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Öffentlichkeit gegen Gewalt (Köln) e.V. A ntiDiskriminierungs- Büro (ADB) Köln Gefördert im Rahmen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ Herkunft prägt Ausbildungs- und Arbeitschancen

Herkunft prägt Ausbildungs- und Arbeitschancen · nalität und mit Bedarf an interkulturellem und mehrsprachigem Fachpersonal sind Auszubildende mit Migrationshintergrund selten

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Page 1: Herkunft prägt Ausbildungs- und Arbeitschancen · nalität und mit Bedarf an interkulturellem und mehrsprachigem Fachpersonal sind Auszubildende mit Migrationshintergrund selten

Öffentlichkeit gegen Gewalt (Köln) e.V.

AntiDiskriminierungs-Büro (ADB) Köln

Gefördert im Rahmen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz

und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit

und Antisemitismus“

Herkunft prägtAusbildungs- und Arbeitschancen

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Inhalt1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 3

2. „In die Le(h)ere gehen“Ethnische Diskriminierung junger MigrantInnen beim Zugang zur Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4

2.1 Ethnische Diskriminierung auch und gerade bei schulisch gut qualifizierten Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4

2.2. Betriebliche Auswahlkriterien undRekrutierungsverfahren mindern Chancen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 7

2.3 „Als Ausländer bekomme ich ohnehin keinen Ausbildungsplatz“Dargestellt am Beispiel einer Kölner Hauptschulklasse . . .. . . . . . . . . . S. 8

2.4 Das Kopftuch: Das religiöse Stigma auf der Stirn verhindert den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsstellenmarkt . . . . . . . . . . S. 12

3. Diskriminierung im Berufsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 16

4. Nachhaltige Implementierung der projektbezogenen Netzwerkstrukturen und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 19

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1. Einleitung

„G leiche Bildungs- und Arbeitschancen für junge MigrantInnen“ – mit diesemProjekt hat das AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln von Öffentlichkeit ge-

gen Gewalt e.V. gezielt die Bildungsdiskriminierung und hierbei insbesondere dievermehrte Überweisung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien indie Sonderschule für Lernbehinderte untersucht. Das dreijährige Projekt, das 2002startete und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend imRahmen des Programms „Entimon – gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextre-mismus“ bis Ende 2004 gefördert wurde, hatte das Ziel, die Diskriminierungsmecha-nismen, die der Bildungs- und Ausbildungsbenachteiligung junger MigrantInnen zu-grunde liegen, zu ermitteln. Das Hauptaugenmerk lag hierbei zum einen in derUntersuchung der statistisch belegten Überrepräsentation von Kindern und Jugend-lichen in Sonderschulen für Lernbehinderte und zum anderen in der Analyse von Dis-kriminierungsmechanismen, die den Übergang junger MigrantInnen von der Schulein eine Ausbildung erschweren.

Die vorliegende Broschüre ist der zweite Teil der im letzten Jahr erschienenen Pu-blikation „Herkunft prägt Bildungschancen“1, in der unsere Erfahrungen und Resul-tate über das erhöhte Selektionsrisiko von Kindern und Jugendlichen mit Migra-tionshintergrund im deutschen Schulsystem zusammengefasst sind.

Die aus den strukturellen Schwächen des deutschen Schulsystems resultierendenDefizite, die viele junge MigrantInnen aus der Schulbildung mitbringen (durch Ab-drängung in Sonderschulen und weniger weit führende Bildungswege), erschwerenihnen erheblich die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Treffen diese Mechanismeninstitutioneller Diskriminierung auf diskriminierende Asymmetrien auf dem Ausbil-dungsstellenmarkt, potenzieren sich die Barrieren und Ausgrenzungsmechanismen,die den Übergang von Lehrstellensuchenden mit Migrationshintergrund von derSchule in eine Ausbildung erschweren. Diese Zugangsbarrieren von Schulabsol-ventInnen mit Migrationshintergrund haben wir anhand von Einzelfallbeispielen do-kumentiert, wobei auch auf das kontrovers und emotional diskutierte Zugangs-hemmnis – das Kopftuch – Bezug genommen wird.

Dem schließt sich ein Kapitel an, in dem anhand der Erlebnisse zweier Migrantin-nen illustriert wird, welches Ausmaß ethnische Diskriminierung im Berufsleben – alsdem Ausbildungsstellenmarkt nachgeschaltetes „Segregationsinstrument“ – habenkann.

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1 Herkunft prägt Bildungschancen. Gleiche Bildungs- und Arbeitschancen für junge MigrantInnen.Herausgegeben vom AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln von Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.Köln, 2003.

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2. „In die Le(h)ere gehen“Ethnische Diskriminierung junger MigrantInnen

beim Zugang zur Berufsausbildung

Mehmet, Adriana, Damla, Moses, Davide, Mario, Rashid, Eline, Flavio, Xhera,Berfin, Hekmat, Seliha und Dario2 – HauptschulabsolventInnen mit Migra-

tionshintergrund, die eines gemeinsam haben: Sie gehen nach ihrem Abschluss in dieLeere.

Ihre Erlebnisse sind symptomatisch für viele Lehrstellensuchende aus Zuwande-rerfamilien, denen der Einstieg in den Ausbildungsstellenmarkt nicht gelungen ist.

Die Ursachen für den mangelnden Erfolg junger Menschen mit Migrationshinter-grund beim Zugang in eine berufliche Ausbildung sind nur bedingt auf das in denletzten Jahren rückläufige Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen zurückzu-führen – ebenso wenig nur auf individuelles Versagen, unzureichende Deutsch-kenntnisse, „kulturelle Fremdheit“ oder gar fehlende Integrationsbereitschaft vonBewerberInnen mit Migrationshintergrund. Wenngleich solche Begründungen für ei-nen Teil der jungen MigrantInnen gelten mögen, so verfügt doch ein erheblicher Teilüber die notwendigen Schulabschlüsse mit entsprechend guten Noten und Qualifi-kationen. Zudem sind sie zweisprachig und bikulturell aufgewachsen. Und dennochsind diese Jugendlichen beim Zugang in eine berufliche Ausbildung und später ineine berufliche Tätigkeit gemessen an Gleichaltrigen deutscher Herkunft stark be-nachteiligt.

2.1 Ethnische Diskriminierung auch und gerade bei

schulisch gut qualifizierten Jugendlichen

Einzelne Studien belegen, dass ethnische Diskriminierung auch und gerade beischulisch gut qualifizierten Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft stattfindet. So

hat etwa die im Auftrag der Abteilung für Arbeitsmigration des Internationalen Ar-beitsamtes (International Labour Office - ILO) durchgeführte Studie des Zentrumsfür Türkeistudien3 empirisch nachgewiesen, dass der Zugang von Jugendlichen ausZuwandererfamilien in den Ausbildungsstellenmarkt auch vor dem Hintergrundgleicher Qualifikationen maßgeblich durch unmittelbare Diskriminierung behindert

2 Sämtliche Namen, die im Rahmen der vorliegenden Publikation verwendet werden, sind geändertworden.3 International Labour Office (Hrsg.): Empirischer Nachweis von Diskriminierung gegenüber aus-ländischen Arbeitnehmern beim Zugang zum Arbeitsmarkt, Working Paper Nr. 7. Genf, 1995.

