Über die Glykoside der Digitalisblätter

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XVIII.

Aus dem Allgemeinen Chemisehen Universit~tslaboratorium GSttingen.

Uber die Glykoside der Digitalisbl~tter.

Von

A. W i n d a u s .

(Eingegangen am 1. VIII. 1928.)

In zwei ausffihrliehen und sorgfiiltigen Arbeiten 1) hat M. C loe t t a seine Studien uber die Darstellung und die ehemisehe Zusammensetzung der aktiven Substanzen aus den D i g i t a l i s b l i i t t e r n niedergelegt2). Er kommt zu dem Ergebnis, da6 drei wirksame Glykos ide in den Bli~ttern vorkommen, das D i g i t o x i n , das B i g i t a l i n e rys ta l l . (Gi- tox in) und das Gi t a l in c rys ta l l . C loe t t a hat diese drei Glykoside in vorzfiglieher Reinheit dargestellt und hat sie sehr genau eharakterisiert, seine Arbeiten bede~ten sicher einen Fortsehritt in der Erforsehung der Digitalisglykoside. Um diese]be Zeit wie C loe t t a babe aueh ich reich mit dem Dig i t o xin und dem Gi tox in (Bigitalin erystall.) besehiiftigt 3) und bin zu etwas anderen Ergebnissen gekommen wie Cloe t ta . Ich nehme an, dab es fiir den Pharmakologen yon Interesse ist, die ver- sehiedenen Auffassungen fiber die l~atur der Digitalisglykoside kennen zu lernen, und will kurz dartiber berichten.

Digitoxin. Cloe t t a s sehr reines Digitoxin hat bei der Verbrennung 64,19 % C

und 8,66% H gegeben; genau dieselben Zahlen haben auch Freese und ich gefunden. Bei der S p a l t u n g des Digitoxins mit verdfinnter alkoholiseher Salzsiiure, glaubt C loe t t a 1 Ygol. Dig i t ox igen in C2r

1) Arch. f. exp. Pathol, u. Pharmakol. 1920, Bd. 88, S. 113; 1926, Bd.ll2, S. 261. 2) Eine kurze Ubersicht tiber die friiheren Arbeiten yon ~ a t i v e l l e ,

S c h m i e d e b e r g , K i l i a n i und Kra f t findet sich 1Naehrichten v. d. Gesellsch. d. Wissenschaften zu Giittingen 1924, S. 237.

3) Chem. Ber. 1923, Bd. 56, S. 2004; 1924, Bd. 57, S. 1386; 1925, Bd. 58, S. 1515 und 2503. Nachrichten v. d. Gesellsch. d. Wissensehaften zu Giittingen 1926, S. 1 und 170; 1927, S. 422.

2 Mol. Dig i toxose C6H120 a und 1 Mol. eines 51igen Stoffes CsHI~O 4 aufgefunden zu haben; bei der t h e r Ini s che n Spaltung des Digitoxins hat er ein kldstallisiertes S u bli m at erhalten, dem er ebenfalls die Formel CsHIr162 zuschreibt. Aus diesen Spaltstiicken sowie aus der Analyse und der Molekulargewichtsbestimmung des Glykosids, leitet C loe t ta die Formel Cr162 ab und Iormuliert die Spaltung folgendermafien:

C~:~H70014: -~- 2 H20 = C24H3604 -~ 2C6H1204 -~ CsHI~O ~.

Wie Schwar t e und ich nachgewiesen haben0, ist das aus dem Digitoxin entstandene Sublimat eine ~>Anhydro-digitoxose<< vom Charakter des Rhamna]s und besitzt die Formel C6Elo03, w~hrend das >>(~l<< ein Einwirkungsprodukt der alkoholisehen Salzsi~ure au~ Digi- toxose darstellt und im wesentliehen aus ~ t h y l - d i g i t o x o s i d besteht. Die von Cloe t ta als CsH~r formu]ierten Spaltstiieke sind also Um- wandlungsprodukte der Digitoxose, und an ihre Stelle mu~ 1 Mol. Digi- toxose treten. Die Formel C4r oO~r kann daher - - entgegen C1 o e t t a s Ansicht 2) - -n ich t beibeha]ten werden. Aus den Spaltstiicken des Digi- tox ins (1 Mol. Digitoxigenin und 3 Mol. Digit0xose) wiirde sich die Formel C4eE6601a ableiten lassen:

C42H66013 -~ 3I-I20 : C24I-t3604 27, 3CGH1204.

