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Trainingaktuell | September 2019 3
Weiterbildung soll zum selbstverständlichen Be-standteil im Leben aller werden. So will es die Poli-tik und hat eine Nationale Weiterbildungsstrategie formuliert. Doch auch Weiterbildner können dazu beitragen: zum Beispiel durch echten Nutzen.
„Wir brauchen eine neue Weiterbildungskultur
in Deutschland, die Weiterbildung als selbstver-
ständlichen Teil des Lebens versteht.“ Dieser in
den Ohren von Weiterbildnerinnen und Weiter-
bildnern sicher wohlklingende Satz steht in der
Einleitung zur „Nationalen Weiterbildungsstra-
tegie“. Erarbeitet wurde sie von der Bundesregie-
rung gemeinsam mit den Sozial- und Wirtschafts-
partnern, den Ländern und der Bundesagentur
für Arbeit.
Ob der Begriff „Strategie“ passend ist für das,
was Bundesbildungsministerin Anja Karliczek
(CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
Mitte Juni 2019 vorgelegt haben, sei dahingestellt.
Kritiker bemängeln, dass es sich lediglich um
eine Zusammenführung von bereits bestehenden
bzw. angedachten Angeboten mit bereits länger
geplanten Initiativen, die teils ausgeweitet wer-
den sollen, handelt. Weit mehr enttäuschend ist
für einige Kritiker aber der enge Weiterbildungsbegriff,
der dem Strategiepapier zugrunde lieg. Moniert wird, dass
die allgemeine Weiterbildung gar nicht vorkommt, und
selbst bei der beruflichen Weiterbildung Teile des Marktes
ausgeblendet bleiben. Welche Handlungsziele dennoch
grundsätzlich für Weiterbildner Relevanz haben könnten,
lesen Sie, liebe Leserinnen und Leser, ab Seite 6.
Unarten im Marketing
Damit Weiterbildung selbstverständlich wird im Leben aller
Bürgerinnen und Bürger braucht es obendrein ein positi-
ves Bild vom Lernen. Und dieses Image wird nicht zuletzt
durch die Kommunikation über Weiterbildung, durch das
Marketing beeinflusst. Und gerade in Letzteres haben sich
in jüngster Zeit einige Unarten eingeschlichen, findet Ver-
marktungsexperte Siegfried Haider.
Weiterbildungsanbieter preisen sich selbst in Superlativen
an. Die Social Media werden penetrant mit dem Angebot ge-
flutet. Es werden unglaubliche Heils- und Nutzenverprechen
rausgehauen. Achtstufige Mailingstrecken mit Betreffzeilen
wie „Nur noch heute“ verstopfen die Mailaccounts … Haider
kann über diese Auswüchse nur den Kopf schütteln. Seine
These: Die Online-Welt mit ihren Möglichkeiten verführt
geradezu zu diesem Bullshit-Marketing. Doch kein Kunde,
keine Kundin möchte bis zur Nacktheit ausgewertet, verfolgt
und ausgetrickst werden. Kein Wunder, wenn Weiterbildung
ein Geschmäckle bekommt, weil ihr wahrer Nutzen und das
echte Interesse an Qualifizierung in den Hintergrund gerät.
In seinem Beitrag ab S. 43 führt Haider eine Grande Dame
der Weiterbildung als Role Model an: Vera F. Birkenbihl. Er
nennt sie „Bio-Trainerin“.
Nicole BußmannChefredakteurin
EDITORIAL
Weiterbildungskultur wanted
6 Trainingaktuell | September 2019
BILDUNGSPOLITIK
Weiterbildung wird selbstverständlich
In Zukunft soll Weiterbildung ein selbstverständlicher Be-standteil des Lebens aller Bürgerinnen und Bürger sein. So steht es in der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Welche konkreten Ziele dahinterstecken und was diese für Weiter-bildner bedeuten, erklärt Training aktuell.
Information
Foto: AndreyPopov/iStock.com
Angesichts der digitalen Transformation wird Weiter-bildung zum entscheidenden Faktor für die Wettbewerbs- und Innovations-fähigkeit.
Weiterbildung stärkt die Innova-tionsfähigkeit
Die Politik hat also mittlerweile er-
kannt, wie wichtig es ist, Kompeten-
zen und Qualifikationen angesichts
der digitalen Transformation stetig
anzupassen: „Weiterbildung ist der
Schlüssel zur Fachkräftesicherung,
zur Sicherung der Beschäftigungsfä-
higkeit aller Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und damit für die Inno-
vationsfähigkeit und Wettbewerbsfä-
higkeit unseres Landes“, heißt es in der
NWS. Und dafür soll sie den Rahmen
setzen.
Das bedeutet nicht, dass die NWS aus-
schließlich neue Maßnahmen anstößt.
Vielmehr sollen mit ihr
A bereits bestehende Angebote der
beteiligten Akteure besser verzahnt
werden,
A Weiterbildungsangebote und För-
dermöglichkeiten transparenter und
leichter zugänglich gemacht
A und – falls nötig – auch ausgeweitet
werden.
So betont denn die NWS, dass die
Weiterbildung ihrer Beschäftigten
auch in Zukunft zentrale Aufgabe
der Unternehmen bleibt. Allerdings
sollen insbesondere kleine und mitt-
lere Unternehmen ohne große Per-
sonalabteilungen bei ihren Anstren-
gungen besser unterstützt werden.
Besonders gefördert werden sollen
auch Personengruppen, die bislang
Vor rund einem halben Jahr wurde sie angekündigt
(siehe Training aktuell 3/2019), nun ist sie verab-
schiedet worden – die Nationale Weiterbildungs-
strategie (NWS). Erarbeitet wurde sie unter der
Federführung des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) und des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Soziales (BMAS) von Bund, Län-
dern, Wirtschaft, Gewerkschaften und der Bundes-
agentur für Arbeit. Ehrgeiziges Ziel: Mit der NWS
soll in Deutschland eine neue Weiterbildungskultur
geschaffen werden, „die Weiterbildung als selbst-
verständlichen Bestandteil des Lebens versteht“.
Information
eine unterdurchschnittliche Weiter-
bildungsbeteiligung aufweisen, z.B.
