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Thorsten Gromes
VorlesungOrdnungen des Politischen
30. April 2010
Methoden II:
Variablen- vs. fallorientierte MethodenAkteur vs. Institution
Gemeinsamkeiten von Natur- und Sozialwissenschaften (1)
• Annahme: es gibt eine Realität auch unabhängig
von der Beobachtung
• Ziel, „aus Chaos Ordnung zu schaffen“
• Qualitätsstandards
• viele Forschungsobjekte lassen sich nicht direkt
wahrnehmen
Besonderheiten der Sozialwissenschaften
• Forschungsobjekte mit Bewusstsein und
Absichten
• Menschen können sich verstellen
Besonderheiten der Sozialwissenschaften
• soziales Handeln von äußeren Bedingungen
nicht total determiniert => keine invarianten
Gesetzmäßigkeiten
• Reflexivität: Forschungsobjekte wandeln sich im
Lichte von Forschungsergebnissen
• exklusive Methoden wie Interviews
Erkenntnisinteressennach Jürgen Habermas
1. technisch: Verwert- oder Verfügbarkeit,
2. praktisch: handlungsorientierende
Verständigung,
3. emanzipatorisch: aus Abhängigkeiten befreien
Das Erkenntnisinteresse bestimmt die
Forschungsfrage und die Methode.
Was ist eine Methode?
Wurzel:
methodos (griechisch) = Weg auf etwas hin
Wissenschaftliche Methode:
systematisch vorgehen, planmäßig verfahren, um
Erkenntnisse zu gewinnen
Annäherungen an den Forschungsgegenstand
induktive deduktive Methoden
qualitative quantitative Methoden
fallorientierte variablenorientierte Methoden
Beispiel einer fallorientierten Studie (1)
Beispiel einerfallorientierten Studie (2)
• ausführlich über Hintergrund und Konstellation
• detaillierte Analyse des Verlaufs
• viel Raum für Handelnde und deren Sichtweisen
• Krieg in großer Komplexität dargestellt
• nur begrenzt Aussagen über den Fall hinaus
Beispiel einervariablenorientierten Studie (1)
Paul Collier, Anke Hoeffler, Dominic Rohner:
Beyond greed and grievance:
feasibility and civil war,
in: Oxford Economic Papers,
1/2009, S. 1–27.
Beispiel einervariablenorientierten Studie (2)
Datensatz:
• 208 Staaten
• 84 Bürgerkriege (mit mindestens 1.000 Toten)
• Untersuchungszeitraum: 1965 bis 2004
Beispiel einervariablenorientierten Studie (3)
Vorgehen:
• Regressionsanalyse
• mehr als ein Dutzend Variablen untersucht
• Angaben aus einzelnen Fällen nur illustrativ
Beispiel einervariablenorientierten Studie (4)
Ergebnisse:
• Motivationen wie Gerechtigkeit oder Profitgier
keine Ursachen von Bürgerkriegen
• Bürgerkriege gibt es dort, wo sie militärisch und
finanziell machbar sind
Fall- vs. variablenorientierte Methoden
• Unterscheidung des US-Soziologen Charles C. Ragin
• Ragin will diesen Dualismus überwinden
• er entwickelte daher die Qualitative Comparative
Analysis (QCA)
Fallorientiert vs. variablenorientiert
• Komplexität und Kontext
der Fälle stehen im
Vordergrund
• Fälle werden als Ganze
miteinander verglichen
• Ausgangspunkt: Fall
• strebt nach knappen
Generalisierungen
• einzelne Aspekte der
Fälle werden
herausgehoben
• Ausgangspunkt: Theorie
Fallorientiert vs. variablenorientiert
• wenige Fälle, interpretativ
• Häufigkeiten unwichtig
• erfordert genaue Kenntnis
der untersuchten Fälle
• viele Fälle, statistisch
• Häufigkeiten wichtig
• nur Ausprägungen der
Variablen müssen
bekannt sein
Fallorientiert vs. variablenorientiert
• gegen probabilistische
Annahmen
• konjunkturale Kausalität
• probabilistisch orientiert
• einfache Kausalität
Annäherungen an den Forschungsgegenstand
induktive deduktive Methoden
qualitative quantitative Methoden
fallorientierte variablenorientierte Methoden
Ausgangspunkt: Akteure Institutionen
Rationale Wahl (rational choice)
1. Soziale Tatbestände sind auf individuelle Handlungen
zurückzuführen.
