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POETIK / Poetologie 3. Vorlesung
Prof. E. Geulen
Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Sprechstunde: Montags, 18.00 – 19.00 h oder nach Vereinbarung
Kontakt: sekretariat.geulen@lingua.uni-frankfurt.de
Übersicht und Aufbau der Vorlesung
TEIL I
Allgemeine Einleitung
Antike Poetiken und ihre Wirkungsgeschichte (Aristoteles und Horaz)
Renaissance-Poetiken des 16. Jahrhunderts (Scaliger)
Barock-Poetiken des 17. Jahrhunderts (Opitz)
Aufklärungs-Poetiken des 18. Jahrhunderts (Gottsched, Bodmer/Breitinger, Lessing)
TEIL II
Das Ende der Regelpoetik: Geniekult und Autonomieästhetik (Klopstock, Herder, Goethe)
Immanente oder Implizite Poetik; Kulturpoetik
Zusammenfassung
2. Antike Poetiken und ihre Wirkungsgeschichte
a) Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.): Poetik
fragmentarisches Vorlesungsmanuskript (deshalb den kroamatischen oder esoterischen im Unterschied zu den exoterischen, eigens zur Publikation bestimmten Schriften zugehörig)
hierarchische Gattungspoetik (Epos, Tragödie, Komödie)
erste erhaltene Abhandlung über die Dichtkunst
Gliederung:
Allgemeiner Teil (Kap.1-5)
Tragödie (Kap. 6-22)
Epos (Kap. 23-26)
2. Antike Poetiken und ihre Wirkungsgeschichte - II
b) Platons Kritik an der Dichtkunst (im 10. Buch seiner staatstheoretischen Politeia)
Philosophischer Einwand (die Darstellung betreffend): Dichtkunst: sie ist Nachahmung (Mimesis) von Abbildern und deshalb noch weiter entfernt von der vollkommenen Idee als die wirklichen Dinge
Moralischer Einwand (das Dargestellte betreffend): Tragödien zeigen von Leidenschaften entstellte und nicht vernünftig handelnde Menschen
Religiöser Einwand (das Dargestellte betreffend): sich bekriegende oder einander täuschende Götter
2. Antike Poetiken und ihre Wirkungsgeschichte - III
c) Platonkritik durch Aristoteles
übernimmt die Definition der Dichtung als Nachahmung (Mimesis)
Dichter aber ein Nachahmer 1. Ordnung, denn die Idee verwirklicht sich in den wirklichen Gegenständen, die deshalb keine Abbilder sind
Jammer (gr. eleos, seit Lessing: Mitleid) und Schaudern (gr. phobos, seit Lessing: Furcht) die die Tragödie erregt, bewirken eine Reinigung von diesen Affekten (gr. Katharsis)
Götter und Heroen in der Literatur symbolisieren allgemeine, menschliche Qualitäten
Aus der Poetik des Aristoteles: Von der Dichtkunst selbst
Von der Dichtkunst selbst und von ihren Gattungen, welche Wirkung
eine jede hat und wie man die Handlungen zusammenfügen muß,
wenn die Dichtung gut sein soll, ferner aus wie vielen und was für
Teilen eine Dichtung besteht, und ebenso auch von den anderen
Dingen, die zu demselben Thema gehören, wollen wir hier handeln,
indem wir der Sache gemäß zuerst das untersuchen, was das erste ist.
Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komödie und die
Dithyrambendichtung sowie - größtenteils - das Flöten- und Zitherspiel:
sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen. Sie
unterscheiden sich jedoch in dreifacher Hinsicht voneinander:
entweder dadurch, daß sie durch je verschiedene Mittel, oder dadurch,
daß sie je verschiedene Gegenstände, oder dadurch, daß sie auf je
verschiedene und nicht auf dieselbe Weise nachahmen.
Von der Tragödie
Die Tragödie ist die Nachahmung einer guten und in sich
geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in
anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel
in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt
werden – Nachahmung der Handelnden und nicht durch
Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch
eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.
Rezeptionsgeschichte der Aristotelischen Poetik
im MA kaum bekannt
Hochzeit der Aristoteles-Rezeption im europäischen Klassizismus 1500-
1800, zunächst in Italien, dann in Frankreich und zuletzt in Deutschland
zunehmende Erstarrung der Schrift zu einer verbindlichen Regelpoetik
(z.B., die Regel von der Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit; die
sog. Ständeklausel)
Shakespeare als dramatische Alternative zur klassischen Tragödie
Lessings Hamburgische Dramaturgie (1769) wendet sich gegen die
tragédie classique; Nachweis, daß den Regeln keine absolute Bedeutung
zukommt; folgenreiche Übersetzung von Jammern und Schaudern in
Mitleid und Furcht, die auf die Identifikation des Rezipienten mit den
Charakteren bezogen werden. Bürgerliches Trauerspiel als Gegenentwurf
zur frz. Tragödie.
