Montag,2.Dezember2013 LEUCHTSPUR Zoo-Palast … · Fuchs, Biber, Eule, Wildschwein und Hase die...

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Montag, 2. Dezember 2013 Kultur 47

LEUCHTSPUR

Zoo-Palast

D ie Jury muss kurz denAuftrag vergessenhaben, fürs renovierte

Regierungsgebäude ein geeig-netes Kunstwerk zu finden, undentschied sich für einen Jux.

Die ungemein witzige Lösungheisst «Der gute Regierungsrat»,besteht aus fünf Bronzefiguren,die mit der Darstellung vonFuchs, Biber, Eule, Wildschweinund Hase die Eigenschaftenunserer Magistraten symbolisie-ren und zum heiteren Rätsel-raten ermuntern, wer durch-trieben ist, baumfällend fleissig,Unheil verkündend, land-schaftszertrampelnd oder paa-rungsexzessiv.

Der regierende Zoo wirktulkig. Für die Jury ist die Kunstam Bau die im Bau geübteKunst, mit der sich die Regie-rungsmitglieder als Spottfigurenvom hohen Ross aufs Nieder-wild schwingen. Der Haken andiesem Schnitzelbank-Humorist nur, dass er nicht gefragt war.

Die sieben zum Wettbewerbeingeladenen Thurgauer Kunst-schaffenden wurden beauftragt,dem architektonisch bedeuten-den Regierungsgebäude eine«würdige Gesamterscheinung»zu verleihen und dessen «her-ausragende Bedeutung für daspolitische Leben und die Iden-tität des Thurgaus» zu themati-sieren.

Diesen anspruchsvollen Kri-terien genügt das Siegerprojektnicht. Die abgelehnten Kunst-schaffenden, die ihre Vorschlägefürs Regierungsgebäude ein-reichten und nicht für denPlättli-Zoo, müssen sich düpiertfühlen, allen voran Markus Grafund Gabriel Mazenauer.

Die Kritik an der Jury hat mitder Frage zu tun, ob ein Wett-bewerbsreglement gilt odermissgrifflich angewendet wer-den darf. Irrig ist es, die thur-gauische Staatsidee ohne Volkund lediglich in der Figürlich-keit der Regierung erfasst zusehen. Die schiefe Verfremdungdurch faunische Waldbewohnerändert nichts an der Hinnahmeeines undemokratischen Perso-nenkults.

Bald 150 Jahre alt, strahlt derBau Johann Joachim Brennersnoch immer eine dem Kantonangemessene noble Nüchtern-heit aus. Die Jury hätte es alsPflicht verstehen müssen, dar-auf mit einer modernen künst-lerischen Sprache auf der Höheder Architektur antworten zulassen. Auch um an einem pro-minenten und von weither er-lebbaren Ort vor Augen zu füh-ren, dass der Thurgau einestarke zeitgenössische Kunstbesitzt.

Was er gegenwärtig nicht be-sitzt, ist eine starke Kulturpoli-tik, die eine künstlerische Er-gänzung des Regierungsgebäu-des und eine räumliche Ergän-zung des Kunstmuseums freivon Fehl und Tadel in die Tatumsetzt.

Alex Bänninger

Ende gut, alles gutOlli Hauenstein aus Sommeri inszeniert Friedrich Karl Waechters Stück «Ixypsilonzett» für die Konstanzer Bühne.Eine Liebeserklärung an das Theater – nicht nur das junge.BRIGITTE ELSNER-HELLER

KONSTANZ. Wie schön, dass es dieheile Welt doch noch gibt, we-nigstens für die Kleinen undwenigstens am Ende des Spiels.Und wie schön, dass es Inszenie-rungen gibt wie die des Waech-ter-Stückes «Ixypsilonzett» in derKonstanzer Spiegelhalle. Der be-kannte Thurgauer Clown, Komi-ker und Schauspieler Olli Hau-enstein hat hier Regie geführt,Alissa Snagowski, Thomas FritzJung und Zeljko Marovic habensich dem buchstäblich hingege-ben, und Stefan Leibold, der aufoffener Bühne für Musik und Ge-räusche sorgt, wird am Ende so-gar als heimlicher Held gefeiertwerden können. Aber so weitsind wir ja noch gar nicht.

Zett verliebt sich in Ypsilon

Erste (für das Publikum unbe-kannte) Heldin ist zunächst ein-mal Bozena Szlachta, die liebe-voll die Bühne bereitet hat fürdie drei Hauptakteure des Stü-ckes. Schulhefte und ein Wörter-buch sind überdimensional aus-gebreitet, Spitzer, Radiergummiund einige Filzstifte geben demRaum zusätzlich Tiefe.

Und dann tritt Zett auf, einTräumer, der pantomimisch mitden Requisiten spielt, bis ihm dieKappen der Filzstifte zu Schuhenund der Abfall vom Spitzen zumKragen geworden sind. Natürlichmuss man den lieben, der zwarZett ist, aber doch irgendwieauch aussieht wie ein Bleistift.