Diese Formel verlangt indessen 64,74 % C, also 0,55 % C mehL als sowohl C1 o e t t a wie ich gefunden haben. Als Ausweg aus dieser Schwierig- keit habe ich zuni~chst auI die ~Sgliehkeit hingewiesen, da~ Digitoxin 1/~ ~ol. Kristallwasser enthalt und auch im Vakuum bei 100 ~ nieht ab- gibt; eine Formel C42I-I66013 . 1 /2I- I20 wtirde auf die gefundenen hna- lysenzahlen gut passen. Eine sorgfgltige 5Taehprtffung der frtiheren Arbeit hat abet zu einer anderen LSsung gefiihrt. Es hat sieh ni~mlieh herausgestellt, dal3 das Digitoxigenin nicht die Formel Cer son- dern die Formel CeaHar besitzt. Fiir das Digitoxin leitet sieh hieraus die Formel C~1II6r ab, die mit den Analysen in guter Ubereinstim- mung steht. Die Spaltnng wird dutch die folgende Gleichung wieder- gegeben:

C41H64013 -~- 3 I{20 = 023H340 4 -,~ 3 C6I{1204.

Fiir die Ableitung der Formel des Digitoxigenin s hat sieh als be- sonders wiehtig eine Dikarbonsiiure CeaHar erwiesen, die auf iiber- sichtliehem Wege aus dem Digitoxin hervorgeht. Die weitere Unter-

1) bTachrichten v. d. Gesellsch. d. Wissenschaften zu G(ittingell I926~ S. 1. 2) Arch. f. exp. Path. u. Pharmakol. 1926~ Bd. 112~ S. 338.

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suchung des Digitoxigenins hat ergeben, dag es ein einfach ungesi~ttigtes :Oioxy-lacton 1) ist; die eine Hydroxylgruppe spaltet es sehr leieht ab unter Bildung einer zweiten Doppelbindung; die zweite Hydroxylgruppe gehSrt einer sekundi~ren A]koholgruppe an, die in einem hydroaromati: sehenRinge neben einer Methylengruppe steht. Das ges~ttigte Stamm- l act on des ]~igitoxigenins besitzt die Formel C28H3602.

Gitoxin (Bigitalin crystall.). Das Gitoxin ist das in Alkohol und in Chloroform fast unl(isliche

Glykosid der. Digitalisb]i~tter. Diesem Glykosid erteilt Cloetta den ~amen Bigi ta l in erystall, und die Formel C~oIt6r Die Spaltung formuliert er ~olgenderma~en:

C~oH6~014 + 3H~O = C22H8405 + 3C6H120~.

Cloetta und ieh stimmen darin iiberein, dal~ das Gitoxin bei der Hydrolyse 1 Mol. Genin und 3 Mol. Digitoxose liefert. Uberraschender- weise babe ieh aber beim Gitoxigenin und seinen Derivaten regelmi~l~ig mehr Kohlenstoff gefunden al~ Cloetta. Ich glaube mit roller Sicher- heir nachgewies~n zu haben, da~ das Gitoxigenin (~-Bigit~ligenin) nicht die Formel C22H3405, sondern die kohlenstoffreiehere Formel Ce3Har besitzte); es enthi~lt nur eine Doppelbindung und nicht zwei, wie Cloetta behauptet; es spalte t sehr leieht 2 Mol. Wasser ab und bildet ein ~ o n o o x y l a c t o n , das entgegen Cloettas Annahme drei Doppelbindungen besitzt. Dieses Monooxylaeton ist mit dem Digi tal i - genin identiseh, das Kil iani bei der Spaltung des Samenglykosids Dig i ta l inum verum erhalten hat.

Naeh der bier entwickelten Auffassung, ist das Gitoxigenin ein !)Oxy-digitoxigenin, und das Gitoxin ein Oxy-digitoxin. Es be- sitzt also die Formel C~1H640~t und wird durch Salzsiiure nach folgender Gleichung gesp~lten:

C41H64014 --~ 3HeO = C23H340 5 -~ 3C6Hi20 4.