Ende der Aristoteles-Rezeption im späteren 18. Jahrhundert: Geniebegriff,
Originalität und Historisierung (vgl. Teil II).
Horaz (Quintus Horatius Flaccus: 65-8 v. Chr.): Ars Poetica (eigentlich: Epistula ad Pisones. De Arte Poetica)
Lehrgedicht über die Dichtkunst, gattungspoetisch ausgerichtet, aber
keine erkennbare Systematik, zahlreiche Bezüge auf die literaturpolitische Situation Roms unter Augustus
Einteilung: 1. Teil: Forderungen an die Dichtung (einschl. Metrik) 2.Teil: Forderungen an den Autor (Gelehrsamkeit; poeta doctus)
Besinnung auf die Gesetze der Dichtung, weniger beschreibend als vorschreibend
Verpflichtung der Dichtung auf prodesse et delectare (nützen und erfreuen)
Theorie der 5 Akte in der Tragödie
ut pictura poiesis (Definition der Dichtkunst durch die Malerei, vgl. Lessings Laokoon)
Rezeptionsgeschichte des Horaz
zunehmende Vermischung von Horaz und Aristoteles und Durchdringung von Poetik und Rhetorik
kanonische Gültigkeit vom 15. bis zum 18. Jahrhundert
Vorbild für weitere Poetiken, die sich auf die Ars Poetica als autoritativen
Text berufen
Horaz aus der Ars Poetica
Entweder nützen oder erfreuen wollen die Dichter oder
zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen.
Wozu du auch ermahnst, sei kurz, damit deine Worte schnell
der gelehrige Sinn erfaßt und treulich bewahrt; alles was
überflüssig ist, entfließt dem vollen Herzen.
Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich,
wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du
weiter entfernt stehst.
Renaissance-Poetiken
Julius Caesar Scaliger (1484-1558): Poetik in sieben Büchern (Poetices libri septem): 1561
Sammelbecken antiker (Aristoteles, Horaz) und zeitgenössischer
Poetiken (Erasmus, Vida)
Verwurzelung in der Sprachtheorie: Sprache soll Wahrheit vermitteln
(Aufgabe der Philosophie), Nutzen stiften (Aufgabe der Rhetorik) und
erfreuen (Aufgabe der Dichtung).
Dichtung unterteilt in erzählende, dialogische und gemischte
Tugenden des Dichters: Wissen (lat. prudentia), Vielfalt (lat. varietas),
Ausdruckskraft (lat. effiacia), Gefälligkeit (lat. suavitas)
gattungspoetisch organisiert mit dem Epos als höchster Gattung
im vorletzten Buch eine Literaturgeschichte geordnet nach 5 Epochen,
wovon 4 in der Antike liegen, die letzte mit Petrarca beginnt, das MA vom
7. bis zum 13. Jahrhundert bleibt ebenso außer Betracht wie alle
volkssprachliche Dichtung. Hauptquellen: römische Dichtung, Vergil als
absolute Norm
Brennpunkt der Poetik-Diskussionen im 16. Jahrhundert
Barockpoetiken
Martin Opitz (1596-1639): Das Buch von der deutschen Poeterey (1624)
inhaltlich kaum Neues, aber ein literaturpolitisches Manifest für volkssprachliche Dichtung
Wichtige Kapitel zur Verslehre (natürliche Alternation betonter und unbetonter Silben; Alexandriner vs. Knittelvers)
Ablehnung unreiner Reime und des Gebrauchs von Fremdwörtern
ausgewogene Mitte zwischen gelehrter Dichtung und religiöser Mystik ("frühbarocker Klassizismus")
Nachahmung heißt nicht Nachahmung der Natur, sondern bereits feststehender Wahrheiten über die Welt
Martin Optiz: Aus der Vorrede
WJewol ich mir von der Deutschen Poeterey / auff ersuchung vornemer
Leute / vnd dann zue beßerer fortpflantzung vnserer sprachen / etwas
auff zue setzen vorgenommen; bin ich doch solcher gedancken keines
weges / das ich vermeine / man könne iemanden durch gewisse regeln
vnd gesetze zu einem Poeten machen. Es ist auch die Poeterey eher
getrieben worden / als man je von derselben art / ampte vnd zuegehör
/ geschrieben: vnd haben die Gelehrten / was sie in den Poeten
(welcher schrifften auß einem Göttlichen antriebe vnd von natur
herkommen / wie Plato hin vnd wieder hiervon redet) auffgemercket /
nachmals durch richtige verfassungen zuesammen geschlossen / vnd
aus vieler tugenden eine kunst gemacht. Bey den Griechen hat es
Aristoteles vornemlich gethan; bey den Lateinern Horatius; vnd zue
unserer Voreltern zeiten Vida vnnd Scaliger so außführlich / das weiter
etwas darbey zue thun vergebens ist. Derentwegen ich nur etwas / so
ich in gemeine von aller Poeterey zue erinnern von nöthen zue sein
erachte / hiervor setzen wil / nachmals das was vnsere deutsche
Sprache vornemlich angehet / etwas vmbstendtlicher für augen stellen.
