Medienpreis - Telekom Stiftung · Insgesamt rund 500 Bewerber von mehr als 130 Medien aus Deutsch -...

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Medienpreis Bildungs- journalismus

Die Preisträger

2018

2 Inhalt

KATEGORIE

TEXT06 1.Preis:BastianBerbnerundHenningSußebach

07 2.Preis:JohannesBöhme

08 3.Preis:BjörnStephan

KATEGORIE

AUDIO/VIDEO/MULTIMEDIA10 1.Preis:AlexanderKleider

11 2.Preis:SandraSperberundYaseminYüksel

12 3.Preis:ChristineWerner

BESTER KURZBEITRAG14 Preisträgerin:ChristineRoskopf

03 Vorwort

04 DieJury

DOKUMENTATION

TEXTE, FILME & HÖRSTÜCKE16 BastianBerbnerundHenningSußebach: InBraunschweigmachen48ProzentderSchüler Abitur.InCloppenburg18Prozent.Wiekanndassein?

29 JohannesBöhme:Sorgenkinder

46 BjörnStephan:„DiewitterndeineSchwäche!“ EineWocheimLehrerzimmereinerBrennpunktschule

56 FilmeundHörstücke

58 DerMedienpreis59 DeutscheTelekomStiftung/Kontakt

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ImfünftenJahrverleihtdieDeutscheTelekomStiftungnunbereitsdenMedienpreisBildungsjournalismus.ZeitfüreineZwischenbilanz:Insgesamtrund500Bewerbervonmehrals130MedienausDeutsch-land,ÖsterreichundderSchweizhabenüberdieJahreihreArbeitenundExposésbeiunseingereicht.21JournalistinnenundJournalistenwurdenmitdemMedienpreisausgezeichnet.Heutekommenneunweiterehinzu–ihreherausragendenBeiträgefindenSieindiesemHeft.AllenPreisträgern2018giltmeinherzlicherGlückwunsch.

DassRedaktionenüberBildungberichten,istgut.DennesisteinesderwichtigstenThemenüberhaupt.Nochbesserwärees,wennJournalistenkünftigselbstBildungsinhalte–nämlichMedien-undNachrichtenkompetenz–vermitteln.VieleMenschen,auchvieleKinderundJugendliche,informierensichheutenichtmehrüberdieQualitäts-medien,sondernbeziehenihrWissenausanderen,leideroftzweifel-haftenQuellen–mitschwerwiegendenFolgenfürunsereDemokratie.Hierkönnenjeneunterstützen,dieQuellenkundeundRechercheme-thodenvonderPikeaufgelernthaben.IndiesemSinne:JournalistenandieSchulen!

IhrProf.Dr.WolfgangSchusterVorsitzenderDeutscheTelekomStiftung

Vorwort

Prof. Dr. Wolfgang Schuster

VorsitzenderDeutscheTelekomStiftung

4 Die Jury

Hans Werner Kilz (Vorsitz)

ehem.ChefredakteurSüddeutscheZeitungundDERSPIEGEL

Prof. Dr. Sandra Aßmann

Ruhr-UniversitätBochum,InstitutfürErziehungswissenschaft

Christine Westermann

TV-undHörfunk-Journalistin,ModeratorinundBuchkritikerin(„DasLiterarischeQuartett“)

Prof. Dipl.-Chem. Holger Wormer

TechnischeUniversitätDortmund,InstitutfürJournalistik

Jan-Martin Wiarda

freierBildungs-undWissenschaftsjournalist(u.a.brandeins,DIEZEIT,SPIEGELONLINE,SüddeutscheZeitung),BloggerundModerator

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TEXTBastian Berbner & Henning SußebachJohannes Böhme Björn Stephan

Preisträger

KATEGORIE

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AmAnfangderRecherchestehenzweiZahlen:ImLandkreisCloppen-burgmachen18ProzentallerSchülerAbitur,inBraunschweigsindes48Prozent.DasselbeBundesland,dieselbenLehrpläneunddochdieserriesigeUnterschied–warum?ZweiReportermachensichaufdieReise,imGepäckvieleFragen.DereinefährtnachBraunschweig,deranderenachCloppenburg.Dortangekommen,begünstigtsiederZufall:DiejeweilsgrößtenGymnasienanbeidenOrtenwerdenvonGeschwis-terngeleitet.EinausführlichesInterviewliefertersteErklärungsansätze.DochdasgenügtdenReporternnicht.Siefragensich:Wasbedeutetes,seineJugendandemeinenoderanderenOrtzuverbringen?AufderSuchenachAntwortensprechensiemitSchülern,ElternundLehrern,mitBerufsberatern,Therapeuten,HebammenundBestattern.AmEndestehtdieErkenntnis:DieLückezwischender18undder48istnichtnurbildungspolitischzuerklären.Siestehtvielmehrfürzweiganzunter-schiedlicheDeutschlands,indenenBildungvölligandersbetrachtetwird.IhrTextgerätzueinerTiefenbohrungindiesebeidenWelten.

Bastian Berbner und Henning Sußebach

In Braunschweig machen 48 Prozent der Schüler Abitur. In Cloppenburg 18 Prozent. Wie kann das sein?Erschienen in der ZEIT am 15. März 2018

KATEGORIE TEXT | 1. Preis

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DieJurysagt:

Eine gelungene Bildungs- geschichte mit überzeugender Botschaft, aufwendig recher-chiert und genial umgesetzt. Die Vergleiche sind fein beob-achtet und versetzen den Leser ein ums andere Mal in Erstaunen. Auch die Protagonisten über-zeugen. Man muss schon sehr gut fragen, um solche Antworten zu erhalten.

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ImZivildienstfuhrJohannesBöhmetäglicheineGruppevonKlein-kindernmitdemSprinterumher.Sorgenkinder,allesamt,mancheaufmüpfigundhyperaktiv,andereaggressiv,wiederandereinihrerEntwicklungweitzurück.NeunJahrespäterhatBöhme,inzwischenReporter,siewiedergetroffen.InseinemlangenTexterzählter,wieesihnenergangen,wasausihnengewordenist.Undzeigt,dasseinschwierigerStartalleinnochkeinMenetekelfürdasweitereLebenseinmuss.Zumindestdannnicht,wennKindersobehütetaufwachsenwieLennardundKjell,derenElternihnenstetsdieFörderungermög-lichten,diesiebrauchten.AberdasindauchSaschaundPatrick,beideausschwierigstenVerhältnissen,gezeichnetvonArmutundVernach-lässigung,dieeigentlichvonBeginnankeineChancehatten.IhreGeschichtenlassennichtnurdenAutoreinStückweitratloszurück.AuchderLeserhofftvergeblichaufeinWunder,umamEndedesTextesernüchtertfeststellenzumüssen:NichtsbeeinflusstinDeutschlanddenLebenswegeinesKindesnachwievorsosehrwiedessensozialeHerkunft.EinStücküberdieGrenzenvonstaatlicherFürsorgeundBildung.

Johannes Böhme

SorgenkinderErschienen im Süddeutsche Zeitung Magazin am 7. Juli 2017

KATEGORIE TEXT | 2. PreisDieJurysagt:

Johannes Böhmes Reportage rüttelt auf und berührt. Der Autor hält Distanz zu seinen Protago-nisten und ist doch ganz nah dran an ihnen und ihren Geschichten. Dabei besticht er insbesondere durch seine messerscharfen Sprachbilder. Die große Stärke des Textes ist aber dessen Subtilität.

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EineSchulleiterinbeschwertsichöffentlichüberdieZuständeanihrerEssenerGesamtschule.DerAutortrifftsichmitihrunddemKollegium.SeinWunsch:eineWocheimLehrerzimmerverbringen,anKonfe-renzenundSitzungenteilnehmen,Gesprächeführenundbeobachten.DieLehrerwilligenein.EinzigeBedingung:AlleNamenmüssenanony-misiertwerden.AmEndehatBjörnStephanrund27StundenAudio-materialaufgezeichnet,dieeranschließendtranskribiertundzueinemTextverdichtet.DasErgebnisisteinEinblickindenAlltaganeinerganznormalenSchuleinDeutschland–ungeschöntundauthentisch.DabeilässtStephanfastausschließlichdieLehrerzuWortkommen.InDialog-formerzähltervondenkleinenundgroßenKatastrophen,mitdenensichdasKollegiumtagtäglichkonfrontiertsieht.Dasmutetzuweilendefätis-tischan.UnddocherscheinendiePädagogennuraufdenerstenBlickwiehoffnungsloseZyniker.TatsächlichhabensiewedersichselbstnochihreSchüleraufgegebenundwürdenallesdafürtun,ihnendenSchulab-schlussunddamiteineZukunftsaussichtzuermöglichen.Einschonungs-loses,erschütterndesStückübereinenBerufsstandamLimit.

DieJurysagt:

KATEGORIE TEXT | 3. Preis

‚Fack ju Göhte‘ existiert! In Björn Stephans aufwendig recher-chiertem Stück wird dem Leser die Diskrepanz zwischen den hehren Zielen der Bildungspolitik und dem ernüchternden Brenn-punktschulalltag in einer Nuss-schale serviert. Durch die mutige Form und den ungewohnten Stil ist man direkt mittendrin in der Problematik.

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Björn Stephan

Die wittern deine Schwäche!“ Eine Woche im Lehrerzimmer einer BrennpunktschuleErschienen in Die Zeit am 1. März 2018

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AUDIO/VIDEO/ MULTIMEDIA

Alexander Kleider Sandra Sperber & Yasemin Yüksel Christine Werner

Preisträger

KATEGORIE

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IneinemBerlinerRestauranttrifftAlexanderKleiderzufälligseinenaltenLehrerKlaus,undplötzlichsindsiewiederda,dieErinnerungenandieSchulzeit.ImKopfdesFilmemachersformtsichdieIdee,eineDoku-mentationüberseineSchulezudrehen.DenndieSchulefürErwach-senenbildung,kurz:SFE,istallesanderealsnormal.GegründetalsbasisdemokratischesProjektimStadtteilKreuzberg,setztsieganzaufEigenverantwortlichkeit.Klausuren,Noten,Leistungsdruck?Gibtesnicht,ebensowenigeinenDirektor.ÜberorganisatorischeFragenstimmenstattdessendieSchülerab,allesamtjungeErwachsenemitgebrochenenLebensläufen,dieesanregulärenBildungseinrichtungenausdenverschiedenstenGründennichtgeschaffthaben.FürsieistdieSFEdieletzteChance,dochnochdasAbiturzumachen.InseinemFilmbegleitetAlexanderKleidereineSchulklassevomerstenTagbiszumAbitur.DabeizeigtereineradikalandereIdeevonSchule,dieinkrassemGegensatzzurdurchökonomisiertenBildungsrealitätinZeitenvonG8,PISAundkompetenzorientiertemUnterrichtsteht.LernenalsChance,nichtalsZwang–dasistdieBotschaft,diehinterdieserDoku-mentationsteht.

DieJurysagt:

KATEGORIE AUDIO/VIDEO/MULTIMEDIA | 1. Preis

Ein optimal eingefangener Insider- blick auf eine ganz besondere Insti-tution. Alexander Kleiders emotional ansprechender Film ist ein Parade- beispiel dafür, was Lehrer und Schule anrichten können – im Guten wie im Schlechten. Seine Protago-nisten wählt er perfekt. Man spürt in jeder Sekunde die Liebe des Regisseurs zum Gegenstand.

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Alexander Kleider

Berlin Rebel High SchoolProduziert von Dok-Werk Filmkooperative und Westdeutscher Rundfunk/Kinostart am 11. Mai 2017

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40.000LehrerfehlenderzeitandenSchuleninDeutschland.DerLehrer-mangelistdasbildungspolitischeThemadesJahres.DiePolitikversuchtdashausgemachteProblemabzumildern,indemsiemassenhaftQuer-einsteiger,alsoMenschenohneLehramtsstudium,indenSchuldiensteinstellt.AberwiekannjemandohnepädagogischeAusbildungvoreinerKlassebestehenundSchülernetwasbeibringen?DieseFragetreibtSandraSperberundYaseminYükselum,alssiemitderRecherchefüreineFolgeihresPodcasts„Stimmenfang“beginnen.SiewollenausersterHanderfahren,wiederQuereinstiegindenSchuldienstinderRealitätfunktioniert–oderauchnichtfunktioniert.UndfindendreiProt-agonisten,dieausganzunterschiedlicherPerspektiveüberdasThemasprechen:EinererweistsichalsNaturtalent.EinZweiterhingegenistvölligüberfordertinseinemneuenBeruf.UndauchdiedritteInterview-partnerin,einelangjährigeSchulleiterin,blicktmitErnüchterungaufdieungelerntenLehrerundkonstatiert:„Manchmalistesbesser,nichtzuunterrichtenalsfalschzuunterrichten.“

KATEGORIE AUDIO/VIDEO/MULTIMEDIA | 2. PreisDieJurysagt:

Ein höchst relevantes Thema, mit umfassenden Fakten und interes-santen O-Tönen zu einem ausge-wogenen Stück aufbereitet. Der Hörer lernt: Ohne pädagogische Kompetenzen geht es nicht. Aber: Manchmal hängt es auch schlicht von der Persönlichkeit ab, ob jemand ‚plötzlich Lehrer‘ werden kann.

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Sandra Sperber und Yasemin Yüksel

Plötzlich Lehrer – Wie Quereinsteiger Lücken stopfen

Gesendet bei Spiegel Online (Podcast „Stimmenfang“) am 1. Februar 2018

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BeieinerRecherchewirdChristineWerneraufdaspädagogischeKonzeptdesselbstbestimmten,freienLernensaufmerksam.KeinStun-denplan,keineHausaufgaben,keineNoten,wederKlassenräumenochKlassenarbeitenundstattLehrerLernbegleiter–alldiesmachtdieReporterinneugierig.SchließlichhatsieinihrereigenenSchulzeitnurwenigSelbstbestimmungerfahren.Siebeschließt,sicheinenEindruckzuverschaffen:BeiihrenBesuchenanzweifreienSchulensprichtChris-tineWernermitSchülern,Eltern,SchulgründernundBildungswissen-schaftlern.ZuihrerÜberraschungsindindenGesprächenauchLeis-tungundNoteneinThema.GeradefürdieEltern,dieselbsteinanderesSystemgewohntsind,scheintdasfreieLerneneineHerausforderungzusein.WirdihrKindspäterwirklichkeineNachteilehaben,selbstwennesgeradeerstanfängtzulesen–mitelfJahren?„Freiheitaushalten!“fordertnichtgrundloseinSchildanderEingangstüreinerderSchulen.EinespannendeReportageübereinevölligandereLernerfahrungunddieFrage,welchesWissenesbraucht,umgutdurchsLebenzukommen.

DieJurysagt:

KATEGORIE AUDIO/VIDEO/MULTIMEDIA | 3. Preis

Eine handwerklich erstklassige Arbeit über ein nicht alltägliches Thema. Dieser Beitrag macht von der ersten Sekunde an neugierig. Dazu tragen die gut ausge-wählten, lebendigen O-Töne bei, die niemals langweilen. In jeder Hinsicht hörenswert.

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Christine Werner

Ohne Zwang und ohne Noten. Was bringt freies Lernen?

Gesendet in SWR 2 Wissen am 24. März 2018

BESTER KURZBEITRAG

Christine RoskopfPreisträgerin

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Für viele Schüler ist „Relli“ ein Fach zum Entspannen. Man schaut Filme oder redet über dies und das. Kurz: ein Fach, auf das man vielleicht auch verzichten könnte. Aber so einfach ist es nicht. Denn Religion ist als einziges Schulfach durch das Grundgesetz besonders geschützt. Gleich-zeitig wird in Deutschland über kaum ein anderes Fach so viel diskutiert. Es geht um die Frage, wie Religionsunterricht aussehen kann und soll, und ob er an staatlichen Schulen überhaupt auf die Stundentafel gehört. Auf der Suche nach Antworten entdeckt das Team der WDR-Sendung „neuneinhalb“ um die Autorin Christine Roskopf an einem Hamburger Gymnasium den „Religionsunterricht für alle“, ein bundesweit einzigar-tiges Modell. Dort lernen protestantische, muslimische, alewitische, katho-lische, russisch-orthodoxe und konfes sionslose Kinder gemeinsam etwas über die verschiedenen Glaubensrichtungen. „neuneinhalb“ will heraus-finden, ob diese Art von Unterricht zu mehr Toleranz und Verständnis führt. Nach dem Besuch einer ganz besonderen Schulstunde zum Islam haben die Kinder vor allem eines gelernt: Es gibt mehr Gemeinsamkeiten unter den Religionen, als sie gedacht hätten.

Die Jury sagt:

BESTER KURZBEITRAG | Preisträgerin

Ein informativer Beitrag, der seine Zielgruppe ernst nimmt und in Zeiten des erstarkenden Populismus für Toleranz und Verständigung eintritt. Die Fakten sind grafisch toll aufbe-reitet, die O-Töne der Schüler teils erstaunlich. So muss Journa-lismus für Kinder aussehen!

Christine Roskopf

„Was glaubst du? – Wenn Religionen gemeinsam lernen“

Produziert von tvision und Westdeutscher Rundfunk, gesendet in Das Erste am 17. Juni 2017

TEXTE, FILME & HÖRSTÜCKE

DOKUMENTATION

Bastian Berbner und Henning Sußebach

In Braunschweig machen 48 Prozent der Schüler Abitur. In Cloppenburg 18 Prozent. Wie kann das sein? Seite16

Johannes Böhme

Sorgenkinder Seite29

Björn Stephan

Die wittern deine Schwäche!“ Eine Woche im Lehrerzimmer einer Brennpunktschule Seite46

Filme und Hörstücke Seite56

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EinzweiterBlickindieStatistik.48Prozent.18und48.CloppenburgundBraunschweig.Geradeeinmal200

Kilometervoneinanderentfernt.DasselbeBundesland,dieselbenLehrpläne.WieerklärtsichdasolcheinUnterschied?WaserzählterüberKindheitundJugenddawiedort,überdenZusammenhangvonWohnortundWerdegang,überunterschiedlicheMilieusundErwar-tungenansLeben?

AneinemTagimFebruaristAnnetteOvelgönne-Jansen,dieLeiterindesClemens-August-GymnasiumsinCloppenburg,nachBraunschweiggefahren,zuihremBruderVolkerOvelgönne,derdortdasWilhelm-Gym-nasiumführt,seinerseitsauchdasgrößtederStadt.EsistMittag,dieSchuleleertsich,undimDirektorenzimmerbeginnteinGespräch.DIE ZEIT: FrauOvelgönne-Jansen,HerrOvelgönne,welcheZahlüber-raschtSiemehr–die18oderdie48?

ManchmalverbirgtsichimRaumzwischenzweiZahleneineganzeGeschichte.DaisteineDifferenz,dieunerklärlicherscheint.EineLücke,dieFragenaufwirft–unddiesich,wennmannachAntwortensucht,langsammitLebenfüllt.