Gitalin erystall. Hier sind die Abweiehungen zwisehen Cloettas und meinen Ergeb-

~iissen yon besonderer Bedeutung. Gitalin ist ein yon C!oetta zu- erst rein dargestel!tes Glykosid, das in Alkohol, Chlorofol~a, Azeton

1) Da dem I)igitoxigenin nur zwei ttydroxylgruppen zur Bindung der 3 Moi. Digitoxose zur Verfiigung stehen, miissen mindestens 2 Digitoxosemolekiile disaccharidartig miteinander verkniipft sein.

2) Urspriinglich hatten S c h w a r t e und i c h ~die Formel .C,24H3605 angenpmmen.

256 XVIII. ~k. W]:NDAUS.

und siedendem Essigester leicht 15slich ist; es zeigt einen ahnlichen Schmelzpunkt wie Digitoxin, es unterscheidet sieh aber yon diesem dutch die Krista]lform und durch sein u bei der Kel ler - Ki l iani - schen Farbreaktion.

Sehr auffallend ist es, da~ das Gitalin bei der )[olekulargewichts- bestimmung durch Gefrierpunktserniedrigung einen Weft yon 317 liefert, wahrend die anderen Glykoside der Digitalispflanze ein etwa doppelt so hohes Molekulargewieht besitzen. E s ist mir wahrscheinlich gewesen, dal~ diese ~olekulargewichtsbestimmung dutch eine Feh l e rque l l e (Kristallwasser?) entstellt ist; ich babe darum den Wert auf titrimetri- schem Wege dutch Bestimmung des ~ q u i v a l e n t g e w i e h t e s nachzu- prtifen gesucht. Diese ~[ethode, die sich beim Digitoxin und Cymarin als zuverli~ssig erwiesen hat, lidert beim Gitalin den Weft 720. Ich halte also das yon Cloe t ta angenommene Molekutargewieht fiir viel zu niedrig. Auch fiir das Aglykon des Gitalins, fiir das Gi ta l igen in finder Cloe t ta das auffallend niedrige Molekulargewicht yon 201. ttieraus und aus seinen Analysen leitet er fiir das Gitaligenin die Formel CllI-I1sOa abl). Indessen besitzt naeh einer yon Prof. Karrer-Ztirieh durehgeftihrten Titration auch das Gitaligenin ein ~quivalentgewicht, das etwa doppe l t so gro~ ist wie das yon Cloe t ta angenommene Molekulargewieht.

Es gibt aber noeh weitere Tatsachen, die mit einer Formel C11H~ s0a fiir das Gitaligenin unvereinbar sind. So bestehen zwischen dem Gitali- genin und dem Gitoxigenin ganz merkwiirdige Beziehungen. Bei der Azetylierung und der Benzoyliertmg geben beide Genine dieselben Azyl- derivate; auch bei der Wasserabspaltung liefert das Gitaligenin das- selbe Amhydroderivat wie das Gitoxigenin; ja sogar bei der in alkoho- liseher LSsung vorgenommenen ttydrierung des Gitaligenins entsteht d a s s e lb e Hydrierungsprodukt wie aus dem Gitoxigenin.

Cloe t ta deutet alle diese Befunde durch die Annahme, da]~ sieh das Gitaligenin au~erordentlich leicht und unter den verschiedensten Bedingungen zum Gitoxigenin kondensiere

2CllHls03 = C22H34:05 -{- H20.

In d iesem Be~unde sieht Cloe t ta das Neue und G r u n d l e g e n d e seiner Untersuchungen, er betont, da]5 bier im Prinzip zum erstenmal eine Syn these in der D ig i t a l i s ehemie gegliickt sei, u n d e r erteilt zur Unterstreichung dieses Ergebnisses dem Gitoxin und dem Gitoxigenin die neuen Namen Big i ta l in und Big i ta l igen in .

1) Dem Gitalin erteilt er die Formel CI~H:s06.