Aufklärungspoetiken Johann Christoph Gottsched (1700-1766):
Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen; Darinnen erstlich
die allgemeinen Regeln der Poesie, hernach alle besondere Gattungen der
Gedichte, abehandelt und mit Exempeln erläutert werden: Überall aber
gezeiget wird Daß das innere Wesen der Poesie in einer Nachahmung der
Natur bestehe. Anstatt einer Einleitung ist Horatii Dichtkunst in deutsche
Verße übersetzt, und mit Anmerkungen erläutert (1730, 4. erweiterte u.
überarbeitete Auflage 1751)
Versuch die Dichtung nicht in der Rhetorik, sondern in der aufklärerischen
Vernunftphilosophie zu verankern
Dichtungsregeln werden als Naturgesetze aufgefaßt
Rückbesinnung auf Horaz u. Aristoteles (Naturnachahmung, nutzen u.
erfreuen), um einen “recht vernünftigen deutlichen Begriff von dem wahren
Wesen der Dichtkunst” zu finden.
Nachahmung verstanden als Wahrscheinlichkeitspostulat (Kritik an
Unwahrscheinlichkeiten in Homers Epen)
Ablehnung volkstümlicher Dichtung
Tragödienkonzeption am französischen Drama der Klassik ausgerichtet
Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst
Der Poet wählet einen moralischen Lehrsatz, den er seinen
Zuschauern auf eine sinnlich Art einprägen will. Dazu ersinnt
er sich eine allgemeine Fabel (d.i. Handlung), daraus die
Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der
Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches
begegnet ist; und von diesen entlehnet er die Namen, für die
Personen seiner Fabel; um derselben also ein Ansehen zu
geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die
Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen; und das werden
die Zwischenfabeln oder Episodia nach neuer Art, genannt.
Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ohngefähr gleich
groß sind, und ordnet sie so, daß natürlicherweise das letzte
aus dem vorhergehenden fließt.
Aufklärungspoetiken
Jakob Bodmer (1698-1783): Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen (1740)
Die Lektüre von Miltons Epos Paradise Lost (1667) führt zu einer Erweiterung der Grenzen des Wahrscheinlichen
Nachahmung des Möglichen statt des Wirklichen
Kritik an Gottscheds einseitiger Orientierung, aber wie er lehnt auch Bodmer Shakespeare als Vorbild ab
Aufklärungspoetiken
Johann Jakob Breitinger (1701-1776): Critische Dichtkunst. Worinnen die Poetische Mahlerey in Absicht auf die Erfindung im Grunde untersuchet und mit Beyspielen aus den berühmtesten Alten und Neuern erläutert wird. (1740)
Eintritt für das Recht des Wunderbaren in der Dichtung
Zürcher Literaturstreit (Bodmer u. Breitinger vs. Gottsched)
Breitinger über das Wahrscheinliche und das Wunderbare:
Dieses erwirbt seiner Erzählung Glauben, und jenes verleiht ihr eine Kraft, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erhalten und eine angenehme Verwunderung zu gebären.
Aufklärungspoetiken
Gotthold Ephraim Lessing(1729-1781): Hamburgische Dramaturgie 1767-1769
keine in sich geschlossene Poetik, sondern Literaturkritik, implizite Kampfschrift gegen den Führungsansprach des frz. Dramas
Neuinterpretation der aristotelischen Regeln
Forderung nach identifikatorischer Rezeption und gemischten Charakteren
Entwurf des bürgerlichen Trauerspiels
Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie (75. Stück)
Denn er, Aristoteles ist es gewiß nicht, der die mit Recht
getadelte Einteilung der tragischen Leidenschaften in Mitleid
und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden,
falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von
Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht
die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern
für diesen andern erweckt, sondern es ist die Furcht, welche
aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns
selbst entspringt; es ist die Furcht, daß die Unglücksfälle, die
wir über diese verhängt sehen, uns selbst treffen können; es
ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst
werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf
uns selbst bezogene Mitleid.
