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Die ukrainische Regierung ist bemüht, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Korruption zu demonstrieren. Die ukrainischen Bürger aber bleiben skeptisch. Sie wollen diesen Kampf kontrollieren und mitgestalten.
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Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 1
Die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption
Oleg Friesen
Die ukrainische Regierung ist bemüht, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Korruption zu de-
monstrieren. Die ukrainischen Bürger aber bleiben skeptisch. Sie wollen diesen Kampf kontrollieren und
mitgestalten.
Dubiose Szenen spielen sich in Kiew ab. Während einer Kabinettssitzung verhaften Sicherheitskräfte
vor laufenden Kameras den Chef des ukrainischen Katastrophenschutzes und seinen Stellvertreter. Der
Vorwurf: korrupte Machenschaften bei der Vergabe eines Staatsauftrags. Sofort kommentiert Innen-
minister Arsen Awakow den Vorgang als „Impfung“ gegen Korruption unter hohen Beamten.
Während sich viele ukrainische Medien vor allem über die theatralische Inszenierung des Vorfalls mo-
kieren, sehen andere darin den Beginn einer neuen Antikorruptionspolitik, in der auch Beamte der
höchsten Regierungsebene wegen korrupter Machenschaften strafrechtlich verfolgt werden können.
Die Korruption ist das vielleicht größte Problem der Ukraine, das alle Ebenen des Staatsapparats be-
trifft. Sie lähmt die politische und wirtschaftliche Entwicklung und verhindert die Durchführung von
Reformen, die für das Land überlebenswichtig sind. Jedes Jahr versickern so Milliarden dringend benö-
tigter Gelder. Ungeachtet der bescheidenen Lebensverhältnisse vieler Menschen leisten sich viele
Staatsbedienstete ein maßlos luxuriöses Leben. Insbesondere die Vergabe öffentlicher Aufträge an
staatseigene Betriebe ist ein Einfallstor für Korruption. Auch unter der neuen Regierung soll der Staat
bereits 3,5 Billionen Hrywnia (etwa 150 Millionen USD) bei der Vergabe überteuerter Aufträge verlo-
ren haben, beklagt der frühere Vorsitzende der Staatlichen Finanzinspektion Mykola Hordienko in ei-
nem Artikel der Kyivpost.1 Obwohl Hordienko selbst aufgrund eines Korruptionsskandals entlassen
wurde, fanden seine Anschuldigungen gegen die Regierung ein breites öffentliches Echo.
Der Kampf gegen die Korruption war eine Hauptforderung des Majdan, der „Revolution der Würde“,
wie die meisten Ukrainer das Einstehen für ihre Rechte vor einem Jahr nennen. Zurzeit entstehen in
der Ukraine staatliche Strukturen, welche die Korruptionsbekämpfung institutionalisieren sollen. Das
Parlament und das Ministerkabinett können bereits auf solche Strukturen zurückgreifen. Ein neu ge-
schaffenes Anti-Korruptionsbüro des Präsidenten der Ukraine ist zurzeit im Aufbau.
1 http://www.kyivpost.com/content/ukraine/ex-top-financial-inspector-says-yatsenyuk-is-corrupt-385835.html
Hintergrund:
Ukraine
Nr. 30 / 20. Mai 2015
Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 2
Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die Möglichkeit, diese Institutionen mitzugestalten und
zu kontrollieren. Think-Tanks und andere bürgerliche Initiativen arbeiten aktiv an Strategien und Ge-
setzesvorlagen mit. Das Antikorruptionsbüro etwa geht gänzlich auf eine NGO-Initiative zurück.
Die ukrainische Regierung zwischen Krieg und Reformdruck
Wenn man aber über den Kampf der
Ukraine gegen die Korruption
spricht, muss man auch die besonde-
re Lage im Blick haben, in der sich
das Land befindet. Der Waffenstill-
stand im Osten ist brüchig. Ein wei-
teres Vordringen der sogenannten
Separatisten,2 etwa auf die 500.000-
Einwohner-Stadt Mariupol, ist eine
reale Bedrohung. Der Krieg ist auch
in der Hauptstadt Kiew gegenwärtig.