Uber die Glykoside der Digitalisbl~itter. 257

Ich glaube, dab Cloe t ta hier einem Irrtum unterlegen ist. Es ist ja chemisch vSllig unversti~ndlich, da~ 2 1~ot. einer Verbindung C11HlsOa zu einem einfach unges~ttigten Trioxylacton C2~H3405 zu- sammentreten kSnnten; zudem besitzt das T r i o x y l a c t o n gar nicht die Formel Ceettar sondern C23H3~05, und endlich hat das Gitali- genin dasselbe Molekulargewicht wie das >> Bigitaiigenin <(.

l~ach meiner Auffassung ist Gitaligeni, n nichts anderes wie ein ~>Gitoxigenin-hydrat<~, das unter verschiedenen Bedingungen sehr leicht 1 1Viol. Wasser abspaltet 1) und darum dieselben Derivate gibt wie Gitoxigenin. Es besitzt also die Formel CeaHa606 und dtirfte nach Cloet tas quantitativen Bestimmungen im Gitalin mit 21~ol. Digi- toxose verkniipft sein

Cas~I5601e -k 2HeO ~- C23H3606 "~ 2C6HleOa.

Demnach hat das Gi ta l in wahrscheinlich die Formel CasHsGOle. Will man fiir dieses, yon C 1 o e t t a ent deckte Glyko sid den l~amen Gi t ali n beibehalten, so ist es nicht statthaft, das Gitoxin als Bigitalin zu be- zeichnen, da dieser Benennung eine unrichtige Hypothese zugrunde liegt; es scheint mir vielmehr richtig, den yon fair gewiihlten l~amen Gitoxin beizfibehalten.

Als wesen t l i ches E rgebn i s meiner Arbeiten mSchte ich zwei P u n k t e hervorheben:

1. W/~hrend Cloe t ta den Aglykonen der Digitalisglykoside sehr verschiedene Formeln (Ce~H~604, CeeH340~, C11Hls03)erteilt hatte, tritt nunmehr die nahe Verwandtschaft zwischen diesen Geninen noch deutlicher hervor. Die sorgfaltig studierten sind D i g i t ox i gen i n Ce3HaaOa, Gi tox igen in Ce3H3a05, also ein O x y - d i g i t o x i g e n i n , Gi ta l igen in Ce3H8606, also ein O x y - d i g i t o x i g e n i n - h y d r a t , Stro- p h a n t i d i n C28H3e06, also ein Oxo-oxy-d ig i tox igen in . Diese Genine linden sich in den aktiven Glykosiden der pflanzlichen Iterzgifte mit v e r s c h i e d e n e n Zucke rn verbunden:

C41H6aOla + 3H20 = C2~HsaO~ + 3C6HI~Oa Digitoxin Digitoxi- Digitoxose

genin

C41H6~014 -[- 3HeO = Ce3H~405 -b 3C6H1204 Gitoxin Gitoxigenin Digitoxose

1) Die Beziehungen, die Kraft ftir das Gitalin und Anhydrogitalin (Gitoxin) angenommen hat, treffen also fiir die Aglykone zu. Arch. d. Pharmacie 1912, Bd. 250, S. 118.

258 XVIII. A. WINDAUS.

C36H56014 @ 2H20 = C23Ha405 + CGHle06 + C7Har Digitalinum Gitoxigenin Glukose Digitalose

verum

C30114600 q- H20 = C2aHa405 -~- CTHI~05 Oleandrin Gitoxigenin Digitalose (?)

C35H56012 -~ 2H20 = C~att3606 ~ 2C6H120~ Gitalin Gitoxigenin- Digitoxose

hydrat

CaoH4r 9 + It20 ~ C2aH3206 -k CTH140a Cymarin Strophan- Cymarose

r

C36H5401~ -~- 2H20 -= C23H320 6 -~- C6H1206 -~ C7I-I140 4. k-Strophan- Stroph~n- Glukose Cymarose.

thin tidin

Es ist nicht ausgeschlossen, dab auch das A n t i a r i n hierher gehSrt. 2. Alle gut untersuchten Aglykone der aktigen Glykoside sind 0 xy-

l ac tone , die in ihrem Kohlenstoffgertist einen Komplex yon vier hydr i e r t e I l Ringen enthalten; sie stehen daher in ihrem Bau den S te r inen und den Gallensi~uren nahe und h/ingen vMMcht auch genetisch mit den Sterinen zusammen. Nur die Ag!ykone der Scil la- gly k o si d e scheinen nach S t o ll s Untersuehungen einem anderen Typus anzugehSren.

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