Ende der Regelpoetik: Genikult (Sturm und Drang), Historisierung, Autonomieästhetik
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803):
Die Ästhetiker:
Bürdet ihr nicht Satzungen auf dem geweihten
Dichter ? erhebt zu Gesetz sie ? und dem Künstler
ward doch selbst kein Gesetz gegeben,
Wie`s dem Gerechten nicht ward.
Lernt: Die Natur schrieb in das Herz sein Gesetz ihm!
Thoren, er kent´s , und sich selbst streng, ist er Thäter;
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) Prometheus-Hymne (1774)
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Diesteln köpft
An Eichen dich und Bergeshöhn
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehen,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
(…)
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen ?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
(…)
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
Historisierung
Shakespear (1773):
In Griechenland entstand das Drama, wie es in Norden nicht
entstehen konnte. In Griechenland wars, was es in Norden
nicht seyn kann. In Norden ists also nicht und darf nicht seyn,
was es in Griechenland gewesen. Also Sophokles Drama
und Shakespears Drama sind zwei Dinge, die in gewißem
Betracht kaum den Namen gemein haben. Ich glaube diese
Sätze aus Griechenland selbst beweisen zu können, und
eben dadurch die Natur des Nordischen Drama, und des
größten Dramatisten in Norden, Shakespears sehr zu
entziffern. Man wird Genese Einer Sache durch die Andre,
aber zugleich Verwandlung sehen, daß sie gar nicht mehr
dieselbe ist.
Immanente oder implizite Poetik; Kulturpoetik
Literarische Texte werden selbst zum Medium dichtungstheoretischer Reflexion
Poetologische Texte reflektieren auf ihre eigene Anlage und ihre immanenten Gesetze
Robert Gernhardt (1937-2006): Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
Sonette find ich sowas von beschissen, so eng, rigide, irgendwie nicht gut; es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen, daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen; allein der Fakt, daß so ein Typ das tut, kann mir in echt den ganzen Tag versauen. Ich hab da eine Sperre. Und die Wut darüber, daß so'n abgefuckter Kacker mich mittels seiner Wichserein blockiert, schafft in mir Aggressionen auf den Macker. Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert. Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen: Ich find Sonette unheimlich beschissen.
Gottfried Benn (1886-1956)
Ein Wort
Ein Wort, ein Satz - : aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin
Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich –
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
“KulturPoetik – eine Zeitschrift stellt sich vor” Heute ist der kulturgeschichtliche Ansatz die wichtigste und zukunftsträchtigste
Richtung der Literaturwissenschaft. Das hat sich herumgesprochen. Weniger klar ist
allerdings, was genau mit der neuen Zauberformel "Literaturwissenschaft als
Kulturwissenschaft" gemeint sein soll.
Kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft ist zunächst einmal durch ihren
besonderen Blick und durch ihr besonderes thematisches Interesse bestimmt: Sie
betrachtet Literatur als Teil der Gesamtkultur, also in ihrer Mitwirkung an
Konstitution, Tradierung und Veränderung von kulturellen Sinn- und
Zeichenbildungen. Daher interessiert sie sich besonders für anthropologische
Grundthemen (wie etwa: Liebe, Tod, Rausch, Wahnsinn, Traum, Körperlichkeit,
Gedächtnis, Sozialkonventionen, Geschlechterrollen) und die zugehörigen
Kulturtechniken sowie für interkulturelle Kontakte und Konflikte. Sie untersucht
Wechselwirkungen zwischen der Literatur und dem Wissenssystem, zwischen
Literatur und anderen Medien (Intermedialität und Medienkonkurrenz) und den
literatureigenen medialen Beitrag zu kultureller Kommunikation, Zeichenbildung und
Wahrnehmungsformung. Sie fragt aber auch nach dem Poetischen in der Kultur,
nach proto-poetischen Elementen im Wissenssystem, in den Medien, den sozialen
Verkehrsformen, dem Alltagsleben.
Literaturangaben
Werner Jung, Kleine Geschichte der Poetik, Hamburg 1997
Bruno Markwardt, “Poetik” in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. v. Wolfgang Stammler et al., Band III: P-Sk, hg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr, neu bearb. und unter redaktioneller Mitarbeit von Klaus Kanzog. 2. Aufl., unveränderte Neuausgabe. Berlin, New York 2001, 126-157
Jürgen H. Petersen, Mimesis – Imitatio – Nachahmung. Eine Geschichte der europäischen Poetik, UTB 2000
Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945, 2 Bände, Darmstadt 1985
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