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Reader Qualitätsmanagement im KrankenhausTrends · Meinungen · Perspektiven
Herausgeber: Prof. Dr. Andreas Becker
1. Auflage 2014
© 2014 Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Druck: Appel & Klinger Druck- und Medien GmbH, Schneckenlohe
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme ist unzulässig und strafbar.
www.ku-gesundheitsmanagement.de
Titelbild: © Michael Tewes – Fotolia.com
ISBN: 978-3-944002-93-4
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Doppelpass zur Qualitätsoffensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Josef Düllings
Die Richtung stimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Brigitte Sens
Das neue IQTiG: Mut zum Nichtwissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Andreas Penner
Für mehr Qualität in deutschen Krankenhäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Volker Penter, Franziska Holler
Integrierte Versorgung als Wettbewerbsvorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Michael Böckelmann, Lena Guth
Lehren, die noch zu ziehen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Burkhard Domurath
Konsequenzen aus der Qualitätsmessung im stationären Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Karsten Neumann, Jean Dietzel
Sektorenübergreifende Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Günther Heller
Qualitätsmanagement als strategischer Managementansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Marlis Flieser-Hartl, Timo Grantz
Annäherung an eine unbequeme Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Michael Isfort
Qualitätssicherung in der stationären psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Thomas Pollmächer
Reader Qualitätsmanagement im Krankenhaus
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Qualität und Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Michael Greiling
Alles im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Andreas Becker
Qualität messbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Isabell Großimlinghaus, Birgit Janssen, Jürgen Zielasek, Wolfgang Gaebel
Infektionsmanagement im Fokus der Krankenhausleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Michael Wilke, Peter Walger
Kursziel Qualität: Navigation durch Messung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Ralf Waßmuth
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
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Vorwort
Vorwort
Das Jahr 2014 und auch die Folgejahre stehen für die deutschen Krankenhäuser mehr denn je im Zeichen der Qualität.
Dies ergibt sich eindrucksvoll aus dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterent-wicklungsgesetz (GKV-FQWG), mit dem die Politik ihren Willen zur Förderung der Qua-lität zum Ausdruck gebracht hat. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat hierauf in-novativ reagiert und mit ihren Positionen zur Weiterentwicklung der Qualitätssicherung und der Patientensicherheit den hohen Stellenwert der Qualität und Qualitätstranspa-renz unterstrichen.
Der vorliegende Sammelband aus der Buchreihe der KU-Gesundheitsmanagement greift die aktuelle Entwicklung auf und beschäftigt sich u.a mit der Qualitätsberichterstattung, Konzepten und Methoden der Qualitätssicherung, konkreten klinischen Anwendungen sowie möglichen Entwicklungen in der Krankenhausfinanzierung.
Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren der Beiträge, die aktuelle Trends, Meinun-gen und Perspektiven rund um das Thema Qualität aus unterschiedlichen Perspektiven formulieren und so vielfältige Anregungen für neue Denk- und Handlungsfelder geben.
Rösrath, Oktober 2014 Prof. Dr. Andreas Becker
Reader Qualitätsmanagement im Krankenhaus
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Abkürzungsverzeichnis
Allgemeine Abkürzungen
ABS AntiBiotic StewardshipCPU Chest-Pain-UnitCIRS Critical Incident Reporting SystemCUSUM Cumulative Sum Chart (Kumulative Summengrafik)DRG Diagnosis Related Groups (diagnosebezogene Fallgruppen)GKV Gesetzliche KrankenversicherungICD International Statistical Classification of Diseases and Related Health
Problems (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme)
IMR Infektionsmanagement mit RoutinedatenIMS Integriertes ManagementsystemIV Integrierte VersorgungsmodelleKI KonfidenzintervallNDNQI® National Database of Nursing Quality Indicators®
P4P Pay-for-Performance (= leistungsorientierte Vergütung)QB QualitätsberichteQI QualitätsindikatorenQM QualitätsmanagementQS QualitätssicherungQSR Qualitätssicherung mit Routinedaten
Gesetze und Verordnungen
GKV-FQWG Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung
GKV-VStG Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
GKV-WSG Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
KHEntgG Krankenhausentgeltgesetz (Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen)
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Abkürzungsverzeichnis
KHG Krankenhausfinanzierungsgesetz (Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze)
IfSG Infektionsschutzgesetz (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen)
PsychPV PsychiatriepersonalverordnungSGB V Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch
Organisationen, Institute, Gesellschaften und Verbände
AQUA-Institut Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen
AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
