Verwirrtheits-, Angst- und Unruhezustände im Alter · Verwirrtheits-, Angst- und Unruhezustände...

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Verwirrtheits-, Angst- und

Unruhezustände im Alter

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Klinikum rechts der Isar

Technische Universität München

Alexander Kurz

80

1 Verwirrtheit

Verwirrtheit (= Delir): Kriterien

nach: Diagnostic and Statistical Manual, Fifth Edition (DSM 5)

Störung der Aufmerksamkeit (verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten,

aufrecht zu erhalten und zu wechseln) und Wachheit (Bezug zur Umgebung)

Akuter Beginn, deutliche Befundschwankungen im Tagesverlauf

Störungen von Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Wahrnehmung

Nachweis einer medizinische Ursache

Begriff „Bewusstsein“ wird

verlassen

Delir: Prävalenz

Fong et al. Nat Rev Neurol 5: 210-220, 2009

0

20

40

60

80

100

Bevölkerung Allgemeinkrankenhaus Intensivstation

Prä

vale

nz [%

]

2

20

80

Delir: Ursachen und Risikofaktoren

Fong et al. Nat Rev Neurol 5: 210-220, 2009

Seh- oder Hörbehinderung

Bewegungseinschränkung (Katheter, Fixierung)

Medikamente (Hypnotika, Anticholinergika, Polymedikation, Alkohol- / Benzoentzug)

Neurologische Krankheit (Schlaganfall, Hirnblutung, Meningitis, Enzephalitis)

Akute körperliche Krankheit (Infektion, Anämie, Dehydratation, Fraktur, Trauma)

Stoffwechselentgleisung

Operation

Ungünstige Umgebung (z. B. Intensivstation)

Schmerz

Anhaltender Schlafentzug

Modifizierbar

Nicht modifizierbar

Demenz (in 2/3 aller Fälle!)

Multimorbidität

Chronische Nieren- oder Lebererkrankung

Delir: 3 Formen

Fong et al. Nat Rev Neurol 5: 210-220, 2009

Hypoaktiv

Hyperaktiv Mischform

Unruhe

Agitiertheit

Überwachheit

Opt. Sinnestäuschungen

Wahnphänomene

Teilnahmslosigkeit

Stumpfheit

Langsame Reaktionen

Wenig spontane Bewegungen

Wird oft übersehen!

Merkmale

beider

Formen

25%

30%

45%

Delir: Folgen

Verlängerung von Krankenhausaufenthalten

Erhöhte Mortalität

Häufigere Pflegeheimaufnahmen

Anhaltende kognitive Beeinträchtigungen nach Abklingen des Delirs

Langfristig Übergang in eine Demenz häufig

Wacker et al., Dement Geriatr Cogn Disord 21: 221-227, 2006

Delir ist prognostisch

ungünstig

Delir: Prävention

Benzodiazepine und Anticholinergika vermeiden

Orientierung in der Umgebung erleichtern (Licht!)

Ernährung sicherstellen

Ausreichende Flüssigkeitszufuhr

Ausreichender Schlaf

Mobilität so weit wie möglich aufrecht erhalten

Möglichst keine Fixierung

Hör- und Sehhilfen, falls erforderlich

Fong et al. Nat Rev Neurol 5: 210-220, 2009; Siddiqi et al. Age Ageing 35: 350364, 2006

30-40 % aller Delirien

sind vermeidbar

Delir: Therapie

Möglichst niedrige Dosis und kurze Dauer

Haloperidol (0,5 -1 mg i.v. oder i.m.) am häufigsten eingesetzt

Risperidon (0,5 mg 2x täglich), Olanzapin (2,5-5 mg pro Tag)

und Quetiapin (25 mg 2 x täglich) ebenso wirksam

Hu et al., Chin J Clin Rehab 10: 188-190, 2006; Han & Kim, Psychosomatics 45: 297301, 2004

2 Angst

Angststörungen: Prävalenz (nach Alter)

World Health Organization: Global Health Estimates, Genf 2017

Alter

Frauen Männer

Angststörungen sind bei

jungen Menschen häufiger

Angstörungen: Risikofaktoren

Ramos & Stanley, Psychiatr Clin North Am 41: 55-64, 2018; Thorp et al., Am J Psychiatry 17: 105-115, 2009

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Hyperthyreose

Arthritis

Chronische Schmerzen

Parkinson-Krankheit

Diabetes

Bluthochdruck

Lungenkrankheiten

Gastrointestinale Probleme

Angstörungen: Prognose

Sami & Nilforooshan, Int Psychogeriatr 27: 1061-1069, 2015

0

10

20

30

40

50

60

nach 1 Jahr nach 2 Jahren nach 3-6 Jahren

Pers

iste

nz o

der

Rückfa

ll %

Angststörungen haben oft

einen chronischen Verlauf

Angstörungen: Typologie

Bendelow et al., Dtsch Ärztebl Int 114: 473-480, 2014

Panikstörung

Agoraphobie

Generalisierte Angststörung

Spezifische Phobie

Soziale Phobie

Plötzlich auftretende Angstanfälle, starke körperliche

Angstsymptome, oft mit Agoraphobie verbunden

Angst vor Orten, wo im Fall einer Panikattacke ein

Entkommen schwer möglich wäre

Körperliche Angstsymptome, kein Angstobjekt

Angst vor bestimmten Situationen oder Objekten

Angst in sozial exponierten Situationen

Spezifische Phobie ist bei

alten Menschen die

häufigste Form der Angst

Angstörungen: Nicht-pharmakologische Strategien

Ramos & Stanley, Psychiatr Clin North Am 41: 55-64, 2018

Kognitive Verhaltenstherapie

Entspannungstechniken

Kurzzeitige, zielorientierte Behandlung zur

Minderung von Angstsymptomen durch

Modifikation ungünstiger Verhaltens- und

Denkmuster

Techniken zur Verminderung von

körperlichen Angstsymptomen

Angstörungen: Nicht-pharmakologische Strategien

Thorp et al., Am J Psychiatry 17: 105-115, 2009

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1

Angst Depression

Effekts

tärk

e

Kognitive Verhaltenstherapie ohne Entspannungstechnik

Kognitive Verhaltenstherapie mit Entspannungstechnik

Entspannungstechnik allein

klein

mittel

groß

Angstörungen: Pharmakotherapie

Bandelow et al., Dtsch Ärztebl Int 114: 473-480, 2014

Gruppe Medikament Panikst./Agor

aph.

