Migranten-Anämien: Hämatologie mit interkulturellem Auftrag · • Differentialdiagnose...

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Migranten-Anämien: Hämatologie mit interkulturellem Auftrag Prof. Dr. Stefan Eber, München

Dr. Roswitha Dickerhoff, Düsseldorf

Prof. Eber: Schwerpunktpraxis pädiatrische Hämatologie/Hämostaseologie u. Kinderklinik d. Technischen

Universität;

Waldfriedhofstr. 73; 81377 München

Tel: 0897140975; Fax: 08974160384

www.kid-z.de

Dr. Dickerhoff:Klinik für Kinder-Onkologie,-Hämatologie und Klin. Immunologie

Universität Düsseldorf Moorenstr. 5

40225 Düsseldorf

80,5 Mill. Einwohner 7,2 Mill Immigranten 15-20 Mill. Menschen mit

Migrationshintergrund.

Davon ca. 8-9 Mill. aus

Ländern,

wo es

Sichelzellkrankheiten und

Thalassämien gibt =

400 000 Anlageträger

Eber, Dickerhoff DMW 2014: 139: 434-440

Erythrozyt mit > 50% HbS Potentielle „Sichelzelle“

+Endotheladhäsion

Vaso‐Okklusion Sequestration

Chron. Hämolyse

Organschäden Schmerzkrisen

Milz

Infektanfälligkeit Lebenslänglich Pneumokokken H. Influenzae Salmonellen

ZNS Lunge Knochen Retina Leber Uro-genital Herz

PHT

Gallensteine Anämie

Markhyperplasie

Essentials zur Sichelzellkrankkeit

• Am allerwichtigsten! bitte an die Leitlinien für erwachsene Sichelzellpatienten halten! • Informationen unter verschiedenen Webs. Gern Mail an

sichelzelle@med.uni-duesseldorf.de

• Prävention des Nierenschadens, der chronischen Niereninsuffizienz mit Dialysepflicht: • jährlich Eiweiß im Urin bestimmen; > 300 mg/24 Std. →ACE-Hemmer • Cave Niereninsuffizienz: obere Grenze beim Kreatinin für

Sichelzellpatienten ist 0,8 mg/dl!

• Therapie im Frühstadium der Avaskulären Nekrose von Femur - bzw. Humeruskopf: • Wenn die Nekrosen Schmerzen verursachen, muß im frühen Stadium I bzw II

(d.h., solange noch keine Frakturierung der Konvexität besteht, angebohrt werden!!

• Sichelzellpatienten HbSC müssen jedes Jahr eine Retina-Untersuchung bekommen wegen des hohen Risikos einer proliferierenden Retinopathie.

Nach Dr. R. Dickerhoff

Akutes Thorax‐Syndrom gibt es nur bei Sichelzellpatienten!

o oft bei oder nach typischer Schmerzkrise

o bei unsachgemäßer postoperativer Versorgung

o Nach Überwässerung (> 1 ½ x Erhaltungsbedarf)

o Thoraxschmerzen Fieber, Dyspnoe, Tachypnoe, Husten

o innerhalb kurzer Zeit neue pulm. Verschattungg

Merke:

• Sichelzellpatienten müssen immer Analgetika zur Verfügung haben! Bei Thoraxschmerzen müssen sie stationär aufgenommen werden, um ATS nicht zu übersehen

• Achtung! Patienten haben hohes Sepsis- Risiko! Bei Fieber ungeklärter Ursache muss an Sepsis gedacht, und entsprechend gehandelt werden!

• Bei chronischen Schmerzen aseptische Nekrosen von Femur, Humerus und Knien ausschließen!

• Einige Wochen vor Langzeitflug (> 6 Std.) Hb Spiegel bei HbSC prüfen: Aderlass wenn Hb > 11,5 g/dl

Indikation für Hydroxycarbamid: Früher Beginn erspart viel Leiden!

• Häufige / schwere Schmerzkrisen (Beeinträchtigter Alltag!!)

• 1 Akutes Thorax‐Syndrom

• Ständige schwere Anämie (Hb < 6g/dl)

• Pathologische TCDS, wenn keine Stenosen

• chron. Nierenschäden

• Pulmonale Hypertension

• Neue Empfehlungen: alle Kinder mit HbSS bzw. HbSß°Thal ab 2. geburtstag

1980 1985 1990 1995 2000 2005 Current data year

Child rate ( 19 years of age)

Adult rate (.19 years of age

Mo

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10

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Zunahme der Sterberate um 1 %/Studienjahr bei Erwachsenen: Mittleres Sterbealter 33, 4 J (ml) und 36.9 J wbl!!! Lanzkron S et al; public Health report, March – April 2013, Vol 128

Sterberate für Erwachsene und Kinder mit HbSS: USA; 1979- 2005:

Prä-Konzeption

• Ausschluß Pulmonale Hypertension (ECHO wenn nicht kürzlich gemacht; RH Katheter wenn TRV > 2, 9 m / sec) PHT = absolute Kontraindikation

• Evaluation der Eisenüberladung bei Patientinnen auf chronischem Transfusions- Programm (Ferriscan)

• Erythrozyten – AK- Screening

• Folsäure mindestens 400 µg / day

• Partner – Untersuchung auf ß-Globin-Mutationen

Schwangerschaft und Sichelzellkrankheit 1

• Fertilität von Sichelzellpatientinnen vergleichbar mit gesunden Frauen

• Ist der Vater Träger ??????? Evtl. Pränatale Diagnostik notwendig ?