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wird. Eine im Jahre 2000 vom Infis-Institut für internationale Sozialforschung im Auf-trag des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit und Soziales erstellte Studiebelegt ebenfalls, dass sich trotz gestiegener schulischer Eingangsqualifikationen dieChancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsstellen-markt nicht nachhaltig erhöht haben, wenngleich das Interesse von Schulabgän-gerInnen mit Migrationshintergrund an einer qualifizierten Berufsausbildung weiter-hin hoch ist. Nach wie vor sind ihre Aussichten auf einen Ausbildungsplatz wesent-lich geringer als bei deutschen Jugendlichen.

Am ehesten haben Lehrstellensuchende nicht-deutscher Herkunft in den vondeutschen Jugendlichen weniger nachgefragten Ausbildungsberufen und in Berufenmit schlechteren Ausbildungsbedingungen (geringere Chancen der Übernahmenach Beendigung der Ausbildung, geringe Entlohnung und geringer sozialer Status)eine Chance, im Ausbildungssystem unterzukommen. Ihre Zugangsmöglichkeiten zueiner beruflichen Erstausbildung sind gerade im Dienstleistungssektor und im öffent-lichen Dienst sowie in den neu geschaffenen Ausbildungsberufen im dualen System(wie FachinformatikerIn oder Informatikkaufmann/-frau) verschwindend gering.4

Zu dieser ungünstigen Ausgangslage für LehrstellenbewerberInnen mit Migra-tionshintergrund kommt noch das in den letzten Jahren rückläufige Angebot an be-trieblichen Ausbildungsstellen hinzu. Dieser generelle Mangel an Ausbildungsplätzen

4 Vgl. hierzu: Integration durch Qualifikation. Chancengleichheit für Migranten in der beruflichenBildung. Ergebnisse, Veröffentlichungen und Materialien aus dem Berufsinstitut für Berufsbildung(BIBB). Bonn, Stand: Juli 2003.

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und die daraus zwangsläufig resultierende Konkurrenz zwischen Ausbildungsplatz-suchenden mit und ohne Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsstellenmarktführt oftmals dazu, dass viele junge MigrantInnen die erste Schwelle zum Ausbil-dungsstellenmarkt nicht schaffen. Der Rückgang des Angebotes an betrieblichenAusbildungsstellen trifft sicherlich nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund.Allerdings vermindert die schwierige Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt in be-sonderem Maße die Chancen von SchulabgängerInnen aus Zuwandererfamilien, daihnen aufgrund ihrer Bildungsabschlüsse Ausweichmöglichkeiten wie die Aufnahmeeines Studiums weitaus weniger offen stehen als Gleichaltrigen deutscher Herkunft.

Aufgrund dieser Engpässe auf dem Ausbildungsstellenmarkt holen viele unter ih-nen schulische Abschlüsse nach oder durchlaufen berufsvorbereitende oder qualifi-zierende Maßnahmen, wobei auch bei derartigen Qualifizierungsmaßnahmen in kei-ner Weise gewährleistet ist, dass MigrantInnen den Zugang zur beruflichen Ausbil-dung finden. So konnten wir im Rahmen unseres Projektes vielfach feststellen, dassJugendlichen aus Zuwandererfamilien, die nach der Schule mehrere Qualifizierungs-maßnahmen durchlaufen haben, der Einstieg in den Ausbildungsstellenmarkt oft-mals nicht gelingt.

Beim Zugang zum dualen System haben Migrantinnen wiederum noch geringe-re Chancen als männliche Bewerber mit Migrationshintergrund. Junge Migrantinnensind in vielen Bereichen des Ausbildungsstellenmarktes – wie junge Frauen deutscherHerkunft auch – von Benachteiligungen betroffen. Allerdings kommen bei jungenFrauen aus Zuwandererfamilien ethnische Hindernisse beim Zugang zum Ausbil-dungsstellenmarkt hinzu. Insbesondere im sozialen Bereich erfolgt eine Diskriminie-rung von Stellensuchenden nicht-christlicher Herkunft aufgrund der Einstellungender konfessionellen TrägerInnen.

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2.2 Betriebliche Auswahlkriterien und

Rekrutierungsverfahren vermindern Chancen

Auf die geringen Zugangschancen von BewerberInnen mit Migrationshinter-grund zu einer Ausbildung wirken sich zusätzlich die betrieblichen Auswahlkri-

terien und Rekrutierungsverfahren (wie etwa die hauptsächlich in Großbetriebenverwendeten „kulturneutralen“ Einstellungstests und Kompetenzfeststellungsver-fahren) in besonderem Maße benachteiligend aus. In derartigen Bewerbungsverfah-ren bleiben interkulturelle und bilinguale Basiskompetenzen von BewerberInnen ausZuwandererfamilien völlig unberücksichtigt. Selbst in Wirtschaftszweigen wie Ban-ken und Versicherungen mit einem hohen Anteil an Kunden nicht-deutscher Natio-nalität und mit Bedarf an interkulturellem und mehrsprachigem Fachpersonal sindAuszubildende mit Migrationshintergrund selten gefragt.

Junge MigrantInnen verfügen bei der Suche nach einer Lehrstelle oftmals nichtüber betriebsinterne Netzwerke, die einen Zugang in eine Berufsausbildung durch-aus erleichtern können. Vielmehr verlassen sie sich bei der Lehrstellensuche fast aus-schließlich auf die Berufsberatungen der Arbeitsagenturen.

Zu den bisher genann-ten Ausgrenzungsmechanismenkönnen gleichsam auch die ve-hementen Informationsdefizitevieler Betriebe und Personalver-antwortlicher hinsichtlich ausbil-dungsbegleitender Hilfen undbetrieblicher Maßnahmen zurFörderung von Nachwuchskräf-ten mit Migrationshintergrundgezählt werden. Ausbildungsbe-gleitende Hilfen (abH) zum Bei-spiel sind für benachteiligte Aus-zubildende vorgesehen, wennohne die Förderung eine Ausbil-dungsstelle in einem Betriebnicht vermittelt werden kannoder ein Abbruch der Ausbildungdroht. Diese Hilfen bestehen ausStützunterricht zum Abbau vonSprach- und Bildungsdefizitenund zur Förderung des Erlernensvon Fachpraxis und Fachtheoriesowie aus sozialpädagogischerBegleitung zur Sicherung desAusbildungserfolges.

Veni, vidi … vici?

Anis, ein 17-jähriger Hauptschüler tunesischerHerkunft, erhält eine Einladung zum Vorstel-lungsgespräch bei einem großen Lebens-mitteldiscounter. Er hat sich dort auf eineAusbildungsstelle zum Einzelhandelskauf-mann beworben. Am Tag des Vorstellungsge-sprächs finden sich neben ihm noch siebenweitere BewerberInnen dort ein, die der Reihenach zum Personalchef gerufen werden. Nachden Gesprächen warten alle BewerberInnenauf die Auswahlentscheidung der Personal-verantwortlichen. Für Anis ergibt sich derweildie Möglichkeit, mit den anderen Lehrstellen-bewerberInnen ins Gespräch zu kommen.Während des Gesprächs kristallisiert sich her-aus, dass er der Einzige unter den Anwesen-den ist, der den Realabschluss besitzt, alle an-deren verfügen über einen Hauptschulab-schluss. Kurze Zeit später erscheint der Perso-nalchef und verkündet den Jugendlichen sei-ne Auswahlentscheidung. Anis verlässt denOrt ohne einen Ausbildungsvertrag.