IndiesemFallgehtesumeine18,umeine48undumKindheitinDeutschland.

AufdieersteZahlstießenwirineinerStatistik:ImLandkreisClop-penburg,westlichesNiedersachsen,verlassen18,4ProzentallerSchü-lerinnenundSchülerdieallgemeinbildendenSchulenmitAbitur.Dasistwenig,imbundesweitenDurchschnittsindesfast35Prozent.WirriefendieLeiterindesgrößtenGymnasiumsvorOrtan.SiewarverblüfftundeinwenigratlosangesichtsderZahl.Dannsagtesie,ihrBruderleiteaucheinGymnasium,inBraunschweig,östlichesNiedersachsen.WieeswohlinderStadtaussehe?

In Braunschweig machen 48 Prozent der Schüler Abitur. In Cloppenburg 18 Prozent. Wie kann das sein?

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fünfanbieten.DaskönntezumTeildiehoheZahl48erklären.AberdiemeistenSchülerkommenausderdirektenNachbarschaft,ausdemÖstlichenRinggebiet–daswirdinBraunschweigauchliebevollPföt-chenviertelgenannt.ZEIT:Pfötchenviertel?Volker Ovelgönne:Na,datragenalledieseJack-Wolfskin-JackenmitderPfoteimFirmenlogo.UndfahrenOsternindieToskana.IstnatürlicheinKlischee,abereinwunderbares!DasPfötchenviertelisthaltbio-bürger-lich.DieKinderkommenzuFußodermitdemRad.

WerdiebeidenGymnasienderGeschwisterzumerstenMalsieht,isterstaunt,wiesehrsichdieBautenähneln:zweiherrschaftlicheHäuser,beideüberhundertJahrealt,vieleSäulen,vielStolz.AllerdingsprangtdasGymnasiuminBraunschweigmitteninderStadt,Straßenbahnenschrammenvorbei,gleichumdieEckedasStaatstheater,Arztpraxen,Kanzleien,Cafés.Braunschweig,250.000Einwohner,istUniversitäts-stadt,Technologiestandort,TeilderVW-Wohlstandswelt,dieSPDstelltdenBürgermeister,dieArbeitslosenquoteliegtbei5,6Prozent.

DasGymnasiuminCloppenburgragtauseinemzersiedeltenOrt.RoterKlinker,hoherHimmel,flachesLand.ImLandkreisleben166.000MenschenundzehnmalmehrSchweine.BeiderjüngstenLandrats-wahlerhieltderCDU-Kandidat70Prozent.DieKirchensindgutbesucht.NirgendssonstinderRepublikkriegendieFrauenmehrKinder.GroßistdieVersuchung,dasWort„Provinz“zuverwenden,aberdieWirklich-keithälteinenWiderhakenparat:InCloppenburglebenkeineAbge-hängten.DieArbeitslosenquoteliegtbei4,6Prozent,Vollbeschäftigung,

Annette Ovelgönne-Jansen:Michdie18.Volker Ovelgönne:Michauch.UnddieTatsache,dassdieDifferenzsogroßist.Annette Ovelgönne-Jansen: Michlässtdasnichtmehrlos,seitSieangerufenhaben.MeineersteErklärunghängtmitdenDistanzenbeiunsaufdemLandzusammen.WirhabenSchüler,dieausentlegenenDörfernkommen.UnddortteilweiseausentlegenenHäusern,woWegehinführen,diekeineStraßennamenmehrhaben.DieseKindersindmorgenseineStundeunterwegs.ErstmitdemFahrradzurBushalte-stelle,dannmitdemBusindieStadt,dannzuFußzuuns.Undnachmit-tagsalleswiederzurück.ZEIT: EinKindausdemCloppenburgerUmlandmussdasAbiturschonsehrwollen,meinenSie?Annette Ovelgönne-Jansen:Ja.WillesdiesenWegaufsichnehmen?Wagtesdas,wenndasGrundschulzeugnisehermittelist?UndwennallseineFreundeaufdieOberschuleganzinderNähegehen?ZEIT: OberschulensindbeiIhnendas,wasfrüherHaupt-undReal-schulenwaren?Annette Ovelgönne-Jansen:Genau.UnddasistimmernochdieArtvonSchule,aufdiehierdiemeistenKindergehen.Volker Ovelgönne:WirhabenesehermiteinemBildungsbürgertumzutun,dasnichtzögertundzweifelt.EsgibtgutsituierteFamilienimUmland,inOrtenwieWolfenbütteloderKönigslutter,diederAnsichtsind,dieGymnasiendaseiennichtgutgenug.DieschickenihreKinderalsotrotzderweitenWegezuuns.Wohlauch,weilwirLateinabKlasse

BastianBerbnerundHenningSußebach:InBraunschweigmachen48ProzentderSchülerAbitur… | DIEZEITKATEGORIE TEXT | 1. Preis

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Volker Ovelgönne: Aberbei18Prozentmüssendochvieleflötengegangensein,Annette.Wosinddie?Umgekehrtmussichmichbei48Prozentfragen,obdasnichtzuvielesind.KinderwerdenjanichtperPostleitzahlintelligenter.ZEIT:InvielenBundesländerndürfenGrundschulenkeineverbindlicheEmpfehlungmehrfürdenWechselaufweiterführendeSchulengeben.BeiIhnenistesauchso.DieElternentscheiden.Wieläuftdasab?Volker Ovelgönne:BeiunsistdaseigentlicheinWahnsinn:Esbeginntdamit,dasswirSchulleiterzuInfoabendendurchdieGrundschulentouren!Annette Ovelgönne-Jansen:Macheichauch.BloßkommendaleiderlängstnichtalleEltern.Volker Ovelgönne:Krass.BeiunsistRiesenandrang.Abernur,solangeesumGymnasiengeht!IchkenneGrundschulenimPfötchenviertel,dastellensichdieKollegenvonHaupt-undRealschulengarnichtmehrvor.ZEIT:BeiIhneninBraunschweigsolleseinenregelrechtenElterntou-rismusdurchalleGymnasiengeben.Annette Ovelgönne-Jansen:EinenTagderoffenenTür?Habenwirauch.Volker Ovelgönne:Einen?WirmacheneinenTagderoffenenTür,SchnupperstundenaneinemSamstagundbietendenGrundschülernan,imnormalenUnterrichtzuzuschauen.TrotzdemkriegeichnochAnfragen,dawollenElterneinepersönlicheFührung.ZEIT:KönnenSieüberhauptalleSchüleraufnehmen,diesichanmelden,HerrOvelgönne?

WirtschaftsdatenfastwieinBaden-Württemberg.UndaufdenStraßenauffallendvieleschwere,teureAutos.ZEIT:AufdenerstenBlickkönntemandenken:Imkonservativ-katholi-schenCloppenburgmüssenMädchendieBildungsverlierersein.KinderstattAbi...Annette Ovelgönne-Jansen:Aberdasstimmtnichtmehr.AnmeinerSchulemachenseitJahrenmehrSchülerinnenalsSchülerAbitur.Volker Ovelgönne:Istbeiunsgenauso.ZEIT: Dannistunsaufgefallen,dassrund20ProzentderCloppenburgerrusslanddeutscheWurzelnhaben.SpieltdaseineRolle?Annette Ovelgönne-Jansen:Wenigeralsfrüher.WirhabenzwarnochnichtsovieleKinderausdemMilieu,abereswerdenmehr.Unddie,diebeiunssind,sindsuper!Ichfragemicheher:InCloppenburggibtesmehrBerufsschulenalsGymnasien.WievielemachenaufdiesemWegAbitur?ZEIT:Dashabenwirwiederumüberprüft.Essindeinige,aberdiemachenausder18keine48,auchkeine35...Volker Ovelgönne:...undBerufsschulengibt’shierjaauch.DieriesigeDifferenzbleibt.VielleichtgreifteineandereErklärung:InBraunschweiggibt’seinegroßeUni,dasDeutscheZentrumfürLuft-undRaumfahrt,einHelmholtz-Zentrum,zehnGymnasien.DementsprechendvieleHochschullehrer,Lehrer,Akademiker–lauterEltern,diefürihreKinderausschließlichdasAbiturinBetrachtziehen.Annette Ovelgönne-Jansen:WennichmirmeineCloppenburgeranschaue,scheinendienichtunterverpasstenChancenzuleiden.

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ZEIT:WasistdemnachdieVorstellungvonLebensglückinBraun-schweig,HerrOvelgönne?Volker Ovelgönne: Dazumussichsagen:EsgibtzweiBraunschweigs.ImWestenisteherderArbeiterzuHause.DagehörtzumGlückunteranderemeinHeimsiegderEintracht.ImOsten,imPfötchenviertelmitseinemBildungsbürger-Milieu–dagehörtzurDefinitionvonGlücksicherlich,denWohlstandderElternzuhalten,derenErwartungenzuerfüllen.EingelingendesLebenzuleben.Siekönnensichnichtvorstellen,unterwelchemDruckeinigeSchülerstehen.ZEIT:WasistdieVorstellungvonLebensglückinCloppenburg?Annette Ovelgönne-Jansen:HausundKinder.EinWesensmerkmalistBodenständigkeit,einestarkeBindungandieFamilie,anFreunde,andieScholle.EinigebauensichimHausderElterndenDachstuhlaus.UndwennichimWerte-und-Normen-UnterrichtdieMädchenfrage:„WolltihreureKinderspäterindieKrippegeben?“,dannsagendie:„DafürkriegeichkeinKind,dassich’sdannweggebe.“MeineTheorieist:Wirsind15JahrehinterBraunschweigzurück,inmanchenFällenistdasschlecht,inmanchenauchsehrgut.ZEIT:WasmeinenSie?Annette Ovelgönne-Jansen:WennwirzumBeispielElternmelden:„IhrKindmachtunzuverlässigHausaufgaben,wirdenkendeshalbanfolgendeMaßnahme...“,dannantwortenimmernochviele:„DankefürdenHinweis.DaunterstützenwirSie.“Volker Ovelgönne:UnsereElternsindnatürlichauchsuper,wasdieallesaufdieBeinestellen!DieorganisiereneinenBerufsinformationstag,

Volker Ovelgönne:DasistjadasVerrückte,könnenwirnicht.ZEIT:WarumdannalldieWerbung?Volker Ovelgönne:DieElternerwartendas.IndiesemSoziotopgehtesnichtdarum,dasseinKindaufsGymnasiumgeht.Sonderndarum,aufwelches.DasBestesoll’ssein!ZEIT:WastunSie,wenneinoffensichtlichungeeigneterSchüleraufIhreSchulewill?Annette Ovelgönne-Jansen:BeiunssitztdiesiebenköpfigeSchullei-tungeineWochelangdaundlässtalleBewerberkommen.WirschauenunsmitdenViertklässlernundderenElterndieZeugnissean.Wirsagenauchsehrklar:„MitunsererErfahrungsehenwiraufdemGymnasiumgroßeSchwierigkeitenaufIhrKindzukommen.“Volker Ovelgönne:UndamnächstenTag?PostvomAnwalt?Annette Ovelgönne-Jansen:Nein.VieleguckensichdanndieOber-schulean.Undeinige–abersichernichtsovielewiebeidir–kommentrotzdemwieder.Volker Ovelgönne:Hierundenkbar.DieErwartungshaltungbeiunsergibtsichmittlerweileausFamilientraditionen:LetztenSommerhabeichbeiderEinschulungsfeieralleFünftklässleraufstehenlassenundgesagt:„Jetztsetzensichallehin,derenGroßelternschonaufdieserSchulewaren.“Setztensicheinpaar.Dann:„Jetztalle,derenElternhierzurSchulegingen.“DasaßdieHälfte!„Jetztnochalle,diehierGeschwisterhaben.“Wiedersaßenmehr.„Undjetztdie,diehierNach-barskinderoderFreundehaben.“Dastandenvon147Neuennochzehn.

KATEGORIE TEXT | 1. Preis BastianBerbnerundHenningSußebach:InBraunschweigmachen48ProzentderSchülerAbitur… | DIEZEIT

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hat,Scheiße‘gesagt!“Wennwirunterwegssind,aufExkursionen,inMuseen,hörenwirimmer:„WiehöflichIhreSchülersind.Diemachennichtskaputt,diesagenBitteundDanke.“Dasfreutmich.Aberichfreuemichnochmehr,wennichsehe,wieeinigeimLaufderJahreeloquenter,auchaufmüpfigerwerden.EsistdochunsereAufgabe,siezukritischenMenschenzuerziehen.Volker Ovelgönne:HastdudeineSchülerinderletztenAbi-Redenichtsogaraufgefordert,aufReisenzugehen?Annette Ovelgönne-Jansen:Ja.UnsereSchülermachenAbi-FahrtennachBulgarienundLloretdeMar,weil’sdabilligistundmanvieltrinkenkann.InzwischengehenaberaucheinigemitWorkandTravelnachAustralienoderalsAu-pairindieUSA.Trotzdemistvielendereigent-licheWertdesReisensnichtbewusst.AuchnichtderWertvonBildung.Etwas,dasmannichtmonetärbemessenkann,wirdhierinderGegendnachwievornichtrichtiggeschätzt,findeich.ZEIT: DashabenSiegesagt?Annette Ovelgönne-Jansen: Etwasvorsichtiger.IchhabevonmeinenReisenerzählt.NachIndienundAfrika.DieWeite,dieTiere!SogarimKollegiumlöstedasjahrelangIrritationenaus.Dahabenmichgestan-deneLehrergefragt:„Waswillstdudadenn?“Und:„WiekommstdunuraufdieseZiele?“ZEIT:Heißtdas,geografischeAbgelegenheitführteherzuGenügsam-keitalszuAusbruchslust?Annette Ovelgönne-Jansen:Ichmeinedasnichtsonegativ,wieesviel-leichtklang.InCloppenburgwirkenstarkesozialeStrukturen–wasja

diespendenSkifürdieLanglauf-AG,undeinArchitekten-Vatersagt:„Ichhabegehört,dieSchulebrauchteinenneuenKanu-Steg?Dakannichhelfen.“AndererseitsbeschwertsichschonmaleinVater,weilseinKindinSportstatteinerEinsminuseineZweiplusbekommt.Oderwirinfor-mierenEltern,dassihrKindeinenMitschülerattackierthat–undzurückkommteineMailmitFragen:HabenSieBeweise?KönnenSieUhrzeitundTatortnennen?SinddieZeugenverlässlich?SolcheMailsgeheninKopieauchgernandieLandesschulbehörde.ZEIT: WievieleEltern-MailsbekommenSieproWoche?Volker Ovelgönne:HältsichinGrenzen.Fünfbiszehn.Annette Ovelgönne-Jansen: ProWoche?SovielekriegeichineinemSchuljahr.ZEIT:GlaubenSie,dieSchülerIhrerSchulenwürdensichverstehen?Annette Ovelgönne-Jansen:Jeälter,destobesser,glaubeich.FürmeineFünftklässlerwäreesschwierig.Jedörflichersieaufwachsen,destoschwerertunsiesichanfangsmitEloquenzundArtikulation.Esfälltnichtallenleicht,einReferatzuhalten,etwaszupräsentieren.ZEIT:Warum?Annette Ovelgönne-Jansen: Weilsieesnichtgewohntsind,etwasdarzustellen.Sichdarzustellen.Dashängtdamitzusammen,mitwievielSelbstbewusstseinundDiskursfreudemanimElternhausausge-stattetwird.Volker Ovelgönne:DamussichmirkeineSorgenmachen.Annette Ovelgönne-Jansen: WennmirinderKlassemalein„Scheiße!“rausrutscht,schlagenvieledieHandvordenMundundflüstern:„Sie

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EbenhaterseineVorabi-KlausurinBiologieabgegeben.„DarwinundEvolution,liefganzgut“,sagterundschlendertvomSchulportalauseineStraßelinksrunter,gehtamStädtischenMuseumvorbei,insgesamt200Meter,dannisterzuHause.EingepflegterAltbau.WennYannikausseinemZimmerimzweitenStockschaut,kannerseineSchulesehen.

SollteallesnachPlanlaufen–undseinPlanheißt:einNotenschnittvon1,2–,wirdYanniknichtmehrlangeinBraunschweigwohnen,sondernnachSydney,LondonoderLeidenindenNiederlandenziehenunddortJurastudieren.Ersagtdassoselbstverständlich,wieweltum-spannendesDenkeninseinerFamilieselbstverständlichist.SeinVateristBanker,nachderTrennungvonderMutterzogernachSingapur.AlsYanniknocheinKindwar,besaßderVatereineBahnCard100,oftfuhrenbeidekreuzundquerdurchDeutschland,einfachreinineinenICEundirgendwowiederraus,malinHeidelberg,malinSaarbrücken.SeitderVaterinAsienlebt,hatsichnurdasVerkehrsmittelgeändert:NeulichflogendiezweispontannachTokio,derVaterhattedorteinenTermin.AufdieseWeisewarYannikauchschoninBangkokundBrisbane.

Wasallesgeht!Wievielmöglichist!IndiesemBewusstseinistYannikinBraunschweigaufgewachsen.DieWeltseinerElternistweit,seinesollnichtengerwerden.

DergleicheMonat,dieandereSchule.Freya,17,kurzedunkleHaare,rotwangigvorAufregung,hatgeradedieletzteMathe-KlausurihresLebensgeschrieben.InmitteneinerSchülerschartrittsieausdemClemens-August-Gymnasium,läuftzumCloppenburgerBahnhof,steigtindenBusderLinie930undlässtsichfasteineStundelangnach

auchgutist!ManwirdgehaltenvoneinemsozialenNetz.IchhabedenEindruck,esgibteinehoheZufriedenheitmitdenZuständen,wiesiesind.ZEIT:WohingehenSiemitIhrenSchülernaufKlassenfahrt?Annette Ovelgönne-Jansen:DieKlassenfahrtenderFünftenundSechstengehenaufdieInseln,NorderneyoderBorkum.UnddieElternfragennie:Warumnichtmalwoandershin?DieachtenKlassenfahrendannSki.FürvieleSchüleristesdasersteMal,dasssieBergesehen,BergemitSchnee.DasstilleStaunen,wennderBusnacheinerNacht-fahrtdurchdiesesWeißfährt:Dasrührtmich.Volker Ovelgönne:WirhierfragenunsimKollegium:WanngehenwirbesseraufKlassenfahrt–vorodernachdenSommerferien?Vorher:stressig,wegenderKlassenarbeiten.Nachher:auchkeineguteIdee–dakommenvieleSchülergeradeausihrentollenUrlaubsresidenzen,undeinigemüssensicherstaufJugendherbergsniveauzurechtfinden.

