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Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Noroviren – ein Impfstoff muss erst entwickelt werden
Friedrich Hofmann
Im Oktober 1968 kam es zum ersten
wissenschaftlich genau untersuchten
Ausbruch der so genannten ‚Winter
vomiting disease‘ in einer Volksschule
in Norwalk, Ohio. Es war etwa die
Halfte der Schuler betroffen, die
uber Ubelkeit, Erbrechen, Diarrhoe
und Fieber klagten (Dolin et al.,
1972). Da im Rahmen des Ausbruchs
in der Umgebung 27% Sekundarfalle
beobachtet wurden, schloss man auf
die hohe Ansteckungsfahigkeit des
vermuteten Erregers, der schließlich
von Albert Kapikian entdeckt wurde
und heute als Norovirus bezeichnet
wird. Dabei handelt es sich um ver-
schiedene Genotypen eines zur Gat-
tung Norwalk-Virus gehorenden unbe-
hullten Calicivirus, das gegenuber
Umwelteinflussen ahnlich resistent
ist, wie vergleichbare RNA-Viren, so
u.a. das Hepatitis-A- oder auch das
Poliovirus. Von der seit 2001 in
Deutschland meldepflichtigen Krank-
heit werden jahrlich um die 100.000
Falle mit bis zu 76 Todesfallen
bekannt.
Da humane Noroviren bisher nicht
kultiviert werden konnen und kein
Tiermodell verfugbar ist, kann die
Wirksamkeit von Desinfektionsmit-
teln nicht direkt gegen diese Viren
gepruft werden. Nimmt man 1.000
Viruskopienmit der Nahrung auf, liegt
die Wahrscheinlichkeit, krank zu wer-
den, bei 10%, wahrend es bei hundert
Millionen Viren 70% sind. Da aber
von den Erkrankten im Mittel pro
Gramm Stuhl etwa 100 Milliarden
Viren ausgeschieden werden, genugt
ein Milligramm Stuhl, also eine win-
zige Spur, um mit 70%iger Wahr-
scheinlichkeit eine Erkrankung her-
vorzurufen. Und eine solche Menge
kann bei unachtsamer Behandlung
und mangelnder Hygiene leicht in
ein Lebensmittel geraten (o.A.,
2013). Auch im Erbrochenen ist die
Viruskonzentration mit durchschnitt-
lich 10.000 Viren noch recht hoch. Die
Virusausscheidung, und damit die An-
steckungsfahigkeit erlischt haufig erst
nach etwa 8 Wochen, obwohl sich die
Betroffenen schonwochenlangwieder
gesund fuhlen.
Im Jahre 2013 wurden in Deutschland
87.060 Falle (2012: 112.854 Falle) mit
Norovirenbefall bekannt, wobei zwi-
schen 2005 und 2011 12 bis 76 Todes-
falle pro Jahr registriert wurden
(Bernard et al., 2014, o.A., 2014,
Teunis et al., 2008). Frauen und altere
Menschen sind regelmaßig haufiger
betroffen als Manner und jungere Per-
sonen. Auf der einen Seite dominieren
bei den Ausbruchen, falls die jeweili-
ge Ursache uberhaupt bekannt wird,
Kleinraum-Epidemien mit kontami-
nierten Fruchten als Erregervehikel.
Auf der anderen Seite gibt es aber
auch spektakulare Ereignisse wie den
großten Lebensmittel-assoziierten
Ausbruch, der jemals in Deutschland
beobachtet wurde. Er begann im Okto-
ber 2012 v.a. in den Neuen Bundes-
landern und Kindergarten und Schulen
als hauptsachlich betroffenen Einrich-
tungen und erlosch erst Monate spater.
Als Ursache fur die bei Kindern, Schu-
lern und Lehrern beobachtete Gast-
roenteritis konnte Erdbeerkompott
mit aus China importierten Fruchten
identifiziert werden (o.A., 2012).