General.

Angstst.

Spezif.

Phobie Dosis [mg/d]

SSRI

Citalopram X 20-40

Escitalopram X X X 10-20

Paroxetin X X X 20-50

Sertralin X X 50-150

SNRI Duloxetin X 60-120

Venlafaxin X X X 75-225

TCA Clomipramin X 25-250

Ca-Mod. Pregabalin X 150-300

TCA Opipramol X 50-300

5-HT Agonist Buspiron X 15-60

MaoA-Inhib. Moclobemid X 300-600

Niedrig dosieren und auf

Interaktionen achten

Angstörungen: Pharmakotherapie

Gomez et al., Expert Opin Pharmakother 19:883-894, 2018

0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

Benzodiazepine SSRI SNRI

Effekts

tärk

e (

Hodg

es’ g

)

p = 0,005 p < 0,01 p < 0,01

3 Unruhe

Unruhe, Agitierheit: Symptome

MRT

Getriebenheit

Überaktivität, oft ziellos

Reizbarkeit

Überreaktionen auf innere oder äußere Reize

Schwankender Zustand

Garriga et al., World J Biol Psychiatry 17: 86-128, 2016

Unruhe, Agitierheit: Folgen

MRT

Belastung für Patient, Angehörige und Personal

Verlängerung des Krankenhausaufenthalts

Verletzungsgefahr

Gefahr von Stürzen

Entfernen von Kathetern, Infusionen

Garriga et al., World J Biol Psychiatry 17: 86-128, 2016

Unruhe, Agitierheit: Ursachen

MRT Schädelhirntrauma

Enzephalitis

Enzephalopathie (Leber, Niere)

Stoffwechselentgleisung

Hypoxie

Garriga et al., World J Biol Psychiatry 17: 86-128, 2016; Nordstrom et al., West J Emerg Med 13: 3-10, 2012

Körperliche Krankheit

Alkohol

Drogen

Intoxikation oder Entzug

Psychiatrische Störung

Delir

Depression

Demenz

Angststörung

Schizophrenie

Bipolare Störung (Manie)

Unruhe, Agitierheit: Management

MRT

Verbale De-Eskalation

Fixierung vermeiden oder so kurz wie möglich anwenden

Sicherheit von Patient, Mitpatienten und Personal beachten

Falls Absonderung: Überwachen!

Antipsychotika oft unvermeidbar

Orale Verabreichung bevorzugen

Unruhe, Agitierheit: Pharmakotherapie

MRT

Gruppe Medikament Dosis [mg/d]

Atypisch

Risperidon 0,25-2

Olanzapin 1,25-5

Quetiapin 12,5 - 50

Aripiprazol 5-10

Klassisch Haloperidol 0,5-2

Melperon 25-150

Leuner et al., Ars Medici 20: 1012-1018, 2013

Möglichst niedrige Dosis

Möglichst kurzfristige Anwendung

Kardiovaskuläre Risiken beachten

Zusammenfassung

MRT Verwirrtheit Unruhe und Angst sind bei älteren Menschen häufig verbunden

Ein Drittel aller Delirien ist vermeidbar

Kognitive Verhaltenstherapie und Entspannungstechniken sind bei Angst wirksam

Falls nötig, sollten neuere Antidepressiva eingesetzt werden (SSRI, SNRI)

Bei Unruhe ohne körperliche Ursache an Delir, Depression und Demenz denken

Falls nötig, atypische Neuroleptika kurzfristig und in niedriger Dosierung verwenden

MRT

Vielen Dank!

Delir: Confusion Assessment Method

Inoue et al., Ann Intern Med 113: 941-948, 1990, Bickel: Psychosom Konsiliarpsychiatr 1: 224-228, 2007

Beginn und Verlauf Hinweise auf eine akute psychische Veränderung ?

Schwankung des abnormen Verhaltens im Tagesverlauf ?

Unaufmerksamkeit Hat der Patient Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit zu fokussieren?

Ist er z.B. leicht ablenkbar oder hat er Schwierigkeiten, dem Gespräch zu

folgen? (RADIO rückwärts buchstabieren oder/ und serial seven (100 – 7))

Fluktuiert das Verhalten während des Interviews?

Desorganisiertes

Denken

Ist das Denken des Patienten desorganisiert oder inkohärent?

Redet er weitschweifig und belanglos daher?

Ist der Gedankengang unklar, unlogisch oder sprunghaft?

Veränderte

Bewusstseinslage

Ist der Bewusstseinszustand verändert?

(z. b. hyperalert, lethargisch, stuporös, komatös)

Besteht ein Delir? Wenn Fragen 1 und 2 sowie Fragen 3 oder 4 mit „ja“ beantwortet wurden

Geriatrische Angst-Skala

Gottschling et al., J Psychopathol Behav Assess 38: 136-148, 2016

Cohen-Mansfield Agitation Inventory

Xxxx

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