BQS-Institut BQS Institut für Qualität und PatientensicherheitCMS Center for Medicare and Medicaid Services (USA)CQAIMH Center for Quality Assessment and Improvement in Mental HealthDGK Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und KreislaufforschungDGPPN Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und NervenheilkundeDIVI Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und NotfallmedizinDKG Deutsche KrankenhausgesellschaftG-BA Gemeinsamer BundesausschussG-I-N Guidelines International NetworkGQMG Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der GesundheitsversorgungIGES-Institut Institut für Gesundheits- und SozialforschungInEK Institut für das Entgeltsystem im KrankenhausIQTiG Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im GesundheitswesenIQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im GesundheitswesenKRINKO Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des
Robert Koch InstitutsMDK Medizinischer Dienst der KrankenkassenNHS National Health Service (Nationaler Gesundheitsdienst, England)OECD Organisation for Economic Co-operation and DevelopmentRKI Robert Koch InstitutSVR SachverständigenratWHO World Health Organization
Reader Qualitätsmanagement im Krankenhaus
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Die Richtung stimmt Abbildung 1: Systematik der DIN EN 15224:2012 auf Basis der DIN EN ISO 9001:2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abbildung 2: Rahmenbedingungen und Konzepte zu Qualitäts- und Risikomanagement auf den unterschiedlichen Gestaltungsebenen . . . . . . . . . . . . 27
Für mehr Qualität in deutschen Krankenhäusern Tabelle 1: Qualitätsanreizsysteme im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Konsequenzen aus der Qualitätsmessung im stationären Sektor Abbildung 1: Verhältnis der beobachteten und erwarteten Sterblichkeit nach Eingriff an der Aortenklappe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Abbildung 2: Prozessdarstellung der empfohlenen Maßnahmen zur Qualitätssteigerung im stationären Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Sektorenübergreifende Qualitätssicherung Abbildung 1: Verteilung der Qualitätsindikatoren für Kolorektales Karzinom, rektales Karzinom und Kolonkarzinom in Bezug auf verschiedene Bereiche der Versorgungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Tabelle 1: Aufträge des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Neuentwicklungen an das AQUA-Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 – 72
Annäherung an eine unbequeme Diskussion Tabelle 1: Anzahl unerwünschter Vorkommnisse in einem Jahr in deutschen Krankenhäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Qualitätssicherung in der stationären psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung Abbildung 1: Faktoren, die die Zukunft von Qualität und Qualitätssicherung in psychiatrischen Kliniken beeinflussen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Tabelle 1: Dimensionen der medizinischen Qualitätssicherung in Krankenhäusern für Psychiatrie und Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Qualität und Prozesse Abbildung 1: Defizite und Folgen einer arbeitsteiligen, funktionsorientierten und hierarchiebezogenen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Abbildung 2: Fünf-Phasen-Modell Prozess-/Workflow-Management . . . . . . . . . . . 110 Abbildung 3: Transparente Darstellung von Prozessen mit Analyse Icons . . . . . . . . 111 Tabelle 1: Qualitätsmanagement-Definition mit Qualitätsdimensionen . . . . . . . . . 105
Alles im Blick Abbildung 1: Kumulative Krankenhaussterblichkeit (in %) ambulant erworbene Pneumonie im Funnel Plot. Daten 2013 | 620 Patienten . . . . . . . . . . 117 Abbildung 2: Krankenhaussterblichkeit ambulant erworbener Pneumonie im CUSUM | 620 Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Tabelle 1: Berechnung CUSUM für Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. Daten 2013 | 620 Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Tabelle 2: Monitoring- und Frühwarnsystem; Monatliche Übersicht 2013 . . . . . . . 124
Qualität messbar machen Tabelle 1: Übersicht zum Projektablauf der Qualitätsindikatoren(QI)- Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Tabelle 2: Beispiel aus der Indikatorensynopse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Tabelle 3: Leitlinien und Indikatoren-Sets, die neben den Studien aus systematischen Recherchen als hauptsächliche Evidenzgrundlage dienen . . 134 – 135 Tabelle 4: Übersicht über die Versorgungsaspekte der Qualitätsindikatoren . . 136 – 137 Tabelle 5: Beispiel eines DGPPN Qualitätsindikators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Infektionsmanagement im Fokus der Krankenhausleitung Abbildung 1: Erlös- und Kostenverlauf einer DRG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Abbildung 2: Beispielhafte Infektionsverteilung eines Krankenhauses nach Ursprung der Infektionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Abbildung 3: Fallverteilung in bestimmten nosokomialen Infektionen mit Angabe der DRG Deckungsbeitragszonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Tabelle 1: Übersicht ausgewählter Studien zu den Effekten von typischen ABS-Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Tabelle 2: Deckungsbeiträge in den Infektionsentitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Tabelle 3: Verweildauern und Sterberaten bei „Atemwegsinfektionen“ nach Fachabteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
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Doppelpass zur Qualitätsoffensive
Doppelpass zur Qualitätsoffensive
Krankenhausreform 2015
Von Josef Düllings
Mit dem Koalitionsvertrag vom Dezember 2013 hat die Bundesregierung eine Qualitäts-offensive für den Krankenhausbereich ausgerufen und dazu wie folgt „angepfiffen“:
• In einer Qualitätsoffensive werden wir die Qualität der stationären Versorgung ver-bessern. Qualität wird als weiteres Kriterium für Entscheidungen der Krankenhauspla-nung gesetzlich eingeführt (§ 1 KHG).