Lange bleibt Zeljko Marovicals Zett nicht alleine auf derHefte-Bühne, denn schon trittmit Alissa Snagowski die wun-derschöne Ypsilon auf den Plan.Zarte Annäherungsversuche, in-dem man sich mit den Spitzender Filzstifte piekt, was die jun-gen Theaterbesucher natürlichwieder zu grossem Gelächter an-

stiftet. Ypsilon, die mit ihrer Far-bigkeit auch ein Buntstift seinkönnte, ist zwar auch eine zarteSeele mit hinreissender panto-mimischer Körpersprache, je-doch ist sie nicht ganz soschüchtern wie Zett. «Ich habemich verliebt!», schleudert siedann auch bald Zett entgegen.Und der bringt tatsächlich auchein leises «Ich habe mich auch –was du hast, Ypsilon» hervor. Wieschön.

Musiker und Muskelmann

Stefan Leibold, der muntereMusikus am Rande der Bühne,hat das Spiel bisher mit viel An-teilnahme und lebendigen Melo-

dien am Klavier begleitet, dochjetzt leitet er mit gefährlichenGeräuschen die dramatischeWende ein: Auftritt Ix! Der ist einvor Kraft und Eitelkeit strotzen-der Muskelmann, dessen über-dimensionierter Helm (die Spit-ze eines Kugelschreibers?) ihmimmer wieder zur Selbstbespie-gelung dient. Thomas Fritz Junghat den Part der tolpatschigenClownsfigur, er spielt den Super-mann, der Ypsilon dem schüch-ternen Zett abspenstig macht.

Verfolgungsjagden und Hand-greiflichkeiten, die mit Filzstiftenoder dem Radiergummi so aus-getragen werden, dass die ausge-feilte Choreographie im Hinter-

grund deutlich wird, treffen denNerv des jungen Publikums, dasvon Beginn an mitten in der Ge-schichte drin ist. Dass auch be-gleitende Erwachsene ihre Freu-de am Spiel haben, wie die vielenlächelnden Gesichter zeigen,dürfte für die Theatermachereine weitere schöne Rückmel-dung sein.

Ix verschwindet im Wörterbuch

Fast wäre die Sache allerdingsschiefgegangen – beide Reckenliegen schliesslich wie tot amBoden (auf einem Heft, verstehtsich), der Winter kommt, undder Musikus wirft mal eben dieWindmaschine an, um Papier-

schnee rieseln zu lassen. Dochals der Frühling kommt, erwachtdas Leben erneut, und Zett fin-det seine Ypsilon wieder. Wäreda nur nicht schon wieder dieserIx, der dem jungen Glück auf-lauert. Mannomann. Doch dahält es den Musikus nicht längerauf seinem Sitz, da muss er end-lich eingreifen. Und schon ver-schwindet Ix auf Nimmerwie-dersehen im Wörterbuch, derMusikus ist Held des Tages und –aus die Maus. Langer, verdienterApplaus für eine rundum liebe-voll gestaltete Geschichte.

«Ixypsilonzett», ab 6 Jahre.Weitere Vorstellungen: 3.–31.12.

Bild: Theater Konstanz/Bjørn Jansen

Heile Welt: Zeljko Marovic (Zett), Thomas Fritz Jung (Ix), Alissa Snagowski (Ypsilon) spielen unter Olli Hauensteins Regie am Theater Konstanz.

Bild: Dorothee Kaufmann

T 4 2 Dance Projects mit «Another chopsticks story» in Steckborn.

Tanzfaktor tourt bis in den ThurgauTanzfaktor interregio 2013 gibt schweizweit – wie jedes zweite Jahr – einen Querschnitt des aktuellenSchweizer Tanztheaters mit fünf Kurzchoreographien und machte halt im Phönix-Theater Steckborn.DOROTHEE KAUFMANN

STECKBORN. Esprit, gesellschafts-relevante Themen und vor allemdie Rückkehr zu wirklich tänzeri-schem Ausdruck: So könnte dasResume lauten der fünften Auf-lage des Tanzfaktors – ein Faktordes zeitgenössischen Tanzthea-ters, mit dem man rechnenkann.

Herausragend die Produktionvon T 4 2 (Tea for two) aus Bernzum Thema kulturelle Identität:Das Eigene und das Fremde, Ge-schlechterrollen, globaler Ein-heitsbrei und Individualität wer-den hier durchgetanzt.

Tanzen sich aus der Schale

Das Choreographenpaar FelixDumeril und Misato Inouaknüpfen geschickt an die Ge-schichte der Madame Butterflyan: Eine fremde Besatzungs-macht dringt in die Welt einertraditionsgebundenen Geishaein. Hier spielt die Kleidung derTänzer – ein steifer Soldaten-mantel und der schwingende,bunte Kimono – eine besondereRolle. Kleidung, Rolle und Identi-tät der Tänzer entsprechen sichanfangs, doch lösen sie sich tän-zerisch bald aus ihrer Schale –und hier macht Entkleidung bisauf die Unterwäsche seit langemeinmal wieder Sinn auf der Büh-ne – humoristisch genial tanztsich der Soldat aus seinem grau-

en Mantel, während die Geishaeher unfreiwillig ihre Hülle ver-liert. Aus sich heraus kennt sienur den Ausweg des Harakiri,den sie tänzerisch verharrendzunächst auch andeutet. Einmalbefreit aus der Tradition, gebär-det sie sich nun als moderneJapanerin und versucht für einenMoment den Mann mit Essstäb-chen zur Geisha zu dressieren,zu dominieren. Dies wiederumist tänzerisch reizvoll umgesetztin einem marionettenhaftenStäbchentanz.