Geringqualifizierte und Migranten.
Um das übergeordnete Ziel einer neu-
en Weiterbildungskultur zu erreichen,
legt die NWS zehn Handlungsziele fest
(siehe Kasten S. 8). Besonders relevant
für Weiterbildungsanbieter sind dabei
die Punkte 1, 5 und 9.
Mehr Transparenz für die Kunden
Ziel 1: Die Transparenz von Weiterbil-
dungsmöglichkeiten und -angeboten
unterstützen
Die Vielfalt der Akteure und Angebote
auf dem Weiterbildungsmarkt ist laut
NWS zunächst einmal Basis und Chan-
ce für bedarfsgerechtes, individuelles
Lernen. Die Kunden stellt sie allerdings
vor eine große Herausforderung: Pas-
sende Angebote und Fördermöglich-
keiten zu suchen, ist oft aufwendig
und langwierig. Ziel der NWS ist daher,
weiterbildungsinteressierten Personen
und Personalverantwortlichen die Na-
vigation auf dem Weiterbildungsmarkt
zu erleichtern.
Dafür soll zum einen die staatliche
Weiterbildungsberatung ausgebaut
werden, zum anderen spielen Online-
Plattformen eine große Rolle. So soll
ein zentrales Portal geschaffen werden,
das über Möglichkeiten zur finanziel-
len Förderung beruflicher Weiterbil-
dung informiert und es vereinfacht,
die entsprechenden Anträge zu stellen.
Außerdem lobt das BMBF einen Inno-
vationswettbewerb „Digitale Plattform
Berufliche Weiterbildung“ aus. In dem
soll eine interaktive Lernplattform ent-
wickelt werden, die die Möglichkeiten
für Nutzer, passgenaue Weiterbildungs-
angebote zu erhalten, erweitert und er-
leichtert. Die Plattform soll so konzipiert
werden, dass über sie auch direkt und
miteinander vergleichbare digitale Lern-
angebote zur Verfügung gestellt werden
können, mit denen Lernen modular, in-
dividuell und flexibel möglich ist.
Eine zentrale Lernplattform
Damit ist der Vorschlag MILLA („Modu-
lares Interaktives Lebensbegleitendes
Lernen für Alle“) der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion grundsätzlich in die
NWS aufgenommen worden. Unter dem
Schlagwort „Weiterbildungs-Netflix“
wurde er Ende vergangenen Jahres kon-
trovers diskutiert. Vor allem, dass
A ein staatliches Kuratorium die Kurs-
angebote prüfen und die Anbieter
zertifizieren soll und
A die Anbieter je nach Nutzung, Rele-
vanz und Teilnehmerbewertung be-
zahlt werden sollen,
stieß in der Weiterbildungsbranche auf
breite Ablehnung. Ob diese damals ge-
planten Punkte tatsächlich in die neue
Plattform einfließen werden, geht aus
der NWS nicht hervor. Ein offener In-
novationswettbewerb spricht aber eher
dafür, dass völlig neue Ideen für ein
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12 Trainingaktuell | September 2019
COACHING-METHODE
Tanz der Phänomene
Wie ensteht eigentlich ein Problem? Wer das weiß, findet schnell Ansatzpunkte, um es zu beheben. Be-ziehungsweise um die Wahrnehmung des Pro blems so zu verändern, dass es keines mehr ist. Helfen kann dabei eine Coaching-Intervention, die nicht nur auf der kognitiven Ebene ansetzt.
Inspiration
einmal real sein: Auch im Traum wechseln unser
Herzschlag, die Atemfrequenz oder die Hormon-
ausschüttung je nach Erleben – obwohl wir die
ganze Zeit im gleichen Bett liegen.
Nicht das Außen entscheidet also darüber, wel-
che Wirkung es auf uns hat, sondern unsere „Vor-
einstellungen“, die bisherigen Geschichten, die
wir uns in ähnlichen Kontexten bereits erzählt
haben.
In der Systemtheorie sprechen wir davon, dass
wir wahrnehmen, was wir erwarten, wahrzuneh-
men. Das ist effizient, weil es den Umweg über das
bewusste Beurteilen vermeidet: So können wir
schneller reagieren und nutzen zudem weniger
Arbeitsspeicher, sodass für Unvorhergesehenes
immer noch ausreichend Energie frei ist.
Netzwerk des Problemerlebens: Hebel für die Problemlösung
Wer Veränderung sucht, sollte es demnach besser
nicht nur im Außen versuchen – sondern beim
eigenen Fokus: Wird er verändert, stellt sich die
Wirklichkeit anders dar, im Idealfall positiver
oder zumindest passender. Wie aber kann das
gelingen? Wo kann eine Fokusveränderung an-
setzen?
Hebel dafür gibt es in der Regel mehrere. Denn
dem Problemerleben liegen meist verschiedenarti-
ge Voreinstellungen zugrunde. Zusammen bilden
die Einstellungen das „Netzwerk des Problemerle-
bens“. Für die Veränderungsbegleitung sind insbe-
sondere drei Aspekte relevant:
1. Die somatischen Bewertungen: Das sind
zunächst die somatischen Marker, also die vor-
eingestellten physiologischen Reaktionen wie
Atmung, Blutdruck, Körperspannung. Sie entste-
hen, weil unser Gehirn uns in herausfordernden
Situationen ungefragt Erinnerungen an bisherige
Illustration: Vanessa Krüger
Wir betrachten Probleme oft, als wären sie Tat-
sachen. Dabei wissen wir alle, wie subjektiv die
Wahrnehmung einer Situation sein kann: Was für
den einen eine unmögliche Herausforderung ist,
ist für die andere eine reizvolle Aufgabe. Welche
Wirkungen ein Ereignis auf uns hat, entscheidet
der aktuell aktive Ich-Zustand.
Die möglichen Auswirkungen sind in unserem
Gehirn aufgrund unserer bisherigen Lebens-
erfahrungen als Muster bereits angelegt: Ein Aus-
löser genügt, um ein ganzes Feuerwerk an Reak-
tionen somatischer, emotionaler und kognitiver
Art auszulösen. Dabei muss dieser Trigger nicht
Die Tanzflä-che: Zwischen drei Posi-tionen, die mit solchen Bodenankern markiert wer-den, bewegen sich Coach und Coachee mehrere Male hin und her.