• Das Krankenhaus der Zukunft muss gut, gut erreichbar und sicher sein. • Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, nach dem neuesten medizini-
schen Stand und in bester Qualität behandelt zu werden.1
Es läuft rund. Das Beste für die Patienten und Gutes für die Kliniken. Von Seiten der Bund-Länder-Kommission ist mit einem Pass auf den Gesetzgeber zu rechnen und dieser spielt den Ball den Kliniken zu, die dann „nur noch“ das Tor machen müssen.
So zumindest der Plan. Aber vielleicht sind vor dem Tor noch ein paar Doppelpässe erforderlich, gerade wenn es um Fragen der Qualität geht. Im System Krankenhaus ist Qualität niemals nur die eine Dimension der Behandlung durch Ärzte und Pflegende. Das Thema hat mehr Voraussetzungen, als die politische Debatte suggeriert. Und es kann nur gelingen, wenn diese Voraussetzungen mitbedacht werden und Grundlage von Entscheidungen sind.
Qualitätsdebatte in der Risikogesellschaft
Es gibt zwei Ebenen, die bei der Lösung von Problemen oft nicht unterschieden werden, insbesondere in der politischen Debatte und Gesetzgebung, wenn es darum geht, Rege-lungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung zu treffen. Dies gilt aktuell auch
1 Deutsche Bundesregierung (2013), online verfügbar unter www.bundesregierung.de
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für die Qualitätsdebatte. Hier soll es nicht um folgende Fragen gehen, die sehr wichtig sind, aber in der Regel immer gestellt werden:
• Warum machen Ärzte Fehler? • Wie entstehen Fehler in einem System? • Wie können Patienten sich vor Fehlern schützen? • Wie können Krankenhäuser die Qualität ihrer Leistungen verbessern?
Diese Fragen sind auf der Handlungsebene angesiedelt. Hier soll es um die Kommunika-tionsebene gehen. Ausgangspunkt ist die These aus Ulrich Becks Buch über die „Risiko-gesellschaft“, dass in der modernen Gesellschaft nicht mehr die Unterscheidung von arm und reich im Vordergrund steht, sondern die von Gefahr und Sicherheit. Als bedrohlich wahrgenommen werden dabei nicht die abstrakten Risiken selber, sondern ihre konkre-te Thematisierung in den Massenmedien. Risiken sind nach Beck immer auch Ergebnis eines gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses.2
Risikokommunikation
Die Medienlandschaft in Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, viel-leicht weil vor allem die Printmedien infolge der Digitalisierung immer mehr um Auflage und Aufmerksamkeit beim Leser buhlen müssen. Sie müssen immer neuere und immer spannendere Geschichten bringen, um vom Konsumenten in der überreizten Medien-welt überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
An verschiedenen Beispielen ist zu beobachten, dass es vermehrt um Risikokommunikati-on geht. Oft handelt es sich dabei um emotionsgeladene Skandalisierung, die sich gegen Personen, Institutionen und ganze Gesellschaftsbereiche richtet, meist mit negativen Fol-gen, die manchmal weit über den Regelungsbedarf für die Handlungsebene hinausgehen.
Jeder erinnert sich an die öffentliche Debatte um den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff. Zum Schluss ging es nur noch um das Oktoberfest-Sponsoring. Nach Erhebung der Klage und Verhandlungen vor dem Landgericht Hannover blieb vom Vorwurf der Bestechlichkeit nur noch der Vorwurf der Vorteilsnahme3, der ganz zum Schluss auch noch fallen gelassen wurde und in einen Freispruch mündete. Die „Qualität als Bundes-präsident“ war jedoch dahin, ein Rücktritt noch vor Aufklärung über die Sachlage nötig.
2 Beck U. (1986)3 Neue Osnabrücker Zeitung vom 14.11.2013
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Doppelpass zur Qualitätsoffensive
Ein Beispiel aus dem Kliniksektor ist der Transplantationsskandal 2012. Von mehreren Transplantationszentren wurden Verdachtsfälle von Manipulationen öffentlich. Es ent-stand eine mediale Skandalisierung und Risikokommunikation, die nach Expertenmei-nung verheerende Folgen hatte. Die Zahl der Organspender sank 2013 auf das absolut niedrigste Niveau seit über 15 Jahren (876 Spender).4,5 Auch hier war die „Qualität“ in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dahin.
