
diesem Zeitpunkt ihre Sommer-, bei uns Winterferien
hatten, so dass ich vor allem der „Fundación Sembrando
Esperanza“ (Stiftung Hoffnung säen), der Trägerstiftung
meines Projektes, bei der Büroarbeit geholfen habe,
sowie zusammen mit meiner Mitarbeiterin Genoveva,
Leiterin der Bäckereiausbildung, viele Zeugnisse und
Formulare für die Schüler unseres Kurses ausfüllen
musste. Nebenbei war es natürlich auch notwendig sich in der Abwesenheit der Schüler
selbst um die Gewächshäuser und Tiere zu kümmern, obwohl selbst über die Ferienzeit
einzelne Schüler trotzdem gekommen sind um tagtäglich mit auf alles Acht zugeben.
Meine zwei Kurse bei einer Tanzvorführung
in traditioneller Kleidung
Unsere Fußballmannschaft zu den
Special Olympics 2015
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Ein besonderes Highlight war dabei, dass unsere Hühner endlich Eier gelegt haben und wir
momentan bis zu 30 Eier am Tag verkaufen können, (Tendenz steigend!), und auch unsere
Hasen schon zweimal Nachwuchs hatten.
Auch kamen immer wieder verschiedenste Aufgaben der Stiftung auf uns zu, wie die
Herstellung von 120 penibel gebastelten Weihnachtsbäumen mit Grußkärtchen oder das
Kochen von 200 Mittagsessen für eine Versammlung der „Fundación“, was oftmals sehr
stressig und weniger spaßig war, da viele Organisationsschwierigkeiten eine entspannte
Arbeit verhindert haben. Somit muss ich also zusammenfassend sagen, dass mir die Zeit
außerhalb der Ferien, wenn alle Schüler da sind und der Kursraum gefüllt ist, mehr Freude
bereitet und auch wesentlich klarere Aufgaben vorgibt, so dass man sich nicht jeden Tag
fragen muss, ob heute halb vier Schluss ist, weil nichts los ist oder bis um 6 nahezu
durchgearbeitet werden muss, damit eine Aufgabe hektisch erfüllt werden kann, die man
erst kurzfristig erfahren hat.
Gemeinsam mit den Schülern veranstalten wir auch immer wieder sehr schöne Feste, wie
die kleine Feier, die wir an „Todos los Santos“- Halloween hatten und die nicht nur
atmosphärisch sehr schön war, sondern auch für mich viele kulturelle Einblicke bot oder
gemeinsam hier in Bolivien den ersten richtigen Karneval meines Lebens zu feiern bei dem
viele als Clown, Captain America oder Hexe verkleidet waren und wir uns mit Sprühschaum
und Wasser bespritzt haben bevor es ein herrliches Büffet gab. Mittlerweile bringen mir die
Schüler auch sehr viel Offenheit entgegen und scheinen
Spaß an kleineren und größeren Aufgaben zu haben, die
ich mit ihnen machen kann. Eine besondere
Herausforderung war jedoch einen Konflikt abzumildern
den es innerhalb des Bäckereikurses gab und vor allem
zwischen einer Schülerin und dem Rest des Kurses
Probleme verursacht hatte, wobei es auch zu
handgreiflichen Auseinandersetzungen kam. Durch ein
neues Regelplakat mit den Sanktionen sich bei
Unsere Hasen beim Essen Bewässern der Felder
Einsammeln der Eier
UNO spielen- eine meiner
Hauptbeschäftigungen während der Ferien,
wenn es keine Arbeit gab.
Karnevalskostüme
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Fehlverhalten durch ein besonderes Getränk oder ein Essen bei seinen Kommilitonen zu
entschuldigen und ein strikteres Durchgreifen von Seiten der zwei Lehrer und mir konnten
wir allerdings einen Kompromiss finden, der bis dato weitere gewalttätige Ausbrüche
verhindert hat. Für mich immer noch problematisch ist allerdings die Art der Schüler als
Entschuldigung Fanta, Cola oder Sprite zu kaufen, so dass wir noch mehr „Süße“ in uns
hineinkippen, was ich leider davor nicht so genau durchdacht hatte und jetzt schwer zu
ändern ist, aber immerhin weiß ich so, was ich zukünftig nicht nochmal genauso machen
werde.