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2.3 „Als Ausländer bekomme ich ohnehin keinen

Ausbildungsplatz“ – Dargestellt am Beispiel

einer Kölner Hauptschulklasse

Obwohl von rechtlicher Seite durch Auf-enthalts- und Arbeitserlaubnisse sowie

Einbürgerung der freie Zugang zum Ausbil-dungsstellenmarkt für die große Mehrheit derin Deutschland lebenden MigrantInnen be-steht, werden sie bei der Lehrstellensuche im-mer wieder mit Rassismus und Ausgrenzungkonfrontiert. Offiziell heißt es, dass hierzulandejeder die gleichen Bildungs- und Ausbildungs-chancen hat. Unterschwellig aber laufen ge-waltige Diskriminierungsprozesse ab, die sichoffiziell als Prozess betrieblicher Auswahlkrite-rien und Rekrutierungsverfahren tarnen.

Was dies für die betroffenen Jugendlichenbedeutet, soll im Folgenden am Beispiel einerKölner Hauptschulabschlussklasse veranschau-licht werden, die wir im Zuge unseres Projektesbei deren Übergang von der Schule in denAusbildungsstellenmarkt begleitet und betreuthaben. Ziel dieses außerschulischen Angeboteswar es, Jugendliche aus Zuwandererfamiliendarin zu unterstützen, eigene Kräfte zur Überwindung ihrer Diskriminierung beimZugang zum Ausbildungsstellenmarkt zu entwickeln und Ressourcen, die ihnen hier-für zur Verfügung stehen, zu nutzen. Wir zeigten den Jugendlichen Möglichkeitenauf, welche Maßnahmen sie gegen Diskriminierung und diskriminierende Strukturenbeim Zugang zum Ausbildungsstellenmarkt ergreifen können, diskutierten mit ihnenChancen und Schwierigkeiten der Umsetzung solcher Strategien und versuchten, siez.B. anhand von Rollenspielen auf kritische Situationen beim Einstieg ins Berufsleben,etwa beim Vorstellungsgespräch, vorzubereiten. Wichtig war es uns auch, im Ge-spräch mit den Jugendlichen ihre bisherigen Erfahrungen bei der Suche nach einemAusbildungsplatz, ihre subjektiv wahrgenommenen Hindernisse beim Finden einerLehrstelle, aber auch die subjektive Einschätzung ihrer Chancen und Schwierigkeitenauf dem Ausbildungsstellenmarkt und die Gründe für diese Einschätzung zu reflek-tieren.

Die an diesem Angebot teilnehmenden Jugendlichen befinden sich alle im Pro-zess des Übergangs von der Schule in eine berufliche Erstausbildung – bis auf einigewenige stammen alle aus Zuwandererfamilien. Trotz intensiver Bemühungen umeine Ausbildungsstelle und zahlloser Bewerbungsschreiben hat bisher niemand die-ser Jugendlichen eine Lehrstelle bekommen können – nicht einmal jene unter ihnen,

Unzumutbar für die

Kundschaft

Rashid, ein angehender Haupt-schulabsolvent afghanischer Her-kunft, bewirbt sich auf eineLehrstellenannonce des KölnerFlughafens und wird daraufhinzum Vorstellungsgespräch einge-laden. Im Gespräch teilt der Per-sonalchef Rashid mit, dass er ihnvor dem 11. September gerneeingestellt hätte, allerdings seiden KundInnen seit den terroris-tischen Anschlägen nicht zu zu-muten, „ihnen einen Auszubil-denden, dessen Herkunft so of-fensichtlich ist, vorzusetzen.“

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„Herrenrasse“

Mario, Jugendlicher italienischer Her-kunft, in Deutschland geboren undaufgewachsen, macht sein Betriebs-praktikum in einer Kfz-Werkstatt. Ermöchte das Praktikum vor allem dazunutzen, um sich dort anschließend umeine Lehrstelle zu bewerben. Seinebisherigen Bewerbungen scheitertenletztlich am fehlenden persönlichenKontakt zu Kfz-Werkstätten.

Das Praktikum macht ihm großenSpaß, wenngleich ein Mitarbeiter desBetriebes ihn von Anfang an „auf demKieker“ hat. Er kommandiert Marioherum, lässt ihn oft die „Drecksar-beit“ erledigen und stellt ihn vor derKundschaft bloß. Wenn der Chef an-wesend ist, zeigt sich der Mitarbeiterjedoch bemüht, Mario anzuleiten, ihmz.B. zu erklären, wie ein Ölwechseldurchzuführen ist. Ist der Chef weg,ändert sich sein Verhalten gegenüberMario schlagartig.

Mario zeigt sich von diesen Ereig-nissen erst einmal un-beeindruckt, weil er ei-nen „guten Draht“ zumChef hat und „er ja oh-nehin das Sagen dorthat“. Nachdem das Be-triebspraktikum vorbeiist, sagt ihm der Chef,er sei sehr zufrieden mitihm gewesen und wenner wolle, könne er ger-ne eine Bewerbung vor-beibringen. Mario bie-tet ihm gleichzeitig an,dass er an zwei Nach

mittagen in der Woche vorbeischautund mit anpackt.

Mario schreibt eine Bewerbungund bringt sie persönlich vorbei. Dortfängt ihn der besagte Mitarbeiter ab,sagt ihm, der Chef sei heute nicht da,jedoch könne er seine Bewerbung anden Chef weiterleiten. Während er dieBewerbung entgegen nimmt, sagt erzu Mario, das erste, was er hier lernenmüsse, sei, dass die Deutschen die„Herrenrasse“ seien. Zwischen ihmund Mario kommt es zu verbalemSchlagabtausch. Mario beschimpft ihnals „Nazi“, im Gegenzug bekommt erzu hören, er sei ein „Spaghettifres-ser“.

Mario reißt seine Bewerbung ausder Hand seines Gegenübers und lässtsich in der Werkstatt nie mehr blicken.Uns erzählt er, er habe „keinen Bockauf solche Sprüche.“ Er habe mit sei-nem Onkel in Italien gesprochen. Dortwerde er nach seinem Abschluss hin-gehen und in der Pizzeria seines On-kels jobben, bis er dort eine Lehrstellefindet.

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die die Schule mit dem Real-abschluss verlassen werden.„Hauptsache irgendeineLehrstelle“ heißt es – dasWort Wunschberuf nimmtkeiner mehr in den Mund.Während einige von ihnendie bis zum Schulabschlussverbleibende Zeit noch in-tensiv nutzen und sich imletzten Halbjahr noch ein-mal ins Zeug legen wollen,haben sich viele der Jugend-lichen schon längst aufge-geben. „Als Ausländer be-komme ich ohnehin keinenAusbildungsplatz“ – einSatz, der das Selbstver-ständnis vieler Lehrstellen-bewerberInnen mit Migra-tionshintergrund widerspiegelt. Begründungen wie diese lassen überdeutlich erken-nen, dass sich die betroffenen Jugendlichen bewusst sind, aufgrund ihres vermeint-lichen Merkmals als „AusländerIn“ weniger Chancen bei der Lehrstellensuche zu ha-ben. Sie erfüllen zwar formell die Erfordernisse, die der Ausbildungsstellenmarkt ansie stellt, ihr „MigrantInnenstatus“ allerdings verhindert einen erfolgreichen Zugangzu einer Lehrstelle.