Auf den Straßen begegnet man uni-
formierten Männern und Frauen.
Freiwillige sammeln Geld für Ver-
wundete und die Angehörigen von Gefallenen. In der Untergrundbahn „Metro“ findet man Plakate, die
für preisgünstige Beinprothesen werben. Der Unabhängigkeitsplatz im Herzen Kiews ist zu einem Ort
allgemeinen Gedenkens geworden, an dem Menschen nun auch Kerzen und Blumen für die Gefallenen
niederlegen.
Die Korruption ist also nur eine von vielen zentralen Herausforderungen – aber von ihrer Bewältigung
hängt die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes ab. Die Regierung schreibt
sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen. Aber Bürger hegen nach wie vor Zweifel, dass er für
sie Priorität hat. Sie misstrauen der Staatsspitze, etwa weil Präsident Poroschenko sein Wahlverspre-
chen – sein Schokoladenimperium „Roshen“ zu verkaufen – nicht eingelöst hat. Hartnäckig halten sich
auch Gerüchte, Premierminister Arsenij Jazeniuk oder der Kiewer Bürgermeister Witalij Klitschko seien
in korrupte Geschäfte verstrickt. Beide weisen dies vehement zurück.
Ein immer beschwerlicher werdender Alltag führt bei vielen Bürgern zudem zu Unzufriedenheit mit der
Regierung, von der die Menschen eigentlich Schritte erwarten, die ihren Alltag erleichtern sollen. Viele
sind einem gravierenden Anstieg ihrer Lebenshaltungskosten ausgesetzt. Die Tarife für Gas haben sich
seit dem 1. April verdoppelt und dürften sich bis zum Jahresende versechsfachen; die Tarife für Elektri-
zität und Wasser sind, regional unterschiedlich, um bis zu 20 Prozent gestiegen. Grundnahrungsmittel
wie Brot kosten 20 Prozent mehr. Dabei erleben die Ukrainer einen rapiden Verfall ihrer Währung: Die
Inflation hat im April dieses Jahres 45 Prozent erreicht. Die Löhne aber stagnieren – und sind wegen
des Währungsverfalls weniger Wert als zuvor. Seit Monaten belagert eine sich „Finanzmajdan“ nen-
nende Gruppe das Finanzministerium.
2 Aufgrund des hohen Anteils ausländischer, vor allem russischer, Freiwilliger und Söldner in den Formationen der sog.
„Volksrepublik Donezk (DNR)“ und „Volksrepublik Lugansk (LNR)“ sowie der Verwicklung offizieller Angehöriger der Streit-
kräfte der Russischen Föderation ist der Separatismus-Begriff fragwürdig.
Der Majdan heute / Foto: Oleg Friesen
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Aber gerade weil die wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen das gesamte Land steht, enorm
sind und sich das Potenzial der Ukraine nur bei erfolgreichen Reformen verwirklichen lässt, ist die
durch den Majdan gestärkte Absicht politisch engagierter Bürger ungebrochen, den Kampf gegen Kor-
ruption nicht nur dem Staat zu überlassen.
Nichtregierungsorganisationen gestalten den staatlichen Kampf gegen die Korruption mit
Jaroslaw Jurtschischin ist Jurist und Aktivist der 2014 gegründeten zivilgesellschaftlichen Initiative
„Reanimation Package of Reforms“ (kurz RPR), die das Ziel verfolgt, die Reformen des Landes mitzuge-
stalten. Der Experte für Korruptionsbekämpfung gehört zu denen, die die öffentliche Verhaftung im
Ministerkabinett für Theater halten. Die ukrainische Regierung versuche, die Antikorruptionsmaßnah-
men des ehemaligen Präsidenten Georgiens Saakaschwilli zu imitieren.