ZweiStundenhabenBruderundSchwestergesprochen,amEndesindsieunsicher.SollteAnnetteOvelgönne-Jansenversuchen,die18inCloppenburgzusteigern,obwohldieMenschendortrechtzufriedenwirken?SollteVolkerOvelgönnedenBraunschweigerBildungsdrang,eigentlicheineguteSache,einbisschenbremsen,umdenKinderndenDruckzunehmen?Und:HabenSchulleiterüberhauptEinflussaufdiegesellschaftlichenKräftevorOrt?

DiebeidenschickteneineMailanihreOberstufenschüler:WerwillmitderPressereden?GemeldethabensichdieZugewandten,mitge-spielthatauchderZufall,alsaneinemMittagimFebruarYannik,17,hagerundblond,inBraunschweigdasWilhelm-Gymnasiumverlässt.

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sindeinigeMütterdeprimiert,manchebegebensichinpsychologi-scheBetreuung,wegendesGefühls,ihremKindnichtdenbestenStartermöglichtzuhaben.TrinkteinNeugeborenesnichtsofortvonderBrust,blicktdieHebammeinverzweifelteGesichter.SiekenntauchdasStandardprogramm,dasaufsVerlassenderKlinikfolgt:Säug-lingsgymnastik,nachsechsMonatenBabyschwimmen,mitanderthalbJahrenmusikalischeFrüherziehung,imKindergartendieerstenengli-schenWörter.

ImCloppenburgerSt.Josefs-HospitalberichtetdieleitendeHebamme,auchihreSchwangerenläsenmittlerweilemehrRatgeber,seienabermeistnoch„fähig,sichindieSituationhineinfallenzulassen“.Harfehatnochniemandgespielt,dieFrauensindetwasjüngeralsandernorts,entspannter–auchweilsieihreElternalsHelferinderNähewissen,sagtdieHebamme.OftwechselnsichMännerundMütterimKreißsaalab,ganzeFamilienrotierenüberStundenreinundraus.VorderTürzurGeburtsstationstehteinSperrholzstorch.

WennKinderinBraunschweigindieersteKlassekommen,kannessein,dasssievonderMutterdesangehendenAbiturientenYannikbegrüßtwerden.SieistLehrerinaneinerGrundschule.DerzeitbetreutsieeinevierteKlasse,zwölfKinder,nurfürzweiwirdsiewohldasGymnasiumempfehlen.Sieweiß,dasseinigeElternderübrigenzehnihrenRatignorierenwerden.EineMutterfragteschonvoreinemJahr:„Erschafft’sdochaufsGymnasium,oder?“Ehernicht.NeulichwardieFrauwiederdaundsagte,siehabemiteinerTherapeutingeredet–diehabeempfohlen,eszuprobieren,womöglichseiderSohnein

Hauseschaukeln.DraußenziehenFeldervorbei,drinnenbeschlagendieScheiben,undFreyaerzählt.VonToKillaMockingbird,dassieimEnglisch-Leistungskursgelesenhat.VondemaltenBauernhaus,dasihreElternweitdraußenhergerichtethaben.VondenSchwierigkeiten,imlöchrigenInternetdortfüreinReferatzurecherchieren.VondemPferd,dasdafürinderAbgeschiedenheitPlatzhat.

Freya,dieÄltestevonfünfGeschwistern,wirddieErsteinihrerFamiliesein,dieAbiturmacht.DerVater,vondemsieliebevollals„Papa“spricht,warKfz-Mechatroniker,biserkrankwurde.Die„Mama“lernteFlei-schereifachverkäuferin.FreyawarnochnieinAmerika,nieinAfrika,nieinAsien.EinmalwarsieinBerlin.Standjetzt,möchtesieTierärztinwerden.

FüreinenBraunschweigerSchülerwieYannikmagdasbescheidenklingen.FürFreyafühltessichandersan.DemGroßvatergehörteeinSchlachthof,ihreMutterhattenochneunGeschwisterunddurftedamalsnichtaufsGymnasium.Siesollte„wasRichtiges“lernen.„MamabereutdasihrganzesLeben“,sagtFreya.

DieseengeWelt–fürihreKinderwillFreyasMuttersiejetztweiten.BraunschweigerundCloppenburgerBiografiendrängenschon

auseinander,bevorKinderindieSchulekommen.ImurbanenBürgertumbeginnedasStrebenzumBestmöglichenspätestensimKreißsaal,sagtdieleitendeHebammeamStädtischenKlinikumBraun-schweig.VieleSchwangeresindüberdreißig,vielebekommennureinKind,dementsprechendsolldieGeburteinLebens-Highlightsein.NeulichwollteeineFrau,dassihrMannimKreißsaalHarfespielt.Haterdanngemacht.MusseinBabyperKaiserschnittgeholtwerden,

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EineKindheitinCloppenburgistvollvonGreifbarem–undmanchmalverstelltderBlickaufdas,wasist,denBlickaufdas,wasseinkönnte.VermutlicherfährtFreyasMutterdeshalbkeineBewunderungfürihreAnstrengung,denKinderndasAbiturzuermöglichen.NichtmalNeid.

EineKindheitinBraunschweigistvollerKonjunktive–undmanchmalverstelltderBlickaufdas,wasseinkönnte,denBlickaufdas,wasist.WährendHandwerkerverzweifeltAuszubildendesuchen,hörtmanvonSchülernanGymnasienkaumetwassooftwiedenSatz:„Noteistegal,Hauptsache,Abi.“

InBraunschweigisteineganzeInfrastrukturgewachsen,dieSchülerpushensoll.NebenzehnGymnasienhaltenauchfünfGesamtschulendenWegzumAbioffen(inCloppenburgkeineeinzige),mehrereInstitutehabensichaufdieDiagnosevonLese-Rechtschreib-Schwächenspezia-lisiert,infastjederGymnasialklassesitztmittlerweileeinKind,indessenDeutsch-NotedieRechtschreibungnichteinfließt.AuchderNachhil-femarktboomt.InderFilialederFirmaStudienkreisbrechenGymnasi-astenimVorstellungsgesprächregelmäßiginTränenaus.Neulich,sagtdieLeiterin,habeeineMutterihrenvölligüberfordertenSohngebracht,derschoneinmalsitzengebliebenwarundjetztwiederfünfFünfenaufdemZeugnishatte.EineandereFraumeldeteihrKindfünfmaldieWochezurNachhilfean,„vielzuviel“,sagtdieLeiterin,aberdieFraubestanddarauf.KürzlichblaffteeineweitereMutterihreTochter,eineViertklässlerin,an:„DannwirstduhaltStraßenkehrerin!“

DieseElternfürihrenEhrgeizzukritisierenistleicht,zuleichtviel-leicht,dennnatürlichgibtesKinder,dietatsächlichdurchstarten,deren

Spätzünder.YanniksMutteristschoneineganzeWeileGrundschulleh-rerin,nochniehatsiegehört:„Okay,wennSie’sfürbesserhalten,danngehtmeinKindaufdieRealschule.“

EsgibtGymnasieninderStadt,dasprechendieNotenvon30ProzentderBewerbereigentlichgegeneineAufnahme.DieElternmeldenihreKindertrotzdeman.InVolkerOvelgönnesWilhelm-Gymna-siumwirdschoninKellerräumenunterrichtet.

WennFreyaimCloppenburgerLanddieBerufeihrerNachbarnaufzählt,derMenschenaufdenHöfenringsum,sinddasnichtmehrnurBauern,sondernauchdieBesitzerineinesReitladensundeinSpedi-teurfürTurnierpferde.AberNachbarskinder,diewiesieaufsGymna-siumgehen?Gibteskaum.„Ichkenneviele,diegarnichtahnen,wassiekönnen“,sagtFreya.TolleMädchenundJungs,diePfadfindergruppenleitenundsichauchinderWeltzurechtfindenwürden,aberschonmit14Jahrensagen:„Ichweißeh,wasichwerde.“VonihrenElternhörensiejadauernd:„DukannstspäterdenHofübernehmen.“

FreyasMutter,diegelernteFleischereifachverkäuferin,dienichtaufsGymnasiumdurfte,leidetstellvertretenddarunter.„Wernichtsauspro-biert,wirdniewasNeueskennenlernen“,sagtsie.Mittlerweilekell-nertsieineinemKulturcafé,einemwinzigenStückalternativerSzeneinCloppenburg.RingsumwiederholtsichinihrenAugenGeschichte,wiederundwieder,nuraufwachsendemwirtschaftlichemNiveau.Werfrüher100Schweinemästete,mästetheute1.000.WerfrühereinkleinesBauunternehmenführte,führtheuteeingroßes.WerfrüherVWfuhr,fährtheuteMercedes.

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zuhaben;eineAusbildung,einAuskommen.DasLebeninderGroß-stadt:teuer,diffus,riskant.DerAlbtraumschlechthin:„AchtSemesterstudierenunddannscheitern.“

BraunschweigerElternwürdendafragen:SollBildungnichtChanceneröffnen?

JemehrmansichindenAlltagdieserbeidendeutschenStädtehineinfragt,destodeutlicherwird:ImRaumzwischender18undder48verbergensichnichtnurBildungsunterschiede.ZumVorscheinkommenzweigrundverschiedeneLebenswelten,zweiDeutschlands.DieBundesrepublikgehörtzudenreichstenStaatenderWelt,sieisterschlossendurchStraßen,vernetztmitSchienen,alleBürgerwerdenvondergleichenKanzlerinregiert,injedemWinkeldasLandeskönnensiedieselbenNachrichtensehen,überallgeltendiegleichenGesetze–unddochistesso:SelbsteineiigeZwillingewürdenvölligverschiedeneWegenehmen,wennsiegetrenntvoneinanderinCloppenburgundBraunschweigaufwüchsen.

InCloppenburgwirdFußballgespielt,imBraunschweigerPfötchen-viertelHockey.

InCloppenburgwirdgesoffen,inBraunschweiggekifft.InbeidenStädtengibtesJugendproblemewieMagersucht,

Depression,auchSuizidalität–Phänomene,denenBraunschweigerJugendberatungsstellen,Jugendpsychiatrien,JugendarztpraxenundJugendämtermitdemPrinzipder„Niedrigschwelligkeit“begegnen:SobaldirgendjemandemeinSchülerauffälligerscheint,wirdAlarmgeschlagen.SolandennichtnurEssgestörteund

BiografienimRückblickzeigen:DieNachhilfe,dasBeharren,dasgemeinsameBüffeln,alldasbrachteetwasinGang.

InCloppenburgsArbeitsagenturerzähltderBerufsberaterDietmarMeyer,dasserseineneigenenSohnnichtaufsGymnasiumgeschickthat,weilerdemJungen„eineKindheitmitZweienstattVieren“schenkenwollte.MeyerhateinenRealschulabschluss,eristFanvonWerderBremen.WennermitseinenKumpelsinsStadionfährt,isteinFirmen-chefdabei,einBankkaufmann,einLagerarbeiter.„EsgibtbeiunskeineStändegesellschaft“,sagtMeyer.DeshalbseidieAngstvoreinemStra-ßenkehrer-Schicksalauchnichtgroß.

DasLebenaufdemLandistgünstigeralsinderStadt,fastjederkanneinHausbauen.DerBerufsberaterMeyerbeschreibtseineHeimat,alshabekonservativ-katholischerKapitalismuszusozialistischerGleichheitgeführt.EsgibtArbeitfüralleundjeden,Lebensmitteltechnik,Tiefkühl-kost,Maschinenbau,vieleFirmensindinFamilienbesitz.WirtschaftskrisenwerdengemeinsamdurchgestandenwiefrüherGewitterundHagel.

WasderCloppenburgerMeyerüberBraunschweighört,klingtfürihnnachAngst.NachAbstiegsangstundNicht-mehr-Aufstiegs-Angst.SollBildungnichtÄngstenehmen?InBraunschweigscheint,ausClop-penburgbetrachtet,dasGegenteilzustimmen.

HörtmanMeyerallerdingsgenauzu,kündenseineWorteeben-fallsvonFurcht–dervorjedemWagnis.Freudiglobterdie„realisti-schenVorstellungen“,mitdenenSchülerzuihmkommen,ihrenWunsch,erstmal„wasSicheres,wasSolides“zulernen.VerstehtmanMeyerrichtig,gibterkeinenRathäufigeralsden,schnell„wasinderTasche“

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Kartenspieltundniemandeinsamstirbt.EswäreWahnsinn,dasgeringzuschätzen.

UndeswäreLeichtsinn,dasBestmöglichkeitsdenkenvonBraun-schweigzubelächeln.DerEuropäischenUnionzufolgewirdinkeinerStadtaufdemgesamtenKontinentmehrGeldinForschungundEntwicklunginvestiert.DasExzellenzstrebenistsoweitverbreitet,dassesfastanUnterlassunggrenzt,einKindhiernichtzumAbiturzudrängen:InNiedersachsenkannniemandmehrPolizistwerden,dernichtmindestensFachabiturhat.InBraunschweighatten85ProzentderBankkaufleute,die2016ihreAusbildungbegannen,Abitur.BeidenVersicherungskaufleutenwarenes75Prozent,imHotelgewerbe69Prozent.

LängstistanbeidenOrteneinPerpetuummobileausSeinundSolleninGanggekommen,hatsicheineLogikderStadtundeineLogikdesLandesentwickelt.SogiltfürvieleMenscheninBraunschweigwieinCloppenburgdasGlück,amrichtigenOrtzusein.AberfürandereebenauchdasPech,amfalschenzuleben.Dennwas,wenneinMenschnichtinsMilieupasst,dassichumihnherumausformt?

AneinemsonnigenNachmittagstehtMonikaTaddicken,Profes-sorinfürMedienwissenschaftenanderTUBraunschweig,zumletztenMalimendendenSemestervorihrenStudenten.37sindgekommen,halbsovielewiezuBeginn,immerhin.ÜberMonatehatdieDozentinversucht,denErstsemesterndieGrundlagenihresFachesnahezu-bringen,oftwirktendieBlickederStudentenleer,auchheute.DieProfessorinredetundredet,durchausleidenschaftlich,anderthalb

SelbstmordgefährdetebeimTherapeuten,sondernauchTeenagermitLiebeskummer.InCloppenburgsagteineKinderpsychotherapeutin:„BeimirmeldensichvieleElternleidererst,wenn’sbrennt.UnddannfallenSätzewie:,MeinKindgehörtdochnichtindieKlapse!‘“

InderCloppenburgerBuchhandlungTerwelpverkauftesichimvergangenenJahreinBildbandüberdenLandkreisambesten.DerBesitzersagt,Esoteriklaufebeiihmnichtsogut,ebensowenigLebens-hilfeund„allesmitAchtsamkeitimTitel“.

InderBraunschweigerBuchhandlungGoeritzistgeradeeinversponnenerRomandesJapanersHarukiMurakamisehrgefragt.UndBernhardSchlinksOlga,sagtdieInhaberin,dasBuchwerdederzeitaufNDRKulturvorgelesen.

InCloppenburgnehmendurchschnittlicheinhundertMenschenaneinerBeerdigungteil,sagteinBestatter.EinKollegeausBraunschweigsagt:„Sovielekommenbeiunsnur,wennjemandsehrjungstirbt.“

ÜblicherweisemachtmanalsJournalistdieErfahrung,dassInterviewpartnerrelativieren.Dasssie–alsVerteidigerihrerHeimat–ungernschwarz-weißmalen.BeidieserRecherchewaresanders:Werauchimmersprach,tatdasmiteinerFreudeanExtremen,anAnek-doten,anKlischees.

WahrscheinlichweildieKlischeesderWirklichkeitentsprechen.DemnachistCloppenburgeinOrt,andemHauptschülernocheineArbeitfinden.AndemdasHandwerkgewürdigtwird.AndemBeamteundMüllmännerTüranTürwohnen,anstattsich–insegregiertenVier-teln–ausdenAugenzuverlieren.EinOrt,indemmangemeinsam

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„Architektin“,sagteineEllen.„Immernoch.“DerVaterfährtLastwagen,dieMutterarbeitetineinemImbiss,demOnkelgehörteineBaufirma,„dakönnteichsofortanfangen“.

„Wow!“,könntederBerufsberaternunrufen.„Wenndudichanstrengst,wenndulernstundguteNotenschreibst,kannstdunachderZehntenaufsGymnasiumundspäterArchitekturstudieren.“Mit14istnochsovielmöglich.EsistdasAlterderTräume,dieZeit,inderselbstderMonderreichbarerscheint.UndEllenmöchtenurArchitektinwerden.

DochderBerufsberatersagt:„VielleichtguckstduerstmalnachBauzeichnerin.“

WarumbleibteinerElleninCloppenburgverwehrt,waseineMarieinBraunschweigoffensichtlichüberfordert?NocheinmalwollenwirmitdenbeidenSchulleiternreden.

DiesesMalreistVolkerOvelgönnenachCloppenburg,nimmtdieStufenzumPortaldesClemens-August-GymnasiumsundbetrittdieSchuleseinerSchwester.InihremBürohörensichdiebeidendieGeschichtenvonYannikundFreyaan,dieBerichtederHebammen,TherapeutenundBuchhändler,dasVerlorenseinvonMarieinBraun-schweig,dasÜbergangenwerdenvonElleninCloppenburg.Manchmallächeln,oftnickensie.ZEIT:FrauOvelgönne-Jansen,machtSiedieGeschichtevonEllenwütend?Annette Ovelgönne-Jansen:Ichfindedaserschütternd.SiebräuchtejaoffenbarnureinbisschenErmutigung.

Stunden.KeinZuhörerfragtetwas.Esantwortetauchniemand,wennTaddickeneineFragestellt.Esist,alswärendieStudentengarnichtda.

GanzhintensitztMarieundzwirbeltihreblondenHaareumdenZeigefinger.VorzweiJahrenhatsieaneinemBraunschweigerGymna-siumAbiturgemacht.NacheinemFreiwilligenSozialenJahrinPolenwusstesienochimmernicht,wassietunkönnte.VielleichtMedienwis-senschaftenstudieren.FragtmanMarie,wiesiedasnunfindet,zucktsiemitdenSchultern.

SemesterfürSemesterseidasso,sagtdieProfessorin.VieleStudentenhättenkaumechtesInteresse,siehättennochnichtmaldieWebsitederUnigelesen,bevorsiesicheinschrieben.SieläsenauchkeineZeitungunddächten,sieseien„medialunterwegs“,weilsiedenganzenTagaufsHandygucken.„Diemeistensindfalschhier“,sagtTaddicken.UndmeintdamitdieUniversität.

EtwazurselbenZeitistdieachteKlasseeinerOberschuleimLand-kreisCloppenburgzuBerufsberaterMeyergekommen.Essindpuber-tätsverformte14-Jährige,mancheschongroßundetwasungeschlacht,anderenochKinder.IneinemJahrwerdensieihrenHauptschulab-schlussmachen,einigewerdendanneineArbeitsuchen.DerBerufsbe-raterfragt,wassiewerdenwollen.

„Kfz“,sagteinJonas.ZuHauseschraubeergernamTraktorrum.„Erzieherin“,sagteineSusanna.SiehüteoftdieKinderihrerTante.