Bereits bei der Suche nach einer Aushilfstätigkeit und sogar nach einer Prakti-kumsstelle beginnt eine strukturelle Diskriminierung, die sich bei der Lehrstellensu-

„Du vergraulst mir noch meine

Stammgäste“

Dario jobbt neben der Schule in einer Gaststätte.Dort ist er hauptsächlich im Küchenbereich tätig.Nach einiger Zeit fragt er seinen Chef, ob er in dieBedienung wechseln kann. Er möchte durch dasTrinkgeld, das er zusätzlich verdienen würde, seineFahrstunden bezahlen. Sein Chef ist einverstandenund Dario kann sich an zwei Wochenenden alsKellner unter Beweis stellen. Wenngleich sich Darioin der Bedienung gut behauptet, möchte sein Chefihn wieder in die Küche versetzen. Er teilt Dariomit, dass einige seiner Stammgäste „unschöne“ Be-merkungen hinsichtlich seiner Herkunft gemachthätten. Nun befürchte er, dass sie dem Lokal fern-bleiben könnten, wenn er ihn weiter in der Bedie-nung beschäftigt.

„Unser Unternehmen ist doch kein Lumpensammler!“

Mehmet meldet sich telefonisch auf eine Lehrstellenanzeige. Er will erfragen,ob sich Bewerber mit einem Hauptschulabschluss auch auf die ausgeschriebe-ne Lehrstelle zum Mechatroniker bewerben können, weil in der Annonce nichterwähnt ist, welche schulischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Die Se-kretärin kann ihm diesbezüglich keine Auskunft erteilen und verbindet ihn mitdem Personalchef. Der Personalchef möchte von Mehmet erst einmal wissen,welche Hauptschule er besucht. Als Mehmet ihm den Namen und den Stadt-teil, in dem sich seine Schule befindet, sagt, reagiert der Personalchef be-sonders schroff. Er lässt Mehmet wissen, dass sein Unternehmen grundsätzlichkeine Lehrstellenbewerber von dieser „berühmt-berüchtigten“ Hauptschuleeinstellt – immerhin sei das Unternehmen kein „Lumpensammler.“

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che fortsetzt und für die nachschuli-sche Lebensplanung der betroffe-nen Jugendlichen nur einen ganzengen Spielraum an Auswahlmög-lichkeiten zulässt. Die einzelnen Bei-spiele, die das AntiDiskriminierungs-Büro (ADB) Köln dokumentiert hat,machen dies deutlich.

Einige der am Projekt beteiligtenJugendliche, deren Erfahrungen wirhier schildern, konnten zwar für sichakzeptable „individuelle Lösungen“finden – Mario hat für sich die Ent-scheidung getroffen, im Herkunftsland seiner Eltern eine Lehrstelle zu suchen, Adri-ana hat sich erst einmal für ein Berufsgrundschuljahr angemeldet und Seliha konnteschließlich in einer Arztpraxis für Allgemeinmedizin unterkommen, um ihr Betriebs-praktikum zu absolvieren. Allerdings handelt es sich hierbei um ein strukturell veran-kertes Problem, das vorübergehende individuelle „Lösungen“ zulässt. Letztlich kannjedoch nur eine kombinierte Strategie, die vielfältige Maßnahmen umfasst, sich aufmehrere gesellschaftliche Bereiche und Entscheidungsebenen bezieht und von poli-tischen sowie gesellschaftlichen AkteurInnen getragen wird, die Zugangsbedingun-gen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu einer Ausbildungsstelle verbes-sern. Dabei bilden unsere – in der gesamten Projektlaufzeit auf- und ausgebauten –Netzwerkstrukturen und die daraus entstandenen dauerhaften Kooperationen einenwichtigen Bestandteil dieser Strategie.

Am Telefon alle Chancen der

Welt

Seliha strebt eine Lehre zur Zahnarzthelferinan und möchte ihr Betriebspraktikum daherin einer Zahnarztpraxis absolvieren. Von derSchulsozialarbeiterin, die gemeinsam mit ei-nem Lehrer der Schule die Praktikumsstellenfür die Betriebspraktika betreut, erhält sieeinige Kontaktadressen von Zahnarztpra-xen, die Praktikumsstellen anbieten. Telefo-nisch nimmt sie zu zwei ZahnarztpraxenKontakt auf und vereinbart Vorstellungster-mine. Beide Praxen geben am Telefon an,dass noch freie Praktikumsstellen zur Verfü-gung stehen. Am Tag der Vorstellung wirdsie vom Zahnarzt gefragt, warum sie am Te-lefon verschwiegen habe, dass sie ein Kopf-tuch trägt. Seliha erklärt ihm, dass man sieam Telefon nicht explizit danach gefragthabe, von Verschweigen des Kopftucheskönne keine Rede sein. Bestürzt über ihre„Unkenntnis“ fragt sie der Arzt, ob sie dennnicht wisse, dass ihr Kopftuch ein gesell-schaftliches Problem darstelle. Auch derArzt der zweiten Praxis ist dieser Meinung.

Seliha findet schließlich eine Prakti-kumsstelle bei ihrem Hausarzt, einem Allge-meinmediziner.

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2.4 Das Kopftuch: Das religiöse Stigma auf der

Stirn verhindert den Zugang zum Ausbildungs-

und Arbeitsstellenmarkt

Seit den verheerenden Anschlägen des 11. September 2001 ist das Miteinandervon MuslimInnen und Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen

schwieriger und komplizierter geworden. Der mit den terroristischen Anschlägenverbundene mediale Diskurs hat mit seiner inflationären und bisweilen verkürztenBerichterstattung nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass im HandumdrehenHunderte von Millionen Menschen muslimischen Glaubens als sog. Fundamentalis-tInnen stigmatisiert und diskriminiert wurden.

Hauptleidtragende dieses weit verbreiteten Pars-pro-toto-Denkens sind beken-nende und praktizierende muslimische Mädchen und Frauen. Sie tragen ein „Stig-ma“, das von der Mehrheitsgesellschaft als unvereinbar mit der freiheitlich-demo-kratischen Grundordnung der BRD erklärt wird – die islamische Kleidung, das Kopf-tuch. Wegen dieses religiösen „Stigmas“ erleben sie zusehends Ausgrenzung, Dis-kriminierung und Gewalt – als MigrantInnen, als Nicht-Deutsche, als Frauen, alsmuslimische Frauen, als muslimische Frauen mit Kopftuch.

Besonders gravierend wirkt sich diese Ausgrenzung und Diskriminierung im Bil-dungs-, Ausbildungs- und Arbeitssektor aus. Der Zugang in diesen Bereichen wirderheblich erschwert, gleichzeitig wird die mangelnde Präsenz von kopftuchtragen-

„Auf und ab“ –

Der steinige Bildungsweg

von Adriana

Adriana, eine 17jährige Albanerin,kam im Alter von acht Jahren nachDeutschland. Das erste Grundschuljahrmusste sie aufgrund unzureichenderDeutschkenntnisse wiederholen. Vonder Grundschule wechselte sie auf eineHauptschule. In der Erprobungsstufewurde ein VO-SF Verfahren (Verfah-ren zur Feststellung des sonderpädago-gischen Förderbedarfs und der Ent-scheidung über den Förderort) eröff-net. Mit Beginn der 6. Klasse wechsel-te Adriana auf eine Sonderschule fürLernbehinderte. Dort gelang es ihr, mithilfe ihrer Klassenlehrerin einen

Wechsel von der Sonderschule fürLernbehinderte zurück auf eine Haupt-schule zu erzielen. Die Klassenlehrerinkonnte das zuständige Schulamt davonüberzeugen, dass Adrianas Überfüh-rung in eine Sonderschule für Lernbe-hinderte eine Fehlentscheidung war.