Im RPR gibt es eine Arbeitsgruppe „Korruptionsbe-
kämpfung“, welche Olexij Chmara, Leiter der ukraini-
schen Sektion von Transparency International, führt.
In ihr engagieren sich etwa Aktivisten aus Bürgerini-
tiativen, Abgeordnete des Kiewer Stadtrats und
Journalisten. Sie arbeiten eng mit der Politik zusam-
men. Im ukrainischen Parlament etwa unterhält die
Arbeitsgruppe nach eigener Aussage etwa 50 Kon-
takte zu Abgeordneten aller Parteien und Fraktionen.
Durch diese habe man bereits eine große Anzahl von
Gesetzesinitiativen ins Parlament einbringen können,
von denen bereits 32 von der Rada angenommen
worden seien.3 Damit die Öffentlichkeit die genaue
Anzahl der eingebrachten Initiativen samt Status
verfolgen kann, wird RPR demnächst ein für alle Inte-
ressierten zugängliches „Reformometer“ einrichten.4
Mit der Annahme der Gesetze ist jedoch nur der erste Schritt getan. Die Experten von RPR verfolgen
deshalb auch, wie neue Gesetze umgesetzt werden.
Fünf im ukrainischen Parlament vertretene Parteien, die die Regierungskoalition bilden, haben zu-
sammen mit RPR einen „Fahrplan“ für Reformen erarbeitet. Die aktivsten Partner von RPR sind die
sogenannten „Euro-Optimisten“, ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Abgeordneten,
die sich mit der Forderung durchsetzten, den vom Oligarchen Ihor Kolomoysky kontrollierten Energie-
konzern „Ukrnafta“ gesetzlich zu verpflichten, zwei Milliarden Hrywnia (84,7 Millionen Euro) an den
ukrainischen Staat zurückzuzahlen. Auch ein Gesetz zur Regelung der Parteienfinanzierung, welches
die politischen Parteien unabhängig von intransparenten externen Geldern machen soll, steht auf der
Reformagenda.
3 Neben der Anti-Korruptionsreform hat auch die Dezentralisierungsreform für RPR einen hohen Stellenwert, im Rahmen
derer im Parlament bereits fünf Gesetzesentwürfe angenommen worden sind. Das aktuellste vom RPR eingebrachte und
am 7. April vom Präsidenten unterschriebene Gesetz betrifft die Unabhängigkeit der Medien und regelt den Aufbau eines
öffentlich-rechtlichen Fernsehens. 4 http://platforma-reform.org/
Die Anti-Korruptionsexperten von RPR bei der Arbeit / Foto:
Oleg Friesen
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Im Parlament ist der „Ausschuss zu Fragen der Abwehr und Verhinderung von Korruption“5 die ers-
te Anlaufstelle für die Aktivisten vom RPR. Seine Aufgabe ist es, Gesetzesgrundlagen für die Bekämp-
fung der Korruption auszuarbeiten. Gegründet wurde er bereits 2012 unter anderem Namen, im kor-
rupten System des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Janukowytsch machte er sich aber nicht wei-
ter bemerkbar. Der derzeitige Ausschussvorsitzende, der frühere Journalist Jehor Sobolew, ist ebenfalls
„Euro-Optimist“ und spätestens seit Majdanzeiten einer der bekanntesten Anti-Korruptionsaktivisten
der Ukraine sowie Mit-Initiator des im Oktober verabschiedeten Gesetzes zur „Säuberung der Macht-
strukturen“. Der Europarat wiederum kritisiert dieses „Lustrationsgesetz“, wie es auch genannt wird,
als unvereinbar mit europäischem Recht und fordert eine Reihe von Änderungen, etwa eine unabhän-
gige Kommission zur Umsetzung von Lustration. Das „Lustrationsgesetz“ sorgt zudem immer wieder
für ganz praktische Probleme, da durch die Entlassung von Beamten oft ein Kompetenzvakuum ent-
steht, weil dann Fachleute fehlen. Sobolew selbst wünscht sich für die Umsetzung von Lustration das
von ihm selbst geschaffene Lustrations-Komitee, eine zivilgesellschaftliche Aktivistengruppe mit einer
Guillotine im Logo. Er bemüht sich, bislang vergeblich, um einen offiziellen Status dieses Komitees.
