SEEPFERDCHEN Was Mannchen wollen - Brooklyn...

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SEEPFERDCHEN

Was Mannchen wollen

Beobachter c:En!IIS7

Seepferdchen stellen alles auf den Kopf, was Forscher uber die Partnerwahl im Tierreich zu wissenglaubten: Die Mannchen sind der wahlerische Part, die Machoweibchen wollen schnellen Sex. Dieseausgefallenen Vorlieben erforscht das Seepferdchenlabor der Universitat Zurich. VON BEATE KITTL

Balzende Topfbauch-Seepferdchen: Das Mannchen (rechts) wahlt

seine Partnerin aus - wichtigstes Kriterium ist dabei die Grosse.

Ein Blick genugt, und erhat nur noch Augen fursie. Die andere in der

rechten Ecke ist vergessen. Erblaht seine Bauchtasche auf ­sieh her, was fur ein toller Baby­sitter ich sein werde! Seite anSeite wiegen sich die beiden imPaarungstanz, getrennt durcheine Plexiglasscheibe. Forschmacht sie Avancen zum Ge­schlechtsakt - doch so schnellist er nicht zu haben. Bei denSeepferdchen spielt eben erden wahlerischen Part.

Die flirtenden Fische lassensich von der unromantischenUmgebung nicht sti:iren. IhrAquarium steht in einer damm­rigen Klimakammer am Irchel­Campus der Uni Zurich. In achtTanks klammern sich insge­samt 42 Topfbauch-Seepferd­chen an Pflanzen. Sie wurdeneigens aus tasmanischer Zuchtimportiert, weil sie sich so fleis­sig fortpflanzen. Hier im Laborerforscht das Team des Evolu­tionsbiologen Tony Wilson,nach welchen Kriterien dieFische ihre Sexualpartner aus­suchen. Denn ihre Vorliebenbeim Liebesspiel sind ziemlichausgefallen. Das hangt mit ih­rer ungewi:ihnlichen Brutpflegezusammen: Das Mannchentragt die Jungen aus.

Wer investiert, wahlt ausAuf dem Hi:ihepunkt des in­nigen Pas de deux, der bis zudrei Tage dauern kann, legtdas Weibchen seine Eier ineine Bruttasche am Bauch desMannchens. Damit endet ihrBeitrag.. Er hingegen ist wah­rend der nachsten 25 bis 60

Tage schwanger. Die Bauch­tasche funktioniert ahnlich wiedie menschliche Plazenta: Sieurnwachst die Eier, reguliertden Salzgehalt und versorgt sievermutlich auch mit Nahrstof­fen. «Die Seepferdchen sind furuns spannend, weil die Mann-

chen so viel in die Brutpflegeinvestieren», sagt Wilson.

Bei vielen anderen Tier­arten tragen die Weibchen dieHauptlast der Schwangerschaftund der Aufzucht der Jungen,die Mannchen spenden nurwinzige Spermien. Der Unter-

schied fiihrt zum Geschlechter­konflikt: Wer wenig Aufwandhat, kann im Prinzip beliebigviele Sexualpartner haben. Ermuss nur seinen Geschlechts­genossen zuvorkommen, etwadurch Kampfstarke oder be­sondere Attraktivitat in denAugen des wahlerischen Ge­schlechts. Wer jedoch viel in­vestiert - sei es in nahrstoff­reiche Eier oder lange Brutpfle­ge -, wahlt mit Bedacht einenPartner, der mi:iglichst viel zudiesem Aufwand beitragt.

Grosse spielt eine RolleBei den Seepferdchen selektie­ren die Mannchen: Sie bevor­zugen die gri:issten Weibchen,da sie mehr Eier abgeben ki:in­nen, fanden Wilson und seinKollege Beat Mattle heraus.Denn kurz nach der Eiiiber­gabe wachst die Bruttasche zu,was weitere Paarungen verun­mi:iglicht. Die Weibchen hinge­gen mussen sich urn die Mann­chen bemiihen, wenn sie zurnZug kommen wollen. AufTauchgangen in Australien hatWilsons Koautor Keith Martin­Smith von der Universitat Tas­manien Mannchen beobachtet,die von zwei oder mehr Weib­chen regelrecht verfolgt wur­den. Und obwohl Seepferd­chen in freier Wildbahn mono­gam sind, gehen die Weibchenbei Gelegenheit fremd, wah­rend er schwanger ist.

Ein Geschlecht wahlt, dasandere konkurriert. So weitbleibt es beim gangigen Sche­ma. Doch Angela Bahr, Dokto­randin im Seepferdchenlabor,fand heraus, dass auch die

Verkehrte Welt: Ein mannliches Kurzkopf-Seepferdchen gebart nach

ein bis zwei Monaten Tragzeit 50 bis 100 Junge.

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Machoweibchen ihre Vorstel­lungen yom Richtigen haben:Sie wahlen ihn nach dem Ge­ruch aus, den er ins Wasser ab­sondert. «Es ware ein Denkfeh­ler, anzunehmen, dass das an­dere GescWecht keine AuswaWtrifft», sagt Bahr.