• Hydroxycarbamid absetzen (evtl. Transfusions- programm bis 3. Trimenon)

• ACE-Hemmer, Chelatbildner absetzen

• Anämie oft ausgeprägter, häufiger Harnwegsinfekte, evtl. mehr Schmerzkrisen und andere Komplikationen (Lunge, Herz, Nieren)

Schwangerschaft und Sichelzellkrankheit 2

• Enge Zusammenarbeit Hämatologe-Gyn wichtig

• Opiate erlaubt; keine NSAR in 1.+2. Trimenon

• Kein Grund zur chronischen Transfusion ausser bei Patientinnen mit vorheriger HC – Therapie!

• Kein Grund für Sectio

• Peridural-Anästhesie erlaubt + bevorzugt

• Häufiger Frühgeburt

• Kinder sind oft etwas kleiner und leichter

• Nach Sectio 6 Wo Anticoagulation (7 T. nach vagage

Pille bei Sichelzellkrankheit?

• Pille ist erlaubt

• Spirale ist erlaubt

• Progesteron-Pille bei perimenstruellen Schmerzkrisen

• 3-Monats-Spritze (Depot-Medroxyprogesteron Acetat) ist beste Form der Verhütung bei Sichelzellpatientinnen, da neben verlässlicher Verhütung auch Besserung der Schmerzkrisen

Thal Intermedia

Thalassämien

• Fast alle Thalassämien sind mikrozytär

• Differentialdiagnose Eisenmangel und ß-Thalassemia minor!

• Anlageträger haben fast immer einen HB > 10mg/dl und dürfen, außer es besteht gleichzeitiger Eisenmangel, nicht mit Eisen behandelt werden.

• Identifizierung von Anlageträgern wichtig, um gezielte Familienuntersuchung durchzuführen

• gegebenfalls gefolgt von genetischer Beratung bei Kinderwunsch

Cave: Die Abgrenzung Thal. major und intermedia ist in der Praxis nicht leicht. Der genetische Defekt bestimmt nicht den Schweregrad

Damit hängt die Entscheidung zum chronischen Transfusionsprogramm (einmal getroffen, schwer rückgängig zu machen) zum Teil vom klinischen Verlauf und dem Gedeihen des Kindes ab.

Merke: Entscheidung zur Transfusionsbehandlung bei schwerer Anämie (< 6 g/dl) jenseits des ersten LJ und bei Wachstumsverzögerung/Gedeihstörung

Ca. 1/5 der Thalassaemien verlaufen als Thalassaemia intermedia

Pit falls bei der Thalassaemia intermedia

Krankheitszeichen bei ß-Thalassämia intermedia

Symptome Ursache Komplikationen

Wachstumsretardierung Knochenmineralisations-störung

Anämie durch ineffektive Erythropoese

Progredient ab dem 20. Lj. Skoliose, Mikrofrakturen und Osteoporose-beschwerden

Paravertebrale Pseudotumore (v.a. Thorax/Retroperitoneum)

Ineffektive extramedulläre Erythropoese

Gefahr der neurologischen Kompressionssyndrome

Splenomegalie Extramed. Erythropoese Keine

Panzytopenie!Abdominale

Beschwerden

Ineffiziente Erythropoese Sek. Hämochromatose, Intest. Eisenresorption ↑

Ferritin >800 -> Chelierung

Hyperkoagulabilität Geschädigte Ery- Membran HB-Peroxidation, Splenektomie

Art.+ ven. Thrombembolie, silent cerebral infarct, pulmonale Hypertonie

Eisenüberladung ist das Hauptproblem bei Thalassämia intermedia

• Eisenüberladung auch ohne Transfusionen

• Leber- Eisenüberladung am besten mit MRI bestimmen;

• Ab Ferritin von 800 ng/l oder Lebereisen > 6 mg/g sollte Chelierung beginnen.

• Prinzipiell drei Chelatoren:

• Deferasirox p.o.

• Deferipron p.o.

• Deferoxamin s.c.

• Kombination der Chelatoren ist möglich

Deferasirox (Exjade®) -ein neuer, oraler Chelatbildner-

• 30 mg/kg: negative Körper- Eisenbilanz mit Abnahme des Lebereisens und Serum Ferritins

• Nebenwirkungen: vorübergehende Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Ausschlag

• Hör- und Sehstörungen seltener als unter Desferal beobachtet.

Paraspinale Pseudotumoren extramedullärer Hämatopoese bei

einem 26-jährigen Patienten mit Thalassaemia intermedia - MRT Extramedulläre Erythropoese bei

Thalassaemia intermedia

Warum die Thalassaemia intermedia viel schwieriger zu betreuen ist als die Thalassaemia

major:

• Mehr Komplikationen • Z. B. Knochendeformitäten

• extramedulläre Hämatopoiese

• Pulmonale Hypertonie

• silente Zerebralinfarkte etc

• Zusätzlich Eisenüberladung

->Betreuung kann zwar in der Praxis erfolgen, der niedergelassene Hämatologe braucht jedoch ein profundes Wissen, um den Patienten optimal zu versorgen!