„Zimmermann“,sagteinChristian.ErhabeseinemgroßenBruderbeimBaueinesDachstuhlsgeholfen.

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Volker Ovelgönne:DieLehrerdortgäbendamitnatürlichihrbestesPferdimStallab.EinenSchüler,deroftauchsozialVorbildcharakterhatundanderemitzieht.Dasagtessichnichtleicht:Verlassunsmalbitte,dukannstaufsGymnasium.ZEIT:SogarLehrergehörenzurGummiwand?Annette Ovelgönne-Jansen:ZumTeil...ichweißnicht...ja.DazudassozialeNetz.EllensMitschülerwürdenvermutlichauchsagen:„Ey,wassolldas?WirsinddochFreunde!“Volker Ovelgönne:EinklebrigesNetz.Annette Ovelgönne-Jansen:Klebrig,ganzgenau!Undzugleichberüh-rend.Esistschwierig,damitumzugehen,fürjedenhier,auchfürmich.Ichfragemichandauernd:WelcheHandhabebleibtmir?ÜberseheicheineMöglichkeit?Wasichbehauptenkann:DiesseitsderGummiwandtunwiralles.WirhabeneinSchüler-helfen-Schülern-Programm.UnddanngibtesdasGanztagsangebot:DabeaufsichtigenLehrerSchülernachmittagsnochbeimHausaufgabenmachen.Volker Ovelgönne:DernächstelogischeSchritt,umdieGummiwandzudurchbrechen,wäredanndoch:DumusstzumSchulträgergehen,zurLandesschulbehörde,undsagen:18Prozent!Guckteuchdasmalan,dasgehtdochnicht.Annette Ovelgönne-Jansen:DieGrünenhabenvorzwei,dreiJahreneinenAntragfüreineGesamtschuleinCloppenburggestellt,Volker.DeristbeieinerElternbefragungklarabgelehntworden.DieElternhabenzurückgefragt:Wozu?WirhabendochGymnasienundfunktionierendeOberschulen.

ZEIT:WarumfälltjemandwieElleninCloppenburgdurchsRaster?Annette Ovelgönne-Jansen:Ichglaube,dassdasElternhausdaeineganz,ganzgroßeRollespielt.IchhabehäufigdasGefühl,wirarbeitengegeneineGummiwand.Mankannberaten,mankannTagederoffenenTürveranstalten,Theateraufführungenmachen–aberwenndieElternsichnichtfürdasGymnasiuminteressieren,dannverpufftdas.UndwenigeKindertragenmitzehn,elf,zwölfschondenKeimdesRevolu-tionäreninsichundgehenalleinihrenWeg.DieEllenssindfürmichschwerzuerreichen,ichkriegediejaniezuGesicht.ZEIT: OffenbargehörenzuderGummiwand,vonderSiesprechen,nichtnurEltern,sondernauchBerufsberater.WiekommenSiedadurch?Volker Ovelgönne:GibtesAGs,dieihranbietet,schoninGrund-schulen?EineKolleginvonunsmachtineinerGrundschuleumdieEcke„lebendigeAntike“.Annette Ovelgönne-Jansen:Nein.Waswirhaben,sindzwanzigMinutenSchnupper-UnterrichtunddieInfoabendeandenGrundschulen.Aberdakommenjanichtviele.ZEIT: Wirfragenuns,obesmöglichwäre,direktandieOberschulenzugehen,zurKonkurrenz.NichtderzehnjährigenEllenzubegegnen,sondernder14-jährigen–ohneUmwegüberdieEltern.Annette Ovelgönne-Jansen:Aberdaswäreübergriffig,fastwieGuerilla.Ellenzuentdeckenundzuermutigen,dasistdieAufgabederLehreranderOberschule.Wenndiesehen:DaisteinKind,dashatdieFähig-keiten,dashateinenTraum,dannmüssensiesagen:Versuches!Ichunterstützedich!UndichredemitdeinenEltern!

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genaudieGrenze?Schwierig,abermankannsichschonfragen,obwirwegmüssenvondermassivenWerbung.ZEIT:Und?WollenSie?Volker Ovelgönne:VonderWerbungja.AbervondenAbschlüssen?Esgehthinundhermitmir.Esistdochwünschenswert,dassvieleAbiturmachen.LandohneRohstoffeundso–dieArgumentekennenSieja.MüssenwirinBraunschweig,nurweilCloppenburgvielleichteinbiss-chenraufsolltevonder18,runtervonder48?Jelängerwirreden,destowenigergefälltmirdas.ZEIT:DannnehmenSieabereinigeMariesinKauf.Volker Ovelgönne:DieKonsequenzmussmandanntragen.ZEIT: WaswäreIhrAppellandieKindervonCloppenburgundBraunschweig?Annette Ovelgönne-Jansen:IchwürdeeinTucholsky-Zitatanbringen,dashabeichschoninderletztenAbi-Redeverwendet:„DiegrößteSehenswürdigkeit,dieesgibt,istdieWelt–siehsiediran!“Volker Ovelgönne:IchhabegeradeunsererSchulzeitungeinInterviewgegebenundwiederholedashiergern:HöraufdeinHerzunddeinenVerstand.Wasduwillstundwasdukannst,istentscheidend.NichtwasdeinUmfeldvondirverlangt.

ZEIT:Dashieße:Die18spiegeltdenElternwillenwider.Annette Ovelgönne-Jansen:AberebennichtEllensWünsche.Ichweißzwarnicht,wievieleEllensesgibt,aberesistschonärgerlich,dassesdieeinegibt.ZEIT:WennSiekönnten:WelcheZahlanstelleder18würdenSieinzehnJahrengerninCloppenburgerreichen?Annette Ovelgönne-Jansen:Schwerzusagen.25Prozent?Volker Ovelgönne:DawürdeinBraunschweigderNotstandausgerufen!ZEIT:HerrOvelgönne,angesichtsvonStudentenwieMarie:MachenanIhrerSchulezuvieleAbitur?Volker Ovelgönne:DasseinigeStudentenimerstenSemesterorien-tierungslossind,wundertmichnicht.NatürlichistesunsereAufgabe,MenschenwieMarieaufsStudiumvorzubereiten.VorallembeidenG8-JahrgängenfehltunsdabeieinwichtigesJahr.Aberichbinzuver-sichtlich,MariewirdihrenWegschonfinden.Annette Ovelgönne-Jansen:DaskriegenwirwiederumdurchunsereElternundEhemaligegespiegelt:WerunsereSchulemiteinemgutenAbiturverlässt,kommtauchanderUniversitätklar.Volker Ovelgönne:Ichbehauptemal,dasgiltfürmeineSchuleauch.ZEIT:InunseremerstenGesprächerzähltenSienochvondemDruck,unterdemüberforderteSchülerleiden.Volker Ovelgönne:Ja,klar.WasbeimeinerSchwesterdieGummiwandist,istbeimireinDilemma.WennwirinBraunschweigdie48runter-schrauben,istmeineSorge,dasswirEllensproduzieren.GleichzeitigmüssenwirjedeMarievorüberambitioniertenElternschützen.Woistda

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nichtaufdieStraßegerichtet,sondernaufdieRückbänke,aufdieKinder.So,dassersieimmersehenkonnte.

AlsdieKindereingestiegenwaren,dawarensienochhöflichgewesen,etwasschüchtern.SiehattenlauterFragengestellt:

»Werbistdu?«»Wasmachstduhier?«Und:»Woherweißtdu,woichwohne?«Abernach15MinutenwaresvorbeimitderZurückhaltung.Die

KinderwarenwieeineSchachteltrockenerStreichhölzer:Brannteeines,branntenalle.

AmerstenTaggingesso,odersoähnlich:SaschaärgerteRonja,RonjaschlugSascha,Saschapetzte,LionkitzelteRonja,undweilesdaschonsovielSpaßmachte,rangelteKjellmitPatrick,dannfingDavidaufeinmalohneoffensichtlichenGrundzuweinenan,undvonirgendwoher

MeinersterTagbegannmiteinerUntertreibung.»Diesindetwaswild«,sagtederLeiterdesKindergartens.Undichdachte:WieschlimmkönnenachtKleinkinderschonsein?

Ichwar19JahrealtundhattekeineAhnung.EswarderSpätsommer2007,unddieWehrpflichthattenochvier

Jahrevorsich.IchwarZivildienstleistender,Zivi,undstandineinemKindergartenderLebenshilfeinAppen-EtzbeiPinneberg.VielweiterinderHamburgerPeripheriekannmannichtlanden,ohneinElmshornanzukommen.EsrochnachFrüchtetee,SeifeundvollenWindeln.UnddraußenvorderTür,aufdemParkplatz,wartetemeinneuesArbeitsgerätfürdienächstenneunMonate:fünfMeterlang,weißvonaußen,rostigvonunten,neungraueStoffsitze.EswareinalterMercedesSprinter.DamitsollteichvonnunanjedenTagachtKindervonzuHauseabholen.DasersteböseOmenwarderRückspiegel.DenhattemeinVorgänger

SorgenkinderIm Zivildienst fuhr unser Autor täglich eine Gruppe von Kleinkindern umher. Manche waren hyperaktiv, manche aggressiv, manche unterentwickelt. Neun Jahre später hat er sie wieder getroffen. Ihre Geschichten erzählen alle von schwierigen Anfängen – aber sie gingen sehr unterschiedlich weiter.

JohannesBöhme:Sorgenkinder | SüddeutscheZeitungMagazinKATEGORIE TEXT | 2. Preis

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TräumenochvorsichunddieerstenEnttäuschungenschonhintersich.NureinEinzigerlebtenochinderselbenWohnungwiedamals.Alleanderenwarenumgezogen.ManchenureineStraßeweiter.AnderenachEckernfördeoderSchwerin,mehralshundertKilometerentfernt.DiemeistenlebennochbeiihrenEltern,nureinernicht.VonachtKindernwollteeinesnichtindiesemTextauftauchen.Dieanderenhabenmirerzählt,wieesihnenergangenist.

DiessindsiebenGeschichtenüberdasAufwachsenmitProb-lemen.SiebenGeschichtenüberArmutundWohlstand,überGlücks-fälleundSchicksalsschläge,überstarkeElternundschwierigeKinder.DieGeschichtenvonSascha,David,Ronja,Lion,Lennard,KjellundPatrick.

SASCHAIch:»HastdueinenLieblingsfilm?«Sascha:»SlumdogMillionaire!«Ich:»DieserFilmübereinenStraßenjungen,derbeieinerQuizshowgewinnt?«Sascha:»Ja,dieFarbenwarensoschön.«

Ichweißnoch,wieSaschamirzumerstenMaldenKriegerklärthat.EswareinHerbstnachmittag.DiemeistenKinderwareneingeschlafen,saßenmitweggeklapptenKöpfenaufderRückbankundmachtenleiseSchnarchgeräusche.DalösteSaschamittenhinein,indieseRuhe,aufderHauptstraßeseinenAnschnallgurtundsagteganzruhig:»Guck,

flogeineleereTupperdosedurchdenBus,woraufhinichzumerstenMaldenWagenabstellteundeinFünf-Minuten-Intensivverhörveranstaltete,umdenWerferzufinden.

DieseKinderwarenetwasBesonderes.Siewarenaufmüpfig,witzig,wild.EswarenSorgenkinder,allesamt.EinigevonihnenkonntenmitfünfJahrennurschlechtsprechen,vielewarenhyperaktiv,manchekamenmitanderenKindernnichtzurecht,warenaggressiv,bissen,schubsten,traten.Beieinigenwaresrelativharmlos.Beianderengingesmitvier,fünfJahrenschondarum,obsiejemalseinnormalesLebenführenwürden.

IhreProblemewarendas,wassievereinte.Wassietrennte,warihreHerkunft.EsgabKinder,dievonderSozialhilfelebten;wodieElternmanchmaleineStundeaufdeneinzigenBuszuwartenhatten,wennsiezumElterngesprächindenKindergartenkommenmussten.AndereKinderhattenEltern,diefürBankenundVersicherungenarbeitetenundmitsilberfarbenenMercedes-Geländewagenauftauchten,umsichvorzustellen.

KeinesdieserKinderhatteeinenleichtenStart.AberwoArmutdieProblemeeinigerKinderverschärfte,dämpfteWohlstandsie.Oderzumindestschienesdamalsso.Meineerste,katastrophaleFahrtmitdiesenKindernistjetztgutneunJahreher.Ichhabemichimmerwiedergefragt:WieistdieWeltmitihnenumgegangen?MitihrerWildheit?MitallihrenProblemen?

ImvergangenenHerbsthabeichangefangen,siezusuchen.SiesindjetztJugendliche,fastschonerwachsen.Siehabenihreersten

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Aufmerksamkeitbekamernur,wennerUnsinnmachte.SeinVaterAlko-holiker,seineMuttermitdenKindernüberfordert.SeineAufsässigkeitwarnichtbösartig.SiewarseineÜberlebensstrategie.

Ich:»WiesohabtihrdieSachengeklaut?DieausderTankstelle?«Sascha:»Weißnicht.ZumSpaß.Justforfun.«

DiemarkantesteVeränderungistseineStimme.Sieistjetzttief,dunkel,mit14Jahrenschon.ErträgtzuunseremTreffeneinengrünenRollkra-genpulli,derihnbraveraussehenlässt,alserist.SaschalebtnichtmehrinPinneberg,sondernamMeer,inEckernförde.DasistdieguteNach-richt.DieschlechteNachrichtist:ErlebthierimHeim.

SaschaerzähltseineGeschichtemitsoleiserStimme,dassichihnoftkaumverstehe.Alswürdeerhoffen,dassalldieunangenehmenDingeverschwinden,wennmansienurflüstert.

AlsdasJugendamtSaschaabholte,warerneunJahrealt.»Kindes-wohlgefährdung«heißtdieBegründung:DieElternwarenzurGefahrfürihngeworden.Saschamagdarübernichtmehrsagen,alsdass»esnichtmehrging«.

MitneunJahrenbekamichaufeinwöchigenKlassenfahrtenvorHeimwehBauchschmerzen.SaschawarmitneunJahrenaufeinmalfürimmeraufsichgestellt.Esistnichtganzeinfach,sichvorzustellen,wasdasmiteinemsokleinenKindmacht.

KerstinBröther,dieLeiterindesHeilpädagogiumsinEckernförde,trafSaschaimKinderschutzhausinElmshorn.»Erwareinganzknuffiges

ichhabemichabgeschnallt.«Ichdachteerst,ichhörenichtrichtig.Wernichtangeschnalltist,fährtnichtmit,daswardieRegel.Ichfuhrrechtsran,machtedenWarnblinkeranundsagtedas,wasichdannimmersagte:»Gut,dannmusstduhierbleiben.«Undwartete,dassSaschanachgab.

Saschasagtenur:»Ja,gut.IstinOrdnung.«SaschawardaseinzigeKindimBus,beidemmirdieKontrolleab

undzuentglitt.BeidemWorte,Ermahnungen,Ermunterungenund,zuletzt,Drohungennichtmehrhalfen.ErwarfünfJahrealt.Einblasses,kräftigesKind.ErhatteabstehendeOhren,eineknubbeligeNaseundsahauswieeinzugroßgeratenesKuscheltier.

NatürlichkonnteichnichtwirklicheinenFünfjährigenaneinervier-spurigenPinnebergerHauptstraßeabsetzen.Aberichkonntezumin-destnochetwaslängersotun,alsob.Ichgingnachhinten,undichweißnoch,wieichdachte:Wenndujetztnichtbaldnachgibst,kleinerMann,dannhastdumich.IchmachtedieSchiebetüraufundpackteihnunterdenArmen.Ichhatteschonangefangen,ihnhochzuheben,dagaberendlichnach:»Nein,nein,nein,ichschnallmichauchan.«SaschawarindiesemMomentnurnochzweiSekundendavonentferntzudurch-schauen,wiedünnmeineAutorität,dieAutoritätderErwachsenen,inWirklichkeitwar.

ErwareinintelligenterJunge,abererwuchsineinerschwierigenUmgebungauf.SaschawohnteindereinzigenPlattenbausiedlungweitundbreit,dem»weißenRiesen«inPinneberg.ErteiltesicheinekleineWohnungmitdreiGeschwistern.ErwareinesdermittlerenKinder.

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LautsprecherndieMusikderHamburgerRap-Clique187Straßenbande:»Heutedruff,morgensindwirMillionäre.«

EinmalklautensieinderNachtanderTankstellebeiderOrtsein-fahrt.SaschasFreundfragtenachderUhrzeit,SaschagriffsicheineHaribo-TüteundzweiCola-Flaschen.Siestelltensichungeschicktan.NochamselbenAbendnahmdiePolizeisiemit.EinRichterhatSaschadafürvoreinigenWochenzuzehnSozialstundenverurteilt.

UndirgendwannimSpätsommereskalierteesrichtig.EswareinwarmerAbend,eswarspät,undSaschasKumpelwarwütend,weildieErzieherihmseinHandyabgenommenhatten.SiesteigertensichreinindieseWut.UnddannnahmensieschwereSteineundfingenan,Fenster-scheibeneinzuwerfen.SieschlugendasHeim,ihrZuhause,kaputt.

IndemHaus,andemsieihreWutabließen,wohnenachtKinder;einigesinderstfünf,sechsJahrealt.EinigedavonsindKinder,dieausschlimmenVerhältnissenkommen.UnddiejetztmitteninderNachtdurchdasKlirrenvonScheibenunddendumpfenAufprallvonSteinenanderHauswandwachwurden.DasMaßwarvoll.DieHeimleitungriefdiePolizei.Diebeidenwurdenfestgenommen.SaschawartetjetztaufseinenGerichtstermin.

Natürlichhängtdasauchdamitzusammen,dassSaschaetwasfehlt.JederimHeimweiß,dassdieElternnieersetztwerdenkönnen.DassdieBetreuernurStabilitätundZuneigungbietenkönnenunddassmandannaufdasBestehoffenmuss.

kleinesKnuddelkerlchen«,sagtsieheute.»Erwarjanochsojung.Soneugierig.Erwolltewissen,wiedieKinderimHeimleben,wassiedenganzenTagmachenundobesTaschengeldgibt.«BröthernahmihneineWochespätermit.

SeinZuhausewarvonnunandasHeilpädagogiuminEckern-förde,eineParkanlage,diesicheinenkleinenHügelhochwindet,woZedernindenHimmelwachsen,RhododendrendieWegesäumenundjedesKindseineigenesZimmerhat.Zunächstgingdasgut.SaschakamaufeineGemeinschaftsschuleundwarkeinschlechterSchüler.ErspielteFußball,erschnitztemitHolz,ergingzudenPfad-findernundeinmaldieWochezurKunsttherapie.Ertöpferte,malte,bastelte.AberdannkamdiePubertät.UndSaschasLebengerietwiederaußerKontrolle.