Seit der 7. Klasse besucht Adrianawieder eine Hauptschule und befindetsich momentan im zweiten Halbjahrdes 10. Schuljahres. Obwohl sie jedeChance auf eine Lehrstelle wahr-nimmt, stellten sich bisher nur sehrwenige Erfolge ein. Die niedrige Rück-laufquote ihrer Bewerbungen frustriertsie sehr. Notgedrungen hat sie sich ersteinmal für ein Berufsgrundschuljahrangemeldet.

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den Musliminnen in diesen Bereichen als Beweis für ihre mangelnde Integrationsfä-higkeit angeführt.

Die eklatanten Auswirkungen dieser religiösen Diskriminierung insbesondere aufkopftuchtragende Musliminnen erleben wir zusehends im Rahmen unserer Bera-tung. Sie berichten uns, dass sie viel häufiger als sonst schief angeguckt, beschimpftund beleidigt werden.

Die nachfolgend abgebildeten Stellenanzeigen entlarven auf eklatante Weise diegesellschaftliche Realität in Deutschland – einem Land, das von einer Antidiskrimi-nierungskultur noch weit entfernt ist. Einem Land, in dem besonders nach den Er-eignissen des 11. September die Diskriminierung von Minderheiten aufgrund ihrerReligion öffentlich legitimiert wird.

Quelle: www.meinestadt.de

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Derartige Stel-lenausschreibun-gen darf es nichtgeben. Arbeitge-berInnen machensich durch Stellen-ausschreibungen,in denen angege-ben wird, dass sichnur Stellensuchen-de ohne Kopftuchbewerben sollen,eindeutig einerDiskriminierungschuldig. Zugleichwidersprechen sol-che Stellenaus-schreibungen denAntidiskriminie-

rungsrichtlinien der Europäischen Union, denen Deutschland verpflichtet ist.

„Das Kopftuch sei ein

Symbol von Repression

der Frau im Islam –

Repression erfahre ich

erst einmal hier –

unter Christen“

Berfin, 16 Jahre alt, ist eine jenerSchülerInnen, die wir seit einem Jahrbei ihrem Übergangsprozess von derSchule in eine Ausbildung begleiten.Während ihre MitschülerInnen darü-ber nachdenken, welchen Beruf sie er-lernen wollen, denkt sie darüber nach,welchen Beruf sie erlernen kann, beidem ihr das Kopftuch nicht im Wegesteht. Sie beherrscht die deutsche

Sprache perfekt, hat gute Noten undwird im Juni 2005 die Schule mit demRealabschluss verlassen.

Doch das reicht offensichtlichnicht aus, um hierzulande eine Aus-bildungsstelle zu erhalten. Dieseschmerzliche Erfahrung musste siewährend eines Vorstellungsgesprächsin einem katholischen Krankenhausmachen. Die Ordensschwester, diemit ihr das Gespräch führte und selbsteine Kopfbedeckung trug, wollte ihreinen Ausbildungsvertrag nur unterder Bedingung geben, dass sie ihrKopftuch ablegt.

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Berfins Wunsch, den Beruf der Kran-kenschwester zu erlernen, scheint ange-sichts der gesellschaftlichen Realität un-vereinbar mit ihrer Religiosität zu sein. Fürdie Verwirklichung ihres Wunschberufesmüsste sie bereit sein, ihr Kopftuch abzule-gen, sich zu „entdämonisieren“, wie siemeint.

Ob Berfin dies tut oder nicht, bleibt abzuwarten, da in dieser Frage ihr Ent-scheidungsprozess noch nicht abgeschlos-sen ist.

Die Ordensschwester, die ihr Habit undihre Haube als Zeichen für ihre als ver-pflichtend empfundene Religiosität trägtund in der Folge ihren christlichen Glaubenöffentlich bezeugt, kann Berfin eine Aus-bildungsstelle zur Krankenschwester nurdann anbieten, wenn sie ihr Kopftuch als„ein deutlich wahrnehmbares Symbol ei-ner bestimmten Religion“ ablegt.

Die Ordensschwester würde es sicher-lich empört von sich weisen, wegen ihrerHaltung gegenüber Berfin und ihrer Reli-

gion, dem Islam, mit diskriminierendenDenk- und Verhaltensweisen in Verbin-dung gebracht zu werden. Diese Formder religiösen Diskriminierung zeichnetsich gerade dadurch aus, dass sie sich –scheinbar wertneutral – auf kulturelleund religiöse „Andersartigkeit“ – im Fallvon Berfin auf das Tragen eines Kopftu-ches im Krankenhaus – beruft. Dabeigeht es um ein grundsätzliches gesell-schaftliches Problem.

Beispiele wie die von Berfin und dasvon Eline zeigen, dass hierzulande einKlima der Ächtung von Diskriminierungfehlt.

„Von Türken lass ich

mich nicht waschen!“

Eline, Lernschwester im zweiten Aus-bildungsjahr, erhält von der Diensthabenden Oberschwester die Anwei-sung, den in der Nacht eingeliefertenPatienten auf Zimmer 401 zu wa-schen. Als sie das Zimmer des Patien-ten betritt, fällt sein Blick auf ihr Na-mensschild. Er fragt sie, woher ihrName stammt. Nachdem er erfährt,dass es sich beim Namen der Lern-schwester um einen türkischen Vor-namen handelt, weigert er sich, sichvon Eline waschen zu lassen. Der Pa-tient verlangt nach der Oberschwes-ter. Als sie ihn nach dem Grund fürsein Verhalten fragt, sagt er, er ließesich von Türken nicht waschen. Dar-aufhin fordert die Oberschwester Eli-ne auf, eine deutsche Kollegin zu ho-len, damit sie den Patienten waschenkann.

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3. Diskriminierung im Berufsleben

Aber auch dann, wenn junge MigrantInnen es geschafft haben, den Einstieg ineine Berufsausbildung zu finden, diese erfolgreich zu absolvieren und einen Ar-

beitsplatz zu bekommen, hören Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen nochlange nicht auf. Viele ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund stoßen aucham Arbeitsplatz auf Ausgrenzung und Diskriminierung. Diese gedeihen dort am be-sten, wo gesellschaftliche und betriebliche Strukturen aufeinander treffen; wo struk-turelle Diskriminierung von MigrantInnen und ihre gesellschaftliche Ausgrenzungauf die vorhandenen (Macht-)Strukturen des jeweiligen Arbeitsumfeldes trifft.

Bei der Einstellung, bei der Entlohnung, beim beruflichen Aufstieg sowie bei derÜbertragung von Kompetenzen haben ArbeitnehmerInnen deutscher Herkunftgegenüber Nicht-Deutschen bessere Chancen. Dieser Vorteil wird allerdings nur sel-ten als solcher wahrgenommen, da dies für „normal“ und „selbstverständlich“ ge-halten wird.

