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Prof. Dr. Dorothee Haffner
Museumskunde an der HTW Berlin - Erfassungsstandards und Systema-
tisierung in der Hochschullehre
Abstract
Der Vortrag stellt zunächst kurz den Bachelor-Studiengang Museumskunde an
der HTW vor (Geschichte, Personen, Inhalte, Schwerpunkte) und konzentriert
sich dann auf die Lehrinhalte im Bereich Dokumentation. Hier werden die Studie-
renden in Theorie und Praxis mit den Standards und Normen der Erfassung und
Erschließung von Objekten vertraut gemacht. Dabei werden beide Formen ge-
lehrt: sowohl die klassisch-papiergestützte als auch die EDV-basierte Form. Für
letztere stehen Demoversionen der gängigen Erfassungssoftware zur Verfügung,
mit denen sich die Studierenden anhand von Übungsaufgaben und z. T. auch mit
konkreten Inhalten vertraut machen. So verfügt der Studiengang über mehrere
kleine Studiensammlungen, die derzeit von den Studierenden im Rahmen des
Unterrichts in Datenbanken erfasst werden. Ein wesentliches Augenmerk der
Ausbildung liegt darauf, die Studierenden für die Notwendigkeit von Erfassungs-
standards zu sensibilisieren. Gelehrt werden dabei, neben den gängigen Normda-
teien und Erschließungsregeln, auch die verschiedenen fachspezifischen Syste-
matiken und Klassifikationen. Einen Ausblick bietet abschließend die Diskussion
um qualifizierte Erschließung einerseits und das nutzerbasierte Social Tagging
andererseits.
Museumskunde an der HTW Berlin
Die Museum Studies sind vor allem im englischsprachigen Raum, aber auch in
Osteuropa, ein anerkanntes, wissenschaftlich langjährig etabliertes Fach. In
Deutschland dagegen oszilliert seit dem Ende des 19. Jh. die Diskussion zwischen
den Begriffen und Konzepten der Museumskunde und der Museologie, zwischen
der Ausbildung der Fachpraktiker einerseits und dem Bemühen, dem Fach auch
wissenschaftliche Anerkennung zu verschaffen.1 Diese Diskussion soll hier nicht
nachgezeichnet werden, das Augenmerk liegt vielmehr auf der Ausbildungssitua-
tion des später in den Museen tätigen Nachwuchses. In deutschen Museen sind
1 Hierzu u. a. Katharina Flügel, Einführung in die Museologie, Darmstadt 2005, S. 7-12.
häufig einerseits Fachwissenschaftler als Kustoden oder Kuratoren tätig und
daneben andererseits Museumspädagogen, Restauratoren, Haushandwerker. Das
Berufsbild MuseologIn gibt es eigentlich erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts, und es existierte vor allem im Osten Deutschlands. Einen entsprechen-
den Ausbildungsgang für den mittleren museumspraktischen Dienst suchte man
in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg vergebens. Erst nach der Wende
entdeckten auch die Museen im Westen Deutschlands dieses Berufsbild.
Die Bemühungen um Aus- und Fortbildung für den mittleren museumsprakti-
schen Dienst begannen allerdings bereits im letzten Viertel des 19. Jh. Hier ist
neben anderen Karl Koetschau zu nennen, der Begründer der Zeitschrift „Muse-
umskunde“ und Mitbegründer des Deutschen Museumsbundes. Er veranstaltete
1909-1912 in Berlin Museumskurse, in denen im Sinne eines praktischen Muse-
umsdienstes systematisch in die „Museumstechnik in ihren vielfachen Verzwei-
gungen“ eingeführt wurde.2 Nach der 1946 erfolgten Gründung des Internationa-
len Museumsrates ICOM professionalisierte sich das Berufsbild zunehmend. Die
Entwicklung verlief dabei, entsprechend den verschiedenen politischen Syste-
men, zweigleisig. In der Bundesrepublik etablierte sich keine museologische Aus-
bildung. Standard für eine gehobene Tätigkeit im Museum war stattdessen das
fachwissenschaftliche, in der Regel mit einer Promotion abgeschlossene Studium
(in Kunstgeschichte, Archäologie, Ethnologie, Ur-und Frühgeschichte, Geschichte
o. ä.), das durch ein zweijähriges Volontariat um praktische Erfahrungen und
Kenntnisse ergänzt wurde. Diese Ausbildung erzeugt in der Regel Kustoden, die
auf der Basis ihres Fachwissens Abteilungen verantworten, Sammlungen inhalt-
lich betreuen, Strategien zur Erweiterung entwickeln, Ausstellungen konzipieren.
Museumspraktische Tätigkeiten (Inventarisieren, Dokumentieren, Objekte mana-
gen) leisten sie in der Regel nicht.