Jaroslaw Jurtschischin, der Aktivist des RPR, versteht seine Organisation als Instrument der Zivilgesell-
schaft, die Politiklinien des Landes mitzugestalten. Er wünscht sich ein Netzwerk, das alle Antikorrup-
tionsinitiativen des Landes koordiniert und auch die Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen
der Korruptionsbekämpfung, darunter auch der Staatsanwaltschaft, regelt.
Der schwierige Start der staatlichen Korruptionsbekämpfung
Regierung und Präsident sind eigene Anti-Korruptionsinstitutionen zugeordnet. Im Februar dieses Jah-
res bildete das Kabinett der Ukraine eine „Nationale Agentur zu Fragen der Korruptionsprävention“
(s. Schaubild). Diese soll vor allem gegen die Korruption im Staatsapparat vorgehen und die Antikor-
ruptionspolitik der Regierung entwerfen. Zudem soll sie dafür sorgen, dass die Ministerien ihre Finan-
zen offenlegen. Eine konkrete Maßnahme ist auch die Einrichtung eines Registers von Eigentums- und
Vermögensdeklarationen der Staatsbediensteten. Das soll als Grundlage für die Beurteilung dienen, ob
die Ausgaben eines Beamten noch in Relation zu seinem Einkommen stehen.6 Premierminister Jaze-
niuk bemüht sich beim Aufbau der Agentur um Unterstützung durch postsozialistische Länder, die
bereits eine erfolgreiche Antikorruptionspolitik durchsetzen konnten. So lud Jazeniuk im April den
Chef des polnischen Antikorruptionsbüros Pawel Wojtunik nach Kiew ein, welcher sich dazu bereit
erklärte, den ukrainischen Kampf gegen die Korruption mit Experten und dem nötigen Know-how Po-
lens zu unterstützen.
Olexij Chmara, der Leiter von Transparency International Ukraine, beurteilt die Chancen der Ukraine,
eine effektive Antikorruptionspolitik durchzuführen, als nicht schlecht. Die größte Hoffnung setzt er in
die seiner Ansicht nach „wichtigste Antikorruptionsbehörde im Land“ – das „Nationale Anti-
Korruptionsbüro“. Ebenfalls auf einer Gesetzesinitiative des RPR beruhend ist dieses Büro direkt dem
Präsidenten unterstellt. Es soll eine Führungsrolle unter den Antikorruptionsinstitutionen einnehmen
und das komplizierte System der staatlichen Antikorruptionsbehörden koordinieren, einschließlich
Staatsanwaltschaft und Justizministerium.
Die Ernennung des Büroleiters obliegt einer staatlichen Kommission. Hier kam es bereits zu einem
ersten Konflikt, da die Zivilgesellschaft die Wahl einer Person befürchtete, die unter zu starkem Ein-
fluss des Präsidenten stehen würde.
5 Bis Dezember 2014 „Komitee für Fragen des Kampfes gegen organisiertes Verbrechen und Korruption“
6 http://www.kyivpost.com/content/business/ukrainian-government-takes-more-steps-towards-transparency-385925.html
Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 5
Doch Zivilgesellschaft und Parlament können es als ihren Erfolg verbuchen, dass sie mit Hilfe von In-
formationsarbeit und öffentlichem Protest einen von Präsident Poroschenko favorisierten georgischen
Leiter verhinderten. Leiter des Anti-Korruptionsbüros wurde am 16. April Artem Sytnik, ein ehemaliger
Staatsanwalt.