Trainingaktuell | September 2019 13
Inspiration
Erfahrungen schickt, um die innere
Bewertung der Situation zu beschleu-
nigen. Das Problemerleben wird dann
über visuelle, kinästhetische, auditive,
olfaktorische oder gustatorische Sin-
neseindrücke befeuert, die wir einst in
einer bestimmten Situation hatten. Sie
zu verändern, ist schwer, aber möglich:
Die unbewussten Signale, die das Prob-
lemerleben sehr stark prägen, können
wir, wenn wir sie als solche erkennen,
bewusst nutzen.
2. Die emotionalen Bewertungen:
Sehr stark ist ein Problemerleben auch
von Emotionen geprägt, also von Af-
fekten, die mit unwillkürlichen und
kognitiven Bewertungen und Beschrei-
bungen verknüpft werden, was dann
zu den entsprechenden Hormonaus-
schüttungen führt. Affekte sind dabei
die erste emotionale Reaktion unseres
auf Überleben gepolten Organismus. Sie
entscheiden, ob sich eine Situation gut
oder schlecht anfühlt.
Im zweiten Schritt werden diese Ge-
fühle mit den vorhandenen Glaubens-
sätzen abgeglichen: Finden wir dieses
Gefühl, das sich meldet, gut? Dann
fühlen wir uns kongruent und können
entschlossen handeln.
In Situationen, die wir als Problem
erleben, ist dies meist nicht der Fall.
Dann geißeln wir uns für das erschei-
nende Gefühl, verurteilen die Unan-
gemessenheit unserer emotionalen
Reaktion, unterdrücken die Emotion
oder versuchen, sie zu rationalisieren.
Hier gilt es also, die Überzeugungen
und Glaubenssätze zu verändern – was
ebenfalls kein leichtes Unterfangen
ist.
3. Die kognitiven Erklärungen: Den
emotionalen und somatischen Bewer-
tungen folgen schließlich Worte und
Verhaltensweisen. Nun agieren wir
kognitiv und beeinflussen auch damit
unser Problemerleben: Wir können uns
tiefer hineinreden oder -handeln – oder
eben nicht. Das beginnt mit der Art der
Beschreibung und der Benennung des
Phänomens. Unsere Wortwahl – unser
„Framing“ – erzeugt hier Wirklichkei-
ten: Sie definiert die Beziehung, die wir
zum Phänomen haben, und sorgt so für
die entsprechenden emotionalen, so-
matischen und kognitiven Wirkungen.
„Krise“ etwa wirkt anders als „Wandel“.
Auch welche Erklärungen und
(Selbst-)Bewertung wir für ein Phäno-
men heranziehen, nimmt Einfluss auf
unsere Denk- und Handlungsspielräu-
me. „Müssen“ wir, haben wir „schuld-
haft versagt“, „bösartig“ gehandelt oder
sind wir „Opfer der Umstände“ und hat-
ten einfach nur „Pech“?
Weitere Auswirkungen auf unser
Problemerleben auf kognitiver Ebene
haben Zielvorstellungen, die sich mit
den zur Verfügung stehenden Ressour-
cen nicht erreichen lassen, an denen
wir aber dennoch festhalten. Deshalb
können Phänomene auch durch Über-
prüfung der Zielformulierung neu be-
schrieben werden, um weniger pro-
blematisch zu wirken. Grundsätzlich
bietet jede Beschreibung des Problem-
erlebens einen weiteren Ansatz für
Veränderungsbegleitung.
Was ist ein Problem?
Jedenfalls keine Tatsache – auch wenn
wir es meist so behandeln. Dahinter
steckt vielmehr unsere Bewertung einer
Situation, die mehr als vom Außen z.B.
von unserer Tagesform abhängt.
Vor allem aber hängt sie von unseren
Voreinstellungen ab, also den Geschich
ten, die wir uns in ähnlichen Kontexten
bereits erzählt haben. Die Systemtheo
rie spricht davon, dass wir wahrnehmen,
was wir erwarten, wahrzunehmen.
Zu einem Problem wird die Wahr
nehmung dann, wenn wir – so die
kon struktivistische Sicht – ein Ist
Phänomen in Diskrepanz zu einem
gewünschten SollPhänomen beschrei
ben und der Vergleich zu Ungunsten der
Wunschvorstellung ausfällt.
Der hypnosystemische Ansatz spricht
sogar von einer „Problemtrance“: Wir
verstärken das Problemerleben, indem
wir unsere Wahrnehmung einschränken
und die entsprechenden Reaktionen ent
wickeln. Denn die Bewertung entschei
det auch darüber, welche Auswirkungen
sie auf unseren Organismus haben wird.
Foto
: Van
essa
Krü
ger
18 Trainingaktuell | September 2019
SERIE SYSTEMISCHE INTERVENTIONEN
Transparenz ist Trumpf
Wenn es darum geht, den eigenen Arbeitsaufwand einzu-schätzen, verzocken sich viele. Die Gefahr, sich zu über- oder die Aufgabe zu unterschätzen, ist groß. Diese Intervention soll helfen, zu realistischeren Einschätzungen zu kommen, ohne die Selbstorganisation nicht denkbar ist.
Inspiration
Alternatives Projektmanagement mit Scrum
Dieses inkrementelle und iterative Vorgehen ist
es, das agile Ansätze für Aufgabenstellungen mit
unklaren und sich änderndem Kontext besonders
geeignet macht. In Scrum spiegelt sich dies sowohl
im Doing – den meist vierwöchigen Sprints selbst,
in denen schrittweise fertige Teillösungen erstellt
werden, – wider, als auch im wiederkehrenden Pla-
nungsprozess: dem Sprint Planning, den Sprint
Reviews und der anschließenden Retrospektive.
Hier wird immer wieder überprüft, ob das Vor-
gehen noch zielführend ist und was der nächste
logische Schritt ist. So startet jeder Sprint mit ei-
nem Sprint Planning, in dem das Projektteam zwei
Fragen beantwortet:
A Was soll und kann im nächsten Sprint entwickelt
werden?