Selbstverständlich ist auch mein privates Leben hier weiter vorangeschritten und wir
konnten mit vielen Freiwilligen bereits enge Freundschaften schließen, so dass wir unsere
Wochenenden häufig damit verbringen kleinere Reisen zu unternehmen, um andere zu
besuchen und um noch mehr von Bolivien zu sehen. Zum Beispiel waren wir schon öfter in
Cochabamba bei befreundeten Freiwilligen, sind regelmäßig im nur drei Stunden von La Paz
entfernten, aber feuchtwarmen Coroico und haben über Karneval Santa Cruz besucht.
Über Weihnachten und Sylvester war es uns dann auch mal möglich unserer Mitfreiwilligen
Simone einen Besuch in Reyes im Tiefland abzustatten, was kulturell und klimatisch kaum
unterschiedlicher zum Altiplano mit El Alto und La Paz sein könnte. Nachdem wir 18 Stunden
fahren mussten, dabei stellenweise auf der Todesstraße, und mit nur zwei Plätzen für drei
Personen, weshalb ich mich mit Theresa auf dem Gepäck abgewechselt habe, kamen wir
dann in einem feuchtwarmen Klima an in dem die Menschen auf den ersten Blick offener
und herzlicher wirkten. Zum Beispiel sprachen sie einen auf der Straße permanent an oder
luden uns oft zum Essen oder Trinken ein. Jedoch gibt es auch in diesem kleinen Dorf
Probleme mit Armut, Gewalt, Alkoholkonsum und vor
allem Machismos und während wir dort waren, befand
sich eine Gruppe sehr armer, umherziehender Familien
ebenfalls in Reyes, die von den meisten ignoriert, aber
von wenigen auch mit Essen unterstützt wurde. Obwohl
uns allen bewusst war, dass Bolivien sich über mehrere
Klimazonen erstreckt und als plurinationaler Staat auch
sehr unterschiedliche Kulturen beherbergt, habe ich
Blick über Cochabamba Posen am Fluss Fahrt ins Tal nach
Coroico
Reyes als kleines Naturparadies
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
noch nirgendwo den gesellschaftlichen Unterschied so stark gespürt wie in Reyes und dieser
Kontrast wurde noch mehr dadurch betont, dass wir unser erstes Weihnachten im Warmen
bei über dreißig Grad gefeiert haben.
Nach der kurzen Zeit im Tiefland ging es dann wieder hoch nach La Paz um von dort weiter
nach Chile zu fahren, wo wir uns mit anderen Freiwilligen getroffen haben mit denen wir
Sylvester feierten. Zu diesem Zeitpunkt ging es einem unserer engsten Freunde Lukian schon
sehr schlecht, weshalb er ab dem 01.01.2016 mit in der ehemaligen Gastfamilie meiner
Mitbewohnerin Theresa wohnte, wo auch wir untergekommen waren. Leider musste er
dann nach ein paar Tagen ins Krankenhaus, wo wir nach vielen Schwierigkeiten mit der
Versicherung und dem Krankenhaus erst eine Woche später erfahren haben, dass er sich mit
Typhus infiziert hatte. Ungewöhnlich war, dass er außer Fieber und der daraus folgenden
Schlappheit keine sonst typischen Symptome, wie Durchfall und Erbrechen hatte. Für alle die
es nicht wissen: Typhus ist eine salmonelle Infektion, die durch verunreinigtes Essen oder
verschmutztes Wasser ausgelöst werden kann. Durch diesen Typhus- Zwischenfall, der
glücklicherweise nach der Diagnose schnell und gut behandelt werden konnte, wurden
unsere Pläne innerhalb Chiles noch herumzureisen natürlich hinfällig, aber trotzdem konnten
wir in Viña del Mar und Val Paráiso, sowie bei einem kurzen Besuch in Santiago auch ein
bisschen etwas über Chile erfahren und somit einen anderen Teil Südamerikas sehen.