Auch Jaroslaw Jurt-
schischin erklärt sich die
Verzögerung des gesamten
Verfahrens als politischen
Machtkampf. Die ver-
gleichsweise hohe Anzahl
georgischer Kandidaten für
den Posten hält er für be-
merkenswert. Zwischen-
zeitlich wurde sogar der
ehemalige georgische Prä-
sident Saakaschwilli als
Kandidat gehandelt. Mit
Artem Sytnik ist Jurt-
schischin jedoch zufrieden.
In seiner zehnjährigen Tä-
tigkeit für die Staatsan-
waltschaft gelang es dem
35-jährigen Sytnik, über
300 Fälle von Korruption
aufzuklären. 2011 erklärte er aus Protest gegen das korrupte System des damaligen Präsidenten Janu-
kowytsch seinen Rücktritt.
Administration des Präsidenten in Kiew / Foto: Oleg Friesen
Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 6
Schaubild Staatliche Antikorruptionsinstitutionen der Ukraine
Präsident der Ukraine
Nationales Antikor-
ruptionsbüro
Kabinett der Ukraine
´Nationale Agentur zu
Fragen der Korrup-
tionsprävention
Parlament der Ukraine:
Ausschuss zu Fragen
der Abwehr und
Verhinderung von
Korruption
Leiter: Artem Sytnik
(Jurist, ehem. Staatsanwalt)
Aufgaben:
- Koordination aller staatli-
chen Antikorruptionsbe-
hörden
- Kontrolle von Politikern
und Staatsbediensteten
- Monitoring der Umsetzung
des Lustrationsgesetzes
Leiter: Auswahlverfahren läuft
Aufgaben:
- Kontrolle und Prüfung
von Staatsbediensteten
und staatlichen Institu-
tionen, insb. der Mini-
sterien
- Offenlegung von Haus-
haltsplänen und Ausga-
ben der Ministerien
- Einrichtung und Füh-
rung eines Registers der
Vermögens- und Ein-
kommensverhältnisse
Leiter: Jehor Sobolew
(ehem. Journalist, Abgeordneter)
Aufgaben:
- Vorbereitung und
Ausarbeitung von An-
tikorruptionsgesetzen
- Kontrolle von Parla-
mentsabgeordneten
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Korruption muss „von unten“ bekämpft werden
„Reanimation Package of Reforms“ und Transparency International sind Beispiele für aktive Nichtre-
gierungsorganisationen, denen daran gelegen ist, die Anti-Korruptionspolitik des Landes mitzugestal-
ten. Das Spektrum der Anti-Korruptionsaktivisten in der ukrainischen Gesellschaft ist breit; es reicht
von Einzelpersonen wie Bloggern über gesellschaftliche Initiativen und Nichtregierungsorganisationen
bis hin zu den Kirchen, die die Korruption im Land wiederholt anprangern.
Zu den in der Ukraine bekannten Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Bereich arbeiten, ge-
hört auch „Naschi Hroschi“ („Unser Geld“). Diese NGO recherchiert und prüft den für Korruption be-
sonders anfälligen Bereich staatlicher Auftragsvergabe. Die Aktivisten von „Naschi Hroschi“ betreiben
vor allem aktive Informationsarbeit im Internet7 und anderen Medien, wie dem unabhängigen Nach-
richtenkanal Hromadske TV („Bürgerliches TV“).
Es gibt des Weiteren Initiativen,
die den Ansatz „Korruptionsbe-
kämpfung von unten“ verfolgen.