A Welche Aufgaben müssen dazu erledigt werden?
Den Beteiligten verlangt dies einiges ab: Weil sie
sich die nächsten Schritte immer wieder selbst
erarbeiten müssen, sind sie deutlich mehr gefor-
dert als im herkömmlichen Projektmanagement,
wo es vor allem darum geht, vorgegebene Etappen
abzuarbeiten.
Selbst zu planen, ist anspruchsvoll
Damit alle Teammitglieder ein gemeinsames Ver-
ständnis für das angestrebte Sprintergebnis und den
Weg dorthin entwickeln, müssen die notwendigen
Arbeitsaufgaben und -inhalte möglichst detailliert
beschrieben werden. Zusätzlich ist aber auch eine
möglichst genaue Abschätzung des erforderlichen
Aufwands nötig. Sie ist Grundvoraussetzung dafür,
dass es keine Fehlplanung bei den vorhandenen Res-
sourcen gibt, was wiederum Zeit und Geld kostet.
Illustration: Stefanie Diers / managerSeminare, Bonn
Die Komplexität steigt. Pro-
duktlebenszyklen werden
kürzer, gleichzeitig nimmt
die Vernetzung von Produk-
ten und Services zu. Die Ent-
wicklungsprozesse werden
entsprechend dynamischer:
Häufig ist zu Projektbeginn
zwar eine mehr oder weni-
ger klare Vision der anvi-
sierten Lösung bekannt, die
konkreten Anforderungen
und Ansätze sind jedoch
unvollständig. Oft ändern sie sich zudem
im Laufe des Prozesses.
Das klassische Projektmanagement
stößt hier an seine Grenzen, da Unklar-
heit und fehlende Erfahrungswerte einer
vollumfänglichen Planung entgegenste-
hen. Alternativen bieten agile Ansätze.
Das Grundprinzip von Scrum etwa setzt
genau hier an: In zahlreichen kleinen
Schritten – sogenannten Sprints – er-
schafft und verfeinert das Projektteam
sukzessive eine Lösung und schließlich
ein Produkt.
Trainingaktuell | September 2019 19
MEHR INFOS
>> Anna Dollinger, Katharina Fehse,
Klaus Haasis: Komplexitätstrainings
für Führende erfolgreich leiten. Der
Seminarfahrplan. managerSeminare,
2019, 49,90 Euro, mit Abo-Vorteil
nur 39,90 Euro.
>> Dirk Bathen: Praxistest Delegation
Poker – Bessere Entscheidungen im
Team. www.managerseminare.de/
TA0918AR09
>> Karten-Sets für Scrum Poker (auch
Planning Poker genannt) sind leicht
selber zu machen.Bestellbar sind sie
z.B. bei:
www.planningpoker.de
www.kayenta.de
www.helloagile.de/planningpoker
Inspiration
Diese Selbsteinschätzung allerdings ist
gar nicht so einfach. Immer wieder ist in
Projektteams zu beobachten, dass sich
die Mitglieder scheuen, zu sagen, wie
lange eine Aufgabe ihrer Ansicht nach
dauert und wie viel Aufwand sie verursa-
chen wird. Diese Unsicherheiten treten
besonders bei Entwicklungsprojekten
auf, in denen die Realisierbarkeit der an-
gestrebten Lösung noch gar nicht sicher
ist, die Themenstellungen neu oder sehr
komplex sind und noch nicht komplett
durchschaut werden können.
Spielerisch Klarheit entwickeln
Und genau hier kommt Scrum Poker –
auch Planning Poker genannt – zum Ein-
satz: eine Gruppen-Intervention, bei der
mit Hilfe eines Kartensets Aufwand und
Zeitbedarf für jede Aufgabe in einem
gemeinsamen Vorgehen spielerisch fest-
gelegt werden. Das erleichtert nicht nur
die Aufgabenverteilung, sondern sorgt
auch direkt für eine entsprechende Um-
setzungsmotivation bei den einzelnen
Teammitgliedern.
Daneben hat das Spiel noch weitere
Vorteile, die Moderatorin oder Modera-
tor bei Bedarf vor dem Einsatz erläutern
können:
A Strukturierter Ablauf: Durch die Un-
terstützung eines Moderators wird
sichergestellt, dass die Diskussionen
im Zeitrahmen bleiben und Aufwän-
de für Einzelaufgaben nicht zerredet
werden.
A Unabhängige Expertenmeinungen:
Beim Scrum Poker bildet sich zunächst
jeder Teilnehmer eine eigene Meinung
über den zu erwartenden Aufwand.
Erst danach werden im wahrsten Sin-
ne des Wortes die Karten offengelegt
und darüber diskutiert. Somit umgeht
man, dass sich Teilnehmer unbewusst
von bereits genannten Zahlenwerten
beeinflussen lassen.
A Gemeinsame Schätzungen: Das Er-
gebnis des Scrum Poker ist keine
Schätzung eines einzelnen Experten,
sondern die eines Teams, das gemein-
schaftlich zu diesem Ergebnis gekom-
men ist, was wiederum dem Scrum-
Wert Commitment Rechnung trägt.
Das erhöht einerseits die Qualität der
Schätzung und andererseits die Akzep-
tanz im Team.
A Wissensverbreitung im Team: Nach
jeder Schätzung wird diskutiert und
begründet. Diese Diskussionen stei-
gern das Expertenwissen des gesam-
ten Teams, weil neue Zusammenhän-
ge bewusst und bisher unbekannte
Informationen bekannt werden.
A Einbindung aller Teammitglieder:
Beim Scrum Poker sind alle Teilneh-
mer verpflichtet, ihre Schätzungen ab-
zugeben und sie zu begründen. Somit
wird verhindert, dass sich Teilnehmer
verstecken, ihre Meinungen unterge-
hen oder nicht berücksichtigt werden.
A Spaß: Wie der Name schon vermu-
ten lässt, wird beim Scrum Poker
gespielt. Und zwar mit Karten. Der
Gamification-Ansatz verspricht jede
Menge Spaß.