Bei weiteren Beispielen, die ebenfalls seit 2012 von Krankenkassenverbänden vorgetra-gen wurden, gewann man den Eindruck, dass mit Hilfe von Risikokommunikation der politische Einfluss und das Image der Krankenhausseite beschädigt werden sollten.
Mit dem RWI-Gutachten des GKV-Spitzenverbandes zur Mengenentwicklung vom April 2012 wurde behauptet, dass Patienten ohne medizinische Notwendigkeit aus ökonomi-schen Gründen operiert würden.6 Ein Vorurteil, das sich bis heute hält.
Der Krankenhaus-Report des AOK-Bundesverbandes vom Januar 2014 behauptete an-hand einer trivialstatistischen Hochrechnung internationaler Daten aus den Jahren bis 2006 für deutsche Kliniken: „Fehler kommen mit einer Häufigkeit von rund einem Pro-zent aller Krankenhausfälle vor und tödliche Fehler mit einer Häufigkeit von rund einem Promille. Ein Fall von 1 000 bedeutet auf dem heutigen Versorgungsniveau rund 19 000 Todesfälle in deutschen Krankenhäusern pro Jahr auf der Basis von Fehlern – das sind fünfmal so viele Todesfälle wie im Straßenverkehr.“7
Hinzu kommen Hygienevorfälle und Keimausbrüche, die vor allem durch eine schlechte Krisenkommunikation von Krankenhäusern selbst zum Skandal ausgeweitet wurden, mit negativen Folgen für die Funktionsträger vor Ort. Die Skandalform hat meist Machtver-luste zur Folge. Skandalisierung erzeugt politischen Handlungsdruck, Aktionismus und auch Fehlentscheidungen.
Anstoß zur Qualitätsoffensive
Insbesondere die Risikokommunikation der letzten zwei bis drei Jahre hat aus meiner Sicht den Boden für eine politische Qualitätsoffensive vorbereitet. Wenn es nach Beck (1986) um die Unterscheidung von Gefahr und Sicherheit geht, dann treibt eine ver-
4 Statista GmbH, online verfügbar unter de.statista.com5 Deutsche Stiftung Organtransplantation, online verfügbar unter www.dso.de6 Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (2012), online verfügbar unter www.rwi-essen.de7 AOK-Bundesverband (2014)
Reader Qualitätsmanagement im Krankenhaus
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mehrte Kommunikation von Risiken die Politik in die Sicherheitszone und dazu, im Inte- resse des „medial verstörten“ Wählers die nötigen Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit zu ergreifen.
Für die Krankenhäuser stand die Finanzierung und Zukunftssicherung auf der Agenda. 40 bis 50 Prozent der Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Für die Politik geht es um Qualität und Patientensicherheit. Der gelungene Anstoß liegt darin, dass „Qualität“ als politischer Kampfbegriff hocheffizient die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung steuert. Dahinter steht ein moralischer Anspruch, den die Kliniken beim höchsten Gut des Menschen, der Gesundheit, nicht alle oder nicht ausreichend erfüllen.
Ein wesentliches Kennzeichen der Risikokommunikation ist aber auch, dass Risiko und Gefahr oft weit auseinander liegen. Während eine Gefahr individuell und konkret in einer Situation erscheint, ist das Risiko eher statistisch und kollektiv. Fukushima liegt in Japan, aber in Deutschland wird der Atomausstieg beschlossen.
Aufschlussreich ist hier die Behandlungsfehlerstatistik des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Danach gab es für 2013 etwa 2 500 bestätigte Behandlungs-fehler bei stationärer Behandlung.8 Sicher ist jeder Fehler einer zu viel. Aber Menschen machen Fehler. Das Entscheidende ist: Bei über 19 Millionen stationären Fällen pro Jahr sind dies 0,01 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass 99,99 Prozent der Behand-lungen – zumindest nach den Daten des MDK – korrekt verliefen. Und der MDK ist nun weiß Gott nicht verdächtig, zu krankenhausfreundlich zu sein.
Man muss sich vor Augen führen, dass die Qualitätsoffensive darauf abzielt, eine Sicher-heitsquote von 99,99 Prozent weiter zu optimieren. Das kann und sollte man tun. Gegen Qualität wollen die Krankenhäuser nicht argumentieren. „Beste Qualität“ ist sogar das Schönste, was sich Ärzte und Pflegende, wie auch das Management von Krankenhäu-sern wünschen können. Aber es braucht schon einige Doppelpässe mehr bis zum Tor.
Abseitsfalle
Es gibt noch einen anderen Aspekt der Qualitätsdebatte, eine „hidden agenda“, die nicht zum eigentlichen Spiel und damit ins Abseits gehört. Und die es auch bei der Ein-führung des DRG-Systems Anfang der 2000er Jahre gab.
8 Medizinischer Dienst der Krankenkassen (2014), online verfügbar unter www.mds-ev.de
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