Sie setzte verschiedene See­pferdchen in ein Aquarium, da­mit das Wasser deren Geruchannahm. Dann untersuchte sie;ob die Tiere den Duft ehersuchten oder mieden. DieWeibchen wurden von jenenMannchen angezogen, derenImmungene sich besondersstark von ihren eigenen unter­schieden. Dies garantiert, dassdie Nachkommen die grosst­mogliche Bandbreite an Ab­wehrmechanismen erhalten.

Den Mannchen war der Ge­ruch egal, sie wahlten nach wievor die grossten Weibchen.«Jetzt wissen wir, dass beideGeschlechter waWerisch sind»,sagt Bahr. dch hatte nicht er­wartet, beide Vorlieben beob­achten zu konnen.» Denn inbisherigen Partnerwahl-Expe­rimenten - ob bei Vogeln oderMistfliegen auf dem Kuhfladen- wurde meist nur ein Falliiberpriift: Wie waWt ein Weib­chen, wenn es zwei Mannchenzur Wahl hat? Denn Verhal­tensforschung mit mehrerenKriterien ist experimentell undstatistisch sehr aufwendig.

Liebe qeht durch die NaseAuch Menschenfrauen folgenbei der Partnerwahl offenbarihrer Nase. Die Geruchsvorlie­be ist dieselbe wie bei den See­pferdchen: Am attraktivstenfinden Frauen jene Manner, de­ren Immungene ihre eigenenam besten erganzen. Weil dieImmunsubstanz durch denSchweiss abgesondert wird,liessen Forscher Frauen anT-Shirts schniiffeln, die Man­ner 24 Stunden lang getragenhatten. Tatsachlich gefiel denFrauen der Geruch von Man­nem mit abweichenden Im­mungenen am besten.

Was als rein asthetische Vor­liebe erscheint, kann somit ei­nen handfesten evolutionarenNutzen haben. Viele Tierartenhaben regelrechte Werbesig­nale entwickelt, die Gesundheitund Fruchtbarkeit kundtun.Dazu gehoren der Schwanz desPfaus, das Hirschgeweih undauffallige Balzrituale. DieseSchmuckstiicke sind energe­tisch teuer und hinderlich, wasschon Darwin irritiert hat. Ihreinziger Zweck ist die Botschaftan potentielle Partner: Ich binstark und gesund, ich kann mirdas leisten. Und meine Nach­kommen werden dank meinenGenen ebenso stark sein.

Die Lehrmeinung ist, dassMannchen mit diesen Signalenurn wahlerische Weibchenbuhlen. Doch Seenadeln ­langgezogene nahe Verwandteder Seepferdchen - drehen denSpiess urn: Die Weibchen leis-

ten sich zur Paarungszeit auf­falligen Schmuck. Bei einerSpezies entwickeln sie eine ArtSegel aus einer Brustflosse, mitdem sie die Mannchen locken,bei einer anderen ein leuchten-

«Jetzt wissen wir,dass beideGeschlechterwahlerisch sind.»Angela Bahr, DoktorandinUniversitat ZUrich

des Zebramuster, das auch demdiimmsten Raubfisch auffallenmuss. Damit begeben sich dieWeibchen zwar in Gefahr, kom­men aber bei den Mannchenan, wiesen Forscher von derUniversitat Uppsala nacho

Dieser Rollentausch inte­ressiert Wilson, und so leben

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ebenfalls einige Seenadeln imSeepferdchenlabor. Auch beiihnen tragen die Mannchen dieJungen aus, konnen aber - an­ders als ihre monogamen Cou­sins - Eier von mehr als einerPartnerin aufnehmen. Sie ent­scheiden auch, welche davonsie befruchten wollen. Darummiissen sich Seenadelweib­chen starker gegen ihre Kon­kurrentinnen durchsetzen.

Tierisches LiebeslebenSo entsteht ein Gerangel urnMannchen, das umso ausge­pragter ausfallt, je kalter dasWasser und je kiirzer der Som­mer ist. Dann sind die Fort­pflanzungschancen gering unddie potentiellen Vater beson­ders wahlerisch. Dies fand Wil­sons Team heraus, das Seena­deln an Kiisten von Schwedenbis Italien gesammelt und ihrePartnerwaW untersucht hat.

Statt mit hiifthohen Gum­mistiefeln konnten die For­scher ihren Versuchstierenkiinftig mit Vogel- oder Insek­tennetzen nachstellen. Es gilt,die abwegigen Paarungsvorlie­ben der Seepferdchen auf an­dere Arten zu iibertragen. Kan­didaten konnten andere Spe­zies mit mannlicher Brutfiir­sorge sein: Beim Jacanavogelsitzt das Mannchen auf denEiem; beim Kardinalbarschbriitet der Vater die Jungen imMaul aus; bei manchen Insek­ten akzeptiert das Weibchennur Partner mit einem «Hoch­zeitsgeschenk», einem fettenBeutetier, das ihr Energie zurEiproduktion liefert.

Jeder Rollentausch liefertwertvolle Hinweise darauf, wiedie Vorlieben im Liebeslebender Tiere entstanden seinkonnten - seien es keuscheMannchen und Machoweib­chen, Seitenspriinge oder einestrikt partnerschaftliche Auf­zucht der Jungen. Diese For­schung will Wilson vorantrei­ben: «Erst dann konnen wirverstehen, wie die Evolutionvon Vorlieben funktioniert.» _

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