Pokern in Kleingruppen
Bevor gepokert wird, stellen Moderator
oder Moderatorin den geplanten Ablauf
vor. Die einzelnen Schritte werden dazu
am besten auf einem Flipchart oder per
PowerPoint visualisiert. So kann die
Gruppe immer wieder nachlesen (sie-
he Handout). Gepokert wird einmal für
jede Aufgabe, insgesamt etwa zwanzig
30 Trainingaktuell | September 2019
HONORARVERHANDLUNGEN
Preiseinwände treffsicher parieren
„Zu teuer!“ – das bekommen Weiterbildungsprofis in Preis-verhandlungen öfters mal zu hören. Eine angemessene Antwort darauf zu finden, ist gar nicht so leicht. Marketing-experte Roman Kmenta stellt einige Möglichkeiten vor, wie sich Preiseinwände treffsicher kontern lassen.
Organisation
Foto: BreakingTheWalls/photocase.de
Wer Preiseinwän-de kontern will, braucht dafür das richtige Rüstzeug. Mit etwas Übung gelingt es aber, passend darauf zu reagieren.
Sie verkaufen Trainings, Coachings oder
Beratung? Dann kennen Sie sie sicher,
und möglicherweise nerven sie Sie: Preis-
einwände. Verbreitet und hochgradig un-
beliebt bei allen, die eine Dienstleistung
oder ein Produkt anbieten. Auch in der
Weiterbildungsbranche gibt es heutzu-
tage viele Verkaufsgespräche, in denen
der Kunde sagt: „Zu teuer!“ Viele Traine-
rinnen, Berater und Coachs sind dann
überrascht und wissen in dem Moment
nicht, was sie darauf erwidern und wie
sie solche Einwände kontern können.
Doch den Umgang mit Preiseinwän-
den kann man vorbereiten und üben.
Verkaufsgespräche die passende Antwort auf das
„Zu teuer“ der Kundin parat und sind nicht mehr
sprachlos.
Die Einwandbehandlung muss zur Preis strategie passen
Grundsätzlich muss man zwischen dem „Teuer“ und
dem „Zu teuer“ unterscheiden. Findet die Kundin
den Preis für das Angebot angemessen, will oder
kann sich eine solche Anschaffung aber nicht leis-
ten, oder hält sie den Preis für die Leistung für
unangemessen hoch? Abhängig davon gehen Sie bei
der Einwandbehandlung ganz unterschiedlich vor.
Letztlich hängt die passende Antwort von Ihrer
Strategie, der Reaktion und Person des Kunden,
der Situation bzw. dem Geschäftsfall, von der Be-
ziehung zwischen Ihnen und dem Kunden und
vor allem auch von Ihnen selbst und Ihrer Persön-
lichkeit ab. Nicht alles passt zu jedem und schon
gar nicht immer. Aber je mehr Möglichkeiten Sie
haben, Preiseinwände zu kontern, desto besser
sind Ihre Chancen, einen höheren Preis, ein höhe-
res Honorar und einen besseren Deckungsbeitrag
zu erzielen.
Klarheit schaffen
In vielen Fällen sind Preiseinwände sehr diffus
und unklar. „Zu teuer“ z.B. beinhaltet einen Ver-
gleich (das „Zu“). Nur womit vergleicht die Kun-
din? Mit ihrem Budget, mit dem, was sie dachte,
das es kosten würde, oder dem, was die Chefin als
oberstes Limit genannt hat? Daher gilt es, Klarheit
zu schaffen, bevor Sie im Preisgespräch weiterma-
chen. Und Klarheit erhalten Sie vor allem durch
Fragen.
Dabei gibt es sehr viele Mög-
lichkeiten der Einwandbe-
handlung – einige davon
stellt dieser Artikel vor.
Das ersetzt allerdings kei-
ne durchdachte Preis- oder
Verhandlungsstrategie, viel-
mehr muss die Einwand-
behandlung auf der Preis-
strategie basieren. Die hier
vorgestellten Antwortmög-
lichkeiten helfen aber da-
bei, die Strategie treffgenau
auf den Punkt zu bringen.
Damit haben Sie für Ihre
Trainingaktuell | September 2019 31
Organisation
Die Verwandten von
„zu teuer“
Der Kunde oder die Kundin sagt nicht
unbedingt „zu teuer“. Diese Formulie
rung steht vielmehr stellvertretend für
eine ganze Reihe von ähnlichen Aussa
gen. Preiseinwände können in verschie
densten Verkleidungen vorgebracht
werden, z.B.:
>> „Das ist aber schon viel!“ oder „Der
Preis ist aber schon hoch!“
>> „Was geht denn da preislich noch?“
>> „Ich biete Ihnen 1.200 Euro dafür.“
oder „Mehr als 1.200 Euro bezahle
ich dafür nicht!“
>> „Fünf Prozent Rabatt müssen Sie
da schon noch geben!“ oder „Um
fünf Prozent müssen Sie mir noch
entgegenkommen!“
>> „Da sind Sie aber (deutlich) teurer
als die anderen Angebote, die ich
habe!“
>> „Ihr Mitbewerber liegt um fünf
Prozent niedriger!“
>> „Dem Preis stimmt meine Chefin
(mein Geschäftspartner, meine
Frau, mein Mann etc.) niemals zu!“
A Warum?
Ein einfaches „Warum?“ kann sehr ent-
waffnend sein. Es lässt viel Platz für
alle möglichen Antworten des Kunden,
die wiederum für Sie mehr Klarheit
über seine Sichtweise bringen können.
„Warum?“ ist eine Frage, die der Kunde
hier von Ihnen nicht erwartet, die ihn
aus dem Konzept bringt und verwirrt.
Und Verwirrung dieser Art kann biswei-
len förderlich sein in Preisgesprächen.
A Was genau meinen Sie mit „zu teuer?“
Auch diese Frage kann leicht Verwir-
rung bei der Kundin stiften. Sie weiß
nicht genau, was Sie mit dieser Frage
meinen, und beginnt, Ihnen ihre Sicht-
weise zu erklären. Bisweilen produziert
diese Frage ganz neue Erkenntnisse für
Sie.
A Wie viel zu teuer?