„Du Kanakenkopf“

Frau Z. absolvierte ihre Ausbildungzur Arzthelferin in einer dermatologi-schen Arztpraxis im Ruhrgebiet undzog nach ihrem Examen Ende 2000nach Köln. Hier war sie bis vor andert-halb Jahren in einer orthopädischenPraxis beschäftigt, bevor sie Anfang2003 in eine kardiologische Gemein-schaftspraxis wechselte. Dort wurdesie von Anfang an von der leitendenErstkraft der Praxis – Frau R. – verbalgedemütigt und schikaniert, vor allemin der Anwesenheit von Patienten.Frau R. bewirkte sogar, dass die Pro-bezeit von Frau Z. von drei auf sechsMonate verlängert wurde. Auf dieNachfrage von Frau Z., ob sie sie inirgendeiner Form beleidigt oder sichetwas zuschulden kommen lassenhabe, antwortete Frau R., sie habe beiihr das Gefühl, „dass sie sich als Aus-länderin in den Mittelpunkt stellenwill.“ Auch die anderen Kolleginnen

wandten sich von Frau Z. ab. Eine die-ser Kolleginnen beschimpfte sie als„Kanakenkopf“.

Frau Z. berichtete uns, dass diedeutschen Kolleginnen sehr auslän-derfeindlich eingestellt seien. Nicht-deutsche Patienten habe man aus-schließlich als „Kanaken-Türken“,„Polaken“, „Russen“ und „Zigeuner“bezeichnet. Gleichzeitig habe manFrau Z. untersagt, bei türkischen Pa-tienten als Dolmetscherin zu fungie-ren. „Türkisch sprechen können sie im Türkisch-Land“, so eine Äußerungeiner ihrer Kolleginnen.

Frau Z. erhielt Anfang Dezember2004 die Kündigung – Kündigungs-grund: „Teamunfähigkeit“. Sie schal-tete direkt einen Rechtsanwalt ein. ImFebruar 2005 beginnt das Gerichtsver-fahren. In der Zwischenzeit fand sieheraus, dass ihrer Vorgängerin – eben-falls eine Migrantin – aus demselbenGrund gekündigt wurde.

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In der Begegnung von deutschen und nicht-deutschen ArbeitnehmerInnen füh-ren diese „Selbstverständlichkeiten“ jedoch zu Respekt- und Rücksichtslosigkeitenbis hin zu psychischem Druck durch Anfeindung oder gar explizit rassistisch moti-viertem Mobbing.

Welches Ausmaß die tägliche Portion Rassismus haben kann, soll im Folgendenam Beispiel von Frau N. dargelegt werden, die ihre Erlebnisse in einem Kinderheim inder Kölner Umgebung für die vorliegende Broschüre zusammengefasst hat. Frau N.,eine Migrantin aus Südostasien, besuchte in Deutschland seit der 7. Klasse die Schu-le und erhielt 1998 ihr Diplom in Sozialpädagogik und -arbeit. Im Jahr 2001 begannsie mit ihrer Tätigkeit im besagten Kinderheim.

Die meisten waren neugierig aufmich, aber einige waren auch eherdistanziert und hatten Vorurteilegegenüber anders aussehenden Men-schen, was ich auf ihren familiärenHintergrund und ihr soziales Umfeldzurückführte. Es kam in diesem Zu-sammenhang auch zu Beleidigun-gen/Beschimpfungen mir gegenüber,wie zum Beispiel „Neger“, „Heil Hit-ler“. Mir war klar, dass es Bestandteilder pädagogischen Arbeit ist, mit der-artigen Vorurteilen umzugehen. Alsich diese Thematik im Team ansprach,hatte ich den Eindruck, dass einige Te-ammitglieder diese Vorkommnissenicht wirklich ernst nahmen.

Auch von Seiten einiger Eltern/Mütter der Kinder gab es verbale An-griffe („Schlampe“ u. ä.), respektloseAnreden („Duzen“) und darüber hin-aus latent rassistische Drohungen wie:„Ich hole mein Kind aus dem Heimund dann bist du arbeitslos!“. Überdiese unbegründeten Angriffe war ichzunächst sehr schockiert, informierte

sowohl die Heimleitung als auch dasTeam und thematisierte die Vorfälledarüber hinaus auch in der Supervi-sion. Die Heimleitung teilte mir dar-aufhin mit, dass sie der Ansicht seien,dass diese Vorfälle mit meiner Haut-farbe zu tun haben könnten, und sieveranlassten, dass MitarbeiterInnendes Jugendamtes mit den betreffen-den Eltern darüber sprachen. Die El-tern haben sich bei mir später ent-schuldigt.

Seitens der Kinder erfolgte nacheiniger Zeit eine Sensibilisierung inBezug auf einen bestimmten Sprach-gebrauch (z.B. Schaumküsse statt„Negerküsse“).

„Du nimmst alles viel zu persön-lich“ – Schwierigkeiten im Team

Ein Teammitglied äußerte sich zu die-sem Konflikt, indem es sagte, ich solldas Ganze nicht so ernst nehmen,würde ohnehin alles immer viel zupersönlich nehmen und sei insgesamt

„Ich hole mein Kind aus dem Heim und dann bist du

arbeitslos“ – Schwierigkeiten in der pädagogischen

Arbeit

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Das, was Frau N. widerfahren ist, wird auch als blaming the victim bezeichnetund bedeutet, dass in der Begegnung zwischen ‚Schwarzen’ und ‚Weißen’ der Per-son, der Leid zugefügt wurde, auch die Verantwortung für dieses Leid zugeschriebenwird. Die abgebildeten Handnotizen, die von einigen KollegInnen von Frau N. ver-steckt der Heimleitung zugespielt wurden, führen diese Dynamik eindrucksvoll vorAugen. An mehreren Stellen ist zu lesen, dass Frau N. ein grundsätzliches Problem

zu empfindlich. In der Supervisionwurde die Person aufgefordert, zu-mindest Verständnis für meine Situa-tion als einzige dunkelhäutige Frau zuzeigen.

Über ein Mädchen, das sich mirgegenüber längere Zeit sehr feindseligverhielt, äußerte sich diese Person,dass dies darauf zurückzuführen sei,dass ihre Mutter keine Ausländermöge und sie daher die Einstellungihrer Mutter übernommen habe.Menschen anderer Ethnien oderHautfarbe gegenüber äußerte sichdieses Teammitglied wiederkehrendnegativ.

„Ich bin doch kein Mülleimer“ –Schwierigkeiten mit der Heim-leitung

Bei auftretenden Schwierigkeitenoder Konflikten habe ich mich zu-nächst mit dem Team, danach mit derSupervision oder mit der Heimleitungin Verbindung gesetzt. Da die Ge-spräche im Team meist zu keiner Lö-sung geführt haben, musste ich michimmer öfter an die Heimleitung wen-den. Wenn ich auf Konflikte in derGruppe mit dem Team oder mit Kin-dern zu sprechen kam, reagierte dieHeimleitung, indem sie mir Supervi-sion empfahl oder versuchte, die Ur-sache der Konflikte mit meiner ethni-schen und kulturellen Herkunft zu er-

klären. Als ich einmal anlässlich einesKonflikts mit einem Teammitglied aufdie ständigen rassistischen Äußerun-gen zu sprechen kam, sagte dieHeimleitung, sie sei doch kein Müll-eimer.