»IchhabinletzterZeitvielScheißgebaut«,sagter.EsfingvorzweiJahrenan.ErhatsichmitLehrerninderSchulegestritten,dieanderenSchülergestörtundMissbilligungengesammeltwieanderePanini-Aufkleber.SeineSchulakteenthältinzwischeneinendaumen-dickenStapelmitEinträgenwie»WirftmitPapierkügelchen«,»MachtseineHausaufgabennicht«,»BeschmierteinefrischgestricheneWandimNebenraum«,aberamhäufigstenstehtda:»VerlässtunerlaubtdasSchulgelände«.

Errenntweg,nichtnurausderSchule.ImvergangenenSommerhauteernachtsimmerwiedermitFreundenausdemHeimab.SiezogendurchdieGegend,siewaren»dampfen«,wieSaschadasRauchennennt,sietrankenWodka-Isoundhörtenausmitgebrachten

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GanzamEndeunseresGesprächsfragtSaschamich:»Hättestdudasdamalsgedacht?Dassichmalsowerdenwürde?Dassichrauchenwürdeundso?«

Esistschonkomisch,dassausgerechnetdasRauchensoschlimmseinsoll.AbervielleichtistesfürihneinfacheinSymbol.EinSymbolfürdenganzenMist,derihnzurückhält.Undindemereigentlichschonsteckte,alsermirdamalsaufderRückbankdenKriegerklärte.

DAVIDIch:»David,warstdumalimIran?«David:»Nein.Ichmöchtedaauchgarnichthin.«Davids Mutter:»David,dukannstdeineHerkunft,deinBlutnichtändern.«David:»Ichkannmirschonvorstellen,dassdasbaldgeht.Menschenwerdenjaauchbaldunsterblichsein.«

DavidhatmorgensmiteinemKleiderbügelaufmichgewartet.MitdemKleiderbügellenkteerseinenimaginärenBusdurchsWohnzimmerseinerEltern.Solange,bisichmitdemrichtigenBusaufgetauchtbin.Davidwarsehrklein,selbstfüreinenVierjährigen,hatteeinendunkel-blondenTopfhaarschnittundeinesehrlebhafteFantasie.

ErwohntekaumdreiKilometerentferntvonSascha.GetrenntdurcheinbreitesBandausWeizenfeldernundBaumschulen,dasgleichhinterSaschasPlattenbauanfingundvorDavidsHausendete.EswarenverschiedeneLeben.

Sascha:»Ichmöchteesjetztwirklichbessermachen.«Ich:»Wasmöchtestdubessermachen?«Sascha:»Ichmöchteendlichnichtmehrauffallen.«

SaschasletzteRettungsindnunKurtundKerstinHass.EinEhepaar,beideausgebildeteErzieher,diesichinihremeigenenHausintensivumvierJugendlicheausdemHeimkümmern.Siesind,sosagtesdieHeim-leiterinFrauBröther,außergewöhnlichgutdarin,ausProblemjugend-licheneigenständige,verantwortlicheErwachsenezumachen.WennSaschaeineChancehat,dannbeiihnen.

DasEhepaarHassnimmtnichtjedenauf.Nurdie,beidenensieetwasHoffnunghaben.Saschahabensieaufgenommen,weiler»nichtaggressivistundwasimKopfhat«,wieHerrHasserklärt.»EristeigentlicheinguterKerl.NurebeneinMitläufer,dersichzuKriminellenhingezogenfühlt.«

DerAnfangistnichteinfach.SaschaisterstseitzweiMonatenbeiderFamilieHass.»WirerwischenihneigentlichtäglichbeimLügen«,sagtFrauHass.»DasisteinetypischeHeimkind-Mentalität,denWegdesgeringstenWiderstandszugehen.Diekommendamitauchmeistensdurch.Aberwirlassendanichtlocker.WirrufeninderSchulean,wennersagt,dasserkeineHausaufgabenhat.Fragendreimalnach,wennersagt,erhabeseineFedertascheverloren.Esistanstrengend,aberesmusssein,damiterausdemMüllherausfindet,ausdemerkommt.«

SaschahatauchschoneineneigenenPlanfüreinebessereZukunft:ErmöchtePolizistwerden.AusgerechnetPolizist.HerrHassmeintdazu:»Erweißjawenigstensschonmal,wieGangsterdenken.«

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annehmen,dasseineMutternochamselbenAbendgekaufthatte–undwarüberglücklich,alsseineigenesamnächstenTagwiederauftauchte.

Davids Mutter:»Wasistdennschlimmer:denKindernetwasvorzu-spielen?Oderetwaszutun,wasihnenwehtut?Ichwollteihnennichtsvorspielen.IchwolltekeineLügeleben.«David:»Ichbintrotzdemimmernochbeleidigt.«

NeunJahrespäteristesnichtdas,wasicherwartethatte.DavidlebtnichtmehrindiesemBacksteinhausimGrünen.StattdessensteheichaneinemwindigenNovemberabendaneinervierspurigenStraße,keinehundertMeterentferntsind:ein»McDonald’s«undderGebrauchtwa-genhändlerMoayyed.Hamburg-LurupisteinArbeiterviertel,hoherMigrantenanteil,hoheArbeitslosigkeit.

Oben,imdrittenStock,ineinermodernen,hellenWohnung,warteteinschüchterner,schmaler13-jährigerJungeaufmich,dieHändehinterdemRücken,einerahmenloseBrilleaufderNaseundmitdiesemLächelnmitgeschlossenenLippen,daseralskleinerJungeschonhatte.

Davidistfastgenausoüberraschtwieich,dassernunhierwohnt.ErlebterstseiteinemhalbenJahrinLurup.DieElternhabensichvorzweiJahrengetrennt.SiehabendasHausverkauft,erwohntjetztmitseinerMutterundseinerkleinenSchwesterhier,denVatersiehteroftnuramWochenende.JedenTagmusserjetzteinehalbeStundemitdemBuszurSchulefahren,waserhasst.ErnenntdieGegend»Ghetto-Lurup«.

DavidlebteineinemgroßenBacksteinhaus,mitFenstern,diebiszumBodengingen,vollmitSpielzeugundBilderbüchern.SeinVaterarbeitetebeiderSparkasse.SeineMutterwarZahnarzthelferin,eineDeutsch-Iranerin,derenFamilie1979vorderislamischenRevolutionnachDeutschlandgeflohenwar.MitdreiJahrenkonnteDavidseineerstenWörterbuchstabieren.Mitvierfingeranzurechnen.

DochauchDavidwareinSorgenkind.AlserindenKindergartenkam,spielteernichtmitanderenKindern,sondernhingdieganzeZeitandenBeinenderErzieher,buchstabiertevorsichhin,gingnieindieSandkisteundwarglücklich,wennmanihmeinekleineKopfrechen-aufgabegab.UndnacheinigenTagenbissereinenanderenJungenmitvollerKraftindenRücken.Spätestensdawarklar,dassetwasnichtstimmte.

Davidwar,wiesovieleausdemBus,hyperaktiv.UndesgabdamalsdenVerdacht,dassDavideinemildeFormvonAutismushabenkönnte.MitvierJahrenkonnteernahezusämtlicheStationenderHamburgerS-Bahnauswendig,wasermirjedeWochemindestenseinmalungefragtbeweisenmusste,indemermiralleHaltestellenderS21aufzählte.AberGefühle,Gestik,MimikwarenihmofteinRätsel.Manchmal,wennichihnanlächelte,dachteer,ichlacheihnaus.

Natürlichliebtenwir,dieZivis,dieErzieher,eigentlichalleErwach-senen,keinKindsosehrwieDavid.Geradeweilerdengrößten,cleverstenDickschädeldesKindergartensspazierenführte.EinmalhatermehrereStundenamStückgeschrien,weilseinKuscheltier-Ernieverlorengegangenwar,wollteauchdasErsatz-Ernie-Kuscheltiernicht

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»Ichhabemichangepasst«,sagter.Esistihminzwischenetwaspein-lich,dasserHalb-Iranerist.DasLand,ausdemseineMutteralskleinesKindfloh,schiebtermitdemaltklugenSatzweg:»IchmöchtefürsErsteAbstandzumNahenundMittlerenOstenhalten.«ErsagtesindiesemglasklarenTagesschau-Hochdeutsch,dasLehrersolieben.Undmanmerkt,ermöchtevorallemeinessein:normal.

Ererinnertmichaneinenähnlichüberartikulierten,schüchternen,etwaszubehütetenTeenager:anmichselbst,mit13.

RONJAIch:»Wasmagstdugern?«Ronja:»Handball,TiereundMamaärgern.«Ich:»Undwasmagstdunichtsogern?«Ronja:»Mathe,EnglischundDeutsch.«Ich:»Duliestnichtgern,was?«Ronja:»InBüchernguckeichmirimmernurdieBilderan.«Ronjas Mutter:»Ichhabejaversucht,ihrvorzulesen.Dashatnielangegehalten.SieistwieeinWirbelwind.Dabeihabeichimmergerngelesen.DenZauberlehrlingvonGoethekannichheutenochauswendig:Walle!Walle/MancheStrecke,/Daß,zumZwecke/Wasserfließe...«Ronja:»Streber!«

RonjawardaseinzigeMädchen,dieLautestevonallen,einekaumeinenMetergroße,vierJahrealteNaturgewalt.Ronjaliebtenichts

»Esisteinfachnichtschönhier«,sagter.»FrüherhattenwirdenBlickaufdieBäumevonderBaumschulenebenan.UndjetztguckenwirhieraufdieHauptstraße,undumdieEckeist›McDonald’s‹.«

Erverstehteigentlichbisheutenicht,wiesodasseinmusste,dieTrennung.»WirwarendocheigentlicheineglücklicheFamilie?«,sagter.SeineMutternimmtseineHandinihre,alserdassagt,unddrücktsieganzfest:»Duwirstesverstehen,wennduälterbist.WennduselbstmaleinenPartnerhastunddaszuEndegeht.«

»Nein,daswerdeichnieverstehen«,sagtDavid.DieFassadevonDavidsLebenistjetztetwasgrauer.AberFassaden

könnentäuschen.EswirdvielgelachtindieserWohnung.DavidsLebenistseitdemKindergarteneinfachergeworden,nichtschwieriger.ErgehtaufeingutesGymnasiuminderbürgerlichenNachbarstadtSche-nefeld–dasselbeGymnasium,andemichvorzehnJahrenmeinAbiturgemachthabe–indieachteKlasse.EristeinguterSchüler,voralleminChemieundPhysik.AberauchsonstsindesgrößtenteilsEinsenundZweienaufdemZeugnis.

AusdemKind,dassichdamalsvonniemandemetwassagenließ,isteinsehrintelligenter,gutintegrierterJugendlichergeworden.ErschlepptHandyrechnungenvon107EuroimMonatan,istwiealleinseinemAlterständigamSmartphone,spieltgernFußball,istuntröstlich,wenndieNationalmannschaftimEM-Halbfinaleverliert,mussfürdieSchulekaumlernenundbringttrotzdemguteNotennachHause.DieBefürchtungenvondamals,Autismus,Asperger:allegrundlos.NachdemKindergartensinddieProblemeeinfachverschwunden.

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Ronja:»DannschickmichdochaufdieMontessori-Schule.«Ronjas Mutter:»Nee,nee,nee,Ronja,dubrauchsteineSchulemitNotendruck.Sonstwirddasnichts.«

RonjawohntnichtmehrinPinneberg,sondernineinerdieserWohnka-sernenimNordenvonSchwerin,diemannachderWendegelb-rosaangemalthat,damitsienichtganzsotristaussehen.SiesindindenHeimatortihrerMutterzurückgegangen.

AlsichmichmitRonjaundihrerMutterandenWohnzimmertischsetze,istganzschnellklar,wassichnichtgeänderthat:Ronjahältesviel-leichtdreiMinutennebenihrerMutteraufdemSofaaus,dannsetztsiesichaufdenBoden,fixiertMozart,denKaterund»einzigenMannimHaus«,ineinemKlammergriff,dassmanAngstumdieGesundheitdesTieresbekommt,dannsetztsiesichwiedernebenihreMutter,kneiftihrmittenimSatzindenTrizepsundinsKnie,stehtwiederauf,holteinenHandballauseinerKommodeundräumtdamitbeinahedieKaffeetassenvomTisch.

Ronjaist,mankannessichdenken,nichtbesondersgutdarin,sechsStundenlangaufeinemhartenHolzstuhlzusitzenundLehrernzuzuhören,wiesiedenDreisatzerklären.SiehatinEnglischeineVier,inMatheauch,und»dieTendenzgehteherzurFünfalszurDrei«,wiedieMuttersagt.Esistnichtklar,obsiedenmittlerenSchulabschlussschaffenwird.UnddieSchulenimmtebenauchkeineRücksicht,wennesandereProblemegibt.

RonjasMutterhatteeinJahrlangimmerwiederAngstattacken,indenensiedasGefühlbekam,dassihrdasHerzinderBrustexplodiert.

sosehrwiePferde.WirfuhrenjedenMorgenaneinerPferdeweidevorbei,undjedesMal,wennsieeinPferdsah,saßsiemitdurchge-drücktemRückeninihremSitzundschrie:»JOHANNES,JOHANNES,EINPFERD!!!«

Ronjahatte,unübersehbar,ADHS.SiewardieErste,dieschonimKindergartenMedikamentebekam.DasRitalinkamingroßen,gelbenTabletten.RonjahatteaberüberhauptkeineLust,ruhiggestelltzuwerden.Sieweigertesich,diePillenzuschlu-cken.AlsoversuchteihreMutter,sieihrmorgensunterdieCornflakeszumischen.Ronjafischtesiedannmeistensauchdawiederraus.UndirgendwanngabRonjasMutterauf,eszuversuchen.EswürdeschonohneTablettengehen.

RonjawurdevonihrerMutteralleingroßgezogen.RonjasElternhattensicheinigeMonatenachihrerGeburtgetrennt.DerVaternahmsieamWochenende,aberunterderWochewarensieeinTeammitzweiMitgliedern.DieMutterverdientedasGeldalsAltenpflegerininPinne-berg,ineinemHeimmitPersonalmangel,indemdreiPflegeraufvierzigalteMenschenaufpassten.WennsienachHausekam,versuchtesieabundzunoch,Ronjaetwasvorzulesen,abermeistenswarRonjazuwildundsiezumüde.

AmwohlstenfühlteRonjasichdamals,wennwirmitdenKindernindenWaldgingen.HierkonntesieeinbisschensoseinwiedieRäuber-tochter,nachdersiebenanntist:wildundfrei–ohnedassesjemandenstörte.

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BallobenrechtsinsEck.SchweringewinntamEndemit31:18,mitfünfTorenvonRonja.

RonjasgroßesProblemist,dasssieineinerSachegutist,dieihrinderSchulenichthilft,wosiestillsitzenmuss,mehrereStundenamTag.Woesnichtszählt,dasssiewendigist,kräftigundzielsicher.WoistderPlatzfüreinKind,dasextremgeschicktist–sichaberumsVerreckennichtkonzentrierenkann?

LIONIch:»Wasmöchtestdumalwerden?«Lion:»Dönermann.«Ich:»WiesodennDönermann?«Lion:»Weileseinfachist.OderHacker!Hackersindcool.«

Sprechenkannsoschwersein.StarkeMuskelnbrauchtman,Zähne,dieeinigermaßenrichtigliegen,Kieferknochen,LuftausderLungeundMillionenvonGehirnsynapsen.FürLion,diesenkleinenvierjährigenJungenmitderhohenStirn,dentiefliegendenAugenunddendickenBrillengläsern,wardieserApparateineeinzigegroßeÜberforderung.Lions»ch«hörtesichimmeran,alswürdeereinHaarknäuelhoch-würgen.SeineSätzewarenStummel.ErredetevonsichselbstoftinderdrittenPerson:»Lionwi’nich’«,»Lionmagnich«,»LionToilette«.

LionwarderKleinsteimBus,underhatteeinaußergewöhnli-chesTalent,sichindieunmöglichstenSchwierigkeitenzubringen.ErfielbeimAussteigenausdemAutoaufsGesicht,kipptesichbeim

Wennesganzschlimmwurde,mussteRonjadenKrankenwagenrufen.MeistenshatsieabereinfachihreHandaufdieBrustihrerMuttergelegtundgewartet,bisderenHerzwiederruhigerschlug.Undwennesnachtspassierte,hatRonjasichoftnebenihreMutterinsBettgelegt,bisihreHerzschlägesynchronwaren.Bisessowar,alshättensieeingemeinsames,ruhigschlagendesHerz.AberdieLehrerwusstennatürlichnicht,dassRonjasichnachtsumMamasHerzkümmernmusste.

DieletztePanikattackevonRonjasMutteristeinJahrher.Esgehtjetztallesetwasbesser.Undimmerhinistdajemand,derRonjaHaltgibt,derallesfürsietut,andersalsbeiSascha,derdiesenRückhaltnichthat.UndRonjahatetwasgefunden,indemsiegutist:Handball.

IchgingeinigeWochennachunseremTreffenzueinemSpielvonRonja.SiespieltfürdenSVGrün-WeißSchwerin,Rückennummer28,diekräftigsteSpielerinimTeam,mitdemhärtestenWurfunddeminoffi-ziellenRekordfürgelbeundroteKarten.

ImSpielreißtsieihreGegenspielerinfünfMalaufgenaudiegleicheArtum:SiepacktsiebeiderHüfte,hebtsiehochundwirftsiezuBoden.IrgendwannverlierendieElternderTSGWismardieNerven.»Jetztreicht’saber!«–»Sachmal!«–»Is’jetztmalgut?!«UndRonjasTrainersagtleise:»Dielässtsichfallen,die14.«

Die14,RonjasGegenspielerin,lässtsichdefinitivnichtfallen.DannkommtendlichRonjasMoment.SiefängteinenPassamStraf-

raumab,entkommtihrerGegenspielerin.Sieläuftalleinaufdietotalverängstigte,sehrzierlicheTorhüterinzu,springtabundhämmertden

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sichmitihneninsBettgelegtundgekuschelt,dieHausaufgabenmitihnenzusammengemacht.Wassolltesiemehrtun?

»DawirdmansofortindieasozialeEckegesteckt.EsgabfürjedesmeinerKindereinengutenGrund.Aberdasverstehendiemeistennicht.«

Ich:»WasfürMusikhörstdu?«Lion:»Rap.187StraßenbandezumBeispiel.«(SeinkleinerBruder,dernebenihmsitzt,suchteinVideobeiYoutubeheraus.)Lion:»Nein,dasistnichtsfürdich!Ichdarfdasschon.Ichbinschonzwölf.«

DasAlagille-Syndromisteine»multisystemischeEntwicklungsstörung«.DieElternvererbensieandieKinder.WennmanGlückhat,trifftesnurdieLeber,denGallengang.WennmanPechhat,auchdasHerz,dasAuge,dannverformensichdasSkelettunddasGesicht,unddasGehirnistbeeinträchtigt.Esist,alswürdeeingrausamerGottmitdenTeilendesKörpersSchiffeversenkenspielen.