Wenn der Kunde Ihnen seine Preisvor-
stellung nennt (oder die Differenz dazu)
haben Sie einen Vorteil. Oft machen
Trainerinnen, Berater und Coachs hier
den Fehler, zuerst zu sagen, wie viel sie
bereit wären nachzugeben.
A Wo genau liegt Ihre oberste Schmerz-
grenze, was den Preis betrifft?
Diese Variante der Einwandbehand-
lung veranlasst die Kundin dazu, ihre
wirklichen Limits offenzulegen, statt
nur ihren Wunschpreis bzw. ihre Vor-
stellung.
A Und werden Sie es deshalb nicht kau-
fen?
Gegenangriff ist oft die beste Ver-
teidigung. Statt zu versuchen, den
Preis einwand abzuschwächen, fragen
Sie hier den Kunden einfach, ob dieser
so bedeutend ist, dass er deshalb nicht
kaufen würde bzw. wird. Wenn der Ein-
wand eher schwach ist, wird der Kunde
gegensteuern und etwas sagen wie „Das
nicht, mir gefällt Ihr Angebot ja. Ich
wollte ja nur ...“ Und damit wären Sie
in Ihrer Verhandlungsposition gestärkt.
Wenn er bejaht, wissen Sie zumindest,
dass es ihm ernst ist.
A Gibt es außer dem Preis noch irgend-
einen Punkt, den wir klären müssen?
Diese Variante der Einwandbehandlung
ist extrem wichtig. Denn der Preis Ihres
Angebots sollte das Letzte sein, was Sie
besprechen. Das macht erst dann Sinn,
wenn genau klar ist, was die Kundin
haben will und in welcher Form. Daher
müssen vor einem etwaigen Preisge-
spräch alle anderen Unklarheiten be-
seitigt werden.
Konkurrenzvergleich
Oft kommen Preiseinwände als Kon-
kurrenzvergleich daher. Da wird ein
(angebliches) Angebot des Mitbewer-
bers erwähnt, das um einiges billiger
sei. Selbst wenn das der Fall ist, gilt
es sicherzustellen, dass auch wirklich
Äpfel mit Äpfeln verglichen werden.
Auch hier geht es wieder darum, mehr
Klarheit zu schaffen, daher arbeiten Sie
auch hier mit Fragen statt mit Aussagen
oder Argumenten zur Einwandbehand-
lung.
38 Trainingaktuell | September 2019
BERATERFRAGEN
Coaching – einKinderspiel?
Coaching ist im Grunde kinderleicht, meint Urs R. Bärtschi. Man muss nur die richtigen Fragen stellen. Dummerweise fällt uns das sehr schwer. Warum wir uns hier ein Beispiel an Kindern nehmen und wonach Coachs konkret fragen sollten, erklärt der Schweizer Coachausbilder.
Reflexion
Letzteres ist im Coaching zwar ein absolutes No-
Go. Trotzdem besteht auch hier viel Nachholbe-
darf, was das Fragen angeht. Denn Coaching ist
Begleitung in einem Lern-, Veränderungs-, und
Entwicklungsprozess. Ein Coach ist für die Pro-
zessgestaltung verantwortlich, was ein metho-
disch-strukturiertes Vorgehen erfordert – und ins-
besondere eine Gesprächsführung durch Fragen.
Denn wie sonst soll es gelingen, herauszufinden,
was den Klienten oder die Klientin bewegt, was
deren Weltbild ausmacht und was nötig ist, um
den Coachingprozess zu steuern?
Wer fragt, weiß, worum es geht
Wer wirklich interessiert, vielleicht sogar mit ech-
ter kindlicher Neugier, fragt, wird mit spannenden
Erkenntnissen über die Gefühls- und Denkwelt
des Antwortenden belohnt werden, von denen
er mehrfach profitiert. Insbesondere erleichtern
solche Erkenntnisse es Coachingprofis, den Auf-
trag klar zu formulieren. Denn der besteht nie
allein in den individuellen, oft sehr konkreten
Fragen, die Coachees immer zum ersten Treffen
mitbringen. Diese Fragen haben sie meist Wochen
oder Monate hin- und hergewälzt und vor sich
hergeschoben, bis ihnen klar geworden ist, dass
sie professionelle Hilfe brauchen oder zumindest
sehr von ihr profitieren würden. Dann formuliert
eine Managerin ihr Anliegen im Einstiegsgespräch
beispielsweise so: „… unter Druck reagiere ich so,
dass …“ Ein leitender Angestellte sagt: „Herr Meier
löst bei mir das Gefühl aus, dass ...“
Das so präsentierte Thema ernst zu nehmen, ist
sehr wichtig. Denn es offenbart die Auslöser, die
den Wunsch nach einem Coaching geweckt haben.
Sich diese Auslöser und Trigger bewusst zu machen,
hilft Coachees, später schwierige Situationen besser
Foto: imageSource
Kinder stellen andauernd Fragen – bis zu 400 am Tag. Diese kindli-che Neugier kann Coachs als Vorbild dienen. Denn die richtigen Fragen öffnen Lernfenster für Coachees.
Ein vierjähriges Kind stellt fast 400
Fragen pro Tag: unbefangen, instinktiv
und einfallsreich. In den ersten Jahren
kommen auf die Art rund 40.000 Fragen
zusammen. Für Eltern oft ein Grund,
zu stöhnen. Doch die Fragen sind not-
wendig, damit sich in den Köpfen der
Kleinen Synapsen bilden. Schlaue Men-
schen wissen das. „Man lernt nur, wenn
man fragt“, sagt etwa der japanische
Investor und Aktivist Joichi Ito.
Recht hat er. Das Problem: Anders als
Kinder stellt der erwachsene Mensch
leider kaum noch Fragen.
Sei es, weil wir glauben, al-
les schon zu wissen, oder
sei es, weil wir einfach
Coolness und Souveränität
beweisen wollen – fast alle
Erwachsenen haben sich
das Fragen abgewöhnt. Oft
ist es sogar noch schlim-
mer: Dann werden schon
Ratschläge ausgeteilt, bevor
überhaupt genauer nachge-
fragt wurde.
Trainingaktuell | September 2019 39
Reflexion
zu erkennen, und versetzt sie in die Lage,
„vorzudenken statt nachzudenken“: Sie
lernen, sich bewusst auf eine Situation
einzustellen und alternative Handlungs-
möglichkeiten zu ergreifen.