Drei kleine Eindrücke
Zelten auf den Dünen in der
Nähe von Viña
Sylvesterfeuerwerk in Valpo
Blick aufs Meer in Valpo
Wunderbare Landschaft an der
Grenze zwischen Chile und
Bolivien
Eines von tausend
verschiedenen Graffitis in Valpo
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Besonders beeindruckend war dabei die Landschaft Chiles von der bolivianischen Grenze bis
nach Santiago, wo sich Wüstenberge dicht am Meer drängen. Das Meer ist auch eines der
Streitpunkte zwischen Bolivien und Chile, da Bolivien im Krieg seinen Meereszugang an Chile
verloren hat und ihn nun vor dem Internationalen Gerichtshof von Chile zurückverlangt. Man
könnte in Bolivien meinen, dass die Meeresfrage auch eine der wenigen Sachen ist bei der
sich so gut wie alle einig sind: BOLIVIA AL MAR- Bolivien ans Meer. Da ich am 12.01. wieder
arbeiten sollte, konnten wir unseren Aufenthalt auch nicht mehr verlängern und so hieß es
wieder zurück nach El Alto, wo jedoch in der ersten Woche außer nach den Tieren zu
schauen keine Arbeit für mich da war. Anscheinend hatte mein Projekt eine Woche Pause
und nur die Trägerstiftung hat gearbeitet, wo es jedoch auch keine Arbeit gab. Also konnte
ich mich erstmal eine Woche vom Urlaub ausruhen und mich nach der langen Zeit in tieferen
Gegenden wieder an die Höhe gewöhnen. Also habe ich erst eine Woche später wieder
richtig mit Arbeiten begonnen und mit bei vielen Vorbereitungen für das Ferienende der
Schüler und den Start des neuen Schuljahres geholfen, allerdings auch nur für eine knappe
Woche bis ich und viele andere unserer befreundeten Freiwilligen zum gemeinsamen
Zwischenseminar nach Cochabamba gefahren sind. Das Zwischenseminar, da wir mit dem
Großteil der Freiwilligen befreundet waren, eher wie eine Klassenfahrt, ging von Sonntag bis
Donnerstag und sollte uns die Möglichkeit geben zu
reflektieren über unseren bisher abgeleisteten Dienst,
uns dabei helfen mit den bisherigen Problemen auf
Arbeit und im alltäglichen Leben umzugehen und uns
mit der Zukunft, also vor allem der Heimreise,
konfrontieren. Diese Ziele waren jedoch in einer
Gruppe, die sich so gut kannte wie wir und mit nur einer
deutschsprachigen Betreuerin leichter gesagt als getan
und so haben wir viel Zeit mit Jungle Speed spielen,
Kaffe/Tee trinken und lockeren Gesprächen verbracht anstatt uns auf tiefgründige
Diskussionen einzulassen und auch danach hieß es nach einer weiteren kurzen Woche
arbeiten, diesmal endlich wieder mit unseren Schülern,
erstmal wieder Urlaub für meine lieben Großeltern,
die mich besuchen gekommen sind. Nachdem ich sie
also in Santa Cruz abgeholt hatte und wir gemeinsam
in die Höhe gefahren sind, wo ein Tag Pause zur Akklimatisierung bereits eingerechnet war,
sind wir dann nicht nur an den wunderschönen Titicacasee, sondern auch an den Salar de
Uyuni, den Salzsee, gefahren.