2. Individuelle Handlungen sind absichtsvoll und basieren
auf rational getroffenen Entscheidungen.
Rationale Wahl (rational choice)
3. Handeln ist rational, wenn
• es versucht, die vom Akteur gesetzten Ziele zu
erreichen,
• die Mittel angemessen sind, diese Ziele zu
verwirklichen.
Rationale Wahl (rational choice)
4. Auslöser der Entscheidungen sind die
• Bedürfnisse des Individuums und
• die Einschränkungen, denen es sich gegenüber sieht.
Rationale Wahl (rational choice)
5. Der Akteur wägt jeweils Kosten und Nutzen der
Handlungsalternativen gegeneinander ab. Er bedenkt
dabei, wie wahrscheinlich bestimmte Kosten und
Nutzen eintreten.
6. Er wählt die Option, die den erwarteten Nutzen
maximiert. Nutzen heißt vor allem Eigennutz.
Die Colemansche Badewanne
Makro-Ebene
Akteur
Logik der Situation
Logik der Selektion
Logik der Aggregation
Handlung
Arbeit in der Nachbarschaftsgruppe
Diskutieren Sie,
ob und wie Theorien der rationalen Wahl
den Ausbruch eines Bürgerkriegs erklären können.
Neue Modelle der rationalen Wahl
Das klassische Modell nimmt an,
ein Akteur sei vollständig informiert.
Neue Modelle sehen die Informationsbeschaffung
und –verarbeitung durch kognitive Fähigkeiten
und Motivation begrenzt.
Neue Modelle der rationalen Wahl
Begrenzte Rationalität:
• Kalkulationsfähigkeiten limitiert,
• begrenzte Fähigkeiten, Erfahrungen und Wissen zu
organisieren.
Neue Modelle der rationalen Wahl
Prozedurale Rationalität:
Der Entscheidungsprozess selbst läuft nach Kriterien der
Rationalität ab.
Verspricht ein weiteres Abwägen nur höhere Kosten oder
auch einen besseren Ertrag?
Neue Modelle der rationalen Wahl
Die Rolle von Rahmen:
In objektiv gleiche Situationen handeln verschiedene
Akteure unterschiedlich.
Ihre Handlungen gehen auf unterschiedlich vorstrukturierte
Situationsdeutungen (Rahmen) zurück.
Diese Rahmen (frames) reduzieren die Komplexität einer
Situation und machen den Akteur erst handlungsfähig.
Neue Modelle der rationalen Wahl
Die Rolle von Gewohnheiten:
Eine Gewohnheit setzt an einen bestimmten Rahmen an
und besteht aus einer Sequenz von Handlungen in
typischen Situationen.
Neue Modelle der rationalen Wahl
Rahmen und Gewohnheiten wirken vor allem in
Situationen, die einem Akteur immer wieder begegnen.
Eine Handlung erfolgt nichts stets bewusst und resultiert
nicht immer aus einer abwägenden Wahl, wie es das
klassische Modell annimmt.
Neue Ansätze der rationalen Wahl
Klassische Modelle Neue Modelle
Nutzenbegriff Von außen
definierter, reiner
Eigennutz
Subjektiv definierter
Nutzen, daher auch
Altruismus
Handlungsziel Nutzen maximieren Zufriedenstellen,
optimieren
Zur Verortung des Handelns
„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte,
aber sie machen sie nicht aus freien Stücken,
nicht unter selbst gewählten,
sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen
und überlieferten Umständen.“
Karl Marx
Gegen- und komplementäre Begriffe zu „Akteur“ und „Handlung“
• Umstände / Verhältnisse
• Struktur / Ordnung / System
• Institution
Was ist eine Institution?
Allgemein:
Einrichtung
Soziologisch:
• stabiles Muster menschlicher Beziehungen,
• bringt regelmäßiges, gleichförmiges Handeln hervor
Der Neo-Institutionalismusnach James G. March und Johan P. Olsen
Grundannahmen:
1. (Politische) Institutionen spiegeln nicht einfach ihre
Umwelt wider.
2. Institutionen prägen ihre Umwelt.
3. Politische Institutionen sind nicht nur Folge, sondern
auch Ursache politischer Prozesse.
Was machen Institutionen?
Makro-Ebene
Akteur
Logik der Situation
Logik der Selektion
Logik der Aggregation
Handlung
Was machen Institutionen?