Doch neben diesen bewussten Fra-
gen stehen meist auch unbewusste,
nicht reflektierte Themen im Raum.
Denn die Coachees selbst übersehen
gern ihre blinden Flecken. Ihre wahren
Themen verstecken sich oft hinter den
offen formulierten.
Wer fragt, schafft Vertrauen
Die psychologischen Menschenkennt-
nisse, die Coachs brauchen, um diese
wahren Themen aufzuspüren und zu
verstehen, entstehen, wenn sie ihr
Wissen mit einer guten Wahrnehmung
kombinieren: Während sie beobachten,
wie ihr Gegenüber auf ihre Fragen re-
agiert, sollten sie dazu für sich selbst
den folgenden Leitfragen nachgehen:
A Wie ist der Coachee gestrickt? Ist er
beispielsweise schüchtern, resolut, ge-
hemmt …?
A Worin liegt der Kern sei-
ner Persönlichkeit? Ist sie
zum Beispiel Macherin oder
eher Zweiflerin? Ist er Träu-
mer oder Pragmatiker?
A Was sind die Antreiber?
Sucht sie nach Macht oder
Anerkennung? Strebt er
nach Unabhängigkeit, Si-
cherheit oder Status?
Auf der Basis dieser Antwor-
ten und Wahrnehmungen
können Coachs dann eine
Beziehung gestalten, in
der sich ein Coachee sicher
fühlt – etwa indem sie die
Verhaltensweisen ihres Ge-
genübers spiegeln oder die
Motive ihrer Klientin aner-
kennen.
Das ist wichtig, denn die
gefühlte Geborgenheit ent-
scheidet über die gedankli-
che Bewegungsfreiheit: Nur
wo sich der Mensch gut auf-
gehoben fühlt, ist er bereit,
etwas Neues auszuprobieren.
Coachs sollten deshalb die Macht von Soft Skills
nie unterschätzen: Die gelebte Sozialkompetenz
ist ein entscheidender Faktor für ihren Erfolg.
Wer fragt, hilft beim Lernen
Drittens sind Fragen auch deshalb das Herz des
Coachings, weil sie für Coachees ein Lernfens-
ter öffnen: Sind sie gut, ermöglichen sie dem
Gegenüber klare Antworten, die sie oft selbst
überraschen. So gelingt es ihnen im Idealfall so-
gar, die innere Denkwelt des oder der Gefragten
zu erweitern.
Deshalb unterstützen Fragen auch bei der Be-
wältigung der Herausforderungen, die stets die
übergreifenden Ziele eines Coachings sind:
A Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen,
A selbstverantwortliches Handeln zu ermöglichen
sowie
A dem Coachee zu helfen, persönliche Stärken
und Kompetenzen zu entdecken und diese ein-
zusetzen.
Das geeignete Werkzeug dafür heißt Selbstreflexi-
on: Sie ermöglicht es einem Menschen, die Rolle
des Passagiers zu verlassen und Pilot der eigenen
Gedanken zu werden. Das aber ist Voraussetzung
für die optimale Selbststeuerung.
Fragen öffnen Lernfenster für Coachees: Sind sie gut, überraschen sich diese oft
selbst mit klaren Antworten.
Trainingaktuell | September 2019 43
TRAININGSSPITZEN
Marketing à la Birkenbihl
Sich selbst mit Superlativen anpreisen. Social Media pene-trant mit seinem Angebot fluten. Ein unglaubliches Nutzen- versprechen nach dem nächsten raushauen. In die Marke-tingkommunikation von Weiterbildungsprofis haben sich einige Unarten eingeschlichen, findet Siegfried Haider. Er sehnt sich zurück nach Vera F. Birkenbihl, für die Marketing vor allem eines bedeutete: exzellent sein.
Reflexion
Ureigene Ideen zum Wohl der Zielgruppe
Marketing bestand für sie darin, Exzellenz zu
produzieren und exzellent zu sein. Darüber hin-
aus konnte sie Marketing kaum buchstabieren. In
Anlehnung an Gabor Steingarts Bezeichnung „Bio-
Ökonom“ für Prof. Hans-Werner Sinn könnte man
Vera F. Birkenbihl als „Bio-Trainerin“ bezeichnen:
Sie produzierte noch selbst, organisch und mit Lie-
be. Sie nahm sich die Zeit für ureigene Ideen zum
Wohl ihrer Zielgruppe. So wie Vera F. Birkenbihl
die Branche sah und machte, so habe ich die Bran-
che geliebt. Bio-Trainer/-innen sind jedoch eine
Spezies, die man heute leider kaum noch findet. In
der Branche haben sich einige Unarten eingeschli-
chen, vor allem in der Marketingkommunikation.
Vieles davon hätte Birkenbihl angeprangert. Ich
frage mich auch:
1. Warum rennen so viele zu Trainer- und Spea-
ker-Ausbildungen, die wie Pilze aus dem Boden
schießen? Es scheint, als ob jeder, der etwas sein
will, auch eine Ausbildung anbieten muss. Viel-
leicht liegt es daran, dass diese Anbieter mit „Es
braucht nicht viel …“, „Alles ganz einfach …“, „Nur
ein bisschen Inszenierung …“ und Ähnlichem
das leichte, schnelle Geld versprechen und auch
selbst verdienen wollen – mit einer Schwemme
von Instant-Experten und -Expertinnen als Folge.
Oder aber es liegt daran, dass die Teilnehmenden
schlicht ignorieren, dass es das Schlaraffenland,
bei dem einem die Aufträge von alleine zufliegen,
wenn man nur die „richtige“ Ausbildung absolviert
hat, einfach nicht gibt.
Mut zur Eigenwilligkeit
Mein Appell: Einfach mal die individuell
notwendigen, wenn auch teils aufwendigen
Vorsicht: spitz! In Training aktu-ell betrachten Marktteilnehmer ihre Branche – und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund.