In den mittel-und osteuropäischen Ländern gab es dagegen ein starkes Bestre-
ben, Museologie als Wissenschaft zu etablieren.3 Parallel dazu stand das Bedürf-
nis nach Qualifizierung des vorhandenen Personals. Daher wurde in der DDR
1951 ein zweijähriger Lehrgang für Beschäftigte in Heimatmuseen eingeführt.
2 Koetschau, zitiert nach Wolfgang Klausewitz, Zur Geschichte der Museologie (1878-1988), in: Museologie: Neue Wege – neue Ziele, hrsg. ICOM – Deutsches Nationalkomitee, München 1989, S. 22. Bereits 1878 hatte Johann Georg Theodor Graesse in Dresden die Notwendigkeit einer akade-mischen Aus- und Weiterbildung für Museumsbeamte gefordert. Hierzu ausführlich Klausewitz 1989, S. 20-22. 3 Zum folgenden Flügel (wie Anm. 1).
Daraus entstand bereits 1954 in Köthen (Anhalt) die „Fachschule für Museums-
assistenten“, die seit 1966 als „Fachschule für Museologen“ in Leipzig angesiedelt
war. In Berlin gab es seit den 1980er Jahren ein Fernstudium für Museologie am
damaligen Museum für Deutsche Geschichte. Parallel dazu konnte man an der
Humboldt-Universität zu Berlin, also auf der universitären Ebene, ein Aufbaustu-
dium für MuseologInnen absolvieren. Nach der Wende, 1990, wurden beide Stu-
diengänge zunächst eingestellt.4 In der sich anschließenden Diskussion um gene-
relle Einstellung oder Fortführung dieser Ausbildung siegte schließlich der Mut,
unter den veränderten (kultur-)politischen Vorzeichen das Fach Museumskunde
bzw. Museologie nicht abzuwickeln, sondern fortzusetzen. Etabliert wurden dar-
aufhin zwei Fachhochschul-Diplomstudiengänge: 1992 der Studiengang Museolo-
gie an der HTWK Leipzig (als Nachfolge der Leipziger Fachschule für Museolo-
gen), 1993 der Studiengang Museumskunde an der damaligen FHTW Berlin.5
Diese nahm im WS 1993/94 den Betrieb auf. Seit April 2009 heißt sie HTW Ber-
lin.
In Folge der Bologna-Reform wurden beide Studiengänge 2006/07 vom Diplom-
Abschluss auf BA-Studiengänge umgestellt. In Berlin ist seit 2009 darüber hinaus
die weiterführende Qualifikation durch den Master für Museumsmanagement und
–kommunikation möglich. Zusätzlich entstanden an verschiedenen Universitäten
einschlägige Master-Studiengänge (so in Heidelberg einer für Kunstgeschichte
und Museologie, in Oldenburg einer für Museum und Ausstellung). Auch in der
Schweiz (Zürich, Chur) wie auch in Wien existieren an Fachhochschulen einige
MA-Studiengänge. Als Universitätsstudium gibt es an der Universität Würzburg
seit dem Wintersemester 2010/11 den BA-Studiengang „Museologie und mate-
rielle Kultur“, er ist wohl vor allem zur Qualifizierung für Volkskundler gedacht.
Der Studiengang Museumskunde an der HTW Berlin
Die Schwerpunkte des Berliner BA-Studienganges sind:
• Museumsdokumentation (klassisch und EDV-gestützt)
• Museumskommunikation (Vermittlung, Präsentation)
• Museumsmanagement
• Museumsinformatik
4 Angelika Ruge, Der Studiengang Museumskunde, in: Festschrift FHTW Berlin – 5 Jahre Kuratorial-hochschule des Landes Berlin, Berlin 1999, S. 60-62. 5 Ausführliche Hinweise zur Geschichte der Leipziger Museologie auf der Website des Studiengan-ges: www.fbm.htwk-leipzig.de/de/studium/studiengaenge/museologie/geschichte/ (Zugriff am 11.12.2011).
Die Professoren und ihre Lehrgebiete:
• Prof. Dr. Sibylle Einholz (Inventarisierung, Dokumentation, Kunstgeschichte)
• Prof. Dr. Dorothee Haffner (EDV im Museum, Kunstgeschichte)
• Prof. Dr. Tobias Nettke (Museumspädagogik, Vermittlung)
• Prof. Dr. Oliver Rump (Museumsmanagement, Volkskunde)
• Prof. Hans Wilderotter (Ausstellungen, Ethnologie)
• Als Honorarprofessorin Prof. Monika Hagedorn-Saupe (Portale, Verbünde)
Zu den Inhalten des Unterrichtes in (EDV-basierter) Museumsdokumentation:
In den Modulen zur elektronischen Dokumentation werden Grundlagen der Da-
tenbankerstellung gelehrt. Praktische Übungen am Beispiel von MS-Access (Kon-
zeption und Konstruktion einer Datenbank) vertiefen die Theorie. Parallel dazu
gibt es fachpraktische Übungen an Demo-Software: FirstRumos (mit Oliver Rump
hat der Studiengang immerhin den Erstentwickler dieser Software im Haus), Ad-
lib, MuseumPlus, GOS, HiDA/MIDAS u. a. Ein Teil dieser Übungen umfasst das
Inventarisieren der studiengangseigenen Sammlungsbestände:
Museumstaschen (Abb. 1)
Stühle – Fotografien – Stoffmusterbücher (Abb. 2)
und Großdiapositive (Abb. 3).