Bis zu einer Gruppenfahrt nachHamburg herrschte unterschwelligeine gespannte Atmosphäre; von ei-ner kollegialen Zusammenarbeitkonnte keine Rede sein. Dieser Zu-stand spitzte sich zu, als sich währenddes Aufenthalts ein Unfall ereignete.Ein 6jähriger Junge lief trotz vorange-gangener Ermahnungen von einemungesicherten Grundstück auf die an-grenzende Schnellstraße und wurdevon einem Auto erfasst. Bei dem Ver-such, den Unfallhergang zu klären,gab es mir gegenüber sowohl vonTeam als auch von der Heimleitungeinseitige Schuldzuweisungen.

Mir wurde systematisch eine wei-tere Zusammenarbeit unmöglich ge-macht, alle Versuche meinerseits,durch Aussprachen eine Entschärfungdes Konflikts zu erreichen, wurdentorpediert. Die Angriffe gegen michgipfelten dann in der fristlosen Kün-digung Anfang Dezember.

Gegen die Kündigung wurde überver.di eine Klage erhoben; die Ge-richtsverhandlung dauerte ca. einJahr. Das Arbeitsgericht sprach mireine Abfindung und ein gutes Ar-beitszeugnis zu.

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mit ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft habe. In der Folge wird ihre Hautfarbe zumwichtigen Signifikanten zur Legitimierung rassistischer Diskriminierung, insbesonde-re gegenüber der Heimleitung des Kinderheims. Die ‚weißen’ KollegInnen bedienensich auch bei Frau N.’s Interventionsversuchen der Strategie des blaming the victim.Immer dann, wenn Frau N. versuchte, das rassistische Verhalten ihrer KollegInnen zuthematisieren, unterstellte man ihr Dünnhäutigkeit und Überempfindlichkeit. Auchdies resultiert aus der Perspektive des blaming the victim: In der Darstellung der Vor-kommnisse gegenüber der Heimleitung bürgen die ‚weißen’ KollegInnen für Objek-tivität – Inkompetenz, Irrationalität und Emotionalität werden an die ‚Schwarze’, anFrau N., delegiert.

4. Nachhaltige Implementierung der projektbezogenen Netzwerk-strukturen und Ergebnisse

Das Thema der institutionellen Diskriminierung von Kindern und Jugendlichenaus Zuwandererfamilien findet in der Öffentlichkeit nahezu keine Resonanz,

wenngleich sie ein weit verbreitetes bundesdeutsches Phänomen ist. Diese Form derUngerechtigkeit eignet sich offenbar nicht zu medialer Skandalisierung, solange sienicht Kinder und Jugendliche der deutschen Mehrheit betrifft. Ein weiterer Grund

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hierfür scheint auch im Begriff der Diskriminierung zu liegen. Die bloße Verwendungdieses Begriffs löst oft großes Unbehagen aus, weil er für viele – insbesondere fürLehrerInnen – eine so deutliche negative Konnotation hat, dass er sofort als Vorwurfaufgefasst und reflexhaft abgewehrt wird. Weist man dann doch mal, etwa im Zu-sammenhang mit den Ergebnissen der jüngsten PISA-Studie, auf Missstände imdeutschen Bildungssystem hin, so spricht man viel lieber von „Chancenungleichheit“oder „migrationsbedingten Startnachteilen“. Alles Begriffe, mit denen „dezent“ aufSchieflagen im deutschen Schulsystem verwiesen werden kann, ohne dabei das soaggressiv anmutende Wort „Diskriminierung“ zu benutzen.

Solche begrifflichen Verzerrungen bergen die Gefahr, dass die Existenz institutio-neller Diskriminierung verleugnet wird – höchst bedenklich ist dabei die Tatsache,dass dies auch auf zentrale AkteurInnen und EntscheidungsträgerInnen im Bildungs-bereich zutrifft.

„Der Vorwurf, dass Lehrer Kinder in die Sonder-

schule »abschieben», ist bekannt, entbehrt aber jeder

Grundlage“.

Die Kölner Redaktion der taz brachte am 9. Dezember 2004 unter dem Titel „ZurSonderschule verurteilt“ einen Artikel über die vermehrte Überweisung von

Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien auf die Sonderschule für Lernbe-hinderte aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse.5 Laut schulrechtlichem Erlasssind bei Überweisungen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund indie Sonderschule für Lernbehinderte Defizite in der Unterrichtssprache als Ursachefür Lernschwierigkeiten auszuschließen und im Zweifelsfall diese Kinder an der Re-gelschule zu belassen. Unsere Erfahrungen in der Beratung von zugewanderten El-tern zeigen jedoch, dass diese schulrechtliche Regelung, die als positive Maßnahmezum Schutz der Kinder aus Zuwandererfamilien vor ungerechtfertigten Überweisun-gen in eine Sonderschule für Lernbehinderte dienen soll, vielerorts umgangen wird.

Der Verfasser des taz-Artikels konfrontierte neben Sonderschullehrern, die in denStadtteilen Kalk und Porz tätig sind, auch das Kölner Schulamt und die Gewerkschaftfür Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit unseren Erfahrungen.

Keiner der zum Thema befragten Akteure möchte die Überrepräsentation vonKindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien an Kölner Sonderschulen fürLernbehinderte auf bewusste Diskriminierung zurückführen, sondern auf tatsächli-che Schwierigkeiten, die sich aus einem eher „bildungsfernen familiären Umfeld“ er-geben. Man könne sich zwar einzelne Fälle vorstellen, in denen SchülerInnen bis-weilen „nach unten durchgereicht werden“, allerdings müsse man solche Fälle imEinzelnen genau überprüfen. Genau dieses tun wir bei jeder Beschwerde, die an unsherangetragen wird. Sicherlich handelt es sich bei jeder dieser Beschwerden erst ein-

5 „Zur Sonderschule verurteilt.“ taz Köln vom 9.12. 2004.

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mal um individuelle Fälle von institutioneller Diskriminierung, die jedoch – und diesist der entscheidende Punkt – vor dem Hintergrund struktureller Diskriminierung ge-schehen. Es sind gerade diese konkreten „Fälle“, die dem Ausmaß institutionellerDiskriminierung ein Gesicht geben.

Beratungsangebot für zugewanderte Eltern

Seit Beginn des Projektes erhielten zugewanderte Eltern Beratung und Unterstüt-zung bei Fragen zu Übergangsempfehlungen, Einleitung und Durchführung ei-

nes VO-SF Verfahrens6, Hilfestellung bei Kommunikationsschwierigkeiten zwischenErziehungsberechtigten und LehrerInnen und bei Fragen zur schulischen Entwick-lung sowie Bildungslaufbahn ihrer Kinder. Die Stärkung des Selbsthilfepotentials und des Selbstwertgefühls betroffener Eltern war dabei stets einer unserer zentralen Ziele.

Inzwischen hat sich das Beratungsangebot des ADB Köln für zugewanderte El-tern als fester Bestandteil unserer Antidiskriminierungsarbeit und der damit verbun-denen Einzelfallarbeit verankert und wird auch nach dem Auslaufen des Entimon-Projektes weitergeführt werden.