DieKrankheitwurdebeiLionerstvorfünfJahrenfestgestellt.Erhateine»schwereLerneinschränkunganderGrenzezurgeistigenBehinde-rung«–eineFolgedesAlagille-Syndroms.SeineLeberistnichtvollfunk-tionsfähig.ErhateinenNystagmus,einFlimmernderAugen,beidemseinePupillenhinundherzuckenwieeinBallineinemFlipperautomaten.ErwirdseinLebenlangdaraufachtenmüssen,waserisst.Alles,wasseineLeberbelastet,isttabu;erbrauchtvieleleichtverdaulicheFette.

MittagessendengesamtenInhalteines500-Gramm-Tomatensaucen-GlasesaufdieHoseundbliebmitseinerZungeimKorbeinerNest-schaukelhängen.Erkonntedanachnichtrechterklären,wasermitseinerZungedaversuchthatte.

SeineMutterzogihnundvierGeschwisteralleingroß,miteinemGehaltalsmedizinischeFachkosmetikerin,späteralsMuseumswärterinimSchifffahrtsmuseum.SiestrittsichmitLionsVater,ihremEx-Mann,einemTürsteher,umdasSorgerechtfürLion.Alsichsiekennenlernte,warsievonalldemsogestresst,dassihrdieHaareausfielen.SietrugimmerbunteKopftücher,umdiekahlenStellenaufihremKopfzuverbergen.

LionhattealsBabyspäteralsandereKinderangefangen,nachDingenzugreifen,erhattespäterangefangenzukrabbeln,späterange-fangenzulaufen,späterangefangenzusprechen.AlserindenKinder-gartenkam,wurdeersohibbelig,dasseinArztihmRitalinverschrieb.AbervondemMedikamentliefernachkurzerZeitgelban.Ermussteeswiederabsetzen.UndirgendwannfingendieKindergärtner,Psycho-logenundÄrztean,dieProblemeinLionsZuhausezusuchen.VielleichtlagesjaanseinerMutter?

»Diehabenwirklichgedacht,dassichLionverblödenlasse«,sagtsie.IhrezweiMädchenhattenüberhauptkeineProblemegehabt–jetztsollteesaufeinmalanihrliegen?Siewaraußersich.Aberwiebeweistman,dassmanseinKindgutbehandelt?

LionsMutterhatzujedemihrerfünfKindereinenanderenVater.AbersiewarfürihreKinderda.Siehatihnenabendsvorgelesen,hat

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Randfand,Kokelspuren,diedieMatratzeüberzogenwiekleineKraterdenMond.

EinanderesMalrannteervordenAugenderNachbarneinfachaufdieHauptstraße,mittenindenVerkehr.EinNachbarzogihnvonderStraße.Offenbarwollteer,dasseinAutoihnanfährt.EinanderesMalversuchteer,sichobenimTreppenhausvomTreppengeländerzustürzen.ManhatdieseHilfeschreie,inErmangelungeinesbesserenAusdrucks,»Selbstmordversuche«genannt.

LionkamindiePsychiatrie.UnddanachineineneueSchule.EineSonderschule.DortwurdeeseineZeitlangbesser.AufderSchulewarennurzwanzigandereKinder,alles»Plüschis«,wieLionsMuttersagt,alsoKindermitBehinderungen.MorgenshatihneinTaxiabgeholtunddiesechsKilometerinsbenachbarteTorneschgefahren.EswareinesehrübersichtlicheSchule,fastmehreinegroßeFamilie,undergehörtezudenbesserenSchülern.AberdieSchulewurdegeschlossen.

Nunisterwiederda,woerangefangenhat.IneinernormalenSchule.Esläuftnichtgut.WennerausderSchulekommt,wirftersichoftinKlamottenaufsBettundstehtbiszumnächstenMorgennichtmehrauf.SeineMuttermussihndannabendszwingen,zumindestnochetwaszuessen.

Erredetdanichtdrüber.WennseineMutterihnfragt,obesihmschlechtgeht,antworteter:»Wasdenn?!Istdochallesgut!«

Dabeiwillernatürlichdazugehören.Mansiehtesdaran,wieerdieKapuzehochklappt,sobalderdasHausverlässt,mansiehtesandemStolz,mitdemerdieseschwarzeBomberjacketrägtunddieengen

DieDiagnosewarSchreckundErleichterungzugleich.Erleichterung,weilsieendlichwussten,woransiewaren.Schreck,weilklarwar,dassLionfürdenRestseinesLebensgegendieKrankheitkämpfenwürde.KeinArztkanndieKrankheitheilen,abersielässtsichmitrichtigerErnährungimGriffbehalten.Wennallesgutläuft,kannLionsolangelebenwieseineGeschwister.

Alsichihmgegenübersitze,halteicheserstfürdieüblichePubertäts-Mundfaulheit.Dasserimmernursoeinsilbigantwortet.Immernur:»Gut«,»schlecht«,»weißnicht«.AbersoredetLion.LangeSätzestrengenihnan.

Lionistgroßgeworden,aberschmal,alshättemandenkleinenJungeneinfachindieLängegezogen.DieFamiliewohntineinemkleinenOrtnamensMoorrege,derzwischenElmshornundHamburgliegtunddessengrößteAttraktioneinmitAlgenzugewachsenerBadeseeist,andemichalsKindungezählte,sehrglücklicheSommer-nachmittagemitmeinenElternverbrachthabe.

Lionisthierdeutlichwenigerglücklich,alsicheswar.ImSeewarernie.WeitvonzuHauseweggehendarfersowiesonicht,weilerleichtdieOrientierungverliert.DochdasgrößteProblemistdieSchule.DasMobbingfingschoninderGrundschulean.Dahabensieihngehänselt,weilerdieFragenderLehrernichtverstandenhat.BeimFußballtraininghabensieihngehänselt,weilerdenAnweisungendesTrainersnichtfolgenkonnte.LionistaufgewachsenmitdemGefühl,zudummzusein,zulangsam.

ErhataufseineArtreagiert.HatFeuerzeugegeklautundversucht,seinBettundseineMatratzeanzuzünden.SeineMutterlagabendsmitihmzumKuschelnimBett,alssielauterschwarzeKreisemitbraunem

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Ich:»Shindy,derGangsta-Rapper?«Lennard:»Ja.IchhabedavieleÄhnlichkeitengesehen.FürdenwarauchseineOmadasAllergrößte.UndderwollteauchimmerarbeitenundGeldverdienen.DerhatwieichZeitungenausge-tragen.IchwarsogarbeieinerLesungundhabemireinAutogrammabgeholt.«Ich:»Hastdumitihmgeredet,mitShindy?«Lennard:»Nee,derredetnichtsogern.«

Estutrichtigweh.WieungleichdasGlückverteiltist.AlsichderMuttervonKjellundLennarddabeizugucke,wiesiedieKaffeestundemitihrenJungsvorbereitet,mussichdieganzeZeitdarandenken,dassLionjetztwahrscheinlichvollangezogeninseinemBettliegt,dieDeckeanstarrtundversucht,denTagzuvergessen.

SieerhitztMilchfürdenKakao.DannholtsieeinePackungmitkleinenMarshmallows,diesieobenaufdenKakaolegt.SieschneidetObstinStücke,ÄpfelundBirnen,packtdenKuchenaus,portugiesi-scheNata-Törtchen,Mohnkuchen,Apfeltarte.Dannruftsieihregroßen,lichtblondenSöhne,13und15Jahrealt,dazu.EsistihrkleinesRitualamNachmittag,wennbeideausderSchulewiederdasind.Sieversu-chensichjedenTagzusammenzusetzen,auchwenndasnatürlichnichtimmerklappt.Esistinzwischenkaumvorstellbar,dassdiesebeidenmalrichtigeSorgenkinderwaren.Heutesitzendazweigroße,gutaus-sehendeJugendliche,essenKuchenunderzählenvonihremTag,indiesemgroßenaltenHaus,dasmalzueinerBaumschulegehörteund

Jeans.UndmanhörtesinderMusik,dieermag.WieSaschaliebterdie187StraßenbandemitdiesenkompromisslosenTextenüberdasharte,schöneLeben.ÜberAlkohol,Drogenundwasesheißt,einUnderdogzusein:»Kiffenundschweben,esgibtnixzubereden.«SoheißtesineinemseinerLieblingssongs.DabeiwirdLionwederAlkoholtrinkennochkiffendürfen–mitseinerKrankheitwäreeslebensgefährlich.

Ichhattekeine500MeterentferntvonLionsZuhausemeinenerstenRausch.Ichwar15Jahrealt,Silvester,einFreundhatteSmirnoffIcebesorgt,undichfühltemichsounfassbarerwachsen,glücklich,eupho-risch,alsichschwerangeschossendurchdieJanuarnachttaumelte.Ichweißnicht,obmichirgendeinArgumentdamalsdavonabgehaltenhätte,eszumindestauszuprobieren.Obichesausgehaltenhätte,derEinzigezusein,derineinerEckestehtundamOrangensaftnippt.Lionwirdesaushaltenmüssen.

ErmussimmernochjedesJahrinsKrankenhaus,immerdasvolleProgramm,UniklinikinEppendorf,erstKardiologie,dannNephrologie,Leberambulanz,StoffwechselambulanzundzumSchlussderAugen-arzt.EinmaldengesamtenKörperdurchcheckenlassen.KrankenhäuserwerdenLionimmerbegleiten.

AufdenkleinenJungenvondamalswarteteinLebenwieeinTanzaufeinemschmalen,schwankendenSeil.

LENNARD & KJELLIch:»WasistdasletzteBuch,dasdugelesenhast?«Lennard:»DieShindy-Biografie.«

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unkontrollierteWutanfällebekam,wennersichüberfordertfühlte,wurdeKjelleigentlichniewütend.ErwarnurimmerinBewegung,trotzschlafferMuskulatur.

LennardsMuttererinnertsich,wiesiedamalsaufdemSofasaßenundsichgefragthaben:»Wiesowir?WiesoausgerechnetunsereKinder?«SiehattenselbstnieProbleme.Eswarfürsieniesoschwer.DerVaterspieltefrüherfürdenTHWKielHandball,rechterRückraum,warzweimalDeutscherMeisterundwurdedanachAbteilungsleiterbeieinerVersicherung.SiearbeitetefürdieGeschäftsführungeinesgroßenModegeschäfts.

Siehabenallesgemacht,umesirgendwiehinzubiegen.LennardhatmitdreiJahrenLogopädiebekommen,dieerstüberhauptnichtgeholfenhat.ZweiJahrelangmachteLennardnurminimaleFortschritte.DieElternfuhrenihntrotzdemjedeWochewiederhin.KjellbekamebenfallsLogo-pädie,ergingzumheilpädagogischenReiten,zurKrankengymnastikundzuEinzelstundenmiteinerPädagogin.AlsbeideKinderimKindergartennichtzurechtkamen,habensienacheinemneuenKindergartengesucht–unddenLebenshilfe-Kindergartengefunden,indemichdannmeinenZivildienstgeleistethabe.SiegabenkeineRuhe,bisesbesserwurde.

EinhalbesJahrbevorLennardeingeschultwurde,riefdieLogopädinanundsagte:»Siewerdenesnichtglauben,aberLennardredetaufeinmalfastnormal.«

Lennard:»WirdürfenamTagnureineStundeinsInternet.Dasistfürunssehrhart.EinenFernseherdürfenwirauchnichtimZimmer

vondenElternwiederhergerichtetwurde.MankönntedieSzenefoto-grafierenundinSchönerWohnenabdrucken:glückliche,attraktiveMenschenvorskandinavischerInneneinrichtung.Dabeiwaresauchhiernichtganzsoeinfach.

AlsKjellgeborenwurde,warLennarddreiJahrealtundwütend,dassernichtmehralleinwar.Eswarfastso,alshätteLennardgeahnt,dasssienichtvielverbindenwürde.DabeisahensiesichschonalskleineJungssoähnlich.SiehattendasgleicheblondeHaar,etwaszugroßeKöpfefürihreschmalenKörper,undsieschwankten,wennsieaufmeinenBuszuliefen.IhreArmeundBeineschienenzuschwerfürsiezusein.AlswärensieriesigePuppen,dieanunsichtbaren,etwaszulockerenFädenhingen.SiehattenbeideeineMuskelhypotonie,eineschlaffeMuskulatur.

LennardwarfastsechsJahrealt,alsichihnkennenlernte,einJahrvonderEinschulungentfernt,undkonntekaumrichtigsprechen.Ernuschelte,warnurschwerzuverstehen.MitanderenKindernkamernichtgutzurecht.MeistensschaukelteeralleinimGarten,träumtesichindieRolledesBösewichts–PiratoderRäuber–undnahmdannanderenKindernihrSpielzeugweg.Esschienfastundenkbar,dasserineinerGrundschulefünfStundenamTagMathe-undDeutschunterrichtmitmachenkönnte.

KjellwarderÜbermütige,Hyperaktivederbeiden.EinJunge,dersicheinePlatzwundeamTürrahmenholte,sichdasBlutabwischteundweiterspielte.ManchmalrutschteersolangedieTreppeaufdemHinternhinunter,bisseinRückenganzrotwar.UndwährendLennard

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will,dermitjedemkann,derniemandemlangeböseist.MankannsichkaumeinenunkomplizierterenTeenagervorstellenalsKjell.

»WirmachenunsumdiebeideneigentlichkeineSorgen.DiewerdenihrenWegschongehen«,sagtderVaterheute.EswareinziemlichharterWegzudiesemSatz.KjellundLennardhabeneinenVorteil,denichvonzuHausenurallzugutkenne:denVorteil,inderMittelschichtaufzu-wachsen.MitEltern,diesehrweitgehen,damitdaseigeneKindnichtzurückbleibt.

Ichweißnoch,welchePanikeineVierminusinEnglischimerstenJahraufdemGymnasiumbeimeinenElternauslöste.DanachmussteichwochenlangbeimAbendessenenglischenSatzbau,PräpositionenundVokabelnvorbeten,bisausderViereineZweigewordenunddasGespensteinerRealschulkarrieregebanntwar.

DieMittelschichtinDeutschlandistimmernochbeängstigendgutdarin,neueMittelschichtskinderzuproduzieren.DashatetwasmitHart-näckigkeitzutun.UndmitWissen.KjellsundLennardsElternwissen,dasssieimNotfallKindergärtenundSchulenwechselnkönnen.Siewissen,wanneinKindLogopädiebrauchtoderKrankengymnastik.Siewissen,wasesmiteinemKindmacht,wennmanjedenAbendausBüchernvonAstridLindgrenundOtfriedPreußlervorliest.GenauhierfängtUngleichheitinDeutschlandan.

PATRICKPatrick:»Daswarganzschlimm,alsmeineMamawegwar.«Patricks Mutter:»Fürmichwardasauchganzschlimm,Schatzi.«

haben.Die500EurofüreinenFernseherhabeicheigentlich.AbermirfehltdieErlaubnis.«Kjell:»Mirfehltbeides.«

LennardundKjellgehenheutebeideaufsGymnasium.SiesindehermittelmäßigeSchüler,aber»dafür,dasswirzwischendurchdachten,dassLennardzumBeispielaufeineSonderschulemuss,istesdochnichtschlechtgelaufen,oder?«,sagtdieMutter.

LennardisteinetwasverträumterEinzelgänger,dererimKinder-gartenschonwar.Nuristerjetzt1,85Metergroß,Schuhgröße461⁄2.Erwirdnochwachsen.

FürLennardstehtfest,dassermalseineeigeneFirmahabenwird.»DannkaufeichmirWohnungeninNewYorkundL.A.UndvielleichtaucheineinHamburg.«ErwarnieinNewYorkoderLosAngeles.EsisteinTraum,geborenausHollywoodfilmen.

SeineMutterversuchtihnmanchmaldaranzuerinnern,dassernichtnuraufsGeldguckensoll:»Esistauchwichtigzusehen,dassesMenschengibt,denenesnichtsogutgeht«,sagtsiedann.AberdahörtLennardmeistensnichtsogenauhin.

KjellistderOffenerederbeiden.Derjenige,derjedenMonatmindestenseinmalzueinemGeburtstageingeladenwird,dersichdieTelefonlisteseinerKlasseschnappt,wennihmlangweiligist,undsolangetelefoniert,biserjemandenzumSpielengefundenhat,derdreimaldieWochebeimHandballist,einmaldieWochebeimTennis,einblonder13-jährigerSonnyboy,mitdemjedesKindsofortFreundsein

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spezialisiertaufKindermitgeistigerBehinderung.DieKinder,diehierzurEinschulungzusammenkamen,saßeninRollstühlen,einigekonntennichtsprechen,nurLautemachen.UndirgendwiewurdeihrdawohlzumerstenMalsorichtigklar,wieweitPatrickzurückwar.Sieweinte,»weilmeinPatrickdadochnichthingehörte.Wasmachtederdennda?«

DerTagvonPatricksEinschulungistneunJahreher.PatrickistimmernochaufderselbenSchule,undauchsonstistPatrickdasKind,beidemsichamwenigstengeänderthat.ErwohntinderselbenWohnungwiedamals,erwirdmorgensmiteinemSprinterabgeholt.ErhatandersalsdieanderenKindernieaufgehört,dieseFahrtzumachen.WennerumdreiUhrnachHausekommt,istermeistenssomüde,dasserMittagsschlafmacht.DanachspieltereigentlichimmeraufdemkleinenFernseherinseinemKinderzimmeranderPlaystation,bisesZeitwird,insBettzugehen.

EsgibteinigeFortschritte:Ersprichtjetzt.Klarunddeutlich.AberinwenigenWorten,kurzenSätzenundmitetwaskreativerGrammatik.Erkannlesenundschreiben,worauferstolzist.EsgibtbeiPatrickkeinenbiologischenGrund,keinenGehirnschaden,keineErbkrankheit,dieesunmöglichmachenwürden,dassereinenHauptschulabschlussschafft.Unddennochwirdesdazuwahrscheinlichniekommen.

Worandasliegt,kannniemandendgültigsagen.EinePädagogin,mitderichspreche,vergleichtdieIntelligenzeinesKindesmiteinemGefäß,dasgefülltwerdenmuss.EsgibtKinder,diehattenschonimmermehrPlatzinihremGefäß.AberdieallesentscheidendeSacheist,dassesgefülltwerdenmuss.

(Kurzistesstill.SiezündetsicheineZigarettean.)Patrick:»Dasistganzschlecht.DasRauchen.Weißtdu?«Patricks Mutter:»Ichweiß,Schatzi.Dasistgiftig.«

DieElternvonPatrick,demJungenmitdendunklenKnopfaugen,habensichvor16JahrenübereinenSMS-Chatkennengelernt.Siefandgut,dassersoliebwar.Erfandgut,dasssieihmzuhörte.Siemochteneinandersofort.BeimerstenTreffenhatersievomBahnhofabgeholt,undnochamselbenTagsindsielosgefahrenundhabeneineMatratzegekauft.Sieistsofortbeiihmeingezogen.