Institutionen strukturieren die Situation, indem sie
• Rollen, Rechte und Verpflichtungen der Akteure
definieren (z.B., wer wann ein legitimer Akteur ist),
• Akteure mit Ressourcen ausstatten,
• die Beziehungen zwischen den Akteuren bestimmen
(z.B. Macht und Verantwortlichkeit unterschiedlich
zuteilen),
• Identitäten und Annahmen der Akteure definieren und
festigen.
Was machen Institutionen?
Makro-Ebene
Akteur
Logik der Situation
Logik der Selektion
Logik der Aggregation
Handlung
Was machen Institutionen?
Institutionen prägen die Selektion, da sie
• die Standards setzen, welches Verhalten gut, richtig,
notwendig, möglich, vernünftig, normal etc. ist,
• durch ihr Strukturieren der Situation sowie durch Regeln
und Rollen die Interessen und Präferenzen der Akteure
bestimmen,
• durch Regeln, Rollen, Rechte und Verpflichtungen
definieren, welches Handeln angemessen ist.
Was machen Institutionen?
In der Politik folgen die meisten Menschen die meiste Zeit
den institutionell definierten Regeln und handeln aus
einer Logik der Angemessenheit.
Allerdings stellen sie oftmals ihre Handlungen so dar, als
ob diese sich aus einer Logik des Folgenkalküls ergeben
hätten.
Was machen Institutionen?
Makro-Ebene
Akteur
Logik der Situation
Logik der Selektion
Logik der Aggregation
Handlung
Was machen Institutionen?
Institutionen bestimmen die Aggregation,
• indem sie mit ihren Verfahren und Regeln, die einzelnen
Handlungen miteinander verknüpfen (z.B. durch die
Mehrheits- oder Konsensregel);
• dabei können sie bestimmte Handlungen bestimmter
Akteure als hochrelevant oder irrelevant einstufen
Was machen Institutionen?
Zusammenfassung:
Akteure sowie ihre Interessen und Handlungsoptionen sind
meistens nicht einfach gegeben.
Was machen Institutionen?
Zusammenfassung:
Institutionen prägen,
• wer ein Akteur ist,
• wie dessen Perspektiven und Präferenzen aussehen,
• worin dessen Handlungsoptionen bestehen.
Institutionen verknüpfen die Handlungen der Akteure.
Arbeit in Nachbarschaftsgruppe
Diskutieren Sie folgende These:
Für den Ausbruch eines Bürgerkrieges ist es egal, welche
konkreten Personen in den höchsten politischen
Positionen sitzen. Denn es sind die Institutionen, welche
die Akteure, deren Interessen und Handlungen
bestimmen.
Ansätze jenseits des Dualismus von Akteur/Handlung und Institution/Struktur
Norbert Elias
Jürgen Habermas
Anthony Giddens
Pierre Bourdieu
Rausschmeißer
Take a method and try it. If it fails,
admit it frankly, and try another. But
by all means, try something.
Franklin D. Roosevelt
There is no method
but to be very intelligent.
T. S. Eliot
Aufgaben zur Nachbereitung
Tipps:
• Halten Sie Ihre Arbeitsergebnisse schriftlich fest.
• Diskutieren Sie Ihre Ergebnisse mit Kommilitonen.
Aufgaben zur Nachbereitung
1. Nehmen Sie einen Ihnen bereits bekannten Aufsatz, der
auf einem fallorientierten Vorgehen beruht. Identifizieren
Sie die Merkmale dieser Methode nach Ragin.
2. Nehmen Sie einen anderen Aufsatz, der mit einer
variablenorientierten Methode arbeitet. Deklinieren Sie die
Eigenheiten dieses Vorgehens durch.
Aufgaben zur Nachbereitung
3. Finden Sie soziale Phänomene, bei denen klassische
Ansätze der rationalen Wahl relativ gut greifen.
4. Welche sozialen Tatsachen lassen sich nur schlecht mit
der klassischen Variante der rationalen Wahl erklären?
5. Erörtern Sie folgende These: „Neue Varianten haben den
Ansatz der rationalen Wahl nicht gerettet, sondern getötet.“
Aufgaben zur Nachbereitung
6. Wählen Sie eine beliebige Institution aus und überlegen
Sie, wie diese eine Situation strukturiert.
7. Wählen Sie eine beliebige Institution aus und zeigen Sie,
wie diese die Selektion einer Handlung beeinflusst.
8. Wählen Sie eine beliebige Institution aus und zeichnen Sie
nach, wie diese Handlungen miteinander verknüpft.
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