Schliesslich finden sich beidein global verflachter Unkulturwieder: dröger, digitaler Disco-Einheitsbrei – musikalisch, be-wegungstechnisch und persön-lich, denn der Ort, an dem beidephysisch stehen, ist zu einemjapanischen Kissenbezug ge-schrumpft. Das Happy End des

Stückes besteht in der indivi-duellen Wahrnehmung des Ge-genübers, was im Schlussbildder Umarmung Ausdruck findet.

«Another chopsticks story»schöpft in nur 14 Minuten diesehr eigenen Möglichkeiten desGenres kreativ und gekonnt aus.Ein Feinschliff an Intensität undmancher Bewegungsqualitätkönnten dieser Produktion zueiner Bestnote verhelfen.

Spinnenhaft und skurril

Die Bewegungsstudie «meta-morfosis» von Christina Mertzaniund Evangelos Poulinas über-zeugt durch grosse Stimmigkeitbeim Thema «Entwicklung einerSymbiose» und dem tänzeri-schen Ausdruck in der Umset-zung. Die anfängliche symbioti-sche Verbundenheit ist tänze-risch so perfekt eingefangen,

dass die beiden schwarz geklei-deten Körper und Gliedmassenzu immer neuen Wesen ver-schmelzen: spinnenhaft, krab-benartig, skurril. Die Dramatikder unfreiwilligen Separation –durch akustische Klingenschnit-te evoziert – wird schliesslicheindrücklich in aller Dramatikbis zum Erliegen durchgetanzt.

Experimentell bemerkens-wert ist «To be or Orthopädie»,eine Produktion von Kilian Ha-selbeck und Meret Schlegel ausZürich. Sie machen den eigent-lichen Beweggrund schmerzlichskurril sichtbar: Was geschieht,wenn alle Mimik, Gestik undAktion nur dem Ziel dienen, sichvon den kneifenden Wäsche-klammern zu befreien, die dieTänzer sich zuvor gegenseitigangelegt haben? Der Transfer aufalle Bereiche des menschlichenLebens liegt ebenso befreiendwie bedrückend auf der Hand:Wie viel unseres Lebens ist Ak-tion oder nur Reaktion auf Ver-letzungen oder Einschränkun-gen? Der Titel der Choreographieist mehr als nur ein Wortspiel.

Die letzten beiden Produktio-nen von Joshua Monten undJozsef Trefeli/Gabor Varga habenweder in Bedeutungstiefe nochin der Nutzung der eigenen Aus-drucksmöglichkeiten des Tanz-theaters mithalten können.

www.tanzfaktor.ch

FILM AB

Cinema italianoFRAUENFELD. Luca ist ein schwie-riger 15-Jähriger ohne Vater,Bruno Beltrami hält sich mit Bio-graphien über Fussballer undNachhilfestunden über Wasser.Als Luca in seine Stunde kommt,findet Bruno heraus, dass Lucasein Sohn ist. Francesco Brunis«Scialla!» ist eine temporeicheKomödie aus Rom über zweiunterschiedliche Charaktere, diesich zusammenraufen müssen.Mo–Mi, 2.–4.12., 19.30, Cinema Luna

Kunst damals & heuteWARTH. In den letzten Jahrzehn-ten hat sich die Kunst und dieVorstellung, was sie zu sein hat,radikal verändert. Neue Aus-drucksmittel stehen zur Verfü-gung, und es stellen sich andereFragen als damals. Im Vortrag«Paradigmenwechsel in derKunst seit 1960» spürt Museums-direktor Markus Landert diesenVeränderungen nach. Er zeigtdie wichtigsten Bruchlinien derEntwicklung und skizziert Ge-brauchsanweisungen für denUmgang mit Gegenwartskunst.Di, 3.12., 19.00, KunstmuseumAusstellung «Konstellation 6»

Blues & Ragtime

AADORF. Marco Marchi & TheMojo Workers spielen den Bluesaus der Zeit, als der Alkohol ausTeetassen getrunken wurde undAl Capone für Nachschub sorgte,aber auch Ragtime und eigenes.Mo, 2.12., 20.15, Rotfarbkeller

Anatolien & Argentinien

KREUZLINGEN. Taylan Arikan(Langhalslaute Baglama) und Ju-lio Azcano (klassische Gitarre)bringen ihre musikalischen Wur-zeln aus Anatolien und Argenti-nien in einen vielschichtigenDialog mit Elementen der klassi-schen Musik und des Jazz. DasDuo Ayres bewegt sich zwischenWohlklang und Dissonanz, sehn-süchtigen Melodien und pulsie-render Perkussion, zwischenkompositorischer Strenge undfreier Improvisation.Di, 3.12., 20.00, Planetarium

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