NeunMonatespäterkamPatrickaufdieWelt,mitteninderNacht.SeinVaterkamzuspätzurGeburt,weilkeinGeldfüreinTaxidawar.DerersteBusfuhrerstamMorgenumsechsUhr.PatrickwareinruhigesKind.Erhatsofortdurchgeschlafenundfastniegeschrien.

Siedachtenerst,dasservielleichteinfachzufaulzumRedensei.MitvierJahrensprachPatrickimmernochnicht.SchließlichfandeinArztdieUrsache:ErhatteWasserhinterdenOhren,hörtenichtrichtig.Erwargeradefünfgeworden,alserendlichoperiertwurde.Dawareseigent-lichschonzuspät.

Patrickwar,alsichihnkennenlernte,weithinterdieanderenKinderzurückgefallen.ManchmalkommtdieganzeUngerechtigkeitderWeltineinemMenschenzusammen:dieUngerechtigkeitdersozialenHerkunft,dieArmutheißt,unddieUngerechtigkeitderBiologie,dieKrankheitheißt.

AmTagvonPatricksEinschulunghatseineMuttergeweint.EswarkeinenormaleSchule,aufdieerkam.EswareineSonderschule,

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PatricksElternlebenheutevomArbeitslosengelddesVatersundderkleinenArbeitsunfähigkeitsrentederMutter.SeineElternverlassennurseltendasHaus.SiehabenkeineFreunde,weilsieniemandemgenugvertrauen.Siewurdenzuoftenttäuscht,sagensie.SiehabenkeineHobbys,außermanzähltdieComputerspieledesVatersdazu,dieeraufdemgroßenFlachbildfernseherimWohnzimmerspielt.

PatricksMutternimmtbisheutejedenTagschwereMedikamente,Mittel,dieschizophreneSchübeunterdrücken,undeinAntidepressivum.UnddaistimmerdieAngst,dassschoneineKleinigkeitausreichenkönnte,damitsiewiederfürMonateinderPsychiatrieverschwindet.

Dreimalistdasschonpassiert.BeimerstenMalwarPatrickvierJahrealt.AlssienachdreiMonatenausdemKrankenhauswiederkam,wartetePatrickimHausfluraufsie.»Erhatirgendwietrauriggegucktundirgendwiefröhlich«,sagtsie.DasvorigeMalwarvorfünfJahren,alsPatrickneunwar.

SeitsieihreMedikamenteregelmäßignimmt,istesruhigergeworden,stabiler.SiekochtihmMittag-undAbendessen,PatrickhilftihrdafürbeimAbwasch.UndsiekämpftfürihrKind.ImmerwiederbittetsiedieLehrer,PatrickdochaufeineHauptschulezuschicken.DieLehrervertröstensiedann,weilsiewissen,dassPatrickdafürnichtbereitist.Abundzufragtsieauch,obPatricknichtnachderSchuleeineLehremachenkann.WoraufdieLehrermeistensantworten,dasseineBehindertenwerkstattdochnichtsoschlimmsei.UndwenndieLehrervorschlagen,mitPatrickmehr»anderfrischenLuft«zumachen,»weilersoblassist«,schicktsieihnzumJugendtreffumdieEcke.

AnmeinemerstenTagimKindergartenhattemirmeinChefverboten,PatrickanseineMutterabzugeben.SiehattegeradedasSorgerechtverloren,wardreiMonateinderPsychiatriegewesen,wegenihrerSchiz-ophrenie.DerVaterhattedasSorgerecht.

Nur:PatricksMutterwarausgerechnetamAbend,bevorichPatrickerstmalsnachHausebrachte,ausderPsychiatriezurückgekommen.Sorgerechthinoderher,siekümmertesichwiederumPatrick.UndnatürlichwartetesievorderTüraufmich.

Dastandsie,diesekurze,stämmigeFrau,mitihrendunkelbraunenAugen,eingerahmtvondentiefsten,dunkelstenAugenringen,dieichjegesehenhabe.

Ichhieltanundstammelte,dassichihrihreneigenenSohnnichtgebendurfte.Sieverstandsofort,worumesging.Siegingwortloswiederrein,holteihrenMann,unddaswaralles,wasichvonihrindennächstenneunMonatensah.FortanstandPatricksVateranderStraße,einlanger,blasserMann,dermitPatrickredetewiemiteinemaltenKumpel.

Patricks Mutter:»ManchmalgehterzumJugendtreffnebenan.Aberdagehternichtsogernehin.«Patrick:»DahabeichkeineFreunde.Damagichniemanden.«Ich:»Wiesomagstdudaniemanden?«Patrick:»Weilsiemichbeleidigen.«Ich:»Wassagensiezudir?«Patrick:»Penner,Asi,Hurensohn,dustinkst.«

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Untote,hateineigenesZuhause,mitBücherregalenundZaubertränken,undeinganzesRudelFreunde.EssindWölfe,dieergezähmthat.Siefolgenihm,wohinergeht,beschützenjedenseinerSchritte.

Ichdenke,dassPatricksoetwasauchimrichtigenLebenbräuchte.

CODAEsgabetwas,wassiedamalsallegemeinsamhatten.SiehatteneinLieblingslied:SevenNationArmyvondenWhiteStripes.ImmerwenndasLiedkam,mussteichdieAnlageaufdrehen.DannbrülltenachtKleinkinderimTaktvonJackWhitesGitarre:

»I’mgonnafight’emoff!Asevennationarmycouldn’tholdmeback!«Oderzumindestbrülltensieetwas,wassoähnlichklang.IchfuhrSchlangenlinien,dieKinderwipptenmitihrenKöpfen,

undfüreinenMomentfühlteessichan,alskönntesiewirklichnichtsaufhalten.Alswärealles,wassiezurückhielt,aufgehoben.DasGefühlhieltgenaudreiMinutenund52SekundenundendetemitdreiWortenvonJackWhite,diefürjedesdieserKindersoandersklangen:»Gobackhome.«

Nur:Dawirderoftgemobbt.DieKinderausderNachbarschaftsehen,dassermorgensmiteinemBusabgeholtwird,aufdemhinteneingroßesSchildeinenMenschenimRollstuhlzeigt.Fürsieister»behindert«.Unddazunochsoschmal,blass,dieZähnesindoftnichtgeputzt,sportlichisterauchnicht.VoreinigerZeitkamPatrickmiteinerblutigenNasevondraußenwieder,undjetztmagernichtmehrzumJugendtreffgehen.

WennPatrickanseinerMuttervorbeigeht,streichtsieihmsanftdurchsHaar.IhreAugenwerdendannganzweich.Siemöchteunbe-dingt,dassihrJungeesschafft,einnormalesLebenzuführen.Abersieweißnichtsorichtig,wiesiedasanstellensoll.

Patrickhatjetztschoninternalisiert,dasserinsogutwiejedersozi-alenHierarchiederimKellerist.DieanderenKindernennenihn»Asi«.Asozialer.DiesesAbgrenzungswort,daseigentlichheißt:Dubistnichtswert.

ImmerhinhaterFalck,seinenbestenFreund,denermag,»weilerblondistundblaueAugenhat«.FalckistdasoptischeGegenteilvonPatrick.DieserhatebenholzfarbeneHaareunddiedunkelstenAugen,welchedieNaturzurVerfügunghatte.AberPatricktrifftFalcknichtoft.DafürmüsstePatrickmitdemBusfahren,unddasschafftervielzuselten.AberwennFalckvorbeikommt,kickensiedenganzenNach-mittagaufdemBolzplatznebenan,bisdieSonneuntergeht.

UndselbstwenneralleinzuHausevorderPlaystationsitzt,isterdochnichtganzeinsam.Erwillmirdasunbedingtnochzeigen.ErsitztaufseinemengenHolzbett,dassdieFormeinesRaumschiffshat.MinecraftheißtdasSpiel.PatrickkämpftdaineinerFantasieweltgegen

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„AnanderenSchulensagensie:‚Wenndusoweitermachst,kommstduaufdieBockmühle.‘“

„WirhabendieKinder,dieschonihrganzesLebenhören:Dubistzuschlecht.“

„ManchekönnennichtmaldieFrage‚WostehtderKölnerDom?‘beantworten.“

„Außerunsinteressiertsichdochniemandfürdie.NichtmalihreeigenenEltern.“

MITTWOCH, 7.42 UHREsistdieWochevordenZeugniskonferenzen.DasLehrerzimmeristetwa30Quadratmetergroß,blauerLinoleumboden,anderDeckeNeon-röhren,dieSchreibtischesindmitArbeitsblätternundBüchernübersät,dieScheibenbeschlagen,esistwarm,weilmandieHeizungnichtregu-lierenkann.EinigeLehrerklaubenstummihreUnterlagenzusammen.DieTüröffnetsich.ElisabethDreiskamp,45,einesanfteFraumit

DieGesamtschuleBockmühleinEssen.Einlanggezogener,drei-stöckigerKlotz,vondemderPutzblättert.1.400KindergehenhierzurSchule,70ProzentvonihnenhabeneinenMigrationshintergrund,jedeszweitekommtauseinemElternhaus,dasTransferleistungenvomStaatbezieht.EineBrennpunktschule,wieessieinjederdeutschenGroßstadtgibt.

HintereinerorangefarbenenTür,amEndeeinesGangesimzweitenStock,liegtdasZimmerfürdieLehrerderachtenKlassen,Raum145/146.EsistdereinzigeOrt,andemdiezwölfLehrerundzweiSonderpädagoginnenimSchulalltageinwenigRuhefinden.EineWochedurftenwirhierverbringenundihnenzuhören.DieeinzigeBedingung:WirmusstenfürdiesenTextalleNamenvonLehrernundSchülernändern.Dafürkonntenwiranallemteilhaben:amIdealismus,anderResignation,auchanderVerzweiflung,dermanchmalnichtsanderesbleibt,alssichinSarkasmuszufliehen.BegrüßtwurdenwirmitSätzenwiediesen:

„Die wittern deine Schwäche!“ Eine Woche im Lehrerzimmer einer Brennpunktschule

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Neuberger:Dennis,weißtdu,wasmirebenpassiertist?Braun:Nee.Neuberger:IchhabedochdiesenNeuen,derzuschlechtfürsGymna-siumwar.EbenhatteichNaturwissenschaftenundhabenachderDefinitioneinesHubsgefragt.UndderNeuemeldetsichundsagt:„DasistdiegeradlinigeBewegungdesKolbensimZylinder.“Ohnezuzögern.Einrichtiger,vollständigerSatz.UnddieseAusdrucksweise!„Geradlinig!“Braun:Clashofcivilizations.Neuberger:Dieanderenhabengarnichtsverstanden.„Diegeradlinigewas?“Damussteichwirklichlachen.UnddieSchülerso:„WarumlachenSiedenn,HerrNeuberger?“Birgit Möckel,51,einederzweiSonderpädagoginnen,schautvonihremFrühstückauf:ManchmalistdashierallesebennurmitHumorzuertragen.Neuberger:Leideristesnurso,dasseinembeimanchenSchülern,dievölliglustlosundaggressivsind...Möckel:...derHumorfehlt.Neuberger:Genau.Mirrutschtmanchmalschonein„HaltdieKlappe!“raus.Ichmöchtegarnichtsoruppigsein,aberdieverarschenuns,wosienurkönnen.DiewitterndeineUnsicherheit,deineSchwäche.Undwenndunichtallessofortunterbindest,kipptes.Möckel:Wenneinerleisesingt,unddumachstnichts,dannsingenindreiMinutenfünfLeute.

blondgefärbtemHaar,undDennisBraun,55,eindrahtigerMannmitverschmitztemLächeln,betretendenRaum.Dreiskamp:Boah,ichbraucheerstmaleinenKaffee.Braun:Undsonst,Lissi,allesgut?Dreiskamp:Ja,ichhattegesternnocheinenwunderbarenAbendundhabebishalbzehnKlassenarbeitenkorrigiert.Braun:Schön!Du,sagmal,wirhattengarnichtmehrüberdenJeremygesprochen?Dreiskamp:Stimmt.Waswardennlos?Braun:GesternhatereineStundelangversucht,dieKorrekturderMathearbeitabzuschreiben.BiszurAufgabe2aistergekommen.Dreiskamp:Dabeiistdernichtdumm!Braun:Nein,deristkrank!DerkannsichnichtlängeralsfünfSekundenkonzentrieren.WennderJungekeineMedikamentebekommtgegenADHSoderweißichwas,wirdernielernenkönnen.Dreiskamp:Wenigstenskommternoch.Ichhabemalnachgeguckt,derPhilliphatmehrals200Fehlstunden.Allesunentschuldigt.

Esklingelt.7.55Uhr.DreiskampundBraunbrechenaufinihreKlassenräume.

10.07 UHRPause.EinigeLehrersitzenanihrenTischen,gebeugtüberListen,indiesieFehlstundenoderNoteneintragen.RobertNeuberger,36,lässtsichinseinenStuhlfallen.ErhatalsMaschinenbau-Ingenieurgearbeitet,bevorerhieranfing.

BjörnStephan:„Diewit terndeineSchwäche!“EineWocheimLehrerzimmereinerBrennpunktschule | DIEZEITKATEGORIE TEXT | 3. Preis

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deshalbauchimmer:„DieNoten,dieihrkriegt,sindgefälscht.WirmachendieTestssoleicht,dasseineZweieigentlicheineVieristundeineDreieineFünf.WirmachenhierBockmühle-Niveau.“Möckel:Dassagstdu?Neuberger:Ichweiß,dassichdasnichtsollte.Aberanlügenwillichsieauchnicht.

11.25 UHRDieKaffeemaschinekeucht.ElisabethDreiskampsitztanihremSchreib-tisch,nebenihrbeugtsichDennisBraunüberTestszumThemaUmwelt-verschmutzung.Aufeinmal:lautesBohren.BraunhautaufdenTischundschiebtdieTestsbeiseite.Braun:Boah,ey,dasgehtmirtierischaufdenSack!Seitichhierarbeite,isthierBaustelle.Dreiskamp:MeineSchülerreagierendaschongarnichtmehrdrauf.Braun:Ichaber!Dasistunmöglich.DieSchulewirddochsowiesoabgerissen.

DasSchulgebäude,erbautAnfangdersiebzigerJahre,isthoff-nungslosmarode.DieFensterundicht,dieWändeverseuchtmitAsbest.VorkurzembeschlossdieStadtEssen,dasGebäudebaldabzureißenundfür60MillionenEuroeineneueSchulezuerrichten.WeilderBrandschutzaberdringenderneuertwerdenmuss,wirdtrotzdemseitvierJahrengebaut.AußerdemwurdevorkurzemnachtsindieSchuleeingebrochen.Daskommtöftervor,normalerweiseverschwindenComputerbildschirme,aberdiesmalverschüttete

Neuberger:UndinfünfMinutenalle.AberamschlimmstensinddieseVermeidungsstrategien–diesesendloseAnspitzenvonBleistiften,diesesDummstellen,diesesinnlosenFragen:„WiesoistdakeineJahres-zahlaufderUhr?“Möckel:Manchewollennichtslernen.NatürlicheWissbegieristdagarnichtvorhanden.Neuberger:IchbindieganzeZeitmitdiesenHalunkenbeschäftigt.IchverteileSechsen,Tadel,ichschickedienachHause.Aberdasinteressiertdiegarnicht.Unddiewenigen,dielernenwollen,diekannichnichtfördern.Möckel:DasistdasgrößteDrama.Neuberger:Wassollichmachen?IchbinfastimmeralleininderKlasse.DukommstjaauchnurzweimalimMonat.Möckel:Öfterschaffeicheseinfachnicht.IchhabejetztgleicheineKlasse,indersiebenvon22SchülerneinenFörderbedarfhaben.Neuberger:Eigentlichmüsstenwirimmerzuzweitsein,plusSonderpädagogin.

PädagogischversuchensieeinigesanderBockmühle:DieKlas-senlehrerunterrichtenmöglichstvielselbst,auchFächer,diesienichtstudierthaben.DassolldieBindungzudenSchülernstärken.Möckel:SeitderInklusionkommenimmermehrFörderkinder,dieLern-schwierigkeitenhabenoderemotional-sozialgestörtsind.EigentlichistdashiereineFörderschuleinderSchule.Neuberger:InmeinerKlassekönnendiemeisteneinigermaßenaddierenundsubtrahieren.AberMultiplikationimzweistelligenBereich,dawirdesschoneng,undDivisionkanngarkeiner.Ichsagemeinen

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Draußendämmertesnoch.ElisabethDreiskampunddieSonderpäda-goginChristianeSchiller,59,kommeninsLehrerzimmer.Dreiskamp:So,dabinichmalgespannt,wievieleElternihreKinderheutezuHauselassen.Schiller:ZumirmeinteneinigeSchüleraufdemFlureben,ihreElternhättengesagt,siedürftenzuHausebleiben,abersiewolltenunbedingtkommen.Dreiskamp:Achguckmal,dasistaberschön!Schiller:Ja,diekommengerneher.Dreiskamp:Undweißtdu,warum?Weilwirihnenzuhören.Möckel:LetztenssagtmireinlibanesischerVater:„IchhabeachtKinder,meinenSie,ichkannmichumallekümmern?DafürgehendiedochindieSchule.“Dadenkstduecht:DiearmenBlagen!Werdeneinfachsichselbstüberlassen.Neuberger:IchkommemirmanchmalfastvorwieeinVater-Ersatz.IchhabeeinenSchüler,derhatDyskalkulieundADHS,dagehtinMathegarnichts,undtrotzdemsagtder:„IchhasseMathe,aberichliebeSie,HerrNeuberger.“

8.32 UHRDerWindbiegtdieBaumkronen,rütteltandenFenstern.AusdemLaut-sprecherknarztdieStimmederSchulleiterin:„LiebeSchülerinnenundSchüler,derUnterrichtendetjetztwegendesSturms.NatürlichwerdetihrzuHauselernenundfleißigsein,dafreuenwirunsalledrauf.Wirsehenunsmorgen.Tschüs.“Türenwerdenaufgerissen,Stühlerücken

jemandBrandbeschleunigerundzündeteMöbelan.14KlassenräumewarenkomplettverrußtundmussteneinhalbesJahrlangrenoviertwerden.Dreiskamp:Dennis,wirhabengleicheineentspannteGesprächsrundemitdeinerLieblingsmutter.Nurdassdudrandenkst.Braun:Ichkommenichtmit!Dreiskamp:Weißichdoch...Braun:DieseMutter,dasistdiekompletteVerwahrlosung,diehatniegearbeitet.LetztesMalschnauztdiePerlemichan:„SiewollenmeinenJungenvonderSchuleschmeißen.“Sageich:„Dasstimmtnicht,FrauLabude,ichhabedenSean-MauricenurnachHausegeschickt,weilerinmeinemUnterrichtschläft.“Dreiskamp:Mirhatsiegesagt,siekonntesichfrüherinderSchuleauchniekonzentrieren.Braun:Aberdasistdochnichtnormal!EinschlafenderSchüler!DerzocktdieganzeNachtPlaysiundkommthiertotalübermüdetan.DerkriegtnixaufdieKetteundhatnurSechsen...