Für sie ist der Kampf gegen die
Korruption in den oberen Reihen
des Staatsapparates zwecklos,
wenn sich die Mentalität der
Gesellschaft nicht insgesamt
ändert. Serhiy Hula denkt so, ein
junger selbstständiger Kiewer
Rechtsanwalt und Gründer der
bürgergesellschaftlichen Initiati-
ve „Nein zu Schmiergeld – ich
nehme und gebe kein Schmier-
geld“. Die Menschen in der Ukraine begegneten in ihrem Alltag fortwährend Korruption: sei es der
Arzt, der „einen Gefallen“ für eine Behandlung verlangt, oder der Lehrer, der seinen Schülern für „Ge-
schenke“ gute Noten gibt. Besonders problematisch sei die Justiz: Richter verlangten häufig hohe
Summen für ein Urteil zum Vorteil der Person, die zahlt. Deshalb appelliert Hula an die Bürger, der
Alltagskorruption zu widerstehen. Die Initiative „Nein zu Schmiergeld“ bietet sich als Ansprechpartner
für jene Bürger an.
Markenzeichen der Initiative ist die „Anti-Schmiergeld-Hrywnia“, ein Flyer in Form eines Geldscheins.
Dieser soll als symbolische „rote Karte“ gegen Schmiergeld dienen und demonstrativ überreicht wer-
den, wenn einer Person im Alltag Schmiergeld abverlangt wird. Serhiy Hula organisiert zudem Veran-
staltungen im ganzen Land. Vor Ort bietet die Initiative den Bürgern die Möglichkeit, eine symbolische
Deklaration zu unterschreiben, in der sie sich verpflichten, kein Schmiergeld zu nehmen, oder zu ge-
ben. Mehr als tausend Menschen haben diese Deklaration bereits unterschrieben, davon fünfzehn Pro-
zent Staatsangestellte.
7 http://nashigroshi.org/
Symbolische „Ich gebe und nehme kein Schmiergeld“-Deklaration / Foto: Oleg Friesen
Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 8
Fazit
Nach der „Revolution der Würde“ bemüht sich die neue ukrainische Regierung demonstrativ um einen
neuen Politikstil der Offenheit und Transparenz. Dieser bietet der Zivilgesellschaft immerhin die Mög-
lichkeit, die Arbeit der Staatsgewalten besser zu kontrollieren und darauf Einfluss zu nehmen.
Der Wille und die Motivation vieler ukrainischer Bürger, aktiv an der Reformierung ihres Landes mit-
zuwirken, haben in diesem ersten schwierigen Jahr nach dem Regimewechsel nicht nachgelassen.
Grundsätzlich ist es ein Erfolg, dass in der Ukraine nun unabhängige Institutionen und Strukturen zur
Korruptionsbekämpfung gebildet werden. Ob sie tatsächlich Wirksamkeit entfalten, bleibt abzuwarten.
Gegenwärtig verzögert sich ihr Aufbau u. a. aufgrund politischer Querelen, wie jener um die Leitung
des Nationalen Antikorruptionsbüros. Präsident und Regierung müssen also ihren ernsthaften Willen,
Reformen durchzuführen und Korruption wirksam zu bekämpfen, erst noch unter Beweis stellen.
In jedem Fall sind Hinweise auf die herausfordernde Lage im Osten des Landes keine akzeptable Ent-
schuldigung dafür, notwendige Reformen zu verschleppen. Denn nicht zuletzt von einer erfolgreichen
Reformierung des Landes und einer wirtschaftlichen Erholung und Stabilisierung wird es abhängen,
die zurzeit besetzten Gebiete eines Tages wieder erfolgreich zu reintegrieren.
„Gäbe es keinen Krieg im Osten, gäbe es den Krieg der Ukraine gegen die Korruption“, sagt Jaroslaw
Jurtschischin von RPR. Doch ohne den Kampf gegen die Korruption kann die ukrainische Regierung bei
der Umsetzung lebensnotwendiger Reformen für ihr Land nicht erfolgreich sein.
Oleg Friesen ist Student der Geschichts-und Politikwissenschaften im 8. Semester an der Freien Uni-
versität Berlin und gegenwärtig Praktikant der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kiew.
Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF)
Bereich Internationale Politik
Referat für Querschnittsaufgaben
Karl-Marx-Straße 2
D-14482 Potsdam
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