Ebenso spektakular verlaufen jedes
Jahr mehrere Ausbruche auf Kreuz-
fahrtschiffen, die regelmaßig mit der
Evakuierung der Passagiere enden, da
der Erreger gegenuber diversen Des-
infektionsmaßnahmen sehr resistent
ist und deshalb Public Health-Maß-
nahmen in ihrer Wirksamkeit sehr
begrenzt sind. Aus diesem Grund
mussen sich alle Hoffnungen auf die
Entwicklung einer wirkungsvollen
Vakzine richten. Erste Ansatze mit
hohen Serokonversionsraten, uber
die kurzlich berichtet wurde, zeigen,
dass dieser Weg durchaus Erfolg ver-
sprechend zu sein scheint. 2010 wur-
den die Ergebnisse der Entwicklung
eines nasal zu applizierenden bivalen-
ten Totimpfstoffs auf der Basis von
Virus-like-particles (VLP) prasentiert
(N = 77), bei der Challengeversuche
mit Noroviruswildviren vorgenom-
men wurden (El-Kamary et al.,
2010). Wurde den Versuchspersonen
nach der Impfung Norovirus verab-
reicht, so bekamen 47% keine NV-
Gastroenteritis und 26% keine
Infektion.
Im Jahr 2012 wurden die Resultate
einer weiteren Studie (o.A., 2012) pra-
sentiert. Dabei handelte es sich um die
Entwicklungeinesbivalenten (i.m.)Tot-
impfstoffs auf der Basis von Virus-like-
particles (VLP) mit Monophos-
phoryllipid A als Adjuvans. An der
randominisierten, placebokontrollier-
ten Doppelbildstudie nahmen 77 Im-
pflinge (18 – 85 Jahre alt) teil. Die
Impfung erfolgte an den Tagen 0 und
28, die Antikorpermessung an den Ta-
gen 0, 7, 21, 28, 35 und 56 und der
Antikorperanstieg je nach Altersgrup-
pe war im Falle des Genotyps GI 1
118fach, 83fach bzw. 24fach und bei
Genotyp GII4 49fach, 25fach bzw.
9fach. Bemerkenswert erschien die
Tatsache, dass die Verabreichung der
zweiten Dosis nicht mit einem wesent-
lichen Auffrischeffekt assoziiert war
(Parra et al., 2012). Das durfte daran
liegen, dass man im Leben schon so
viele Norovirusinfektionen mitgemacht
22.e1
Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
hat, dass eine Dosis Impfstoff fur die
Bildung einer genugend großen Anzahl
von Antikorpern ausreicht.
Zur weiteren Abklarung der Proble-
matik erscheinen groß angelegte Sero-
pravalenzstudien notwendig, um bei
verschiedenen Bevolkerungsgruppen
das Vorkommen (Pravalenz) vonAnti-
korpern im Serum zu messen und eine
22.e2
sachgerechte Impfempfehlung aus-
sprechen zu konnen.
Der Autor gibt als Gegenstand eines mogli-chen Interessenkonflikts vereinzelt vonPharmaunternehmen refinanzierte Vortrage(GSK, SPMSD, Takeda) an, die sich aufweniger als einen pro Jahr beschranken.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.07.009
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.Friedrich HofmannBergische Universitat WuppertalFachbereich D – SicherheitstechnikLehrstuhl fur Arbeitsphysiologie,Arbeitsmedizin und InfektionsschutzGaußstraße 2042119 Wuppertalfhofmann@uni-wuppertal.de
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Einleitung
Seit der ersten wissenschaftlich genauen Dokumentation der ‘winter vomiting disease’ mit den typischenMerkmalen einer
Gastroenteritis im Jahre 1968 und der wenig spater erfolgten Entdeckung des verantwortlichen Pathogens (heute als
Norovirus bezeichnet) hat man in zahlreichen Studien versucht, Praventionsmaßnahmen zu erforschen. 2010 wurden erste
Ergebnisse einer Studie zur Produktion eines Impfstoffs mit Hilfe virusartiger Partikel prasentiert, denen 2012 eine
weitere, ahnliche Untersuchung folgte. In dieser Arbeit sollen die Eigenschaften von Noroviren und die Ergebnisse der
Impfstoffstudien prasentiert werden.
Abstract
After the first scientific documentation of a ‚winter vomiting disease‘-outbreak in Norwalk, Ohio and the detection of the
causal agent many studies have been performed to establish effective preventive measures against Noro-Virus-infection. In
2010 first results of a successful vaccine trial using virus-like-particles were presented, followed by another vaccine-
development in 2012. In this communication data on properties of Noroviruses and results of vaccine trials are presented.
Schlusselworter:
Norovirus = Norovirus, Gastroenteritis = Gastroenteritis, Impfstoff = Vaccine
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