BraungehtzumKonferenztisch,aufdemeineTafelKokosschoko-ladeliegt.Braun: Johannes,sagmal,istdievondir?Marr:Nee,dieistvonAldi.

DONNERSTAG, 7.34 UHRSturmwarnung.OrkanFriederikerauschtandiesemTagüberEssen.DenElternistfreigestellt,obsieihreKinderindieSchuleschicken.

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Paulus:Ja,ichbindasnichtmehrgewohntohneStundenplan.Stelldirvor,wirwürdenwasganzanderesmachen.Dreiskamp:Darüberdenkstdudochhoffentlichnichternsthaftnach.Melek Önder,53,kommtrein,einekleine,energischeFraumitdunklenLocken:Ach,hierbistdu,Frank!Sagmal,hastdugesternirgendwaserreicht?MitdemVatervonYara?ErhatimmernochnichtfürdieKlas-senfahrtbezahlt.Paulus:Nein,aberweißtdu,was,ichlaufegesternindieMensa,undwerstehtvormir?ZweisupergeschminkteDumpfbacken:AmiraundLeyla.Önder:Okay...Paulus:Ichschnappemirbeide:„Geht’snoch,wowartihr?“UndLeyla:„HerrPaulus,waswollenSie?Wirsinddochda.“Ichsage:„EsisteinUhr!WeißdeineMama,dassdudenganzenVormittagschwänzt?Dietrittdirsonstwohin!“DanndasüblicheGrinsenundhihihiundso.Önder:DannmüssenwirebendieBezirksregierunginDüsseldorfeinschaltenundeinBußgeldverfahreneinleiten.Weil,dasistfürmich...SieschütteltzornigdenKopf.Paulus:Ichweiß,fürmichauch.Diesindjaauchbeideschonüber14undmüsstendasBußgeldselberbezahlen.Önder: OdersiemüssenSozialstundenleistenoderhaltJugendarrest.Paulus:SoferndasnichtwiederallesinDüsseldorfliegenbleibtundverjährt.Önder:Mitirgendwasmüssenwirjadrohen.Paulus:Ach,scheiße!Duhastjarecht.DieAmiraistechtvöllignebenderSpur,diekönnteeigentlicheinenHauptschulabschlussschaffen,abernichtbeidiesemUmfeld:derVaterkrebskrank,diebeidenBrüder

istzuhören,GeschreiundeinpaarBeleidigungen:„DuMissgeburt!“–„Fickdichselber!“JanaBender,34,betrittdasLehrerzimmer.Bender:Boah,ichbinheuteumdreiUhraufgestanden,umNoteneinzu-tragen.Undjetzthabenwirfrei.Frank Paulus:(kommtrein)Hallöle.HastduDennisgesehen?

Paulus,50,warfrüherPfarrer.ErsiehteinbisschenauswieMartinSchulz,schütteresHaarundVollbart.DasFestnetztelefonaufderFens-terbankklingelt.Paulusgehtran.„GesamtschuleBockmühle,FrankPaulus?...Genau,esistheutekeinUnterricht...Ja,ja,tschüs.“Erlegtauf.Paulus:DerKlassiker,FrauZahir.Bender:Ach,FrauZahir.Paulus:MeldestdudicheigentlichimmernochjedenTagbeider?Bender:Nein,ichmachdasnichtmehrmit.IchkannsiedochnichtjedenMorgenanrufenundihrsagen,obihrSohngekommenist.Paulus:Mittlerweilekommterjaauchfastimmer,oder?Bender:Ja,abermeistenserstzurzweitenStunde.Paulus:Also,wasistdennmitDennis?Dreiskamp:Derhatdonnerstagsspäter.Ichrufeihnmalebenan.–„Hallo,Dennis,grüßdich.Dubrauchstnichtzukommen...Ja,dasGesprächgesternwargut.FrauLabudewarnochniesoentspannt.DasmitderPraktikumsklassefindetsiesuper,dakommtSean-MauricemalrausundkannzweiTagedieWochearbeiten.“Sielegtauf.Paulus:DaswirfteinenrichtigausderBahnmitdemSturm.Dreiskamp:JetztistdeinganzesWeltbildgestört,ne?

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Schiller:Ichweiß,abertrotzdem.Derhatmichsoabfälligundaggressivangeschaut.IchhatterichtigSchiss.Ichkanndasnichtmehr.IchbinmitmeinenKräftenbaldamEnde.Ichmeine,deristsoschwach,deristlernbehindert.Woherkommtdas?Istderpsychischkrankoderfalscherzogen?Marr:DashatsicherauchwasmitdemMigrationshintergrundzutun.Daskommterschwerenddazu.Schiller:DieElternhabendensoverwöhnt,wieeinenkleinenPrinzen.Marr: EherwieeinenkleinenPascha.Schiller:Weißtdu,dassderEmreChefgenanntwerdenwill?Marr:Nee.Schiller:DasschreibtdersogaraufseineArbeitsblätter.Manchmalmussichechtaufpassen,dassichnichtrassistischwerde.Amaller-schlimmstenistesmitdenLibanesen.Diehörengarnichtaufeinedeut-scheFrau.Ichmeine,wassollaussoeinemJungenwerden?Marr:FrüherhättesoeinerhierbeiThyssenkruppgearbeitet,aberdieseHandlanger-Jobsgibtesjakaumnoch.Wahrscheinlichwirdderkriminell.

12.36 UHRMarr:Sabine,alsodasZeugnisvomEmre?DafällstdudochechtvomStuhl.Sabine Becker,55,EmresKlassenlehrerin:Ja.140Fehlstundenhater.DasisteinInklusionsopfer.DergehörtaufeineFörderschule.AberdasinteressiertdieElternnicht.EigentlichistdaseinearmeSau.

aufderSonderschule.Wirhabendochschonallesversucht,umansieranzukommen.AbersieläuftliebermitirgendwelchenTypenvonderNachbarschulerum,dieständigBöllerzünden...

Dann:Bumm.AufdemSchulhofknallteinBöller.Paulus:Mussichdirwassagen,Melek?DieBlitzbirnensindwiederunterwegs.

FREITAG, 10.06 UHRChristianeSchiller,dieSonderpädagogin,kommtreinundpacktihreUnterlagenzusammen.Schiller:IchgehejetztnachHause.Ichbinfixundfertig.Marr:Wieso?Schiller:WegenEmre.Derwarsorespektlos.Johannes Marr,EmresEnglischlehrer,einstoischerMannvon51Jahren,derfastimmermitleiserStimmespricht:Wasistdennpassiert?Schiller:WirhabenderMuttergesternerklärt,dassEmrezweiWochenvomUnterrichtausgeschlossenwirdunddanachzudirindieKlassewechselnsoll.Unddiehatgesagt:„Dasgehtgarnicht,derHerrMarristaggressiv.“Marr:Ich?Aggressiv?Schiller:Ja,sohabeichauchgeguckt.UnddannhabeichEmreheutegetroffen.Undersagt:„IchgehenichtindieseKlasse.Siesindschulddaran!NachvornelachenSie,undhintenrumsindSiefalsch.“Marr:DasistdochseineMasche:ImmerhabendieanderenSchuld.Dasdarfstdunichtpersönlichnehmen.

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Braun:AberichmussdochdenBezugzumrichtigenLebenherstellen.Ichkanndochnichtsagen:„DasEnglischbuch,dasistsogeiley,lernVokabeln!“Dannsagendie:„HerrBraun,sindSienochganzdicht?!“Önder:Also,ichglaube,positiveBestärkungistwichtig.Beimirwardasauchso.IchbinmitzehnausIstanbulnachDeutschlandgekommen,undmeinVaterhatimmergesagt:Duwirstmalstudieren!Braun:UnserensagendieElterndasabernicht.Önder:Ichweiß,deshalbsindwirdagefordert.Braun:Okay,nimmdenMarvininmeinerKlasse,dersitztdaseitMonatenundnimmtkeinenStiftmehrindieHand!DerstehtüberallaufSechs.Deristintelligent,derhateinensprachlichenWitz,alles,aber...Önder:...dahabenwirversagt.Braun:Nein!Önder:Doch!Braun:Passauf,Melek.WirhabendemVaterzweiTerminebeimGesundheitsamtvermitteltzurÜberprüfungderSchulfähigkeit.Isternichthingegangen.Ichhabezigmalmitdemgeredet.Wassollichdennmachen?SollichdenVaterzumGesundheitsamtfahren?SollichdieSchülermorgensumsiebenUhrvonzuHauseabholen?Önder:Ichhabedasmalgemacht.Braun:Also,ichmachesowasnicht.Echtnicht.WirsindkeineThera-peuten,wirsindauchkeineMärtyrer,wirsindLehrer.Önder:Ichglaube,manmusswasbeiderLehrerausbildungmachen.Ichweißnicht,obdudaraufvorbereitetwarst?Ichwaresnicht.

MONTAG, 11.23 UHRMelekÖnderundJohannesMarrsitzenanihrenSchreibtischen.DennisBraunvergräbtdasGesichtindenHändenundatmetlautaus.Marr:Dennis,dumachstmirSorgen.Braun:Warum?Marr:Ichglaube,dichstresstdashierzusehr.Braun:Ichstressmichüberhauptnicht.Marr:Dusiehstsogestresstaus.Braun:DasistmeineArt.Ichseheeinfachsoaus.Istso!Undichhörauchnichtauf,michaufzuregen.DerPascalzumBeispiel.DessenElternhabennochniegearbeitet.Diesagen:„Boah,ichhabeesmitdemRücken.“UndderJungesagtjetztauchschon:„Dukannstabernichtarbeiten,wennduesamRückenhast.“SovererbendieihreArmut.Önder:AberDennis,dakommenwirdochinsSpiel!Wirsagen:DukannstwasBessereserreichen,Pascal.Braun:AberichkanndemPascaldochnichtnursagen:Dubisttoll!DerhateinDefizit.Unddeshalbsageichihmauch:„Wenndusoweiter-machst,bekommstdunächstesJahrkeinenAbschlussundauchkeinenAusbildungsplatz.UndwomitwillstdudanndeinGeldverdienen?MitPizzataxi-Fahren?“Önder:Ichglaubenicht,dassdaswasbringt.Dasistdenenscheißegal.Braun:Nichtallen,Melek.Önder:Okay,esgibtvielleichteinenoderzwei,dabewirkensolcheMonologewas.

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Braun:BistduglücklichhieranderBockmühle,Frank?Paulus:Also,wennwirunserTeamnichthätten,dasVertrauenunterein-ander,dannkönnteichhiernichtarbeiten.Braun:IchwürdeFischerwerden.Paulus:Fischer?Braun:Ja,klar.SchöndenganzenTagalleinaufdemWasser.Paulus: ManchmalspieleichauchmitdemGedanken,aufzuhören.Neuberger:AlsobiszurRentesteheichdasnichtdurch.IchkrieghiereinenPsychoknacks.Paulus:IchhabedasGefühl,ichmachemichhierjedenTagschuldig.Schuldigandenen,dielernenwollen,weilichsienichtadäquatfördernkann.UndschuldigandenFörderkindern,weilichihnenauchnichtgerechtwerde.Önder:HerrPaulus,HerrTamimkommtmorgenum12.30UhrzumElterngespräch!Paulus:Dasistschönfürihn.

MITTWOCH, 11.36 UHRYaraistnichtzumKlassenausfluginsBergbaumuseumerschienen,weshalbMelekÖnderihrenVateranruft.Önder:GutenMorgen,HerrTamim,IhreTochteristnichtda...BeiIhnenistsieauchnicht...Gut,wirsehenunsjaum12.30Uhr,oder?Sielegtauf.

Braun:IchwarjavorheraufeinerHauptschule.Alsichhierankam,habeichnachwenigenTagengemerkt,dukriegsthierkeinBeinaufdenBoden.Ichhabemichgefragt:Wasmacheichfalsch?BismireinSonder-pädagogeeinenRatgegebenhat,denichnievergessenwerde.Ersagte:„Dennis,dumachsteinengroßenFehler:Dusetztetwasvoraus.“Önder:Manchmaldenkeichauch:Ey,Alte,wachauf!DuerzählstdenenwasvonFabeln,Lyrikundtrallala...dasbringtdochallesnichts.Braun:IchbinjetztMitte50,ichwilldieseArbeiteigentlichmachen,bisichmit67vollpensioniertbin.Aberichmerke,wiedasallesanmirzehrt.NeulichhatderChefmichzusichgenommenundmeinte:„Dennis,dumusstDistanzschaffenindeinemKopf.DenMarvinwirstdunichtändern.“Underhatjarecht.Esbringtnichts.DasEinzige,wasesbringt,ist,dassmeinKopfnachtsnichtschlafenkann.Önder:Tja,ichhabedasauch.Kopfschmerzen,zuhoherBlutdruck,Migräne.Braun:SchaudirunsereKrankenlistean.Heutefehlenschonwieder25von160Kollegen.

DIENSTAG, 12.34 UHRMelekÖndertelefoniertmitdemVatervonYara:„Hallo,HerrTamim,Siemeldensichnicht,geht’sIhnengut?SiehabennochimmernichtdasGeldfürdieKlassenfahrtbezahlt.Ichdachte,dassSievielleichtmalvorbeikommen.“WährenddessensetzensichalleandengroßenKonfe-renztisch.ChristianeSchillerist60geworden.EsgibtPizzamitThun-fisch,OrangensaftundalkoholfreienSekt.

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Önder:KeineAhnung.Wirmüssensehen,dasswirdieinBerufskollegsstecken.Braun:DiePolitikersagenimmer,SchulemussfürBildungsgerech-tigkeitsorgen.DasistdochallesfürnArsch!DiehabendieseKinderlängstaufgegeben.SonsthättenwirdochSonderpädagogenundmehrKollegen.AbersolcheBildungsverlierergehennichtwählen,diewerdennieSteuernzahlen,waruminsieinvestieren?Önder:GanzlangsammitdenjungenPferden,Dennis.Braun:ManhatjaimmerHoffnung,Melek.Aberoftistsieauchtrügerisch.

12.57 UHRÖnder:Deristeinfachnichtgekommen.Daskannjawohlnichtwahrsein!Bender:MiristdasauchschonmiteinerMutterpassiert.Undweißtdu,warum?DiehatteeinenTattoo-Termin.

DannbeginnendieZeugniskonferenzenderachtenKlassen.52von203SchülernbekommeneineGefährdungsmitteilung,siewerdendenHauptschulabschlussimnächstenJahrnichtschaffen,wennihreNotensoschlechtbleiben.NachderKonferenzstehenMelekÖnderundDennisBraunernüchtertimLehrerzimmer.Önder:Nichteinfach,dasalles.Braun:Daskannstdulautsagen.Önder:GesternimUnterrichthabeichmeinengesagt:„Ichfindeestraurig,dasssovielevoneucheineGefährdungsmitteilungbekommen.“Dahabensiegefragt:„Washeißtdas,Gefährdungsmitteilung?“Undichhabgesagt:„Überlegtmal,welchesWortstecktdadrin?Gefahr!Genau!Dasheißt,dasseuerAbschlussgefährdetist.“Unddannhabeichgedacht:Ach,haltdieSchnauze,Melek.Esbringtdochnichts,wiederdamitanzufangen,wienegativallesist.Braun:IndenneuntenKlassengibteszurzeit45Schüler,dieihrenAbschlussnichtschaffen.Önder:45?Braun:45von216!Unddaswirdbeiunsnichtanderssein.Wassollausdenenwerden?

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Alexander Kleider

Berlin Rebel High SchoolSandra Sperber & Yasemin Yüksel

Plötzlich Lehrer – Wie Quer-einsteiger Lücken stopfen

Christine Werner

Ohne Zwang und ohne Noten. Was bringt freies Lernen?

EinenTrailerundweitereInfoszumFilmgibt‘saufderoffiziellenWebsite.

DieFolgedesPodcasts„Stimmenfang“findenSieaufSPIEGELONLINE.

bit.ly/2xRv6ll bit.ly/2P23GQ1

DasRadio-FeaturehörenSieaufdenSeitenvonSWR2.

Filme und Hörstücke

www.berlin-rebel-high-school.de

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Christine Roskopf

Was glaubst du? – Wenn Religionen gemeinsam lernen

bit.ly/2RiGEGo

DieFolgederTV-Sendereihe„neuneinhalb“könnenSiesichinderARD-Mediathekansehen.

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FüreinrohstoffarmesLandwieDeutschlandstelltBildungeinesderzentralenZukunftsthemendar.LeideristunserBildungssystemsehrkomplexundfürLaienoftnurschwerverständlich.JournalistinnenundJournalistenkommthiereinewichtigeRollezu:Siesorgendafür,dassBildungsthemennichtnurinkleinenExpertenzirkeln,sonderninderbreitenÖffentlichkeitwahrgenommen,verstandenunddiskutiertwerden.

UmdieseLeistunganzuerkennen,schreibtdieDeut-scheTelekomStiftungjedesJahrdenMedienpreisBildungsjournalismusaus.ErwirdindenKategorien„Text“sowie„Audio/Video/Multimedia“verliehen.NachwuchsjournalistenkönnensichzudemmiteinemStory-Konzeptbewerben.MehrzumPreisunter

www.telekom-stiftung.de/medienpreis

Der Medienpreis

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KontaktDeutscheTelekomStiftung53262Bonn

Telefon:0228181-92001Telefax:0228181-92005kontakt@telekom-stiftung.de

DieDeutscheTelekomStiftungwurde2003gegründet,umdenBildungs-,Forschungs-undTechnologiestandortDeutschlandzustärken.MiteinemKapitalvon150MillionenEurogehörtsiezudengroßenUnternehmensstiftungeninDeutschland.DieStiftungengagiertsichfürguteBildunginderdigitalenWeltundkonzentriertsichdabeiaufdieFächerMathematik,Informatik,Naturwissen-schaftenundTechnik(MINT).DieAktivitätenderStiftungsindinvierthematischenSchwerpunktengebündelt:Bildungsmacher,Bildungschancen,Bildungsinnova-tionenundBildungsdialog.ImHandlungsfeldBildungsdialog,unterdasderMedi-enpreisfällt,sinddieVorhabenzusammengefasst,beiderdieStiftungmitPolitikundGesellschaftkooperiert,umBildungbesserzumachen.

www.telekom-stiftung.de

Die Deutsche Telekom Stiftung

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Medienpreis Bildungs- journalismus

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