Systematiken und Klassifikationen (Knorr, Hessische Systematik, SHIC) werden
bereits im 1. und 2. Semester unterrichtet, auch ihre Anwendung steht immer im
Zusammenhang mit praktischen Übungen. Ein Schwerpunkt der Lehre liegt auf
kontrolliertem Vokabular (Normdaten, Referenzdateien, Thesauri), ein anderer
bei Datenverbünden (prometheus, digicult, museum digital), Bildarchiven (Bild-
index Foto Marburg, Deutsche Fotothek) und Portalen (BAM, Michael, Europea-
na).Dazu gehören auch die einschlägigen Datenaustauschformate bzw. Dateifor-
mate (XML, museumdat, LIDO). Auch Grundlagen der digitalen Langzeitarchivie-
rung (Stichwort nestor-Kompetenznetzwerk) werden vermittelt.
Angeboten werden außerdem Weiterbildungsveranstaltungen für Museumskolle-
gen, zum Beispiel zur Einführung in die Grundlagen der Dokumentation. Eine Zu-
sammenarbeit besteht hier mit dem Museumsverband Brandenburg und dem
Museumsverband Sachsen-Anhalt, ebenso mit dem Freilichtmuseum am Kieke-
berg. Diese Angebote sollen ausgebaut werden.
Der Studiengang hat vielfältige Kontakte zu zahlreichen Museumskollegen und –
Kolleginnen, vor allem im Raum Berlin-Brandenburg, aber auch darüber hinaus.
Aus diesen Kontakten erwachsen Praxisprojekte (sie erproben und vertiefen das
im Studium Gelernte) und Fachpraktika (im 5. Semester, drei Monate Projektar-
beit mit potentieller Themenfindung für die anschließende BA-Arbeit). Studieren-
de können in den Museen als wissenschaftliche oder studentische Hilfskräfte zum
Einsatz kommen, Abschlussarbeiten (BA und MA) werden gemeinsam betreut.
Exkursionen dienen dem fachlichen Austausch mit Kollegen und dem Kontakt zu
künftigen Arbeitgebern. Der enge Kontakt zur Praxis ist Programm - das Studium
an der HTW hat starke angewandte, praxisnahe Komponenten, ohne jedoch die
Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens zu vernachlässigen.
Ziele – Selbstverständnis
Ein Ziel der museumskundlichen Lehre ist es, die Studierenden für die Erforder-
nisse einer sachgerechten Dokumentation zu sensibilisieren. Die differenzierte
inhaltliche Erschließung macht bekanntermaßen Objekte im Museum überhaupt
erst zu musealen Objekten, hält ihre Geschichte fest, verleiht ihnen ihren musea-
len Wert. Differenzierte Erschließung bedeutet auch, dass die Objekte zugänglich
und greifbar werden, dass sie nach den vielfältigsten Kriterien recherchierbar
sind. In Zeiten der optimierten Suchmaschinen im Web erscheinen die Museums-
software-Systeme gerade Jüngeren manchmal beinahe altertümlich. Bedenkt
man aber den vergleichsweise kleinen, in der Regel wenig finanzkräftigen Kun-
denkreis, wird klar, warum in die Entwicklung dieser hochspezialisierten Software
deutlich weniger Geld fließt als in Massenprodukte. Die Vorbehalte der Fachwis-
senschaftler gegen die Erfordernisse der sachgerechten Dokumentation sind be-
kannt und verständlich: die notwendige Genauigkeit der Begrifflichkeiten und
Definitionen wird gerne als „Schubladendenken“ abgetan. Aber: Eine umfassen-
de, vielfältig nutzbare Objekterfassung und –erschließung kann nicht ohne
grundlegende Fachkenntnisse (wie eben kontrolliertes Vokabular) geschehen. Die
Rolle der Museumskundler sollte daher sein: Brücken zu schlagen, gegenseitiges
Verständnis zu wecken, Arbeitsteilung herzustellen. Dazu leistet der Berliner Stu-
diengang Museumskunde seinen Beitrag.
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