Wie immer gibt es auch aktive
Draußenspiele
Grüße aus
Quillacollo
Salar zur
Regenzeit
Meine
Großeltern
und ich am
Flughafen
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Dieser war gerade jetzt zur Regenzeit traumhaft schön, da sich der Himmel in der
Wasserschicht über dem Salz reflektierte und man kaum Grenzen zwischen Oben und Unten
ziehen konnte: ein weiterer Beweis für die fantastische und vielfältige Natur Boliviens. Eine
Woche komplett verwöhnt zu werden und mehr Annehmlichkeiten zu genießen als man sich
sonst leisten würde, da man spendable Großeltern hat, war dann tatsächlich auch mal eine
willkommene Abwechslung vom alltäglichen Stress. Leider hatte mich dieser aber bald
darauf wieder eingeholt, als ich nach der Abreise meiner Großeltern wieder arbeiten musste
und wir uns endlich entschieden hatten nach viel Stress mit unserer Wohnung, den wir in
den vergangenen Monaten hatten, umzuziehen. Unser neues zu Hause war von nun an ein
wunderschönes Haus in La Paz, das wir uns zusammen mit vielen befreundeten Volontären
teilen und das nicht nur einen Garten und eine Terrasse
hat, sondern auch ein herrliches Wohnzimmer.
Innerhalb von eineinhalb Wochen haben wir unser Zeug
gepackt und runter nach La Paz gebracht, Matratzen
organisiert und uns provisorisch in unserem neuen Heim
eingerichtet. Besonders schwierig war, das wir leider
keinerlei Möbel besitzen, aber glücklicherweise kann
man sich alles aus „Cajas“- Obstkisten bauen, die es auf
dem Markt um die Ecke für 1 Boliviano massenhaft gibt
und so konnten wir ganz gut improvisieren. Mittlerweile sind zu unserer 12- köpfigen
Freiwilligenkommune auch noch drei Hühner und zwei Meerschweinchen dazu gekommen,
die liebevoll gepflegt werden. Gekocht wird auch oft zusammen und auch die Abende sind
sehr gemeinschaftlich. Meine Großeltern waren jedoch nicht der einzige Besuch, den ich in
der kurzen Zeit bekommen sollte, sondern auch mein Vater und zwei meiner Geschwister
haben sich die Zeit und das Geld genommen mich zu besuchen, so dass ich die letzten zwei
Wochen wieder dazu nutzen konnte mehr von Bolivien zu erkunden und festzustellen, dass
der Titicacasee und die riesige Salzwüste Salar de Uyuni nicht das einzige Faszinierende an
Bolivien sind, sondern sich auch ein Besuch in die Minen von Potosí lohnt, wo man über zwei
Meter lange, gefühlt unendlich tiefe Löcher klettern muss und sich dabei anhört, das man im
sicheren Teil der Minen ist oder sich die wunderschönen Städte Sucre und Tarija anschaut,
die ein wunderbar warmes Klima ohne die erdrückende Hitze im Beni (Reyes) haben.
Unsere Villa Kunterbunt
Ruhepause während der Minentour
Klettern auf dem Zugfriedhof
Kaktusinsel auf dem Salar- eine weiße, riesige Fläche, wenn es nicht
regnet
Blick von den Minen auf Potosí
Rundbrief Michele Garitz, Nummer 2- La Paz, 03.04.2016
Ich kann allen nur sagen: so ein schönes Land muss man gesehen haben in all seinen
Facetten und mit all seinen Problemen und all seinen schönen Plätzen. Ich jedenfalls freue
mich schon auf den Rest meines Dienstes, auch wenn es für mich natürlich schwer ist
meinen Besuch jetzt wieder gehen zu lassen und mich wieder auf meinen Alltag einzustellen.
Mit unserem wunderschönen Haus, unseren vielen Freunden und meiner schönen Arbeit,
sollte sich diese Phase jedoch schnell wieder einstellen.
Bis dahin jedoch:
Saludos grandes
Eure Michele
Natürliche Wasserbecken in Tarija Gruppenfoto am Flughafen
Kreatives Hostel am Titicacasee Blick nach unten auf der
Todesstraße
Blick auf Sucre
Besuch auf der Arbeit
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