Damit trägt unser Büro dem Umstand Rechnung, dass dem Mangel an institutio-neller Einbindung zugewanderter Eltern nicht nur durch Appelle an Verantwortlicheaus Politik und Bildung abzuhelfen ist, sondern auch durch die konkrete Unterstüt-zung und Beratung der Eltern.

Die Implementierung des Beratungsangebotes für zugewanderte Eltern in unse-re bestehende Beratungspraxis ist von elementarer Bedeutung und bildet eine wich-tige Ressource in der Bekämpfung der Bildungsdiskriminierung von Kindern und Ju-gendlichen aus Zuwandererfamilien. Hierdurch gewinnen wir wichtige Informatio-nen über das Ausmaß der struk-turellen Diskriminierung von jun-gen MigrantInnen im Bildungsbe-reich. Dieses Wissen wiederumbildet eine entscheidende Grund-lage für die Entwicklung wirksa-mer Handlungsansätze gegen Be-nachteiligung, Ausgrenzung undinstitutionelle Diskriminierungvon Kindern und Jugendlichenmit Migrationshintergrund. Denndas Spektrum der strukturellenDiskriminierung dieser Kinder undJugendlichen im Bildungsbereich

6 Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und die Entscheidung überden Förderort.

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ist sehr breit. Bei der Einschulung in die Grundschule, wenn die Schulfähigkeit fest-gestellt oder ein Kind zurückgestellt wird, bei der Versetzung in die zweite bzw. drit-te Schulklasse, oder dann, wenn die Frage ansteht, ob ein Kind in eine Sonderschulefür Lernbehinderte überwiesen werden soll, und bei den Übergangsempfehlungenam Ende des vierten und nach dem sechsten Schuljahr – an all diesen Gelenkstellenlaufen gewaltige Prozesse der sozialen Selektion, die sich jedoch im Kontext desdeutschen Schulsystems offiziell als Prozess der begabungsgerechten Differenziert-heit tarnen.

In gleicher Weise werden die im Rahmen des Projektes geschaffenen Netzwerkeund die daraus hervorgegangenen Kooperationen, ebenso die projektbezogenen Er-gebnisse, Schlussfolgerungen und Handlungsansätze weitergeführt.

Filmprojekt über Diskriminierungserfahrungen von

SchulabgängerInnen beim Übergang von der Schule

in eine Lehre

Bisher sind hinsichtlich der Diskriminierung von jungen Menschen mit Migrations-hintergrund beim Übergang von der Schule in den Ausbildungsstellenmarkt in

erster Linie ExpertInnen – selten die betroffenen Jugendlichen selbst – zu Wort ge-kommen. Jungen MigrantInnen fehlt nach wie vor die Möglichkeit, sich öffentlichund politisch Gehör zu verschaffen. Um jedoch wirksame Handlungsansätze gegenBenachteiligung, Ausgrenzung und strukturelle Diskriminierung von Jugendlichenaus Zuwandererfamilien beim Zugang zum Ausbildungsstellenmarkt entwickeln zukönnen, müssen die Jugendlichen selbst, sozusagen als „ExpertInnen in eigener Sa-che“, ihre Erfahrungen, Gedanken, Ängste und Frusterlebnisse beim Suchen undFinden einer Lehrstelle in die öffentliche und politische Diskussionen mit einbringen.

Im Rahmen eines Nachfolgeprojektes, das über das Programm 5000xZukunft derAktion Mensch e.V. gefördert wird, produzieren HauptschulabsolventInnen aus Zu-wandererfamilien einen Videofilm, in dem sie ihre Diskriminierungserfahrungen beimÜbergangprozess von der Schule in den Ausbildungsstellenmarkt filmisch dokumen-tieren.

Kopftuch und Arbeitswelt

Das sog. Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat hierzulande einebreite Diskussion ausgelöst. Mit Sorge beobachten wir, welche Richtung diese

Diskussion an vielen Stellen nimmt und wie Islam und Fundamentalismus oft undif-ferenziert gleichgesetzt werden. Letztlich geht es bei dieser Debatte um die Frage,wie viel religiöse Pluralität unsere Gesellschaft verträgt und wie sichtbar nicht-christ-liche Religionen insbesondere im Ausbildungs- und Arbeitsbereich sein dürfen. ImRahmen mehrerer Workshops wird dieses Thema mit entscheidenden AkteurInnenund EntscheidungsträgerInnen diskutiert.

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Impressum

Herausgeber:Öffentlichkeit gegen Gewalt (Köln) e.V.AntiDiskriminierungsBüro (ADB) KölnKeupstraße 9351063 Köln

Text:Banu Bambal

Redaktionelle Mitarbeit:Muharrem AçikgözAndreas GrentzSusanne Laaroussi

Layout und Druck:GNN Verlag Köln

Köln, Dezember 2004

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Herkunft prägtBildungschancen Die im Rahmen des ADB Projektes „Gleiche Bildungs- und Arbeitschancen für jungeMigrantInnen“ entstandene Publikation „Herkunft prägt Bildungschancen“ fasstunsere Erfahrungen und Resultate aus der ersten Phase des Projektes zusammen.

Darin wurde u.a. das erhöhte Selektionsrisiko von Kindern und Jugendlichen mitMigrationshintergrund an den zentralen Nahtstellen des deutschen Schulsystems(Einschulung, Überweisung in die Sonderschule für Lernbehinderte, Übergang vonder Grundschule in die weiterführenden Schulen) untersucht.

Die Broschüre kann bei Interesse über die Geschäftsstelle des Vereins kostenlosbezogen werden.

Öffentlichkeit gegen Gewalt (Köln) e.V.

AntiDiskriminierungs-Büro (ADB) Köln

Gefördert im Rahmen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz

und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit

und Antisemitismus“

Herkunft prägtBildungschancenGleiche Bildungs- und Arbeitschancen für junge MigrantInnen

Inhalt1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 42. Zum Begriff der Diskriminierung im Bildungswesen . . . . . . .S. 8

2.1 Artikel 3 des Grundgesetzes:Deutsche und nicht-deutsche Rechte2.2 Die Europäische Union gibt eine klare Definition von Diskriminierung – auch im Bildungsbereich

3. Herkunft prägt Bildungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 114. Bildungschancen junger MigrantInnen in Köln . . . . . . . . . .S. 144.1 Reaktionen Kölner Parteien auf PISA 4.2 Einschulung in die Grundschule – Bereits die erstenSprossen brechen auf der Bildungsleiter4.3 Überweisung in eine Sonderschule für Lernbehinderte – Förderung oder Sackgasse?4.3.1 Testverfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen

Förderbedarfs – Kultur- und sprachunabhängig?4.3.2 Sonderschule für Lernbehinderte – ein geeigneter Förderort? 4.3.3 Die Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems:Nur nach unten! 4.4 Alle Wege führen nach Rom? – Übergang in einen der Sekundarschulzweige4.4.1 Die Geschichte von Ibrahim: „Zuverlässig, gute Leistung“ und trotzdem Hauptschule

4.4.2 Die Absurditäten des deutschen Schulsystems4.5 Die Geschichte von Lale: Das gefährliche Schulkarussell 5. Eltern, die wegbleiben, vermitteln eine Botschaft – Der

Umgang deutscher Schulen mit zugewanderten Eltern . . . .S. 316. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 327. Handlungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 33Das Angebot des AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/ÖgG