Merke:

• Die Abgrenzung „major“ und „intermedia“ ist in der Praxis nicht leicht und wird meist bereits vom pädiatrischen Hämatologen festgelegt.

• Erwachsene Patienten mit der Intermedia können bei zunehmender Milzvergrösserung oder bei pulmonaler Hypertension von längerfristigen regelmäßigen Transfusionen profitieren.

• Eine Splenektomie sollte wegen des Thromboserisikos vermieden werden.

• In der Schwangerschaft können vorübergehend Transfusionen erforderlich werden.

Abbildung 2:peripheres Blutbild bei HbH Krankheit

Deletionen, die zur alpha-Thalassämie führen

(Südost-Asien, Türkei)

(Afrika, Südost-Asien)

(Afrika, Südost-Asien, Türkei)

Pathomechanismus der α - Thalassämien

• Bei reduzierten bzw. fehlenden α - Ketten: • Überschuß an γ bzw. ß Ketten • Überschüssige γ - Ketten bilden Tetraden (γ4) =

Hb Barts • Überschüssige ß - Ketten bilden Tetraden (ß4) =

HbH • Hb Barts und HbH binden O2, können es aber

nicht wieder abgeben; beide führen zu peripherer Hämolyse (nicht ineffizienter Erythropoiese, wie bei ß-Thal)

Diagnose der α Thalassämien

• Verdacht auf Grund eines niedrigen MCV

• Ausschluß einer heterozygoten ß Thal durch Hb-analyse

• Molekulargenetische Dokumentation von Deletionen

• Hb H-Zellen-Suche ist obsolet und sehr zeitraubend!

Hämoglobin H Krankheit klinisch Thalassämia Intermedia

Deletion von 3 α Loci

• Mäßige mikrozytäre hämolytische Anämie

• Geringe Splenomegalie

• Keine Transfusionen nötig

• Cholelithiasis

• Selten U-S Ulcera

• Keine gesteigerte Eisenresorption, da keine ineffiziente Erythropoese

Hb Constant Spring + heterozygote α°-Thalassämie

• Schwere mikro – normozytäre hämolytische Anämie

• Anämie ↑↑ bei viralen Infekten

• Wachstumsverzögerung

• Ausgeprägte Splenomegalie

• Transfusionen oft nötig

• Ineffective Erythropoiese (gesteigerte Eisenresorption!)

• Splenektomie bei 50% nötig

Hydrops Fetalis

• Beide Eltern sind α° Träger

• In ersten 8 SSW sind embryonale Hämoglobine Hb Gower 1 (ζ2 ε2), Gower 2 (α2 ε2), Hb Portland (ζ2γ2) für Sauerstoff- Versorgung zuständig

• Bei großen Deletionen auch Ausfall von ζ Kette

• 17% der Feten haben Fehlbildungen

• 61% der Mütter entwickeln Hypertension, 30 % schwere Eklampsie, 11% Blutungen

Möglichkeiten der Prävention eines Kindes mit Hydrops fetalis

• α° Träger diagnostizieren; Screening der Risikogruppen: jedes BB gibt dazu Gelegenheit, wenn MCV und RDW beachtet werden

• Untersuchung des Partners einer schwangeren α° Trägerin

• Angebot der pränatalen Diagnostik bei α° Trägerschaft beider Eltern

• PID (Brüssel, London, Adana), in Deutschland ab 2014

Fazit Pädiatrische und internistische Hämatologen haben wichtige Aufgaben

• Screening von Risikopatienten

• Erkennung von Elternschaften mit einem hohen Risiko eines Kindes mit

Hämoglobinopathie

• Keine Trägerschaft für eine Erbkrankheit läßt sich so leicht erkennen wie die Thalassämien: Mikrozytose

• Kenntnis der Komplikationen der Sichelzellkrankheit!

• Transition (Übergabe von Jugendlichen mit transfusionsbedürftiger Thalassämie an den Erwachsenen- Mediziner)

Diese Aufgabe hat auch der Internist!!! Zunahme der Sterberate um 1 %/Studienjahr bei Erwachsenen: Mittleres Sterbealter 33, 4 J (ml) und 36.9 J wbl!!! Ein Grund könnte die mangelnde Diagnosestellung von akutem Thorax- Syndrom durch Internisten sein!

Interkultureller Auftrag der Hämatologie

• Es gibt in Deutschland 8-9 Millionen Menschen aus Ländern, in denen es erbliche Hämoglobin- Krankheiten gibt

• Es wird in Zukunft immer mehr Menschen mit

• „Migrationshintergrund“ geben (z.Z. 15- 20 M)

• Bedeutung von Fremdsprachen

• Bezug auf die fremde Kultur, Rücksichtnahme

• Beachtung einer anderen familiären Aufgabenverteilung; Dominanz des Vaters

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