Foto: chriskuddl, Zweisam/photocase.com
Ich wünsche mir die Birkenbihl zurück! In den
90er-Jahren war Vera F. Birkenbihl die bekannteste
Managementtrainerin hierzulande. Sie hatte die
allerhöchsten Seriositäts- und Qualitätsansprüche
an Trainerinnen und Trainer, die bei ihren Veran-
staltungen auftraten. Sie empfahl und vertrieb
nur Bücher mit geprüfter Quellen- und Zitierkon-
sequenz. Die Vorbereitungszeit, die sie für ein
neues Tagesseminar oder einen Vortrag investierte,
erreichen viele Trainer und Speakerinnen heute
das ganze Jahr lang nicht.
44 Trainingaktuell | September 2019
Reflexion
Hausaufgaben machen zum professi-
onellen Dreiklang: Top-Marke, Top-
Angebote, Top-Service. Visualisiert
auf einer professionellen Website mit
Wow-Videos, Aha-Content und einfa-
chen Kontakt- und Community-Einla-
dungen, um sich von den 80 Prozent
der leider schlecht gemachten Web-
sites von Trainern und Trainerinnen
abzugrenzen. Und dazu regelmäßige
zielgerichtete Einkäuferpositionie-
rung plus den Mut zur birkenbihlschen
Eigenwilligkeit der Marke.
2. Warum spielen so viele Experten
und Expertinnen beim Honorardum-
ping mit und tragen damit aktiv dazu
bei, dass es immer schlimmer wird?
Einkäufer nutzen das zu Recht aus. Und
Trainerinnen und Speaker meinen, mit-
machen zu müssen,
A weil es zu viele von ihrer Sorte gibt,
A weil es alle machen,
A weil es erwartet wird …
Mein Appell: Honorarausnahmen
sind nicht die Regel! Weiterbildungs-
profis sollten sich ein Honorarmodell
geben, das ihrem Status entspricht –
nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Und ein Kurs in Sachen Preisverhand-
lungsgespräche schadet nie.
Communitys nach dem Pull-Prinzip
3. Warum verschenken so viele Ex-
pertinnen und Experten so viele ihrer
Inhalte? Webinare sind nahezu alle
kostenlos geworden, für Seminar tage
werden im Vergleich zu früher nur noch
symbolische Preise verlangt. Bücher,
teils sogar Bestseller, werden einfach
verschenkt. Kunden fragen schon: So
ein kurzer Vortrag am Abend kostet
doch nichts, oder? Klar – man findet
jeden Content eh irgendwo gratis im
Netz.
Weiterbildungprofis verschenken ihren
Content vor allem mit dem Ziel, E-Mail-
Listen oder (vermeintliche) Communi-
tys aufzubauen – heutzutage angeblich
die Universallösung für alle Probleme.
Die werden dann selbstverständlich
systematisch und automatisch umsatz-
maximiert. Nur: Eine Community rein
zum Absaugen von Umsatz aufzubauen,
funktioniert nicht.
Die Birkenbihl-Fangemeinde war
eine Community – eine echte! Sie
kannte sich und freute sich darauf,
sich zu treffen und gemeinsam etwas
zu erleben. Die Community liebte die
Hauptperson (Birkenbihl), ihre Sache
und die Qualität und kaufte daher ger-
ne – ohne großes Auto-Push, sondern
mit Auto-Pull.
Mein Appell: Geschenke ja, aber in
Maßen. Echtes Interesse an den Men-
schen mit einem ehrlichen Commu-
nity-Mehrwert-Konzept auch ja – aber
auch das bitte in Maßen.
4. Warum verfolgen einige Exper-
ten (Frauen machen diesen Quatsch
kaum!) ihre Zielgruppen mittels kaum
ertragbarer Penetranz? Seit die DSGVO
das klassische Mailing & Co. erschwert
und damit reduziert hat, fließen die
Milliarden zu Facebook und anderen
Social Media in „intelligente“ Funnel-
Konzepte, Retargeting u.ä. Manche Ge-
sichter und Marken der Branche fluten
die Timelines regelrecht mit ihrem
gesponserten Gesicht bzw. ihrem An-
gebot. Einmal geklickt, verfolgen einen
die Banner und Suchmaschinenwer-
bungen bis zum Erbrechen. Das nervt!
No-Go-Strategie: Nerven, bis jemand bucht
Oft habe ich den Eindruck, dass die
Taktik dahinter steht: einfach so lange
auf die Nerven gehen, bis jemand klickt
und bucht. Unglaubliche Nutzen- und
Heilsversprechen dominieren, echtes
Beziehungsinteresse ist nicht erkenn-
bar. Es entsteht der Eindruck, dieser
Trainer/Speaker ist so wichtig und ge-
bucht, dass er überall präsent ist. Dieser
SEO-SEA-SEM-SMA-SMM-Wahnsinn ist
in dieser Dimen sion nur eines: schäd-
lich!
Mein Appell: Dosierung und Indivi-
dualisierung lernen! Die Mittel sind
gut, aber wie bei der Performance
macht die Pause die Wirkung und das
Customizing den Erfolg.
5. Warum glauben eigentlich so
viele angebliche Online- und Auto-
matisierungs-Gurus, dass ein großer
Teil ihrer Mailing-Liste blöd ist? Ja,
auch ich kenne leider Beispiele, wo
bei achtstufigen Mailingstrecken die
letzten E-Mails die besten Verkaufs-
zahlen erzielen. Aber ist es deshalb
legitim, die gesamte Liste acht Mal
mit Betreffzeilen wie
A „Ich verschenke ein Buch“,
A „Einmalige Gelegenheit“,
A „Nur noch heute“,
A „Verlängerung aufgrund unglaubli-
cher Nachfrage“,
A „Letzte Erinnerung: Nimm dieses
Buch mit“,
A „Allerletzte Chance für das Buch“,
A „Buch-Rekord: Sei auch du noch da-
bei“
für dumm zu verkaufen? Kundinnen
und Kunden wollen nicht bombardiert,
sondern kunstvoll verführt werden.
Mein Appell: Es geht nicht darum,
die Zugänge zur Liste mit allen Mit-
teln höher zu halten als die Abgänge,
sondern die Abgänge zu minimieren
und die Bestellzahlen zu optimieren
– was weniger mit Menge und Maxi-
mierung, sondern mit Qualität und
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